Fallstudien zum Diversity Management

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Die Fallstudienmethode verfolgt das Ziel, interessierten Studierenden die praktische Anwendbarkeit des theoretischen Wissens in einem bestimmten Handlungsfeld zu vermitteln. Sie ist in
unterschiedlichen Disziplinen der Wirtschaftswissenschaften inzwischen weit verbreitet. Lehrende greifen gerne auf dieses didaktische Instrument zurück, wenn es darum geht, vernetztes
Denken zu fördern, Entscheidungssituationen adäquat zu analysieren, pragmatisch mit unvollständigen Informationen umzugehen oder einen Sachverhalt kritisch zu würdigen.
Dieser Band stellt anhand von fünf allgemeinen und sieben speziellen Fallstudien das breite
Spektrum des Diversity Managements und seiner Schnittstellen vor. Die fiktiven Armchair Cases
wurden in verschiedenen Branchen (Automobil, Handel…), im Profit- und Non-Profit-Bereich
(Krankenhaus, Hochschule…) sowie in großen und kleineren Organisationen (Pflegedienst,
Druckerei…) angesiedelt. Sie stellen Bezüge zu aktuellen Themen wie dem Fachkräftemangel,
dem demographischen Wandel oder auch der Frauenquote her. Zwei der Fallstudien liegen in
englischer Sprache vor. Zu jedem Fall werden zwölf unterschiedlich komplexe Fragen gestellt
und mit passenden Literaturhinweisen abgerundet.
Der Band richtet sich insbesondere an Dozierende und Studierende im Bereich Diversity
Management bzw. Diversity Studies. Die Fallstudien können aber auch in der Lehre zum Internationalen Management, zum Personalmanagement oder zur Unternehmensethik eingesetzt
werden.
Schlüsselwörter:
Alter, Auslandsentsendung, Behinderung, Diversity Management,
Diversity Marketing, Frauenquote, Gerechtigkeit, Kultursensible Pflege,
Religion, Sexuelle Orientierung, Umgang mit Vielfalt in Organisationen
Die Herausgeberin des Bandes Dr. Elisabeth Göbel ist außerplanmäßige Professorin im Fach
Betriebswirtschaftslehre der Universität Trier und Expertin für Fragen der Unternehmensethik.
Die Herausgeber des Bandes Dr. Günther Vedder und Dipl.-Vw. Florian Krause arbeiten im BWLSchwerpunkt „Arbeit, Personal, Organisation“ an der gleichen Hochschule. Sie haben seit 2001
mehrere Bände der „Trierer Beiträge zum Diversity Management“ mitgestaltet.
Rainer Hampp Verlag
München, Mering
2011
€ 29.80
0631_15.indd 1
ISBN 978-3-86618-631-6 (print)
ISBN 978-3-86618-731-3 (e-book)
ISSN 1612-8419
DOI 10.1688/9783866187313
Band 12
Günther Vedder
Elisabeth Göbel
Florian Krause
(Hrsg.)
Fallstudien zum
Diversity Management
Günther Vedder, Elisabeth Göbel
Florian Krause (Hrsg.)
Fallstudien zum Diversity Management
Fallstudien zum Diversity Management
Trierer Beiträge zum Diversity Management
Rainer Hampp Verlag
11.04.2011 11:24:04 Uhr
Inhaltsverzeichnis
I
Inhaltsverzeichnis
1.
Einleitung – Hinweise zum Aufbau des Buches..................................III
Günther Vedder, Elisabeth Göbel und Florian Krause
2.
Die Grundlagen von Diversity Management........................................1
Günther Vedder
3.
Diversity Management als ethisches Konzept..................................19
Elisabeth Göbel
Allgemeine Fallstudien zum Diversity Management
4.
Diversity Management beim Automobilkonzern AIDA.........................47
Gilmar Frey
5.
Vielfalt bei der Stadtverwaltung SIGMA............................................69
Maren Nafe und Timo Welgen
6.
Umgang mit Vielfalt an der Universität UMBRA..................................91
Sevgi Gezer
7.
Managing Diversity at ALPHA AIRLINES..........................................113
Christin Deimer
8.
Diversity at HOPE HOSPITAL.........................................................131
Benedikt Noll
Diversity-Fallstudien mit Schwerpunktthemen
9.
Anonyme Bewerbungen bei der BELLA AG......................................147
Leysan Mingazova
10. Auslandsentsendungen in der AQUA AG.........................................167
Tobias Galizdörfer und Leopold Läßle
11. Rechtliche Besonderheiten im AGAPE-Verband................................187
Lena Schmädtke und Thomas Gebhardt
12. Die Frauenquote bei TONI.............................................................207
Annika Gorholt
13. Fachkräftemangel in der Offsetdruckerei OMEGA.............................227
Maria Catana und Katharina Mau
II
Fallstudien zum Diversity Management
14. Kultursensible Pflege beim Pflegedienst PARIS................................247
Viktoria Pint und Miriam Schwarz
15. Die Dimension Alter in der SIERRA GmbH.......................................263
Carolin Razen und Katrin Hahn
Diversity Management als ethisches Konzept
23
1. Vom ethischen zum ökonomischen Verständnis von DiM
Als Diversity Management (DiM) bezeichnet man den planvollen Umgang mit
Vielfalt in Organisationen. Speziell interessiert die Vielfalt in den Belegschaftsstrukturen von Unternehmen, wobei die Ähnlichkeiten und Abweichungen
zwischen Beschäftigten an allen möglichen Merkmalen festgemacht werden
können. Als Kerndimensionen gelten Geschlecht, ethnische Zugehörigkeit,
Religion, Alter, Behinderung und sexuelle Orientierung.
DiM gilt noch als ein recht neues Managementkonzept, hat aber seit seiner
ersten Verbreitung in Nordamerika in den 1980er Jahren bereits eine deutliche Entwicklung durchgemacht. Häufig werden drei unterschiedliche DiMKonzepte unterschieden, die zugleich als zeitlich hintereinander liegende Phasen dieser Entwicklung aufgefasst werden. Diese drei Ansätze sind23:
- The discrimination-and-fairness paradigm,
- the access-and-legitimacy paradigm,
- the learning-and-effectiveness paradigm.
Die drei Ansätze kann man zu zwei unterschiedlichen Sichtweisen verdichten.
Der Diskriminierungs- und Fairnessansatz gilt als Repräsentant einer ethischen Sichtweise von DiM, die beiden anderen Ansätze werden dagegen als
ökonomisch-ergebnisorientiert eingestuft.
Aus ökonomischer Sicht lautet die zentrale Frage: Welche Kosten und welchen Nutzen bringt eine vielfältige Belegschaft dem Unternehmen? Verwiesen
wird vor allem auf Vorteile der Vielfalt.24 So kann man auf Kundenbedürfnisse
gezielter eingehen, wenn Angehörige der wichtigsten Kundengruppen im Unternehmen beschäftigt werden. Aber auch der Zugang zu einem größeren Talentpool bzw. das Abwenden des drohenden Fachkräftemangels, kreativere
und innovativere Problemlösungen, mehr Austausch von Wissen und Erfahrung sowie eine höhere Motivation gelten als positive Effekte einer gemischten Belegschaft. Die zusätzlichen Kosten, die etwa durch vermehrte Konflikte
und Kommunikationsprobleme entstehen, werden auch thematisiert, aber
eher gering geschätzt. Aufgrund der Vorteilserwartungen wird empfohlen,
nicht nur die bereits vorhandene Vielfalt zu managen, sondern aktiv mehr
Vielfalt zu fördern.
Die Ethik fragt dagegen: Ist ein bestimmtes Maß an Vielfalt im Unternehmen
moralisch geboten, unabhängig von den Kosten und dem Nutzen? Ausgangs23
24
Vgl. Thomas/Ely 1996, S. 80.
Vgl. Stuber 2007.
Fallstudien zum Diversity Management
24
punkt für ein ethisch motiviertes DiM ist die Überlegung, dass in den homogenen Belegschaftsstrukturen vieler Unternehmen ein Indiz für die unfaire
Benachteiligung (Diskriminierung) bestimmter Gruppen zu sehen ist (daher
Diskriminierungs- und Fairnessansatz, im Folgenden einfach Fairnessansatz).
Dem Fairnessansatz wird einerseits eine große Bedeutung zugesprochen als
dem „klassischen“ Ansatz, mit dem die Diskussion des Themas „Diversity“
überhaupt erst begonnen habe. Auch sei er bis heute am weitesten verbreitet.25 Andererseits gilt der Fairnessansatz aber offensichtlich zugleich als unmodern und von den nachfolgenden ökonomischen Ansätzen überholt. So
meint Sepehri: „Wer Managing Diversity hauptsächlich aus moralischen Gründen definiert, vernachlässigt die eigentliche und umfassendere Betrachtungsweise, nämlich die ökonomische“.26 Und auch für Stuber besteht in der
„klaren wirtschaftlichen Orientierung von Diversity“ ein Fortschritt gegenüber
den Antidiskriminierungskonzepten.27
Diese Verschiebung von einer moralischen hin zu einer Kosten-Nutzenorientierten Wahrnehmung von Vielfalt in den Belegschaftsstrukturen wird als
Weiterentwicklung gelobt, die Fairness-Perspektive überwiegend negativ dargestellt. Von den Unternehmen, die als Vertreter dieser Perspektive gelten,
wird behauptet, sie seien oft stark hierarchisch, bürokratisch und kompliziert,
sie würden mit übertriebener Gleichmacherei ihre unterschiedlichen Mitarbeiter unter einen Assimilationsdruck setzen und sie mit Zwang und Unterdrückung überziehen.28 Eine ökonomische Perspektive führe dagegen zu offenen
und toleranten Unternehmenskulturen, in welchen sich die Mitarbeiter als Individuen frei entfalten können.29 Ist demnach eine ethische Wahrnehmung
von DiM tatsächlich überholt und vielleicht sogar kontraproduktiv für ihr eigentliches Anliegen?
Diese Frage soll im Folgenden beantwortet werden. Dazu ist zunächst zu klären, was ethisch fundiertes DiM bedeutet. Für die Diversity-Diskussion zentrale ethische Begriffe wie Gerechtigkeit, Chancengleichheit, Chancenausgleich,
Fairness, Diskriminierung, Toleranz und Wertschätzung sollen erläutert und
deren Bedeutung im Zusammenhang mit DiM dargestellt werden. Auf dieser
Grundlage soll die Kritik des Fairnessansatzes hinterfragt werden. In einem
Vergleich von ethischer und ökonomischer Perspektive sollen danach Unterschiede und Berührungspunkte der beiden Sichtweisen thematisiert werden.
25
26
27
28
29
Vgl. Sepehri 2002, S. 134f.
Sepehri 2002, S. 97.
Stuber 2004, S. 20.
Vgl. Thomas/Ely 1996, S. 81.
Vgl. Sepehri 2002, S. 149ff.
Diversity Management als ethisches Konzept
25
Abschließend wird der Bezug zu den Fallstudien hergestellt und gezeigt, an
welchen Stellen die ethische Perspektive eine besondere Rolle spielt.
2. DiM in ethischer Perspektive
2.1. Klärung ethischer Grundbegriffe
2.1.1.
Gerechtigkeit
Gerechtigkeit ist ein zentraler ethischer Begriff. Mit ihm stehen die Beziehungen der Menschen zueinander im Blick, also der Bereich des Sozialen, insofern in ihm Interessen, Ansprüche und Pflichten konkurrieren. Gerechtigkeit
ermöglicht die Kooperation von Menschen in Freiheit. Kooperation in Freiheit
ist nur möglich bei gleichzeitigen Freiheitsbeschränkungen, denn in sozialer
Perspektive ist uneingeschränkte Freiheit unmöglich, weil es immer auch konfligierende Interessen gibt. Das „Recht auf Alles“ führt zu dem schon von
Hobbes30 beklagten Zustand des Krieges eines Jeden gegen Jeden und ist also im Grunde das Recht auf Nichts. Man muss zur Ermöglichung friedlicher
Kooperation die Verteilung von Positionen, Gütern und Rechten, aber auch
Pflichten, Beschränkungen und Lasten verbindlich regeln, und zwar nicht zufällig bestehenden Machtverhältnissen entsprechend, sondern gerecht.31 Die
negative Bestimmung der Gerechtigkeit ist das Willkürverbot.
Eine nicht willkürliche, gerechte Regelung folgt bestimmten Prinzipien. Den
Kern der Gerechtigkeitsvorstellung bilden schon seit Aristoteles 32 zwei von
ihnen, nämlich „Jedem das Gleiche“ und „Jedem das Seine“ zu gewähren. Diese beiden Prinzipien widersprechen sich auf den ersten Blick, lassen
sich aber tatsächlich ineinander überführen. Ausgehend vom Kerngedanken
der Gleichheit kann man eine absolute und eine proportionale Gleichheit unterscheiden. Wenn zwei Personen A und B sich in einem für die Verteilung
wichtigen Punkt unterscheiden, dann ist es gerecht, sie unterschiedlich zu
behandeln. Aber eben nicht willkürlich, sondern entsprechend ihrer Unterschiedlichkeit, also angemessen oder proportional. „Denn wenn die Personen
nicht gleich sind, so werden sie nicht gleiche Anteile haben können, sondern
hieraus ergeben sich die Streitigkeiten und Zerwürfnisse, wenn entweder
gleiche Personen nicht-gleiche Anteile oder nicht-gleiche Personen gleiche
Anteile haben und zugeteilt erhalten.“ 33 Das bedeutet: Gleiches soll man
gleich, Ungleiches aber ungleich behandeln. „Jedem das Seine“ zu geben
30
31
32
33
Vgl. Hobbes 1996, S. 104.
Vgl. Höffe 1995, S. 895f.
Vgl. Aristoteles 1960, V/1129a-1138b.
Aristoteles 1960, V.6/1131a, 22-24.
Fallstudien zum Diversity Management
26
kann bedeuten, verschiedene Personen absolut gleich zu behandeln, aber
nur, wenn sie in den für die Verteilung wichtigen Aspekten auch gleich sind.
In allen anderen Fällen ist die ungleiche Behandlung gerecht.
Aus den Gerechtigkeitsprinzipien lassen sich konkrete Handlungsnormen nicht
deduzieren. Sie sind vielmehr Direktiven für die praktische Urteilskraft, welche je situativ entscheiden muss, was gerecht ist. 34 Insbesondere ist oft
schwer zu entscheiden, welche Unterschiede zwischen Personen dazu berechtigen, sie angemessen unterschiedlich zu behandeln. Als gerecht empfinden
wir es bspw. unterschiedliche Noten bei unterschiedlichen Schulleistungen zu
geben, Sozialhilfe nach dem Grad der Bedürftigkeit zu gewähren, Rechte
nach dem Alter zu staffeln. Dass Gerechtigkeit absolute Gleichbehandlung
bedeutet, ist eher die Ausnahme als die Regel. Selbst dem zentralen Grundsatz: „Vor dem Gesetz sind alle gleich“ folgen wir in unserer Rechtsprechung
z. B. insofern nicht, als jugendliche Straftäter bei gleichen Vergehen mildere
Strafen erhalten als ältere Straftäter oder sogar ganz straffrei ausgehen,
wenn sie noch nicht strafmündig sind. Auch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) nennt zahlreiche Gründe für eine „zulässige unterschiedliche Behandlung“, etwa wegen beruflicher Anforderungen oder wegen des
Alters.
Seit Aristoteles 35 werden zwei Grundformen der Gerechtigkeit unterschieden, nämlich die austeilende und die ausgleichende Gerechtigkeit (iustitia
distributiva und iustitia commutativa). Die iustitia distributiva bezieht
sich auf das Verhältnis eines Ganzen (oft: des Staates) zu den Einzelnen. Sie
impliziert ein vertikales Verhältnis, eine Hierarchie, zwischen einem Gebenden
und einem Empfangenden. Beispiel: Der Staat muss dem Bürger das Seine
zuteilen. Er garantiert bspw. gleiche Grundrechte für alle, gewährt das Wahlrecht nach Alter, bestimmt die Wehrpflicht nach Geschlecht, verteilt Ehrungen
nach Verdienst. Die iustitia commutativa bezieht sich dagegen auf das horizontale Verhältnis zwischen Einzelnen, auf ein Vertragsverhältnis. Gerechtigkeit heißt in diesem Fall, Ausgleich von Leistung und Gegenleistung. Man
spricht auch von der Tauschgerechtigkeit. Beide Seiten sind gleichermaßen
Gebender und Nehmender und sollen etwas Gleichwertiges tauschen. Ein
Händler verlangt etwa einen gerechten Preis für ein Gut, ein Arbeitgeber zahlt
einen gerechten Lohn für eine Leistung. Was gerecht ist, kann zwischen den
Beteiligten ausgehandelt werden.
34
35
Vgl. Höffe 2001, S. 113.
Vgl. Aristoteles 1960, V.5/1130b, 30-32.
Diversity Management als ethisches Konzept
27
Als Unterform der iustitia commutativa macht Aristoteles noch die iustitia
correctiva zum Thema, die korrigierende Gerechtigkeit. 36 Wenn ein
„Zwangstausch“ stattgefunden hat, etwa ein Diebstahl, ist die Gleichheit wieder herzustellen, bspw. durch eine Entschädigung des Bestohlenen, welche
der Dieb zu leisten hat. Über diese enge Fassung hinaus kann man aber die
iustitia correctiva auch so verstehen, dass erlittenes Unrecht wieder gut gemacht, „korrigiert“ werden soll, auch wenn die konkreten Opfer und Täter
nicht mehr existieren. Solche „Entschädigungsaufgaben“ ergeben sich etwa
aus Sklaverei, Kolonialisierung und einer jahrhundertelangen Ungleichbehandlung der Frau.37 In dieser erweiterten Fassung ist die iustitia correctvia
nicht mehr mit der Tauschgerechtigkeit gleichzusetzen, sondern stellt eine
eigene Form der Gerechtigkeit dar. Im AGG ist §5 Ausdruck des Gedankens
einer korrigierenden Gerechtigkeit, denn dort wird eine Ungleichbehandlung
erlaubt, wenn dadurch „bestehende Nachteile…verhindert oder ausgeglichen
werden sollen.“
Um die komplexe Struktur der Gerechtigkeit angemessen zu erfassen, ist eine
weitere Art der Einteilung notwendig, und zwar die in personale und institutionelle Gerechtigkeit. Als personale Gerechtigkeit bezeichnet man eine
individuelle Lebenshaltung oder Tugend. Der gerechte Mensch erfüllt die Forderungen der Gerechtigkeit freiwillig und beständig. Im institutionellen Verständnis meint Gerechtigkeit dagegen die sittliche Struktur von sozialen Institutionen, wie Staat, Wirtschaft, Rechtsprechung.38 Beide Formen der Gerechtigkeit sind wechselseitig aufeinander angewiesen. Man braucht den gerechten Menschen, welcher gerechte Institutionen schafft bzw. Ungerechtigkeit
anprangert und korrigiert, gerechte Regeln einhält und institutionelle Lücken
überbrückt. Der Mensch braucht aber auch gerechte Institutionen, welche ihn
anleiten, entlasten und überindividuelle Verbindlichkeit schaffen.
Schließlich sollte nach Rawls Verfahrensgerechtigkeit von Ergebnisgerechtigkeit unterschieden werden.39 Die Verfahrensgerechtigkeit betrachtet
Zuständigkeiten, Abläufe und Formen als Momente von Prozessen im Hinblick
auf ihre sittliche Richtigkeit. Die Ergebnisgerechtigkeit richtet den Blick dagegen auf den „Output“ dieser Verfahren. Die ganze Gerechtigkeit kann schon
im Verfahren selbst liegen, wenn es kein verfahrensunabhängiges Maß für ein
gerechtes Ergebnis gibt. Eine solche „reine Verfahrensgerechtigkeit“ liegt
bspw. vor beim Ziehen eines Loses im Glücksspiel. Gibt es dagegen ein unabhängiges Maß für ein gerechtes Ergebnis, dann ist das Verfahren nur ein Mit36
37
38
39
Vgl.
Vgl.
Vgl.
Vgl.
Aristoteles 1960, V.5/1131a, 2f.
Höffe 2001, S. 88.
Höffe 1995, S. 895f.
Rawls 1979, S. 106f.
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