1.11 Substitutionsbehandlung

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1 Heroinabhängigkeit
ten Mittel zur Reduktion des Opioidentzugssyndroms gilt (Razani et al. 1975, Cami et al.
1985, Bickel et al. 1988, San et al. 1989, 1990,
Wilson und Di George 1993, Janiri et al. 1994,
Backmund et al. 2001b, Amato et al. 2003). Der
Einsatz von Medikamenten zur Linderung der
Entzugssymptome gebot medizinisch-ethische Grundsätze. Schließlich wurde auch die
Substitutionsbehandlung (siehe oben), wenn
auch unter vielen Schwierigkeiten, in Deutschland erprobt. Durch die medikamentösen Therapieregime und die zunehmende Erkenntnis
der somatischen und psychiatrischen Erkrankungen, wurde die Behandlung durch Ärzte
immer notwendiger und wichtiger. Schließlich wurde im Jahre 2002 die Susbstitutionsbehandlung als Therapie von den Kassen anerkannt.
Somit stehen zwei Therapieoptionen prinzipiell zur Verfügung, die sich nicht widersprechen, sondern vielmehr je nach Phase und Zeitpunkt der Suchterkrankung ergänzen können:
1. Substitutionsbehandlung mit der Möglichkeit, psychiatrische und somatische
Krankheiten zu behandeln und
2. via qualifizierter Entzugsbehandlung
zur Drogenfreiheit.
Seit den 90er Jahren beinhalten beide Behandlungsstrategien die Gabe von Medikamenten, psychotherapeutische Elemente
und Unterstützung bei der Bewältigung sozialer Probleme und Schwierigkeiten.
1.11 Substitutionsbehandlung
1.11.1 Medikamente
In Deutschland sind für die Substitutionsbehandlung verschiedene Opioide zugelassen. Grundsätzlich sollten bei der Auswahl
Vor- und Nachteile der Medikamente abgewogen werden. Dabei scheint es ein wenig
paradox zu sein, dass richtigerweise große
Aufmerksamkeit der Sicherheit gewidmet
wird, die Fertigarzneimittel jedoch deutlich
weniger verschrieben werden, als die in der
Apotheke kurzfristig zuzubereitende Methadonhydrochloridlösung (Tab. 7).
Heroin (Diacetylmorphin) wird aus dem eingetrockneten Saft des Schlafmohns (Papaver
somniferum) gewonnen. Einer der Inhaltsstoffe ist Morphin. Alle Derivate dieses Opiumalkaloids werden Opiate genannt. Opiate, die
körpereigenen Endorphine (peptische Opioide) und die synthetisch hergestellten nichtpeptischen Opioide werden als Opioide zu-
sammengefasst. Prinzipiell können alle Opiatagonisten ein Opiatentzugssyndrom lindern.
Für die Substitutionsbehandlung stehen in
Deutschland allerdings bisher nur wenige Medikamente zur Verfügung. Diese unterscheiden sich teilweise hinsichtlich Wirkdauer und
Wirkmechanismus. Die Opioide binden sich
an µ-, δ- und κ-Rezeptoren, wobei die Affinität von Morphin und morphinähnlichen Opioiden zu den µ-Rezeptoren am stärksten ist.
Es können zentral dämpfende von zentral erregenden Wirkungen der Opioide unterschieden werden (Tab. 8 und Tab. 9).
Die Toleranz bildet sich nur hinsichtlich der
zentral dämpfenden Wirkungen aus. Daher
wird einerseits auch noch nach Jahren der
Opioidabhängigkeit eine Miosis nach Einnahme des Opioids gesehen, andererseits muss die
Dosis zum Beispiel bei chronischen Schmerzen
erhöht werden.
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1 Heroinabhängigkeit
Tabelle 7: Medikamente zur Substituionsbehandlung
Medikamente 1. Wahl
D, L-Methadonhydrochloridlösung
wird in der Apotheke meist als 1 %ige Lösung zubereitet
D, L- Methadon als Tablette
Methaddict
Levomethadon
L-Polamidon
Buprenorphin als Sublingualtablette
Subutex
Burpenorphin/Naloxon als Sublingualtablette
Suboxone
Medikamente 2. Wahl
Dihydrocodeinlösung
wird in Apotheke meist als 2,5 %ige Lösung zubereitet
Forschungsprojekt
Diacetylmorphin
in 7 bundesdeutschen Städten
Retardiertes Morphin
in Vorbereitung
Weitere mögliche Medikamente
Retardierte Morphine
z. B. in Österreich, Schweiz
Langwirkendes Methadon (LAAM)
Tabelle 8: Zentral dämpfende Wirkungen der Opioide
• Analgetische Wirkung
• Sedative Wirkung
• Hypnotisch-narkotische Wirkung
• Atemdepressive Wirkung
• Antitussive Wirkung
• Antiemetische Wirkung
• Hemmende Wirkung auf die reflektorische Aktivierbarkeit
Tabelle 9: Zentral erregende Wirkungen der Opioide
• Analgesie und Unterdrückung von Fluchtreflexen
• Emetische Wirkung (Früheffekt)
• Miosis (Nucleus acessorius autonomicus)
1.11.1.1 D, L-Methadon und
Levomethadon
(L-Polamidon)
Sowohl D, L-Methadon als auch Levomethadon (L-Polamidon) sind in Deutschland Medikamente erster Wahl für die Substitutionsbehandlung.
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Das Fertigarzneimittel Levomethadon kann in
Deutschland seit 1991 und seit 1994 auch das
Razemat Dextro-Levomethadon (D, L-Methadon) zur Substitutionsbehandlung verschrieben werden. D, L-Methadon war 1942 in
Deutschland entwickelt worden. 1953 wurde
Levomethadon als Schmerzmittel zugelassen.
1 Heroinabhängigkeit
D, L-Methadon ist ein Razemat bestehend aus
zwei Enantiomeren, dem Levomethadon und
dem Dextromethadon. Levomethadon wird
auch R-Methadon genannt, Dextromethadon
auch S-Methadon. Die Opiatwirkung wird fast
ausschließlich durch Levomethadon hervorgerufen. Das Fertigarzneimittel L-Polamidon®
besteht nur aus Levomethadon. Um die gleiche Opiatwirkung zu erzielen werden daher
zum Beispiel 50 mg Levomethadon bzw.
100 mg D, L-Methadon benötigt. Tabelle 13,
S. 40 zeigt im Überblick die Äquivalenzdosierungen. Vor allem die Patienten geben
lediglich die Dosis in Millilitern an: „Ich brauche x „Meta“ (gemeint Milliliter) Pola“. Daher
einigten sich die meisten Qualitätszirkel substituierender Ärzte in Zusammenarbeit mit
den Apothekerinnen und Apothekern, das
Razemat in der Regel als 1 % Methadonhydrochloridlösung zu rezeptieren, so dass die Mengen, also die Milliliterangabe für die D, L-Methadonhydrochloridlösungsverschreibung
und Levomethadonverschreibung identisch
sind. D, L- Methadon kann auch in Tablettenform verabreicht werden. Zugelassen sind
Methaddict 5 mg, 10 mg und 40 mg. Die Tabletten lösen sich innerhalb von 40 bis 45 Sekunden im Mund auf. Sie müssen also nicht
vor Einnahme aufgelöst werden. Methaddict
ist auch für eine Take-Home-Verschreibung
zugelassen. Für einige Patienten bedeutet die
Verschreibung von Tabletten einen Schritt in
die Normalität, da Tabletten eher als „normale Medikamente“ gesehen werden. D, L-Me-
thadon darf in einer Höchstmenge von bis zu
3000 mg, Levomethadon von bis zu 1500 mg
verschrieben werden.
D, L-Methadon und Levomethadon sind µ-Agonisten. Die Bioverfügbarkeit liegt nach oraler
Einnahme durchschnittlich bei 82 % (70–
95 %). Nach oraler Gabe findet resorptionsbedingt eine Verteilung über zwei bis drei
Stunden statt. Innerhalb ungefähr einer Woche wird ein pharmakokinetisches Gleichgewicht zwischen Aufnahme, Verteilung und
Elimination erreicht (Übersicht bei Jage 1989).
Die Halbwertszeit kann jedoch individuell
sehr stark variieren. Sie kann 14 bis 55 Stunden betragen. Daher können bei einer Einmalgabe alle 24 Stunden bei Patienten, die Methadon schnell verstoffwechseln (SchnellMethylierer), Entzugssymptome auftreten
(Nilsson et al. 1983). Andererseits sind Patienten, bei denen die Halbwertszeit 55 Stunden
beträgt, bei einer Neueinstellung besonders
gefährdet, durch Kumulation überdosiert zu
werden (Ward et al. 1999).
Die durchschnittliche tägliche Dosis von D,
L-Methadon beträgt 78,6 mg (Backmund
et al. 2001b) bzw. 80,9 mg (Wittchen et al.
2008).
An unerwünschten Nebenwirkungen geben
die Patientinnen und Patienten überwiegend
Schwitzen, Gewichtszunahme, Obstipation, Impotenz und Depressionen an (Tab. 10).
Tabelle 10: Nebenwirkungen von Levomethadon und D, L-Methadon
Atemdepression
Überdosierung
Überwachung, Monitoring, evtl. Intubation und
Beatmung
Benommenheit
Überdosierung
Überwachung, Monitoring
Überprüfung, ob andere Substanzen konsumiert
werden, z. B. Benzodiazepine oder Alkohol:
Wenn ja: diese absetzen bzw. Teilentzugsbehandlung.
Wenn nein: Dosis reduzieren und Diagnostik:
Blutzucker, Schilddrüsenwerte, CCT,
Kernspintomographie
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Erbrechen
1. Früheffekt
darüber aufklären
2. Entzug
Dosis erhöhen
Überdosierung
Dosis reduzieren
QT-Syndrom
Elektorkardiogramm
zusätzliche Medikamente überprüfen,
ggf. absetzen
Versuch eines Wechsels von D,L-Methadon auf
Levomethadon
Versuch eines Wechsels auf Buprenorphin
Überdosierung
Überprüfung, ob andere Substanzen zusätzlich
konsumiert werden, z. B. Benzodiazepine oder
Alkohol:
Wenn ja: diese absetzen bzw.
Teilentzugsbehandlung.
Wenn nein: Dosis reduzieren
Herzklopfen
Bradykardie
Sedation
Schweißausbrüche
Übelkeit
Versuch auf anderes Substitutionsmittel
umzustellen
1. Früheffekt
darüber aufklären
2. Entzug
Dosis erhöhen
Verwirrtheit und
Desorientiertheit
Überdosierung
Überprüfung ob andere Substanzen zusätzlich
konsumiert werden, z. B. Benzodiazepine oder
Alkohol:
Wenn ja: diese absetzen bzw.
Teilentzugsbehandlung.
Wenn nein: Dosis reduzieren und Diagnostik:
Blutzucker, Schilddrüsenwerte, CCT,
Kernspintomographie
Sehstörungen
Überdosierung
Eingeschränkte Libido und/oder
eingeschränkte Potenz
Versuch auf anderes Substitutionsmittel
umzustellen
Nesselfieber und andere
Hautausschläge
Umstellung auf anderes Substitutionsmittel
Kopfschmerzen
evtl. Ibuprofen, Acetylsalicylsäure
Mattigkeit
evtl. Dosisminderung
Mundtrockenheit
evtl. Umstellung auf anderes Substitutionsmittel
Schlaflosigkeit
evtl. Umstellung auf anderes Substitutionsmittel
Schwächeanfälle
Überdosierung
Dosisreduktion
Euphorie und Dysphorie
Verstopfung
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Flüssigkeitszufuhr, evtl. Dosisreduktion, evtl.
Laxantien
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Ödeme
evtl. Umstellung auf anderes Substitutionsmittel;
Diuretika
Juckreiz
evtl. Umstellung auf anderes Substitutionsmittel;
Antihistaminika
Unruhe
Entzugssyndrom
evtl. Dosissteigerung
Blasenentleerungsstörung
evtl. Umstellung auf anderes Substitutionsmittel
Flush
Umstellung auf anderes Substitutionsmittel
Atemstillstand
Überdosis
Blutdruckabfall
Überdosierung
Herzrhythmusstörungen
QT-Syndrom
Herzstillstand
Überdosierung
kardiopulmonale Reanimation
QT-Syndrom
kardiopulmonale Reanimation
Überdosis
kardiopulmonale Reanimation
Schock
Wechselwirkungen
1.11.1.2 Buprenorphin (Subutex)
und Kombination
Buprenorphin/Naloxon
(Suboxone)
Buprenorphin zählt in Deutschland zu den
Medikamenten der ersten Wahl zur Substitutionsbehandlung.
Die Kombination Buprenorphin/Naloxon ist
seit März 2007 in Deutschland erhältlich.
Buprenorphin wurde zur Substitutionsbehandlung in Deutschland im Jahr 2000 zugelassen. Es wird halbsynthetisch aus Thebain
hergestellt.
Als partieller µ-Agonist mit im Vergleich
zum Morphium höherer Affinität zum µRezeptor und geringerer intrinsischer Aktivität am µ-Rezeptor soll Buprenorphin
nicht mit reinen µ-Agonisten wie Methdon,
Levomethadon oder Diacetylmorphin kombiniert werden.
Bei höheren Dosierungen wird keine Wirkungssteigerung mehr erreicht (so genann-
Beatmung; kontrollierte Beatmung
evtl. Umstellung auf anderes Substitutionsmittel
ter Ceiling-Effekt). Am κ-Rezeptor hingegen
wirkt Buprenorphin antagonistisch (Leander
et al. 1987). An diesem Rezeptor wird die dysphorische Wirkung von Opiaten vermittelt;
dies erklärt die leicht euphorisierende Wirkung des Buprenorphins im Gegensatz zu
D, L-Methadon/Levomethadon. Wegen dieser
pharmakologischen Eigenschaften und der
geringen Gefahr eines Atemstillstandes bei
Überdosierungen (Walsh et al. 1994) und einer geringeren Sedierung ist Buprenorphin
ein wichtiges Medikament in der Behandlung
Drogenabhängiger geworden (Bickel und
Amass 1995). Buprenorphin löst sich sublingual innerhalb von 5 bis 10 Minuten auf. Nach
einer primären kurzen Halbwertszeit von 5 bis
8 Stunden, in der sich Buprenorphin überwiegend in das Fettgewebe umverteilt, folgt eine
lange, über 20-stündige Halbwertszeit durch
Rückumverteilung aus dem Fettgewebe. Durch
die starke und lange Bindung an die µ-Rezeptoren hat Buprenorphin eine lange Eliminationshalbwertzeit (siehe unten). Nach Erreichen des steady state kann daher eine klinische Wirksamkeit von 24 bis 72 Stunden er-
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