Alexander Glasunow

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SWR2 MANUSKRIPT
ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE
Alexander Glasunow
"Ich bin von der Musik besessen"
Zum 150. Geburtstag des Komponisten (2)
Von Ulla Zierau
Sendung:
Dienstag, 11. August 2015
9.05 – 10.00 Uhr
Redaktion: Ulla Zierau
Bitte beachten Sie:
Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere
Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR.
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SWR2 Musikstunde mit Ulla Zierau
11. August 2015
Alexander Glasunow
"Ich bin von der Musik besessen"
Zum 150. Geburtstag des Komponisten (2)
Signet
"Ich bin von der Musik besessen" sagt Alexander Glasunow – und
wir wollen von dieser Besessenheit in dieser Musikstundenwoche
zum 150. Geburtstag des russischen Komponisten einiges Erleben.
Kommen Sie mit auf einen weiteren Streifzug durch sein Leben und
Werk, heute geht es um die erste Begegnung mit Peter
Tschaikowsky und die daraus entstehende Freundschaft. (0‟25)
Titelmusik
„Glasunow interessiert mich sehr. Besteht die Möglichkeit, dass
dieser junge Mensch mir die Sinfonie schickt, damit ich sie
durchsehen kann“, fragt Tschaikowsky seinen Kollegen Balakirew.
Zu einer Postsendung kommt es nicht, da Balakirew nur eine
einzige Partitur besitzt und Sorgen hat, sie könne verloren gehen,
aber Tschaikowsky soll noch ausgiebig Gelegenheit bekommen,
Glasunow und seine Musik kennenzulernen.
Im Kreise des Mächtigen Häufleins, der Komponisten Mussorgsky,
Rimskij-Korsakow, Borodin, Balakirew und Cui ist Glasunow im
nationalrussischen Bewusstsein musikalisch erwachsen geworden,
hat dabei aber immer auch einen Blick auf Peter Tschaikowsky
geworfen, den Kosmopoliten. Tschaikowsky stand schon immer am
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Tor zum Westen, kannte und schätze die deutsche, französische
und italienische Romantik. Ließ sich von ihren Ideen und Idealen
inspirieren.
Im Westen wurde er dafür geliebt und gefeiert, seine Melodik,
seine überschwänglichen Emotionen galten als Inbegriff der
russischen Musik, während man im eigenen Land darüber eher die
Nase rümpfte. Den Russen, vor allem dem Kreis um Balakirew war
Tschaikowsky nicht russisch genug. (1‟15)
Musik 1
Peter Tschaikowsky: Schwanensee, das Schwanen-Thema
London Symphony Orchestra, André Previn
M0018145 002, Emi Classics, CDC 478249-2, 2‘50
Das Schwanen-Thema aus Peter Tschaikowskys Ballett „Der
Schwanensee“. André Previn leitete das London Symphony
Orchestra.
Peter Tschaikowsky und das Mächtige Häuflein werden in der
Musikgeschichte gerne als Antipoden dargestellt. Aber
Tschaikowsky ist gar nicht der Typ für Kontroversen.
Er ist ein schüchterner, introvertierter, selbstzweifelnder Mensch, der
sich für jede in- und ausländische Musikrichtung interessiert. Und
Alexander Glasunow ist es zu verdanken, dass es zu einem regen
Austausch unter den russischen Komponisten kommt, ja sogar zu
einer engen Freundschaft zwischen ihm und Tschaikowsky.
Glasunow ist Vollblutmusiker, er lässt sich von keiner
nationalistischen Gesinnung vereinnahmen. Ihn interessiert allein
die Musik, egal woher sie kommt. Auch wenn sie der 25 Jahre
ältere Tschaikowsky geschrieben hat.
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Bevor sich die angeblichen Kontrahenten zum ersten Mal
persönlich begegnen, gab es schon ein musikalisches Abtasten.
Tschaikowsky kaufte sich die Noten von Glasunows erstem
Streichquartett, bemängelte ein paar Kleinigkeiten, kommt aber zu
dem Entschluss, das Talent von Glasunow sei unzweifelhaft.
Tschaikowsky ist inzwischen 44 Jahre alt, hat bisher vier Sinfonien
geschrieben, die Oper „Eugen Onegin“, das Ballett
„Schwanensee“, die beiden Klavierkonzerte, das Violinkonzert und
vieles mehr.
Aber nur weniges hat in den Augen des „Mächtigen Häufleins“
Bestand, dazu zählt das Finale der 2. Sinfonie und das hat aus
russisch-nationaler Sicht einen plausiblen Grund, denn darin
verarbeitet Tschaikowsky das russische Volkslied „Der Kranich“ und
nationales Kulturgut ist ganz nach dem Geschmack der Herren um
Brorodin und Balakirew. (1‟50)
Musik 2
Peter Tschaikowsky: Sinfonie Nr.2, Finale (Allegro vivo)
Russisches Nationalorchester / Leitung: Michail Pletnjew
M0016997 004, Deutsche Grammophon, 449967-2, 5’40 ein- und
ausgeblendet
Finale aus der 2. Sinfonie von Peter Tschaikowsky. Wegen des
russischen Volkslieds „der Kranich“ wird sie auch die
„Kleinrussische“ genannt. Michail Pletnjew leitete das Russische
Nationalorchester.
Mit dieser Sinfonie spielt sich Tschaikowsky in die Herzen der Russen
und gewinnt die Anerkennung des Mächtigen Häufleins. Sie wird
als russische Errungenschaft gefeiert. Tschaikowsky lässt sich
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allerdings – ähnlich wie Glasunow - nicht vereinnahmen, sondern
hört allein auf seine innere Inspiration.
Die Vorzeichen für eine Begegnung der russischen Komponisten
aus den beiden unterschiedlichen Lagern stehen einerseits auf
Respekt, andererseits aber auch auf Skepsis und Distanz.
Balakirew, der regelmäßig in Kontakt mit Tschaikowsky steht, bringt
den Stein ins Rollen und lädt Tschaikowsky nach Sankt Petersburg
ein. Die Spannung ist groß, wie soll man sich verhalten, was darf
man sagen, was besser nicht.
Jahre später schreibt Glasunow in der Tschaikowsky Gedenkschrift:
„Wir versammelten uns zur festgesetzten Stunde bei Balakirew und
erwarteten mit Aufregung das Erscheinen Tschaikowskys.“
Als er dann kommt, ist die Anspannung bald verflogen. Noch
einmal Glasunow:
„Tschaikowsky, der Einfachheit mit Würde und Feinheit verband
und europäische Umgangsformen pflegte, machte auf die
meisten Anwesenden den günstigsten Eindruck. Wir atmeten wie
befreit auf. Er brachte mit seinem Gespräch einen frischen Wind in
unsere etwas verstaubte Atmosphäre“, so Glasunow. Alles in allem,
ein gelungener Abend, eine eindrückliche Begegnung. Es wird viel
über Musik gesprochen.
Glasunow und Ljadow sind fasziniert von der Persönlichkeit
Tschaikowskys. „Wir setzten uns (danach) in ein Restaurant, um die
neuen Eindrücke auszutauschen. Die Begegnung mit dem großen
Komponisten war für uns alle in gewisser Weise ein Feiertag“.
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An diesem Abend im Januar 1884 lernt Tschaikowsky Glasunows
Poème lyrique kennen und bittet um eine Abschrift. Der Titel
stammt von Tschaikowsky. Glasunow bat den Komponisten um
einen Namen für sein Andantino.
Kein Wunder, dass das Poem Tschaikowsky gefallen hat, strotzt es
doch vor lyrischem Ausdruck, Melodik und Emotionalität. (2‟20)
Musik 3
Alexander Glasunow: Poème lyrique op.13, Ausschnitt
Bamberger Sinfoniker, Leitung: Neeme Järvi
1909545, Orfeo, C 157201 A, 4‘12
Die Bamberger Sinfoniker unter der Leitung von Neeme Järvi mit
einem Ausschnitt aus dem Poème lyrique von Alexander
Glasunow.
Der einflussreiche Musikkritiker Vladimir Stassow, der auch bei dem
denkwürdigen Treffen zwischen dem Mächtigen Häuflein und
Tschaikowsky dabei war, schreibt an seinen Bruder: „Ich weiß nicht,
ob er (Tschaikowsky) imstande ist, sich für Musik außer von Mozart
und Rubinstein zu begeistern, aber es sah so aus, dass er von
Glasunow begeistert ist.“
Tatsächlich zwischen den beiden springen die Funken, wie auch
immer sich Tschaikowsky von dem jungen Mann angezogen fühlt.
Die Sympathie und Wertschätzung beruht auf Gegenseitigkeit.
Glasunow schickt Tschaikowsky von jedem neuen Werk eine
Abschrift und Tschaikowsky wiederum setzt sich in Moskau für die
Aufführung der Musik seines jungen Kollegen ein. Und so stehen
bald die Namen Tschaikowsky und Glasunow auf einem
Programmzettel.
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Tschaikowskys Sturm-Ouvertüre und Glasunows „Stenka Rasin“
erklingen an einem Abend in ein und demselben Konzert.
„Stenka Rasin“ ist eine sinfonische Dichtung nach einer russischen
Volkssage über den von den Russen hingerichteten
Kosakenhauptmann Stenka Rasin. Der hält eine persische Prinzessin
gefangen und opfert sie im Kampf mit den Soldaten des Zaren
„Mütterchen Wolga“. Die Prinzessin stirbt in den Wogen des Flusses.
Die Geschichte spielt an der Wolga, entsprechend verwendet und
bearbeitet Glasunow das berühmte Lied der Wolgaschiffer. (1‟30)
Musik 4
Alexander Glasunow: Lied der Wolgaschiffer, op. 97, Transkription
für Klavier
Stephen Coombs
M0034357 009, hyperion, CDA 66866, 2’15
Stephen Coombs mit dem Lied der Wolgaschiffer von Alexander
Glasunow, in einer Klavierbearbeitung.
In der sinfonischen Dichtung „Stenka Rasin“ mischt Glasunow
dieses Thema mit einer zarten von Flöten und Harfen umspielten
orientalischen Klarinettenmelodie, die die Schönheit und Anmut
der Prinzessin aus dem Morgenland charakterisieren soll.
Im Gegensatz dazu bekommt das Motiv der Wolgaschiffer etwas
Bedrohliches, Düsteres. Eine bizarre Mischung. (0‟30)
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Musik 5
Alexander Glasunow:
Stenka Rasin, Ausschnitt
Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR / Leitung: Alfons Rischer
M0017606 001, Eigenproduktion 1967, 5‘10
Die sinfonische Dichtung „Stenka Rasin“ von Alexander Glasunow.
Das Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR spielte unter der
Leitung von Alfons Rischer diesen Ausschnitt mit dem Geflecht der
beiden Hauptthemen, das der Prinzessin und das der
Wolgaschiffer.
Tschaikowsky liebt dieses Werk von Glasunow, wie überhaupt sich
das Verhältnis der beiden stetig festigt und inniger wird.
Weilt Tschaikowsky in Petersbug sehen sie sich täglich,
Tschaikowsky geht bei Glasunows ein und aus.
Diese Freundschaft zieht weite Kreise. Tschaikowsky macht sich in
der Öffentlichkeit für die Musik der Kollegen aus dem Balakirew
Kreis stark, empfiehlt ihre Werke weiter und knüpft damit ein starkes
Band unter den russischen Komponisten, unabhängig ihrer Stils und
ihrer Ästhetik.
In Sankt Petersburg kommt es zu häufigen Treffen, Essen in
Restaurants, bei Freunden, Tschaikowsky stellt sein Streichsextett
vor und Glasunow bemerkt, äußerst sensibel:
„Seine Reisen nach Petersburg fielen ihm letzten Endes lästig. Er
wurde nervös, litt an der Untätigkeit und den gesellschaftlichen
Visiten und sehnte sich nach schöpferischer Arbeit in sesshafter
Einsamkeit. Ich kannte ihn nicht als sesshaften Menschen und
vermochte nicht, in die Herzkammern seines Schöpfertums
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einzudringen, wie das bei Balakirew der Fall war und noch mehr
bei Rimskij-Korsakow und Borodin.“
Tschaikowsky wiederum sinniert auch über seinen jungen Freund
und schreibt ganz offen, aber äußerst vorsichtig und zögerlich an
Glasunow:
„Eine mysteriöse Ursache, eine besondere Anziehung, ein Mangel
an Objektivität, meine Eigenschaft als älterer Freund, der Sie liebt,
alles das drängt mich, wie ich fühle, Sie vor etwas zu warnen. Aber
ich weiß noch nicht, was ich Ihnen sagen soll. In vieler Hinsicht sind
Sie für mich ein Rätsel. Sie sind genial, doch irgendetwas hindert
Sie, sich in Breite und Tiefe zu entwickeln (…) Man möchte Ihnen
bei der vollen Entfaltung Ihrer Begabung helfen, man möchte
Ihnen nützlich sein. Aber bevor ich mich entschließe, Ihnen etwas
Genaues zu sagen, wird es nötig sein, dass ich nachdenke.“
Vermisst Tschaikowsky die unverkennbare Handschrift Glasunows,
vernimmt er zu viel Eklektizismus, zu viel Nachahmung.
Glasunow bedankt sich für den Brief, geht aber nicht näher auf
Tschaikowskys Andeutungen ein, stattdessen schreibt er ihm von
den Plänen zu seiner dritten Sinfonie. Seinem Verleger, Belajeff teilt
er mit:
Ich habe angefangen das Andante zu schreiben, bis jetzt geht es
ziemlich langsam. Für das Scherzo habe ich in meinem Kopf
besondere Kombinationen, keine routinierten. Ich denke für das
Scherzo ein Glockenspiel zu nehmen, das ich noch niemals im
Orchester verwendet habe.“
Glasunow widmet seine dritte Sinfonie dem Freund Tschaikowsky.
(2‟50)
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Musik 6
Alexander Glasunow: Sinfonie Nr.3, Scherzo
Tschaikowsky Sinfonieorchester von Radio Moskau / Vladimir
Fedoseyev
CD, Brillant Classics, LC 09421, 94719/2, 5’04
Der zweite Satz, das Scherzo aus der dritten Sinfonie von Alexander
Glasunow, der Sinfonie mit dem Glockenspiel. Vladimir Fedoseyev
leitete das Tschaikowsky Sinfonieorchester von Radio Moskau.
So gegensätzlich die beiden Komponisten Glasunow und
Tschaikowsky sind, so sehr haben sie sich gegenseitig ins Herz
geschlossen. Tschaikowsky ist vermutlich die empfindsamere Seele,
der verletzlichere Mensch. Glasunow hat das Glück, nur wenig von
Selbstzweifeln geplagt zu sein. Er ist bodenständiger, geerdeter.
Eine der schönsten Beteuerungen von Seiten Tschaikowskys an
Sascha: „Sei mir nicht böse, aber ich habe dich so lieb“.
Das letzte große gemeinsame Ereignis ist die Uraufführung von
Tschaikowskys sechster Sinfonie im Oktober 1893 in Sankt
Petersburg. Damals bekanntlich nur ein Achtungserfolg, mehr
nicht, was den Komponisten schwer getroffen hat. Tschaikowsky
bemerkt: „Ich konnte weder das Orchester noch das Publikum
davon überzeugen, dass dies mein bestes Werk ist und ich nie
mehr etwas Besseres als diese Sinfonie werde schreiben können“.
Wie wahr, schon bald eroberte seine Pathétique die Herzen und ist
bis heute seine populärste Sinfonie.
Noch einmal treffen sich die beiden Komponisten zu einem
gemeinsamen Abendessen, vier Tage vor seinem Tod besucht
Glasunow Tschaikowsky ein letztes Mal. Dann stirbt er 53-jährig,
vermutlich an den Folgen der Cholera, man weiß es nicht genau.
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Glasunow verliert einen guten Freund, einen geschätzten
Gesprächspartner, ja auch ein Vorbild. In seiner Trauer schreibt er
den ersten Teil seines vierten Streichquartetts. Sein Freund Stassow,
dem er das Quartett widmet, meint, „Das sind
Verzweiflungsschreie!“ (1‟50)
Musik 7
Alexander Glasunow:
Streichquartett Nr.4 a-moll, 1. Satz Anfang
Utrecht String Quartet
M0077459 006, MDG 6031237-2, 5’04
Der erste Satz aus dem vierten Streichquartett von Alexander
Glasunow mit dem Utrecht String Quartet. Eine Art Requiem für
Peter Tschaikowsky, später verwendet Glasunow den ersten Satz
für das Orchester-Prélude "A la mémoire de Wladimir Stassow".
Nach Tschaikowskys Tod hält Glasunow Kontakt zu dessen Bruder,
der sich aufrichtig bedankt: „Ich liebe dich nicht nur dafür, dass du
mir so viel klare und erhabene Glücksminuten durch deine
Kompositionen gegeben hast, sondern auch dafür, dass du Peter
so geliebt hast.“
Einige Zeit später bekennt Glasunow: „Ich liebte Tschaikowsky
nicht so sehr wegen seiner Themen wie wegen seiner allgemeinen
Konzeption, wegen des Temperaments und der Meisterschaft, die
mich im Ganzen genommen fast in jedem seiner Werke
befriedigten.“
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In einem Punkt zumindest tritt Glasunow die Nachfolge
Tschaikowskys an. Als der Direktor des Marinskij Theaters für seinen
Meisterchoreographen Marius Petipa einen neuen Komponisten
sucht, kommt er auf die Idee, Glasunow zu fragen. Der sagt zu und
begibt sich wagemutig auf neues Terrain, interessiert sich aber
nicht für die Vorgaben seines Choreographen, sehr zum Unmut
von Petipa.
„Herr Glasunow will nicht eine einzige Note ändern, nicht mal in
der Variation von Fräulein Legnani oder wenigstens die Spur eines
Galopps. Es ist schrecklich mit einem Komponisten zu arbeiten, der
seine Musik an ein Verlagshaus gegeben und schon vorher
publiziert hat.“
Klagt Petipa über Glasunow und tatsächlich, kaum ist die letzte
Seite der Partitur beendet, ist das Projekt für Glasunow
abgeschlossen, keine weiteren Gespräche, kein einziger
Probenbesuch und dann kommt bei der Uraufführung der
„Raymonda“ das helle Erwachen. Erst jetzt versteht Glasunow das
Gesamtwerk und die Arbeit des Choreographen.
Auch wenn Glasunows Ballette nicht an die Popularität der
Welterfolge Tschaikowskys heranreichen, so wurden sie doch von
den großen Ballettmeistern choreographiert, Fokin, Balanchine bis
Cranko, die größter Tänzer brachten sie auf die Bühne, Legnani,
Pawlowa, Nijinsky, Ulanowa bis Nurejew. (2‟30)
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Musik 8
Alexander Glasunow:
Raymonda, grand adagio (Traumszene)
Scottish National Orchestra, Glasgow / Neeme Järvi
M0012387 015, Chandos, 8447, 5’00
Das Grand Adagio aus dem Ballett “Raymonda” von Alexander
Glasunow. Neeme Järvi leitete das Scottish National Orchestra.
Glasunow als Ballettkomponist am Petersburger Marinskij-Theater in
der Nachfolge Peter Tschaikowskys.
Die Frage, wer von beiden Komponisten mehr Russe, wer mehr
Europäer sei, ist müßig. Beide tragen auf unterschiedliche Weise
beides in sich. Sicher ist der junge Glasunow noch mehr in der
russischen Kultur verwurzelt und noch weniger von europäischen
Strömungen beeinflusst als der 25 Jahre ältere Tschaikowsky, der
schon mehrfach in Deutschland, der Schweiz und England und
sogar in Amerika war.
Mit Mitte zwanzig wagt Glasunow den Schritt in die große Welt, zur
Weltausstellung nach Paris. Ein Russe in Paris, davon handelt
morgen die SWR 2 Musikstunde. Ich freue mich, wenn Sie wieder
mit dabei sind.
Heute ging es um die Freundschaft zwischen Glasunow und
Tschaikowsky, zum Schluss noch eine Beschreibung Glasunow
seiner Kollegen und ihrer Musik:
„Um die Werke der großen russischen Komponisten zu
charakterisieren, könnte ich Borodin vergleichen mit einem
Moskowiter Heldenfürsten, Mussorgskij mit einem einfühlsamen
Siedler, Rimskji-Korsakow mit einem legendären Zauberer, aber
Tschaikowsky mit einem russischen Adligen Turgenjew„scher
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Seelenbeschaffenheit. Tschaikowsky vergötterte das Dorf, liebte
und kannte von seinem Standpunkt aus das Volk. Er verstand mit
ihm umzugehen, und wurde überall von allen geliebt.“ (1‟25)
Musik 9
Peter Tschaikowsky: Sinfonie Nr.6, 4. Satz (Finale)
Philharmonisches Orchester Rotterdam, Yannick Nézet-Séguin,
M0357337 004, Deutsche Grammophon, 4790835, 1‘50
Schlussapotheose aus der 6. Sinfonie von Peter Tschaikowsky, der
Pathétique mit dem Philharmonischen Orchester Rotterdam unter
der Leitung von Yannick Nézet-Séguin zum Ausklang der SWR 2
Musikstunde über Leben und Werk von Alexander Glasunow. Es
gibt übrigens eine empfehlenswerte deutsch-sprachige Biographie
über Glasunow von Detlef Gojowy unter Einbeziehung des
biographischen Fragments von Glasunows Schwiegersohn Herbert
Günther, der viele Briefe, Notizen und Zitate Glasunows gesammelt
hat. Die Manuskripte zur Musikstunde sowie die Sendung zum
Nachhören finden Sie auf unserer Internetseite SWR2.de und damit
sagt tschüss Ihre Ulla Zierau. (0„45)
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