Realisierung aktiver Filter

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Vorlesung Analog- und Digitalelektronik WS 2001/2002
Realisierung aktiver Filter
Motivation
Prinzipiell lassen sich alle passiven Filter auch höherer Ordnung aus Widerständen,
Kapazitäten und Induktivitäten aufbauen. In der Praxis gibt es doch einige Beschränkungen,
deren Überwindung wünschenswert wäre.
So sind beispielsweise vor allem in den unteren und mittleren Frequenzbereichen oft sehr
große Induktivitäten notwendig, so daß in den meisten Fällen Eisenkerne eingesetzt werden
müssen. Neben Größe und Gewicht und Preis stören dann auch die durch Hysterese
hervorgerufenen nichtlinearen Verzerrungen. Hinzu kommt, daß Spulen, insbesondere solche
mit hoher Induktivität, in integrierten Schaltkreisen nicht realisierbar sind.
Die Übertragungsfunktion (passiver) Filter wird in der Regel für das unbelastete Filter
berechnet. Wird das Filter nun belastet, ändert sich dadurch auch das Frequenzverhalten.
Selbst wenn die Last bei der Berechnung des Filters berücksichtigt wurde, so hat man die
gewünschte Übertragungsfunktion eben nur bei einer bestimmten Last realisiert. Dieses
Problem macht sich auch bemerkbar, wenn man Filter höherer Ordnung realisieren möchte.
Diese lassen sich durch Kaskadieren mehrerer Filter niederer (meist erster oder zweiter)
Ordnung aufbauen. Schaltet man die Filterstufen jedoch einfach hintereinander, so stellt die
nachfolgende Stufe eine Last für die vorhergehende Stufe dar, die daraufhin ihre
Übertragungsfunktion ändert. Zwar existieren Techniken und Hilfsmittel zur Berechnung
passiver Filter höherer Ordnung; diese sind jedoch recht aufwendig.
Häufig sollen Signale nicht nur gefiltert, sondern auch verstärkt werden. Passive Filter können
offensichtlich nur "Verstärkungen" von Eins bieten.
Fassen wir die oben genannten Limitierungen passiver Filter zusammen, so ergibt sich die
folgende Wunschliste für ein aktives Filter:
•
Verstärkung > 1 möglich
•
Verzicht auf Induktivitäten
•
Übertragungsfunktion ist unabhängig von der Last
•
Filter einfach kaskadierbar
Mit aktiven Filtern lassen sich alle diese Eigenschaften erfüllen. Zusätzlich eröffnet sich bei
aktiven Filtern die Möglichkeit, Parameter wie Grenzfrequenz, Mittenfrequenz und
Bandbreite elektronisch steuerbar zu machen.
Trotzdem gibt es auch hier Beschränkungen, die nicht unerwähnt bleiben sollen. So ist zur
Realisierung aktiver Filter natürlich mindestens ein aktives Element notwendig, was höhere
Kosten verursacht (Bauelementekosten, Betriebsspannung muß vorhanden sein etc.) Dank
niedriger Halbleiterpreise kann dieser Aspekt aber gegenüber den Vorteilen aktiver Filter oft
vernachlässigt werden. Eine viel wichtigere Einschränkung ergibt sich aus den Eigenschaften
realer Operationsverstärker. Wie wir später noch sehen werden, besitzen diese ein
Tiefpaßverhalten, so daß bei sehr hohen Frequenzen wieder auf rein passive Filter
zurückgegriffen werden muß. Glücklicherweise sind hier aber kleinere Werte für
Induktivitäten und Kapazitäten ausreichend, die einfacher hergestellt werden können.
Desweiteren kann es bei aktiven Schaltungen zu Instabilitäten kommen, was gegebenenfalls
schaltungstechnisch kompensiert werden muß.
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Die Dimensionierung der Bauelemente erfolgt bei aktiven und passiven Filtern nach dem
gleichen Schema:
1. Vorgabe der Filterkoeffizienten
2. Wahl einer geeigneten Schaltung
3. Berechnung (bzw. Nachschlagen) der Übertragungsfunktion
4. Koeffizientenvergleich
Realisierung aktiver Filter 1. Ordnung
Filter erster Ordnung lassen sich mit Widerständen und Kondensatoren realisieren. Schaltet
man solchen RC-Gliedern noch eine Verstärkerstufe nach, sind alle unsere Anforderungen an
ein aktives Filter erfüllt. Im Folgenden sind einige Beispiele solcher einfachen Schaltungen
für Tief- und Hochpaßfilter aufgeführt. Ist eine Signalverstärkung nicht notwendig, läßt sich
statt des nichtinvertierenden Verstärkers auch der einfachere Impedanzwandler einsetzen.
H (s) = K ⋅
1
1 + sRC
mit K = 1 +
R2
R1
Abbildung 1: einfaches aktives Tiefpaßfilter erster Ordnung
H ( s) = K ⋅
sRC
1 + sRC
mit K = 1 +
R2
R1
Abbildung 2: einfaches aktives Hochpaßfilter erster Ordnung
Ein Vorteil der oben gezeigten Schaltungen ist, daß sich Grenzfrequenz und
Verstärkungsfaktor unabhängig voneinander einstellen lassen.
Noch einfachere Schaltungen mit kleinerer Bauelementeanzahl bekommt man, indem man das
Filter in die Rückkopplung des invertierenden Verstärkers einbezieht.
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1
R2
Ua
sC
H ( s )= −
=−
Ue
R1
H (s) = K ⋅
mit K = −
Abbildung 3: invertierendes aktives Tiefpaßfilter erster Ordnung
H ( s )= −
R2
R1
Ua
R2
=−
1
Ue
R1 +
sC
H ( s) = K ⋅
Abbildung 4: invertierendes aktives Hochpaßfilter erster Ordnung
1
1 + sRC
mit K = −
sR1C
1 + sR1C
R2
R1
Ein bisher noch nicht besprochenes Filter ist das Allpaßfilter. Der Betrag der Übertragungsfunktion ist hier über den gesamten Frequenzbereich gleich Eins, d.h. es findet keine
Verstärkung oder Dämpfung des Signals statt. Die Phase wird jedoch im bis zu -180° gedreht,
wobei bei der Grenzfrequenz ω0 eine Phasenverschiebung von -90° vorliegt. Ein solches
Filter wird auch Phasenschieber genannt. Es wird beispielsweise zur Kompensation des
Phasengangs vorheriger Stufen oder zur Signalverzögerung eingesetzt.
1 − sRC
1 + sRC
H (s) = 1
H ( s) =
Abbildung 5: Allpaßfilter erster Ordnung
ϕ ( s) = arg(1 − sRC ) − arg(1 + sRC )
= arctan(−ωRC ) − arctan(ωRC )
= −2 ⋅ arctan(ωRC )
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0
-20
-40
Phase [Grad]
-60
-80
-100
-120
-140
-160
-180
-3
-2
-1
0
log ω/ω
1
2
3
g
Abbildung 6: Phasengang des Allpaßfilters
Realisierung aktiver Filter zweiter Ordnung
Läßt sich der Ansatz zum Entwurf aktiver Filterschaltungen erster Ordnung, also das
Verwenden eines bekannten passiven Filters gefolgt von einem Verstärker, auch zur
Realisierung von Filtern zweiter Ordnung verwenden ? Da gemäß unserer Wunschliste
Induktivitäten nicht verwendet werden dürfen, bliebe zur Realisierung eines Tiefpasses 2.
Ordnung nur das Hintereinanderschalten zweier RC-Tiefpässe erster Ordnung.
H (s) =
1
s τ 1τ 2 + s[τ 1 + τ 2 + τ 3 ] + 1
2
τ 1 = R1C1 ,τ 2 = R2 C 2 ,τ 3 = R1C 2
Abbildung 7: passiver Tiefpass zweiter Ordnung aus RCGliedern
Wie die Übertragungsfunktion zeigt, liegt hier tatsächlich ein Tiefpaßfilter zweiter Ordnung
vor. Berechnet man allerdings die Polstellen dieser Übertragungsfunktion, so stellt man fest,
daß diese auf der reellen Achse liegen. Filter mit optimalen Eigenschaften (z.B. Butterworth)
haben aber komplexe Polstellen und lassen sich dementsprechend nicht mit einem solchen
passiven Tiefpaß aus RC-Gliedern realisieren. In Abbildung 8 und Abbildung 9 wird solch ein
Tiefpaß mit einem Tiefpaß mit Butterworth-Charakteristik verglichen. Dabei wurden die
Tiefpässe derart dimensioniert, daß sie gleiches asymptotisches Verhalten zeigen bzw. die
gleiche -3dB Grenzfrequenz aufweisen.
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0
0
Butterworth
RC-TP 2. Ordnung
-5
-10
-10
-15
RC-TP 2. Ordnung
20*log(|H(s)|) [dB]
20*log(|H(s)|) [dB]
-20
-30
-40
Butterworth
-20
-25
-30
-50
-35
-60
-70
-1.5
-40
-1
-0.5
0
log ω/ωg
0.5
1
-45
-1
1.5
Abbildung 8: Vergleich zwischen einem ButterworthTiefpaß 2. Ordnung und einem Tiefpaß 2. Ordnung
aus RC-Gliedern mit gleichem asymptotischen
Verhalten
-0.8
-0.6
-0.4
-0.2
0
0.2
log ω/ωg
0.4
0.6
0.8
1
Abbildung 9: Vergleich zwischen einem ButterworthTiefpaß 2. Ordnung und einem Tiefpaß 2. Ordnung
aus RC-Gliedern mit gleicher -3dB-Frequenz
Filter mit Einfachmitkopplung: Sallen-Key-Filter
Um die Betragsfrequenzgänge der Filter in Abbildung 8 anzugleichen, müßte die
Übertragungsfunktion des RC-Filters im Bereich der Grenzfrequenz verstärkt werden. Diese
Verstärkung kann durch eine positive Rückkopplung des Ausgangssignals auf das
Eingangssignal (Mitkopplung) erreicht werden. Die Mitkopplung erfolgt über den
Kondensator C1, der jetzt anstelle mit Masse mit dem Ausgang des nachgeschalteten
Verstärkers verbunden ist (s. Abbildung 10).
Abbildung 10: Prinzip des Sallen-Key Tiefpaßfilters
Versuchen wir, uns das Verhalten der Filterschaltung zu erklären. Für kleine Frequenzen
ω→0 stellen die Kondensatoren einen unendlich großen Widerstand dar; der
Rückkopplungszweig ist quasi unterbrochen und am Ausgang liegt die im den Faktor K
verstärkte Eingangsspannung an. Für sehr große Frequenzen ω→ ∞ stellen die Kondensatoren
einen Kurzschluß dar. Am Eingang des Verstärkers liegen dann 0V und die Ausgangsspannung ist dementsprechend gering. Im Gegensatz zu der später vorgestellten Filterstruktur
mit Mehrfachgegenkopplung wird der Verstärkungsfaktor des nachgeschalteten Verstärkers
auf den festen Wert K eingestellt. Diese Filterstruktur wird deshalb auch als KRC Filter
bezeichnet.
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Abbildung 11: Sallen-Key (oder KRC) Tiefpaßfilter
Berechnet man die Übertragungsfunktion der oben gezeigten Schaltung, erhält man:
H TP ( s ) =
K
1 + s[R2C2 + R1C2 + R1C1 (1 − K )] + s 2 R1C1 R2C2
Varianten der Dimensionierung von Sallen-Key-Filtern
Da die Anzahl der festzulegenden Bauelemente größer als die Anzahl der Filterkoeffizienten
ist, können einige Werte frei gewählt werden. Die Dimensionierung lässt sich vereinfachen,
wenn von vornherein bestimmte Spezialisierungen vorgenommen werden. Zwei
gebräuchliche Arten der Dimensionierung von Sallen-Key Filtern sollen im Folgenden kurz
vorgestellt werden.
1. Wahl gleicher Komponenten
Wählt man R1 = R2 = R und C1 = C2 = C vereinfacht sich die Übertragungsfunktion zu
H TP ( s ) =
K
K
=
2
2 2 2
1 + sRC (3 − K ) + s R C
1 + SRCω 0 (3 − K ) + S 2ω 0 R 2C 2
Ein Koeffizientenvergleich mit der Übertragungsfunktion des Einheitstiefpasses
!
K
X
=
2 2 2
2
2
1 + SRCω 0 (3 − K ) + S ω 0 R C 1 + a1S + a2 S
ergibt:
a2 = (RC ) ω 0
2
2
a1 = RCω 0 (3 − K ) =
Þ
a2
ω (3 − K ) Þ
ω0 0
RC =
a2
ω0
K = 3−
a1
a2
Ein großer Vorteil dieser Art der Dimensionierung ist, daß die Filterart (Butterworth,
Tschebyscheff etc.) nicht von der Grenzfrequenz abhängt sondern allein durch die
Verstärkung K bestimmt wird. . Vor allem bei hohen Filtergüten (Tschebyscheff) ist diese
Einstellung alledings recht empfindlich gegenüber Bauelementetoleranzen. Die
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Grenzfrequenz des Filters läßt sich (unabhängig vom Filtertyp) durch Variieren von RC
einstellen.
2. Innere Verstärkung = 1
Eine weitere Möglichkeit der Dimensionierung ergibt sich, wenn der Verstärkungsfaktor auf
Eins gesetzt wird. Damit können die Widerstände im Gegenkopplungszweig des OPV
entfallen. Die Übertragungsfunktion ergibt sich jetzt zu
H TP ( s ) =
1
2
1 + Sω 0 [R2C2 + R1C2 ] + S 2ω o R1C1 R2C2
Der Koeffizientenvergleich
!
1
X
=
2
2
2
1 + Sω 0 [R2C2 + R1C2 ] + S ω o R1C1 R2C2 1 + a1S + a2 S
ergibt
2
2
R1 =
a1C1 ± a1 C1 − 4a2C1C2
2C1C2ω 0
R2 =
a2
ω 0 R1C1C2
C1
a
≥ 4 22 erfüllt sein. Die
C2
a1
günstigste Dimensionierung ergibt sich, wenn diese Bedingung gerade erfüllt wird. In der
Praxis wird man also zwei verfügbare Kapazitäten wählen, die die obige Bedingung gerade
erfüllen und dann die Widerstände nach obigen Formeln bestimmen.
damit sich reelle Widerstandswerte ergeben, muß die Bedingung
Diese Art der Dimensionierung bietet nicht die Flexibilität und gute Abstimmbarkeit wie die
Dimensionierung mit gleichen Komponenten, da hier eine Änderung eines Bauelements eine
Veränderung sowohl von Grenzfrequenz als auch Filtercharakteristik bewirkt.
Andererseits bietet die Dimensionierung mit Verstärkung = 1 eine größere Robustheit
gegenüber Bauelementetoleranzen. Da als aktives Element ein einfacher Impedanzwandler
(als OP-Schaltung oder auch einfacher Emitterfolger) eingesetzt werden kann, sind hier auch
Filter in höheren Frequenzbereichen möglich.
Selbstverständlich sind mit der Sallen-Key-Struktur auch andere Filter als nur Tiefpässe
realisierbar. Vertauscht man beispielsweise Widerstände und Kondensatoren erhält man einen
Hochpaß; auch Bandpässe und -sperren können mit Einfachmitkopplung realisiert werden.
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