PM_4/2004 17.01.2005 11:39 Uhr Seite 8 gleich stellung Diversity-Strategie Von der Diversity-Strategie zur Rendite – mit der Balanced Scorecard +++ Diversity ist en vogue. Von Gleichstellungsprogrammen mit eigenem Betriebskindergarten über die Rekrutierung von Spezialisten jenseits der 40 bis hin zu Work-Life-Events zur Stressbewältigung oder interkulturellen Qualifizierungsmaßnahmen: Der Begriff Diversity ist geduldig und scheint ein Sammelbecken für "diverse" Initiativen zu sein. Wie bei anderen Modeerscheinungen auch, wird von Diversity nach dem Hype nur das übrig bleiben, was den Unternehmen nachhaltig im Wettbewerb einen Vorteil verschafft. Doch wie kann Diversity genau darauf fokussiert werden, um so von Anfang an Ressourcen effizient zu steuern? Welche Prioritäten muss ein Unternehmen setzen, um sich durch Vielfalt für die Zukunft adäquat zu rüsten? Und nicht zuletzt: Welche Investitionen rechnen sich am Ende der Tage? +++ Die Diversity Balanced Scorecard Die klassische Balanced Scorecard nach Kaplan & Norton dient dazu, die Vision und Strategie eines Unternehmens in mess- und umsetzbare Ziele zu übersetzen. Dabei werden vier Perspektiven eingenommen, aus denen das Unternehmen betrachtet wird: Die Finanz-, Kunden-, Prozess- und Lernperspektive. Dieses Werkzeug kann die strategische Ausrichtung von Diversity auf den Unternehmenserfolg und die effiziente Umsetzung mit messbaren Effekten unterstützen. Dabei besteht die Kunst darin, die vier Perspektiven so miteinander zu vernetzen, dass UrsacheWirkungs-Ketten und Effekte deutlich werden. Gelingt dies, können Diversity-Erfolge gemessen werden. Die Finanzperspektive von Diversity Der Anspruch jeder Diversity-Initiative sollte es sein, positive finanzielle Effekte zu erzielen. Bereits hier können Prioritäten gesetzt werden. Soll Diversity dazu beitragen, den Umsatz, die Wertschöpfung oder den langfristigen Unternehmenswert zu steigern? Ist die Umsatzsteigerung Top-Priorität, dann geht es beispielsweise darum, wie eine vielfältige Belegschaft zu einem attraktiveren Service- oder Produktangebot beiträgt und dessen Vermarktung unterstützt. Soll die Wertschöpfung erhöht werden, dann sind die Leistungspotenziale motivierter und effizient zusammenarbeitender Mitarbeiter und die Vermeidung von Kosten (bspw. Fluktuations-, Absentismus-, oder sogar Gerichtskosten vgl. EU-Richtlinien) zentral. Liegt der Fokus Seite 8 dagegen auf dem Image, das den Unternehmenswert mit beeinflusst, dann steht die Wahrnehmung durch die Öffentlichkeit, durch Kunden, Investoren, Zulieferer oder auf dem Arbeitsmarkt im Vordergrund. Je nachdem vor welchen Herausforderungen ein Unternehmen steht, ergeben sich unterschiedliche Optionen, wie Diversity zum Erfolg beitragen kann. Die Kundenperspektive von Diversity Auch aus Sicht der Kunden sind unterschiedliche Zielsetzungen für Diversity denkbar. Sollen neue Kundensegmente oder Märkte durch innovative Produkte erobert werden? Dann könnten heterogene Teams für höhere Innovationsgeschwindigkeit sorgen, wenn sie die Unterschiedlichkeit kreativ zu nutzen wissen. Eine Möglichkeit, die Kundenanforderungen ins Unternehmen zu holen, besteht darin, die Kundenstruktur in demografischer oder nationaler Hinsicht innerhalb der Belegschaft "abzubilden". So können Mitarbeitergruppen zu bestimmten Themen entstehen, die die Produkte und Leistungen des Unternehmens aus ihrer Perspektive überprüfen. Entspricht das Produkt den Anforderungen junger Eltern oder Behinderter? Wie kommt die Werbung mit dem gleichgeschlechtlichen Paar oder der generationsübergreifenden Familie bei den Zielgruppen an? Ist der Produktname und die Vertriebsstrategie für den türkischen Markt geeignet? Werden Mitarbeiter-Netzwerke für derartige Fragen im Bereich Produktentwicklung oder Marketing/ Vertrieb genutzt, entstehen zielgruppengerechte Produkte und Marketingkonzepte, deren Erfolg sich im Umsatz zeigt und über entsprechende Panel messen lässt. Personal.Manager 4/2004 PM_4/2004 17.01.2005 11:39 Uhr Seite 9 gleich stellung Liegt der Schwerpunkt darauf, die Kundenzufriedenheit zu steigern? Dann wird eine wertschätzende Unternehmenskultur zum Erfolgsfaktor, der über zufriedene und motivierte Mitarbeiter auf den Kunden ausstrahlt. Will man dagegen von den Kunden als sozial verantwortlich agierendes Unternehmen wahrgenommen werden, so wird die in- und externe Förderung benachteiligter Gruppen relevant. Auch hier wird deutlich, dass eine unternehmensspezifische Diversity-Strategie Prioritätensetzung erfordert. Die Prozessperspektive von Diversity Je nach Zielsetzungen der Finanz- und Kundenperspektive ergeben sich unterschiedliche Erfordernisse für die unternehmensinternen Geschäftsprozesse. So kann der Unternehmenswert langfristig vor dem Hintergrund des demografischen Wandels gesichert werden, indem beispielsweise Arbeitsplätze und abläufe in der Produktion an eine künftig ältere und damit leistungsgewandelte Belegschaft angepasst werden. Für eine höhere Wertschöpfung sind Arbeitsbedingungen erforderlich, die es allen Mitarbeitern in jeder Phase des (Lebens-)Arbeitszyklus ermöglichen, ihre Potenziale voll zu entfalten. Flexible Arbeitszeiten, -orte und –systeme werden sowohl jungen, ambitionierten Talenten, als auch Mitarbeitern in der Familienphase oder im Übergang von der Berufstätigkeit zum Ruhestand gerecht. So können täglich wechselnde Arbeitszeiten oder Telearbeit berufstätigen Eltern den Spagat zwischen Kinderbetreuung und beruflichen Anforderungen erleichtern. Durch das Angebot von Sabbaticals oder Teilzeitprogrammen bleibt die Erfahrung älterer Mitarbeiter dem Unternehmen länger erhalten und diesen gleichzeitig der "Ruhestands-Schock" erspart. Und durch eine bedürfnis- und fähigkeitsgerechte Arbeitsplatzgestaltung können sich behinderte Mitarbeiter vollständig in den Wertschöpfungsprozess integrieren. Im Sinne der Vermeidung von Diskriminierung (und aller damit verbundenen Kosten und Reibungsverluste), kann es um die Überprüfung aller Prozesse der Personalauswahl, entwicklung und –betreuung gehen. Beispielsweise Auswahl- und Beförderungskriterien, Aus- und Weiterbildungsangebote, Entgeltsysteme und Personalabbau-Programme dürfen weder unmittelbar noch mittelbar bestimmte Gruppen systematisch benachteiligen (vgl. EU-Richtlinien). Zudem können Prozesse der Mitarbeiterführung zur Vermeidung von Belästigung oder Mobbing am Arbeitsplatz beitragen. Personal.Manager 4/2004 Die Lernperspektive von Diversity Die Vielfalt an unterschiedlichen Schwerpunkten in den drei vorangegangenen Perspektiven spiegelt sich schließlich auch in den Lernerfordernissen wider. Welche Kompetenzen benötigen Mitarbeiter und Führungskräfte um die Ziele zu erreichen? Welche Unternehmenskultur unterstützt die Strategien? Hier kann es um Sensibilisierung oder Aufklärung über rechtliche und betriebsinterne Bestimmungen gehen. Die Kreativitätspotenziale heterogener Teams gilt es zu fördern, Kompetenzen zur Prävention und Lösung von Konflikten zu stärken. Führungskräfte und Mitarbeiter werden dafür qualifiziert, Diskriminierung, Belästigung und Mobbing frühzeitig zu erkennen und anzugehen. Und sie erfahren, worin sie sich voneinander unterscheiden und wie sie selbst in konkreten Situationen durch gegenseitige Wertschätzung dazu beitragen, dass diese Vielfalt zur Stärke wird. Die Kennzahlen für Diversity Sind die strategischen Zielsetzungen von Diversity umfassend für die vier Perspektiven definiert, lassen sich entsprechende Kennzahlen finden. Dabei ist es hilfreich, zwischen Kennzahlen zur Evaluation einzelner Maßnahmen und denen zur Messung des Effektes von Diversity zu unterscheiden. Beispielsweise kann die Evaluation eines DiversityTrainings aufzeigen, dass die Führungskräfte erfolgreich dafür sensibilisiert wurden, die individuellen Potenziale und Bedürfnisse der Mitarbeiter (an-) zu erkennen. Wirkt sich aber diese erworbene Kompetenz aufgrund anderer Faktoren, wie beispielsweise ein als unfair wahrgenommenes Entlohnungssystem, nicht bis auf die Mitarbeitermotivation und damit Produktivität aus, zeigt die Effekt-Kennzahl ein neutrales oder sogar negatives Ergebnis. Andererseits kann auch die Maßnahme nicht greifen und damit den gewünschten Effekt verhindern. Dies wäre der Fall, wenn trotz Überarbeitung der Beförderungsrichtlinien ein bestimmter Personenkreis - beispielsweise Mitarbeiter einer bestimmten Nationalität - auf Führungsebenen deutlich weniger vertreten ist als in der Gesamtbelegschaft ohne dass dies fachlich zu begründen wäre. In diesem Fall würde sowohl die Kennzahl zur Maßnahmen-Evaluation (hier: Anteil bestimmter Gruppen in Führungspositionen) als auch die Kennzahl zum Effekt (hier: Verfahrenskosten von Diskriminierungsbeschwerden) negativ ausfallen. Durch diese getrennte Betrachtung der Maßnahmen und der Diver- EU-Richtlinien zum Antidiskriminierungsgesetz Ende 2000 hat die Europäische Union zwei Richtlinien (2000/ 78/EG und 2000/43/EG) erlassen, um die Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf sicherzustellen. Die Umsetzung in nationales Recht wird in Deutschland für 2005 erwartet. Diese EU-Richtlinien dienen der Bekämpfung von Diskriminierung aufgrund der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters, der sexuellen Ausrichtung, der Rasse oder der ethnischen Herkunft. Künftig dürfen Personen aufgrund dieser Kriterien nicht benachteiligt werden: • des Zugangs zu Erwerbstätigkeit (Auswahlkriterien) und beruflichem Aufstieg (Beförderungskriterien) • des Zugangs zu Aus- und Weiterbildung und der Mitgliedschaft in Organisationen (Arbeitnehmerorganisation, Berufsverbände) • der Beschäftigungsbedingungen (Entlassung, Entgelt) Darüber hinaus dürfen Personen nicht aufgrund eines der Kriterien am Arbeitsplatz belästigt oder aufgrund einer offiziellen Diskriminierungs-Beschwerde benachteiligt (z.B. entlassen) werden. Die EURichtlinien kehren zudem die Beweislast um, d.h. bei einem "glaubhaften" Diskriminierungsvorwurf durch einen Bewerber oder Mitarbeiter müssen künftig die Arbeitgeber nachweisen, dass keine Diskriminierung vorlag oder zumindest adäquate Präventionsmaßnahmen getroffen wurden. Die EU-Richtlinien finden Sie unter: www.iquentis.de/Diversity/EU-Richtlinien. Seite 9 PM_4/2004 17.01.2005 11:39 Uhr Seite 10 gleich stellung gleich stellung sity-Effekte lässt sich sowohl Handlungsbedarf als auch der konkrete Ansatzpunkt für Verbesserungen leichter erkennen. Dipl.-Psych. Eva Kaiser war für VW-Coaching, Siemens und führende Personal- und Unternehmensberatungen tätig. Sie ist seit 2001 Programm Managerin für Organisations- und Personalentwicklung der IQuentis GmbH mit den Schwerpunkten Systemische Visions- & Strategiearbeit, Veränderungsbegleitung und Diversity. Zusatzqualifikationen zur Systemischen Beraterin, Familientherapeutin und Supervisorin. Seite 10 Der Return on Investment von Diversity Hat ein Unternehmen Ziele, Maßnahmen und Kennzahlen für Diversity für die vier Balanced Scorecard Perspektiven entwickelt, stellt sich die Frage, was einzelne Maßnahmen oder die gesamte Diversity-Initiative bringen. Auch zur Berechnung des Return on Investment zahlt sich die strategische Vorarbeit aus. So lassen sich die Kennzahlen der DiversityEffekte - die bis hinauf zur Finanzperspektive definiert sind - und die abgeleiteten Maßnahmen einander gegenüberstellen. Da Diversity-Maßnahmen in den seltensten Fällen nur auf eine Kennzahl (wie z.B. Fluktuation, Anzahl neuer Produktideen, Kundenzufriedenheitsindex) wirken, ist die grundlegende Frage an der Stelle: Welche Maßnahmen wirken auf welche Kennzahlen und wie stark? Hierzu ein Beispiel: Eine auf Diversity basierende Beförderungspolitik wirkt positiv auf die Mitarbeitermotivation und damit Produktivität, weil jede Mitarbeitergruppe realistische Chancen auf eine berufliche Weiterentwicklung hat. Gleichzeitig kann diese Maßnahme – wird sie adäquat kommuniziert – das Image als Arbeitgeber und sozial verantwortlich handelndes Unternehmen verbessern, was langfristig in Zeiten des Fachkräftemangels die Rekrutierungskosten senkt und den Unternehmenswert für Investoren erhöht. Derartige multiple Wirkungsketten müssen im Rahmen der Balanced Scorecard Entwicklung formuliert werden. Die Definition von Ursache-Wirkungsketten und damit die Frage zwischen welchen Maßnahmen und welchen Kennzahlen Zusammenhänge zu erwarten und wie stark diese sind, stellt den wahrscheinlich anspruchsvollsten Teil der Renditeberechnung dar. Hierzu bieten sich unternehmensinterne Experten an. Beispielsweise wird das Top-Management befragt, zwischen welchen Maßnahmen und Kennzahlen Zusammenhänge erwartet und wie stark diese eingeschätzt werden. Wird zudem die subjektive Schätzsicherheit erfragt, können diese Einschätzungen noch gewichtet und über alle Befragten gemittelt werden. Verbindet man in dieser Form alle Diversity-Maßnahmen mit den definierten Kennzahlen, so lassen sich die einzelnen Wirkungsketten und damit der Beitrag einzelner Maßnahmen an der Umsatz-, Wertschöpfungs- oder Unternehmenswertsteigerung quantifizieren. Gegen diesen Gewinn lassen sich abschließend die Kosten einzelner Maßnahmen berechnen, womit das Unternehmen bereits vor der Umsetzung von Diversity eine gute Grundlage für Investitionsentscheidungen bekommt. Diese Experteneinschätzung am Ende der StrategieEntwicklung und zum Auftakt der Umsetzung hat neben der Quantifizierung von Diversity-Renditen einen zusätzlichen positiven Effekt: Sie macht transparent, wie stark die unternehmensinternen Experten hinter der Diversity-Strategie und den Maßnahmen stehen. Werden an dieser Stelle geringe Effekte von Diversity für das Unternehmen erwartet, ist dies vor der Umsetzung von Diversity der richtige Zeitpunkt für eine Überarbeitung der Strategie. Fazit Diversity ist als Thema genauso vielfältig und komplex, wie die Menschen, deren Unterschiedlichkeit für Unternehmen als Stärke genutzt werden soll. Nachdem in den 90ern Diversity Management in US-amerikanischen Unternehmen stark forciert wurde, wächst in Europa seit dem Jahrtausendwechsel die Sensibilität für menschliche Vielfalt und deren Wert-Schätzung. Ob durch Druck der Gesetzgebung oder innere Überzeugung von Unternehmenslenkern – als eines der europäischen Schlusslichter wird zunehmend auch in Deutschland danach gefragt, wie Unternehmen mit den Unterschieden ihrer Mitarbeiter nicht nur umgehen, sondern sie zum Wettbewerbsvorteil machen können. Diese Frage ist nicht schnell und generell zu beantworten, sondern bedarf der konkreten Betrachtung der spezifischen Herausforderungen und Zielsetzungen eines Unternehmens. Der Balanced Scorecard Ansatz kann bei der strategischen Ausrichtung von Diversity und der Quantifizierung von Effekten gute Dienste leisten. So kann sich Diversity von der leicht einzusparenden "Nice-to-have-Initiative" hin zur ernstzunehmenden Geschäftsstrategie entwickeln. Damit wird die Arbeit für Diversity-Spezialisten, Personaler und Investitionsentscheider nicht weniger anspruchsvoll – aber sie bekommt ein solides Fundament. Personal.Manager 4/2004