Erste Staatsprüfung für das Lehramt an Gymnasien Wissenschaftliche Hausarbeit im Fach Chemie Didaktische Aufbereitungen der Komplexchemie für die Sekundarstufen I und II anhand einfach durchführbarer Versuche unter besonderer Berücksichtigung von Chelatkomplexen und bioanorganischer Systeme vorgelegt von Nicole Krempel Gutachter: Prof. Dr. Bernhard Neumüller April 2004 Hinweis Bei dieser Datei handelt es sich um eine Wissenschaftliche Hausarbeit, die im Bereich Lehramt am Fachbereich Chemie der Uni Marburg verfasst wurde. Weitere Hausarbeiten können auf der Seite www.chids.de unter http://www.chids.de/veranstaltungen/wiss_hausarbeit.html eingesehen und heruntergeladen werden. Zudem stehen auf der Seite www.chids.de weitere Versuche, Lernzirkel und Experimentalvorträge bereit. Dr. Ph. Reiß, im Januar 2007 II 1 EINLEITUNG 1 1.1 1.2 DIDAKTISCH-METHODISCHE ÜBERLEGUNGEN ZUM THEMA EINORDNUNG IN DIE FACHLEHRPLÄNE 1 2 2 GRUNDBEGRIFFE UND HISTORIE DER KOMPLEXCHEMIE 4 2.1 2.2 2.3 2.4 DEFINITION EINER KOMPLEXVERBINDUNG DEFINITIONEN WEITERER FACHBEGRIFFE NOMENKLATUR-REGELN HISTORISCHE ENTWICKLUNGEN 4 6 7 10 3 REAKTIONEN UND EIGENSCHAFTEN VON KOMPLEXVERBINDUNGEN 13 3.1 DAS PHÄNOMEN DER KOMPLEXBILDUNG 13 Experiment 1: Änderung der Löslichkeit durch Komplexbildung 13 3.2 3.3 LIGANDENAUSTAUSCH-GLEICHGEWICHTE 17 Experiment 2: Gleichgewichtsverschiebungen bei Ligandenaustauschreaktionen 18 EIGENSCHAFTSÄNDERUNGEN DURCH KOMPLEXBILDUNG 22 Experiment 3: Ausbleiben charakteristischer Reaktionen durch Komplexbildung 23 4 STRUKTUREN VON KOMPLEXVERBINDUNGEN 27 4.1 LIGANDEN UND IHRE ZÄHNIGKEIT 28 4.2 KOORDINATIONSZAHLEN UND KOORDINATIONSPOLYEDER 4.3 4.3.1 30 Experiment 4: Bestimmung der Koordinationszahl von Ni2+-Komplexen 33 ISOMERIE KOMPLEXER VERBINDUNGEN STRUKTURISOMERIE 40 40 Experiment 5: Hydratisomerie am Beispiel der Verbindung CrCl3.6H2O 42 4.3.2 STEREOISOMERIE 45 5 STABILITÄT VON KOMPLEXVERBINDUNGEN 47 5.1 5.1.1 STABILITÄTSBEZIEHUNGEN ABSCHÄTZUNG DER STABILITÄT AN KOMPLEXEN MIT EINZÄHNIGEN LIGANDEN 48 48 5.1.2 DAS PHÄNOMEN DES CHELATEFFEKTES 52 Experiment 6: Stabilitätsvergleich am Beispiel von Fe3+-Komplexen Experiment 7: Stabilitätsvergleich am Beispiel von Ni2+-Komplexen 49 52 III 5.2 5.2.1 5.2.2 5.2.3 KOMPLEXBILDUNGSKONSTANTEN DEFINITION EINER KOMPLEXBILDUNGSKONSTANTEN URSACHE DES CHELATEFFEKTES BESTIMMUNG VON KOMPLEXBILDUNGSKONSTANTEN Experiment 8: Bestimmung der Komplexbildungskonstanten von Cu2+-Komplexen 54 54 55 57 57 6 ANWENDUNGEN DER KOMPLEXCHEMIE 62 6.1 6.1.1 KOMPLEXE IN DER NATUR (BIOANORGANISCHE SYSTEME) HÄMOGLOBIN 62 63 Experiment 9: Affinität verschiedener Gase zum Hämoglobin 66 CHLOROPHYLL 69 6.1.2 Experiment 10: Chlorophyll als komplexierender Ionenaustauscher 72 UREASE 76 Experiment 11: Enzymblockade durch Metallkomplexierung 79 6.2 6.2.1 KOMPLEXE IN DER ANALYTIK KOMPLEXOMETRIE 84 85 Experiment 12: Komplexometrische Bestimmung der Gesamtwasserhärte 86 6.2.2 QUALITATIVE ANALYSE 89 Experiment 13: Qualitative Nachweisreaktionen ausgewählter Metall-Ionen 90 6.1.3 LITERATURVERZEICHNIS UND QUELLENANGABEN 95 1 1 Einleitung 1.1 Didaktisch-methodische Überlegungen zum Thema „Der Leser[1] (und Lehrer) wird bei der Nennung des Stichwortes “Komplexchemie“ in den meisten Fällen wohl kaum geneigt sein, dieses Gebiet als schulgemäß zu erachten. Die große Stoffülle, die anspruchsvolle Beschreibung der Bindungsverhältnisse durch MO- und Ligandenfeldtheorie, wie er sie von der Ausbildung an der Hochschule kennt, stehen einer schulischen Behandlung entgegen.“2 Soll das Thema also im Schulunterricht behandelt werden, sind sinnvolle Reduktionen und vereinfachte Darstellungen unabdingbar. Mit einer exemplarischen Herangehensweise, einem Konzept, welches möglichst oft Verbindungen zur Erfahrungswelt der Schüler knüpft und durch Integration geeigneter Schülerexperimente kann dieses Thema trotz der Komplexität anschaulich dargestellt werden, so dass die Voraussetzungen für eine schulische Behandlung gegeben sind. Dann ermöglicht es die Komplexchemie „im besonderen Maße ... allgemeine Aspekte, Prinzipien und Theorien beispielhaft darzustellen“3. Dadurch wird es relativ einfach ausführbar, Bezüge zu bereits vermittelten Unterrichtsinhalten zu knüpfen. Themen aus früheren Jahrgangsstufen können unter anderen Gesichtspunkten wiederholt werden und so zu einem vertieften Verständnis der Zusammenhänge beitragen. Die vorliegende Arbeit hat nicht zum Ziel, eine fertige Konzeption für eine schulische Behandlung des Themas zu liefern. Auch hegt sie nicht den Anspruch einer vollständigen Abhandlung der Komplexchemie. Dazu ist das Thema, wie oben schon betont, viel zu umfassend und in der Gesamtheit auch zu schwierig für eine schulische Behandlung. Die Examensarbeit soll vielmehr als Vorschlag betrachtet werden, wie die Einbindung von einfach durchführbaren Schülerexperimenten in die Theorie der Komplexverbindungen realisiert werden kann. Das erste Experiment wird dabei mit einem anderen Konzept vorgestellt als die 1 Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird in der gesamten Arbeit auf die Nennung beider Geschlechter verzichtet. 2 Demuth, R., Komplexverbindungen, 1985, S. 22. 3 Demuth, R./Kober, F., experimentell, 1980, S. III. 2 folgenden und soll als Beispiel eines möglichen Unterrichtseinstieges gesehen werden. Deshalb werden erreichbare Gedankengänge der Schüler und aufzustellende Hypothesen mit verzeichnet. Auf diesem Experiment aufbauend können dann die weiteren Versuche angeschlossen werden. Die dafür benötigten theoretischen Grundlagen werden dabei jeweils vor dem Experiment vermittelt. Schwerpunkte dieser Arbeit liegen in Ausführungen zu Chelatkomplexen und deren Einbindung in die Experimente. Damit verbunden ergibt sich ein breiter Anwendungsbereich der Komplexchemie, vor allem in bioanorganischen Systemen. Um die vorgestellten Beispiele aus der Natur zu verstehen, ist umfangreiches Wissen zum Aufbau der Komplexe als auch zu typischen Reaktionen und Stabilitätsverhältnissen Voraussetzung. Diese Hintergrundinformationen liefern in einem schrittweisen Aufbau die ersten Kapitel, in welche ebenfalls vielfältige Experimentiermöglichkeiten mit eingeflochten sind. Auf eine Einführung der Ligandenfeldtheorie, mit der die Farbigkeit, die Stabilität und die Bindungsverhältnisse von Komplexen gut erklärt werden kann, wird in der Arbeit verzichtet, da sie einen Schwerpunkt der Examensarbeit von Fabian Gelies bildet. 1.2 Einordnung in die Fachlehrpläne Ein Blick in die Lehrpläne der einzelnen Bundesländer lässt erkennen, dass die Komplexchemie in sehr unterschiedlichem Umfang in den Lehrplänen verankert ist. Beispielhaft sollen in Bezug auf die Komplexchemie die Rahmenpläne der Bundesländer Hessen, Bayern und Thüringen vorgestellt werden. In Hessen stellt die Behandlung der Komplexverbindungen ein Wahlthema dar, welches in Konkurrenz zu einer Behandlung der Elektrochemie steht. Entscheidet sich der Lehrer gegen eine Unterrichtsdurchführung des Themas “Elektrochemie“, stehen der Behandlung der Komplexchemie als Richtlinie 43 Unterrichtsstunden im Leistungskurs der Jahrgangsstufe 13 zur Verfügung. Im Grundkurs wird dieses Thema in Hessen nicht behandelt. Unterrichtsinhalte im Leistungsfach stellen 3 Eigenschaften, Reaktionen und Stabilität sowie die Bedeutung und Verwendung der Komplexverbindungen dar. In diesen Unterthemen sind Aufbau und Struktur als auch Modellvorstellungen zur chemischen Bindung in Komplexen (Edelgasregel, Valenzbindungstheorie) integriert. Als Arbeitsmethode soll bei der Behandlung eigenständiges Experimentieren im Vordergrund stehen.4 In bayrischen Lehrplänen stellt die Komplexchemie kein eigenständiges Thema dar. Es erfolgt eine Eingliederung in den Bereich “Chemie der Übergangsmetalle“, der mit 15 Unterrichtsstunden angesetzt ist. Zusammen mit der Behandlung des Atombaus der Nebengruppenelemente, Metallbindungs-Modell und ausgewählten Reaktionen bleibt der Koordinationschemie nur sehr wenig Zeit in der Jahrgangsstufe 11. Nur oberflächlich kann auf den Bau von Komplexen und auf Ligandenaustauschreaktionen eingegangen werden. Eine Behandlung der Komplexverbindungen in Natur, Alltag und Technik sieht der bayrische Lehrplan nur in naturwissenschaftlichen Gymnasien vor.5 Anders dagegen in Thüringer Gymnasien. Dort ist als eines von vier Themen in Jahrgangsstufe 11 “Koordinationschemische Verbindungen“ im Leistungskurs und im Grundkurs6 als verbindliches Thema festgesetzt. Unterpunkte wie Aufbau, Eigenschaften, Bindungen, Benennung, Stabilität, Struktur und Bedeutung stellen zentrale Inhalte im Unterricht dar. Im Leistungskurs findet zusätzlich die Behandlung der Ligandenfeldtheorie und einiger Nachweismethoden von MetallIonen statt.7 Der Vergleich der Lehrpläne zeigt, dass die Behandlung der Komplexchemie in der Schule in sehr unterschiedlichem Umfang und ausschließlich in der Sekundarstufe II vorgesehen ist. Oft ist eine ausführliche Behandlung des Themas nur im Leistungskurs gegeben. Ein wesentlicher Grund dafür liegt in den Vernetzungen Verbindungen, 4 zu anderen chemisches Themenbereichen. Gleichgewicht, Elektronischer Nernstsche Aufbau Gleichung von und Vgl. Hessisches Kultusministerium (Hrsg.), Chemie, 2002, S. 51f. Vgl. Bayrisches Kultusministerium (Hrsg.), Chemie, 1990/92, S. 12f. 6 Aufgrund des zwölfjährigen Schulsystems in Thüringen findet der Unterricht bereits in Klasse 11 im Kurssystem statt. 7 Vgl. Thüringer Kultusministerium (Hrsg.), Chemie, 1999, S. 67-69, S. 83-86. 5 4 Bindungsverhältnisse stellen nur wenige Inhalte dar, die fundiert sein sollten, bevor eine Behandlung der Koordinationsverbindungen erfolgt. Die in dieser Examensarbeit ausgearbeiteten Experimente lassen sich größtenteils vom Umfang und Schwierigkeitsgrad ebenfalls in den Bereich der Sekundarstufe II eingliedern. Einige Versuche können aber auch schon in der Sekundarstufe I eingesetzt werden. Schwerpunktthemen für die Entwicklung der Versuche bildeten hauptsächlich die in den Chemielehrplänen der Bundesländer angegebenen und sich überschneidenden Inhalte. 2 Grundbegriffe und Historie der Komplexchemie 2.1 Definition einer Komplexverbindung Eine Definition einer Komplexverbindung aus einem Standardwerk der anorganischen Chemie zu übernehmen ist nicht ohne weiteres möglich. Im Gegensatz zur Mathematik, in der eine Definition einmal und damit für alle Zeiten festgelegt ist, werden Begriffe aus der Chemie oft parallel zum Forschungsstand erweitert und angepasst. So war auch der Begriff der Komplexverbindung von Anfang an unscharf definiert und wurde im Laufe der Entwicklungen modifiziert, erweitert und den neu entdeckten Komplextypen angepasst, von denen man zur Zeit der Begründung der modernen Komplexchemie vor 111 Jahren noch keine Vorstellung hatte.8 Aus diesem Grund existieren sehr unterschiedliche Definitionen in der Literatur, von denen die meisten ohne fachliche Vorkenntnisse nur schwer zu verstehen sind. Zu unterscheiden ist also zwischen einer fachwissenschaftlich exakten und vollständigen Variante und einer Definition, welche mit dem bisherigen Kenntnisstand der Schüler verständlich ist. Im Folgenden soll beiden Punkten Rechnung getragen werden. 8 Vgl. Kober, F., Komplex, 1985, S. 2. 5 In der fachwissenschaftlichen Literatur versuchen einige Autoren eine möglichst umfassende Definition zu geben, welche durch den Anspruch der Vollständigkeit schnell sehr lang und unhandlich werden kann (unter Berücksichtigung aller Vorverweise z. B. Holleman/Wiberg9). Eine andere Möglichkeit der Definition besteht im Aufzählen von Eigenschaften von Komplexen (z. B. Riedel10) oder der Orientierung an der geschichtlichen Entwicklung (z. B. Christen/Meyer11). Einen vom Umfang und der Vollständigkeit her guten Mittelweg hat Friedrich Kober gefunden, dessen Definition sich an der Bindungstheorie orientiert. Dies soll als das Beispiel einer wissenschaftlichen Definition angesehen werden. „Das Prinzip der Bindung in Komplexen ist die Wechselwirkung eines elektronisch ungesättigten Zentralteilchens mit Partnern (≡ Liganden), die mindestens ein freies Elektronenpaar besitzen. Bindet dabei das Zentralteilchen mehr Bindungspartner, als dies nach dessen Ladung oder Stellung im PSE zu erwarten ist, so liegt ein Komplex vor.“12 Es sei darauf hingewiesen, dass obige Definition nicht nur metallhaltige Verbindungen den Komplexen zuordnet, sondern auch Addukte wie [BF4]-. Wird eine geeignete Definition für Schüler gesucht, ist eine Einschränkung auf Metallverbindungen sicherlich vorteilhaft. Als Gründe wären z. B. das bessere Verständnis zu nennen, als auch die Tatsache, dass für die hier vorgestellten Experimente nur Metallverbindungen Einsatz finden. In der Schulbuchliteratur (z. B. Asselborn/Jäckel/Risch13 oder Tausch/v.Wachtendonk14) werden meist die typischen Eigenschaften von Komplexen wie Farbwechsel und Änderung der elektrischen Leitfähigkeit an Beispielen aufgezählt. Danach folgt die Definition der Komplexe als „Teilchenaggregate ... bestehen[d] aus einem Zentralion, das von Liganden umgeben ist“15. Diese Methode der Definition hat zweifellos den Vorteil der Anschaulichkeit, allerdings wird der wesentliche Unterschied, dass es sich bei Komplexen um Verbindungen handelt, die über ihre elektrostatische Absättigung hinaus Moleküle oder Ionen binden, hier nicht deutlich. Auch erfolgt eine 9 Dazu Holleman, A. F./Wiberg, E., Chemie, 1995, S. 1205. Dazu Riedel, E., Chemie, 1994, S. 658f. 11 Dazu Christen, H. R./Meyer, G., Chemie, 1994, S. 183-185. 12 Kober, F., Komplex, 1985, S. 7. 13 Dazu Asselborn, W./Jäckel, M./Risch, K. T. (Hrsg.), Chemie, 1998, S. 193. 14 Dazu Tausch, M./Wachtendonk, M. v., Chemie, 2000, S. 316f. 15 Asselborn, W./Jäckel, M./Risch, K. T. (Hrsg.), Chemie, 1998, S. 193. 10 6 Einschränkung auf Zentralionen. Eine Definition aus dem Schulbuch von Barthel, welche die genannten Aspekte berücksichtigt und trotzdem für Schüler verständlich bleibt, sei hier vorgestellt. „Viele nach außen neutrale Metallverbindungen sind in der Lage, Moleküle oder Ionen anzulagern und Verbindungen höherer Aggregation zu bilden. Solche Reaktionen heißen Komplexreaktionen, die entstandenen Verbindungen nennt man Komplexverbindungen ... [Sie] bestehen aus dem Zentralatom(-ion) und den Liganden.“ 16 In den vorgestellten Definitionen wurden die Begriffe Zentralteilchen und Liganden verwendet. Diese Fachbegriffe sollen jetzt erläutert werden. 2.2 Definitionen weiterer Fachbegriffe Zentralteilchen können Atome oder Ionen sein. Am häufigsten treten dabei Übergangsmetallkationen von hoher Ladung und kleinen Ionenradien auf. Als Beisiele wären Cr3+, Fe3+, Ni2+ oder Cu2+ zu nennen. Aber auch Elemente der Hauptgruppen wie Ca2+ oder Al3+ sind zur Komplexbildung fähig. Die im Komplex an das Zentralteilchen gebundenen Bindungspartner werden in der Komplexchemie als Liganden (ligare (lat.) über mindestens ein freies ≙ binden) bezeichnet. Sie müssen Elektronenpaar verschiedensten Stoffklassen angehören. verfügen und können den Zu unterscheiden sind neutrale Liganden, wie z. B. H2O, NH3 oder CO und anionische Liganden, wie z. B. Cl-, Br-, I-, CN-, OH-, SO42- oder C2O42-. Selten treten auch kationische Liganden auf. Ein Beispiel hierfür wäre NO+. Im Normalfall besitzen die Liganden eine eigenständige Existenz. Als Donoratome der Liganden werden die Atome bezeichnet, die an der direkten Bindung zum Zentralteilchen beteiligt sind. Die Anzahl der Donoratome aller koordinierten Liganden wird als Koordinationszahl bezeichnet. Sind dabei alle 16 Barthel, H. [u. a], Chemie, 1995, S. 61f. 7 Liganden gleichartig, wird von homoleptischen Komplexen gesprochen, andernfalls von heteroleptischen Komplexen. Die Liganden sind in ganz bestimmter geometrischer Weise um das Zentralteilchen angeordnet. „Der Raumkörper, der entsteht, wenn man sich die Mittelpunkte der direkt an das Zentralatom gebundenen Atome durch Linien miteinander verbunden denkt“17, wird Koordinationspolyeder genannt. „Die beiden Bezeichnungen Koordinationszahl und Koordinationspolyeder gehen auf die Bezeichnung Koordination bzw. Koordinationsverbindung zurück, die alternativ für Komplexverbindung bzw. Komplex gebraucht werden.“18 Ursprünglich war der Komplexbegriff allgemeiner gehalten, aber schon Alfred Werner (siehe Kapitel 2.4) verwendete die Begriffe Komplex und Koordinationsverbindung (bei ihm Koordinationseinheit) meist als Synonyme. In der modernen Koordinationschemie werden die Begriffe auch heute weit gehend synonym gebraucht. 2.3 Nomenklatur-Regeln Während früher Komplexverbindungen häufig Trivialnamen hatten, wie z. B. “gelbes Blutlaugensalz“ für die Verbindung K4[Fe(CN)6], wurde es mit fortschreitender Entwicklung der Komplexchemie notwendig, ein einheitliches Nomenklatursystem einzuführen, das vom Namen auf den Aufbau der Komplexe schließen lässt.19 Zu unterscheiden ist zwischen der formelmäßigen Wiedergabe durch die chemischen Symbole und der Benennung eines Komplexes. Regeln für die Aufstellung von Komplexformeln20 • Jede Komplexverbindung ist oder enthält eine Koordinationseinheit, die aus dem Zentralatom(-ion) und den daran gebundenen Liganden besteht. Die Koordinationseinheit, die geladen oder ungeladen sein kann, wird in eckige Klammern eingeschlossen. 17 Mortimer, C. E./Müller, U., Chemie, 2003, S. 507. Demuth, R./Kober, F., Komplexchemie, 1992, S. 7. 19 Vgl. Tausch, M./Wachtendonk, M. v., Chemie, 2000, S. 318. 20 Vgl. Gade, L. H., Koordinationschemie, 1998, S. 30, 32f. 18 8 • Zuerst wird das Elementsymbol des Zentralteilchens angegeben. Es folgen kationische, anionische und darauf neutrale Liganden in alphabetischer Reihenfolge (nach dem ersten Symbol des Liganden) innerhalb der Ligandenklassen. Werden Abkürzungen für komplexere Liganden verwendet (z. B. py für C5H5N), so werden sie dort eingefügt, wo sie als Formeln stehen würden. • Mehratomige Liganden sowie Abkürzungen werden in runde Klammern gesetzt. Die Anzahl der Liganden wird als Indices angegeben. • Liegt eine geladene Koordinationseinheit vor, wird die Ladung, die der Summe der Ladungen der Einzelionen entspricht, als Exponent hinter die Koordinationseinheit gesetzt. Regeln für die Benennung von Komplexen21 • In der Regel wird an die Namen anionischer Liganden die Endung -o angehängt. Endet ein Name auf -id, so entfällt diese Endung und an den verbleibenden Wortstamm wird ebenfalls ein -o angehängt. Formel FClO2O22OHSO42- Ligandenname Fluoro Chloro Oxo Peroxo Hydroxo Sulfato Formel S2O32SCNNO3NO2CNCO32- Ligandenname Thiosulfato Thiocyanato Nitrato Nitrito Cyano Carbonato Tabelle 1: Auswahl einfacher anionischer Liganden • Die Namen neutraler und kationischer Liganden werden unverändert verwendet und in runde Klammern eingeschlossen. Ausnahmen bilden die Liganden H2O (aqua), NH3 (ammin), CO (carbonyl), NO (nitrosyl). • Zuerst werden die Liganden in alphabetischer Reihenfolge unabhängig von der Ladung genannt. Die Präfixe (di-, tri-, tetra-, penta-, hexa-, hepta- usw. oder bei komplexeren Liganden bis-, tris-, tetrakis- usw.), welche dem Ligandennamen 21 Vgl. Gade, L. H., Koordinationschemie, 1998, S. 33f. 9 vorangestellt werden, sind bei der Bestimmung der Ligandenreihenfolge nicht zu berücksichtigen. • Den Ligandennamen folgt der Name des Zentralteilchens. Bei anionischen Koordinationseinheiten wird dem lateinischen Wortstamm des Zentralteilchens das Suffix -at angehängt, bei kationischen und neutralen Koordinationseinheiten wird der deutsche Name unverändert angegeben. Die Oxidationszahl des Zentralteilchens wird als römische Ziffer in runde Klammern unmittelbar an den Namen des Zentralteilchens angefügt. Zentralteilchen Ag Al Co Cr Cu Name Zentralteilchen Fe Ni Pt Sn Zn Argentat Aluminat Cobaltat Chromat Cuprat Name Ferrat Niccolat Platinat Stannat Zincat Tabelle 2: Auswahl von Zentralteilchen-Namen in anionischen Koordinationseinheiten • In Komplexverbindungen wird das Kation zuerst genannt und durch einen Bindestrich vom Anion abgetrennt. Beispiele: K3[Fe(CN)6] Kalium-hexacyanoferrat(III) [Co(H2O)2(NH3)4]Cl3 Tetraammindiaquacobalt(III)-chlorid [Al(OH)4]- Tetrahydroxoaluminat(III)-Ion [CuCl(H2O)5]+ Pentaaquachlorokupfer(II)-Ion [Ni(CO)4] Tetracarbonylnickel(0) [PtCl2(py)(NH3)] Ammindichloro(pyridin)platin(II) [CoCl2(en)2]+ Dichlorobis(ethylendiamin)cobalt(III)-Ion 10 2.4 Historische Entwicklungen Einzelne Substanzen, deren charakteristischer Inhaltsstoff eine Koordinationsverbindung war, stellte man schon im Altertum her, wie z. B. den Farblack Alizarin oder Hämderivate aus Tierblut. Erste Dokumentationen gibt es seit Herodot (450 v. Chr.). Den ersten wissenschaftlich dokumentierten Beleg einer Komplexverbindung lieferte der Hallenser Arzt und Alchimist Andreas Libavius aber erst 1597. Er beschrieb den Tetraamminkupfer(II)-Komplex, der jedoch erst viel später als Komplexverbindung charakterisiert wurde. Die erste Isolierung gelang Diesbach und Dippel 1704 im Falle von “Berliner Blau“, Fe4[Fe(CN)6]3.22 Eine chemische Formulierung der Hydrate und Amminkomplexe der Übergangsmetalle gehörte zu dieser Zeit aber noch zu den ungelösten Problemen der anorganischen Chemie.23 Es dauerte bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts, dass Komplexverbindungen Gegenstand chemischer Forschung wurden und in rascher Abfolge eine ganze Reihe von Komplexverbindungen mit einer gezielten präparativen Methodik hergestellt werden konnten. Die synthetisierten Komplexe benannte man meist nach ihren Entdeckern wie z. B. Gmelin 1822 oder Reinecke 1863. „Mit Sophus Mads Jørgensen betrat 1878 der wohl produktivste präparative Komplexchemiker des 19. Jahrhunderts die Bühne der Wissenschaft. In den folgenden drei Jahrzehnten synthetisierte er systematisch eine Vielzahl von Komplexverbindungen“24 und beschäftigte sich mit der chemischen Formulierung der Hydrate und Amminkomplexe der Übergangsmetalle. „Jørgensen selbst ... war Anhänger eines Strukturkonzeptes, das der Schwede Christian W. Blomstrand ... entwickelt hatte. Dieses Konzept wurde ab 1870 unter dem Begriff Kettentheorie“25 bekannt und basierte auf den erfolgreich angewendeten Grundprinzipien der organischen Chemie. Die Widersprüche der Kettentheorie und nicht zuletzt die herausragenden präparativen Arbeiten von Jørgensen schufen die Grundlage für die Koordinationschemie Alfred Werners, der durch seinen epochalen Beitrag zum 22 Vgl. Gade, L. H., Koordinationschemie, 1998, S. 3f. Vgl. Gade, L. H., Frechheit, 2002, S. 168. 24 Gade, L. H., Koordinationschemie, 1998, S. 5f. 25 Gade, L. H., Koordinationschemie, 1998, S. 10f. 23 11 Aufbau der Komplexe heute gern als “Vater der Komplexchemie“ bezeichnet wird. Ende des Jahres 1892 reichte der damals erst 26-jährige Schweizer Chemiker seine Arbeit “Beiträge zur Konstitution anorganischer Verbindungen“ bei der kurz zuvor gegründeten Zeitschrift für Anorganische Chemie ein und führte damit die anorganische Chemie aus dem Schatten der alles dominierenden organischen Chemie. Abb. 1: Alfred Werner, 1866 - 191926 Bei der Formulierung seiner Koordinationstheorie gab Werner die Beschränkung Valenz (Wertigkeit) = Bindigkeit (Koordinationszahl) auf, die in Orientierung an die Chemie des Kohlenstoffs zu den oben genannten Kettentheorien geführt hatte. Er postulierte, dass jedes Zentralatom in einem Komplex neben seiner Valenzzahl (später von ihm umbenannt in “Hauptvalenz“ = Oxidationszahl) eine charakteristische Koordinationszahl (später “Nebenvalenz“) besitzt. Dabei waren neutrale Liganden direkt an das Metallatom gebunden, während anionische Liganden entweder “in der ersten Sphäre“ direkt an das Metall gebunden waren oder “in der zweiten Sphäre“ als Gegenion fungieren konnten. In seiner Neuformulierung des Aufbaus der Metallkomplexe beschäftigte sich Werner auch mit der Frage der Geometrie solcher Verbindungen und bot für die zur damaligen Zeit am häufigsten beobachtete Koordinationszahl sechs das Oktaeder als Ligandenpolyeder an. Für die vierfach koordinierten Pt(II)-Komplexe postulierte er angesichts der beobachteten Konfigurationsisomere eine quadratisch-planare Geometrie.27 „Ein weiterer bemerkenswerter Aspekt der Arbeit von 1893 war das Fehlen einer adäquaten empirischen Grundlage für die weitreichenden Thesen (er selber hatte nicht ein einziges Experiment auf diesem Gebiet bis zu dem Zeitpunkt 26 27 Abbildung aus Tausch, M./Wachtendonk, M. v., Chemie, 2000, S. 317. Vgl. Gade, L. H., Koordinationschemie, 1998, S. 13f. 12 durchgeführt!). Dieser Umstand veranlasste später einmal einen deutschen Kollegen, die Wernersche Koordinationstheorie als eine “geniale Frechheit“ zu bezeichnen. Es wurde das wissenschaftliche Lebenswerk Alfred Werners, diese geniale Frechheit auf eine sichere experimentelle Grundlage zu stellen.“28 In den Jahren nach 1893 erfolgten die Präparation unzähliger Komplexverbindungen und der schrittweise Beweis seiner Postulationen. Abb. 2: Originalpräparate aus Alfred Werners Laboratorium29 Ein früher Erfolg (1894) der neuen Koordinationslehre war zum Beispiel die vollständige Erklärung der Ergebnisse von Leitfähigkeitsmessungen an einer Reihe von Ammincobaltkomplexen, die von Arturo Miolati und Alfred Werner durchgeführt wurden. 1911 gelang die Enantiomerentrennung eines Komplexracemats durch Werners amerikanischen Doktoranden Victor L. King und erbrachte somit den endgültigen Beweis der stereochemischen Vorstellungen Werners.30 1913 erhielt Alfred Werner für seine wissenschaftlichen Meisterleistungen als erster anorganischer Chemiker den Nobelpreis für Chemie. Auch nach Werners Tod 1919 stand die Entwicklung der Komplexchemie ganz im Zeichen der experimentellen Absicherung und Erweiterung seiner Konstitutionslehre, so dass seine weit reichenden wissenschaftlichen Hypothesen in der Folgezeit weiter untermauert werden konnten. Noch heute bilden sie die theoretische Basis der Komplexchemie.31 28 Gade, L. H., Koordinationschemie, 1998, S. 13. Abbildungen aus Gade, L. H., Frechheit, 2002, S. 170. 30 Vgl. Gade, L. H., Koordinationschemie, 1998, S. 14, 16f. 31 Vgl. Gade, L. H., Frechheit, 2002, S. 174. 29 13 3 Reaktionen und Eigenschaften von Komplexverbindungen 3.1 Das Phänomen der Komplexbildung Ein schöner Unterrichtseinstieg in das Thema der Komplexchemie ist mit einem einführenden Experiment zum Phänomen der Komplexbildung möglich. Die in der Arbeit vorgezogene Definition der Fachbegriffe, die Nomenklatur-Regeln als auch ein historischer Überblick über die Entwicklung der Komplexchemie sollte im Unterricht erst im Anschluss an das Experiment erfolgen. Andernfalls könnte den Schülern die durch das Experiment entstehende Neugier und das dadurch geweckte Interesse am neuen Thema weggenommen werden. Bewusst soll das erste Experiment „vertraute ... Kenntnisse in Frage stellen, verfremden, sogar (scheinbar) abwerten und ablehnen“32. Eine anschließende Diskussion über die Deutung des Versuches wird sich automatisch ergeben und verlangt nach einer vertieften Behandlung. Experiment 1 Änderung der Löslichkeit durch Komplexbildung Versuchsbeschreibung Materialien: Reagenzglas, Reagenzglasständer, Gummistopfen, Pasteurpipette mit Pipettierhilfe Chemikalien: Aluminiumchlorid-Hexahydrat (Xi; R: 36/38)33 Salzsäure (w = 37 %) (C; R: 34-37, S: 26-36/37/39-45) Natriumhydroxid (C; R: 34-35, S: 26-36/37/39-45) 32 33 Greving, J./Paradies, L., Unterrichtseinstiege, 1996, S. 18. Alle in dieser Arbeit angegebenen R- und S-Sätze sind entnommen aus: Merck KGaA (Hrsg.), ChemDat, 2003. 14 Anzusetzende Lösungen: Aluminiumchloridlösung (c = 0,1 mol/L) Salzsäure (c = 1 mol/L) Natronlauge (c = 1 mol/L) Durchführung: Die angesetzte Aluminiumchloridlösung wird mit 5 Tropfen der verdünnten Salzsäure versetzt. Etwa 5 mL der erhaltenen Lösung werden in ein Reagenzglas gegeben und tropfenweise Natronlauge bis zu einer Niederschlagsbildung zugefügt. Die Lösung wird mit Hilfe des Gummistopfens durchmischt und weiter Natronlauge zugetropft bis es zur Auflösung des Niederschlages kommt. Didaktische Überlegungen zur Versuchsbeobachtung Die Beobachtung, dass sich der Aluminiumhydroxid-Niederschlag bei der Zugabe von weiterer Natronlauge wieder auflöst, ist mit den bisherigen Stoffkenntnissen der Schüler nicht erklärbar. Die Fällung von Aluminiumhydroxid wird durch das Löslichkeitsprodukt bestimmt, welches sich nach der Gleichung KL(Al(OH)3) = c(Al3+) . c3(OH-) aus den jeweiligen Konzentrationen der Ionen berechnen lässt. Wird es überschritten (KL(Al(OH)3) = 5.10-33 mol4/L4)34, fällt das Hydroxid so lange aus, bis das Produkt der Al3+- und der OH--Konzentration dem Wert des Löslichkeitsproduktes entspricht. Mit dem Kenntnisstand der Schüler müsste eine weitere Zugabe von Natronlauge (OH--Ionen) also zu einer noch verstärkten Bildung von Aluminiumhydroxid führen. Bei erhöhter Konzentration an OH--Ionen muss die Al3+-Konzentration abnehmen, damit das Löslichkeitsprodukt erhalten bleibt. Entgegen dem erlerntem Wissen ist das in dem Experiment nicht der Fall.35 Versuchsauswertung Auf dem Weg zur Problemlösung sollen die Schüler vermuten, dass die zusätzlichen OH--Ionen mit dem ausgefallenen Aluminiumhydroxid eine Reaktion eingehen, die zu einer neuen Verbindung führt. Diese neue Verbindung ist wasserlöslich 34 35 und muss mehr als drei OH--Ionen Wert aus Mortimer, C. E./Müller, U., Chemie, 2003, S. 678. Vgl. Demuth, R./Kober, F., experimentell, 1980, S. 1. enthalten. In einer 15 Komplexbildungsreaktion ist ein Komplex entstanden.36 Erste vereinfachte Reaktionsgleichungen könnten in der Schule die folgenden sein. Al3+(aq) + 3 OH-(aq) → Al(OH)3(s) weißer Niederschlag Al(OH)3(s) + n OH-(aq) → [Al(OH)3+n]n -(aq) Bleibt noch die Frage offen, wie viele OH--Ionen gebunden werden. Das Problem kann gelöst werden mit einem Blick auf die Elektronenstruktur des AluminiumAtoms verbunden mit ersten Erklärungen zu den Bindungsverhältnissen in Komplexen. Komplexbildungsreaktionen können als elektronische Wechselwirkungen der miteinander reagierenden Partner interpretiert werden. Im Unterschied zu kovalenten Bindungen stellen bei Metallkomplexen die neu in das Molekül eintretenden Partner (Liganden) beide Elektronen für die neuen Bindungen zur Verfügung. Das Metallion wirkt demgemäß als Elektronenakzeptor, die Liganden als Elektronenpaardonatoren. Nun zurück zu obiger Problemstellung: Die Schüler vergleichen die Elektronenstruktur des Aluminium-Atoms und des Aluminium-Ions. Aluminium ist ein Metall. Die Schüler wissen, dass es in chemischen Verbindungen als Kation auftritt und zwar als dreifach positiv geladenes Teilchen, da durch die Abgabe von drei Elektronen das Aluminium-Atom die Edelgaskonfiguration des Neons erreicht. Die Elektronenstruktur wird in Abbildung 3 gezeigt. Das Al3+-Ion sollte also mit drei einwertigen OH--Ionen eine Verbindung eingehen37, was experimentell durch die Bildung des Aluminiumhydroxid-Niederschlages auch bestätigt wird. 36 37 Vgl. Demuth, R./Kober, F., Komplexchemie, 1992, S. 1. Vgl. Kober, F., Definition, 1985, S. 8. 16 3p 3p 3s 3s 2p 2p 2s 2s 1s He Ne Ar 1s He Ne Ar Abb. 3: Elektronenstruktur des Al-Atoms (links) und des Al3+-Ions (rechts)38 Oben beschriebener Sachverhalt ist den Schülern bekannt. Es stellt sich also jetzt die Frage, ob das Aluminium-Ion auch mit einem Blick nach “oben“, d. h. in Richtung des 3p-Orbitals eine Edelgaskonfiguration erreichen kann. Die Schüler stellen fest, dass die Edelgasschale des Argons durch acht zusätzliche Elektronen erreichbar ist. Da jeder Ligand zwei Elektronen zur Verfügung stellt, könnte [Al(OH)4]- die gesuchte Verbindung sein, was der Realität entspricht. Auch hier ist die Elektronenstruktur graphisch in Abbildung 4 verdeutlicht. 3p 3p 3s 3s 2p 2p 2s 2s 1s He Ne Ar 1s He Ne Ar Abb. 4: Elektronenstruktur des Al3+-Ions (links) und des [Al(OH)4]--Komplexes (rechts)39 Für die Bildung des Komplexes kann nun die folgende Reaktionsgleichung formuliert werden. Al(OH)3(s) + OH-(aq) → [Al(OH)4] -(aq) In Wirklichkeit liegen die Aluminium-Ionen in Lösung als Komplex-Ionen vor. Dies wird in Kapitel 3.2 erläutert. 38 39 Abbildung nach Kober, F., Komplex, 1985, S. 8. Abbildung nach Kober, F., Komplex, 1985, S. 8. 17 Hinweise zum Unterrichtseinsatz Die Herleitung der Zusammensetzung des Aluminium-Komplexes birgt ein Problem. Die Schüler könnten vermuten, dass bei der Komplexbildung eine Edelgasschale erreicht werden muss. Viele Beispiele von Komplexen würden diese Hypothese bestätigen, aber bei weitem nicht alle. Aluminium-Ionen bilden unter Beteiligung der d-Orbitale Komplexe mit der Koordinationszahl 6, die ein hervorragendes Beispiel gegen das Prinzip liefern. Nach der Herleitung ist also unbedingt darauf hinzuweisen, dass Komplexverbindungen keine Edelgaskonfiguration besitzen müssen. 3.2 Ligandenaustausch-Gleichgewichte Wird ein Metallsalz in Wasser gelöst, lagern sich an das Metallkation Wassermoleküle an, es bildet sich ein so genannter Aquakomplex. In wässriger Lösung liegen also Komplex-Ionen wie [Al(H2O)6]3+, [Fe(H2O)6]3+ oder [Cu(H2O)6]2+ vor, in denen das Zentralion meist von sechs Liganden umgeben ist. Die in den Komplexen gebundenen Wassermoleküle lassen sich teilweise oder vollständig durch geeignete andere Liganden verdrängen.40 Im Allgemeinen wird bei einer Substitution eines Liganden gegen einen anderen von Ligandenaustauschreaktionen gesprochen. Die Bildung eines Komplexes in wässriger Lösung ist demnach ein spezieller Typ. Ligandenaustauschreaktionen stellen Gleichgewichtsreaktionen dar und in vielen Fällen werden diese von charakteristischen Farbänderungen begleitet, so dass eine Verschiebung des Gleichgewichtes der jeweils in der Lösung vorhandenen Komplexe optisch leicht sichtbar gemacht werden kann. Experiment 2 zeigt Beispiele von Ligandenaustausch-Gleichgewichten. 40 Vgl. Barthel, H. [u. a.], Chemie, 1995, S. 70. 18 Experiment 2 Gleichgewichtsverschiebungen bei Ligandenaustauschreaktionen Versuchsbeschreibung Materialien: 5 Reagenzgläser, Reagenzglasständer, Pasteurpipetten mit Pipettierhilfen, Spritzflasche mit entionisiertem Wasser, Bunsenbrenner, Reagenzglasklammer, Becherglas (250 mL) Chemikalien: Kupfer(II)-nitrat-Trihydrat (Xn, N; R: 22-36/38-50/53, S: 61) Salzsäure (w = 37 %) (C; R: 34-37, S: 26-36/37/39-45) Salpetersäure (w = 65 %) (C; R: 35, S: 23.2-26-36/37/39-45) Ammoniaklösung (w = 25 %) (C, N; R: 34-50, S: 26-36/37/39-45-61) Anzusetzende Lösungen: Kupfer(II)-nitratlösung (c = 0,1 mol/L) Salpetersäure (halbkonzentriert) Ammoniaklösung (c = 2 mol/L) Durchführung:41 1. Gleichgewichtsverschiebung durch Konzentrationsänderung Zwei Reagenzgläser werden mit jeweils 3 mL der Kupfer(II)-nitratlösung versetzt und eines davon, auch für die folgenden Versuche als Blindprobe dienend, beiseite gestellt. In das zweite wird solange konzentrierte Salzsäure hinzugetropft, bis eine deutliche Farbänderung von blau nach hellgrün erkennbar ist. Die gleiche Lösung wird mit Wasser verdünnt bis die blaue Ursprungsfarbe erneut auftritt. 2. Gleichgewichtsverschiebung durch Temperaturänderung Ca. 3 mL der in 1 erhaltenen verdünnten blauen Lösung werden in ein Reagenzglas gefüllt und vorsichtig in der Bunsenbrennerflamme bis zu einer 41 Vgl. Jäckel, M., Gleichgewicht, 1985, S. 13f. 19 Farbänderung erhitzt. Danach wird das Reagenzglas etwa eine Minute in einem Wasserbad abgekühlt und die Beobachtung festgehalten. 3. Gleichgewichtsverschiebung durch pH-Wert-Änderung Ein Reagenzglas wird mit ca. 3 mL der Kupfer(II)-nitratlösung versetzt und verdünnte Ammoniaklösung solange zugetropft bis ein Niederschlag ausfällt. Weitere Ammoniaklösung wird zugefügt bis es zur Auflösung des Niederschlages und zu einer Farbänderung kommt. Ein Teil der erhaltenen tiefblauen Lösung wird in ein zweites Reagenzglas gegeben und halbkonzentrierte Salpetersäure bis zu einem erneuten Farbwechsel zugegeben. Versuchsbeobachtung und Auswertung 1. Gleichgewichtsverschiebung durch Konzentrationsänderung Verdünnte Kupfer(II)-salzlösungen enthalten das hellblaue Komplexion 2+ [Cu(H2O)6] . Tropfenweise Zugabe von Salzsäure zu der blauen Lösung bewirkt, dass stufenweise Wassermoleküle zwei gegen der im Hexaaquakupfer(II)-Komplex Chlorid-Ionen ausgetauscht werden. vorliegenden In dieser Ligandenaustauschreaktion bildet sich der hellgrüne Tetraaquadichlorokupfer(II)Komplex, welcher durch Zugabe von Wasser wieder zerstört werden kann. Es bildet sich die ursprüngliche blaue Farbe der Kupfer(II)-nitratlösung zurück. Die Gleichgewichtsverschiebungen entsprechen dem Prinzip von Le Chatelier und Braun, eine Konzentrationserhöhung eines der Edukte fördert die Hinreaktion. Im Beispiel wird also durch die Zugabe von Salzsäure die Bildung des hellgrünen Chlorokomplexes begünstigt und durch die Erhöhung der Wasserkonzentration die Rückbildung des blauen Aquakomplexes gefördert. Die vorliegende Gleichgewichtsreaktion ist wie folgt formulierbar: [Cu(H2O)6]2+(aq) + 2 Cl-(aq) ⇄ [CuCl2(H2O)4](aq) + 2 H2O(l) hellblau hellgrün 20 1 1: [Cu(H2O)6]2+(aq) 2: [CuCl2(H2O)4](aq) 2 Abb. 5: Kupfer(II)-Komplexe 2. Gleichgewichtsverschiebung durch Temperaturänderung Erhitzt man die verdünnte blaue Lösung aus Versuchsteil 1, färbt sie sich grün und beim Abkühlen kehrt die Lösung wieder zur blauen Ursprungsfarbe zurück. Der Versuch ist beliebig oft wiederholbar. Somit ist gezeigt, die Lage des Gleichgewichts der Ligandenaustauschreaktion ist abhängig von der Temperatur, sie entspricht ebenfalls dem Prinzip von Le Chatelier und Braun. Folgende Gleichgewichtsreaktion ist für die Farbänderung verantwortlich. [Cu(H2O)6]2+(aq) + 2 Cl-(aq) hellblau bei Wärme ⇄ bei Kälte [CuCl2(H2O)4](aq) + 2 H2O(l); ∆H > 0 hellgrün Da die Hinreaktion endotherm verläuft, zeigt die Grünfärbung der Lösung beim Erwärmen, dass die Temperaturerhöhung die endotherme Reaktion begünstigt. Beim Abkühlen verschiebt sich das Gleichgewicht in die Richtung der exothermen Rückreaktion, die blaue Farbe der Lösung tritt wieder auf.42 3. Gleichgewichtsverschiebung durch pH-Wertänderung Ammoniaklösung zeigt schwach basische Eigenschaften und kann in einer reversiblen Reaktion gemäß untenstehender Gleichung Protonen aufnehmen. Das Gleichgewicht liegt weit auf der linken Seite. Dennoch reicht die HydroxidionenKonzentration in der Lösung aus, um das Löslichkeitsprodukt von Kupfer(II)hydroxid zu überschreiten. Es fällt als flockiger hellblauer Niederschlag aus. → NH4+(aq) + OH-(aq) NH3(aq) + H2O(l) ← 42 Vgl. Tausch, M./Wachtendonk, M. v., Chemie, 2000, S. 99f. 21 Cu(OH)2(s) + 6 H2O(l) [Cu(H2O)6]2+(aq) + 2 OH-(aq) → ← hellblau Eine weitere hellblauer Niederschlag Zugabe von Kupferhydroxid-Niederschlages Ammoniaklösung führt und Störung kann als zur Auflösung des des Löslichkeits- gleichgewichts gedeutet werden (Simultangleichgewicht). Es bildet sich das lösliche Komplexsalz [Cu(H2O)2(NH3)4](OH)2 mit intensiv kornblumenblauer Farbe.43 Cu(OH)2(s) + 4 NH3(aq) + 2 H2O(l) → [Cu(H2O)2(NH3)4]2+(aq) + 2 OH-(aq) ← tiefblau Auch die noch in der Lösung vorhandenen Aquakomplexe des Kupfers reagieren zum Amminkomplex, gemäß folgendem Gleichgewicht, das weit auf der rechten Seite liegt. Es bildet sich das Tetraammindiaquakupfer(II)-Ion. [Cu(H2O)6]2+(aq) + 4 NH3(aq) → [Cu(H2O)2(NH3)4]2+(aq) + 4 H2O(l) ← hellblau tiefblau Zutropfen von halbkonzentrierter Salpetersäure zu der erhaltenen tiefblauen Lösung führt zur Rückbildung des hellblauen Aquakomplexes. Ammoniak wird durch die Säure fortlaufend protoniert, der Komplex zerstört und so das Gleichgewicht stark auf die Seite des Hexaaquakupfer(II)-Ions verschoben. [Cu(H2O)6]2+(aq) + 4 NH4+(aq) [Cu(H2O)2(NH3)4]2+(aq) + 4 H3O+(aq) → ← tiefblau hellblau 1 2 3 Abb. 6: Kupfer(II)-Verbindungen 43 Vgl. Holleman, A. F./Wiberg, N., Chemie, 1995, S. 1336. 1: [Cu(H2O)6]2+(aq) 2: Cu(OH)2(s) 3: [Cu(H2O)2(NH3)4]2+(aq) 22 Hinweise zum Unterrichtseinsatz Das Themengebiet “Chemisches Gleichgewicht“ ist Voraussetzung für das Verständnis des Experimentes Gleichgewichtsreaktionen am und Beispiel bietet eine von schöne einfach Möglichkeit beschreibbaren Ligandenaustauschreaktionen aufzuzeigen. Charakteristische Farbänderungen können direkt Informationen über die Konzentrations- und Temperatur- abhängigkeit der Gleichgewichtslage liefern.44 Der Versuch bietet außerdem gute Möglichkeiten, die Prinzipien des chemischen Gleichgewichts zu wiederholen und in einem neuen Kontext einzuordnen und zu vertiefen. 3.3 Eigenschaftsänderungen durch Komplexbildung Die Bildung eines Komplexes ist mit charakteristischen Eigenschaftsänderungen verbunden, d. h. das Metallion wird durch die umgebenden Liganden in seinem Verhalten deutlich beeinflusst. Am auffälligsten ist dabei die mit der Komplexbildung verbundene Farbänderung, aber auch die in Experiment 1 bereits gezeigte Änderung der Löslichkeitsverhältnisse. „Häufig wird ... auch die Zahl der frei beweglichen Ionen geringer, und die Umsetzung führt zu einer Änderung des Ionenpotentials und einer Abnahme der elektrischen Leitfähigkeit sowie gegebenenfalls zur Umkehr des Wanderungssinnes der Ionen im elektrischen Feld.“45 So wandert z. B. das positiv geladene Fe3+-Ion unter dem Einfluss einer Gleichspannung zur Kathode, wohingegen das Fe3+-Ion komplex gebunden als [Fe(CN)6]3- zur Anode wandert. Schließlich ist das Ausbleiben der für die freien Ionen charakteristischen analytischen Reaktionen ein weiteres typisches Merkmal.46 Die Komplex-Ionen reagieren dabei als einheitliches Ganzes, da Komplexverbindungen in wässriger Lösung nur in die komplexen Ionen und die zugehörigen Gegenionen dissoziieren.47 Das Ausbleiben einiger typischer Reaktionen wird im Experiment 3 am Beispiel von Kupfer(II)- und Eisen(III)-Komplexen gezeigt. 44 Vgl. Jäckel, M., Gleichgewicht, 1985, S. 13. Kober, F., Komplex, 1985, S. 3. 46 Vgl. Kober, F., Komplex, 1985, S. 3. 47 Vgl. Matthe, D., Arbeitsblatt, 1995, S. 302. 45 23 Experiment 3 Ausbleiben charakteristischer Reaktionen durch Komplexbildung Versuchsbeschreibung Materialien: 6 Reagenzgläser, Reagenzglasgestell, Pasteurpipetten mit Pipettierhilfen, 2 Gummistopfen, Spritzflasche mit entionisiertem Wasser Chemikalien: Kupfer(II)-sulfat-Pentahydrat (Xn, N; R: 22-36/38-50/53, S: 22-60-61) Eisen(III)-chlorid-Hexahydrat (Xn; R: 22-38-41, S: 26-39) Ammoniumthiocyanat (Xn; R: 20/21/22-32, S: 13) Natriumhydroxid (C; R: 34-35, S: 26-36/37/39-45) Ammoniaklösung (w = 25 %) (C, N; R: 34-50, S: 26-36/37/39-45-61) Kalium-hexacyanoferrat(III) 2 Eisennägel Anzusetzende Lösungen: Kupfer(II)-sulfatlösung (c = 0,5 mol/L) Eisen(III)-chloridlösung (c = 0,1 mol/L) Kalium-hexacyanoferrat(III)-lösung (c = 0,1 mol/L) Ammoniumthiocyanatlösung (c = 0,1 mol/L) Natronlauge (c = 1 mol/L) Ammoniaklösung (c = 10 mol/L) Durchführung48: 1. System Cu2+(aq)/(NH3(aq))/Fe(s) In zwei Reagenzgläser werden jeweils 2 mL der Kupfer(II)-sulfatlösung gegeben und mit ca. 3 mL Wasser verdünnt. Dem ersten Glas wird ein Eisennagel zugefügt und dem zweiten einige Milliliter Ammoniaklösung. Nach kurzem Schütteln des zweiten Reagenzglases wird diesem ebenfalls ein Eisennagel zugegeben. Nach 48 Vgl. Matthe, D., Arbeitsblatt, 1995, S. 302. 24 etwa 5 Minuten Reaktionszeit werden die Lösungen vorsichtig abgeschüttet und die Nägel nebeneinander betrachtet. 2. System Cu2+(aq)/(NH3(aq))/OH-(aq) Erneut werden zwei Reagenzgläser mit ca. 2 mL Kupfer(II)-sulfatlösung und ca. 3 mL Wasser befüllt. Das erste Glas wird mit 10 Tropfen Natronlauge versetzt. In das zweite Glas werden 3 mL Ammoniaklösung und nach kurzem Schütteln der Lösung ebenfalls 10 Tropfen Natronlauge zugegeben. 3. System Fe3+(aq)/SCN-(aq) und [Fe(CN)6]3-(aq)/SCN-(aq) In ein Reagenzglas werden ca. 2 mL der Eisen(III)-chloridlösung und ca. 3 mL Wasser gefüllt. In diese Lösung gibt man 5 Tropfen der verdünnten Ammoniumthiocyanatlösung. Ein zweites Reagenzglas wird mit ca. 2 mL einer Kalium-hexacyanoferrat(III)-lösung und 3 mL Wasser befüllt und danach ebenfalls mit 5 Tropfen der verdünnten Ammoniumthiocyanatlösung versetzt. Die Farbänderungen werden festgehalten. Versuchsbeobachtung und Auswertung 1. System Cu2+(aq)/(NH3(aq))/Fe(s) Werden die beiden Eisennägel verglichen, ist nur auf dem Nagel aus Reagenzglas 1 ein Kupferüberzug mit typisch rotbrauner Farbe sichtbar. „Eisen gibt als das unedlere Metall Elektronen an die Cu2+-Ionen ab und geht an deren Stelle als Fe2+ in Lösung. Dies ist eine charakteristische Reaktion für Cu2+-Ionen.“49 In der Kupfer(II)-sulfatlösung liegen Hexaaquakupfer(II)-Ionen vor, die mit dem Eisennagel nach folgender Reaktionsgleichung reagieren. [Cu(H2O)6]2+(aq) + Fe(s) → [Fe(H2O)6]2+(aq) + Cu(s) ← Nach Zugabe von Ammoniaklösung zur Kupfer(II)-sulfatlösung in Reagenzglas 2 tritt eine kräftige tiefblaue Färbung ein, welche auf die Bildung des Tetraammindiaquakupfer(II)-Komplexes zurückzuführen ist. Eine Abscheidung von Kupfer auf dem Eisennagel findet nicht statt und zeigt damit deutlich das Ausbleiben der für Metall-Ionen charakteristischen Redoxreaktion. 49 Demuth, R./Kober, F., experimentell, 1980, S. 3. 25 [Cu(H2O)2(NH3)4]2+(aq) + 4 H2O(l) [Cu(H2O)6]2+(aq) + 4 NH3(aq) → ← hellblau tiefblau [Cu(H2O)2(NH3)4]2+(aq) + Fe(s) 2. System Cu2+(aq)/(NH3(aq))/OH-(aq) Bei der Zugabe von Natronlauge in das erste Reagenzglas fällt ein hellblauer voluminöser Niederschlag von Kupfer(II)-hydroxid aus. [Cu(H2O)6]2+(aq) + 2 OH-(aq) → Cu(OH)2(s) + 6 H2O(l) ← hellblau hellblauer Niederschlag Im zweiten Reagenzglas bildet sich nach Zugabe der Ammoniaklösung wieder die zu erwartende kräftig blaue Färbung. Eine Zugabe von Natronlauge führt zu keiner Niederschlagsbildung. [Cu(H2O)6]2+(aq) + 4 NH3(aq) → [Cu(H2O)2(NH3)4]2+(aq) + 4 H2O(l) ← hellblau tiefblau [Cu(H2O)2(NH3)4]2+(aq) + OH-(aq) Die Bildung von Kupfer(II)-hydroxid ist bei Zugabe einer Base zu Cu2+-Ionen charakteristisch. Allerdings bleibt diese Reaktion nach Ammoniakzugabe in Reagenzglas 2 aus. Ein Beweis dafür, dass die Kupfer(II)-Ionen komplex gebunden vorliegen. 1 2 3 Abb. 7: Kupfer(II)-Verbindungen 1: [Cu(H2O)6]2+(aq) 2: Cu(OH)2(s) 3: [Cu(H2O)2(NH3)4]2+(aq) 26 3. System Fe3+(aq)/SCN-(aq) und [Fe(CN)6]3-(aq)/SCN-(aq) In der Eisen(III)-chloridlösung liegen die hydratisierten Eisen(III)-Ionen hauptsächlich als Pentaaquahydroxoeisen(III)-Ionen vor. Hexaaquaeisen(III)-Ionen sind nur bei pH-Werten < 0 stabil. [Fe(OH)(H2O)5]2+(aq) + H3O+(aq) [Fe(H2O)6]3+(aq) + H2O(l) → ← farblos gelborange Mit Thiocyanat-Ionen können die Eisen(III)-Ionen nachgewiesen werden. Es kommt zu einer kräftigen blutroten Färbung. [Fe(SCN)3(H2O)3](aq) + 4 H2O(l) [Fe(OH)(H2O)5]2+(aq) + H3O+(aq) + 3 SCN-(aq) → ← gelborange blutrot Im zweiten Reagenzglas, welches Kaliumhexacyanoferrat(III)-lösung enthält, „sind die Eisen(III)-Ionen fest koordinativ mit den Cyanid-Ionen verbunden. Die komplexen Ionen zerfallen praktisch nicht in Eisen(III)-Ionen und Cyanid-Ionen, folglich können in der Lösung auch keine Eisen(III)-Ionen nachgewiesen werden. An der Farbe der Kaliumhexacyanoferrat(III)-lösung ändert sich nichts.“50 [Fe(CN)6]3-(aq) + SCN-(aq) gelb 1 2 Abb. 8: Eisen(III)-Komplexe 50 Matthe, D., Eigenschaften, 1995, S. 303. 1: [Fe(SCN)3(H2O)3](aq) 2: [Fe(CN)6]3-(aq) 27 Das Ausbleiben einer zu erwartenden analytischen Reaktion von Metall-Ionen ist ein typisches Merkmal der Komplexbildung. Man spricht von einer Maskierung, die bei analytischen Trenn- und Nachweisreaktionen von Metall-Ionen eingesetzt wird, um so störende Metall-Ionen abzuschirmen oder zu entfernen. Hinweise zum Unterrichtseinsatz Sind die Grundlagen der Komplexchemie im Unterricht bearbeitet worden, können die beschriebenen Reagenzglasversuche von den Schülern durchgeführt werden. Dabei sollen die Schüler lernen, dass Komplexverbindungen in wässriger Lösung in komplexe Ionen und Gegenionen dissoziieren und typische Farbreaktionen ausführen, welche von den bekannten Umsetzungen mit Metall-Ionen in Lösung abweichen. 4 Strukturen von Komplexverbindungen Wie im vorangegangenen Komplexverbindungen von Kapitel ihrer schon ansatzweise Zusammensetzung sehr gesehen, sind zahlreich und verschieden. Eine Systematisierung des großen Stoffgebietes Komplexchemie ist unabdingbar. Die Einteilung der Komplexe nach den Ligandentypen ist eine Klassifizierungsmöglichkeit. Im Kapitel 4.1 werden die wichtigsten Typen von Liganden behandelt und schulrelevante Beispiele zu jeder Klasse vorgestellt. Liganden ordnen sich in der Form eines symmetrischen Körpers um das Zentralteilchen, so dass eine größtmögliche Anziehung durch das Zentralteilchen und eine geringe Abstoßung der Liganden untereinander gegeben ist. Die entstehenden Koordinationspolyeder bilden eine zweite Klassifizierungs- möglichkeit der Komplexverbindungen, näheres dazu in Kapitel 4.2. Mit den unterschiedlichen Anordnungsvarianten der Liganden, d. h. mit verschiedenen Isomeriemöglichkeiten, beschäftigt sich Kapitel 4.3. Auch zu diesem Themengebiet wird ein schulrelevantes Experiment vorgestellt. 28 4.1 Liganden und ihre Zähnigkeit Ein Ligand kann mehrere Donoratome zur Ausbildung einer koordinativen Bindung zum Zentralteilchen besitzen. „Die Zahl der koordinativen Bindungen, die ein Ligand in einem Komplex betätigt, nennt man die Zähnigkeit des Liganden.“51 Man unterscheidet einzähnige bis achtzähnige Liganden. Für die vorgestellten Schülerexperimente sind einzähnige, zweizähnige, vierzähnige und sechszähnige Liganden von Bedeutung, die genauer betrachtet werden. Einzähnige Liganden Einzähnige Liganden können Ionen oder Moleküle sein, die mehrere freie Elektronenpaare besitzen können, aber nur eines zur koordinativen Bindung benutzen.52 Im einfachsten Fall sind sie einatomig wie z. B. F-, Cl- oder O2-. Sie können aber auch mehratomig sein, Beispiele hierfür sind H2O, NH3, CO, OHoder SCN-. Zweizähnige Liganden Liganden mit zwei Donoratomen werden als zweizähnige Liganden bezeichnet. Die Donoratome sind mit je einem freien Elektronenpaar zur koordinativen Bindung befähigt, müssen aber nicht ausgebildet werden. Zweizähnige Liganden können im Komplex also auch einzähnig gebunden sein, wie z. B. CO32-. Weitere typische Vertreter sind in Abbildung 9 zusammengestellt, dabei sind die Donoratome rot gekennzeichnet und die gebräuchlichen Abkürzungen der komplizierteren Liganden mit angegeben. 51 52 Demuth, R./Kober, F., Komplexchemie, 1992, S. 39. Vgl. Demuth, R./Kober, F., Komplexchemie, 1992, S. 40. 29 Ethylendiamin (en) Glycinato (gly) O N H2 H2 N H2 C H2 N CH2 Carbonato CH3 C HO N C O- Dimethylglyoximato (Hdmg) H3 C CH2 O C O N O - C - O- Abb. 9: Struktur typischer zweizähniger Liganden und ihre Benennung Vierzähnige Liganden Liganden mit vier Donoratomen legen sich weit gehend eben um das Zentralteilchen. Für den Aufbau bioanorganischer Systeme ist das vierzähnige, ungesättigte Porphyrin-Dianion von Bedeutung. Bei diesem Ligand liegen die Donoratome bereits vor der Koordination am Metall in einem großen organischen Ring derart vor, dass sie ein Metallzentrum geeigneter Größe umschließen können.53 Porphinato(2-) 2- Abb. 10: 53 N N N N Struktur und Benennung des vierzähnigen Porphyrin-Dianion Vgl. Shriver, D. F./Atkins, P. W./Langford, C. H., Chemie, 1997, S. 229. 30 Sechszähnige Liganden Moleküle mit sechs zur Koordination befähigten Donoratomen können sich helixartig um das Zentralteilchen legen und so als sechszähnige Liganden wirken. Voraussetzung dafür ist eine geeignete räumliche Anordnung. Diese Geometrie erfüllt z. B. das Anion der Ethylendiamintetraessigsäure. Etylendiamintetraacetato (edta) - OOC CH2 N - OOC CH2 CH2 - CH2 CO O CH2 CO O - N CH2 Abb. 11: Struktur und Benennung des sechszähnigen Ethylendiamintetraacetat-Ions (edta4-) Die sechszähnigen Liganden nehmen eine besondere Stellung ein, da sich die gebildeten Komplexe durch besonders hohe Stabilität auszeichnen. Sie finden deshalb bei der quantitativen Bestimmung von Metall-Ionen Verwendung (Kapitel 6.2.1). Das Phänomen der erhöhten Stabilität, das allgemein bei mehrzähnigen Liganden auftritt, wird als Chelateffekt bezeichnet, die Liganden als Chelatliganden. In Kapitel 5.1.2 wird darauf ausführlich eingegangen. 4.2 Koordinationszahlen und Koordinationspolyeder „Wie in Festkörpern können auch in Metallkomplexen sehr unterschiedliche Koordinationszahlen und -geometrien vorliegen; die strukturelle und chemische Vielfalt von Metallkomplexen ist nicht zuletzt darin begründet, daß Koordinationszahlen zwischen 2 und 12 auftreten können.“54 Am häufigsten kommen dabei die Koordinationszahlen 4 und 6 vor. Im nächsten Abschnitt wird auf diese, ihre zugehörigen idealtypischen Geometrien und repräsentative Beispiele 54 eingegangen. Eine Einschränkung auf die am häufigsten vorkom- Shriver, D. F./Atkins, P. W./Langford, C. H., Chemie, 1997, S. 217. 31 menden Koordinationszahlen mit einem Hinweis auf weitere, ist in der Schule ohne Probleme vertretbar. Sind Theorie bzw. Experimente aus Kapitel 6.1 Unterrichtsgegenstand, ist es notwendig, zusätzlich die Koordinationszahlen 3 und 5 einzuführen, da sie in den dort vorgestellten bioanorganischen Verbindungen auftreten. Koordinationszahl 3 Die Koordinationszahl 3 ist recht selten und tritt z. B. bei [Sn(OH)3]- oder [HgI3]auf. „Das Koordinationspolyeder ist ein Dreieck, das leicht verzerrt sein kann. ... Viele Moleküle bzw. Ionen des Typs AB3 [z. B. NH3] ... sind trigonal-pyramidal gebaut, wobei ein freies Elektronenpaar ... an der Spitze der Pyramide sitzt.“55 Diese Struktur wird als pseudotetraedrisch bezeichnet, da die Substituenten und das freie Elektronenpaar die Ecken eines Tetraeders besetzen. Abb. 12: Idealtypische Struktur eines trigonalen und pseudotetraedrischen Komplexes Koordinationszahl 4 Die sehr häufig auftretende Koordinationszahl 4 wird am meisten in den Geometrien eines Tetraeders oder eines Planar-Quadrates realisiert. Tetraeder bilden z. B. die Komplexe [Al(OH)4]-, [FeCl4]- oder [NiBr4]2-. Planar-Quadrate werden z. B. von [Ni(Hdmg)2], [AgF4]- oder [PtCl2(NH3)2] gebildet. Aus Gründen der Ligandenabstoßung ist die tetraedrische Konfiguration begünstigt. Abb. 13: Idealtypische Struktur eines tetraedrischen und quadratisch-planaren Komplexes 55 Demuth, R./Kober, F., Komplexchemie, 1992, S. 12f. 32 Koordinationszahl 5 Selten kommt die Koordinationszahl 5 vor, die in den Geometrien einer trigonalen Bipyramide oder einer quadratischen Pyramide realisiert ist. Die geringen energetischen Unterschiede der beiden Konfigurationen sind Ursache dafür, dass die beiden Strukturen durch einfache Verzerrung leicht ineinander überführt werden können. Der [Ni(CN)5]3--Komplex kann sogar in ein und demselben Kristall in beiden Geometrien auftreten. Ein zweites Beispiel ist [Fe(CO)5], das trigonalbipyramidal koordiniert ist.56 Abb. 14: Idealtypische Struktur eines trigonal-bipyramidalen und quadratisch-pyramidalen Komplexes Koordinationszahl 6 Bei Übergangsmetallen ist die Sechsfachkoordination am häufigsten, das reguläre Oktaeder ist dabei sehr selten. „Meist treten geringfügige Abweichungen von der idealen Oktaedersymmetrie auf, die durch den elektronischen Aufbau des Zentralions verursacht werden. Die typischen Deformationen am Oktaeder sind Streckung und Stauchung entlang der vierzähligen Achse ... oder eine Streckung in Richtung der dreizähligen Achse.“57 Einige Beispiele für die große Anzahl oktaedrischer Komplexe sind [Fe(CN)6]4-, [Cr(en)3]3+, [Co(NH3)6]3+, [Ca(edta)]2oder [Ni(H2O)6]2+. Abb. 15: Idealtypische Struktur eines oktaedrischen Komplexes 56 57 Vgl. Shriver, D./Atkins, P. W./Langford, C. H., Chemie, 1997, S. 221. Demuth, R./Kober, F., Komplexchemie, 1992, S. 15. 33 Die Koordinationszahl in einem Metallkomplex ist von mehreren Faktoren abhängig. Das Größenverhältnis zwischen Zentralteilchen und Liganden spielt z. B. eine entscheidende Rolle. Große Radien der Zentralteilchen begünstigen die Bildung von Komplexen mit hohen Koordinationszahlen, während mit sterisch anspruchsvollen Liganden eher niedrigere Koordinationszahlen ausgebildet werden.58 Anziehungskräfte zwischen Zentralteilchen und Liganden, Abstoßungskräfte zwischen den Liganden und die Elektronenkonfiguration des Zentralteilchens beeinflussen ebenfalls die Koordinationszahl. Das Zusammenspiel der vielen Faktoren erschwert es, die tatsächliche Koordinationszahl in einem Komplex vorauszusagen. Der Frage nach der experimentellen Bestimmung der Koordinationszahl kommt somit große Bedeutung zu. Zwei Möglichkeiten werden im Versuch 4 vorgestellt. Experiment 4 Bestimmung der Koordinationszahl von Ni2+-Komplexen Methode Sind die Bestandteile eines Komplexes bekannt, ist es in manchen Fällen sehr einfach möglich die Komplexzusammensetzung nach der “Methode der molaren Verhältnisse“ zu bestimmen. Dazu wird jeweils ein Äquivalent Metallionenlösung mit kontinuierlich steigenden Äquivalenten von Ligandenlösung versetzt. Es entstehen die einzelnen Komplexe mit steigender Anzahl von Liganden, welche durch eine stufenweise Farbänderung erkennbar sind. Die Farbe bleibt bestehen sobald die maximale Koordination erreicht ist.59 Sind die Farbabstufungen, wie bei der Reaktion von Nickel(II)-nitratlösung mit dem zweizähnigen Liganden Ethylendiamin, sehr gut erkennbar, reicht ein visueller Vergleich der Farben zur Bestimmung der Koordinationszahl aus. Diese Methode wird im Experiment 4a ausführlich beschrieben. 58 59 Vgl. Shriver, D./Atkins, P. W./Langford, C. H., Chemie, 1997, S. 217. Vgl. Demuth, R./Kober, F., experimentell, 1980, S. 72. 34 Bei der Umsetzung von Nickel(II)-nitratlösung mit Ammoniaklösung sind die Farbänderungen der Lösungen erkennbar, allerdings sind diese sehr fein, so dass es nicht so einfach möglich ist, die Koordinationszahl visuell zu bestimmen. In diesem Fall erfolgt die Bestimmung der Koordinationszahl durch quantitative Erfassung der Farbintensität mit Hilfe eines Photometers (Experiment 4b). Das Prinzip beruht darauf, dass, wenn man monochromatisches Licht der Intensität I0 durch eine absorbierende Lösung schickt, die Intensität auf den Wert I absinkt. Die Größe E = log(I/I0) wird als Extinktion der Lösung bezeichnet. Für diesen Absorptionsvorgang gilt das Lambert-Beersche-Gesetz.60 E = ε . c . d = log(I/I0) (ε: Extinktionskoeffizient, c: Konzentration des absorbierenden Stoffes, d: Schichtdicke der untersuchten Probe) Der Extinktionskoeffizient ε ist abhängig von der Wellenzahl bei der die Messung erfolgt und vom untersuchten Stoff, stellt also bei der hier vorgestellten Messmethode eine konstante Größe dar. Auch die Schichtdicke d ist konstant, so dass die Extinktion proportional zur Konzentration der Komplexe ist. Da im Verlauf der Komplexreaktion ein gefärbter, gelöster Komplex entsteht, ist es möglich, die Farbintensität in Abhängigkeit vom Molverhältnis Ligand/Metallion zu bestimmen.61 Experiment 4a: Koordinationszahl des Tris(ethylendiamin)nickel(II)-Komplexes Versuchsbeschreibung Materialien: 5 Reagenzgläser, Reagenzglasständer, 5 Gummistopfen, 1 Einwegspritze mit Kanüle (1 mL), 2 Einwegspritzen mit Kanülen (5 mL), Spritzflasche mit entionisiertem Wasser 60 61 Vgl. Demuth, R./Kober, F., experimentell, 1980, S. 92. Vgl. Demuth, R./Kober, F., experimentell, 1980, S. 92f. 35 Chemikalien: Nickel(II)-nitrat-Hexahydrat (Xn, O; R: 8-22-43, S: 24-37) Ethylendiamin (C; R: 10-21/22-34-42/43, S:23.2-26-36/37/39-45) Anzusetzende Lösungen: Nickel(II)-nitratlösung (c = 1 mol/L) Ethylendiaminlösung (c = 1 mol/L) Durchführung: Für die Bestimmung wird in die fünf nummerierten Reagenzgläser jeweils 1 mL der Nickelsalzlösung (c = 1 mol/L) gegeben, dazu die in der Tabelle angegebene steigende Menge an Etylendiaminlösung (c = 1 mol/L). Dadurch werden in den Reagenzgläsern verschiedene Verhältnisse von Metallion zu Ligand erreicht. Alle Reagenzgläser werden mit der jeweils angegebenen Menge Wasser auf gleiches Niveau aufgefüllt und nach guter Durchmischung der Lösungen das Ende der Farbänderung festgestellt. Nummer des Reagenzglases 0 1 2 3 4 V(Ni2+-Lösung) in mL 1 1 1 1 1 V(en-Lösung) in mL - 1 2 3 4 V(H2O) in mL 5 4 3 2 1 Tabelle 3: Versuchsdurchführung Experiment 4a Versuchsbeobachtung und Auswertung Reagenzglas 0 zeigt die grünliche Farbe der Nickel(II)-nitratlösung, die sich durch Zugabe von Ethylendiamin schrittweise blau, dann violett färbt. Die Violettfärbung tritt erstmalig bei Reagenzglas 3 auf und bleibt im Reagenzglas 4 bestehen. 0 1 2 3 4 Abb. 16: Reaktion von Ni2+-Ionen mit en 36 Die Farbintensität erhöht sich nur bis Reagenzglas 3, in dem ein molares Verhältnis von Ligand und Metallion von 3:1 vorliegt. Daraus lässt sich schließen, dass ein Nickel(II)-Ion maximal drei Ethylendiaminmoleküle binden kann. Da Ethylendiamin zwei Stickstoffatome mit freien Elektronenpaaren besitzt, die in Wechselwirkung mit den Nickel(II)-Ionen treten können, ergibt sich insgesamt eine Koordinationszahl von 6. Der gebildete Etylendiaminnickel(II)-Komplex weist also eine oktaedrische Struktur auf. Abb. 17: Oktaedrische Struktur des Tris(ethylendiamin)nickel(II)-Komplexes62 Die schrittweise Bildung des Komplexes, die in den Reagenzgläsern 1, 2 und 3 stattfindet, sind Ligandenaustauschreaktionen und können wie folgt beschrieben werden: Reagenzglas 1: [Ni(H2O)6]2+(aq) + en(aq) → [Ni(en)(H2O)4]2+(aq) + 2 H2O(l) ← Reagenzglas 2: [Ni(en)(H2O)4]2+(aq) + en(aq) → [Ni(en)2(H2O)2]2+(aq) + 2 H2O(l) ← Reagenzglas 3: [Ni(en)2(H2O)2]2+(aq) + en(aq) → [Ni(en)3]2+(aq) + 2 H2O(l) ← 62 Abbildung aus Asselborn, W./Jäckel, M./Risch, K. T. (Hrsg.), Chemie, 1998, S. 198. 37 Experiment 4b: Koordinationszahl des Hexaamminnickel(II)-Komplexes Versuchsbeschreibung: Materialien: 9 Reagenzgläser, Reagenzglasständer, 9 Gummistopfen, 3 Messpipetten (10 mL), Peleusball, Photometer, 2 Quarzküvetten, Spritzflasche mit entionisiertem Wasser Chemikalien: Nickel(II)-nitrat-Hexahydrat (Xn, O; R: 8-22-43, S: 24-37) Ammoniaklösung (w = 0,25) (C, N; R: 34-50, S: 26-36/37/39-45-61) Anzusetzende Lösungen: Nickel(II)-nitratlösung (c = 1 mol/L) Ammoniak-Lösung (c = 1 mol/L) Durchführung: Für die Bestimmung mit dem Photometer sind größere Mengen an Lösung als in Versuchsteil a erforderlich. Deshalb werden in jedem Reagenzglas 2 mL Nickel(II)nitratlösung vorgelegt. Die weitere Zugabemenge an Ammoniaklösung und Wasser wird aus der Tabelle entnommen. Nummer des Reagenzglases 0 1 2 3 4 5 6 7 8 V(Ni2+-Lösung) in mL 2 2 2 2 2 2 2 2 2 V(NH3-Lösung) in mL - 2 4 6 8 10 12 14 16 16 14 12 10 8 6 4 2 - V(H2O) in mL Tabelle 4: Versuchsdurchführung Experiment 4b Jedem Reagenzglas werden zusätzlich 1 g Ammoniumnitrat zugefügt, um den gebildeten Nickel(II)-hydroxid-Niederschlag aufzulösen. Die Reagenzgläser werden mehrmals geschüttelt, bis klare Lösungen erhalten werden. Mit diesen wird die photometrische Bestimmung bei einer Wellenlänge von 585 nm durchgeführt. Dazu wird die erste Küvette mit der Lösung aus Reagenzglas 0 gefüllt und dient während der gesamten Messung als Blindprobe. Die zweite Küvette wird nacheinander mit den Lösungen aus Reagenzglas 1 bis 8 befüllt und 38 ist vor jeder neuen Messung mit der entsprechenden Lösung zweimal zu spülen. Die gemessenen Extinktionswerte werden notiert und graphisch gegen das Molverhältnis Ligand/Metallion aufgetragen. Versuchsbeobachtung und Auswertung Die Messwerte sind in Tabelle 5 zusammengetragen und in Abbildung 18 graphisch dargestellt. Lösung aus Reagenzglas gemessene Extinktion bei 585 nm 1 2 3 4 5 6 7 8 0,088 0,211 0,341 0,451 0,536 0,583 0,595 0,606 Tabelle 5: Messwerte Experiment 4b 0,7 0,6 Extinktion 0,5 0,4 0,3 0,2 0,1 0 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 Molverhältnis n(Ligand):1(Metallion) Abb. 18: Graphische Darstellung der Messwerte (blau: Versuchsergebnisse, rot: Ideallinie) Aus der Graphik ist erkennbar, dass die Extinktion bis zu einem molaren Verhältnis von Ligand zu Metallion von 6:1 relativ gleichmäßig steigt. Ab diesem Verhältnis bleiben die Extinktionswerte relativ konstant, die Farbintensität der Lösungen aus den Reagenzgläsern 6, 7 und 8 ändert sich also nicht mehr. Zu schließen ist aus dem ermittelten Knickpunkt der Kurve, dass an dieser Stelle die Komplexbildung beendet ist und ein Nickel(II)-Ion maximal sechs Ammoniakmoleküle über die Stickstoffatome binden kann. Für den entstandenen Komplex ergibt sich eine Koordinationszahl von 6, der oktaedrisch koordiniert ist. 39 Abb. 19: Oktaedrische Struktur des Hexaamminnickel(II)-Komplexes63 Auch in diesem Fall entstehen die Komplexe durch Erhöhung des Molzahlverhältnisses schrittweise. Die Reaktionen sind durch Ligandenaustauschreaktionen beschreibbar. Reagenzglas 1:[Ni(H2O)6]2+(aq) + NH3(aq) → [Ni(H2O)5(NH3)]2+(aq) + H2O(l) ← Reagenzglas 2:[Ni(H2O)5(NH3)]2+(aq) + NH3(aq) → [Ni(H2O)4(NH3)2]2+(aq) + H2O(l) ← Reagenzglas 3:[Ni(H2O)4(NH3)2]2+(aq) + NH3(aq) → [Ni(H2O)3(NH3)3]2+(aq) + H2O(l) ← Reagenzglas 4:[Ni(H2O)3(NH3)3]2+(aq) + NH3(aq) → [Ni(H2O)2(NH3)4]2+(aq) + H2O(l) ← Reagenzglas 5:[Ni(H2O)2(NH3)4]2+(aq) + NH3(aq) → [Ni(H2O)(NH3)5]2+(aq) + H2O(l) ← Reagenzglas 6:[Ni(H2O)(NH3)5]2+(aq) + NH3(aq) → [Ni(NH3)6]2+(aq) + H2O(l) ← Hinweise zum Unterrichtseinsatz Sind Chelatliganden im Unterricht behandelt worden, kann Experiment 4a sowohl in der Sekundarstufe I als auch in der Sekundarstufe II eingesetzt werden. Ohne großen materiellen Aufwand ist die Koordinationszahl über Farbänderungen bestimmbar. In einem großen Maß wird bei diesem Versuch das genaue und saubere Arbeiten gefördert. Dieses exakte Vorgehen ist auch Voraussetzung für das Gelingen von Experiment 4b. Aus diesem Grund und wegen des größeren Materialbedarfs ist Versuchsteil b für die Sekundarstufe II gedacht. Die Bestimmung mit dem Photometer zeigt eine Methode, die eingesetzt werden kann, wenn die Farbbestimmung aus Versuchsteil a versagt. Die Funktionsweise eines 63 Abbildung aus Asselborn, W./Jäckel, M./Risch, K. T. (Hrsg.), Chemie, 1998, S. 209. 40 Photometers als auch das Umgehen mit Messpipette und Peleusball, welches auf Grund der kleineren Mengen in Experiment 4a mit Einwegspritzen erledigt werden kann, muss den Schülern vertraut sein. Der Einsatz von Nickelsalzen ist aufgrund der gesundheitsschädlichen Wirkung in der Schule nicht ganz unproblematisch. Das Problem kann gemindert werden, indem den Schülern zum Experimentieren schon fertig angesetzte Lösungen gereicht werden. 4.3 Isomerie komplexer Verbindungen Unter Isomeren versteht man „Verbindungen, die zwar die gleiche stöchiometrische Zusammensetzung besitzen (gleiche Summenformel) und die gleiche Molekülmasse, aber durch chemische oder physikalische Analysenmethoden unterscheidbar sind.“64 Ein Vorteil isomerer Komplexverbindungen im Vergleich zu den üblichen Beispielen aus der organischen Chemie ist, dass sie mit ihren oft unterschiedlichen Farben augenfälliger die Unterschiede zeigen.65 In den meisten Lehrplänen wird die Isomerie nur im Bereich der organischen Chemie behandelt und deshalb entsteht bei Schülern oft der Eindruck, dass es sich hierbei um ein Phänomen der Organik handelt. Dem soll entgegengewirkt und in den nächsten Abschnitten am Beispiel der Komplexverbindungen auf die unterschiedlichen Formen der Isomerie eingegangen werden. Zwei große Klassen werden unterschieden, die Struktur- und die Stereoisomerie, wobei beide Formen noch einmal begrifflich unterteilt werden. 4.3.1 Strukturisomerie Die Strukturisomerie kann auch als Konstitutionsisomerie bezeichnet werden. Sie zeichnet sich durch eine unterschiedliche Bindungsverknüpfung zwischen den Atomen im Molekülverband aus. Strukturisomere von Komplexverbindungen unterscheiden sich oft sehr stark in ihren physikalischen und chemischen 64 65 Gade, L. H., Koordinationschemie, 1998, S. 61. Vgl. Demuth, R., Komplexverbindungen, 1985, S. 24. 41 Eigenschaften. Unterschieden werden die Bindungsisomerie, die Koordinationsisomerie und die Ionisations-/Hydratisomerie. Bindungsisomerie Die Bindungsisomerie wird in Komplexen gefunden, bei denen ein und derselbe Ligand über mindestens zwei nichtäquivalente Donoratome an das Zentralteilchen gebunden werden kann. Sie ist die am intensivsten untersuchte Form der Strukturisomerie.66 Beispiele sind das Thiocyanat-Ion, das an das Metallzentrum über das Stickstoffatom (Thiocyanato-N-Komplex) oder das Schwefelatom (Thiocyanato-S-Komplex) gebunden sein kann oder das Nitrit-Ion, welches über das Stickstoffatom (Nitro-Komplex) oder das Sauerstoffatom (Nitrito-Komplex) koordiniert werden kann. Ein Isomerenpaar, bei dem die Bindungsisomerie auftritt ist [Co(NO2)(NH3)5]Cl2 und [Co(ONO)(NH3)5]Cl2. Koordinationsisomerie Diese Koordinationsisomerie setzt voraus, dass Anion und Kation einer Koordinationsverbindung komplexe Teilchen darstellen.67 Außerdem müssen an die zwei (oder mehr) Metallzentren mindestens zwei unterschiedliche Ligandentypen gebunden sein. Beispiele für solche Isomerenpaare sind [Cu(NH3)4][PtCl4] und [Pt(NH3)4][CuCl4] oder [Cr(NH3)6][Co(CN)6] und [Co(NH3)6][Cr(CN)6].68 Ionisations- und Hydratisomerie Ionisations- und Hydratisomerie beschreiben isomere Formen, in denen ein Ligand in der Komplexeinheit selbst oder außerhalb gebunden sein kann. Ionisationsisomerie kennzeichnet diese Situation für einen anionischen Liganden, der außerhalb der Komplexeinheit als Gegenion fungieren kann.69 Ein Beispiel ist [Co(SO4)(NH3)5]Cl und [CoCl(NH3)5]SO4. Hydratisomerie charakterisiert die analoge Situation für den Neutralliganden H2O. Das Wasser kann dabei entweder als an das Metallteilchen gebundener Ligand 66 Vgl. Gade, L. H., Koordinationschemie, 1998, S. 63. Vgl. Demuth, R./Kober, F., Komplexchemie, 1992, S. 21. 68 Vgl. Gade, L. H., Koordinationschemie, 1998, S. 63. 69 Vgl. Gade, L. H., Koordinationschemie, 1998, S. 62. 67 42 oder als Kristallwasser im Festkörper fungieren. Der “Austausch“ eines Liganden geht häufig mit einer Farbänderung einher.70 Am Beispiel des Isomerenpaares [CrCl2(H2O)4]Cl.2H2O und [Cr(H2O)6]Cl3 kann solch ein Farbwechsel und typische Reaktionen der Isomere in wässriger Lösung gezeigt werden. Experiment 5 Hydratisomerie am Beispiel der Verbindung CrCl3.6H2O Methode Die in der Komplexchemie ständig anzutreffende Auffälligkeit, dass sich Isomere unter Farbwechsel ineinander umwandeln lassen, kann mit einfachen Reagenzglasversuchen demonstriert werden. Im ersten Versuchsteil wird gezeigt, dass sich das violette Isomer durch Temperaturzufuhr in das grüne Isomer überführen lässt. Dieser Vorversuch ist notwendig, um sicherzustellen, dass der Farbwechsel tatsächlich auf die unterschiedlich gefärbten Isomeren zurückzuführen ist. Andernfalls könnten Schüler Vermutungen äußern, dass durch die Zugabe von Silbernitratlösung im zweiten Teil des Experimentes eine Ligandenaustauschreaktion mit NO3--Ionen für die Änderung der Farbe verantwortlich sein könnte. Der zweite Versuchsabschnitt dient dem Beweis, dass unterschiedlich viele Chlorid-Ionen und Wassermoleküle in der Komplexeinheit der Isomeren koordiniert sind. Steht wasserfreies Chrom(III)-chlorid in der Schule nicht zur Verfügung, kann eine violette Chrom(III)-chloridlösung einfach hergestellt werden. Dazu wird aus dem vorhandenen grünen Chrom(III)-chlorid-Hexahydrat eine Lösung angesetzt und diese mindestens eine Woche stehen gelassen. Es bildet sich, für den Versuch in ausreichendem Maße, die thermodynamisch stabilere violette Form. 70 Vgl. Gade, L. H., Koordinationschemie, 1998, S. 62. 43 Versuchsbeschreibung Materialien: 3 Reagenzgläser, Reagenzglasständer, Reagenzglashalter, 2 Gummistopfen, Bunsenbrenner, Feuerzeug, Pasteurpipette mit Pipettierhilfe, Trichter (klein), Filterpapier, Kristallisierschale mit zerstoßenem Eis Chemikalien: Chrom(III)-chlorid-Hexahydrat (Xn; R: 22, S: 24/25) Silbernitrat (C, N; R: 34-50/53, S: 26-45-60-61) Salpetersäure (w = 65 %) (C; R: 35, S: 23.2-26-36/37/39-45) Anzusetzende Lösungen: Chrom(III)-chloridlösung - grün (c ≈ 0,1 mol/L) Chrom(III)-chloridlösung - grauviolett (c ≈ 0,1 mol/L) Silbernitratlösung (c = 0,5 mol/L) Salpetersäure (c = 2 mol/L) Durchführung: Etwa 5 mL der grauvioletten Chrom(III)-chloridlösung werden in ein Reagenzglas gegeben und bis zu einer Grünfärbung in der Bunsenbrennerflamme erhitzt. Das Reagenzglas wird bei Seite gestellt und ganz am Ende des Versuches noch einmal die Farbe der Lösung mit den Ausgangslösungen verglichen. In ein Reagenzglas werden ca. 5 mL der frisch hergestellten grünen Chrom(III)chloridlösung gegeben und mit 3 Tropfen der verdünnten Salpetersäure angesäuert. Anschließend wird die Lösung mit eisgekühlter Silbernitratlösung im Überschuss versetzt und geschüttelt. Der zusammengeballte Niederschlag wird mit einem kleinen Trichter in ein zweites Reagenzglas abfiltriert und das fast klare Filtrat erst langsam erwärmt und dann kräftig erhitzt. Nachdem der ausgefallene Niederschlag sich am Reagenzglasboden abgesetzt hat, wird die Farbe der überstehenden Lösung festgehalten.71 71 Vgl. Willing, W., Isomerie, 1988, S. 28f. 44 Ca. 5 mL der grauvioletten Chrom(III)-chloridlösung werden in ein Reagenzglas gegeben und analog zum vorigen Versuch mit 3 Tropfen verdünnter Salpetersäure angesäuert, mit eisgekühlter Silbernitratlösung im Überschuss versetzt und der entstandene Niederschlag abfiltriert. Das Filtrat wird einige Zeit erhitzt und die Beobachtung festgehalten.72 Versuchsbeobachtung und Auswertung Die Änderung der Farbe der grauvioletten Chrom(III)-chloridlösung nach grün, zeigt eine Veränderung in der Koordinationssphäre an, die Chrom(III)-Komplexe zeigen Hydratisomerie. Die grauviolette Farbe der Lösung ist auf die Anwesenheit des komplexen Kations [Cr(H2O)6]3+ zurückzuführen, während die grüne Farbe der Lösung auf dem Vorliegen des Komplexes [CrCl2(H2O)4]+ beruht.73 Beim Erwärmen entsteht das kinetisch stabile grüne Isomer, das sich in der Kälte sehr langsam über das hellblaugrüne Isomer [CrCl(H2O)5]2+ wieder in den grauvioletten Komplex umwandelt. Dabei geht das primär komplexgebundene Chlorid allmählich im Austausch gegen Wassermoleküle in ionogen gebundenes Chlorid über. [Cr(H2O)6]3+(aq) + 3 Cl-(aq) Wärme → ← [CrCl2(H2O)4]+(aq) + Cl-(aq) + 2 H2O(l) grauviolett grün Kälte [CrCl2(H2O)4]+(aq) + Cl-(aq) + 2 H2O(l) → [CrCl(H2O)5]2+(aq) + 2 Cl-(aq) + H2O(l) ← grün hellblaugrün Kälte → [Cr(H2O)6]3+(aq) + 3 Cl-(aq) ← grauviolett 1 2 Abb. 20: Hydratisomere des CrCl3.6H2O in Lösung 72 73 Vgl. Willing, W., Isomerie, 1988, S. 29. Vgl. Demuth, R., Versuchseinheiten, 1984, S. 50. 1: [CrCl2(H2O)4]Cl.2H2O(aq) 2: [Cr(H2O)6]Cl3(aq) 45 Die Konstitution der Komplexe kann bestätigt werden durch die Umsetzung mit Silbernitratlösung. Nur die ionogen Zimmertemperatur als Silberchlorid gebundenen fällbar. Aus Chlorid-Ionen der grünen sind bei Chrom(III)- chloridlösung fällt formal 1 mol Silberchlorid aus. Nach dem Abfiltrieren wird durch starkes Erhitzen der fast klaren grünen Lösung ein Ligandenaustausch der komplex gebundenen Chlorid-Ionen gegen Wassermoleküle begünstigt, eine erneute Niederschlagsbildung findet statt. Der Überstand zeigt nun die grauviolette Farbe des Hexaaquachrom(III)-Ions. HNO3 [CrCl2(H2O)4]Cl(aq) + Ag+(aq) → [CrCl2(H2O)4]+(aq) + AgCl(s) grün grün [CrCl2(H2O)4]+(aq) + 2 Ag+(aq) + 2 H2O(l) weiß ∆, HNO3 grün [Cr(H2O)6]3+(aq) + 2 AgCl(s) grauviolett weiß In der grauvioletten Chrom(III)-chloridlösung sind drei ionogen gebundene ChloridIonen in Lösung, die mit Silbernitratlösung gefällt werden können. Auch nach längerem Erhitzen des Filtrats ist keine weitere Niederschlagsbildung beobachtbar, ein Beweis, dass in der Koordinationseinheit nur Wassermoleküle als Liganden gebunden sind. + [Cr(H2O)6]Cl3(aq) + 3 Ag grauviolett HNO3 (aq) → [Cr(H2O)6]3+(aq) + 3 AgCl(s) grauviolett weiß ∆, HNO3 [Cr(H2O)6]3+(aq) + Ag+(aq) grauviolett 4.3.2 Stereoisomerie Oft wird die Stereoisomerie auch als Konfigurationsisomerie bezeichnet. Man versteht darunter Verbindungen mit der gleichen Bindungsverknüpfung der einzelnen Atome aber unterschiedlicher räumlicher Anordnung. Zwei Formen werden unterschieden, die cis-trans-Isomerie und die Spiegelbildisomerie. cis-trans-Isomerie Bei quadratisch-planaren und oktaedrisch gebauten Komplexen ist die cis-transIsomerie möglich. Sitzen dabei gleiche Liganden an einer Kante, spricht man vom 46 cis-Isomer, liegen die gleichen Liganden an diametral entgegengesetzten Ecken des Koordinationspolyeders, vom trans-Isomer.74 Da beim Tetraeder eine Unterscheidung der Ecken nicht möglich ist, bildet das Auffinden von cis-transIsomeren bei der Koordinationszahl 4 einen Beweis für die planar-quadratische Anordnung der Liganden. [PtCl2(NH3)2] ist eine Verbindung, die in zwei IsomerenFormen auftritt. Das cis-Isomer wird als Chemotherapeutikum zur Behinderung des Wachstums von Krebszellen bei Tumoren im Blasen- und Hodenbereich angewendet, das trans-Isomer zeigt hier keine Wirkung. trans -[PtCl2(NH3)2] cis-[PtCl2(NH3)2] orange-gelb Cl Pt Cl schwach gelb NH3 NH3 Cl NH3 Pt Cl H3N Abb. 21: cis- und trans-Isomer von [PtCl2(NH3)2] Ein Beispiel für einen oktaedrisch gebauten Komplex liefert die Verbindung [CoCl2(NH3)4]Cl, von der eine violette und eine grüne Form bekannt ist.75 trans -[CoCl2(NH3)4]+ grün cis -[CoCl2(NH3)4]+ violett + NH3 Cl Co Cl NH3 NH3 + NH3 Cl Cl H3N NH3 NH3 Co NH3 Abb. 22: cis- und trans-Isomer von [CoCl2(NH3)4]+ Spiegelbildisomerie Spiegelbildisomere werden auch als Enantiomere bezeichnet. „Ein Enantiomer gehört zu einem Paar von Molekülen, die sich zueinander wie Bild und Spiegelbild 74 75 Vgl. Demuth, R./Kober, F., Komplexchemie, 1992, S. 24. Vgl. Tausch, M./Wachtendonk, M. v., Chemie, 2000, S. 321. 47 verhalten. Es ist selbst nicht deckungsgleich mit seinem eigenen Spiegelbild. Ein solches Molekül bezeichnet man auch als chiral.“76 Im Unterschied zu den cistrans-Isomeren gleichen sich die Spiegelbildisomere in den meisten ihrer physikalischen und chemischen Eigenschaften. Das Verhalten gegenüber polarisierten Lichtes ist ihr wichtigstes Unterscheidungsmerkmal. „Ein Enantiomer dreht die Ebene des polarisierten Lichtes in eine Richtung, das andere Enantiomer dreht sie bei gleicher Konzentration um den gleichen Winkel in die entgegengesetzte Richtung.“77 Getrennt werden können die Spiegelbildisomere nur durch Umsetzung mit Substanzen, die selbst in spiegelbildisomeren Formen existieren. Die Enantiomere von cis-[CoCl2(en)2]+ sind in Abbildung 23 dargestellt. + NH2 NH2 Cl Cl + Cl NH2 Co NH2 NH2 NH2 Co Cl NH2 NH2 Abb. 23: Enantiomere von cis-[CoCl2(en)2]+ (die gebogenen Linien entsprechen den CH2–CH2-Brücken der en-Liganden) 5 Stabilität von Komplexverbindungen Betrachtungen zur Stabilität sind eng verbunden mit der Reaktivität von Komplexverbindungen und für das Verständnis der Chemie der Übergangsmetalle von großer Bedeutung. Über die Zusammenhänge zwischen Stabilität und Reaktivität sind in vielen Fällen oft nur qualitative Aussagen möglich. Die Schwierigkeit hängt mit der Verschiedenartigkeit von Zentralteilchen und Liganden 76 77 Gade, L. H., Koordinationschemie, 1998, S. 67. Shriver, D. F./Atkins, P. W./Langford, C. H., Chemie, 1997, S. 232. 48 zusammen. Trotz der Vielfalt gibt es einige allgemeine Beziehungen zwischen Komplexen verschiedener Metalle und zwischen Komplexen eines Metalls in verschiedenen Oxidationsstufen und mit verschieden koordinierten Liganden.78 Diese ordnenden Prinzipien werden größtenteils aus der so genannten Ligandenfeldtheorie hergeleitet. Die Theorie betrachtet die Wechselwirkungen eines von den Liganden erzeugten elektrischen Feldes mit den d-Orbitalen. Zu näheren Ausführungen der Theorie und zu einer möglichen schulgemäßen Vereinfachung sei auf die Examensarbeit von Fabian Gelies verwiesen. Ein Schwerpunktthema in dieser Arbeit bildet die Stabilität in Verknüpfung mit der Ligandenfeldtheorie, der Grund warum an dieser Stelle nicht näher darauf eingegangen wird. Eine Unterrichtsbehandlung der Stabilität von Komplexverbindungen ist auch ohne Einbeziehung der Ligandenfeldtheorie möglich. Im Kapitel 5.1 werden zwei Experimente zur Stabilität vorgestellt, welche auf qualitativen Abschätzungen beruhen. Quantitative Aussagen werden im Kapitel 5.2 mit einem Experiment zur Bestimmung von Komplexbildungskonstanten verbunden. 5.1 Stabilitätsbeziehungen 5.1.1 Abschätzung der Stabilität an Komplexen mit einzähnigen Liganden Die koordinierten Liganden von Komplexverbindungen werden in Wasser in ganz unterschiedlichem Ausmaß durch andere in der Lösung vorliegende Liganden substituiert. Findet ein solcher Ligandenaustausch nur in geringem Maße statt, werden die Komplexe als stabil bezeichnet.79 „Löst man wenig stabile Komplexe und bietet in der Lösung geeignete andere Liganden an, so bilden sich durch einen Austausch der Liganden die stabileren Komplexe aus.“80 Am Beispiel von Eisen(III)-Komplexen können diese Vorgänge aufgrund ihrer unterschiedlichen Farben gut verfolgt werden. 78 Vgl. Christen, H. R./Meyer, G., Chemie, 1994, S. 588. Vgl. Demuth, R., Komplexverbindungen, 1985, S. 24. 80 Demuth, R., Komplexverbindungen, 1985, S. 24. 79 49 Experiment 6 Stabilitätsvergleich am Beispiel von Fe3+-Komplexen Versuchsbeschreibung Materialien: Becherglas (100 mL), Universal-Indikatorpapier, Glasstab, 5 Reagenzgläser, Reagenzglasgestell, Pasteurpipetten mit Pipettierhilfen Chemikalien: Eisen(III)-nitrat-Nonahydrat (Xi, O; R: 8-36/38, S: 26) Salpetersäure (w = 65 %) (C; R: 35, S: 23.2-26-36/37/39-45) Natriumchlorid Kaliumthiocyanat (Xn; R: 20/21/22-32, S: 13) Natriumfluorid (T; R: 25-32-36/38, S: 22-36-45) Anzusetzende Lösungen: Eisen(III)-nitratlösung (c = 0,1 mol/L) Salpetersäure (c = 1 mol/L) Natriumchloridlösung (konzentriert) Kaliumthiocyanatlösung (c = 0,1 mol/L) Natriumfluoridlösung (konzentriert) Durchführung:81 50 mL der Eisen(III)-nitratlösung werden in ein Becherglas gegeben und der pHWert mit Hilfe von pH-Papier gemessen. Anschließend wird die Lösung solange mit Salpetersäure versetzt bis sie sich fast entfärbt hat. Der Inhalt des Becherglases wird auf 5 Reagenzgläser aufgeteilt. Das erste Reagenzglas bleibt unverändert und soll bei der Auswertung dem besseren Farbvergleich dienen. Der Inhalt der vier weiteren Reagenzgläser wird mit einigen Tropfen der folgenden Chemikalien versetzt: 81 Vgl. Demuth, R./Kober, F., experimentell, 1980, S. 70. 50 2. Reagenzglas: konzentrierte Natriumchloridlösung 3. Reagenzglas: verdünnte Kaliumthiocyanatlösung 4. Reagenzglas: konzentrierte Natriumfluoridlösung 5. Reagenzglas: nacheinander konzentrierte Natriumchloridlösung, verdünnte Kaliumthiocyanatlösung und konzentrierte Natriumfluoridlösung. Versuchsbeobachtung und Auswertung Der gemessene pH-Wert der Eisen(III)-nitratlösung liegt bei etwa pH = 2-3. Bei diesem pH-Wert liegt in der Lösung nur in geringen Mengen das Hexaaquaeisen(III)-Ion vor, es wirkt als Kationensäure. [Fe(H2O)6]3+(aq) + H2O(l) → [Fe(OH)(H2O)5]2+(aq) + H3O+(aq) ← farblos gelb-orange Durch den Zusatz der Salpetersäure zur gelb-orange farbenen Lösung wird diese deutlich aufgehellt. Das Gleichgewicht obiger Reaktion verschiebt sich durch den Zusatz von Hydroniumionen stark nach links und die Eisen(III)-Lösung wird dadurch fast vollständig entfärbt. Durch Zutropfen von konzentrierter Natriumchloridlösung in das 2. Reagenzglas färbt sich die Lösung gelb. Die Änderung der Farbe zeigt einen Ligandenaustausch an, der in der geringen Stabilität des Hexaaquaeisen(III)-Komplexes begründet ist. Der entstandene stabilere Chlorokomplex verursacht die gelbe Farbe. Oktaedrische Chlorokomplexe sind viel instabiler als tetraedrisch koordinierte Chlorokomplexe, deshalb ist die Bildung von Tetrachloroferrat(III)Ionen begünstigt. [FeCl4]-(aq) + 6 H2O(l) [Fe(H2O)6]3+(aq) + 4 Cl-(aq) → ← gelb Im 3. Reagenzglas tritt nach Zutropfen der verdünnten Kaliumthiocyanatlösung eine blutrote Färbung Ligandenaustausch ein. Auch zurückzuführen, diese der die Farbänderung ist Entstehung eines auf einen stabileren Komplexes symbolisiert. Es entsteht der oktaedrische Triaquatrithiocyanatoeisen(III)-Komplex. 51 [Fe(SCN)3(H2O)3](aq) + 3 H2O(l) [Fe(H2O)6]3+(aq) + 3 SCN-(aq) → ← blutrot Gegenüber Fluorid-Ionen ist im 4. Reagenzglas ebenfalls eine Reaktion des Hexaaquaeisen(III)-Ions beobachtbar. Die Lösung entfärbt sich vollständig, es bildet sich der farblose Fluorokomplex über Ligandenaustausch. Das überwiegend vorliegende Komplexion in der Lösung ist [FeF5(H2O)]2-. [Fe(H2O)6]3+(aq) + 5 F-(aq) → [FeF5(H2O)]2-(aq) + 5 H2O(l) ← farblos 1 2 3 1: [FeCl4]-(aq) 2: [Fe(SCN)3(H2O)3](aq) 3: [FeF5(H2O)]2-(aq) Abb. 24: Lösungen von Fe3+-Komplexen Aus dem Versuch in Reagenzglas 5 ist erkennbar, dass die Stabilität der KomplexIonen von den in Lösung vorhandenen Komplexliganden abhängig ist. So sinkt die Stabilität der Eisen(III)-halogenokomplexe von F- nach Cl-. Auch gegenüber dem Thiocyanatkomplex bildet sich der sehr stabile Fluorokomplex. [Fe(H2O)6]3+(aq) + 4 Cl-(aq) → [FeCl4]-(aq) + 6 H2O(l) ← [FeCl4]-(aq) + 3 SCN-(aq) + 3 H2O(l) → [Fe(SCN)3(H2O)3](aq) + 4 Cl-(aq) ← [Fe(SCN)3(H2O)3](aq) + 5 F-(aq) → [FeF5(H2O)]2-(aq) + 3 SCN-(aq) + 2 H2O(l) ← Somit kann eine Reihe relativer Komplexstabilität aus dem Versuch ermittelt werden: [Fe(H2O)6]3+ < [FeCl4]- < [Fe(SCN)3(H2O)3] < [FeF5(H2O)]2-. 52 5.1.2 Das Phänomen des Chelateffektes Der Name “Chelat“ stammt vom griechischen Wort chelé ab und wird mit Kralle oder Krebsschere übersetzt. Erklärbar ist der Begriff insofern, dass z. B. zweizähnige Liganden das Zentralatom von zwei Koordinationsstellen her krebsscherenartig umschließen können. Oft werden mehrzähnige Liganden deshalb als Chelatliganden und die entsprechenden Komplexe als Chelatkomplexe oder Chelate bezeichnet. Als Beispiele aus der Natur wären Chlorophyll und Hämoglobin zu nennen, die in einem gesonderten Kapitel (6.1) besprochen werden. „Chelate ... sind stabiler als strukturell ähnliche Komplexe mit einzähnigen Liganden. Dieses Phänomen ist unter der Bezeichnung Chelat-Effekt bekannt“82 und wird in Experiment 7 veranschaulicht. Die Ursache für diese erhöhte Stabilität wird in Kapitel 5.2.2 besprochen. Experiment 7 Stabilitätsvergleich am Beispiel von Ni2+-Komplexen Versuchsbeschreibung Materialien: 5 Reagenzgläser, Reagenzglasständer, Pasteurpipetten mit Pipettierhilfen Chemikalien: Nickel(II)-nitrat-Hexahydrat (O, Xn; R: 8-22-43, S: 24-37) Ammoniaklösung (w = 25 %) (C, N; R: 34-50, S: 26-36/37/39-45-61) Ethylendiamin (C; R: 10-21/22-34-42/43, S: 23.2-26-36/37/39-45) Anzusetzende Lösungen: Nickel(II)-nitratlösung (c = 0,1 mol/L) 82 Hilgers, U./Blume, R., Chelat-Effekt, 1992, S. 21. 53 Durchführung:83 Fünf Reagenzgläser werden mit je 2 mL der Nickel(II)-nitratlösung versetzt. Das erste wird beiseite gestellt und dient als Blindprobe. In das zweite wird tropfenweise Ammoniaklösung, in das dritte tropfenweise Ethylendiamin bis zu einer deutlichen Farbänderung gegeben. Reagenzglas 4 wird zunächst mit ein paar Tropfen Ammoniaklösung versetzt, danach werden noch einige Tropfen Ethylendiamin zugefügt. Dem fünften Reagenzglas werden nacheinander einige Tropfen Ethylendiamin, einige Tropfen Ammoniaklösung und danach mehrere Milliliter Ammoniaklösung hinzugefügt. Versuchsbeobachtung und Auswertung In einer wässrigen Lösung von Nickel(II)-nitrat liegt das grüne Hexaaquanickel(II)Ion vor. Zugabe von Ammoniaklösung führt zu einer intensiven blauen Farbe. Es entsteht gemäß der folgenden Reaktionsgleichung der Hexaamminnickel(II)Komplex. [Ni(H2O)6]2+(aq) + 6 NH3(aq) → [Ni(NH3)6]2+(aq) + 6 H2O(l) ← grün blau Zutropfen des zweizähnigen Liganden Ethylendiamin zum Aquakomplex führt zu einer violetten Farbe der Lösung. Die Wasserliganden werden vollständig ausgetauscht, es bildet sich der Chelatkomplex, das Tris(ethylendiamin)nickel(II)Ion. [Ni(H2O)6]2+(aq) + 3 en(aq) → [Ni(en)3]2+(aq) + 6 H2O(l) ← grün violett 1 2 3 Abb. 25: Lösungen von Ni2+-Komplexen 83 Vgl. Hilgers, U./Blume, R., Chelat-Effekt, 1992, S. 21. 1: [Ni(H2O)6]2+(aq) 2: [Ni(NH3)6]2+(aq) 3: [Ni(en)3]2+(aq) 54 Die Lösung im vierten Reagenzglas färbt sich nach Hinzutropfen von Ammoniaklösung erwartungsgemäß blau, nach Zugabe von Ethylendiamin aber sofort violett. Auch eine Zugabe von mehreren Millilitern Ammoniaklösung kann im fünften Reagenzglas das Gleichgewicht nicht auf die Seite des Amminkomplexes verschieben. [Ni(NH3)6]2+(aq) + 3 en(aq) → [Ni(en)3]2+(aq) + 6 NH3(aq) ← blau violett [Ni(en)3]2+(aq) + NH3(aq) Die Erklärung ist im Phänomen des Chelateffektes zu finden. Sind in der Lösung mehrzähnige Liganden vorhanden, erfolgt die Ausbildung des wesentlich stabileren Chelatkomplexes. Das Gleichgewicht verschiebt sich also zu Gunsten der Bildung des Chelatkomplexes, in obiger Reaktion auf die Seite des Tris(ethylendiamin)nickel(II)-Komplexes. Die erhöhte Stabilität der Chelate im Vergleich zu Komplexen mit chemisch ähnlichen einzähnigen Liganden kann durch Berechnung der so genannten Komplexbildungskonstanten zahlenmäßig noch verdeutlicht werden. Im nächsten Kapitel erfolgen eine Erklärung der Ursache und eine Beispielrechnung zu obiger Reaktion. 5.2 Komplexbildungskonstanten 5.2.1 Definition einer Komplexbildungskonstanten Die Stabilität eines Komplexes kann zahlenmäßig durch die Gleichgewichtskonstante seiner Bildung ausgedrückt werden, d. h. durch die Gleichgewichtskonstante für Reaktionen folgender Art84 (die Ladung der Komplexe wird wegen der besseren Übersichtlichkeit nicht berücksichtigt). [Z(H2O)n] + n L → [ZLn] + n H2O ← Solche Reaktionen verlaufen schrittweise und für jeden Schritt gilt eine bestimmte Gleichgewichtskonstante, in welche die konstante Konzentration des Wassers mit einbezogen wird. Die einzelnen Gleichgewichtskonstanten werden mit K1, K2, ..., Kn bezeichnet. 84 Vgl. Christen, H. R./Meyer, G., Chemie, 1994, S. 588. 55 [Z(H2O)n ] + L → [Z(H2O)n −1L] + H2O ← K1 = [Z(H2O)n −1L] + L → [Z(H2O)n − 2 L 2 ] + H2O ← K2 = c [Z(H2 O)n−1 L] c [Z(H2 O)n ] ⋅ c L c [Z(H2 O)n−2 L 2 ] c [Z(H2 O)n−1 L] ⋅ c L ...... [Z(H2O)Ln −1] + L → [ZLn ] + H2O ← Kn = c [ZL n ] c [Z(H2 O)L n−1 ] ⋅ c L Die “Brutto-Konstante“, die eigentliche Komplexbildungskonstante (Stabilitätskonstante) KB ergibt sich aus dem Produkt der individuellen Komplexbildungskonstanten K1, K2, ..., Kn: KB = K1 . K2 . ... . Kn. Durch Berechnung der Komplexbildungskonstanten von Komplexen kann die Dimension der erhöhten Stabilität eingeordnet werden (siehe Experiment 8). Vorher ist noch die Ursache der erhöhten Stabilität durch Chelatbildung zu erläutern. 5.2.2 Ursache des Chelateffektes Hauptursache für eine größere Stabilität durch Bildung von Chelaten ist der Entropiegewinn. Thermodynamisch gesehen führt der Austausch von einzähnigen Liganden gegen Chelatbildner zu einer größeren Anzahl von freien Teilchen. Die Vergrößerung der Teilchenzahl hat eine größere Bewegungsfreiheit (Entropie ∆SB) des Systems zur Folge, die freie Bindungsenthalpie (∆GB = ∆HB - T∆SB) führt zu negativeren Werten als für den Normalkomplex (jeweils gleiche Reaktionsenthalpie ∆HB), was gemäß KB = exp(-∆GB/RT) eine größere Komplexbildungskonstante KB zur Folge hat.85 Als Beispielrechnung werden die aus Experiment 7 zugrunde liegenden Reaktionen betrachtet. 85 Vgl. Holleman, A. F./Wiberg, N., Chemie, 1995, S. 1222. 56 [Ni(H2O)6]2+(aq) + 6 NH3(aq) → [Ni(NH3)6]2+(aq) + 6 H2O(l) ← (1) [Ni(H2O)6]2+(aq) + 3 en(aq) → [Ni(en)3]2+(aq) + 6 H2O(l) ← (2) Für die Liganden Ammoniak und Ethylendiamin ergeben sich ungefähr gleiche Reaktionsenthalpiewerte (∆HB(1) = -100 kJ/mol, ∆HB(2) = -117 kJ/mol). Stark unterscheiden sich dagegen die Entropiewerte. Bei der Umsetzung des Aquakomplexes mit Ammoniak beträgt die Zahl der unabhängig voneinander beweglichen Teilchen vor und nach der Reaktion 7, bei der Reaktion mit Ethylendiamin liegen vor der Komplexierung 4, nach der Komplexierung 7 freie Teilchen vor. Die Entropie des Systems (1) nimmt also mehr zu als die des Systems (2) (∆SB(1) = -163 J/mol.K, ∆SB(2) = -42 J/mol.K).86 Dies hat Auswirkungen auf die freie Enthalpie, welche nach der Gibbs-Helmholtzschen Gleichung (∆GB = ∆HB - T∆SB) berechnet werden kann und große Differenzen der freien Reaktionsenthalpien (∆GB(1) = -51,4 kJ/mol, ∆GB(2) = -104,5 kJ/mol) bedingt. Durch den exponentiellen Zusammenhang (KB = exp(-∆GB/RT)) ergeben sich bei einer Temperatur von 298 K um acht Zehnerpotenzen unterscheidende Komplexbildungskonstanten (KB(1) = 1.109, KB(2) = 7.1017).87 Ein zweiter Faktor, der zur höheren Stabilität von Chelatkomplexen beiträgt, ist der kinetische Effekt. Nach Gerold Schwarzenbach ist dieser wie folgt zu erklären. Die Wahrscheinlichkeit, dass bei gleicher Konzentration eines einzähnigen Liganden bzw. eines zweizähnigen Liganden die erste Koordinationsstelle eines Metallions besetzt wird, ist näherungsweise gleich groß. Die Wahrscheinlichkeit der Besetzung der zweiten Koordinationsstelle ist aber für den zweizähnigen Liganden wesentlich höher als für den einzähnigen, da sich die zweite Bindungsstelle schon nahe am Metallion befindet.88 Aus der Erklärung kann vermutet werden, dass der Chelateffekt mit wachsender Zähnigkeit zunimmt, was in der Praxis bestätigt wird. Gebildete Fünf- und Sechsringe führen dabei zu einer sehr hohen Stabilität, da eine geringe sterische Spannung vorliegt. Bei größeren Ringen nimmt die Stabilität allerdings wegen ungünstigen Ringschlusstendenzen wieder ab.89 86 Werte aus Gade, L. H., Koordinationschemie, 1998, S. 358. Vgl. Holleman, A. F./Wiberg, N., Chemie, 1995, S. 1222. 88 Vgl. Holleman, A. F./Wiberg, N., Chemie, 1995, S. 1222. 89 Vgl. Demuth, R./Kober, F., Komplexchemie, 1992, S. 129f. 87 57 5.2.3 Bestimmung von Komplexbildungskonstanten Komplexbildungskonstanten sind in vielen Fällen experimentell recht einfach auf elektrochemischem Wege zu bestimmen. Am Beispiel von Kupfer(II)-Komplexen wird im folgenden Experiment eine Bestimmung realisiert. Experiment 8 Bestimmung der Komplexbildungskonstanten von Cu2+-Komplexen Versuchsbeschreibung Materialien: 2 Bechergläser (100 mL), Vollpipette (50 mL), Messpipette (1 mL und 10 mL), 2 Kupferelektroden, 2 Krokodilklemmen, 2 Kabel, Voltmeter, Papiertaschentuch (Stromschlüsselrohr), Glasstab, Stativmaterial Chemikalien: Kupfer(II)-sulfat-Pentahydrat (Xn, N; R: 22-36/38-50/53, S: 22-60-61) Ammoniaklösung (w = 25 %) (C, N; R: 34-50, S: 26-36/37/39-45-61) Ethylendiamin (C; R: 10-21/22-34-42/43, S: 23.2-26-36/37/39-45) Kaliumnitrat (O; R: 8, S: 16-41) Anzusetzende Lösungen: Kupfer(II)-sulfatlösung (c = 0,1 mol/L) Kaliumnitratlösung (w = 20 %) Durchführung: Zwei Bechergläser werden mit jeweils 50 mL der Kupfer(II)-sulfatlösung gefüllt und zwei blanke gleichartige Kupferelektroden eingetaucht. Die Elektroden werden mit Kabeln an das Voltmeter angeschlossen und beide Bechergläser durch ein Stromschlüsselrohr verbunden. Dieses wird am einfachsten hergestellt, indem die Hälfte eines Papiertaschentuchs zusammengerollt und in konzentrierter Kaliumnitratlösung getränkt wird. Ist die Spannungsdifferenz gleich 0 werden 5,6 mL (≙ 0,08 mol) Ammoniaklösung bzw. im zweiten Versuchsteil 2,7 mL (≙ 0,04 mol) Ethylendiamin in das Becherglas gegeben, welches mit dem Minuspol des 58 Voltmeters verbunden ist. Mit einem Glasstab wird vorsichtig umgerührt und eine Spannungsdifferenz gemessen.90 Voltmeter Stromschlüsselrohr sauberes Kupferblech Halbzelle 1: 50 mL CuSO4(aq) c(Cu2+) = 0,1 mol/L Halbzelle 2: 50 mL CuSO4(aq) c(Cu2+) = 0,1 mol/L Zugabe des Liganden Abb. 26: Schematischer Versuchsaufbau zur elektrochemischen Bestimmung der Komplexbildungskonstante Versuchsbeobachtung und Auswertung In einer verdünnten Kupfer(II)-salzlösung liegen tetragonal verzerrte Oktaeder von Hexaaquakupfer(II)-Ionen vor, bei denen zwei der Wasserliganden weiter entfernt und somit schwächer gebunden sind. Nur die quadratisch koordinierten Liganden können in wässriger Lösung verdrängt werden, so dass die Reaktionen mit Ammoniak und Ethylendiamin wie folgt zu beschreiben sind. [Cu(H2O)2(NH3)4]2+(aq) + 4 H2O(l) [Cu(H2O)6]2+(aq) + 4 NH3(aq) → ← [Cu(H2O)6]2+(aq) + 2 en(aq) → [Cu(en)2(H2O)2]2+(aq) + 4 H2O(l) ← Die Spannungsdifferenz ist messbar, da durch die Ligandenzugabe in eines der Bechergläser die Konzentration der Kupfer(II)-Ionen infolge der Bildung des 90 Vgl. Hilgers, U./Blume, R., Chelat-Effekt, 1992, S. 22. 59 Tetraammindiaquakupfer(II)-Komplexes stark herabgesetzt wird. Mit Ammoniak wurde eine Spannungsdifferenz von ∆E = 0,40 V, mit Ethylendiamin eine Differenz von ∆E = 0,58 V gemessen. Mit den gemessenen Werten können die Komplexbildungskonstanten mit Hilfe der Nernst-Gleichung berechnet werden. Die Aktivitäten entsprechen in verdünnten Lösungen annähernd den Konzentrationen, so dass auf die Verwendung von Aktivitäten verzichtet werden kann. Bei den folgenden Berechnungen wird für das Komplexion [Cu(H2O)6]2+ vereinfachend Cu2+ geschrieben. I) Komplexbildungskonstante des Tetraammindiaquakupfer(II)-Ions:91 Aus obiger Reaktionsgleichung lässt sich das Massenwirkungsgesetz für das Komplexion [Cu(H2O)2(NH3)4]2+ aufstellen: 2+ c([Cu(H2 O) 2 (NH3 ) 4 ] 2+ ) c(Cu 2+ ) ⋅ c 4 (NH3 ) = K B ([Cu(H2 O) 2 (NH3 ) 4 ] ) Die Anfangsstoffmengenkonzentration von Ammoniak ist: c(NH3 ) = n(NH3 ) V(Lösung) = 0,08 mol 0,0556 L = 1,44 mol/L Das Potential E1 der Halbzelle 1, die nur Kupfersulfatlösung enthält, berechnet man mit Hilfe der Nernst-Gleichung: 0,059 V ⋅ lg 0,1 ; 2 E1 = E 0 (Cu/Cu 2+ ) + E1 = 0,34 V − 0,0295 V = 0,3105 V E 0 (Cu/Cu 2+ ) = 0,34 V Mit dem errechneten Potential E1 lässt sich das Potential E2 der Halbzelle 2, die den Liganden enthält, berechnen. E2 = E1 − ∆E E2 = 0,3105 V − 0,4 V = − 0,0895 V Dadurch lässt sich die Nernst-Gleichung für das Potential E2 formulieren und umgestellt nach c(Cu2+) die noch vorhandene Konzentration der Kupfer(II)-Ionen in der Halbzelle 2 berechnen. 91 Vgl. Hilgers, U./Blume, R., Chelat-Effekt, 1992, S. 22. 60 E2 = E 0 (Cu/Cu 2+ ) + 0,059 V ⋅ lg c(Cu 2+ ) 2 lg c(Cu 2+ ) = 2 (E 2 − E 0 (Cu/Cu 2+ )) 0,059 V lg c(Cu 2+ ) = 2 ( −0,0895 V − 0,34 V) 0,059 V c(Cu 2+ ) = 2,76 ⋅ 10 −15 mol/L Aufgrund der geringen Stoffmengenkonzentration c(Cu2+) ist davon auszugehen, dass praktisch alle Kupfer(II)-Ionen komplexiert vorliegen. Unter dieser Annahme lassen sich die Gleichgewichtskonzentrationen ermitteln. c(Cu 2+ ) = 2,76 ⋅ 10 −15 mol/L c(NH3 ) = 1,44 mol/L − 4 ⋅ 0,1 mol/L = 1,04 mol/L c([Cu(H2 O) 2 (NH3 ) 4 ] 2+ ) = 0,1 mol/L Mit den ermittelten Konzentrationen lässt sich die Komplexbildungskonstante berechnen. 2+ K B ([Cu(H2 O) 2 (NH3 ) 4 ] ) = K B ([Cu(H2 O) 2 (NH3 ) 4 ] 2+ ) = K B ([Cu(H2 O) 2 (NH3 ) 4 ] 2+ ) = c([Cu(H2 O) 2 (NH3 ) 4 ] 2+ ) c(Cu 2+ ) ⋅ c 4 (NH3 ) 2,76 ⋅ 10 −15 0,1 mol/L mol/L ⋅ (1,04 mol/L) 4 3,10 ⋅ 1013 L4 /mol 4 Literaturwert: K B ([Cu(H2 O) 2 (NH3 ) 4 ] 2+ ) = 2 ⋅ 1013 L4 /mol 4 .92 II) Komplexbildungskonstante des Diaquabis(ethylendiamin)kupfer(II)-Ions: Die Berechnung der Komplexbildungskonstante des Diaquabis(ethylendiamin)kupfer(II)-Komplexes erfolgt analog I). Deshalb werden im Folgenden nur die Zwischenergebnisse notiert. 92 Wert aus Schroedel-Verlag (Hrsg.), Lehrer-CD, 1999, Arbeitsblatt 258. 61 Massenwirkungsgesetz: K B ([Cu(en) 2 (H2 O) 2 ] 2+ ) = c([Cu(en) 2 (H2 O) 2 ] 2+ ) c(Cu 2+ ) ⋅ c 2 (en) Anfangsstoffmengenkonzentration von Ethylendiamin: c(en) = 0,76 mol/L Potential der Halbzelle 1: E1 = 0,3105 V Potential der Halbzelle 2: E2 = –0,2695 V Gleichgewichtskonzentrationen: c(Cu2+) = 2,18 . 10-21 mol/L c(en) = 0,56 mol/L c([Cu(en)2(H2O)2]2+) = 0,1 mol/L Komplexbildungskonstante: KB([Cu(en)2(H2O)2]2+) = 1,46 . 1020 L2/mol2 Literaturwert: KB([Cu(en)2(H2O)2]2+) = 0,5 . 1020 L2/mol2.93 Der rund 107-mal höhere Wert für die Komplexbildungskonstante des Diaquabis(ethylendiamin)kupfer(II)-Komplexes unterstreicht noch einmal deutlich die vorausgesagte erhöhte Komplexstabilität aufgrund des Chelateffektes. Hinweise zum Unterrichtseinsatz Werden Chelatkomplexe im Unterricht behandelt, ist es für die Sekundarstufe I bzw. für den Grundkursbereich ausreichend den Chelateffekt am qualitativen Beispiel zu demonstrieren (Experiment 7). Zur zahlenmäßigen Einordnung sind Literaturangaben von Komplexstabilitätskonstanten sicherlich ausreichend. Im Leistungskurs ist eine genaue Bestimmung der Konstanten eine Bereicherung, welche das saubere und exakte Arbeiten fördert. Auch können Unterrichtsinhalte aus der Elektrochemie gut wiederholt und vertieft werden. Die Einteilung der Schüler in zwei Gruppen beim zweiten Versuchsabschnitt empfiehlt sich, da die Bestimmung in beiden Fällen analog verläuft und so in kurzer Zeit zwei auswertbare Ergebnisse zur Verfügung stehen. Beide Versuchsabschnitte können dann in einer Unterrichtsstunde problemlos bearbeitet werden. 93 Wert aus Schroedel-Verlag (Hrsg.), Lehrer-CD, 1999, Arbeitsblatt 258. 62 6 Anwendungen der Komplexchemie 6.1 Komplexe in der Natur (Bioanorganische Systeme) Metall-Ionen sind am Aufbau wichtiger Biomoleküle beteiligt und sind deshalb für den menschlichen, tierischen und pflanzlichen Organismus essenziell notwendig. Sie erfüllen oftmals lebenswichtige Aufgaben. Im menschlichen Körper gehören neben Natrium, Kalium, Magnesium und Calcium auch die in Spuren vorkommenden Elemente Eisen, Zink, Kupfer, Vanadium, Chrom, Mangan, Cobalt, Nickel, Zinn und Molybdän dazu. Ihre Wirkung können die Metalle nur gelöst als Ionen oder in komplexgebundener Form entfalten.94, 95 Die Metallobiomoleküle werden eingeteilt in zwei große Klassen, die Proteine und die Nicht-Proteine. Bei den Metalloproteinen werden grob drei weitere große Klassen unterschieden. Es gibt Speicherproteine z. B. das Ferritin, dass Eisenionen je nach Angebot in der Nahrung zu binden vermag und in Zeiten des Mangels dem Stoffkreislauf wieder zuführen kann. Außerdem gibt es die Transportproteine, die bestimmte Stoffe zu verschiedenen Orten im Körper befördern können. „Das wohl bekannteste Transportprotein ist das Hämoglobin der rote Blutfarbstoff, der den Transport der Sauerstoffmoleküle in die Zellen [von Wirbeltieren] gewährleistet.“96 Eine weitere interessante Gruppe bilden die Metallenzyme, welchen oft die Aktivierung katalytischer Prozesse zukommt. Als Beispiel wäre hier die in Bakterien, in höheren Pflanzen und in wirbellosen Tieren vorkommende Urease zu nennen - ein Enzym, welches die Hydrolyse des Harnstoffs katalysiert. Zur zweiten Gruppe, den Nicht-Proteinen, werden Verbindungen mit Metalltransport- und Strukturfunktionen (Siderophore und Biominerale) sowie Verbindungen mit Photoredoxfunktionen gezählt. Zur letztgenannten Gruppe gehört das Chlorophyll - der grüne Blattfarbstoff.97 94 Vgl. Falbe, J./Regitz, M. (Hrsg.), Römpp, 1995, Stichwort: Spurenelemente. Vgl. Kaim, W./Schwederski, B., Chemie, 1995, S. 5. 96 Wieghardt, K. E., Elixiere, 2003, S. 48. 97 Vgl. Shriver, D. F./Atkins, P. W./Langford, C. H., Chemie, 1997, S. 767. 95 63 Auf die genannten Biomoleküle Hämoglobin, Urease und Chlorophyll wird in den nächsten Abschnitten genauer eingegangen. Dazu werden zuerst der Aufbau der Moleküle und deren Funktion im Organismus beschrieben. Dies soll als theoretischer Hintergrund für die vorgestellten Experimente dienen. 6.1.1 Hämoglobin Theoretische Grundlagen Eine lebenswichtige und sehr interessante Verbindung ist das Hämoglobin (haimo (griech.) ≙ Blut), der rote Blutfarbstoff der Wirbeltiere. In den Erythrocyten (rote Blutkörperchen) des Blutes ist Hämoglobin enthalten und macht 95 % der Trockenmasse aus. Beim erwachsenen Menschen wird es während der Erythropoese im Knochenmark synthetisiert und beträgt, bezogen auf das Blutvolumen, bei erwachsenen Frauen ca. 140 g/L, bei Männern im Durchschnitt etwa 160 g/L. Einem menschlichen Körper stehen somit bei 5 - 6 L Blut 700 - 900 g Hämoglobin zur Verfügung.98 Chemisch ist Hämoglobin ein Eisenprotein mit einer Molekülmasse von 64500. Es ist aufgebaut aus vier Monomeren, welche untereinander durch Nebenvalenzen verbunden sind und sich zu einer definierten Quartärstruktur anordnen. Ein Monomer besteht aus einer Globin-Kette, in der eine Häm-Einheit in einer Art “Tasche“ nahe der Oberfläche des Moleküls liegt. Je zwei Globin-Untereinheiten eines Tetrameren sind einander gleich. Zu mehr als 96 % tritt bei einem erwachsenen Menschen das Hämoglobin A1 auf, das aus zwei α-Ketten mit je 141 und zwei β-Ketten mit je 146 Aminosäure-Resten gebildet wird. Daneben kommen noch bis zu 4 % Hämoglobin A2 im menschlichen Körper vor, das δ- statt β-Globin enthält. Die δ-Kette besteht ebenfalls aus 146 Aminosäure-Resten und unterscheidet sich nur in 10 Positionen von der β-Kette.99 98 99 Vgl. Falbe, J./Regitz, M. (Hrsg.), Römpp, 1995, Stichwort: Hämoglobin. Vgl. Falbe, J./Regitz, M. (Hrsg.), Römpp, 1995, Stichwort: Hämoglobin. 64 Abb. 27: Modell des Hämoglobinmoleküls100 Der Chelatkomplex Häm, das aktive Zentrum im Molekül, besteht aus einem Eisen(II)-Ion als Zentralion und dem Porphyrin-Gerüst als Ligand. Das PorphyrinGerüst ist ein ebenes aromatisches Ringsystem und besetzt als vierzähniger Chelatligand vier Koordinationsstellen des Eisen(II)-Ions. Darüber hinaus kann das Eisen(II)-Ion zwei weitere Liganden binden, die beidseitig senkrecht zur HämScheibe stehen. Mit der fünften Koordinationsstelle wird die Häm-Scheibe an ein Stickstoff-Atom der Aminosäure Histidin des Proteins gebunden. In der sechsten Position kann ein Sauerstoffmolekül locker gebunden werden. Ist die sechste Koordinationsstelle besetzt, wird vom Oxyhämoglobin gesprochen, andernfalls vom Desoxyhämoglobin.101, 102 Abb. 28: Häm-Scheibe mit besetzter 5. und 6. Koordinationsstelle103 Das Eisen(II)-Ion im fünffach koordinierten Desoxyhämoglobin liegt 0,36 bis 0,40 Å außerhalb der Porphyrin-Ringebene in Richtung zur gebundenen Imidazolgruppe 100 Abbildung aus Asselborn, W./Jäckel, M./Risch, K. T. (Hrsg.), Chemie, 1998, S. 204. Vgl. Asselborn, W./Jäckel, M./Risch, K. T. (Hrsg.), Chemie, 1998, S. 204. 102 Vgl. Stryer, L., Biochemie, 1996, S. 156. 103 Abbildung aus Asselborn, W./Jäckel, M./Risch, K. T. (Hrsg.), Chemie, 1998, S. 204. 101 65 des Histidins. Diese Seite wird die proximale Seite des Häms genannt. Wird ein Sauerstoffmolekül gebunden, öffnet sich der Schirm und das Zentralion bewegt sich in einem Bereich von 0,12 Å auf die Ebene zu. Die Seite, an der der Sauerstoff koordiniert ist und sich ein weiteres Histidin befindet, wird als distale Seite bezeichnet.104 Durch den Rückzug des Eisen(II)-Ions ins Molekülinnere kann das System zusätzlich zur Abschirmung durch das Ligandensystem und das distale Histidin gegen den Angriff anderer Lewisbasen geschützt werden.105 Die Bewegung des Eisen(II)-Ions bei der Umwandlung von Desoxyhämoglobin in Oxyhämoglobin ist reversibel und löst eine kooperative Sauerstoffbindung in den Untereinheiten des Hämoglobins aus. „Das bedeutet, dass bei der Anlagerung von vier Sauerstoffmolekülen an das Hämoglobintetramer das erste nur sehr langsam, das zweite und dritte schon wesentlich leichter und das vierte mehrere hundert Male schneller aufgenommen wird.“106 Abb. 29: Veränderung der Struktur bei der Bindung von Sauerstoff an ein Eisen(II)-porphyrin107 Die lebenswichtige Aufgabe des Hämoglobins ist die Aufnahme des eingeatmeten Sauerstoffs in der Lunge, dessen Transport im Blut und die anschließende Abgabe an das Gewebe. Außerdem transportiert Hämoglobin noch etwa 60 % des beim Stoffwechsel entstehenden Kohlenstoffdioxids zur Lunge, wo es ausgeschieden werden kann. Im Gegensatz zu Sauerstoff, das direkt an das Eisen(II)-Ion bindet, reagiert Kohlenstoffdioxid reversibel mit endständigen Aminogruppen der Globin-Ketten.108 Der Einfluss verschiedener Gase bewirkt eine Farbänderung des Blutes. So ist mit Sauerstoff beladenes arterielles Blut hellrot gefärbt, während venöses Blut eine violette Färbung zeigt. Dieser Effekt kann mit Experiment 9 gezeigt werden. 104 Vgl. Lippard, S. J./Berg, J. M., Chemie, 1995, S. 304. Vgl. Weißenhorn, R. G., Komplexbildungsreaktionen, 1992, S. 34. 106 Löffler, G./Petrides, P. E., Biochemie, 2003, S. 992. 107 Abbildung (verändert) aus Lippard, S. J./Berg, J. M., Chemie, 1995, S. 307. 108 Vgl. Falbe, J./Regitz, M. (Hrsg.), Römpp, 1995, Stichwort: Hämoglobin. 105 66 Experiment 9 Affinität verschiedener Gase zum Hämoglobin Versuchsbeschreibung Materialien: 3 Gaswaschflaschen nach Drechsel mit Aufsätzen, passende PVC-Schlauchstücke, 7 Schlauchklemmen mit Handrad, Stativmaterial, 2 Druckminderer Chemikalien: Blut (entfibrinogeniert, vom Schlachthof) Kohlenstoffdioxid (Stahlflasche) (R: As, S: 9-23) Sauerstoff (Stahlflasche) (O; R: 8, S: 17) Ethanol (F; R: 11, S: 7-16) Durchführung:109 3 Waschflaschen mit Aufsätzen werden durch passende Gummischlauchstücke verbunden und diese durch Schlauchklemmen zusätzlich befestigt. Die erste Flasche dient als Sicherheitswaschflasche, die dritte Flasche dient als Schaumfänger für eventuell übertreibendes Blut. Die zweite Waschflasche wird zu 1/3 mit Blut gefüllt. Durch Zugabe von etwa 3 mL Ethanol wird die Oberflächenspannung herabgesetzt und die Schaumentwicklung reduziert. Ist das Blut stark geklumpt, kann es über einen Trichter mit Glaswolle eingefüllt werden. Die Druckminderer werden an den Stahlflaschen befestigt und mit einem PVCSchlauch mit der ersten Waschflasche verbunden. Abwechselnd wird ein paar Minuten lang Sauerstoff, danach Kohlenstoffdioxid und erneut Sauerstoff langsam durch das Blut geleitet und die Änderung der Farbe beobachtet. Versuchsbeobachtung und Auswertung Nach dem Einleiten von Sauerstoff ist das Blut hellrot gefärbt. Desoxyhämoglobin nimmt Sauerstoff als Liganden auf und besetzt die freie sechste Koordinationsstelle. Folgendes Gleichgewicht ist formulierbar (X dient als Platzhalter für die unbesetzte Koordinationsstelle, Hämoglobin wird als Hb abgekürzt). 109 Vgl. Weißenhorn, R. G., Komplexbildungsreaktionen, 1992, S. 35f. 67 [Hb(X)](solv) + O2(g) → [Hb(O2)](solv) ← hellrot Die Reaktion „symbolisiert vereinfacht den Komplexbildungsvorgang, der beim Transport des Sauerstoffs während des Atmungsprozesses in der ersten Transportstation eingeleitet wird.“110 Die zweite Transportstation findet in den Muskelzellen statt. Dort wird der Sauerstoff an die Komplexbildungseinheit des Muskelfarbstoffs Myoglobin abgegeben, welcher eine größere Affinität für Sauerstoff besitzt als Hämoglobin.111 Im Versuch kann der Sauerstoff an kein Myoglobin abgegeben werden, jedoch ist die Affinität des Hämoglobins zum Sauerstoff pH-abhängig. Der pH-Wert wird durch das eingeleitete Kohlenstoffdioxid beeinflusst, da sich untenstehendes Gleichgewicht ausbildet. Die entstandenen Hydronium-Ionen verringern die Sauerstoffaffinität zum Hämoglobin, der gebundene Sauerstoff wird freigesetzt. H3O+(aq) + HCO3-(aq) CO2(g) + 2 H2O(l) → ← + 3O [Hb(O2)](solv) H→ [Hb(X)](solv) + O2(g) ← Gleichzeitig werden die bei der Hydrogencarbonat-Bildung freigesetzten H3O+Ionen vom Hämoglobin aufgenommen. Kohlenstoffdioxidbeladenes Blut zeigt eine rotviolette Färbung, welche besonders gut in dem entstandenen Blutschaum sichtbar ist. {H3O+ [Hb(X)] HCO3-}(solv) [Hb(X)](solv) + 2 H2O(l) + CO2(g) → ← rotviolett Im Körper diffundiert das bei der Atmung entstandene CO2 aus den Geweben zu den Kapillaren. Dort katalysiert die Carboanhydrase die Bildung zum HCO3-, die Form, in der der größte Teil des beim Stoffwechsel entstandenen Kohlenstoffdioxids transportiert wird. Durch den sinkenden pH-Wert wird Sauerstoff an das Gewebe abgegeben. Zusätzlich wird die Sauerstoffbindung zum Hämoglobin im Körper noch durch reversible Anlagerung des Kohlenstoffdioxids an die endständigen Aminogruppen der Globin-Ketten beeinflusst. Es kommt zur 110 111 Weißenhorn, R. G., Komplexbildungsreaktionen, 1992, S. 33. Vgl. Weißenhorn, R. G., Komplexbildungsreaktionen, 1992, S. 33. 68 Ausbildung von Carbamaten. Die bei dieser Reaktion entstehenden H3O+-Ionen fördern eine weitere Sauerstofffreisetzung.112 R–NH2 + CO2 + H2O → R–NH–COO- + H3O+ ← Erneutes Einleiten von Sauerstoff ins Blut zeigt, dass es sich hier um eine Gleichgewichtsreaktion handelt. Der erhöhte Sauerstoffdruck begünstigt die Freisetzung von Hydronium-Ionen und Kohlenstoffdioxid. Infolge der Bildung von Oxyhämoglobin färbt sich das Blut erneut hellrot. Im Körper wird der erhöhte Sauerstoffdruck durch den eingeatmeten Sauerstoff in der Lunge erreicht. Die protonierten Ligandenenden der Globin-Ketten werden deprotoniert, gebundenes CO2 aufgrund der anwachsenden HydroniumionenKonzentration in Freiheit gesetzt.113 Für eine erneute Aufnahme von Sauerstoff stehen jetzt wieder Hämoglobinmoleküle mit Leerstellen zur Verfügung. Der Farbwechsel des Blutes, zurückzuführen auf die Konformationsänderung durch Binden von Sauerstoff an Hämoglobin, kann mit den zugehörigen Absorptionsspektren erklärt werden. Oxyhämoglobin besitzt zwei Maxima bei etwa 545 und 580 nm, d. h. es absorbiert grünes und gelbes Licht, dessen Komplementärfarbe hellrot ist. Anders Desoxyhämoglobin, es absorbiert im Bereich um 560 nm grünes Licht und erscheint deshalb purpur (rotviolett). Abb. 30: Absorptionsspektrum des oxygenierten und desoxygenierten Hämoglobins im sichtbaren Bereich114 112 Vgl. Voet, D./Voet, J. G., Biochemie, 1992, S. 210f. Vgl. Weißenhorn, R. G., Komplexbildungsreaktionen, 1992, S. 34. 114 Abbildung aus Voet, D./Voet, J. G., Biochemie, 1992, S. 207. 113 69 Hinweise zum Unterrichtseinsatz Der Versuch kann anknüpfend an die Behandlung der Chelate oder an den Versuch “Gleichgewichtsverschiebungen bei Ligandenaustauschreaktionen“ durchgeführt werden. Dadurch, dass sich die Farbe von Hämoglobin je nach dem gebundenen Gas unterscheidet, ist es möglich jeder Reaktion den entsprechenden Vorgang der menschlichen Atmung zuzuordnen und so einen starken Alltagsbezug zu schaffen. Die Atmung wird täglich am eigenen Körper erlebt. Deshalb sind Verbindungen zur Biologie im Themenbereich “Stoffwechsel beim Menschen“ leicht herstellbar. Mit einem anschließenden Unterrichtsgespräch zur Wirkung von Blutgiften kann eine Verbindung zum Themenbereich Stabilität von Komplexen hergestellt werden. Ein Beispiel ist Kohlenstoffmonoxid, das z. B. bei Hausbränden entsteht und den Disauerstoff als Ligand durch die 200-fach höhere Bindungsaffinität verdrängen kann, worauf die toxische Wirkung des Gases beruht. Fallen 60 bis 70 % des Hämoglobins infolge Bindung von Kohlenstoffmonoxid aus, tritt beim Menschen der Tod ein, da durch Sauerstoffmangel eine Erstickung des Gewebes eintritt.115 Die Beatmung mit reinem Sauerstoff in schweren Vergiftungsfällen beruht ebenfalls auf einer Gleichgewichtsreaktion, eine praktische Anwendung des Prinzips von Le Chatelier und Braun. 6.1.2 Chlorophyll Theoretische Grundlagen Das Grün der Pflanzen ist die in der Natur am häufigsten auftretende Farbe. Verantwortlich dafür ist das Chlorophyll (chloros (griech.) ≙ ≙ grün; phyllon (griech.) Blatt), der grüne Blattfarbstoff. Dieser befindet sich in den Chloroplasten der Pflanzen, genauer in dem Thylakoidmembransystem dieser Organellen. In diesem Membransystem findet die Photosynthese, der Prozess, bei dem Sonnenenergie in Form von Licht in stabile chemische Energie umgewandelt wird, statt. Vereinfacht lautet die Grundgleichung der Photosynthese: Licht 6 H2O + 6 CO2 → C6H12O6 + 6 O2. 115 Vgl. Falbe, J./Regitz, M. (Hrsg.), Römpp, 1995, Stichwort: Hämoglobin. 70 Kohlenstoffdioxid und Wasser werden mit Hilfe von Lichtenergie umgewandelt in den Energieträger Glucose und das Abfallprodukt Sauerstoff. Chlorophylle sind für diesen Prozess unerlässlich, im ersten Schritt der Photosynthese absorbieren sie Licht. Die dadurch bewirkte Elektronenanregung116 wird benutzt um in weiteren Schritten die obigen Reaktionsprodukte zu synthetisieren. Um zu verstehen warum Chlorophyll in der Lage ist Lichtenergie aufzunehmen, muss die Struktur genauer betrachtet werden. Chemisch ist Chlorophyll ein Metallkomplex mit einem Magnesium-Ion als Zentralteichen. Das Ligandensystem ist dem der Häm-Scheibe des Hämoglobins sehr ähnlich. Auch beim Chlorophyll handelt es sich um einen vierzähnigen Porphyrin-Liganden, der das Zentralteilchen über die freien Elektronenpaare der Stickstoffatome koordiniert. „Ein ... charakteristisches Merkmal des Chlorophylls ist das Phytol, ein sehr hydrophober Alkohol mit 20 Kohlenstoffatomen, der über eine Esterbindung an eine saure Seitengruppe des Chlorophylls gebunden ist.“117 Chlorophyll ist kein einheitlicher Stoff, sondern tritt in verschiedenen Formen auf. Die häufigsten sind Chlorophyll a und Chlorophyll b, die sich nur durch einen Substituenten unterscheiden. Im Blattgrün findet man Chlorophyll a etwa dreimal häufiger als b. Abb. 31: Strukturformeln der Chlorophylle a und b118 116 Vgl. Stryer, L., Biochemie, 1996, S. 687. Stryer, L., Biochemie, 1996, S. 689f. 118 Abbildung aus Stryer, L., Biochemie, 1996, S. 690. 117 71 Der Porphyrinring enthält ein Netzwerk von alternierenden Einfach- und Doppelbindungen, weshalb die Chlorophylle sehr wirksam Licht absorbieren können. Sehr starke Absorptionsbanden besitzen sie im sichtbaren Bereich des Spektrums, wobei sich die Absorptionsspektren von Chlorophyll a und Chlorophyll b unterscheiden. Damit ergänzen sich die beiden Chlorophyllarten bei der Aufnahme des Lichtes. Die molaren Extinktionskoeffizienten gehören zu den höchsten, die bei organischen Verbindungen gemessen wurden.119 Abb. 32: Absorptionsspektren der Chlorophylle a und b120 Nur etwa 2 % der Chlorophyllmoleküle werden aus ökonomischen Gründen für die Lichtabsorption verwendet, der Rest dient der so genannten Lichtsammlung. Darunter versteht man die Weitergabe der aufgenommenen Energie in Form angeregter Zustände von einem Chlorophyllmolekül auf ein anderes, bis ein Reaktionszentrum erreicht wird. Im Reaktionszentrum wird die gesammelte Energie dann zur Ladungstrennung verwendet. Ein weit gehend verlustfreier und räumlich gerichteter Transport wird durch eine spezielle Anordnung der Chlorophyllmoleküle erreicht.121 „Die Rolle des Magnesium-Ions in Chlorophyllen besteht demnach darin, als leichtes, redox-inertes und Lewis-acides [d. h. Elektronenpaar-akzeptierenden] Koordinationszentrum eine definierte dreidimensionale Organisation in Lichtsammelsystemen und Reaktionszentren zu ermöglichen; ... Redoxaktive Übergangsmetalle oder schwere Metallzentren ... 119 Vgl. Stryer, L., Biochemie, 1996, S. 690. Abbildung aus Stryer, L., Biochemie, 1996, S. 690. 121 Vgl. Kaim, W./Schwederski, B., Chemie, 1995, S. 61. 120 72 würden ... unerwünschte Reaktionsalternativen erlauben, weshalb nur das von der Größe und Ladung genau passende Mg2+-Ion Verwendung findet.“122 Durch einen Austausch von Magnesium-Ionen gegen beispielsweise Kupfer(II)Ionen würde im Chlorophyll ein Übergangsmetall komplexiert werden, das sich an Redoxreaktionen beteiligen könnte. Die Elektronenübertragung würde nicht mehr intermolekular, sondern intramolekular erfolgen, d. h. das Cu-enthaltende Chlorophyll könnte Elektronen aufnehmen und abgeben und würde so zu einer Verhinderung der angestrebten Photosynthese führen. Der Grund, worauf die Giftigkeit der Schwermetalle auf manchen Pflanzen beruht. Solch ein Austausch der Magnesium-Ionen gegen Kupfer(II)-Ionen ist leicht möglich und soll im Versuch 10 gezeigt werden. Experiment 10 Chlorophyll als komplexierender Ionenaustauscher Versuchsbeschreibung Materialien: 2 Bechergläser (300 mL), 2 Magnetrührer, Pinzette, 1 Blatt weißes Papier, 2 Reagenzgläser, Reagenzglasständer, Gummistopfen, Spatel, Trichter (klein), Filterpapier, 2 Pasteurpipetten mit Pipettierhilfen Chemikalien: Bohnen (frisch oder tiefgefroren) Kupfer(II)-sulfat-Pentahydrat (Xn, N; R: 22-36/38-50/53, S: 22-60-61) Natriumsulfit Kaliumthiocyanat (Xn; R: 20/21/22-32, S: 13) Natriumhydroxid (C; R: 34-35, S: 26-36/37/39-45) Titangelb Ethanol (F; R: 11, S: 7-16) 122 Kaim, W./Schwederski, B., Chemie, 1995, S. 71. 73 Anzusetzende Lösungen: Kupfer(II)-sulfatlösung (c = 0,1 mol/L) Natronlauge (c = 1 mol/L) Titangelblösung (0,1 g Titangelb in 100 mL Ethanol lösen) Durchführung: In das erste Becherglas werden 150 mL Kupfer(II)-sulfatlösung, in das zweite die gleiche Menge an entionisiertem Wasser gefüllt. In beide Lösungen werden jeweils fünf grüne Bohnen gegeben. Der Inhalt der Bechergläser wird ca. 20 Minuten auf der Heizplatte des Magnetrührers gekocht. Danach werden die Bohnen mit einer Pinzette aus der Lösung genommen, mit Wasser abgespült, trocken getupft und die Farben vor einem weißen Blatt Papier verglichen.123 Der Ionenaustausch wird durch einen Mg2+-Nachweis als Titangelb-Farblack bestätigt, d. h. es sind zunächst die Kupfer(II)-Ionen aus der Lösung auszufällen. Dazu wird ein Teil der Kupfer(II)-sulfatlösung in der die Bohnen gekocht wurden, wird in ein Reagenzglas gegeben und nacheinander eine Spatelspitze von Natriumsulfit und Kaliumthiocyanat hinzugegeben. Der entstandene weiße Niederschlag wird abfiltriert, indem man die Lösung durch einen kleinen Trichter mit Filterpapier in ein zweites Reagenzglas tropfen lässt. Die Vollständigkeit der Fällung wird durch eine Wiederholung des Vorganges überprüft. Fällt weiterhin ein Niederschlag aus, so ist erneut zu filtrieren und der Vorgang fortzusetzen bis der Überstand keine Kupfer(II)-Ionen mehr enthält. Da es sich in der Regel um sehr geringe Konzentrationen handelt, ist meist die Fällung schon nach der ersten Zugabe vollständig. Der Mg2+-Ionen-Nachweis wird mit der filtrierten Lösung durchgeführt. Ein paar Tropfen Titangelblösung werden der Lösung zugesetzt und danach Natronlauge bis zur alkalischen Reaktion zugegeben. Eine Rotfärbung zeigt Mg2+-Ionen an. Versuchsbeobachtung und Auswertung Die Farben der Bohnen unterscheiden sich. Die nur in entionisiertem Wasser gekochten zeigen eine olivgrüne Farbe, während die in der Kupfer(II)-sulfatlösung 123 Vgl. Blume, R./Wiechoczek, D., Versuch, 2000. 74 gekochten intensiv grün gefärbt sind. Werden letztere mit der Farbe ungekochter Bohnen verglichen, ist sogar eine Farbintensivierung feststellbar. Der Grund der unterschiedlichen Färbung liegt darin, dass die in der Kupfer(II)sulfatlösung enthaltenen Kupfer(II)-Ionen mit dem Chlorophyll der Bohnen reagieren. Es findet eine Umkomplexierung statt, bei der die komplex gebundenen Magnesium-Ionen im Chlorophyll gegen Kupfer(II)-Ionen ausgetauscht werden. Der entstandene Kupfer(II)-Chelatkomplex (Chlorophyllin) ist offenbar stabiler als sein Analogon mit Magnesium-Ionen als Zentralteilchen. Chlorophyllin ist intensiv grün gefärbt und in der Lebensmittelindustrie als Farbstoff zugelassen.124 R CH2 CH CH2 CH3 H3C N N N CH3 Cu H H3C C O C CH2 O N N H CH2 N N _ Mg2+ H3C H CH2 CH3 H3C + Cu2+ Mg N R CH2 CH O OCH3 CH3 H H CH2 H CH2 C O C O O OCH3 O O R R Chlorophyll Chlorophyllin Abb. 33: Reaktion von Chlorophyll mit Kupfer(II)-Ionen zum Chlorophyllin (Reste R wie Abb. 31) Durch den Ionenaustausch liegen die Magnesium-Ionen aquatisiert in Lösung vor und können nach Abtrennung der noch in der Lösung vorhandenen Kupfer(II)Ionen nachgewiesen werden. Die Abtrennung erfolgt durch Zugabe von Natriumsulfit und führt zu einer Reduktion der Kupfer(II)-Ionen zu Kupfer(I)-Ionen, die mit Thiocyanat-Ionen einen weißen Niederschlag bilden. 124 Vgl. Blume, R./Wiechoczek, D., Ionenaustausch, 2000. 75 +II +IV +I +VI 2 Cu2+(aq) + SO32-(aq) + 3 H2O(l) → 2 Cu+(aq) + SO42-(aq) + 2 H3O+(aq) ← Cu+(aq) + SCN-(aq) → CuSCN(s) weißer Niederschlag Der Nachweis erfolgt mit Titangelblösung, mit der Magnesium-Ionen im alkalischen Milieu einen roten Farblack bilden. „Die Struktur der entsprechenden Metallverbindung steht noch nicht eindeutig fest, doch dürften auch hier zumindest in gewissem Umfang Komplexverbindungen vorliegen.“125 Allgemein wird aber von einer oktaedrischen Koordination des Mg2+-Ions ausgegangen. SO3Na H SO3Na N N N N S N CH3 S H3C Abb. 34: Struktur von Titangelb Hinweise zum Unterrichtseinsatz Bei der Behandlung des Themas Farbstoffe, das z. B. im Anschluss an die Komplexchemie durchgeführt werden kann, wird Chlorophyll oft als Farbstoff aus der Natur vorgestellt. Die Ursache der Farbigkeit dieses Moleküls steht im Zusammenhang mit dem Aufbau der Verbindung. Hier kann die Komplexchemie einen sehr guten Bezug darstellen. Auch bei der Behandlung von Analysemethoden wird die chromatographische Auftrennung der Blattfarbstoffe oft als Schülerversuch durchgeführt. Warum die aufgetrennten Verbindungen unterschiedliche Wanderungsgeschwindigkeiten aufweisen, kann nur durch die Struktur geklärt werden. 125 Jander, G./Blasius, E., Chemie, 2002, S. 612. 76 6.1.3 Urease Theoretische Grundlagen Das Metallenzym Urease findet man in verschiedenen Bakterien, in höheren Pflanzen und in wirbellosen Tieren. Hauptaufgabe ist die schnelle und effiziente Zerlegung des Harnstoffs, ein gängiges Stoffwechselprodukt, in Ammoniak und Kohlenstoffdioxid. Bei Abwesenheit von Urease ist Harnstoff ein sehr stabiles Molekül, welches auch nach Jahren nur sehr geringe Mengen an Ammoniak freisetzt. Durch die in Bodenorganismen vorhandene Urease wird die Umsetzung von Harnstoffdünger in Ammoniak ermöglicht, ein von Pflanzen assimilierbares Produkt. Weitere Verwendung findet Urease in der Medizin, z. B. zur quantitativen Bestimmung von Harnstoff im Blut.126 Urease war das erste Enzym, das in reiner, kristalliner Form hergestellt werden konnte. Dies gelang 1926 dem Amerikaner James B. Sumner, der das Enzym aus den Samen der Schwertbohne (Canavalia ensiformis) isolierte und für diese Leistung 1946 den Nobelpreis erhielt.127, 128 Abb. 35: Urease-Kristalle (Vergrößerung: 1300)129 Erst ungefähr 50 Jahre später wurde festgestellt, dass die Urease zwei NickelIonen enthält, an denen die eigentliche Chemie des Enzyms stattfindet.130 Um also die Arbeitsweise der Urease verstehen zu können, musste die Struktur vollständig aufgeklärt und die anorganische Komplexchemie zur Hilfe genommen werden. 126 Vgl. Falbe, J./Regitz, M. (Hrsg.), Römpp, 1995, Stichwort: Urease. Vgl. Blume, R./Wiechoczek, D., Urease, 2001 128 Vgl. Kaim, W./Schwederski, B., Chemie, 1995, S. 180. 129 Abbildung aus Blume, R./Wiechoczek, D., Urease, 2001. 130 Vgl. Kaim, W./Schwederski, B., Chemie, 1995, S. 180. 127 77 Durch Röntgenstrukturanalyse gelang es Evelyn Jabri et al. die Struktur des Moleküls aufzuklären. In dem Metalloprotein verbinden sich 840 Aminosäurekomponenten „zu einem riesigen Fadenmolekül, das sich in ganz einmaliger Weise verknäult. Dabei entsteht eine Bindungsstelle für zwei Nickelionen.“131 ◦ 840 Aminosäurekomponenten ◦ Molgewicht: 90770 ◦ Ni-Gehalt: 0,13 % Abb. 36: Modell der Urease132 Die Nickel(II)-Ionen binden drei verschiedene Aminosäurekomponenten, die zusammen die katalytisch aktive Stelle im Enzym bilden. Die zugehörigen Aminosäuren sind in Abbildung 37 dargestellt. Histidin (His) Asparaginsäure (Asp) _ COO + H3N C H Lysin (Lys) _ + H3N CH2 COOH N HC _ COO C H COO + H3N C CH2 CH2 C CH2 CH N H H CH2 CH2 NH2 Abb. 37: Strukturen der Aminosäuren Asparaginsäure, Histidin und Lysin Die zwei Metall-Ionen sind 3,5 Å voneinander entfernt und bilden unterschiedliche Komplexe aus. Ein Nickel(II)-Ion (Ni-1) ist koordiniert von drei Liganden, dabei 131 132 Wieghardt, K. E., Elixiere, 2003, S. 48. Abbildung (verändert) aus Wieghardt, K. E., Elixiere, 2003, S. 48. 78 werden zwei Moleküle Histidin jeweils über ein Stickstoffatom und ein Molekül Lysin über ein Sauerstoffatom der Carboxylgruppe koordiniert. Das zweite Nickel(II)-Ion (Ni-2) bindet fünf Liganden, zwei Histidinmoleküle über Stickstoffatome, Asparaginsäure über ein Sauerstoffatom, Lysin über das zweite Sauerstoffatom der Carboxylgruppe und Wasser. Das Koordinationspolyeder von Ni-1 kann als pseudotetraedrisch beschrieben werden unter Bindung eines freien Elektronenpaars des Wassermoleküls. Die Geometrie von Ni-2 ist verzerrt trigonal bipyramidal oder quadratisch pyramidal.133 Abb. 38: Katalytisch aktive Stelle im Enzym (es sind nur die beteiligten Aminosäurekomponenten dargestellt)134 Die Urease besitzt neben der hohen spezifischen Aktivität (1 g spaltet bei 20 °C innerhalb einer Minute fast 60 g Harnstoff) auch eine sehr große Spezifität, d. h. dem Harnstoff sehr ähnliche Verbindungen wie z. B. Thioharnstoff werden von der Urease nicht umgesetzt.135 Auch synthetisierte Modellkomplexe der Urease mit einem zweikernigen Nickelzentrum binden zwar sehr gut Harnstoff über den Sauerstoff an die beiden Metall-Ionen, spalten ihn aber nicht.136 Die stark ausgeprägte Substratspezifität ist auch bei der Hemmung durch Schwermetall-Ionen zu beobachten. Während Blei-Ionen kaum in der Lage sind die Aktivität herabzusetzen, reichen schon sehr geringe Mengen Kupfer(II)- oder Silber-Ionen aus, um durch Komplexbildung das Enzym so zu verändern, dass die Aktivität gehemmt ist. Dies wird im Versuch anschaulich dargestellt. 133 Vgl. Jabri, E./Carr, M. B./Hausinger, R. P./Karplus, A. P., Structure, 1995, S. 1001. Abbildung (verändert) aus Wieghardt, K. E., Elixiere, 2003, S. 48. 135 Vgl. Falbe, J./Regitz, M. (Hrsg.), 1995, Stichwort: Urease. 136 Vgl. Wieghardt, K. E., Elixiere, 2003, S. 48. 134 79 Experiment 11 Enzymblockade durch Metallkomplexierung Methode Der Versuch basiert auf der Ermittlung der Leitfähigkeit, die Schüler sollen aber Stromstärken messen. Deshalb ist folgende Erklärung vor Versuchsstart wichtig. Die spezifische Leitfähigkeit steht mit der Stromstärke in folgender Beziehung: A ⋅U l (I: Stromstärke, κ: elektrische Leitfähigkeit, A: Elektrodenquerschnitt, l: ElektrodenI =κ⋅ abstand, U: Spannung) Da Vergleichsmessungen der Leitfähigkeit für den Versuch ausreichen, wird ein Leitfähigkeitsprüfer benutzt, der im Wesentlichen aus zwei Platinelektroden mit definierter Größe und konstantem Abstand besteht, so dass der Quotient A/l, der durch die Elektrodenanordnung gegeben ist, konstant bleibt. Wird zusätzlich bei konstanter Spannung gemessen, sind die ermittelten Stromstärken den Leitfähigkeiten proportional (I ~ κ). Harnstoff liegt in wässriger Lösung undissoziiert vor, leitet den elektrischen Strom nicht. Durch Zugabe der Urease entsteht über Zwischenprodukte aus Harnstoff Ammoniumcarbonat. Dieses liegt in Lösung dissoziiert vor. Dadurch ist es möglich über die Leitfähigkeit zu beobachten, in welchem Versuchsabschnitt die Urease aktiv oder gehemmt vorliegt. Versuchsbeschreibung Materialien: Multimeter (digital), Transformator, Leitfähigkeitsprüfer, Kabel, Magnetrührer mit Rührfisch, 250 mL Becherglas, 2 Einwegspritzen (1 mL) mit Kanülen, Stativmaterial, Stoppuhr Chemikalien: Kupfer(II)-sulfat-Pentahydrat (Xn, N; R: 22-36/38-50/53, S: 22-60-61) 80 Urease (lyopholisiert) Harnstoff Anzusetzende Lösungen: Harnstofflösung (w = 1 %) Urease-Aufschwämmung (w = 1 %) Kupfer(II)-sulfatlösung (w = 1 %) Durchführung:137 Die Messgeräte werden analog der Abbildung 39 aufgebaut und in Reihe geschaltet. Von der angesetzten wässrigen Harnstofflösung werden 100 mL in ein Becherglas gegeben und mit Hilfe des Magnetrührers langsam und gleichmäßig gerührt. Der Leitfähigkeitsprüfer wird mit dem Stativmaterial befestigt und in die Harnstofflösung getaucht. Dabei sollte die Leitfähigkeitssonde gut von der Flüssigkeit bedeckt sein, aber noch ausreichend Platz zum Rührfisch haben, damit es zu keiner Beschädigung der Sonde kommt. Am Transformator wird eine Spannung von 5 V eingestellt und auf Wechselstrom geschaltet. Wechselstrom ist notwendig, damit es während der Messung nicht zu einer Elektrolyse kommt. Das Digitalmultimeter wird auf einen Messbereich von 2 mA geschaltet und die Ausgangsleitfähigkeit der Lösung ermittelt. 1 mL der Urease-Aufschwämmung wird zur Lösung gegeben und in Minutenabständen insgesamt 8 Minuten lang die Leitfähigkeit der Lösung registriert. Nach 8 Minuten wird 1 mL der Kupfer(II)sulfatlösung hinzugegeben und die Leitfähigkeit weitere 3 Minuten verfolgt. Die gemessenen Stromstärken werden in Abhängigkeit von der Zeit in einer Graphik veranschaulicht. Abb. 39: Versuchsaufbau zur Leitfähigkeitsmessung138 137 138 Vgl. Demuth, R., Versuchseinheiten, 1984, S. 71. Abbildung aus Haupt, P./Möllencamp, H., Säuren, 2003. 81 Versuchsbeobachtung und Auswertung Die Messwerte aus zwei Versuchsdurchführungen sind in Tabelle 6 zusammengetragen und in Abbildung 40 graphisch dargestellt. Stromstärke [mA] Versuch 1 Versuch 2 0,06 0,06 0,20 0,19 0,30 0,27 0,38 0,35 0,47 0,41 0,54 0,47 0,60 0,53 0,67 0,58 0,73 0,63 1,09 1,01 1,10 1,01 1,10 1,02 Zeit [min] 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 Tabelle 6: Versuchsergebnisse Experiment 11 1,2 1 mA 0,8 Versuch1 Versuch2 0,6 0,4 0,2 0 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 min Abb. 40: Graphische Darstellung der Versuchsergebnisse Der Kurvenverlauf lässt erkennen, dass die Leitfähigkeit der Lösung in den ersten 8 Minuten kontinuierlich steigt, nach Zugabe der Kupfer(II)-sulfatlösung drastisch ansteigt und dann einen konstanten Wert annimmt. Verantwortlich für den Kurvenverlauf in den ersten 8 Minuten ist die Spaltung des Harnstoffs durch das Enzym Urease. Über Zwischenschritte entsteht Ammoniumcarbonat, welches auf 82 Grund seiner Dissoziation in wässriger Lösung das kontinuierliche Steigen der Leitfähigkeit bewirkt. Folgende Reaktionsgleichungen liegen zu Grunde. H2N-CO-NH2(solv) + H2O(l) Urease → NH3(aq) + H2N-CO-OH(aq) Harnstoff Carbamidsäure Carbamidsäure ist relativ instabil und zerfällt sofort in ein weiteres Ammoniakmolekül und Kohlenstoffdioxid. H2N-CO-OH(aq) spontan → CO2(aq) + NH3(aq) Aus den entstandenen Reaktionsprodukten entsteht in wässriger Lösung Ammoniumcarbonat, welches in Wasser fast vollständig dissoziiert ist. → 2 NH4+(aq) + CO32-(aq) 2 NH3(aq) + CO2(aq) + H2O(l) Ammoniumcarbonat Die durch Urease katalysierte Reaktion ist um den Faktor 1014 schneller als die unkatalysierte. Diese hohe spezifische Aktivität ist durch eine Änderung des Reaktionsmechanismus erklärbar. Unter dem Einfluss des Enzyms läuft die oben beschriebene Hydrolysereaktion mit Carbamidsäure als Zwischenprodukt ab, während bei der unkatalysierten Reaktion eine direkte Eliminierung von Ammoniak stattfindet.139 Ein möglicher Mechanismus des katalysierten Abbaus von Harnstoff durch Urease ist der von Robert L. Blakeley und Burt Zerner vorgeschlagene, welcher im Einklang mit Modellstudien und experimentellen Daten steht. 139 Vgl. Kaim, W./Schwederski, B., Chemie, 1995, S. 180. 83 Abb. 41: Reaktionsmechanismus der katalysierten Umsetzung von Harnstoff durch Urease140 Der nucleophile Angriff einer Nickel(II)-hydroxo-Spezies am polarisierten Carbonylkohlenstoff und der elektrophile Angriff eines Nickel(II)-Zentrums am Carbonylsauerstoff eines Harnstoffmoleküls machen im Wesentlichen die Reaktion aus.141 Wird der Kurvenverlauf nach der achten Minute betrachtet, ist ein sprunghaftes Ansteigen der Leitfähigkeit beobachtbar. Dies resultiert aus der Zugabe der Kupfer(II)-sulfatlösung, die fast vollständig dissoziiert in Kupfer(II)- und SulfatIonen vorliegt. Der dann erreichte Wert für die Leitfähigkeit bleibt im weiteren Kurvenverlauf konstant. Daraus lässt sich schließen, dass nach Zugabe der Kupfer(II)-sulfatlösung kein weiterer Harnstoff mehr gespalten werden kann. Die katalytische Aktivität der Urease ist gehemmt. Die Hemmung ist auf die Veränderung der freien SH-Gruppe der Aminosäure Cystein zurückzuführen. Cystein befindet sich in unmittelbarer Nähe zum aktiven Zentrum und obwohl sie nicht direkt an eines der Nickel(II)-Ionen gebunden ist, spielt sie trotzdem eine entscheidende Rolle im enzymatischen Prozess. Es wird angenommen, dass ein freies Elektronenpaar des Schwefelatoms in der SHGruppe komplex an ein Kupfer(II)-Ion koordiniert. Der Urease werden die freien 140 141 Abbildung aus Kaim, W./Schwederski, B., Chemie, 1995, S. 181. Vgl. Kaim, W./Schwederski, B., Chemie, 1995, S. 181. 84 SH-Gruppen entzogen, die für den Ablauf der katalytischen Reaktion entscheidend sind.142, 143 Cystein (Cys) _ COO + H3N C H H2C SH Abb. 42: Struktur von Cystein Hinweise zum Unterrichtseinsatz Der Aufbau der Urease und die daran stattfindenden Reaktionen können nur verstanden werden, wenn die Themenbereiche Aminosäuren, Peptide und Proteine schon Unterrichtsgegenstand waren. Deshalb ist die Durchführung des Versuches nur nach deren Behandlung sinnvoll und kann im Rahmen der Komplexchemie helfen, Kenntnisse zu wiederholen und eine Verbindung zu dem neu Erlernten herzustellen. Auch bietet dieser Versuch viele Möglichkeiten fächerübergreifend zu agieren. Im Fach Biologie kann z. B. das Thema “Stoffwechsel“, in dem die “Wirkweise der Enzyme“ Unterrichtsgegenstand ist, gut in die Chemie eingebunden werden. 6.2 Komplexe in der Analytik Komplexreaktionen spielen im Bereich der chemischen Analytik sowohl in der qualitativen als auch in der quantitativen Analyse eine wichtige Rolle. Eine breite Anwendung findet dabei die Komplexometrie zur quantitativen Bestimmung von Metall-Ionen durch Titration (Kapitel 6.2.1). Aber auch im Bereich der qualitativen Analyse sind viele spezifische Nachweisreaktionen Komplexbildungsreaktionen (Kapitel 6.2.2). In beiden Gebieten haben Chelatliganden größte Bedeutung erlangt. 142 143 Vgl. Demuth, R., Versuchseinheiten, 1984, S. 72. Vgl. Jabri, E./Carr, M. B./Hausinger, R. P./Karplus, A. P., Structure, 1995, S. 1001f. 85 6.2.1 Komplexometrie Die Komplexometrie oder Chelatometrie ist ein klassisches maßanalytisches Verfahren, dass 1945 von Gerold Karl Schwarzenbach entwickelt wurde. Das Prinzip beruht darauf, dass Metallkationen mit dem zugesetzten Liganden einen stabilen stöchiometrischen Komplex bilden. Die Menge des zugesetzten Liganden gibt Aufschluss über die vorliegende Menge an Metallkationen.144 Zu den am häufigsten angewandten so genannten Komplexonen zählt die Etylendiamintetraessigsäure (H4edta), die in der besser löslichen Form des Dinatriumsalzes (H2Na2edta) eingesetzt wird. Dieser Komplexligand „bildet mit Metallionen beliebiger Wertigkeit (z > 1) sechsfach koordinierte 1:1-Komplexe mit fünfgliedrigen Chelatringen. Die Komplexe sind wasserlöslich und nicht oder nur wenig“145 farbig. Dabei ist das Metallkation oktaedrisch von vier Sauerstoff-atomen und zwei Stickstoffatomen umgeben. Die Struktur zeigt Abbildung 43. Abb.: 43 Struktur des [M(edta)]-4-n-Komplexes (Mn+ = Metallkation)146 Das Komplexon H2Na2edta ist auch geeignet Metallkationen zu binden, die weniger zur Komplexbildung neigen, wie z. B. Mg2+ oder Ca2+. Aus diesem Grund eignet es sich besonders gut zur Härtebestimmung von Wasser. Eine titrimetrische Bestimmung der Härte von Leitungswasser wird in Experiment 12 durchgeführt. 144 Vgl. Kunze, U. R./Schwedt, G., Analyse, 2002, S. 172, 174. Kunze, U. R./Schwedt, G., Analyse, 2002, S. 176. 146 Abbildung aus Asselborn, W./Jäckel, M./Risch, K. T. (Hrsg.), Chemie, 1998, S. 209. 145 86 Die Endpunktbestimmung solcher Titrationen erfolgt ebenfalls mit Komplexbildnern, deren Komplexbildungskonstante kleiner sein muss als die des Titranten. „Zu Beginn der Titration reagiert der Indikator mit der äquivalenten Menge Metallionen unter Bildung des Metall-Indikator-Komplexes, der die Farbe der Lösung bestimmt. Das Komplexon setzt sich zunächst mit den freien Metallionen um und entzieht gegen Ende der Titration auch dem schwächeren Indikatorkomplex das Metall.“147 Der Umschlagspunkt wird durch die Farbe des “freien“ Indikators bestimmt. Ein geeigneter Indikator für die Härtebestimmung von Wasser ist die dreiwertige Säure Eriochromschwarz T , die in Form ihres Natriumsalzes eingesetzt wird. Experiment 12 Komplexometrische Bestimmung der Gesamtwasserhärte Methode Die Bestimmung beruht darauf, dass die für die Gesamthärte im Leitungswasser verantwortlichen Calcium- und Magnesium-Ionen mit dem Natriumsalz des zugegebenen Indikators Eriochromschwarz T einen roten Komplex bilden. Durch schrittweise Zugabe des Komplexons wird der stabilere EtylendiamintetraacetatMetall-Komplex gebildet und die blaue Farbe des “freien“ Indikators tritt auf, was dem Endpunkt der Titration entspricht. Aus dem Verbrauch an edta-Lösung lässt sich auf die Menge der im Wasser enthaltenen Calcium- und Magnesium-Ionen schließen. Der Umschlagsbereich des Metallindikators ist pH-abhängig. Deshalb werden zur Bestimmung so genannte Puffertabletten eingesetzt. Diese stellen einen Mischindikator mit Pufferwirkung auf der Basis von Eriochromschwarz T und Methylorange (bei pH = 10 gelb) dar. Der Endpunkt der Titration wird also durch die Mischfarbe grün angezeigt. 147 Kunze, U. R./Schwedt, G., Analyse, 2002, S. 183. 87 Versuchsbeschreibung Materialien: Weithals-Erlenmeyerkolben (300 mL), Magnetrührer mit Rührfisch, Pasteurpipette mit Pipettierhilfe, Vollpipette (100 mL), Messpipette (10 mL), Trichter (klein), Bürette (50 mL), Bürettenklammer, Stativmaterial Chemikalien: Leitungswasser Salzsäure (w = 37 %) (C; R: 34-37, S: 26-36/37/39-45) Ammoniaklösung (w = 25 %) (C, N; R: 34-50, S: 26-36/37/39-45-61) Ethylendiamintetraessigsäure-Dinatriumsalz-Dihydrat (Titriplex III) Indikator-Puffertabletten zur Bestimmung der Wasserhärte mit Titriplex-Lösungen (Xn; R: 22-36-42/43, S: 22-24-37-45) Anzusetzende Lösungen: Salzsäure (c = 2 mol/L) Natriumetylendiamintetraacetatlösung (c = 0,01 mol/L) Durchführung: Mit einer Vollpipette werden 100 mL des zu untersuchenden Leitungswassers in einen Erlenmeyerkolben gegeben und mit 2 - 3 Tropfen der verdünnten Salzsäure versetzt. Danach wird eine Indikatorpuffertablette und 10 mL konzentrierte Ammoniaklösung hinzugefügt. Die Lösung wird mit der Na2H2edta-Lösung von rot über grau nach grün titriert. Versuchsbeobachtung und Auswertung Der ermittelte durchschnittliche Verbrauch an edta-Lösung (c = 0,01 mol/L) bei der Titration von Marburger Leitungswasser beträgt 14,9 mL. Das entspricht einer Gesamtwasserhärte von 8,34 °dH die wie folgt berechnet wurde: n(Na2H2edta-Lösung) = c(Na2H2edta-Lösung) . V(Na2H2edta) = 0,01 mol/L . 0,0149 L = 0,000149 mol ≙ 0,149 mmol 88 0,149 mmol Na2H2edta-Lösung entspricht in einer 100 mL Wasserprobe 0,149 mmol Erdalkaliionen (1:1-Komplex) bzw. 1,49 mmol in 1 L Lösung. 1 mmol/L Erdalkali-Ionen stehen 5,6 °dH (deutsche Härte) gleich. Es ergibt sich: 5,6 . 1,49 = 8,34 °dH. Der Bestimmung liegen folgende Reaktionsgleichungen zu Grunde. Dabei wird das Natriumsalz des Indikators Eriochromschwarz T durch NaH2Ind symbolisiert, dass bei der Titration im ammoniakalischen Medium in der Form HInd2- vorliegt. Indikatorreaktion: M2+ = Mg2+ oder Ca2+ [M(Ind)2]4-(aq) + 2 H3O+(aq) M2+(aq) + 2 HInd2-(aq) + 2 H2O(l) → ← blau rot Der Indikator wirkt dabei als dreizähniger Ligand, der über die zwei Sauerstoffatome und ein Stickstoffatom (in Abbildung 44 rot gekennzeichnet) zu einem oktaedrischen Komplex koordiniert. Dabei wird ein fünf- und ein sechsgliedriger Ring ausgebildet. HO OH SO3- Na + N N NO2 Abb. 44: Struktur des Natriumsalzes von Eriochromschwarz T (NaH2Ind) Titration: M2+(aq) + H2edta2-(aq) + 2 H2O(l) → [M(edta)]2-(aq) + 2 H3O+(aq) ← [M(edta)]2-(aq) + 2 HInd2-(aq) [M(Ind)2]4-(aq) + H2edta2-(aq) + H2O(l) → ← rot farblos blau Die Struktur des gebildeten oktaedrischen [M(edta)]2--Komplex wurde bereits in Abbildung 43 veranschaulicht. 89 Hinweise zum Unterrichtseinsatz An diesen Versuch anschließend ist eine Behandlung der Zusammensetzung und Wirkungsweise von Waschmitteln, Geschirrspülmitteln oder Entkalkern gut denkbar, da für die Wasserenthärtung im Alltag oft Chelatliganden eingesetzt werden, die zu löslichen Komplexen koordinieren. Z. B. verhindert der Komplexbildner Pentanatriumtriphosphat (Na5P3O10) in Geschirrspülmitteln Kalkablagerungen an Spülmaschinenbauteilen und am Spülgut. Zusätzlich „tragen [die Komplexbildner] zur Gesamtreinigungsleistung bei, indem sie Schmutzreste in der Spülflotte dispergieren und die Entfernung hartnäckiger Teereste unterstützen.“148 „Diesen Vorteilen steht entgegen, daß bereits eine Phosphat-Konzentration von > 0,5 mg/l ... zu einer Eutrophierung ... führt, was eine empfindliche Störung des ökologischen Gleichgewichts ... verursacht.“149 Ein Bezug zur Umweltchemie ist an dieser Stelle also auch möglich. Da bei der Titration der Farbumschlag von rot nach grün erfolgt, ist bei der Gruppeneinteilung darauf zu achten, dass Schüler mit einer rot-grün- Farbschwäche mit Schülern zusammen arbeiten, denen die Farberkennung keine Schwierigkeiten bereitet. 6.2.2 Qualitative Analyse Charakteristische Farbreaktionen und die Bildung schwer löslicher Niederschläge, die mit der Komplexbildung verbunden sind, spielen in der qualitativen Analytik eine wichtige Rolle. Einige ausgewählte Nachweisreaktionen sollen deshalb hier beschrieben werden. Die dazugehörigen Reaktionsgleichungen werden in der Versuchsauswertung von Experiment 13 entwickelt. Nachweis von Eisen(II)- und Eisen(III)-Ionen: Zu einer Eisen(II)- und zu einer Eisen(III)-salzlösung wird tropfenweise Kaliumhexacyanoferrat(II)-lösung gegeben. In beiden Fällen wird ein tiefblauer Niederschlag gebildet. In der Eisen(II)-salzlösung verläuft die Reaktion zunächst über die Bildung eines weißlichen bis hellblauen Niederschlages. In der Eisen(III)salzlösung tritt die tiefblaue Farbe sofort auf. 148 149 Henkel Wasch- und Reinigungsmittel GmbH (Hrsg.), Spülmittel, 2002, S. 6. Kober, F., Komplexbildner, 1988, S. 20. 90 Zur sicheren Unterscheidung von Eisen(II)- und Eisen(III)-Ionen können die Lösungen mit Thiocyanat-Ionen versetzt werden. Mit Eisen(III)-Ionen bildet sich eine blutrote Lösung, während die Analysenlösung mit Eisen(II)-Ionen keine Reaktion zeigt. Nachweis von Nickel(II)-Ionen: Der spezifische Nickel(II)-Ionen Nachweis erfolgt mit der organischen Verbindung Dimethylglyoxim (Diacetyldioxim). Eine Lösung des Natriumsalzes bildet in ammoniakalischer Lösung mit Nickel(II)-Ionen einen himbeerroten schwerlöslichen Komplex. Nachweis von Aluminium-Ionen: Aluminium-Ionen bilden mit dem Farbstoff Alizarin S einen roten Farblack. Dazu wird die Analysenlösung zunächst mit drei Tropfen der Reagenzlösung versetzt und tropfenweise verdünnte Essigsäure bis zum Verschwinden der Eigenfarbe hinzugegeben. Eine weitere Zugabe von Essigsäure führt zur Bildung der Rotfärbung oder des roten Niederschlages, der oft erst nach kurzem Stehen lassen auftritt.150 Nachweis von Kupfer(II)-Ionen: Mit Kalium-hexacyanoferrat(II)-lösung bilden Kupfer(II)-Ionen einen braunen Niederschlag, der sich durch Zugabe von Ammoniaklösung unter Bildung einer blauen Färbung löst. Experiment 13 Qualitative Nachweisreaktionen ausgewählter Metall-Ionen Methode Eine Analyse unbekannter Metallverbindungen bzw. deren Lösungen ist auch ohne aufwendige Trennungsgänge möglich. Dazu muss in der Schule nur die Vereinfachung getroffen werden, dass in einer Lösung nur ein Metallsalz enthalten ist. Störungen durch andere Metall-Ionen können ausgeschlossen werden, so dass die Farbreaktionen eindeutig interpretiert werden können. 150 Vgl. Jander, G./Blasius, E., Chemie, 2002, S. 422. 91 Versuchsbeschreibung Materialien: Reagenzgläser, Reagenzglasständer, Pasteurpipetten mit Pipettierhilfen, Gummistopfen Chemikalien: Eisen(II)-chlorid-Tetrahydrat (Xn; R: 22-38-41, S: 26-39) Eisen(III)-chlorid-Hexahydrat (Xn; R: 22-38-41, S: 26-39) Nickel(II)-nitrat-Hexahydrat (Xn, O; R: 8-22-43, S: 24-37) Aluminiumnitrat-Nonahydrat (O, Xi; R: 8-36/38) Kupfer(II)-chlorid-Dihydrat (Xn, N; R: 22-36/38-50/53, S. 22-26-61) Kalium-hexacyanoferrat(II)-Trihydrat (R: 52/53, S: 50.1-61) Ammoniumthiocyanat (Xn; R: 20/21/22-32, S: 13) Ammoniaklösung (w = 25 %) (C, N; R: 34-50, S: 26-36/37/39-45-61) Essigsäure (w = 96 %) (C; R: 10-35, S: 23.2-26-36/37/39-45) Dinatriumbis(dimethylglyoximat)-Octahydrat Natriumalizarinsulfonat (Alizarin S) Anzusetzende Lösungen: Eisen(II)-, Eisen(III)-, Nickel(II)-, Aluminium- und Kupfer(II)-salzlösungen (verdünnt) Kalium-hexacyanoferrat(II)-lösung (c = 1 mol/L) Ammoniumthiocyanatlösung (c = 1 mol/L) Essigsäure (c = 1 mol/L) Dinatriumbis(dimethylglyoximat)lösung (0,1 mol/L) Natriumalizarinsulfonatlösung (c = 0,1 mol/L) Durchführung: Fünf nummerierte Reagenzgläser Metallsalzlösungen versetzt: 1. Reagenzglas: Eisen(II)-chloridlösung 2. Reagenzglas: Eisen(III)-chloridlösung 3. Reagenzglas: Nickel(II)-nitratlösung 4. Reagenzglas: Aluminiumchloridlösung 5. Reagenzglas: Kupfer(II)-chloridlösung. werden mit einigen Millilitern der 92 Diese, für die Schüler unbekannten Lösungen, sollen mit Hilfe der Chemikalien Kalium-hexacyanoferrat(II)-lösung, Ammoniumthiocyanatlösung, Essigsäure, Ammoniaklösung, Dinatriumbis(dimethylglyoximat)lösung und Natriumalizarinsulfonatlösung auf ihre vorhandenen Metallkationen untersucht werden. Versuchsbeobachtung und Auswertung Wird Kalium-hexacyanoferrat(II)-lösung zu den fünf Analysenlösungen gegeben, wird in drei Fällen ein farbiger Niederschlag gebildet. Zwei der Niederschläge weisen eine tiefblaue Farbe auf und lassen deshalb auf das Vorhandensein von Eisen(II)- bzw. Eisen(III)-Ionen schließen. Ein tiefblauer Niederschlag (Berliner Blau) bildet sich mit Eisen(III)-Ionen. (Zur Vereinfachung der Gleichungen wird im folgenden von Hexaaquakomplexen ausgegangen.) +III 4 [Fe(H2O)6] 3+ +II (aq) +3 [Fe(CN)6]4-(aq) +III +II → Fe4[Fe(CN)6]3(s) + 24 H2O(l) ← tiefblau Mit der Eisen(II)-salzlösung wird zunächst ein weißlicher bis hellblauer Niederschlag gebildet, der sich durch Oxidation zum Eisen(III)-Salz der Hexacyanoeisen(II)-säure an der Luft bald tiefblau färbt.151 +II 2 [Fe(H2O)6] 2+ +II (aq) + [Fe(CN)6]4-(aq) +II +II → Fe2[Fe(CN)6](s) + 12 H2O(l) ← hellblau +II +II +II 0 2 Fe2[Fe(CN)6](s) + [Fe(CN)6]4-(aq) + O2(g) + 2 H3O+(aq) hellblau +III +II -II → Fe4[Fe(CN)6]3(s) + 2 OH-(aq) + 2 H2O(l) ← tiefblau Zur sicheren Unterscheidung der Eisensalzlösungen können beide Analysenlösungen mit Thiocyanat-Ionen versetzt werden. Nur die Eisen(III)salzlösung reagiert zu einer blutroten Verbindung. [Fe(SCN)3(H2O)3](aq) + 3 H2O(l) [Fe(H2O)6]3+(aq) + 3 SCN-(aq) → ← blutrot 151 Vgl. Jander, G./Blasius, E., Chemie, 2002, S. 418. 93 Der dritte Niederschlag, der sich durch Zugabe von Kalium-hexacyanoferrat(II)lösung bildet, ist braun und weist auf Kupfer(II)-Ionen hin. Zur Bestätigung kann dieser Lösung konzentrierte Ammoniaklösung zugesetzt werden. Der Niederschlag löst sich und eine blaue Färbung tritt ein. Cu2[Fe(CN)6](s) + 12 H2O(l) 2 [Cu(H2O)6]2+(aq) + [Fe(CN)6]4-(aq) → ← braun Cu2[Fe(CN)6](s) + 8 NH3(aq) + 4 H2O(l) → 2 [Cu(H2O)2(NH3)4]2+(aq) + [Fe(CN)6]4-(aq) ← blau Die zwei noch unbekannten Analysenlösungen werden daraufhin auf Nickel(II)Ionen untersucht. Dazu wird beiden Reagenzgläsern konzentrierte Ammoniaklösung zugesetzt. Eine Lösung färbt sich blau, aus der durch Zugabe von Dinatriumbis(dimethylglyoximat)lösung ein himbeerroter Niederschlag ausfällt. Die Bildung des Chelatkomplexes Bis(dimethylglyoximato)-nickel(II) weist eindeutig auf das Vorliegen von Nickel(II)-Ionen. [Ni(NH3)6]2+(aq) + 6 H2O(l) [Ni(H2O)6]2+(aq) + 6 NH3(aq) → ← blau [Ni(NH3)6]2+(aq) + 2 Hdmg-(aq) → [Ni(Hdmg)2](s) + 6 NH3(aq) ← himbeerrot H3C O H O N N CH3 N N CH3 O H O Ni H3C Abb. 45: Planar-quadratische Struktur des Bis(dimethylglyoximato)-nickel(II) Die letzte unbekannte Lösung wird auf Aluminium-Ionen untersucht. Nach Zugabe von Alizarinlösung und Essigsäure wird nach kurzer Zeit ein roter Farblack gebildet. Die Natur des Farblacks ist bisher noch unbekannt, doch dürfte es sich 94 um eine Komplexverbindung handeln. Eine der möglichen vermuteten Strukturen des roten Farblacks ist die folgende.152 3- SO3O HO O - O O SO3 O Al O OH O O OH SO3 O Abb. 46: Oktaedrische Struktur des Farblacks, die Al3+ mit Alizarin S bilden kann153 Hinweise zum Unterrichtseinsatz Das vorgestellte Experiment kann durch weitere Metall-Ionen, bei deren Nachweisreaktionen Komplexe entstehen, ausgebaut werden. Beispiele wären die Umsetzung von Cobalt(II)-Ionen mit Thiocyanat-Ionen, die eine blaue Komplexverbindung bilden oder die Reaktion von Silber-Ionen mit Chlorid-Ionen und die anschließende Auflösung des ausgefallenen Niederschlages mit verdünnter Ammoniaklösung. 152 153 Vgl. Jander, G./Blasius, E., Chemie, 2002, S. 611. Nach Jander, G./Blasius, E., Chemie, 2002, S. 611. 95 Literaturverzeichnis und Quellenangaben Asselborn, Wolfgang/Jäckel, Manfred/Risch, Karl T. (Hrsg.) [Chemie, 1998]: Chemie heute – Sekundarbereich II, Druck A 1999, Hannover: Schroedel, 1998 Barthel, Helmut [u. a.] [Chemie, 1995]: Chemie - Allgemeine Chemie/Organische Chemie – Lehrbuch für die Sekundarstufe II Gymnasium/Gesamtschule, 1. Auflage, Berlin: Volk und Wissen, 1995 Bayrisches Kultusministerium (Hrsg.) 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