Vorlesung Finanzmathematik I Steffen Dereich und Marcel Ortgiese Westfälische Wilhelms-Universität Münster WS2013/14 Version: 31.01.2014 Inhaltsverzeichnis 1. Einführung 1.1. Das Finanzmarktmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2. Handelsstrategien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3. Der Numeraire und das diskontierte Marktmodell . . . . . . . . . . . . . 1 1 2 3 2. Arbitragetheorie 7 2.1. Das FTAP1 im Ein-Perioden Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 2.2. Das FTAP1 im Mehr-Perioden Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 2.3. Wechsel des Numeraires . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 3. Bewertung europäischer Derivate 18 3.1. Arbitragefreie Preise und Marktvollständigkeit . . . . . . . . . . . . . . 18 3.2. Bewertungen im Binomialmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 3.3. Superhedging . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 4. Bewertung amerikanischer Derivate 37 4.1. Superhedging und die Snell Einhüllende . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 4.2. Arbitragefreie Preise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 5. Nutzenoptimierung 6. Das 6.1. 6.2. 6.3. 6.4. 6.5. 51 Black-Scholes Modell Approximation mittels Binomialmodell . . . . . . . . Äquivalente Martingalmaße . . . . . . . . . . . . . . Bewertung eines Calls im Black-Scholes Modell . . . Bewertung einer Barriereoption . . . . . . . . . . . . Der amerikanische Put mit unendlichem Zeithorizont . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 60 68 70 76 82 A. Anhang 90 A.1. Absolutstetige Wahrscheinlichkeitsmaße . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 A.2. Das essentielle Supremum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 Literaturverzeichnis 93 i Vorwort Der Rote Faden ist eine knappe Zusammenstellung der in der Vorlesung gezeigten Resultate. Er dient der kompakten Darstellung des Stoffes und zur Referenz. Er enthält aber keine über die Vorlesung hinausgehenden Beispiele oder Illustrationen und auch die Beweise sind nicht vollständig. Zur weiteren Vertiefung des Stoffes empfiehlt sich die Lektüre weitergehender Literatur wie zum Beispiel dem Buch Stochastic Finance: An Introduction in Discrete Time von Hans Föllmer und Alexander Schied [FS11] (siehe de Gruyter). Auch findet man im Internet zahlreiche Skripte zu ähnlich strukturierten Vorlesungen. Diese Version des Skripts ist eine Erweiterung des Roten Fadens von Steffen Dereich aus dem Wintersemester 2012/13. Notationen Lp (P) = Lp (Ω, F, P) (p ∈ (0, ∞)) Raum der numerischen Zufallsvariablen X : Ω → R̄ mit kXkp := E[|X|p ]1/p < ∞ L∞ (P) = L∞ (Ω, F, P) Raum der numerischen Zufallsvariablen X : Ω → R̄ mit kXk∞ := inf{c > 0 : P(|X| > c) = 0} < ∞ L0 (P) = L0 (Ω, F, P) Raum der numerischen Zufallsvariablen X : Ω → R̄ mit P(X 6∈ R) = 0 L∗ = L∗ (Ω, F) Raum der numerischen Zufallsvariablen X : Ω → R̄ Lp (P) = Lp (Ω, F, P) (p ∈ [0, ∞] ∪ {∗}) Raum der Äquivalenzklassen in Lp (Ω, F, P) bezüglich der P-fast sicheren Äquivalenz Lp+ (P) = Lp+ (Ω, F, P) (p ∈ [0, ∞] ∪ {∗}) Familie der Zufallsvariablen W in Lp (Ω, F, P) mit W ≥ 0, P-fast sicher Typische Bezeichner (Ω, F, P) 0 Zugrundeliegender Wahrscheinlichkeitsraum S̄ = (S , S) Finanzmarkt mit Numeraire S 0 und d risikobehafteten Assets S 1 , . . . , S d X̄ = (1, X) Diskontierter Finanzmarkt 0 H̄ = (H , H) Selbstfinanzierende Handelsstrategie V(H̄), V (H̄) Vermögensprozess einer selbstfinanziereden Strategie H̄ (real/diskontiert) G(H) Diskontierter Gewinnprozess einer selbstfinanziereden Strategie H̄ C, C Auszahlungsverpflichtung eines Derivats zur Maturität T (real/diskontiert) M = M(X) Menge der äquivalenten Martingalmaße ii 1. Einführung 1.1. Das Finanzmarktmodell In der Vorlesung Finanzmathematik I modellieren wir einen Finanzmarkt als stochastischen Prozess in diskreter Zeit. Im Folgenden bezeichne stets (Ω, F, P) einen Wahrscheinlichkeitsraum versehen mit einer Filtration (Ft )t∈{0,...,T } , wobei T ∈ N für einen festen Zeithorizont (Zahl der Handelsperioden) steht. Zur Vereinfachung treffen wir die Annahme, dass immer F0 = {∅, Ω} und F = FT gelten. Definition 1.1. Ein Finanzmarkt mit d + 1 Anlagegütern und Zeithorizont T ist ein (Ft )-adaptierter Prozess S̄ = (S̄t )t=0,...,T = (St0 , . . . , Std )t=0,...,T mit Werten in [0, ∞)d+1 . Wir nennen die einzelnen Prozesse Preisprozesse. Bemerkung 1.2. (i) Die Zufallsvariable Sti beschreibt den Preis (Kurs) einer Anlage i (z.B. Schuldverschreibung, Aktie, Option, ...) zur Zeit t zu der man Anteile verkaufen und kaufen kann. Das heißt wir nehmen an, dass zu jeder Zeit t • An-/und Verkauf zum gleichen Preis erfolgen (unter Ignorierung des BidAsk Spreads), • unser eigenes Handeln keinen Einfluss auf den Kurs hat (was für einen großen Investor nicht unbedingt gelten muß). (ii) Wir nennen die Anlagegüter auch kurz Assets und verzichten meist auf die Nennung des Zeithorizonts T . Ferner verwenden wir d + 1 generell als Bezeichner für die Zahl der Assets. Es wird angenommen, dass die Preise der Anlagen nichtnegativ sind und somit der Besitz einer Anlage zu keiner Zahlungsverpflichtung gegenüber einer anderen Partei führen kann. (iii) Die Filtration (Ft )t∈{0,...,T } beschreibt die Information, die einem Investor zur entsprechenden Zeit zur Verfügung steht. Wir erinnern daran, dass ein stochastischer Prozess (Xt )t∈{0,...,T } adpatiert heißt, wenn Xt messbar ist bezüglich Ft . Praktisch bedeutet die Adaptiertheitsannahme also, dass der Wert jeder Anlage zu jeder Handelszeit bekannt ist. Bei börsennotierten Anlagen werden Preise gelistet und sie sind somit für jedermann einsehbar. Hingegen werden manche Anlagen typischerweise ohne Börsennotierung gehandelt. Bei diesem Geschäft (“Over-the-Counter Geschäft”) einigen sich jeweils zwei Parteien unmittelbar und die Preise werden nicht veröffentlicht. Beispiel 1.3 (Binomialmodell). Ein einfaches Modell der Finanzmathematik ist das Binomialmodell. Es beschreibt einen Finanzmarkt mit zwei Anlagen: einer risikolosen Anleihe (Bond) S 0 = B und einer Aktie S 1 = S (Stock). Der Wert der Anleihe ist Bt = (1 + r)t , 1 wobei r ≥ 0 die Zinsrate bezeichne, und der Wert der Aktie wird als Markov-Prozess mit S0 = 1 und P(St+1 = (1 + u) St |Ft ) = p und P(St+1 = (1 + d) St |Ft ) = 1 − p beschrieben, wobei u, d ∈ [−1, ∞) und p ∈ [0, 1] Parameter mit d < u sind. In jedem Schritt macht der Kurs einen Schritt hoch (up) auf den Wert (1+u) St mit Wahrscheinlichkeit p, beziehungsweise einen Schritt auf den niedrigeren Wert (1 + d) St (down) mit der verbleibenden Wahrscheinlichkeit 1 − p. 1.2. Handelsstrategien Der Handel eines Akteurs in einem Finanzmarkt wird mittels einer Handelsstrategie beschrieben. Definition 1.4. Eine Handelsstrategie in einem Finanzmarktmodell S̄ = (S 0 , . . . , S d ) ist ein previsibler Rd+1 -wertiger Prozess H̄ = (H 0 , H) = (Ht0 , . . . , Htd )t=1,...,T , das heißt, dass für jedes t ∈ {1, . . . , T } die Zufallsvariable Hti bezüglich Ft−1 -messbar ist. Bemerkung 1.5. (i) Bei einer Handelsstrategie H̄ steht Hti für die Anzahl der Anteile an der Anlage S i die zwischen den Handelszeitpunkten t−1 und t gehalten werden. Wir nennen H̄t Portfolio der Handelsperiode t. (ii) Der Wert Hti kann eine beliebige reelle Zahl und damit insbesondere auch negativ sein. Der Fall Hti < 0 entspricht einem Leerverkauf (auf engl. einer “short i , position”). Dazu verkauft man |Hti | Anteile der i-ten Position zum Preis St−1 ohne die Anteile selber zu besitzen. Allerdings muss man diese dann zum Anfang der nächsten Handelsposition nachliefern, also insbesondere zum Preis Sti kaufen. Damit gibt ein Leerverkauf einem Käufer also die Möglichkeit auf einen sinken Aktienkurs zu setzen. (iii) Die Annahme, dass der Prozess H previsibel ist, entspricht der Einschränkung, dass sich ein Investor zur Zeit t − 1 entscheiden muss, wieviele Anteile er bis zur Zeit t halten möchte. Dabei kennt er nur die Preisentwicklung bis zur Zeit t − 1, welche der Information in Ft−1 entspricht. Angenommen man verfügt in der t-ten Handelsperiode (zwischen den Zeitpunkten t−1 und t) über das Portfolio H̄t . Dieses hat am Ende der Handelsperiode den Wert H̄t · S̄t = d X Hti Sti , (1) i=0 wobei wir mit · das übliche Skalarprodukt auf Rd+1 bezeichnen. Nun kann man zur Zeit t das Portfolio durch An- und Verkäufe ändern und das neue Portfolio H̄t+1 hat 2 zur Zeit t den Wert H̄t+1 · S̄t = d X i Ht+1 Sti . i=0 Entnimmt man kein Geld und schießt auch kein Geld zu, so muss dieser Wert gerade dem Wert in (1) entsprechen. Definition 1.6. 1. Eine Handelsstrategie H̄ heißt selbstfinanzierend, wenn H̄t · S̄t = H̄t+1 · S̄t für alle t = 1, . . . , T − 1 gilt. 2. Der Prozess V(H̄) = (Vt (H̄))t=0,...,T gegeben durch V0 (H̄) = H̄1 · S0 und Vt (H̄) = H̄t · S̄t := d X Hti Sti für t = 1, . . . , T i=0 heißt Vermögensprozess der Handelsstrategie H̄. Den Wert V0 (H̄) bezeichnen wir auch als Startkapital. 1.3. Der Numeraire und das diskontierte Marktmodell Gleiche Preise zu verschiedenen Zeiten haben meist unterschiedliche Werte aufgrund der Inflation. Um Preise dennoch zu verschiedenen Zeiten vergleichen zu können, fixieren wir meist eine Anlage (einen sogenannten Numeraire) – typischerweise S 0 – und interpretieren deren Wert als konstant in der Zeit. Möchte man zwei Geldbeträge zu verschiedenen Zeiten vergleichen, so betrachtet man die Zahl der Anteile des Numeraires, die man sich zu den jeweiligen Zeiten mit dem Geldbetrag kaufen könnte. Definition 1.7. Ein Finanzmarkt S̄ = (S 0 , S) = (St0 , . . . , Std )t=0,...,T mit einem (0, ∞)-wertigen Preisprozess S 0 , heißt Finanzmarkt mit Numeraire S 0 (kurz Finanzmarkt mit Numeraire). Bemerkung 1.8. Als Numeraire wählt man meist den Wert eines Portfolios, das ausschließlich im Geldmarkt investiert ist. (Auf dem Geldmarkt tätigen institutionelle Anlegern, d.h. Banken, Versicherungsgesellschaften und der Staat, kurzfristige risikolose Zinsgeschäfte.) Die Wahl des Numeraires ist letztendlich dem Investor überlassen und von dessen Präferenzen abhängig. So wird ein amerikanischer Investor typischerweise einen anderen Numeraire wählen als ein europäischer. Man kann ein kurzfristig risikolose Anlage modellieren, in dem man S00 = 1 setzt und dann für t ≥ 0 t Y St0 = (1 + rk ), k=1 3 definiert. Dann steigt also der Wert eines Betrag x, den man zur Zeit t − 1 investiert, auf (1 + rt−1 )x zur Zeit t. Dabei entspricht also rt der Zinsrate. Wenn man annimmt, dass (rt )t∈{1,...,T } previsibel ist, dann ist die Entwicklung der Anlage jeweils einen Schritt vorher bekannt, also kurzfristig risikolos. Misst man in einem Marktmodell alle Werte bezüglich des Wertes des Numeraires so erhält man das diskontierte Marktmodell. Definition 1.9. Sei S̄ = (S 0 , S) ein Marktmodell mit Numeraire. Das Marktmodell X̄ = (X 0 , X) = (Xt0 , . . . , Xtd )t=0,...,T mit Xti = Sti St0 (insbes. X 0 ≡ 1) heißt S 0 -diskontiertes Marktmodell von S̄. Wir bemerken, dass die Familie der selbstfinanzierenden Handelsstrategien des Ausgangsmodells und des diskontierten Modells übereinstimmen. Wir werden meist den Vermögensprozess des diskontierten Modells betrachten: Definition 1.10. Sei H̄ = (H 0 , H) eine Handelsstrategie in einem Marktmodell S̄ = (S 0 , S) mit Numeraire S 0 . 1. Der Prozess V (H̄) = (Vt (H̄))t=0,...,T gegeben durch V0 (H̄) = H̄1 · X̄0 und Vt (H̄) = H̄t · X̄t := d X Hti Xti für t = 1, . . . , T, i=0 heißt (diskontierter) Vermögensprozess der Handelsstrategie H̄. 2. Der Prozess G(H) = (Gt (H))t=0,...,T gegeben durch Gt (H) = t X Hs · (Xs − Xs−1 ) (insbes. G0 (H) = 0) s=1 heißt (diskontierter) Gewinnprozess der Handelsstrategie H̄. Wir verzichten häufig auf die Nennung von H̄ bzw. H, wenn die Handelsstrategie sich eindeutig aus dem Kontext ergibt. Bemerkung 1.11. Der Gewinnprozess ist linear in H. Ferner ist der Vermögensprozess V linear in H̄ bzw. im Paar (H, V0 ). Im Folgenden bezeichne S̄ = (S 0 , S) immer einen Finanzmarkt mit Numeraire und X̄ = (1, X) den zugehörigen diskontierten Finanzmarkt. Lemma 1.12. (i) Eine Handelsstrategie H̄ ist genau dann selbstfinanzierend, wenn Vt (H̄) = V0 (H̄) + Gt (H) für t = 1, . . . , T gilt. 4 (2) (ii) Zu V0 ∈ R und einem previsiblem Rd -wertigen Prozess H = (Ht1 , . . . , Htd )t=1,...,T existiert genau eine selbstfinanzierenden Handelsstrategie H̄ = (H 0 , H) mit V0 (H̄) = V0 . Diese erhält man durch Wahl von Ht0 = V0 + Gt−1 (H) − Ht · Xt−1 = V0 + Gt (H) − Ht · Xt . Bemerkung 1.13. Der erste Teil des Lemma besagt, dass für eine selbstfinanzierende Handelsstrategie das Vermögen sich als Startvermögen plus Gewinn darstellen lässt. Ist das Startvermögen 0 so gilt insbesondere, dass Vt (H̄) = Gt (H). Der zweite Teil des Lemmas besagt, dass sich jede Anlagestrategie, die sich nur auf Anleihen 1 bis d bezieht, zu einer selbstfinanzierende Strategie erweitern lässt. Dazu werden die jeweiligen Überschüsse auf geeignete Art in den Numeraire investiert. Beweis. (i) Übungsaufgabe. (ii): Sei H̄ = (H 0 , H) eine Handelsstrategie und V0 ∈ R. Es gilt H̄ ist s.f. mit Startwert V0 ⇔ Vt (H̄) = V0 + Gt (H) ∀t = 0, . . . , T ⇔ Vt (H̄) = V0 + Gt (H) ∀t = 1, . . . , T ⇔ Ht0 + Ht · Xt = V0 + Gt (H) ∀t = 1, . . . , T ⇔ Ht0 = V0 + Gt−1 (H) − Ht · Xt−1 ∀t = 1, . . . , T Begründung für die Äquivalenzen: 1.) Folgerung aus (i) zusammen mit der Vorgabe, dass das Startkapital V0 (H̄) = V0 ist. 2.) Aus der Gültigkeit der Gleichung für t = 1 folgt die Gültigkeit für t = 0 wegen H̄1 · X0 +H̄1 · (X̄1 − X̄0 ) = V1 (H̄) = V0 + H̄1 · (X̄1 − X̄0 ) | {z } =V0 (H̄) 3.) Einsetzen der Definition 4.) Nutzung von Gt (H) = Gt−1 (H) + Ht · (Xt − Xt−1 ). Da für V0 ∈ R und previsiblen Prozess H der entsprechende Prozess H 0 previsibel ist, kann das Paar also immer eindeutig zu einer selbstfinanzierenden Handelsstrategie erweitert werden. Bemerkung 1.14. Generell können Größen in der Standardwährungseinheit oder diskontiert betrachtet werden. Beide Ansätze liefern typischerweise verschiedene Werte, die sich leicht ineinander überführen lassen, ähnlich dem Rechnen mit verschiedenen 5 physikalischen Einheiten. Wir werden jeweils undiskontierte Werte mit kalligraphischen Symbolen und die entsprechenden diskontierten Werte mit regulären Symbolen versehen. Eine Ausnahme bilden die Preisprozesse, bei denen wir die undiskontierten Werte mit S 0 , S 1 , . . . und die diskontierten Werte mit X 0 , X 1 , . . . bezeichnen. Die Unterschiede zwischen den beiden Betrachtungsweisen lassen sich wie folgt zusammenfassen: Undiskontiertes Modell: Üblicherweise • wird der Finanzmarkt undiskontiert definiert • liegen Marktpreise in undiskontierter Form vor • werden Verträge zu Zahlungsverpflichtungen (Bonds, Derivate) in undiskontierter Form abgeschlossen sodass explizite Bewertungen im undiskontierten Modell erfolgen. Diskontiertes Modell: Das diskontierte Modell hat den Vorteil, dass selbstfinanzierende Handelsstrategien und deren Vermögensprozess sehr einfache Darstellungen haben. Deshalb werden wir die theoretischen Aussagen typischerweise im diskontierten Modell beweisen. 6 2. Arbitragetheorie Bei der Modellierung von Finanzmärkten gilt es zu vermeiden, dass im Finanzmarktmodell risikolose Gewinne erzielt werden können (“No free lunch”-Prinzip). Im Folgenden bezeichne S̄ = (S 0 , S) ein Finanzmarktmodell mit Numeraire S 0 und X̄ = (1, X) den zugehörigen diskontierten Finanzmarkt. Definition 2.1. 1. Eine selbstfinanzierend Handelstrategie H̄ heißt Arbitrage, wenn V0 (H̄) ≤ 0 ≤ VT (H̄), P-fast sicher, und P VT (H̄) > 0 > 0. (3) Man erhält die identische Definition, wenn man den diskontierten Vermögensprozess durch den undiskontierten Prozess V(H̄) ersetzt. 2. Ein Finanzmarkt heißt arbitragefrei, wenn es keine Arbitragen gibt. Hierfür schreiben wir kurz (NA) für “no arbitrage”. Lemma 2.2. Ein Finanzmarkt S̄ mit Numeraire ist genau dann arbitragefrei, wenn für jeden previsiblen Prozess (Ht )t=1,...,T in Rd GT (H) ≥ 0, fast sicher ⇒ GT (H) = 0, fast sicher, gilt. Beweis. "⇒": Wir nehmen an, es gibt einen previsiblen Prozess H = (Ht ) mit GT (H) ≥ 0, fast sicher, und P(GT (H) > 0) > 0. Dann kann H nach Lemma 1.12 zu einer selbstfinanzierenden Handelsstrategie H̄ = (H 0 , H) mit Startkapital V0 = 0 erweitert werden. Da nun VT (H̄) = GT (H) ist dies eine Arbitrage im Widerspruch zur Arbitragefreiheit. "⇐": Sei H̄ = (H 0 , H) eine selbstfinanzierende Handelsstrategie. Nun folgt aus GT (H) = VT (H̄) − V0 (H̄) ≥ 0, dass GT (H) = 0 und somit VT (H̄) = V0 (H̄) ≤ 0. Hier sind alle Gleichungen im P-fast sicheren Sinn zu verstehen. D.h. keine selbstfinanzierende Handelsstrategie ist eine Arbitrage. Bemerkung 2.3. Bezeichnet man mit L0+ (P) = L0+ (Ω, F, P) die Menge der Zufallsvariablen W ∈ L0 (Ω, F, P) mit W ≥ 0, P-fast sicher, so besagt das Lemma, dass in einem Finanzmarkt mit Numeraire für die durch selbstfinanzierende Handelsstrategien realisierbaren Gewinne K := {GT (H) : (Ht )t=1,...,T previsibel} gerade folgende Äquivalenz gilt: (NA) ⇔ K ∩ L0+ (P) = {0} 7 Zur Untersuchung von Finanzmärkten auf Arbitragefreiheit werden wir häufig andere Wahrscheinlichkeitsmaße auf (Ω, F) als P betrachten. Der Grund hierfür ist die folgende Beobachtung. Bemerkung 2.4. Ob eine selbstfinanzierende Strategie arbitragefrei ist hängt nur von den Nullmengen unter dem Maß P ab. Ersetzt man das Maß P durch ein Wahrscheinlichkeitsmaß Q mit den gleichen Nullmengen, so sind im neuen Marktmodell die Arbitragen die gleichen wie im alten. Solch ein Wahrscheinlichkeitsmaß nennt man äquivalent zu P und wir schreiben P ∼ Q. Für eine formale Definition und die wichtigsten Resultate verweisen wir auf den Anhang, Sektion A.1. Insbesondere ist die Arbitragefreiheit eine Eigenschaft, die invariant unter einem äquivalenten Maßwechsel bleibt. Es stellt sich nun die Frage, nach besonderen äquivalenten Wahrscheinlichkeitsmaßen unter denen die Arbitragefreiheit leicht ersichtlich ist. Um eine besonders nützliches Maß zu deifnieren, brauchen wir den Begriff des Martingals. Definition 2.5. Es sei (Ω, F, Q) ein Wahrscheinlichkeitsraum und (Ft )t=0,...,T eine Filtation. Ein (Ft )Tt=0 adaptierter stochastischer Prozess (Mt )t=0,...,T heißt QMartingal, wenn gilt EQ [|Mt |] < ∞ für alle t und EQ [Mt | Ft−1 ] = Mt−1 , für alle t ∈ {0, . . . , T − 1}. Bemerkung 2.6. Wir schreiben EQ für den Erwartungswert unter dem Wahrscheinlichkeitsmaß Q, i.e. für jede integrierbare Zufallsvariable Y gilt Z EQ [Y ] = Y (ω) dQ(ω). Ω Natürlich gilt eine analoge Definition auch für Prozesse mit unendlichem Zeithorizont (abzählbar oder auch überabzählbar). Häufig verzichtet man auf die explizite Nennung von Q und sagt, dass (Mt )t∈{0,...,T } ein Martingal ist. In diesem Zusammenhang arbeiten wir mit verschieden Wahrscheinlichkeitsmaßen, so dass wir die Abhängigkeit von Q explizit hervorheben. Beispiel 2.7. Gegeben sei eine Zufallsvariable C und ein Wahrscheinlichkeitsmaß Q, so dass EQ [|C|] < ∞. Dann definiert Mt = EQ [C | Ft ], für t ∈ {0, . . . , T }, ein Q-Martingal. Definition 2.8. Ein Wahrscheinlichkeitsmaß Q auf (Ω, F) heißt äquivalentes Martingalmaß, wenn (i) Q ∼ P, d.h. die Maße Q und P äquivalent sind, und (ii) für jedes i = 1, . . . , d, X i = (Xti )t=0,...,T ein Q-Martingal ist. 8 Wir bezeichnen mit M = M(X) die Menge aller äquivalenten Martingalmaße. Gilt statt Q ∼ P lediglich Q P so heißt Q absolutstetiges Martingalmaß. Ziel dieses Abschnitts ist der Beweis des 1. Fundamentalsatzes der Finanzmathematik (kurz: FTAP 1 für “fundamental theorem of asset pricing”) Satz 2.9 (FTAP1). Folgende Aussagen sind für einen Finanzmarkt S̄ = (S 0 , S) äquivalent: (i) Der Finanzmarkt S̄ ist arbitragefrei. (ii) Der Markt S̄ besitzt ein äquivalentes Martingalmaß. Kurz: (NA) ⇔ M = 6 ∅. Ist der Markt arbitragefrei, so existiert sogar ein Q ∈ M mit dQ dP ∈ L∞ (P). Zum Beweis der Implikation (ii) ⇒ (i) nutzen wir den folgenden Satz. Satz 2.10 (Doob’s System Theorem). Sei Q ein Wahrscheinlichkeitsmaß auf (Ω, F). Folgende Aussagen sind äquivalent: (i) Q ist ein Martingalmaß, d.h. (Xti ) ist für jedes i = 1, . . . , d ein Q-Martingal. (ii) Für jede selbstfinanzierende Handelsstrategie H̄ = (H 0 , H) mit beschränktem H ist der Vermögensprozess V (H̄) ein Q-Martingal. (iii) Für jede selbstfinanzierende Handelsstrategie H̄ = (H 0 , H) mit EQ [(VT (H̄))− ] < ∞ ist V (H̄) ein Q-Martingal. (iv) Für jede selbstfinanzierende Handelsstrategie H̄ = (H 0 , H) mit VT (H̄) ≥ 0, Qfast sicher, gilt EQ [VT (H̄)] = V0 (H̄). Beweis von Satz 2.9, (ii) ⇒ (i). Es bezeichne Q ein äquivalentes Martingalmaß. Nach Bemerkung 2.4 ändern wir nichts an der Menge der Arbitragen, wenn wir das zugrundeliegende Maß P durch Q ersetzen. Es genügt zu zeigen, dass es keine Handelsstrategie H̄ gibt, die unter Q eine Arbitrage ist. Sei nun H̄ eine selbstfinanzierende Handelsstrategie mit V0 (H̄) ≤ 0 ≤ VT (H̄), Q-fast sicher. Es folgt aus Satz 2.10 (Eigenschaft (iv)), dass EQ [VT (H̄)] = V0 (H̄) ≤ 0. Aus der Nichtnegativität von VT (H̄) folgt, dass VT (H̄) = 0, Q-fast sicher und somit ist H̄ keine Arbitrage. 9 2.1. Das FTAP1 im Ein-Perioden Modell Im Folgenden sei T = 1 und F0 im Gegensatz zur Generalannahme eine beliebige Teil-σ-Algebra von F1 = F. Diese Annahme ist wichtig, denn später wollen wir den allgemeinen Fall des [FTAP1] aus dem Ein-Perioden Fall herleiten. Dafür müssen wir allerdings mit zufälligen Startbedingungen arbeiten. Zum Beweis des [FTAP1] für T = 1 reicht es folgende Aussage zu beweisen: Arbitragefreiheit ⇒ ∃Q ∈ M mit dQ ∈ L∞ (P). dP Der Gewinn einer selbstfinanzierende Handelsstrategie H̄ ist nun G1 (H) = H1 · (X1 − X0 ) Wir verzichten im Folgenden auf den Subindex 1 und setzen Y := X1 − X0 sodass G(H) = H · Y. Somit ist die Familie der realisierbaren Gewinne gleich K = {H · Y : H ∈ L0 (Ω, F0 , P; Rd )} ⊂ L0 (Ω, F, P) =: L0 . Der Beweis untergliedert sich in die folgenden fünf Schritte: 1.) Wir zeigen, dass (NA) ⇔ K ∩ L0+ = {0} ⇔ (K − L0+ ) ∩ L0+ = {0}, 2.) Wir zeigen, dass wir annehmen können, dass X0 , X1 und Y in L1 liegen, also integrierbar sind. 3.) Konstruktion des äquivalenten Martingalmaß mit einer Dichte Z mit bestimmten Eigenschaften. 4.) Existenz der Dichte Z. 5.) Wir zeigen, dass Z strikt positiv ist. 1. Schritt: Zunächst überlegt man sich, dass K ∩ L0+ = {0} ⇔ (K − L0+ ) ∩ L0+ = {0}. (4) In Worten besagt diese Äquivalenz, dass wenn die einzigen fast sicher positiven Gewinne gleich 0 sind, dann ändert sich diese Aussage nicht durch Abziehen einer positiven Zufallsvariable. Der Beweis ist eine Übungsaufgabe. 2. Schritt: Im 2. Schritt zeigt man, dass man ohne Einschränkung der Allgemeinheit annehmen kann, dass X0 , X1 und damit Y in L1 (Ω, F, P; Rd ) liegen. Dies folgt aus Anwendung der folgenden Proposition. Dabei bezeichnen wir mit L0 (Ω, F, P, Rn ), Rn wertige Zufallsvariablen und mit L0 (Ω, F, P, Rn ) wird der entsprechende Lp -Raum definiert. 10 Proposition 2.11. Für W ∈ L0 (Ω, F, P, Rn ) existiert ein Wahrscheinlichkeitsmaß P0 ∼ P mit (i) dP0 dP ∈ L∞ (Ω, F, P) (ii) W ∈ L1 (Ω, F, P0 , Rn ). Beweis. Übungsaufgabe. Zur Anwendung setzen wir W = (X1 , X2 ) und erhalten so ein äquivalentes Maß P0 unter dem X0 und X1 integrierbar sind. Teil (i) ist wichtig für den zweiten Teil des [FTAP1]. Angenommen wir können unter der Zusatzannahme dass X1 , X2 integrierbar sind (also unter P0 ) zeigen, dass es ein äquivalentes Martingalmaß Q gibt mit dQ beschränkter Dichte dP 0 . In diesem Fall ist auch die Dichte dQ dQ dP0 = , dP dP0 dP beschränkt, wie wir es im zweiten Teil des [FTAP1] behaupten. 3. Schritt: Konstruktion des äquivalenten Martingalmaß Wir formulieren einfachere Bedingungen an eine Zufallsvariable Z dafür, dass wir sie als Dichte für ein äquivalentes Martingalmaß verwenden können. Proposition 2.12. Es gelte Y ∈ L1 . Angenommen es gibt eine Zufallsvariable Z ∈ L∞ \ {0}, so dass E[Z W ] ≤ 0 für alle W ∈ C := (K − L0+ ) ∩ L1 . (5) Dann gilt Z ≥ 0 P-fast sicher und mittels dQ Z = dP E[Z] (6) wird ein absolutstetiges Martingalmaß Q definiert. Gilt zusätzlich, dass Z > 0 P-fast sicher, dann definiert Q ein äquivalentes Martingalmaß. Beweis. Schritt (i). Wir zeigen zunächst, dass Z fast sicher positiv ist. Dazu betrachten wir die Menge A := {Z < 0}. Dann gilt −1lA = 0 − 1lA ∈ C (da 0 ∈ K) und somit 0 ≤ E[(−Z)1lA ] ≤ E[Z(−1lA )] ≤ 0. Daraus folgt aus (−Z)1lA ≥ 0, dass (−Z)1lA = 0 fast sicher und da Z 6= 0, muss P(A) = 0. Schritt (ii). Wir zeigen nun, dass E[ZW ] = 0 ∀ W ∈ K ∩ L1 . (7) Dies folgt sofort aus (5), denn wenn W ∈ K ∩ L1 , dann ist auch −W ∈ K ∩ L1 und damit gilt 0 ≤ −E[ZW ] = E[Z(−W )] ≤ 0. 11 Hierbei nutzen wir, dass K ∩ L1 ⊂ C = (K − L0+ ) ∩ L1 (da 0 ∈ L0+ ). Daraus folgern wir in Schritt (iii), dass E[ZY i | F0 ] = 0 für alle i = 1, . . . , d. (8) Dazu, wählen wir i ∈ {1, . . . , d} und betrachten für A ∈ F0 , die F0 -messbare Zufallsvariable H = 1lA ei , wobei ei der i-te Einheitsvektor ist. Dies entspricht einer Investition in die i-te Anleihe, wenn A auftritt. Dann ist der zugehörige Gewinn G(H) = H · Y = 1lA Yi ∈ K ∩ L1 und somit gilt nach (7), E[ZY i 1lA ] = 0. Da A ∈ F0 beliebig ist, folgt aus der Definition der bedingten Erwartung die Aussage. Da Z ≥ 0 fast sicher und Z 6= 0, muss E[Z] > 0 sein und (6) definiert ein Wahrscheinlichkeitsmaß, welches absolut stetig ist bezüglich P. Nach der Formel für bedingte Dichten (siehe Übungsblatt) und (8) folgt, dass für i ∈ {1, . . . , d}, EQ [Y i |F0 ] = E[ZY i |F0 ] = 0. E[Z|F0 ] Da nach Definition Y i = X1i − X0i , ist also der Preisprozess (Xt )it=0,2 ein Martingal unter Q. 4. Schritt: Konstruktion einer positiven Dichte. Im Beweis nutzen wir einen Zusammenhang zwischen der Trennung konvexer Mengen und absolutstetigen Martingalmaßen. Zur Konstruktion der trennenden Zufallsvariable verwenden wir Resultate aus der Funktionalanalysis, die wir an dieser Stelle nicht beweisen werden. Eine Folgerung des Satzes von Hahn-Banach ist folgende Aussage: Satz 2.13 (Trennungssatz). Seien p ∈ [1, ∞) und q ∈ (1, ∞] mit p1 + 1q = 1, sowie C und D disjunkte, konvexe Teilmengen von Lp (P). Ist C abgeschlossen und D kompakt, so existiert Z ∈ Lq (P) mit sup E[ZW1 ] < inf E[ZW2 ]. W1 ∈C W2 ∈D Bemerkung 2.14. Sind C und D konvexe Teilmengen des Rn , dann beantwortet der Trennungssatz die folgende Frage: Unter welchen Bedingung an C und D gibt es eine Hyperebene, die die Mengen trennt, so dass C und D sich auf verschiedenen Seiten der Hyperebene befinden. Mathematisch fragt man also nach der Existenz eines Vektors z ∈ Rn und eines Skalars α, so dass die Hyperebene durch {x : hx, zi = α} beschrieben wird und zusätzlich gilt: C ⊂ {x : hx, zi < α} und D ⊂ {x : hx, zi ≥ α}. Der Zusammenhang zu der allgmeinen Formulierung wird klar, wenn man E[ZW ] als das Skalarprodukt zwischen den Zufallsvariablen Z ∈ Lq und X ∈ Lp interpretiert. Für einen Beweis von Satz 2.13 und eine ausführliche Diskussion verweisen wir auf [Wer00, Kap. III.2]. 12 Wir werden den Trennungssatz mit der Menge C := (K − L0+ ) ∩ L1 verwenden. Es ist zu überprüfen, dass C abgeschlossen ist. Proposition 2.15. Gilt (NA), so ist C eine abgeschlossene Teilmenge des L1 . Beweis. Siehe Föllmer, Schied [FS04, Lemma 1.67] bzw. [FS11, Lemma 1.68]. Proposition 2.16. Es gelte (NA). Dann existiert für jede Menge A ∈ F mit P(A) > 0 eine Zufallsvariable Z ∈ L∞ \ {0} mit E[1lA Z] > 0 so dass E[ZW ] ≤ 0 für alle W ∈ C. Insbesondere können wir Z so wählen, dass 0 ≤ Z ≤ 1 fast sicher. Mit Hilfe von Proposition 2.12 können wir mit Z als Dichte also ein absolut stetiges Martingalmaß konstruieren. Beweis. Sei A ∈ F mit P(A) > 0. Dann gilt 1lA ∈ L1+ \{0}. Nach Schritt 1, siehe (4), folgt aus (NA), dass C ∩ L0+ = (K − L0+ ) ∩ L1+ = {0}. Damit sind die konvexen Mengen C und D := {1lA } disjunkt. Wir wenden den Trennungssatz mit p = 1 und q = ∞ an und erhalten die Existenz einer Zufallsvariable Z ∈ L∞ mit s := sup E[ZW ] < E[Z 1lA ]. W ∈C Da W = 0 ∈ C, muss s ≥ 0 und daraus folgt, dass E[Z1lA ] > 0 und Z ∈ L∞ \ {0}. Ist W ∈ C und λ > 0, dann ist auch λW ∈ C und es folgt, dass λE[ZW ] = E[Z(λW )] ≤ s < E[Z 1lA ]. Da W beliebig war, können wir also schliessen s< 1 E[Z 1lA ], λ und so folgt mit λ → ∞ dass s = 0. Nach Proposition 2.12 muss insbesondere Z ≥ 0 gelten. Da Z ∈ L∞ , können wir Z Z 0 = kZk definieren und erhalten so eine Zufallsvariable mit den gewünschten Eigen∞ schaften, die zusätzlich fast sicher durch 1 beschränkt ist. 5. Schritt: Existenz einer strikt positiven Dichte. Im letzten Schritt zeigen wir, dass wir mit Hilfe von Proposition 2.16 eine Dichte konstruieren können, die fast sicher strikt positiv ist. Mit Proposition 2.12 folgt dann die Existenz eines äquivalenten Martingalmaßes Q, da wir bereits in Schritt 2 gesehen haben, dass man ohne Einschränkung der Allgemeinheit annehmen kann, dass X0 , X1 , Y ∈ L1 . 13 Proposition 2.17. Es gelte (NA), dann existiert eine Zufallsvariable Z ∈ L∞ , so dass P(Z > 0) = 1 und E[Z W ] ≤ 0 für alle W ∈ C. Beweis. Wir betrachten die Menge Z := {Z ∈ L∞ : 0 ≤ Z ≤ 1, E[Z W ] ≤ 0 ∀W ∈ C} (i) Wir zeigen (Übungsaufgabe), P dass die Menge Z abzählbar konvex ist, d.h. für Folgen (Zn ) ⊂ Z und (λn ) ⊂ [0, 1] mit λn = 1 gilt Z ∗ := ∞ X λn Zn ∈ Z. n=1 (ii) Wir definieren s := sup P(A)∃Z ∈ Z mit Z > 0 auf A und zeigen, dass das Supremum angenommen wird, d.h. es existieren Z ∗ ∈ Z und A ∈ F mit Z ∗ > 0 auf A und P(A) = s. Seien (Zn ) ⊂ Z und (An ) ⊂ F mit Zn > 0 auf An und P(An ) ↑ s. Dann ist Z ∗ := P n=1 2−n Zn in Z, wegen (i), und ferner Z ∗ > 0 auf A := S n An mit P(A) ≥ lim P(An ) = s. n→∞ (iii) Schließlich bleibt noch zu zeigen, dass s = 1. Angenommen s < 1, dann wähle Z ∗ und A wie in (ii). Nun gilt P(Ac ) > 0 und somit existiert ein Z ∗∗ ∈ Z (Proposition 2.16) mit E[1lAc Z ∗∗ ] > 0 und somit hat {Z ∗∗ > 0} ∩ Ac positives P-Maß. D.h. für Z := 21 (Z ∗ + Z ∗∗ ) ∈ Z gilt P({Z > 0}) ≥ P(A) + P({Z ∗∗ > 0} ∩ Ac ) > s, welches ein Widerspruch zur Definition von s ist. 2.2. Das FTAP1 im Mehr-Perioden Modell Wir wenden uns nun dem Mehr-Perioden Modell zu. Jedes Mehr-Perioden Modell kann als T Ein-Perioden Modelle, die jeweils aus der Periode t − 1 → t bestehen aufgefasst werden. Eine zentrale Beobachtung ist nun, dass das Mehr-Perioden Modell genau dann arbitragefrei ist, wenn alle T Ein-Perioden Modelle arbitragefrei sind. 14 Proposition 2.18. Ein Marktmodell S̄ = (S 0 , S) besitzt Arbitragen genau dann, wenn ein t ∈ {1, . . . , T } und ein K ∈ L0 (Ω, Ft−1 , P; Rd ) existieren mit K · (Xt − Xt−1 ) ≥ 0, fast sicher, und P(K · (Xt − Xt−1 ) > 0) > 0. Es verbleibt der Beweis der Aussage im Mehr-Perioden Modell Arbitragefreiheit ⇒ ∃Q ∈ M mit dQ ∈ L∞ (P). dP Beweis des FTAP1 für T > 1. Wie im Ein-Perioden Modell können wir ohne Einschränkung der Allgemeinheit annehmen, dass Xt ∈ L1 (Ω, F, P; Rd ) (siehe 2. Schritt). Wir konstruieren ein Wahrscheinlichkeitsmaß Q ∈ M durch iterierte Anwendung des FTAP1 im Ein-Perioden Modell. Nach Proposition 2.18 ist das Ein-Perioden Modell T → T − 1 abritragefrei, d.h. nach dem Ein-Perioden FTAP1 existiert ein äquivalentes Wahrscheinlichkeitsmaß QT mit beschränkter Dichte ZT bezüglich P sodass EQT [XTi |FT −1 ] = XTi −1 , ∀i = 1, . . . , d Ein Maßwechsel von P nach QT ändert nichts an der Gültigkeit der (NA) Bedingung für das T -Periodenmodell und damit auch nicht für das Modell der Periode T − 2 → T − 1. Damit wählen wir als nächstes ein äquivalentes Wahrscheinlichkeitsmaß QT −1 , mit Dichte ZT −1 ∈ L∞ (Ω, FT −1 , P) (wichtig ist hierbei, dass ZT −1 FT −1 -messbar gewählt werden kann!), sodass EQT −1 [XTi −1 |FT −2 ] = XTi −2 , ∀i = 1, . . . , d. Wir fahren entsprechend fort und definieren iterativ äquivalente Wahrscheinlichkeitsmaße QT , . . . , Q1 =: Q. Nun gilt dQ1 dQ2 dQT dQ = ... = Z1 . . . ZT ∈ L∞ (Ω, F, P). dP dQ2 dQ3 dP Somit sind alle Preise Xti Q-integrierbar und es gilt nach Satz A.5 für s < t EQs [Xti |Ft−1 ] = EQs+1 [Zs Xti |Ft−1 ] = EQs+1 [Xti |Ft−1 ]. EQs+1 [Zs |Ft−1 ] Wenden wir diese Gleichung nacheinander auf s = t − 1, . . . , 1 an, so erhalten wir dass i EQ [Xti |Ft−1 ] = . . . = EQt [Xti |Ft−1 ] = Xt−1 , und (Xti ) ist ein Martingal unter Q. 15 2.3. Wechsel des Numeraires Wir haben bisher jeweils die 0-te Anlage als Numeraire betrachtet. Vorausgesetzt, dass auch der Preisprozess einer anderen Anlage, sagen wir der d-ten Anlage, strikt positiv ist, kann auch dieser zur Diskontierung verwendet werden. Frage: Welche Zusammenhänge bestehen zwischen den Martingalmaßen für verschiedene Diskontierungen? Wir nehmen im Folgenden an, dass S d ein strikt positiver Preisprozess ist. Wir benötigen weitere Notationen. Zusätzlich zu den S 0 diskontierten Preisprozessen (Xti ) betrachten wir die S d -diskontierten Preisprozesse (Yti ) gegeben durch Yti := Sti . Std Wir setzen nun Ȳ = (Y, Y d ) = (Yt0 , . . . Ytd )t=0,...,T Wir bezeichnen mit M0 = M(X) die Menge der äquivalenten Martingalmaße bei Diskontierung mit der 0-ten Anlage und mit Md = M(Y ) die Menge der Martingalmaße bei Diskontierung mit S d , d.h. Md ist die Menge aller W’Maße auf (Ω, F) mit (i) Q ∼ P (ii) Y 0 , . . . , Y d−1 sind Q-Martingale Proposition 2.19. Sei Q ∈ M0 . Für t = 1, . . . , T gilt 0 EQ [Yt0 |Ft ] ≥ Yt−1 . Ist X d nicht konstant (d.h. gilt nicht X0d = . . . = XTd , f.s.), so ist Y 0 kein Q-Martingal. Insbesondere gilt in diesem Fall M0 ∩ Md = ∅. Beweis. Es gilt Yt0 = 1, . . . , T St0 Std = EQ [Yt0 |Ft−1 ] = EQ 1 Xtd für t = 0, . . . , T und somit mittels Jensen für t = h 1 i 1 1 0 = ≥ Q d = Yt−1 . F t−1 d Xt−1 Xt E [Xt |Ft−1 ] Zum Beweis, dass Y 0 kein Q-Martingal ist, wenn X d nicht konstant ist, wählen wir ein t ∈ {1, . . . , T } mit P(Xtd 6= X0d ) > 0. Wir bemerken, dass für x := X0d und beliebiges y > 0 1 1 y−x ≥ − =: ξ(y) y x x2 16 mit Ungleicheit für y = 6 x (Tangente in x an die streng konvex Funktion z 7→ 1/z oder direkt mit dem Satz von Taylor). Somit gilt X1d > ξ(X0d ) mit positiver Wahrschein0 lichkeit sodass EQ h Xd − Xd i h 1 i 1 1 > EQ [ξ(Xtd )] = d − EQ t d 2 0 = d . d Xt X0 (X0 ) X0 Somit ist (Yt0 ) kein Q-Martingal. Merke: Die Menge der äquivalenten Martingalmaße hängt stark von der Wahl des Numeraires ab. Allerdings sagt der nächste Satz aus, wie man zwischen den verschiedenen Klassen an Martingalmaßen umrechnen kann. Satz 2.20. Für Q ∈ M0 ist das Maß Q∗ auf (Ω, F) mit dQ∗ Xd = Td dQ X0 ein äquivalentes Martingalmaß bei Diskontierung mit S d , d.h. Q∗ ∈ Md . Die Abbildung Ψ : M0 → Md , Q 7→ Q∗ ist eine Bijektion. 17 3. Bewertung europäischer Derivate In diesem Abschnitt bezeichne S̄ = (S 0 , S) immer einen arbitragefreien Finanzmarkt mit Numeraire S 0 . 3.1. Arbitragefreie Preise und Marktvollständigkeit Wir beschäftigen uns nun mit der Bewertung europäischer Derivate (abgeleitete Finanzprodukte). Dies sind Zahlungszusagen, die von der Entwicklung anderer Assets, den Underlyings, des Finanzmarkts abhängen und zur Fälligkeit T , der Maturität, zu einer Ausschüttung für den Besitzer führen. Beispiel 3.1. (i) Call-Option: Eine (europäische) Call-Option auf die Anlage S i mit Strike K > 0 und Maturität T ∈ N ist eine Zahlungszusage die zur Zeit T zur Ausschüttung C call := (STi − K)+ = max(STi − K, 0) führt. Die Call-Option kann als Anrecht zum Kauf einer Anlage S i zur Zeit T zum Preis K interpretiert werden. (ii) Put-Option: Eine (europäische) Put-Option auf die Anlage S i mit Strike K > 0 und Maturität T ∈ N ist eine Zahlungszusage die zur Zeit T zur Ausschüttung C put := (K − ST )+ führt. Die Put-Option kann als Anrecht zum Verkauf einer Anlage S i zur Zeit T zum Preis K interpretiert werden. Bemerkung 3.2 (Put-Call-Parität). Bezeichnen C call und C put die Ausschüttungen eines Calls und eines Puts mit Strike K so gilt STi = C call − C put + K. D.h. die Investition in eine Anlage S i ist äquivalent zum Kauf eines Calls, Anleihen mit Laufzeit T zum Nominalwert K und zum Leerverkauf eines Puts. Da beide Strategien zur gleichen Ausschüttung zur Zeit T führen, sollten sie zu jeder Zeit den gleichen Wert besitzen. Dies erlaubt es die Preise der vier Anlagen in Beziehung zu setzen und es kann jeweils der Preis einer Anlage mithilfe der Preise der verbleibenden Anlagen bestimmt werden. Definition 3.3. Ein (europäisches) Derivat (Contingent Claim) ist eine nichtnegative F-messbare Zufallsvariable C. Die Zufallsvariable C := ST0 C heißt undiskontierter Claim zu C. 18 Bemerkung 3.4. (i) Die Bezeichnung “europäisch” steht dafür, dass die Zahlungszusage zu einer festen Zeit T fällig wird. Im Gegensatz dazu kann bei einer amerikanischen Option die Auszahlung auch schon vor Maturität eingefordert werden. Diesen allgemeineren Optionen analysieren wir in einem späteren Kapitel. Eine zusätzliche Schwierigkeit bei amerikanischen Option wird sein, dass bei diesen auch der optimale Ausübungszeitpunkt gefunden werden muss. (ii) Wie aus der Definition ersichtlich, werden wir im Folgenden standardmäßig mit den diskontierten Werten arbeiten. Allerdings wird der Vertrag meist in undiskontierter Form abgeschlossen. Beispiel 3.5. Weitere Beispiele für Derivate. (i) Die Auszahlung einer asiatischen Option hängt von dem arithmetischen Mittel i Sav T 1X i S, := T s=1 t des Preises einer Anleihe (Sti ) ab. Eine asiatische Call-Option entspricht beispielsweise der Auszahlung call i Cav := (Sav − K)+ . Mit Hilfe einer solchen Option kann sich ein Investor gegen größere Fluktuationen im Devisenhandel absichern. Dies ist nützlich wenn er darauf angewiesen ist, dass der Wechselkurs für einen längeren Zeitraum möglichst stabil bleibt (weil er zum Beispiel regelmässige Zahlungen erhält). (ii) Barrier-Optionen. Die Auszahlung der Option hängt davon ab, ob der Preis eine bestimmte Barriere B überschreitet oder nicht. Dabei gibt es zwei grundsätzliche Typen: Die “knock-in” Variante wird gezahlt wenn die Barriere B erreicht wird, während bei der “knock-out” Version, nur gezahlt wird, wenn die Barriere nicht erreicht wird. Einige Beispiele: • Digital option: C dig := 1 0 wenn max0≤u≤T Sui ≥ B sonst. • Down-and-in put: Für eine Barriere B̃ < S0i und Strike K > 0, (K − STi )+ wenn min0≤u≤T Sui ≤ B̃ put Cd&i := 0 sonst. • Up-and-out call : Für eine Barriere B > S0i und Strike K > 0, (STi − K)+ wenn max0≤u≤T Sui < B call Cu&o := 0 sonst. 19 Definition 3.6. (i) Ein Derivat C heißt erreichbar oder replizierbar, wenn eine selbstfinanzierende Handelsstrategie H̄ existiert mit VT (H̄) = C oder äquivalent VT (H̄) = C, fast sicher. In diesem Fall wird V0 (H̄) der faire Preis von C und H̄ eine Hedging-Strategie für C genannt. (ii) Ein Finanzmarkt heißt vollständig, wenn jedes beschränkte Derivat C replizierbar ist. Bemerkung 3.7. Wird ein replizierbares Derivat nicht zum Preis V0 (H̄) verkauft, sondern beispielsweise für einen Betrag π̃ > V0 (H̄) gehandelt, dann ergibt sich eine Arbitragemöglichkeit. Denn in diesem Fall kann man beispielsweise C zum Preis π̃ verkaufen und sich dann zur Zeit 0 das Portfolio H̄ zum Preis V0 (H̄) kaufen. Dieses deckt dann zur Zeit T gerade die Forderung C ab und man hat fast sicher einen echt positiven Gewinn π̃ − V0 (H̄) gemacht. Dies erklärt auch den Namen “Hedge” (also eine Absicherung) für die replizierende Handelsstrategie H̄: Verkauft man ein replizierbares Derivat C zum fairen Preis V0 (H̄) kann man immer durch Investion gemäss H̄ sicherstellen, dass man die Forderung C zur Zeit T bedienen kann. Wie wir später sehen werden, sind nicht alle Finanzmärkte vollständig und wir brauchen deshalb ein allgemeineres Konzept zur Preisfindung. Definition 3.8. Eine reele Zahl π C ≥ 0 heißt arbitragefreier Preis für ein Derivat C, wenn es einen (Ft )-adaptierten Prozess X d+1 = (Xtd+1 )t=0,...,T gibt mit Startwert X0d+1 = π C , so dass (i) der erweiterte Finanzmarkt (X 0 , . . . , X d+1 ) arbitragefrei ist und (ii) XTd+1 = C gilt. Ferner nennt man in diesem Fall den Prozess (Xtd+1 )t=0,...,T einen arbitragefreien Preisprozess für C. Die Menge der arbitragefreien Preis bezeichnen wir mit Π(C). Analog definiert man den undiskontierten arbitragefreien Preisprozess S d+1 , wobei also gilt Std+1 = St0 Xtd+1 . Im Folgenden klären wir den Zusammenhang zwischen den beiden Definitionen und schließlich werden wir auch zu einer allgmeinen Charakterisierung von vollständigen Finanzmärkten kommen. Satz 3.9. Sei C ein Derivat. Für jedes Q ∈ M mit EQ [C] < ∞ definiert (EQ [C|Ft ])t=0,...,T einen arbitragefreien Preisprozess für C und jeder arbitragefreie Preisprozess ist von dieser Form. Insbesondere gilt für die Menge Π(C) der diskontierten arbitragefreien Preise von C Π(C) = {EQ [C] : Q ∈ M mit EQ [C] < ∞}. 20 Beweis. Für jedes Wahrscheinlichkeitsmaß Q so dass EQ [C] < ∞, ist der Prozess X d+1 = (EQ [C|Ft ])t=0,...,T ein Martingal unter Q (siehe Beispiel 2.7). Ist Q sogar ein Martingalmaß, dann ist nach Satz 2.9 das erweiterte diskontierte Marktmodell X ∗ = (X̄, X d+1 ) arbitragefrei (mit Martingalmaß Q). Da F0 trivial ist, folgt daraus auch, dass EQ [C] = EQ [C|F0 ] = X0d+1 und EQ [C] ist ein arbitragefreier Preis. Andererseits existiert nach Satz 2.9 für eine arbitragefreie Erweiterung X ∗ = (X̄, X d+1 ) des Marktmodells X̄ mit XTd+1 = C ein äquivalentes Martingalmaß Q. Unter diesem Maß gilt nun Xtd+1 = EQ [XTd+1 |Ft ] = EQ [C|Ft ]. Insbesondere ist X0d+1 = EQ [C|F0 ] = EQ [C]. Satz 3.10. Jedes Derivat C hat mindestens einen arbitragefreien Preisprozess. Beweis. Sei C ein beliebiges Derivat. Nach Satz 3.9 reicht es zu zeigen, dass ein Q ∈ M mit EQ [C] < ∞ existiert. Wir betrachten das Wahrscheinlichkeitsmaß P0 gegeben durch Z0 1 dP0 = , wobei Z 0 := ≤ 1. 0 dP E[Z ] C +1 Dann ist P0 ∼ P und es gilt 0 EP [C] = E[C/(1 + C)] < ∞ und somit C ∈ L1 (P0 ). E[Z 0 ] Nach Bemerkung 2.4 und dem FTAP1, Satz 2.9, existiert ein Maß Q ∈ M mit Z := dQ ∞ und es gilt dP0 ∈ L 0 0 EQ [C] = EP [ZC] ≤ kZk∞ EP [C] < ∞. Satz 3.11. Ist ein Derivat C replizierbar mit einer selbstfinanzierenden Handelsstrategie H̄, so gilt für jedes Q ∈ M Vt (H̄) = EQ [C|Ft ]. Insbesondere gilt Π(C) = {V0 (H̄)}. Beweis. Sei Q ∈ M. Da VT (H̄) = C ≥ 0, ist wegen Doob’s System Theorem der Prozess (Vt (H̄)) ein Q-Martingal (für jedes Q ∈ M), sodass Vt (H̄) = EQ [VT (H̄)|Ft ] = EQ [C|Ft ]. 21 Bemerkung 3.12. Nach Definitionen 3.6 und 3.8 ist also für ein replizierbares Derivat C, der faire Preis gleich dem arbitragefreien Preis. Letzteres stellt also wirklich eine Verallgemeinerung dar. Wir werden später folgende Verschärfung der Sätze 3.9 und 3.11 beweisen. Satz 3.13. Sei C ein Derivat. Es tritt genau einer der beiden Fälle ein: (i) Π(C) ist einelementig und C ist replizierbar mit einer Hedgingstrategie H̄ mit Vt (H̄) = EQ [C|Ft ], für jedes beliebige Martingalmaß Q ∈ M. (ii) Π(C) ist ein offenes Intervall und C ist nicht replizierbar Beweis. Ist C replizierbar, so ist Π(C) nach Satz 3.11 einelementig und es gilt die entsprechende Darstellung für den Vermögensprozess der Replikation. Es verbleibt zu zeigen, dass im Falle, dass Π(C) nicht replizierbar ist, die Menge der arbitragefreien Preise ein offenes Intervall ist. Im Allgemeinen ist wegen der Konvexität von M, die Menge Π(C) konvex (und somit ein Intervall) und es verbleibt zu zeigen, dass πmin (C) := inf Π(C) und πmax (C) := sup Π(C) keine arbitragefreien Preise sind. Dies wird ein Ergebnis des nächsten Abschnitts sein. Wir erinnern daran, dass ein Finanzmarkt vollständig heißt, wenn jedes beschränkte Derivat C replizierbar ist. Wir kommen nun zum 2. Fundamentalsatz der Aktienbewertung. Satz 3.14 (FTAP2). Ein arbitragefreier Finanzmarkt ist genau dann vollständig, wenn er genau ein äquivalentes Martingalmaß besitzt. Kurz: Vollständigkeit ⇔ #M = 1. Ferner ist in einem vollständigen Markt, sogar jedes Derivat replizierbar. Beweis. "⇐": Sei C ein beliebiges Derivat. Nach Satz 3.10 ist Π(C) nicht leer. Andererseits gilt Π(C) = {EQ [C] : Q ∈ M mit EQ [C] < ∞}, und damt enthält die Menge maximal ein Element da M einelementig ist. Somit folgt aus Satz 3.13, dass C replizierbar ist. "⇒": Seien Q1 , Q2 ∈ M. Für jedes A ∈ F ist 1lA ein beschränktes Derivat, welches wegen der Vollständigkeit replizierbar ist. Damit hat 1lA einen eindeutigen Preis und es folgt, dass 1 2 Q1 (A) = EQ [1lA ] = EQ [1lA ] = Q2 (A). D.h. Q1 = Q2 . 22 Bemerkung 3.15. Vollständige Märkte haben im Wesentlichen einen endlichen Grundraum Ω, siehe [FS11, Thm. 5.37]. Genauer: Ist ein Markt vollständig, so existiert keine Familie (An )n∈N paarweise disjunkter Mengen aus F mit P(An ) > 0 für alle n ∈ N. 3.2. Bewertungen im Binomialmodell Wir werden zur Illustration das Binomialmodell analysieren und dabei die Bewertung für eine Call-Option durchführen, aber auch eine Rekursion zur Berechnung des Preises eines allgmeinen Derivats herleiten. Definition 3.16 (Das Binomialmodell). Das Binomialmodell oder das Cox-RossRubinstein Modell mit Parametern • d, u ∈ (−1, ∞) mit d < u: 2 mögliche Kursveränderungen“up”, “down” • r ≥ 0: Zinsrate • p ∈ (0, 1): Wahrscheinlichkeit für “up” • s0 > 0 Startwert der Aktie ist das Finanzmarktmodell mit • Grundraum Ω = {d, u}T , d.h. wir können ω ∈ Ω schreiben als ω = (ω1 , ω2 , . . . , ωT ) mit ωi ∈ {d, u}. • F = P(Ω) • Wahrscheinlichkeitsmaß P gegeben durch P({ω}) = p d.h. P = N t=1,...,T (pδu PT k=1 1l{u} (ωk ) PT (1 − p) k=1 1l{d} (ωk ) , + (1 − p)δd ), bestehend aus einem risikolosen Bond (Bt ) und einer risikobehafteten Aktie (St ) mit St (ω) = s0 t Y (1 + ωk ) und Bt = (1 + r)t . k=1 Als Filtration betrachtet man die von (St ) generierte Filtration Ft = σ(Ss : s ≤ t). Bemerkung 3.17. Baumdarstellung der Filtration (Ft ). Ein Baum ist eine Speziallfall von einem (einfachen, ungerichteten) Graphen. Allgemein wird ein Graph G durch eine Knotenmenge V und eine Kantenmenge E beschrieben. Dabei ist eine Kante e ∈ E eine zweielementige Teilmenge von V. Graphisch entspricht e = {v, w} einer Verbindung zwischen zwei Knoten v und w. Formal ist ein Baum nun ein Graph, (a) der zusammenhängend ist (es gibt zwischen beliebigen Knoten eine Verbindung entlang der Kanten) (b) und in dem jeder Pfad entlang unterschiedlicher Kanten keinen Knoten zweimal trifft (formal: es gibt keine wiederholungsfreie Kreise der Länge ≥ 2). 23 Wir definieren nun einen binären Baum T, der die Struktur der Filtration (Ft ) kodiert. • Die Menge der Konten der t-ten Generation sei Vt = {v = (ω1 , . . . , ωt ) | ωi ∈ {d, u}} und V0 = {∅}. und die Gesamtmenge der Knoten sei V := T [ Vt . t=0 Hier entspricht der Knoten ∅ der Wurzel des Baums. • Die Kanten des Baums sind definiert als E = {{v, (v, d)}, {v, (v, u)} | v ∈ V \ VT } wobei für einen Knoten v = (ω1 , . . . , ωt ) (den Vater) jeweils eine Kante zu den Kindern gezogen wird, die als (v, d) := (ω1 , . . . , ωt , d), beziehungsweise (v, u) := (ω1 , . . . , ωt , u), definiert sind. Der Zusammenhang zu der Filtration (Ft ) kann nun wie folgt formalisiert werden: Wir sagen, dass eine Menge A ∈ Ft \ {∅} eine t-atomare Menge ist, wenn für alle B ∈ Ft gilt B ⊂ A =⇒ B ∈ {∅, A}. Der Zusammenhang besteht nun darin, dass jedem Knoten v = (ω1 , . . . , ωt ) ∈ Vt genau eine t-atomaren Menge Av := {(ω1 , . . . , ωt )} × {d, u}T −t , zugeordnet werden kann. Ausserdem ist w ∈ Vt+1 Kind von v genau dann wenn Aw ⊂ Av ist. Mit Hilfe dieser Konstruktion lassen sich nun alle zu P äquivalenten Maße auf Ω beschreiben, in dem man jeder Kante des Baums ein Gewicht zuordnet. Proposition 3.18. Eine Abbildung Q : E → (0, 1) mit der Eigenschaft, dass für alle v ∈ V \ VT X Q({v, w}) = 1. (9) w:w Kind von v gilt, definiert ein zu P äquivalentes Wahrscheinlichkeitsmaß via Q({ω}) = T Y Q({(ω1 , . . . , ωt−1 ), (ω1 , . . . , ωt )}) (10) t=1 für alle ω = (ω1 , . . . , ωT ) ∈ Ω. Umgekehrt lässt sich jedes zu P äquivalente Wahrscheinlichkeitsmaß auf diese Weise darstellen. 24 Bemerkung 3.19. Das Maß P entspricht der Abbildung Q, bei der Q({v, (v, u)}) = p und Q({v, (v, d)}) = 1 − p, gewählt wird. Im Folgenden schreiben wir Q(v, w) := Q({v, w}) wenn {v, w} eine Kante in dem Baum T ist. Beweis. Gegeben Q, definiere Q via (10). Man kann leicht prüfen, dass die Bedingung (9) garantiert, dass Q ein Wahrscheinlichkeitsmaß ist. Da P nur der leere Menge das Maß 0 zuordnet ist es klar, dass Q äquivalent zu P ist. Für die Rückrichtung, sei Q ein zu P äquivalentes Wahrscheinlichkeitsmaß. Dann definieren wir für w ein Kind von v Q({v, w}) = Q(Aw ) , Q(Av ) und Bedingung (9) folgt aus der Definition von Av . Als nächsten zeigen wir in diesem Zusammenhang, dass ein adaptierter Prozess einer Abbildung entspricht, die auf der Menge der Knoten definiert ist. Proposition 3.20. (i) Jede Abbildung X : V → R definiert einen (Ft )-adaptierten Prozess (Xt ) via Xt (ω) := X((ω1 , . . . , ωt )) für ω ∈ Ω. (11) und jeder adaptierte Prozess lässt sich auf diese Weise darstellen. (ii) Ein adaptierter Prozess (Xt ) (mit Darstellung X) ist genau dann ein Martingal unter dem Maß Q (mit Darstellung Q wie in Proposition 3.18), wenn gilt X Q(v, w)(X(w) − X(v)). (12) w : w Kind von v Satz 3.21. Das Binomialmodell ist genau dann arbitragefrei wenn d < r < u. In diesem Fall ist das Binomialmodell vollständig und es gibt genau ein äquivalentes Martingalmaß gegeben durch Q({ω}) = q #{i∈{1,...,T }:ωi =u} (1 − q)#{i∈{1,...,T }:ωi =d} , (13) für alle ω = (ω1 , . . . , ωT ) ∈ Ω, wobei q := r−d . u−d Beweis. Sei Q ein äquivalentes Martingalmaß mit Darstellung Q wie in Proposition 3.18. Insbesondere muss Q die Gleichung X Q(v, w) = Q(v, (v, d)) + Q(v, (v, d)) = 1, (14) w:w Kind von v 25 für alle v ∈ T \ TT erfüllen. Der diskontierte Preis der risikobehafteten Aktie St ist t Y St (ω) −t Xt (ω) = = (1 + r) (1 + ωi ) =: X((ω1 , . . . , ωt )). Bt i=1 Insbesondere ist für v = (ω1 , . . . , ωt ) mit t ∈ {0, . . . , T − 1}, X((v, u)) = 1+u 1+d X(v) und X((v, d)) = X(v). 1+r 1+r (15) Weiterhin soll X ein Martingal unter Q sein, d.h. nach Proposition 3.20 muss gelten X 0= Q(v, w)(X(w) − X(v)) w:w Kind von v = Q(v, (v, d))(X((v, d)) − X(v)) + Q(v, (v, u))(X((v, u)) − X(v)) 1+u = X(v) Q(v, (v, u))( 1+d 1+r − 1) + Q(v, (v, d))( 1+r − 1) Damit erhalten wir zusammen mit (14) für jeden Knoten v zwei lineare Gleichungen mit eindeutiger Lösung Q(v, (v, d)) = 1 − Q((v, (v, u)) = u−r u−d und Q(v, (v, u)) = r−d =: q. u−d Nun liegt q ∈ (0, 1) genau dann wenn d < r < u. Nur in diesem Fall gibt es ein (dann eindeutiges) Martingalmaß Q, wobei Q das zu Q gehörige Maß ist. Nach Definition erfüllt Q dann (13) und nach dem 2. Fundamentalsatz, Satz 3.14, ist das Modell in diesem Fall vollständig. Da wir jetzt die Menge der äquivalenten Martingalmaße kennen, können wir auch die Bewertung von Derivaten durchfinden. Wir beginnen mit einem besonders einfachen Fall, einer Call-Option. Satz 3.22. Im Binomialmodell mit d < r < u hat ein Call mit Strike K > 0 und Maturität T den eindeutigen arbitragefreien Preis S0 F̄T,q0 (κ) − K F̄T,q (κ), (1 + r)T r−d wobei q 0 := 1+u 1+r u−d , und FT,a die Verteilungsfunktion einer Binomialverteilung mit Parametern T ∈ N und a ∈ (0, 1) bezeichne und F̄T,a := 1 − FT,a . Weiter ist K S0 (1+d)T log 1+u 1+d log κ := . Beweis. Sei Q das eindeutig bestimmte Martingalmaß. Wir betrachten ( 1, wenn ωt = u ∆Yt (ω) = 0, wenn ωt = d 26 (16) für t = 1, . . . , T . Die Zufallsvariablen (∆Yt )t=1,...,T sind unabhängig Ber(q)-verteilt (unter Q) und somit ist T X YT := ∆Yt t=1 gerade binomial-verteilt mit Parametern T und q (unter Q). Wir können nun den Endpreis XT mithilfe von YT darstellen: XT = 1 + u YT 1 + d T 1 + u YT 1 + d T −YT ST = S0 = S0 BT 1+r 1+r 1+d 1+r Wir erinnern daran, dass ein (undisktonierter) Call definiert ist als C = (ST − K)+ und somit erhalten wir nach Diskontierung, dass C = (1 + r)−T ((1 + r)T XT − K)+ = (XT − K 0 )+ für K 0 := K/(1 + r)T . Wir nutzen zur weiteren Berechnung, dass EQ [C] = EQ [1l{XT >K 0 } (XT − K 0 )] = EQ [1l{XT >K 0 } Xt ] − K 0 Q(XT > K 0 ). Wir bemerken, dass K o n o n 1 + u YT 1 + d T log S0 (1+d) T > K 0 = YT > = {YT > κ}, {XT > K 0 } = S0 1+u 1+d 1+r log 1+d wobei κ in (16) definiert ist. Ferner gilt 1 + u YT 1 + d T −YT i h EQ [1l{Xt >K 0 } Xt ] = S0 EQ 1l{Xt >K 0 } 1+r 1+r k X T 1 + u k 1 + d q (1 − q) = S0 1+r 1+r k k:k>κ 1+d Es gilt 1+u 1+r q + 1+r (1 − q) = 1 und somit ist der letztere Summand das k-te Gewicht r−d 0 der Binomialverteilung mit Parametern T und q 0 = 1+u 1+r u−d . Wir bezeichnen mit Q das Wahrscheinlichkeitsmaß Q0 (ω) = (q 0 )#{i:ωi =u} (1 − q 0 )#{i:ωi =d} . und bemerken, dass EQ [1l{Xt >K 0 } Xt ] = S0 Q0 (YT > κ). Es verbleibt alles zusammenzufügen: EQ [C] = S0 Q0 (YT > κ) − K 0 Q(YT > κ). 27 Da der Markt vollständig ist, wissen wir dass sich jedes Derivat replizieren lässt. Allerdings ist die Formel für den arbitragefreien Preis nicht immer auf so explizite Weise gegeben wie in Satz 3.22 für eine Call-Option. Für beliebige Derivate, können wir immerhin die Baumstruktur der Filtation ausnutzen um eine Rekursion für replizierende Handelsstrategien anzugeben. Zumindest numerisch lassen sich so auf einfache Weise Preise für beliebige Derivate bestimmen. Satz 3.23. Im Binomialmodell mit d < r < u lassen sich für jedes Derivat C rekursiv eine replizierende Hedgingstrategie (H̄t ) = (Ht0 , Ht ) und der arbitragefreie Preisprozess (Vt ) = (Vt (H̄)) wie folgt bestimmen: • Zunächst findet man rekursiv die Funktionen V, H : V → R definiert auf den Knoten des Baums. (i) Rekursion für V: Für die Knoten der T -ten Generation setzen wir: V((ω1 , . . . , ωT )) = C((ω1 , . . . , ωT )) Gegeben die Werte von V auf den Knoten der der (t + 1)-ten Generation, setzen wir für v ∈ Vt , V(v) = qV((v, u)) + (1 − q)V((v, d)). (17) (ii) H(v) kann beliebig gewählt werden für v ∈ VT und für v ∈ Vt , mit t < T , setzen wir V((v, u)) − V((v, d)) H(v) = (1 + r) (18) (u − d)X(v) • Wie in Proposition 3.20 definieren wir dann Ht (ω) = H((ω1 , . . . , ωt−1 )) t = 1, . . . , T, und Vt (ω) = V((ω1 , . . . , ωt )) Schließlich lässt sich der previsible Prozess H wie in Lemma 1.12 zu einer selbstfinanzierenden Handelsstrategie H̄ erweitern, die dann eine Hedgingstrategie für C darstellt. Beweis. Es sei (H̄t ) = (Ht0 , Ht ) ein Hedge für die Option C. Dann gilt VT (H̄) = C und da H̄ eine selbst-finanzierende Handelsstrategie ist, gilt für den zugehörigen Vermögensprozess Vt := Vt (H̄): Vt (H̄) − Vt−1 (H̄) = Ht (Xt − Xt−1 ). (19) Nach Proposition 3.20, können wir die zugehörigen Abbildungen H, X, V : V → R finden, wobei V, X analog zu (18) definiert werden. Für H gilt da (Ht ) previsibel ist allerdings Ht (ω) = H((ω1 , . . . , ωt−1 )). Mit dieser Notation gilt nach (19) für alle v ∈ T \ TT und jedes Kind w von v, V(w) − V(v) = H(v)(X(w) − X(v)). 28 Nun hat jedes v zwei Kinder und wir bekommen nach Definition von X, siehe auch (15), die beiden Gleichungen V((v, d)) − V(v) = H(v)( 1+d 1+r − 1)X(v), V((v, u)) − V(v) = H(v)( 1+u 1+r − 1)X(v). Durch Eliminierung von V(v) und Umstellen nach H(v) erhalten wir H(v) = (1 + r) V((v, u)) − V((v, d)) . (u − d)X(v) Außerdem ist V(v) = V((v, u)) − H(v) u−r X(v). 1+r Einsetzen von H(v) ergibt also V((v, u)) − V((v, d)) u − r X(v) (u − d)X(v) 1+r = qV((v, u)) + (1 − q)V((v, d)), V(v) = V((v, u)) − (1 + r) wobei wir q = r−d u−d nutzen. Bemerkung 3.24. Ein alternativer Beweis für die Rekursion von V nutzt dass (Vt ) ein Martingal ist unter Q und deshalb die Rekursion (17) gilt. 3.3. Superhedging Wir stellen uns in diesem Abschnitt die Frage, welchen Preis eine Bank für eine Option verlangen muss, damit sie durch entsprechendes Handeln am Markt fast sicher keinen Verlust erleidet. Insbesondere werden die Ergebnisse es uns erlauben die verbleibenden Aussagen aus Satz 3.13 zu beweisen. Definition 3.25. Eine selbstfinanzierende Handelststrategie H̄ heißt Superreplikation einer Option C, wenn VT (H̄) ≥ C, P-fast sicher. Im Folgenden bezeichne für ein Derivat C πmax (C) = sup Π(C) = sup{EQ [C] : Q ∈ M mit EQ [C] < ∞}. das Supremum der arbitragefreien Preise. Proposition 3.26. Sei C ein Derivat. Für eine Superreplikation H̄ von C gilt V0 (H̄) ≥ πmax (C). Ist C nicht replizierbar, so ist ferner V0 (H̄) 6∈ Π(C). 29 Beweis. Angenommen H̄ sei eine Superreplikation und Q ∈ M. Dann gilt VT (H̄) ≥ C und somit folgt mittels Doob’s System Theorem, dass V0 (H̄) ≥ EQ [C]. (20) Ist C nicht replizierbar, so gilt Q(VT (H̄) > C) > 0 und in diesem Fall ist die Ungleichung 20 strikt. Da Q ∈ M beliebig gewählt werden kann ist V0 (H̄) kein arbitragefreier Preis für C. Wir werden in diesem Abschnitt zeigen, dass πmax (C) = sup Π(C) das minimale Startvermögen einer Superreplikation einer Option C ist, vorausgesetzt der Wert ist endlich. Zur Analyse obiger Frage betrachten wir den Prozess Ut := ess sup EQ [C|Ft ]. Q∈M Dabei verwenden wir den Begriff des essentiellen Supremums einer Familie von Zufallsvariablen, der in Sektion A.2 eingeführt wird. Dort werden auch die wichtigsten Eigenschaften aufgelistet. Bemerkung 3.27. Wir bemerken, dass EQ [C|F0 ] = EQ [C] (da die σ-Algebra F0 trivial ist) und EQ [C|FT ] = C (da C FT -messbar ist). Somit folgt U0 = πmax (C) und UT = C. Intuitiv kann man (Ut ) als dynamische Fortsetzung von πmax auffassen. Ersetzt man ess sup durch ess inf so erhält man eine dynamische Fortsetzung von πmin . Die Existenz von Superreplikationen ist eng mit dem folgenden Martingalbegriff verknüpft. Definition 3.28. Ein adaptierter nichtnegativer stochastischer Prozess (Zt )t=0,...,T heißt M-(Super-)Martingal, wenn (Zt ) unter jedem Maß Q ∈ M ein (Super-)Martingal ist. Unsere Startegie ist es zu zeigen, dass (Ut ) ein M-Supermartingal Satz 3.29. Ist πmax (C) endlich, so ist (Ut ) unter jedem Q ∈ M ein Supermartingal, d.h. (Ut ) ist ein M-Supermartingal. Wir nutzen folgende Notation UtQ := EQ [C|Ft ]. 30 Lemma 3.30. Für t = 0, . . . , T − 1 und Q ∈ M existiert eine Folge (Qn ) von äquivalenten Martingalmaßen mit UtQn ↑ Ut und Qn |Ft = Q|Ft . Beweis. Wir zeigen, dass wenn Mt (Q) := {Q0 ∈ M : Q0 |Ft = Q|Ft }, dann gelten die beiden Aussagen: (a) 0 Ut = ess sup EQ [C|Ft ] Q0 ∈Mt (Q) (b) 1 2 Q1 , Q2 ∈ M =⇒ ∃Q̃ ∈ Mt (Q) so dass UtQ ∨ UtQ = UtQ̃ . Aus (a) und (b) folgt sofort die Aussage des Lemmas durch Anwendung von Teil (ii) von Satz A.11. Weiterhin folgt aus (b) auch sofort (a), wobei ≥ in (a) aus der Definition folgt und für die Gegenrichtung gilt: wenn Q0 ∈ M, dann gibt es nach (a) ein Q̃ ∈ Mt so dass gilt 0 0 UtQ ≤ UtQ ∨ UtQ = UtQ̃ ≤ ess sup UtQ̄ . Q̄∈Mt (Q) Wir beweisen nun Aussage (a) und betrachten dafür Q1 , Q2 ∈ M und B := {UtQ1 > UtQ2 }. Wir bezeichnen mit Z, Z 1 und Z 2 die Dichteprozesse von Q, Q1 und Q2 , und betrachten das Maß Q̃ mit Z1 Z2 dQ̃ = Zt 1lB T1 + 1lB c T2 . dP Zt Zt Zeigen Sie als Übungsaufgabe, dass Q̃ den Dichteprozess ( Zs , wenn s ≤ t Z̃s = Zs2 Zs1 c Zt 1lB Z 1 + 1lB Z 2 , wenn s ≥ t t t hat und dass Q̃ ∈ M. Aus der Darstellung für die Dichte folgt sofort, dass Q̃|Ft = Q|Ft . Ferner gilt 1 h ZT1 Z 2 i E Zt 1lB 1 + 1lB c T2 C Ft Zt Zt Zt E[ZT1 C|Ft ] E[ZT2 C|Ft ] = 1lB + 1lB c = 1lB UtQ1 + 1lB c U Q2 = UtQ1 ∨ UtQ2 . Zt1 Zt2 UtQ̃ = EQ̃ [C|Ft ] = Somit ist Teil (ii) von Satz A.11 anwendbar. Damit erhalten wir die folgendene “verallgemeinerte Turm-Eigenschaft” für die bedingte Erwartungen, bei der man das essentielle Supremum und den Erwartungswert geeignet vertauschen darf. 31 Lemma 3.31. Ist πmax (C) < ∞, dann gilt für t = 0, . . . , T − 1 i h ess sup EQ [C|Ft ] = ess sup E ess sup EQ̃ [C|Ft+1 ]Ft . Q∈M Q∈M (21) Q̃∈M Für den Process (Ut ) bedeutet dies Ut = ess sup EQ [Ut+1 |Ft ]. Q∈M Beweis. Es gilt wegen der Definition des essentiellen Supremums und schließlich der Turmeigenschaft i h ess sup EQ ess supEQ̃ [C|Ft+1 ]Ft ≥ ess sup EQ EQ [C|Ft+1 ]|Ft Q∈M Q∈M Q̃∈M = ess supEQ [C|Ft ]. Q∈M Zum Beweis der Rückrichtung fixieren wir ein Q ∈ M und betrachten Mt+1 (Q) := {Q0 ∈ M : Q|Ft+1 = Q0 |Ft+1 }. Dann gilt zunächst wegen der Turmeigenschaft ess sup EQ [C|Ft ] = ess sup EQ EQ [C|Ft+1 ]|Ft Q∈M Q∈M = ess sup Q∈M = ess sup Q∈M ess sup EQ̃ EQ̃ [C|Ft+1 ]|Ft Q̃∈Mt+1 (Q) (22) ess sup EQ EQ̃ [C|Ft+1 ]|Ft . Q̃∈Mt+1 (Q) Dabei haben wir bei dem letzten Schritt ausgenutzt, dass EQ̃ [C|Ft=1 ] Ft+1 -messbar ist und auf der σ-Algebra Ft+1 die Maße Q und Q̃ nach Definition übereinstimmen. Qk Wegen Lemma 3.30 existiert eine Folge (Qk ) mit Einträgen in Mt+1 (Q) mit Ut+1 ↑ Ut+1 sodass Q̃ ess sup EQ EQ̃ [C|Ft+1 ]|Ft = ess sup EQ [Ut+1 |Ft ] Q̃∈Mt+1 (Q) Q̃∈Mt+1 (Q) Qk ≥ lim EQ [Ut+1 |Ft ] = EQ [Ut+1 |Ft ] k→∞ i h = EQ ess sup EQ̃ [C|Ft+1 ]Ft , Q̃∈M wegen monotoner Konvergenz. Somit folgt aus (22) ess sup EQ [C|Ft ] = ess sup Q∈M Q∈M ess sup EQ EQ̃ [C|Ft+1 ]|Ft Q̃∈Mt+1 (Q) i h ≥ ess sup EQ ess sup EQ̃ [C|Ft ]Ft . Q∈M Q̃∈M 32 Beweis von Satz 3.29. Für Q ∈ M gilt 0 EQ [Ut+1 |Ft ] ≤ ess sup EQ [Ut+1 |Ft ] = Ut Q0 ∈M wegen Lemma 3.31 und damit ist Ut ein Q-Supermartingal für beliebiges Q ∈ M. Als nächstes beweisen wir einen Charakterisierungssatz für M-Supermartingale. Satz 3.32 (Charakterisierungssatz der M-Supermartingale). Sei (Ut ) ein adaptierter nichtnegativer Prozess. Folgende Aussagen sind äquivalent (i) (Ut ) ist ein M-Supermartingal. (ii) Es existiert ein adpatierter wachsender Prozess (At ) und ein previsibler Rd wertiger Prozess (Ht ) mit Ut = U0 + t X Hs · (Xs − Xs−1 ) − At , P-fast sicher, für alle t = 0, . . . , T . s=1 Bemerkung 3.33. Dieser Satz ist eine uniforme Variante des klassischen Doob’schen Zerlegungssatz. Zur Erinnerung: der klassische Satz von Doob sagt, dass (Yt ) ein QSupermartingal ist genau dann, wenn Yt Q-integrierbar ist und es ein Q-Martingal (Mt ) und einen previsiblen, wachsenden Prozess (At ) gibt, so dass Yt = Mt − At . Bei der uniformen Doob-Zerlegung, muss darauf verzichtet werden, dass (At ) previsibel ist. Auch können wir den klassischen Beweis der Doob-Zerlegungs nicht einfach an unsere Situation anpassen. Denn im klassischen Fall konnte man die Prozesse (Mt ) und (At ) einfach “hinschreiben” mit Hilfe von bedingten Erwartung bezüglich Q. Da dies aber nur für ein bestimmtes Maß Q funktioniert, müssen wir hier eine andere Strategie anwenden. Beweis. (ii)⇒(i): Sei Q ∈ M. Nach Doob’s System Theorem (Satz 2.10) ist (Vt ) gegeben durch t X Hk · (Xs − Xs−1 ) Vt = U0 + s=1 ein Q-Martingal. Es gilt Ut = Vt − At ≤ Vt − A0 = Vt , da (At ) wachsend und A0 = 0. Insbesondere ist (Ut ) Q-integrierbar, da einerseits nach Annahme Ut ≥ 0 und andereseits Vt ein Q-Martingal und damit Q-integrierbar. Ausserdem gilt nun, da (At ) wachsend EQ [Ut+1 |Ft ] = EQ [Vt+1 − At+1 |Ft ] ≤ EQ [Vt+1 − At |Ft ] = Vt − At = Ut , so dass (Ut ) ein Q-Supermartingal ist. 33 (i)⇒(ii): Ziel: Für jedes t = 1, . . . , T ist ein Ht ∈ L0 (Ω, Ft−1 , P; Rd ) und eine nichtnegative Zufallsvariable ∆At zu definieren sodass Ut − Ut−1 = Ht · (Xt − Xt−1 ) − ∆At . Pt−1 Der Prozess At ergibt sich dann als At = s=1 ∆At . (23) Wir nehmen ohne Einschränkung der Allgemeinheit an, dass P ein Martingalmaß ist unter dem die diskontierten Preisprozesse integrierbar sind (ein äquivalenter Maßwechsel ändert nichts an der Fragestellung) und fixieren ein t. Wir betrachten nun die Zufallsvariablen U := Ut − Ut−1 und Y := Xt − Xt−1 , die beide ein endliches erstes Moment bzgl. P haben (Folgerung aus Supermartingaleigenschaft). Die Aussage (23) ist äquivalent dazu, dass U ∈ (K − L0+ ) ∩ L1 wobei K := {H · Y : H ∈ L0 (Ω, Ft−1 , P; Rd )}. Wir führen einen Widerspruchsbeweis und nehmen an, dass U 6∈ (K − L0+ ) ∩ L1 . Die Menge (K − L0+ ) ∩ L1 ist eine abgeschlossene konvexe Teilmenge (Proposition 2.15) in L1 und somit können die Mengen (K − L0+ ) ∩ L1 und {U } strikt mittels eines Z ∈ L∞ (Ω, Ft , P) getrennt werden (Satz 2.13), d.h. ∀W ∈ (K − L0+ ) ∩ L1 : E[ZW ] < E[ZU ]. Da {0} ∈ (K−L0+ )∩L1 , folgt E[ZU ] > 0. Weiterhin muss, da für alle W ∈ (K−L0+ )∩L1 gilt, dass λW (K − L0+ ) ∩ L1 für λ > 0, folgen, dass E[ZW ] ≤ 0. Damit folgt aus Proposition 2.12, dass Z ≥ 0, fast sicher, und E[Z Xti |Ft−1 ] = Xti für alle i = 1, . . . , d. (24) Ist Z nicht fast sicher positiv so ersetzen wir die Zufallsvariable Z durch Z +ε mit ε > 0 klein genug, sodass weiterhin E[ZU ] > 0 gilt (möglich, da ε 7→ E[(Z + ε)U ] stetig ist. Auch unter dem modifizierten Maß gilt (24), da P nach Annahme ein Martingalmaß ist . Nun wählt man ein äquivalentes Wahrscheinlichkeitsmaß Q mittels dQ Z = dP E[Z|Ft−1 ] Q hat den Dichteprozess (Zs ) mit Zs = ( 1, Z E[Z|Ft−1 ] , 34 s<t s≥t und man kann leicht verifizieren, dass Q ∈ M. Somit gilt EQ [U |Ft−1 ] ≤ 0 (da (Us ) Q-Supermartingal ist) und wir erhalten einen Widerspruch mittels 0 ≥ EQ [EQ [U |Ft−1 ] E[Z|Ft−1 ] = EQ [U E[Z|Ft−1 ]] = E[U Z] > 0. D.h. es muss gelten dass U ∈ (K − L0+ ) ∩ L1 wie erwünscht. Satz 3.34. Ist πmax (C) = ∞ so existiert keine Superhedgingstrategie für C. Andernfalls ist πmax (C) das niedrigste Startvermögen für das eine Superreplikation von C existiert. Beweis. Ist πmax (C) < ∞, so ist der Prozess Ut = ess sup EQ [C|Ft ] Q∈M ein M-Supermartingal (Satz 3.29) mit U0 = πmax (C) und UT = C. D.h. es existiert nach Satz 3.32 ein previsibler Prozess (Ht ) sodass C = UT = πmax (C) + T X Hs · (Xs − Xs−1 ) − AT , s=1 wobei (At ) ein wachsender adaptierter Prozess mit A0 = 0 ist. Somit kann man H zu einer selbstfinanzierenden Handelsstrategie mit dem Startvermögen πmax (C) erweitern.. Dies ist eine Superreplikation mit minimalem Sartvermögen, da die Preise in Π(C) arbitragefrei sind. Zum vollständigen Beweis von Satz 3.13 muss noch gezeigt werden, dass für nicht replizierbares C, die Preise πmin (C) und πmax (C) nicht arbitragefrei sind. Gilt πmax (C) < ∞, so existiert nach Satz 3.34 eine Superreplikation H̄ mit Startvermögen πmax (C) und nach Proposition 3.26 ist V0 (H̄) = πmax (C) kein arbitragefreier Preis für C. Analog zeigt man, dass auch der Preis πmin (C) im Falle der Nichtreplizierbarkeit nicht arbitragefrei ist. Der zentrale Punkt hierbei ist, dass der Charakterisierungssatz für M-Supermartingale auch für M-Submartingale gilt. Definition 3.35. Ein nichtnegativer stochastischer Pozess (Ut ) heißt M-Submartingal, wenn der Prozess (Ut ) unter jedem Maß Q ∈ M unter dem er integrierbar ist, ein Submartingal ist. Satz 3.36. Es gilt für einen adaptierten nichtnegativen Prozess (Ut ) folgende Äquivalenz: (i) (Ut ) ist ein M-Submartingal (ii) Es existiert ein adaptierter wachsender Prozess (At ) und ein previsibler Rd wertiger Prozess (Ht ) mit Ut = U0 + t X Hs · (Xs − Xs−1 ) + At , P-fast sicher, für alle t = 0, . . . , T . s=1 35 Beweis. Ohne Einschränkung kann angenommen werden, dass P ein äquivalentes Martingalmaß ist sodass die diskontierten Preisprozess und der Prozess (Ut ) integrierbar sind. Nun können alle Beweisschritte aus dem Beweis von Satz 3.32 auf (−Ut ) angewandt werden. 36 4. Bewertung amerikanischer Derivate 4.1. Superhedging und die Snell Einhüllende Amerikanische Optionen erlauben im Gegensatz zu den europäischen eine Nutzung des Optionsrecht bereits vor der Maturiät. Beispiel 4.1. Ein amerikanischer Call (Put) mit Strike K > 0 und Maturität T kann zu jeder Zeit t ∈ {0, . . . , T } eingelöst werden. Dies führt zur Ausschüttung CtCall = (Sti − K)+ , bzw. CtPut = (K − Sti )+ zur Zeit t, wobei danach die Option verwirkt ist. Definition 4.2. Ein (amerikanisches) Derivat ist ein nichtnegativer adaptierter Prozess C = (Ct )t=0,...,T . Der Prozess (Ct ) gegeben durch Ct = St0 Ct heißt undiskontierter Claim zu (Ct ). Bemerkung 4.3. 1.) Bei einem amerikanisches Derivat beschreibt Ct die mögliche (diskontierte) Ausschüttung zur Zeit t bei Ausübung des Optionsrechts (danach ist die Option verwirkt). 2.) Europäische Derivate C können mittels Wahl von CT = C und Ct = 0 für t = 0, . . . , T − 1 als amerikanisches Derivat interpretiert werden, da nun eine Ausschüttung vor der Maturität nicht sinnvoll ist. 3.) Amerikanische Derivate können als Familien europäischer Derivate interpretiert werden. Dem Investor steht zu jeder Zeit frei, ob er von dem Recht die Option einzulösen gebrauch macht und wir modellieren die Strategie eines Investors mittels einer Stoppzeit τ , d.h. einer Abbildung τ : Ω → {0, . . . , T } mit {τ ≤ t} ∈ Ft ∀t = 0, . . . , T. Eine typisches Beispiel einer Stoppzeit ist τM := inf{t ∈ Xti ≥ M } ∧ T . Dies ist wirklich eine Stpopzeit, denn {τM ≤ t} = t [ {Xsi ≥ M } ∈ Ft . s=1 Nachdem der Investor eine Stoppzeit τ (die dem Vertragspartner natürlich unbekannt ist) gewählt hat entspricht das amerikanische Derivat für ihn dem europäischen Derivat mit diskontierter Auszahlung Cτ . 37 4.) Die optimale Stoppzeit hängt stark von dem vorliegendenen Derivat ab. So ist beispielsweise wenn Ctcall > 0 die entsprechende Put-Option Ctput = 0. D.h. die entsprechenden Käufer würden sicherlich unterschiedliche Ausübungszeiten wählen. Insbesondere gibt es in diesem Fall keine Put-Call-Parität. Wir nehmen die Perspektive eines Verkäufers einer amerikanischen Option ein und fragen uns, wie er sich gegen mögliche Verluste schützen kann. Definition 4.4. Eine selbstfinanzierende Handelsstrategie H̄ heißt Superreplikation oder Superhedgingstrategie eines amerikanischen Derivats (Ct ), wenn, fast sicher, Vt (H̄) ≥ Ct ∀t ∈ {0, . . . , T } Eine untere Abschätzung für den Preis einer Superreplikation liefert der folgende Satz. Satz 4.5. Für jede Superreplikation H̄ von (Ct ) gilt V0 (H̄) ≥ πmax (C) := sup sup EQ [Cτ ], τ Q∈M wobei das Supremum über alle Stoppzeiten τ genommen wird. Beweis. Sei H̄ eine Superreplikation und τ eine beliebige Stoppzeit. Der Prozess (Htτ ) gegeben durch Htτ = 1l{t≤τ } Ht ist previsibel, denn es gilt Htτ = 1l{t≤τ } Ht = Ht − 1l{t>τ } Ht = Ht − 1l{τ ≤t−1} Ht , welches Ft−1 -messbar ist, da τ eine Stoppzeit und Ht previsibel ist. Nun setzen wir H τ gemäß Lemma 1.12 eindeutig zu einer selbstfinanzierenden Handelsstrategie H̄ τ = (H 0,τ , H τ ) mit Startvermögen V0 (H̄) fort. Dann gilt VT (H̄ τ ) = V0 (H̄ τ ) + GT (H τ ) = V0 (H̄) + Gτ (H) = Vτ (H̄) ≥ Cτ . D.h. H̄ τ ist eine Superreplikation für Cτ (interpretiert als europäische Option) und somit gilt nach Proposition 3.26, sup EQ [Cτ ] ≤ V0 (H̄ τ ) = V0 (H̄). Q∈M Die Aussage des Satz folgt in dem wir das Supremum über alle Stoppzeiten τ nehmen. Frage: Wie kann man effektiv Superreplikationen konstruieren? Wegen Satz 4.5 können wir im Folgenden voraussetzen, dass sup EQ [Ct ] < ∞ für jedes t ∈ {0, . . . , T }, Q∈M da ansonsten keine Superhedgingstrategie existieren kann. 38 (25) Wir definieren nun ähnlich wie zuvor einen adaptierten Prozess (Ut ) der den Minimalpreis (aus Sicht des Verkäufers) eines Derivats widerspiegeln wird. Vor der eigentlichen Definition, überlegen wir uns wie dieser Prozess aussieht im Fall, dass der Markt vollständig ist (siehe [FS11], S.324). Ut soll dem minimalen Kapital entsprechen, welches der Verkäufer zur Zeit t halten sollte, um allen Forderungen zu und nach Zeit t entsprechen zu können. Dabei gibt es zwei Komponenten: (a) Entweder der Käufer übt sein Recht zur Zeit t aus, dann sollte also Ut ≥ Ct sein. (b) Falls der Käufer sein Recht nicht zur Zeit t ausübt, dann sollte Ut dem minimalen Startkapital entsprechen mit dem sich der Verkäufer durch einen entsprechenden Hedge gegenüber zukünftigen Forderung absichern kann. Wir nehmen der Einfachheit halber an, dass der Markt vollständig ist und es sei Q das eindeutige Maritngalmaß. Wir definieren (Ut ) rekursiv. Beginnend bei t = T , stellen wir fest, dass nur (a) relevant ist, so dass wir UT = CT , wählen. Zur Zeit t = T − 1 fordern wir wegen (a), dass UT −1 ≥ CT −1 ist. Andererseits, können wir wegen der Vollständigkeit mit Startvermögen EQ [CT | FT −1 ] = EQ [UT | FT −1 ] gegen Ausübung der Option zur Zeit T absichern. Insgesamt wählen wir also UT −1 = max{EQ [UT | FT −1 ], CT } =: EQ [UT | FT −1 ] ∨ CT . Durch Iteration würden wir als (Ut ) definieren via UT = CT und Ut := EQ [Ut+1 | Ft ] ∨ Ct , für alle t = 0, . . . , T − 1. Im allgemeinen Fall ist der Markt nicht vollständig und wir müssen um bei (b) auf der sicheren Seite zu sein, das essentielle Supremum über alle Martingalmaße nehmen, was uns zu folgender Definition bringt. Definition 4.6. Sei (Ct ) ein amerikanisches Derivat. Der Prozess (Ut ) gegeben durch • UT = CT und • Ut = ess sup EQ [Ut+1 |Ft ] ∨ Ct für t = 0, . . . , T − 1 Q∈M heißt (obere) Snell Envelope oder Snell-Einhüllende der amerikanischen Option (Ct ). Wir bemerken, dass diese Definition sehr ähnlich zur im Lemma 3.31 bewiesenen Eigenschaft ist. Satz 4.7. Für ein amerikanisches Derivat (Ct ) mit πmax (C) < ∞ ist πmax (C) das niedrigste Startvermögen einer Superreplikation H̄. Insbesondere gilt U0 = πmax (C). Beweis. Für t = 0, . . . , T bezeichne τ (t) die Stoppzeit τ (t) = min{s ∈ {t, . . . , T } : Us = Cs } 39 sodass Uτ (t) = Cτ (t) . Da UT = CT ist τ (t) wohl-definiert. Wir zeigen zunächst, dass Ut = ess sup EQ [Cτ (t) |Ft ] (26) Q∈M mittels Induktion über t = T, . . . , 0. Die Aussage ist trivial für t = T (da τ (T ) = T ) und der Induktionsschritt folgt ähnlich wie im Beweis von Lemma 3.31. Wir nehmen also an, dass für ein t ∈ {1, . . . , T } Ut+1 = ess sup EQ [Cτ (t+1) |Ft+1 ]. (27) Q∈M Nun nutzen wir, dass falls τ (t) > t ist, dass dann τ (t + 1) = τ (t) und damit gilt nach Lemma 3.31 (mit C = Cτ (t+1) ) ess sup EQ [Cτ (t) |Ft ] = 1l{τ (t)=t} Ct + 1l{τ (t)>t} ess sup EQ [Cτ (t+1) |Ft ] Q∈M Q∈M i h = 1l{τ (t)=t} Ct + 1l{τ (t)>t} ess sup EQ ess supEQ̃ [Cτ (t+1) |Ft+1 ]Ft Q∈M Q̃∈M Q = 1l{τ (t)=t} Ct + 1l{τ (t)>t} ess sup E [Ut+1 |Ft ] = Ut , Q∈M wobei wir im vorletzten Schritt die Induktionsvoraussetzung (27) genutzt haben. Damit gilt (26) für alle t ∈ {0, . . . , T }. Wir zeigen nun die Existenz einer Superreplikation von (Ct ) mit Startvermögen U0 .. Aus (26) folgt sofort, dass U0 = sup EQ [Cτ (0) ] ≤ sup sup EQ [Cτ ] = πmax (C) < ∞. τ Q∈M Q∈M Außerdem gilt für jedes für jedes Q ∈ M und jedes t = 0, . . . , T − 1 Ut ≥ EQ [Ut+1 |Ft ], fast sicher. D.h. (Ut ) ist ein M-Supermartingal und somit existieren nach Satz 3.32 ein previsibler Prozess (Ht ) und ein wachsender adaptierter Prozess (At ) mit A0 = 0 sodass Ut = U0 + t X Hs · (Xs − Xs−1 ) − At ≥ Ct . s=1 Wie üblich können wir (Ht ) zu einer selbstfinanierenden Handelsstrategie und damit zu einer Superreplikation mit Startvermögen U0 erweitern. Wir haben bereits gesehen, dass U0 ≤ πmax (C). Andererseits folgt aus Satz 4.5, dass U0 ≥ πmax (C) als Startkapital einer Superreplikation. 40 Bemerkung 4.8. Wir bemerken, dass der Snell Envelope (Ut ) zur Definition einer optimalen Ausübungszeit der Option führt. Diese ist gerade τ opt = τ (0) = min{s ∈ {0, . . . , T } : Us = Cs } (28) und wir erhalten πmax (C) = sup sup EQ [Cτ ] = sup EQ [Cτ opt ]. τ Q∈M Q∈M 4.2. Arbitragefreie Preise Wir wollen nun das Konzept arbitragefreier Preise auf amerikanische Derivate (Ct ) erweitern. Da nun dem Käufer freigestellt ist das Derivat einzulösen, wann er möchte, liegt nun eine asymmetrische Situation vor. Definition 4.9. Wir nennen nun x ∈ [0, ∞) einen arbitragefreien Preis für ein amerikanischen Derivats C = (Ct ), wenn (i) für jede Stoppzeit τ ein Q ∈ M existiert, sodass x ≥ EQ [Cτ ], (d.h. es besteht keine Möglichkeit, die Stoppzeit so zu wählen um als Käufer eine Arbitrage zu erzielen) und (ii) eine Stoppzeit τ und ein Q ∈ M existieren, sodass x ≤ EQ [Cτ ] (d.h. die Stoppzeit kann vom Käufer so gewählt werden, dass für den Verkäufer keine Arbitragegelegenheit entsteht). Wir bezeichnen die entprechende Menge der arbitragefreien Preise mit Π(C). Satz 4.10. Ist das Marktmodell vollständig, so hat jedes amerikanische Derivat C genau einen arbitragefreien Preis, nämlich πmax (C). Insbesondere ist dieser endlich. Beweis. Sei Q das eindeutige Martingalmaß. Es gilt C1 , . . . , CT ∈ L1 (Q) nach Annahme (25) und somit ist für jede Stoppzeit τ , Cτ Q-integrierbar. Sei x ∈ Π(C). Dann folgt aus Eigenschaft (i) für die Stoppzeit τopt aus (28), dass x ≥ EQ [Cτ opt ] = πmax (C) und aus Eigenschaft (ii), dass für eine Stoppzeit τ x ≤ EQ [Cτ ] ≤ EQ [Cτopt ]. Es verbleibt zu zeigen, dass x = πmax (C) ein arbitragefreier Preis ist. Eigenschaft (i) gilt, da für jede Stoppzeit x = πmax (C) ≥ EQ [Cτ ] und Eigenschaft (ii) folgt direkt mittels Wahl von τ = τ opt . 41 Satz 4.11. Seien πmin (C) = sup inf EQ [Cτ ] und πmax (C) = sup sup EQ [Cτ ], τ Q∈M τ Q∈M wobei die Suprema jeweils über alle Stoppzeiten τ genommen werden. Es gilt (πmin (C), πmax (C)) ⊂ Π(C) ⊂ [πmin (C), πmax (C)]. Beweis. "Π(C) ⊂ [πmin (C), πmax (C)]": Sei x ∈ Π(C). Dann existieren eine Stoppzeit τ und Q ∈ M mit x ≤ EQ [Cτ ] ≤ πmax (C). Andererseits existiert für alle Stoppzeiten τ ein Q ∈ M mit 0 x ≥ EQ [Cτ ] ≥ inf0 EQ [Cτ ] Q und somit gilt auch die andere Richtung. Übungsaufgabe: Zeigen Sie "(πmin (C), πmax (C)) ⊂ Π(C)". Satz 4.12. Sei τ opt die optimale Stoppzeit wie in Bemerkung 4.8. Folgende Aussagen sind äquivalent: (i) πmax (C) ∈ Π(C). (ii) #Π(C) = 1. (iii) Cτ opt ist replizierbar. (iv) Es existiert eine selbstfinanzierende Handelsstrategie H̄ sodass, fast sicher, Vt (H̄) = Ut ∀t ≤ τ opt . (29) Tritt dieser Fall ein, so nennen wir das amerikanische Derivat C replizierbar. Bemerkung 4.13. Nach Satz 4.10 existiert in einem vollständigen Marktmodell genau ein arbitragefreier Preis für jedes amerikanische Derivat. Somit ist jedes amerikanische Derivat im obigen Sinn im vollständigen Marktmodell replizierbar. Beweis. Im Fall πmax (C) < ∞ werden wir die Darstellung Ut = πmax (C) + t X Hs · (Xs − Xs−1 ) − At . (30) s=1 verwenden, wobei (Ht ) ein previsibler Prozess und (At ) ein wachsender adaptierter Prozess mit A0 = 0 ist. (i)⇒(iii): Unter Annahme (i) gilt πmax (C) < ∞ und es existiert nach Teil (ii) der Definition eine Stoppzeit τ und Q ∈ M mit πmax (C) ≤ EQ [Cτ ]. Andererseits gilt nach Definition von πmax (C) auch die umgekehrte Ungleichung, so dass πmax (C) = EQ [Cτ ] gelten muss. Wir zeigen 42 a.) P(Uτ = Cτ ) = 1 b.) Aτ = 0, f.s. Pt Wegen Doob’s System Theorem, Satz 2.10, ist s=1 Hs (Xs − Xs−1 ) ein Q-Martingal mit Startwert 0 und deshalb folgt aus Doob’s Optional Sampling Theorem (τ ≤ T ) und der Darstellung (30), τ X EQ [Uτ ] = πmax (C) + EQ [ Hs (Xs − Xs−1 )] − EQ [Aτ ] = πmax (C) − EQ [Aτ ]. s=1 Nutzen wir die Darstellung für πmax (C) und dass nach Definition der Snell-Einhüllenden Ut ≥ Ct für alle t, bekommen wir also πmax (C) = EQ [Cτ ] ≤ EQ [Uτ ] = πmax (C) − EQ [Aτ ] Da Aτ nichtnegativ ist, folgt b.) und a.) gilt, da ansonsten die Ungleichung strikt wäre. Da τ opt die erste Zeit t ist mit Ut = Ct , folgt, dass τ opt ≤ τ , fast sicher. Somit gilt da At = 0 für alle t ≤ τ , Cτ opt = Uτ opt = πmax (C) + t X Hs · (Xs − Xs−1 ) s=1 und Cτ opt ist replizierbar. (iii)⇒(iv): Ist Cτ opt replizierbar, so hat Cτ opt wegen Satz 3.11 einen eindeutigen Preis EQ [Cτ opt ] (der für alle Q ∈ M gleich ist). Daraus folgt für ein beliebiges Q ∈ M, 0 πmax (C) = sup EQ [Cτ opt ] = EQ [Cτ opt ] = EQ [Uτ opt ] = πmax (C) − EQ [Aτ opt ]. Q0 ∈M Somit folgt, dass Aτ opt = 0 fast sicher. Damit gilt da (At ) wachsend mit A0 = 0, dass A0 = . . . = Aτ opt = 0, fast sicher, und für die Fortsetzung von H zu einer selbstfinanierenden Handelsstrategie H̄ mit Startvermögen πmax (C) folgt Vt (H̄) = πmax (C) + t X Hs (Xs − Xs−1 ) = Ut s=1 für alle t ≤ τ opt , fast sicher. (iv) ⇒(iii): Gegeben H̄ so dass (29) gilt, setzen wir Htopt := 1l{t≤τ opt } Ht . Analog zu dem Beweis von Satz 4.5 ist (Htopt ) previsibel und wir können dies zu einer selbstfinanzierenden Handelsstrategie H̄ opt mit Startvermögen V0 (H̄ opt ) = V0 (H̄) = U0 erweitern. Damit gilt dann nach Annahme (29), dass VT (H̄ opt ) = Vτ opt (H̄) = Uτ opt = Cτ opt . Also ist H̄ opt eine Hedgingstrategie für Cτ opt und dieses ist damit replizierbar. 43 (iii)⇒(i): Ist Cτ opt replizierbar, so hat das Derivat den eindeutigen arbitragefreien Preis EQ [Cτ opt ] (der gleich ist für alle Q ∈ M). Also ist für ein beliebiges Q ∈ M, 0 πmax (C) = sup EQ [Cτ opt ] = EQ [Cτ opt ]. (31) Q0 ∈M Damit überprüfen wir Eigenschaften (i) und (ii) der arbitragefreien Preise für x = πmax (C): (i) folgt aus der Definition von πmax (C) := supτ supQ∈M EQ [Cτ ]. Eigenschaft (ii) folgt mittels Wahl von τ = τ opt aus (31). (i),(iii)⇒(ii): Es gilt für ein beliebiges Q ∈ M wegen der Replizierbarkeit von Cτ opt 0 0 πmin (C) = sup inf EQ [Cτ ] ≥ inf EQ [Cτ opt ] = EQ [Cτ opt ] = πmax (C). 0 0 τ Q ∈M Q ∈M Wegen Satz 4.11 und Eigenschaft (i) gilt Π(C) = {πmax (C)}. (ii)⇒(i): Aus Satz 4.11 folgt, dass πmin (C) = πmax (C) da andernfalls unendlich viele arbitragefreie Preise existieren würden. Eine erneute Anwendung des Satzes liefert, dass Π(C) ⊂ [πmin (C), πmax (C)] = {πmax (C)}. Da Π(C) einelementig ist folgt in obiger Umformung die Gleichheit. Der Satz besagt, dass die Menge Π(C) der arbitragefreien Preise genau dann ihr Supremum enthält, wenn sie einelementig ist. Rückblickend auf den Fall der europäischen Derivate könnte man vermuten, dass dies auch für das Infimum gilt. Dies stimmt aber nicht, wie das folgende Beispiel aufzeigt. Beispiel 4.14. Wir betrachten ein entartetes Finanzmarktmodell mit d = 0 (formal könnte man auch d = 1 wählen und den Kurs S 1 gleich dem Numeraire setzen) und T = 1. Wir wählen Ω = {ω1 , ω2 }, F = P(Ω), P mit P({ω1 }) ∈ (0, 1) und betrachten das amerikanische Derivat (Ct )t=0,1 mit C0 = 1 und C1 = 2 1l{ω1 } . Nun ist jedes zu P äquivalente Wahrscheinlichkeitsmaß Q ein äquivalentes Martingalmaß und es gibt lediglich zwei Stoppzeiten nämlich die konstanten Stoppzeiten τ0 = 0 und τ1 = 1. Wir erhalten πmax (C) = sup EQ [C0 ] ∨ sup EQ [C1 ] = 1 ∨ 2 = 2 Q∈M Q∈M und πmin (C) = inf EQ [C0 ] ∨ inf EQ [C1 ] = 1 ∨ 0 = 1. Q∈M Q∈M Das Infimum x = 1 von Π(C) ist nun ein arbitragefreier Preis, da für die Gleichverteilung Q auf Ω EQ [C1 ] = EQ [C0 ] = 1. 44 Allerdings ist 2 kein arbitragefreier Preis nach Satz 4.12 (da die Menge Π(C) nicht einelementig ist), also ist Π(C) = [1, 2). Wir können dieses Beispiel so modifizieren, dass die Menge der arbitragefreien Preise auch ein offenes Intervall sein kann. Dazu betrachten wir das Derivat C̃ definiert als C̃0 = 0 und C̃1 = C1 . Dann können wir wie oben zeigen, dass πmin (C̃) = 0 und πmax (C̃) = 2. Allerdings, ist 0 kein arbitragefreier Preis, denn sonst müsste für jede Stoppzeit τ ein Martingalmaß Q existieren, so dass EQ [Cτ ] = 0. Betrachten wir τ1 = 1, dann gilt also 0 = EQ [C1 ] = 2Q(ω1 ), damit wäre aber Q kein äquivalentes Maß zu P mehr. D.h. es folgt, dass Π(C̃) = (0, 2). Im Allgemeinen kann zur Berechnung des unteren Rands der arbitragefreien Preise Π(C) die untere Snell Einhüllende verwandt werden: Definition 4.15. Sei (Ct ) ein amerikanisches Derivat. Der adaptierte Prozess (Ut↓ ) gegeben durch • UT↓ = CT und ↓ • Ut↓ = ess inf EQ [Ut+1 |Ft ] ∨ Ct für t = T − 1, . . . , 0, Q∈M heißt untere Snell Envelope oder die untere Snell-Einhüllende. Es bezeichne T (t) die Menge der Stoppzeiten mit Wertebereich {t, . . . , T }. Für t = 0, . . . , T betrachten wir analog zu zuvor die Stoppzeiten τ (t) := τ ↓ (t) := min{s ∈ {t, . . . , T } : Us↓ = Cs }. (32) Satz 4.16. Für ein amerikanisches Derivat (Ct ) gilt Ut↓ = ess inf EQ [Cτ (t) |Ft ] = ess sup ess inf EQ [Cτ |Ft ], Q∈M τ ∈T (t) Q∈M Insbesondere, gilt πmin (C) = U0↓ . Beweis. Wir zeigen die Aussage mittels Induktion über t = T, . . . , 0. Für t = T ist die Aussage trivial und wir nehmen nun die Gültigkeit für t + 1 ∈ {1, . . . , T } an. Wir analysieren zunächst Utτ := ess inf EQ [Cτ |Ft ] Q∈M 45 (33) für eine feste Stoppzeit τ ∈ T (t). Sei τ 0 ∈ T (t + 1) eine weitere Stoppzeit mit τ 0 = τ auf {τ > t}. Dann gilt Utτ = ess inf EQ [Cτ |Ft ] = 1l{τ =t} Ct + 1l{τ >t} ess inf EQ [Cτ 0 |Ft ] Q∈M Q∈M Q ≤ Ct ∨ ess inf E [Cτ 0 |Ft ]. (34) Q∈M Mit der analogen Aussage zu Lemma 3.31 (mit C = Cτ 0 ) für das essentielle Infimum folgt h i ess inf EQ [Cτ 0 |Ft ] = ess inf EQ ess inf EQ̃ [Cτ 0 |Ft+1 ]Ft . (35) Q∈M Q∈M Q̃∈M Für die spezielle Wahl τ = τ (t) und τ 0 = τ (t + 1) gilt nach Induktionsvoraussetzung und nach (35) ↓ ess inf EQ [Cτ 0 |Ft ] = ess inf EQ [Ut+1 |Ft ] Q∈M Q∈M und somit gilt in (34) sogar Gleichheit, d.h. τ (t) Ut ↓ = ess inf EQ [Cτ (t) |Ft ] = Ct ∨ ess inf EQ [Ut+1 |Ft ] = Ut↓ . Q∈M Q∈M Ferner gilt für eine beliebige Stoppzeit τ ∈ T (t) (und τ 0 wie oben) nach Induktionsvoraussetzung ↓ ess inf EQ̃ [Cτ 0 |Ft+1 ] ≤ Ut+1 Q̃∈M Einsetzen in (34) und (35) liefert ↓ Utτ ≤ Ct ∨ ess inf EQ [Ut+1 |Ft ] = Ut↓ . Q∈M Die untere Snell-Einhüllende können wir auch dazu nutzen, um zu klären ob überhaupt jedes amerikanische Derivat einen arbitragefreien Preis hat. Satz 4.17. Jedes amerikanische Derivat C = (Ct ) hat mindestens einen arbitragefreien Preis, d.h. Π(C) 6= ∅. Beweis. Wegen Satz 4.11 ist nur der Fall πmin (C) = πmax (C) zu betrachten, da ↓ ansonsten ∅ = 6 (πmin (C), πmax (C)) ⊂ Π(C). Nun gilt für die optimale Zeit τopt = τ ↓ (0) aus (32) und beliebiges Q ∈ M πmin (C) = inf EQ̃ [Cτ ↓ ] ≤ EQ [Cτ ↓ ] opt Q̃∈M opt und für jede Stoppzeit τ πmin (C) = πmax (C) ≥ EQ [Cτ ]. D.h. πmin (C) ist ein arbitragefreier Preis. 46 Wir erinnern, dass πmax (C) das niedrigste Startkapital für eine Superreplikation einer amerikanischen Option ist. Diese bietet dem Verkäufer die Möglichkeit sich gegen einen Verlust abzusichern. Eine analoge Frage kann man aus Sicht des Käufers stellen: Bei welchem Preis π für die Option, kann der Käufer sicherstellen, dass sein Gewinn f.s. nicht negativ ist. Konkret werden also eine Ausübungszeit (also eine Stoppzeit) τ und eine geeignete Handelsstrategie H̄ mit Startkapital V0 (H̄) = −π gesucht, so dass gilt Vτ (H̄) + Cτ ≥ 0, P − f.s. Satz 4.18. Der höchste Preis π für eine amerikanische Option (Ct )t≥0 , so dass eine Stoppzeit τ und eine selbstfinanzierende Handelsstrategie mit Startkapital V0 (H̄) = −π existieren, für die Vτ (H̄) + Cτ ≥ 0, P − f.s. (36) ↓ gilt, ist gegeben durch π = πmin (C). Dabei kann die Stoppzeit als τopt = min{s ∈ ↓ {0, . . . , T } : Cs = Us } gewählt werden. Beweis. Wir zeigen, dass es eine selbstfinanzierende Handelsstrategie H̄ gibt, so ↓ dass (36) mit τ = τopt gilt. Es sei H̄ sup eine Superhedgingstrategie für C mit minimalem Startkapital πmax (C) und Vermögensprozess (Vt (H̄ sup )). Dann betrachten wir amerikanische Option C̃t = (Vt (H̄ sup ) − Ct )1l{t=τ ↓ opt } t = 0, . . . , T. Es gilt offensichtlich, dass C̃σ ≤ C̃τ ↓ für beliebige Stoppzeiten σ, so dass opt sup ess sup EQ [Cσ ] = ess sup EQ [C̃τ ↓ ]. σ∈T (0) Q∈M Q∈M opt Daraus folgt, dass wenn (Ũt ) die obere Snell-Einhüllende von (C̃t ) ist, dass dann gilt Ũ0 = sup ess sup EQ [Cσ ] = ess sup EQ [C̃τ ↓ ] = ess sup(EQ [Vτ ↓ (H̄ sup )] − EQ [Cτ ↓ ]) σ Q∈M = V0 (H̄ sup Q∈M Q opt ) − ess inf E [Cτ ↓ ] = V0 (H̄ Q∈M sup opt Q∈M opt opt ) − πmin (C) = πmax (C) − πmin (C), wobei wir die Martingaleigenschaft von (Vt (H̄ sup ) und das Optional Sampling Theorem genutzt haben. Aus der Doob-Zerlegung folgt dass es eine Superreplikation H̄ ∗ für C̃ gibt mit Startkapital Ũ0 gibt, so dass also für jedes t, Ũ0 + t X Hs∗ (Xs − Xs−1 ) ≥ C̃t = (Vt (H̄ sup ) − Ct )1l{t=τ ↓ opt } s=1 47 . ↓ Einsetzen von Ũ0 = πmax (C) − πmin (C) und von t = τopt ergibt τ↓ πmax (C) − πmin (C) + opt X Hs∗ (Xs − Xs−1 ) s=1 ≥ (Vτ ↓ (H̄ sup ) − Cτ ↓ ) opt opt ↓ τopt = πmax (C) + X H sup (Xs − Xs−1 ) − Cτ ↓ . opt s=1 Wählen wir nun Hs = Hs∗ − Hssup und erweitern dies zu einer selbstfinanzierenden Handelsstrategie H̄ mit Startkapital −πmin (C), dann erhalten wir wie gewünscht τ↓ Vτ ↓ opt opt X (H̄) = −πmin (C) + (Hs∗ − Hssup )(Xs − Xs−1 ) ≥ −Cτ ↓ . opt s=1 Für den Beweis, dass πmin (C) minimal ist, verweisen wir auf [FS11, Thm. 7.14]. Bemerkung 4.19. In einem unvollständigen Finanzmarkt gilt für ein nicht-replizierbares Derivat πmin (C) < πmax (C). Damit gibt es nach Satz 4.5 und 4.18 keine Möglichkeit für Käufer und Verkäufer sich auf einen Preis zu einigen, der beiden erlaubt gleichzeitig durch Superhedging fast sicher keine Verluste zu machen. Das Problem ist, dass das Konzept des Superhedging zu restriktiv ist. In der Praxis würde man also andere Hedgingstrategie benutzen, mit der man einen Verlust nicht unbedingt vermeiden kann. Eine Möglichkeit ist es beispielsweise, die Wahrscheinlichkeit eines Verlust unter einer vorgegebenen Grenze zu halten. Diese und weitere Möglichkeiten werden in Kapitel 8 in [FS11] besprochen. Zur Bewertung einer amerikanischen Option kann ein vorgegebenes risikoneutrales Bewertungsmaß Q ∈ M zugrundegelegt werden. Eine mögliche Anwendung ist der Fall, dass das Finanzmarktmodell vollständig ist und es nur ein eineindeutiges Q ∈ M gibt. In diesem Fall betrachtet man (UtQ ) gegeben durch Q UTQ = CT und UtQ = Ct ∨ EQ [Ut+1 |Ft ] für t = 0, . . . , T − 1. Die optimalen Stoppzeiten sind nun τ Q (t) = min{s ∈ {t, . . . , T } : UsQ = Cs }. und analog zu vorher kann man zeigen: Satz 4.20. UtQ = EQ [Cτ Q (t) |Ft ] = ess sup EQ [Cτ |Ft ]. τ ∈T (t) Ferner ist U0Q ein arbitragefreier Preis für C = (Ct ). 48 Definition 4.21. Wir nennen eine Stoppzeit τ Q-optimal, wenn U0Q = EQ [Cτ ]. Satz 4.22. Sei ϕ : Rd → [0, ∞) eine konvexe Funktion. Gilt (a) Ct = ϕ(Xt ) oder (b) Ct = ϕ(St ), ϕ(0) = 0 und (St0 ) ist wachsend, so ist τ ≡ T für jedes Q ∈ M eine Q-optimale Stoppzeit des amerikanischen Derivats C = (Ct ). Beweis. Sei Q ∈ M mit EQ [CT ] < ∞. Ferner sei τ eine Q-optimale Stoppzeit . Gilt (a), so ist Ct = ϕ(Xt ) ein Q-Submartingal und somit EQ [ϕ(Xτ )] ≤ EQ [ϕ(XT )]. Wir betrachten nun den Fall (b). Es gilt für λ ∈ [0, 1] und x ∈ [0, ∞)d ϕ(λx) ≤ (1 − λ)ϕ(0) + λϕ(x) = λϕ(x). Da (St0 ) monoton wachsend ist, folgt dass λ = Sτ0 0 ST ∈ [0, 1] und somit ϕ(Sτ0 XT ) ϕ(ST0 XT ) ≤ = CT . Sτ0 ST0 Schließlich folgt mit Jensen h ϕ(S 0 X ) i h Q i h i 0 0 Q T τ Q E [ϕ(Sτ XT )|Fτ ] Q ϕ(Sτ E [XT |Fτ ]) = E ≥ E Sτ0 Sτ0 Sτ0 h ϕ(S 0 X ) i τ τ = EQ = EQ [Cτ ]. 0 Sτ EQ [CT ] ≥ EQ Bemerkung 4.23. Das wichtigste Beispiel auf das der Satz anwendbar ist, ist die Call Option (vorausgesetzt St0 ist wachsend). Hier gibt es also keinen Unterschied zwischen der europäischen und der amerikanischen Option. In der Realität können Dividendenzahlungen dazu führen, dass eine Ausübung des Optionsrecht vor Zeit T sinnvoll ist. In unserem bisherigen Modellierungsansatz sind Dividendenzahlungen nicht vorgesehen und es stellt sich die Frage wie eine geeignete Modellierung aussieht. Beispiel 4.24 (Finanzmarkt mit Dividendenzahlung). Wir betrachten ein Finanzmarktmodell mit einer wachsenden risikolosen Anleihe (Bt ) und einer risikobehafteten Aktie (St ). Angenommen das Unternehmen schüttet zur deterministischen Zeit tD eine prozentuale Dividende D ∈ L0 (Ω, FtD , P) mit Werten in [0, 1) aus. 49 F: Wie kann man dies modellieren? Zur Zeit der Dividendenzahlung verliert die Aktie wegen der Ausschüttung instantan den Wert der Dividendenzahlung, wobei nun die Dividendenzahlung in bar vorliegt. Statt mit (St ) den Preis der Aktie zu beschreiben, beschreiben wir mit (St ) den Wert des Portfolios, das man erhält wenn die Dividendenzahlung direkt wieder in die Aktie investiert wird, d.h. das Portfolio bestehend aus • einer Aktie zu den Zeiten t = 0, . . . , tD • 1 1−D =1+ D 1−D Aktien zu den Zeiten t = tD + 1, . . . , T In der Tat beträgt die Ausschüttung zur Zeit tD + 1 diskontiert DXtD und die Aktie D Aktien nachgekauft hat dann instantan den Wert (1 − D)XtD . Es können also 1−D werden. Generell hat nun die Aktie zu den Zeiten t = tD + 1, . . . , T den Wert (1 − D)St , beziehungsweise (1 − D)Xt . Bei der Modellierung kann nun ein beliebiges arbitragefreies Finanzmarktmodell für (Xt ) verwendet werden. Die Wahl von D hat keinen Einfluss auf die Arbitragefreiheit. F: Wie ist nun eine amerikanische Call Option mit Strike K zu bewerten? Eine Call Option mit Strike K hat zur Zeit t den inneren Wert (d.h. den Wert bei Einlösung) Ct = ((1 − 1l(tD ,T ] (t) D) St − K)+ , bzw. Ct = ((1 − 1l(tD ,T ] (t) D)Xt − K/Bt )+ Wir zeigen, dass eine Einlösung nur zu den Zeiten tD und T Sinn macht, d.h. dass für jedes Q ∈ M eine Q-optimale Stoppzeit τ : Ω → {tD , T } existiert: Sei τ 0 eine beliebige Stoppzeit. Wir setzen ( tD , wenn τ 0 ≤ tD−1 τ= T, sonst. Nun zeigt man (Übungsaufgabe) wie im Beweis von Satz 4.22, dass EQ [Cτ 0 ] ≤ EQ [Cτ ]. Bemerkung 4.25. Bei der Modellierung von Finanzmärkten mit Dividendenzahlungen bezeichnet man jeweils mit S i bzw. X i nicht den Börsenwert der Aktie sondern den Wert des Portfolios, das die Dividendenauszahlung instantan wieder in die Aktie reinvestiert. D.h. eine separate Behandlung von Finanzmärkten mit Dividendenzahlungen ist nicht nötig! Man muss jedoch nun bei der Bewertung von Derivaten beachten, dass nach einer Dividendenzahlung S i , bzw. X i nicht mehr dem Börsenkurs der Aktie entspricht. 50 5. Nutzenoptimierung Die Fragestellungen die wir in den vorherigen Kapiteln behandelt haben, waren invariant unter äquivalenten Maßwechseln. D.h. bei der Wahl des zugrundeliegenden Maßes war nur die Menge der Nullmengen relevant. Bei vielen weiteren Problemen ist allerdings die Wahl des Wahrscheinlichkeitsmaß sehr wichtig. Beispielsweise möchte man den erwarteten Gewinn bei verschiedenen Handelsstrategien vergleichen. Oder wie wir am Ende des letzten Kapitels gesehen haben, gibt es auch Situationen in denen ein Investor mit einen möglichen Verlust rechnen muß, dessen Höhe bewertet werden sollte. In solchen Fragen ist es wichtig die Risikobereitschaft eines Investors zu modellieren. Insbesondere müssen wir verstehen, wie er der Nutzen einer Auszahlung als Funktion des Betrags einschätzt. Wir nutzen zur Modellierung der Präferenz eines Investors das Konzept der Nutzenfunktion. Beispiel 5.1. St. Petersburger Paradox, Bernoulli 1713. In einem Kasino wird folgendes Spiel angeboten: es wird eine Münze geworfen, landet diese auf ‘Kopf’ dann wird 1 Euro Gewinn gezahlt. Bei ‘Zahl’ wird nocheinmal geworfen: bei ‘Kopf’ wird diesmal der doppelte Gewinn ausgezahlt und bei Zahl weitergeworfen und ein möglicher Gewinnn wieder verdoppelt, usw. Dieses Spiel entspricht also einer zufälligen Auszahlung ξ, wobei die Verteilung von ξ gegeben ist als P{ξ = 2n−1 } = 2−n , für n ∈ N. Was ist der “fairer Preis” für ein solches Spiel? Ein naiver Ansatz wäre E[ξ] zu verlangen, aber ∞ X E[ξ] = 2−n 2n−1 = ∞. n=1 D.h. würde Ihnen dieses Spiel angeboten, wäre es vernünftig es zu jedem endlichen Preis anzunehmen. Dies widerspricht jeder praktischen Intuition. Eine mögliche Erklärung für das Paradox besteht darin, dass der Nutzen eines Gewinns nicht linear mit dem Betrag steigt. Um ein solches Phänomen zu modellieren, führen wir das Konzept der Nutzenfunktion ein. Definition 5.2. Eine konkave Funktion U : (0, ∞) → R heißt Nutzenfunktion, wenn (i) U stetig differenzierbar ist, (ii) U 0 strikt fallend ist (strikte Konkavität), (iii) U wachsend ist. Wir setzen im Allgemeinen U (x) = −∞ für x ∈ (−∞, 0]. Bemerkung 5.3. In der Literatur gibt es verschiedene Definitionen von Nutzenfunktion. Zum Beispiel kann man auf die Forderung verzichten, dass U differenzierbar ist. Ausserdem ist auf jedem offenen Interval eine konkave Funktion automatisch stetig, also kann auch darauf gegebenenfalls verzichten. Mit unseren etwas stärkeren Definition vereinfachen sich allerdings einiger der späteren Beweise. 51 Beispiel 5.4 (Nutzenfunktionen). (i) Logarithmische Nutzenfunktion. U (x) = log x, x > 0. (ii) HARA-Nutzenfunktion (Hyperbolic absolute risk aversion). Sei γ ∈ (0, 1) und U (x) = 1 γ x , γ x > 0. Die logarithmische Nutzenfunktion wird auch als HARA-Nutzenfunktion mit γ = 0 aufgefasst. (iii) CARA-Nutzenfunktion (Constant absolute risk aversion) U (x) = 1 − e−αx , für einen Parameter α > 0. Eine Nutzenfunktion erlaubt es stochastische Auszahlungsprofile zu vergleichen. Nachdem man sich auf eine Nutzenfunktion U festgelegt, hat assoziiert man mit einem zufälligen Auszahlung ξ ∈ L0 den Nutzen u(ξ) = E[U (ξ)], wobei Auszahlungsprofile mit größerem Nutzen als vorteilhaft angesehen werden. Ist der Erwartungswert nicht wohldefiniert, so setzt man den Nutzen gleich −∞. Wenn wir c(ξ) := U −1 (E[U (ξ)]), definieren dann hat c(ξ) den gleichen (erwarteten) Nutzen wie ξ. Ist E[ξ] < ∞, so gilt mit Jensen, dass c(ξ) ≤ U −1 (U (E[ξ])) = E[ξ]. D.h. wenn der Risikoaufschlag definiert ist als ρ(ξ) := E[ξ] − c(ξ), dann ist dieser immer positiv. Damit ist ein Investor dessen Präferenzen durch U modelliert werden immer risikoavers. Mithilfe der nächsten Definition lässt sich der Risikoaufschlag approximativ angeben. Definition 5.5. Sei u eine Nutzenfunktionen und zusätzlich u ∈ C 2 ((0, ∞)), dann heißt U 00 (x) für alle x ∈ (0, ∞), α(x) = − 0 U (x) der Arrow-Pratt-Koeffizient der Risikoaversion auf Niveau x. 52 Bemerkung 5.6. Motivation für Definition 5.5. Wir nehmen an, dass E[ξ], E[ξ 2 ] < ∞, U ∈ C 2 . Unter der Voraussetzung, dass |c(ξ) − Eξ| klein ist, gilt mit einer TaylorEntwicklung U (c(ξ)) ≈ U (Eξ) + U 0 (Eξ)(c(ξ) − E[ξ]). Falls wir erst die Taylorentwicklung für U an der Stelle E[ξ] durchführen und dann den Erwartungswert nehmen, erhalten wir i h 1 U (c(ξ)) = E[U (ξ)] ≈ E U (E[ξ]) + U 0 (E[ξ])(ξ − E[ξ]) + U 00 (E[ξ])(ξ − E[ξ])2 2 1 00 = U (E[ξ]) + U (E[ξ])var(ξ). 2 Durch Vergleich der beiden Ausdrücke erhalten wir, dass die Risikoprämie zumindest nährungsweise gegeben ist durch ρ(ξ) = E[ξ] − c(ξ) ≈ − 1 U 00 (E[ξ]) var(ξ) = α(E[ξ])var(ξ). 0 2U (E[ξ]) 2 Damit ist also α(E[ξ]) der Faktor mit dem ein Investor mit Nutzenfunktion U das Risiko ( = 12 var(ξ)) gewichtet um die Riskoprämie zu bestimmen. Beispiel 5.7. Man kann den Arrow-Pratt Koeffizienten leicht in für die Nutzenfunktion aus Beispiel 5.4 berechnen. Diese Rechnung erklärt dann auch die entsprechenden Namen. In der Tat gilt für die CARA-Nutzenfunktion, α(x) ≡ α, die Risikoaversion ist also konstant. Weiterhin ist für die HARA-Nutzenfunktion α(x) = 1−γ x , Klassische Problemstellung. Es bezeichne c > 0 das Vermögen eines Investors und ξ ∈ L0+ das Auszahlungsprofil einer risikobehafteten Auszahlungen bei Komplettinvestition seines Vermögens. Wenn der Investor einen Bruchteil λ ∈ [0, 1] des Vermögens investiert, so führt dies insgesamt zur Auszahlung ξλ = λ ξ + (1 − λ) c. Frage: Wie groß sollte der Investor λ wählen? Es ist die Funktion f (λ) = E[U (ξλ )] (λ ∈ [0, 1]) zu maximieren! Wir nehmen an, dass ξ nicht fast sicher konstant ist und dass E[U (ξ)+ ] < ∞. (37) Proposition 5.8. Wir nehmen an, dass ξ nicht fast sicher konstant ist und dass (37) gilt. (i) f : [0, 1] → R ∪ {−∞} ist strikt konkav und die Funktion hat ein eindeutiges Maximum bei λ∗ ∈ [0, 1]. 53 (ii) Es gilt λ∗ = 0 ⇔ E[ξ] ≤ c und λ∗ = 1 ⇔ c ≤ E[ξ U 0 (ξ)] E[U 0 (ξ)] Zur Behandlung der Fragestellung verwenden wir eine leichte Verallgemeinerung des Satzes über monotone Konvergenz. Lemma 5.9. Sei (Zn )n∈N eine Folge reeller Zufallsvariablen sodass eine Zerlegung Ω = Ω0 ∪ Ω1 und eine Zufallsvariable Z existieren, sodass • ∀ω ∈ Ω0 : Zn (ω) ↑ Z(ω) • ∀ω ∈ Ω1 : Zn (ω) ↓ Z(ω) Ist Z1 integrierbar und ist E[Z] wohldefiniert, so gilt lim E[Zn ] = E[Z]. n→∞ Beweis. Wir können annehmen, dass Ω0 und Ω1 disjunkt sind. Die Aussage folgt direkt aus einer Anwendung des Satzes über monotone Konvergenz auf die Darstellung E[Zn ] = E[Z1 ] + E[1lΩ0 (Zn − Z1 )] − E[1lΩ1 (Z1 − Zn )] . | {z } | {z } →E[1lΩ0 (Z−Z1 )] →E[1lΩ1 (Z1 −Z)] In der Tat folgt aus der Wohldefiniertheit von E[Z], dass mindestens einer der Limiten endlich ist und somit lim E[Zn ] = E[Z1 ] + E[1lΩ0 (Z − Z1 )] − E[1lΩ1 (Z1 − Z)] = E[Z]. n→∞ Beweis von Prop. 5.8. (i): Zunächst gilt für alle λ ∈ [0, 1], da U monoton wachsend ist f (λ) = E[U (λξ + (1 − λ)c] ≤ E[U (ξ)1l{c≤ξ} ] + E[U (c)1l{ξ≤c} ] ≤ E[U (ξ)+ ] + U (c) < ∞, nach Annahme (37). D.h. f bildet nach R ⊂ {−∞} ab. Ist λ ∈ [0, 1), so ist ξλ uniform von der Null wegbeschränkt und damit der Nutzen f (λ) ≥ U ((1 − λ)c), und damit nicht gleich −∞. Für λ0 , λ1 ∈ [0, 1) verschieden und α ∈ (0, 1) gilt f (αλ0 + (1 − α)λ1 ) = E[U (αξλ0 + (1 − α)ξλ1 )] > α E[U (ξλ0 )] + (1 − α) E[U (ξλ1 )], wobei wir nutzen, dass U (αξλ0 + (1 − α)ξλ1 ) ≥ α U (ξλ0 ) + (1 − α) U (ξλ1 ) mit strikter Ungleichheit auf der nicht verschwindenden Menge {ξ 6= c} (da ξ nicht f.s. konstant ist). Also ist f strikt konkav. 54 Wir zeigen als nächstes, dass f : [0, 1] → R∪{−∞} stetig ist. Da jede konkave Funktion auf einem offenen Intervall stetig ist, haben wir die Aussage bereits auf dem Intervall (0, 1) bewiesen. Für λ ↑ 1 ist ξλ wachsend auf {ξ ≥ c} und fallend auf {ξ ≤ c}. Somit ist Lemma 5.9 anwendbar und wir erhalten lim E[U (ξλ )] = E[U (ξ)] = f (1), λ↑1 da E[U (ξ)+ ] < ∞ nach Voraussetzung. Analog folgt die Stetigkeit in 0. Somit nimmt die stetige Funktion f : [0, 1] → [−∞, ∞) auf dem Kompaktum [0, 1] ihr Maximum an. Aus der strikten Konkavität folgt die Eindeutigkeit. (ii): Wir betrachten h U (c + λ(ξ − c)) − U (c) i f (λ) − f (0) =E λ λ | {z } =:Uλ und bemerken, dass für λ ↓ 0 punktweise Uλ ↑ U 0 (c)(ξ − c) auf {ξ ≥ c} und Uλ ↓ U 0 (c)(ξ − c) auf {ξ ≤ c}. Mit Hilfe von Lemma 5.9 folgt f 0 (0) = U 0 (c) E[ξ − c]. Ist E[ξ] ≤ c, so ist f 0 (0) ≤ 0 und λ∗ = 0 wegen der strikten Konkavität der eindeutige Maximierer. Andernfalls existiert ein λ > 0 mit positiver Sekantensteigung und somit größerem Nutzen. Daraus folgt also, dass E[ξ] ≤ c genau dann wenn λ∗ = 0. Analog erhält man h U (ξ) − U (ξ − λ(ξ − c)) i f (1) − f (1 − λ) =E , λ λ | {z } =:Vλ 0 wobei nun Vλ ↓ U (ξ)(ξ − c) auf {ξ ≥ c} und Vλ ↑ U 0 (ξ)(ξ − c) auf {ξ < c}. Somit gilt f 0 (1) = E[U 0 (ξ)(ξ − c)], vorausgestzt der Limes ist wohldefiniert. Um dies zu überprüfen nutzen wir, dass für z≥c U 0 (z)(z − c) ≤ U (z) − U (c) wegen des Mittelwertsatzes und der Monotonie von U 0 . D.h. E[U 0 (ξ)(ξ − c)+ ] ≤ E[(U (ξ) − U (c))+ ] ≤ E[U (ξ)+ ] + (−U (c))+ < ∞, nach Annahme (37). Schließlich ist analog zu oben λ∗ = 1 genau dann wenn f 0 (1) ≥ 0, welches nach einer Umformung der angegebenen Bedingung entspricht (dabei nutzen wir dass U 0 ≥ 0 nach Definition). Wir wollen als nächstes die Nutzenoptimierung in einem arbitragefreien Finanzmarktmodell untersuchen. Hierzu bezeichne H(x) die Menge aller selbstfinanzierenden Handelsstrategien mit Startkapital x > 0. 55 Frage: Angenommen wir verfügen über ein Startvermögen x > 0. Welche Handelsstrategie H̄ ∈ H(x) erzielt ein Endvermögen mit maximalem Nutzen? Wir betrachten das Maximierungsproblem E[U (VT (H̄)] = max ! über alle Strategien H̄ ∈ H(x). Lemma 5.10. Gilt für eine selbstfinanzierende Handelsstrategie H̄ E[U (VT (H̄))− ] < ∞, so ist für jedes t ∈ {0, . . . , T } Vt (H̄) > 0, fast sicher. Beweis. Wir bemerken, dass P(VT (H̄) > 0) = 1 nach Voraussetzung, denn nach Definition gilt für die Nutzenfunktion U (x) = −∞ für x ≤ 0. Für festes t ∈ {0, . . . , T } betrachten wir Hs(t) = 1l{Vt (H̄)≤0} 1l{t+1,...,T } (s) Hs (s ∈ {0, . . . , T }). Es gilt GT (H (t) ) = 1l{Vt (H̄)≤0} T X Hs (Xs+1 − Xs ) = 1l{Vt (H̄)≤0} (VT (H̄) − Vt (H̄)) ≥ 0, s=t+1 fast sicher. Wäre {Vt (H̄) ≤ 0} keine Nullmenge, so würde statt ≥ 0 sogar die strikte Ungleichung auf einer Menge mit positiver Wahrscheinlichkeit gelten. Setzt man H (t) dann zu einer selbstfinanzierenden Handelsstrategie H̄ (t) mit Startvermögen 0 fort, so erhält man in diesem Fall eine Arbitrage. Wir nehmen nun zusätzlich an, dass ( 0, U (x) → ∞, 0 für x → ∞ für x → 0. Aus der strikten Konkavität folgt nun, dass U 0 : (0, ∞) → (0, ∞) bijektiv ist und wir setzen I := (U 0 )−1 : (0, ∞) → (0, ∞). Satz 5.11. Angenommen der Finanzmarkt ist vollständig mit äquivalentem Martingalmaß Q ∈ M. Dann ist für λ > 0 gerade V (λ) := I(λ dQ dP ). das Endvermögen mit dem maximalen Nutzen, das mittels einer selbstfinanzierenden Handelsstrategien mit Startvermögen x(λ) := EQ [I(λ dQ dP )] erreichbar ist. 56 Beweis. Da vollständige Märkte essentiell endlich sind (siehe Bemerkung 3.15) ist der Erwartungswert in der Definition von x(λ) endlich. Zunächst beobachten wir, dass aus dem Mittelwertsatz und der Konkavität und Differenzierbarkeit von U folgt, dass für alle a, b > 0 und ein ξ zwischen a, b, U (b) − U (a) = U 0 (ξ)(b − a) ≤ U 0 (a)(b − a). Dabei ist die Ungleichung strikt wenn a 6= b. Damit gilt für eine beliebige Handelsstrategie H̄ mit Startvermögen x(λ) E[U (VT (H̄))] ≤ E[U (V (λ) ) + U 0 (V (λ) )(VT (H̄) − V (λ) )] (λ) )] = E[U (V (λ) )] + E[λ dQ dP (VT (H̄) − V = E[U (V (λ) )] + λ EQ [VT (H̄) − V (λ) ], {z } | =0 wobei die Ungleichung strikt ist, wenn P{U (VT (H̄)) 6= U (V (λ) )} > 0 wegen der strikten Konkavität von U . Beispiel 5.12 (Nutzenfunktionen). (i) Logarithmische Nutzenfunktion. U (x) = log x In diesem Fall gilt I(x) = 1 x für x ∈ (0, ∞). (ii) HARA-Nutzenfunktion (Hyperbolic absolute risk aversion). Sei γ ∈ (0, 1) und U (x) = 1 γ x . γ In diesem Fall gilt I(x) = x−1/(1−γ) . Die logarithmische Nutzenfunktion wird auch als HARA-Nutzenfunktion mit γ = 0 aufgefasst. Die logarithmische Nutzenfunktion Wir betrachten in diesem Abschnitt den Spezialfall U (x) = log x für x ∈ (0, ∞). Frage: Wie können nun gute selbstfinanzierende Handelsstrategien gefunden werden? Wegen Lemma 5.10 können wir uns auf Handelsstraegien H̄ einschränken, die zu jeder Zeit t fast sicher strikt positives Vermögen aufweisen. Wir bezeichnen mit x = V0 (H̄) das Startvermögen und beschreiben nun eine selbstfinanzierende Handelsstrategie durch Nennung des relativen Anteils des Vermögens welches in die jeweiligen Anlagen investiert ist, d.h. durch ξti = i Hti Xt−1 Vt−1 (H̄) (i = 1, . . . , d, t = 1, . . . , T ). 57 Wir bemerken, dass jeder previsible Rd -wertige Prozess (ξt ) über diese Bedingung eindeutig eine selbstfinanzierende Handelsstrategie H̄ definiert. D.h. wir können das Optimierungsproblem über (ξt ) betrachten! Um das Vermögen mithilfe von (ξt ) darstellen zu können nutzen wir, dass für die logarithmische Nutzenfunktion U (x) = log x gilt T T X Y Vt (H̄) Vt (H̄) = log x + log VT (H̄) = log V0 (H̄) log . V ( H̄) V t−1 (H̄) t=1 t=1 t−1 Deshalb stellen wir als nächstes Vt (H̄) Vt−1 (H̄) Rti := mithilfe der (diskontierten) Renditen i Xti − Xt−1 i Xt−1 dar: d X Vt−1 (H̄) + Ht · (Xt − Xt−1 ) Vt (H̄) = =1+ ξti Rti = 1 + ξt · Rt . Vt−1 (H̄) Vt−1 (H̄) i=1 D.h. Vt (H̄) = x t Y (1 + ξs · Rs ). s=1 und wir erhalten als logarithmischen Nutzen E[log VT (H̄)] = log x + T X E log 1 + ξt · Rt ) . t=1 Die Optimierung kann also für jeden Zeitschritt t getrennt voneinander durchgeführt werden. Ferner ist die Wahl der Maturität T unerheblich für das Berechnen von optimalen Strategien. Diese Eigenchaften werden auch Kuzsichtigkeit der logarithmischen Nutzenfunktion genannt. Frage: Angenommen man hat sehr kleine Zeitschritte mit Renditen sehr nahe bei Null. Kann man in diesem Fall eine gut approximative Handelsstrategie für den logarithmischen Nutzen angeben? Wir führen ein paar illustrierende informelle Rechnung zur Approximation von E[log 1 + ξ1 · R1 )] durch. Wir betrachten die ersten Terme der Taylor Entwicklung für log in 1: 1 E[log 1 + ξ1 · R1 )] = ξ1 · E[R1 ] − E[(ξ1 · R1 )2 ] + . . . 2 58 wobei die Restterme klein sind, wenn die Renditen stark um 0 konzentriert sind. Man erhält 1 1 E[log 1 + ξ1 · R1 )] = ξ1 · E[R1 ] − var[ξ1 · R1 ] − (ξ1 · E[R1 ])2 + . . . 2 2 Der dritte Term ist signifikant kleiner als die beiden ersten Terme, wenn die Renditen klein sind. Betrachtet man die führenden Terme so erhält man 1 E[log 1 + ξ1 · R1 )] = ξ1 · E[R1 ] − var[ξ1 · R1 ] + . . . . 2 Bezeichne nun µ := E[R1 ] die erwarteten Renditen und C = (cov(R1i , R1j ))i,j=1,...,d die Kovarianzmatrix von R1 , so erhalten wir 1 E[log 1 + ξ1 · R1 )] = hµ, ξ1 i − hξ1 , Cξ1 i + . . . . 2 Diese stark vereinfachende Rechnung zeigt die zentralen zwei Effekte auf. Außer der erwarteten Rendite spielt die Varianz eine wichtige Rolle. Sie wirkt sich negativ auf den langfristigen Ertrag aus. In der Realität sind meist die expliziten Verteilungen der Renditen unbekannt und man kann nur auf Schätzungen von Erwartungswert und Varianz zurückgreifen. Die obige Rechnung motiviert es Investitionen ξ1 zu suchen für die 1 g(ξ1 ) := α hµ, ξ1 i − hξ1 , Cξ1 i 2 groß ist, wobei α ∈ [0, 1] ein Wert ist, der die Risikobereitschaft des Investors ausdrückt. Für α = 1 erhält man eine approximative Optimierung des logarithmischen Nutzens. Frage: Für welchen Vektor ξ = (ξ1 , . . . , ξd ) ∈ Rd ist g(ξ) maximal? g ist eine nach unten geöffnete Parabel (Polynom zweiten Grades) und wir erhalten als Ableitungen d X ∂g (x) = αµi − Ci,j ξj . ∂ξi j=1 Vorausgesetzt C ist strikt positiv-definit, so ist C invertierbar und es existiert ein eindeutiger Maximierer nämlich die Lösung von αµ = Cξ, d.h. ξ = α C −1 µ ist der eindeutige Maximierer von g. 59 6. Das Black-Scholes Modell Unsere bisherige Modellierung nutzt endlich viele Handelsperioden, wobei eine Umschichtung des Portfolios jeweils nur zum Beginn/Ende einer Handelsperiode möglich ist. In der Realität ist ein Investor nicht an diese Restriktion gebunden. Wir werden nun eine Folge von Finanzmarktmodellen mit einer risikolosen und einer risikobehafteten Anlage betrachten deren Zeitschritte immer feiner werden. Im Limes erhalten wir dann ein zeitstetiges Finanzmarktmodell, das sogenannte Black-Scholes Modell. 6.1. Approximation mittels Binomialmodell Zur Definition einer Familie von Finanzmärkten nutzen wir drei Parameter: den Trend µ ∈ R, die Volatilität σ ∈ (0, ∞) und die Zinsrate r ≥ 0. Ferner bezeichne nun T ∈ (0, ∞) den Zeithorizont. Für jedes n ∈ N betrachten wir ein Binomialmodell (Cox-Ross-Rubinstein Modell) mit n Zeitschritten, siehe auch Definition 3.16. Dieses erlaubt den Handel jeweils in Zeitschritten der Länge ∆ = ∆(n) := den Zeiten Tn := {0, n1 T, . . . , n−1 n T, T } T n, d.h. zu Das Modell besteht aus einer risikolosen Anleihe B (n) = (Bt(n) )t∈Tn mit (n) B0(n) = 1 und Bt+∆ = (1 + ∆r) Bt(n) , und einer risikobehafteten Anlage mit Preisprozess S (n) = (St(n) )t∈Tn . Zur formalen Definition des Prozesses S (n) nutzen wir weitere Parameter p ∈ (0, 1) und d, u ∈ R mit d < r und den Eigenschaften (a) pu + (1 − p)d = 0 (b) pu2 + (1 − p)d2 = σ 2 . Ferner nutzen wir eine Folge {u, d}-wertiger unabhängig identisch verteilter Zufallsvariablen (Zn ) mit Verteilung P(Z1 = u) = p und P(Z1 = d) = 1 − p. Damit können wir S (n) definieren als (n) S0(n) = s0 und St+∆ = (1 + ∆µ)(1 + √ ∆ Z ∆t +1 ) St(n) . Als Filtration (Ft(n) )t∈Tn verwendet man, die vom Prozess generierte Filtration. Aus den Eigenschaften (a) und (b) folgt nun (n) (n) (n) |Ft(n) ]2 σ 2 ∆, |Ft(n) ) = E[St+∆ E[St+∆ |Ft(n) ] = (1 + ∆µ)St(n) und var(St+∆ wobei var(Z|G) := E[(Z − E[Z|G])2 |G] für eine Zufallsvariable Z ∈ L1 und eine Teilσ-Algebra G. Die entsprechenden diskontierten Preise X (n) = (Xt(n) )t∈Tn erfüllen (n) X0(n) = s0 und Xt+∆ = √ 1 + ∆µ (1 + ∆ Z ∆t +1 ) Xt(n) . 1 + ∆r 60 Wir beschäftigen uns mit der Frage der Konvergenz in Verteilung von (S (n) : n ∈ N), bzw. (X (n) : n ∈ N). Hierzu setzen wir die Definition von S (n) zwischen zwei Stützstellen in Tn so fort, dass jeweils das Maximum und Minimum auf dem Zwischenstück auf den Rändern angenommen wird. Heuristik. Bevor wir die Konvergenz rigoros beweisen, versuchen wir uns zunächst zu überlegen, was der Grenzwert sein könnte. Für t ∈ Tn gilt t = k∆ für ein k ∈ {0, . . . , n}, d.h. bis zum Zeitpunkt t hat das diskrete Modell k = t/∆ = tn/T Zeitschritte gemacht. Es gilt also nach Definition t/∆ St(n) = (1 + ∆µ)t/∆ Y √ (1 + ∆Zi ) i=1 = exp t/∆ t X √ log(1 + ∆µ) + log(1 + ∆Zi ) . ∆ i=1 Eine Taylorentwicklung ergibt 1 log(1 + x) = x − x2 + O(x3 ), 2 für x klein, wobei O(x3 ) ein Fehlerterm darstellt, der von Größenordnung x3 ist. Daraus folgt t/∆ t/∆ √ X √ 1 X 2 log St(n) ≈ tµ + O(∆) + ∆ Zi − ∆ Zi + O( ∆). 2 i=1 i=1 Für festes t können wir sofort angeben, wogegen die verbleibenden Terme konvergieren. Da die Zufallsvariablen Zi u.i.v. sind mit Erwartungswert 0 (wegen (a)) und Varianz σ 2 (wegen (b)) folgt aus dem zentralen Grenzwertsatz, dass √ ∆ t/∆ X Z i ⇒ Wt , i=1 wobei Wt eine N (0, t)-verteilte Zufallsvariable ist . Aus dem Gesetz der großen Zahlen folgt, dass fast sicher t/∆ 1 X 2 1 σ2 1 ∆ . Zi → E[Z12 ]t = 2 i=1 2 2 t Aber wir können auch etwas über die Konvergenz des Prozesses (St(n) )t≥0 sagen. Da√ Pt/∆ zu müssen wir nur die Konvergenz von ( ∆ i=1 Zi )t∈Tn verstehen, welches wir zu einem stetigen Prozess (St(n) ) fortsetzen. Dann aber erkennen wir diesen Prozess als eine diffusiv reskalierte Irrfahrt. Aus der Vorlesung Wahrscheinlichkeitstheorie ist bekannt, dass diese gegen eine Brownsche Bewegung (Wt )t≥0 konvergiert (genauer gegen (σWt )t≥0 ). Zur Erinnerung: 61 Definition 6.1. Ein reel-wertiger stochastischer Prozess (Wt )t≥0 heißt Brownsche Bewegung oder Wienerprozess mit Startwert x ∈ R wenn gilt: (i) W (0) = x. (ii) der Prozess hat unabhängige Inkremente, d.h. für alle Zeiten 0 ≤ t1 < t2 < . . . tn sind die Zufallsvariablen Wt2 − Wt1 , . . . , Wtn − Wtn−1 unabhängig. (iii) für alle t ≥ 0 und h > 0, ist das Inkrement Wt+h − Wt ∼ N (0, h), d.h. es ist normalverteilt mit Erwartungswert 0 und Varianz h. (iv) Fast sicher, ist die Abbildung t 7→ Wt stetig. Erwähnen wir den Startwert x nicht explizit, so meinen wir x = 0. Um unsere Diskussion zusammenfassen: wir vermuten, dass 1 (log St(n) )t∈[0,T ] ⇒ ((µ − σ 2 )t + σWt ))t∈[0,T ] , 2 für (Wt )t≥0 eine Brownsche Bewegung. Definition 6.2. Ein stetiger Prozess S = (St )t∈[0,T ] heißt geometrische Brownsche Bewegung zu den Parametern s0 (Startwert), µ (Drift) und σ (Volatilität), wenn d S = (s0 exp{σWt + (µ − 12 σ 2 )t})t∈[0,T ] , (38) wobei (Wt )t∈[0,T ] eine Brownsche Bewegung/Wienerprozess mit Startwert 0 bezeichne. Wiederholung: Um das Konvergenzergebnis sauber formulieren zu können benötigen wir den Begriff der Konvergenz in Verteilung. Dazu betrachten wir den Banachraum der stetigen Funktionen C[0, T ] versehen mit der Supremumsnorm kf k[0,T ] = sup |f (t)| für f ∈ C[0, T ]. t∈[0,T ] Wir werden die Notation k · k[0,T ] analog auch für unstetige Funktionen nutzen. Zusätzlich erinnern wir daran, dass dieser Funktionenraum S = C[0, T ] versehen mit der Supremumsnorm ein polnischer Raum ist (also ein separabeler, voständiger metrischer Raum). Außerdem ist eine S-wertige Zufallsvariable gerade ein stochastischer Prozess (siehe VL Wahrscheinlichkeitstheorie). In diesem Zusammenhang kann man Konvergenz in Verteilung wie folgt definieren. Definition 6.3. Es seien S (n) , n ∈ N und S reel-wertige stetige stochastische Prozesse (d.h. Elemente von C[0, T ]) definiert auf dem selben Wahrscheinlichkeitraum (Ω, F, P). Dann konvergiert S (n) in Verteilung gegen S wenn wenn für alle stetigen und beschränkten Funktionen f : C[0, T ] → R gilt lim E[f ((St(n) )t∈[0,T ] )] = E[F ((St )t∈[0,T ] )]. n→∞ Wir schreiben S (n) ⇒ S. 62 Satz 6.4. Sei S = (St )t∈[0,T ] eine geometrische Brownsche Bewegung zu den Parametern s0 , µ und σ. Es gilt für den Preisprozess S (n) im reskalierten Binomialmodell S (n) ⇒ S für n → ∞. Bemerkung 6.5. Analog zu dem vorhergehenden Satz kann man auch zeigen, dass X (n) ⇒ X für eine geometrische Brownsche Bewegung X zu den Parametern s0 , µ − r und σ 2 . Zum Beweis des Satzes nutzen wir folgendes Lemma. Lemma 6.6. Sei A(n) : [0, T ] → R eine Folge monoton wachsender stochastischer Prozesse und sei A : [0, T ] → R ein stetiger monoton wachsender Prozess, so folgt aus ∀t ∈ [0, T ] : lim At(n) = At , fast sicher, n→∞ dass lim kA(n) − Ak[0,T ] = 0, fast sicher. n→∞ Kurz: Aus der punktweisen Konvergenz folgt die Konvergenz in Supremumsnorm. Bemerkung 6.7. Im Satz ist die Annahme, dass (At ) monoton wachsend ist nicht notwendig. Diese Eigenschaft folgt automatisch (im f.s. Sinn) aus den restlichen Annahmen. Beweis. Sei I = {t0 , t1 , t2 , . . . } ⊂ [0, T ] abzählbar mit t0 = 0, t1 = T und Ī = [0, T ]. Auf einer Menge Ω0 mit P(Ω0 ) = 1, gilt lim At(n) (ω) = At (ω) ∀t ∈ I. n→∞ Sei nun πm (t) = max{tk : tk ≤ t, k = 1, . . . , m} und π m (t) = min{tk : tk ≥ t, k = 1, . . . , m}. Wegen der Stetigkeit (und somit der gleichmäßigen Stetigkeit) von A(ω), folgt lim kAπm (·) (ω) − Aπm (·) (ω)k[0,T ] = 0. m→∞ Sei nun ε > 0 beliebig und ω ∈ Ω0 . Wir wählen m ∈ N sodass kAπm (·) (ω)−Aπm (·) (ω)k[0,T ] ≤ ε/2 und wählen n0 ∈ N so, dass für alle n ≥ n0 , A(n) tk (ω) ≥ Atk (ω) − ε 2 für k = 1, . . . , m. Es folgt für n ≥ n0 und t ∈ [0, T ] aus der Monotonie von A(n) (n) A(n) t (ω) ≥ Aπm (t) (ω) ≥ Aπm (t) (ω) − 63 ε 2 ≥ Aπm (t) (ω) − ε ≥ At (ω) − ε. Analog zeigt man die umgekehrte Richtung und erhält, dass für alle n ≥ n0 kA(n) (ω) − A(ω)k[0,T ] ≤ ε. Außerdem benötigen wir für den Beweis den folgenden grundlegenden Satz, siehe [Kle08, Satz 21.43]. Satz 6.8 (Funktionaler Zentraler Grenzwertsatz). Seien (Xk )k∈N unabhängige identisch verteilte Zufallsvariablen mit E[X1 ] = 0 und var(X1 ) = 1. Es gilt für die C[0, T ]-wertigen Zufallsvariablen (Z∆ : ∆ > 0) gegeben durch X √ bt/∆c Xl + Z∆ (t) = ∆ l=1 t t − b c Xdt/∆e ∆ ∆ gerade Z∆ ⇒ W für ∆ ↓ 0, wobei W = (Wt )t∈[0,T ] eine Brownsche Bewegung bezeichne. Beweis von Satz 6.4. Wir führen den Beweis für eine bestimmte stetige Fortsetzung der Prozesse (S (n) : n ∈ N) durch und zwar setzen wir die Prozesse so stetig fort, dass log S (n) für jedes ω zwischen zwei Stützstellen in Tn linear ist. Für andere Fortsetzungen kann die Aussage leicht auf die Gültigkeit der Aussage dieser besonderen Fortsetzung zurückgeführt werden. Es reicht die Konvergenz log S (n) ⇒ (log s0 + σWt + (µ − 21 σ 2 )t)t∈[0,T ] zu zeigen. Hieraus folgt die Aussage des Satzes, da die Abbildung C[0, T ] → C[0, T ], (xt ) 7→ (ext ) stetig ist. Wir bemerken, dass für t ∈ Tn (n) log St+∆ = log St(n) + log(1 + ∆µ) + log(1 + √ ∆ Z ∆t +1 ). und wegen Taylor √ log(1 + √ ∆ Z ∆t +1 ) = ∆ Z ∆t +1 − 12 ∆ Z 2t +1 + R(n) t +1 ∆ 64 ∆ mit einem Restterm R(n) mit |R(n) | ≤ C ∆3/2 für n hinreichend groß, wobei C eine t t ∆ +1 ∆ +1 Konstante bezeichne. In der Tat gilt für den Restterm R(n) = t +1 ∆ 2 −2 3/2 ∆ 3! ξ Z 3t +1 , ∆ wobei ξ einen geeigneten zufälligen Wert zwischen 1 und 1 + folgt also für t ∈ Tn (n) log St √ ∆ Z ∆t +1 bezeichne. Es t/∆ t/∆ √ X 1 X 2 t Zk +R(n) (t), Zk − ∆ = log s0 + log(1 + ∆µ) + ∆ 2 |∆ {z } k=1 k=1 | {z } | {z } (n) =:At (n) =: σ Wt (n) =:Ct wobei wir den Restterm R(n) leicht abschätzen können durch √ |R(n) (t)| ≤ C∆3/2 t/∆ = CT / n. Es verbleibt A(n) , W (n) und C (n) zu analysieren, wobei wir die Prozesse jeweils stückweise linear zwischen den Stützstellen in Tn fortsetzen. Es gilt für jedes t ∈ [0, T ] lim At(n) = tµ n→∞ und somit folgt aus der Monotonie mithilfe Lemma 6.6, dass lim kAt(n) − µtk[0,T ] = 0. n→∞ Ferner folgt aus dem starken Gesetz der großen Zahlen, dass lim Ct(n) = σ 2 t, fast sicher. n→∞ Analog wie zuvor folgt die fast sichere Konvergenz auch in der Supremumsnorm. Es verbleibt den W (n) Term zu betrachten. Wegen des funktionalen zentralen Grenzwertsatzes (Satz 6.8) konvergiert (W (n) : n ∈ N) in Verteilung gegen einen Wienerprozess. Aus der Stetigkeit von (xt ) 7→ (log s0 + σxt + (µ − 21 σ 2 )t) folgt die Konvergenz (log s0 + σWt(n) + (µ − 12 σ 2 )t)t∈[0,T ] ⇒ (log s0 + σWt + (µ − 12 σ 2 )t)t∈[0,T ] . Der Rest folgt aus dem Lemma von Slutzky [Kle08, Satz 13.18], da (n) 1 (n) 1 2 log St(n) = log s0 + σWt(n) + (µ − 12 σ 2 )t + A(n) t − 2 Ct + Rt − (µ − 2 σ )t, | {z } | {z } →0 ⇒log St wobei die Konvergenz jeweils im Raum C[0, T ] gültig ist. Definition 6.9. Das Black-Scholes Modell ist ein Finanzmarktmodell in stetiger Zeit bestehend aus einer risikolosen Anleihe B = (Bt )t∈[0,T ] und einer risikobehafteten Anlage S = (St )t∈[0,T ] , wobei T > 0 den Zeithorizont bezeichne. Es wird durch folgende Parameter beschrieben: 65 • r ∈ R, der Zinsrate, • s0 > 0, dem Startwert der Aktie, • µ ∈ R, dem Trend der Aktie, und • σ > 0, der Volatilität der Aktie. Der risikolose Bond B ist gegeben durch Bt = ert und die risikobehaftete Anlage S = (St ) ist eine geometrische Brownsche Bewegung zu den Parametern s0 , µ und σ. Als Filtration verwendet man die vom Prozess erzeugte σ-Algebra (plus Nullmengen), d.h. Ft := σ(Su : u ∈ [0, t]) ∨ N , wobei N := {A ∈ FT : P(A) = 0}. Generell werden wir im Folgenden immer dieser vom Prozess generierten Filtration arbeiten. Bemerkung 6.10. 1. Im Black-Scholes Modell ist der diskontierte Preisprozess (Xt )t∈[0,1] eine geometrische Brownsche Bewegung zu den Parametern s0 , µ − r und σ, da L X = (s0 exp{(µ − r − 21 σ 2 )t + σWt })t∈[0,T ] . Wir bemerken, dass dies auch dem Limes der diskontierten Preise der diskreten Approximationen (X (n) : n ∈ N) entspricht. 2. Ist σ 6= 0, kann man immer (St ) schreiben als St = s0 exp{(µ − 21 σ 2 )t + σWt }, (39) wobei (Wt )t≥0 eine Brownsche Bewergung ist. Dann ist (Ft ) auch die vom Wienerprozess (Wt ) erzeugte Filtration. Der diskontierte Preisprozess besitzt die Darstellung Xt = s0 exp{(µ − r − 12 σ 2 )t + σWt }. (40) Zur Beschreibung der Übergangswahrscheinlichkeiten des Prozesses nutzen wir die logNormalverteilung. Definition 6.11. Für µ, σ ∈ R bezeichne log N (µ, σ 2 ) die log-Normalverteilung zu den Parametern µ und σ 2 gegeben durch log N (µ, σ) = L(exp{σN + µ}), wobei N eine Standardnormalverteilte Zufallsvariable bezeichne. Bemerkung 6.12. Ist σ = 0, so ist log N (µ, 0) gerade das Dirac-Maß auf eµ und andernfalls ist log N (µ, σ 2 ) das Maß auf (0, ∞) mit Dichte x 7→ √ (log x − µ)2 exp − . 2σ 2 2πσ 2 x 1 Ferner gilt für eine log N (µ, σ 2 )-verteilte Zufallsvariable Y E[Y ] = eµ+ σ2 2 2 2 und var(Y ) = e2µ+σ (eσ − 1). 66 Satz 6.13. Sei S = (St )t∈[0,T ] ein stetiger stochastischer Prozess und s0 > 0, µ ∈ R und σ > 0. (St ) ist genau dann eine geometrische Brownsche Bewegung zu den Parametern s0 , µ und σ, wenn gilt: (0) S0 = s0 , (i) ∀n ∈ N, 0 ≤ t1 ≤ . . . ≤ tn ≤ T : St1 , St2 /St1 , . . . , Stn /Stn−1 sind unabhängig und (ii) ∀0 ≤ s ≤ t ≤ T : L(St /Ss ) = log N ((µ − 21 σ 2 )(t − s), σ 2 (t − s)). Beweis. “⇒”: Ist (St ) eine geometrische Brownsche Bewegung zu den Parametern s0 , µ und σ, so folgen die Eigenschaften (0), (i) und (ii) aus der Darstellung log St = log s0 + (µ − 21 σ 2 )t + σWt und aus den entsprechenden Eigenschaften der Brownschen Bewegung. “⇐”: Zur Erinnerung: Um zu zeigen, dass zwei stochastische Prozesse die gleiche Verteilung haben reicht es zu zeigen, dass dies für die Verteilungen auf beliebigen endlichen Indexmengen I ⊂ [0, T ] gilt. Aus den Eigenschaften (0) und (ii) folgt, dass zu jeder Zeit t ∈ [0, T ], P(St > 0) = 1 und wir setzen für t ∈ [0, T ] Wt0 := 1 log St − log s0 − (µ − 21 σ 2 )t . σ (Wt0 ist auf der Nullmenge {St ≤ 0} nicht wohldefiniert und wir setzen Wt0 = 0 auf der Menge.) Sei nun I = {t1 , . . . , tn } ⊂ [0, T ] mit 0 = t0 ≤ t1 < · · · ≤ T . Nun gelten für i 1h Stk Yk0 := Wt0k − Wt0k−1 = log − (µ − 21 σ 2 )(tk − tk−1 ) (k = 1, . . . , n) σ Stk−1 die Eigenschaften • Y10 , . . . , Yn0 sind unabhängig wegen (i) • L(Yk0 ) = N (0, tk − tk−1 ) für k = 1, . . . , n wegen (ii). D.h. (Wt01 , Wt02 , . . . , Wt0n ) = (Y10 , Y10 + Y20 , . . . , Y10 + . . . + Yn0 ) L = (Y1 , Y1 + Y2 , . . . , Y1 + . . . + Yn ) = (Wt1 , . . . , Wtn ), wobei Y1 , . . . , Yn die entsprechenden Inkremente der Brownschen Bewegung (Wt ) bezeichne. Somit gilt L (St )t∈I = (s0 exp{(µ − 21 σ 2 )t + σWt })t∈I (41) und (St )t∈[0,T ] ist eine geometrische Brownsche Bewegung zu den Parametern s0 , µ und σ. Frage: Für welche Parameter ist eine geometrische Brownsche Bewegung ein Martingal? 67 Proposition 6.14. Eine geometrische Brownsche Bewegung (St ) ist genau dann ein Martingal (bzgl. der von ihr erzeugten Filtration), wenn der Drift µ gleich 0 ist. Beweis. Nach Bemerkung 6.10 können wir die geometrische Brownsche Bewegung (St )t∈[0,T ] mittels einer Brownschen Bewegung (Wt ) in der Form St = s0 exp{(µ − 21 σ 2 )t + σWt } (42) darstellen. Nun gilt für 0 ≤ s ≤ t ≤ T wegen der Unabhängigkeit von Wt − Ws von Fs E[St |Fs ] = Ss E[exp{(µ − 21 σ 2 )(t − s) + σ(Wt − Ws )}|Fs ] = Ss exp{(µ − 21 σ 2 )(t − s)} E[eσ √ t−sW1 ]} = Ss eµ(t−s) . Dabei haben wir ausgenutzt, dass für N eine N (0, 1)-verteilte Zufallsvariable gilt für jedes γ ∈ R Z ∞ Z ∞ 2 1 2 1 2 1 1 γN γx 1 − 21 x2 √ e− 2 (x−γ) e 2 γ = e 2 γ , E[e ] = = e √ e 2π 2π −∞ −∞ wobei wir im letzten Schritt die Substitution x → x + γ und die Tatsache, dass das Integral über eine Wahrscheinlichkeitsdichte gleich 1 ist, genutzt haben. Das gleiche Ergebnis erhält man auch aus Bemerkung 6.12. 6.2. Äquivalente Martingalmaße Auch wenn wir an dieser Stelle kein Konzept für Handelsstrategien und faire Preise entwickeln wollen, so werden wir dennoch die Bewertungsansätze von zuvor zur Bestimmung von Bewertungsformeln nutzen. D.h. wir werden analysieren welche äquivalenten Martingalmaße existieren und hieraus Bewertungsformeln ableiten. Bevor wir zum Black-Scholes Modell zurückkommen, werden wir zunächst Maßwechsel für den Wienerprozess studieren. Satz 6.15 (Girsanov Transformation). Sei (Wt ) ein Wienerprozess, (Ft ) die von (Wt ) erzeugte Filtration und sei θ ∈ R. Das Maß Pθ gegeben durch dPθ = exp(θWT − 21 θ2 T ) =: ZT dP ist ein Wahrscheinlichkeitsmaß unter dem der Prozess (W̄t ) gegeben durch W̄t := Wt − θt ein Wienerprozess ist. Ferner gilt dPθ = exp{θWt − 21 θ2 t} =: Zt . dP Ft Wir nennen (W̄t ) kurz Pθ -Wienerprozess. 68 Beweis. (Zt ) ist eine geometrische Brownsche Bewegung zu den Parametern 1, 0 und θ und aus Proposition 6.14 folgt, dass (Zt ) ein (Ft )-Martingal ist. Ferner gilt E[ZT ] = E[Z0 ] = 1, sodass aus der strikten Positivität von ZT folgt, dass Pθ ein äquivalentes Wahrscheinlichkeitsmaß ist, dessen Dichteprozess (Zt ) ist. Es verbleibt zu zeigen, dass (W̄t ) unter Pθ ein Wienerprozess ist. Seien n ∈ N, 0 = t0 < t1 < · · · < tn = T und Ā1 , . . . , Ān ∈ B. Wir setzen für k = 1, . . . , n: • Ȳk := W̄tk − W̄tk−1 und • Ak = Āk + θ(tk − tk−1 ) Es gilt Pθ (Ȳ1 ∈ Ā1 , . . . , Ȳn ∈ Ān ) = E[ZT 1lĀ1 ×...×Ān (Ȳ1 , . . . , Ȳn )] i h Z tn Zt 1lAn (Yn ) = E Zt1 1lA1 (Y1 ) · 2 1lA2 (Y2 ) · . . . · Zt1 Ztn−1 h i h Z i tn = E Zt1 1lA1 (Y1 ) · . . . · E 1lAn (Yn ) , Ztn−1 wobei wir im letzten Schritt genutzt haben, dass die Inkremente Y1 , . . . , Yn unabhängig sind. Ferner gilt Z h Z i y2 1 2 1 − tk 2 θ (tk −tk−1 ) dy p E e| 2(tk −tk−1 ) eθy− 1lAk (Yk ) = {z } Ztk−1 2π(tk − tk−1 ) Ak 2 =exp{− 1 =p 2π(tk − tk−1 ) Z e (y−θ(tk −tk−1 )) 2(tk −tk−1 ) x2 − 2(t −t k k−1 ) } dx = N (0, tk − tk−1 )(Āk ). Āk Hieraus folgen direkt Eigenschaften (i) und (ii) des Wienerprozesses. Ziel: Nutzung der Girsanov Transformation zur Definition eines äquivalenten Martingalmaßes im Black-Scholes Modell. Notation 6.16. Seien von nun an (Bt ) und (St ) die Preisprozesse eines Black-Scholes Modell mit Parametern s0 > 0, µ, r ∈ R und σ > 0. Ferner sei (Xt ) der diskontierte Preisprozess und (Wt ) der Wienerprozess mit Xt = s0 exp{(µ − r − 21 σ 2 )t + σWt } (siehe Bemerkung 6.10). Satz 6.17. Im Black-Scholes Modell mit Parametern s0 > 0, µ, r ∈ R und σ 6= 0 ist Pθ für µ−r −θ = σ ein äquivalentes Martingalmaß (für den diskontierten Preisprozess (Xt )). Unter diesem Maß ist (Xt ) eine geometrische Brownsche Bewegung zu den Parametern s0 , µ = 0 und σ. 69 Beweis. Unter dem Maß Pθ is Wt − θt eine (Standard-) Brownsche Bewegung. Wir wählen θ so, dass Xt unter Pθ ein Martingal ist. Dazu betrachten wir also Xt = s0 exp{(µ − r − 21 σ 2 )t + σWt } = s0 exp{(µ − r + σθ)t − 21 σ 2 t + σ W̄t } = s0 exp{− 12 σ 2 t + σ W̄t }, wenn wir θ = − µ−r wählen. D.h. nach Definition ist Xt eine geometrische Brownσ sche Bewegung mit Drift-Parameter 0 und damit nach Proposition 6.14 ein (Ft )t≥0 Martingal. Bemerkung 6.18. (i) Man bezeichnet −θ = µ−r σ als Marktpreis des Risikos. Unter Pθ sind (St ) und (Xt ) geometrische Brownsche Bewegungen mit Drift r, bzw. 0. Die Verteilung hängt nicht von dem Trend µ ab! (ii) Außer des im Satz hergeleiteten äquivalenten Martingalmaßes gibt es keine weiteren äquivalenten Martingalmaße! (ohne Beweis) 6.3. Bewertung eines Calls im Black-Scholes Modell Ziel dieses Abschnitts ist die Herleitung einer Bewertungsformel für einen Call im Black-Scholes Modell und deren Analyse. Notation 6.19. Wir behalten die Notation θ = − µ−r σ bei und bezeichnen mit Q := Pθ das äquivalente Martingalmaß. Ferner bezeichnen wir mit W̄ = (W̄t ) den QWienerpozess µ−r W̄t = Wt + t. σ Ein Derivat C mit undiskontierter Auszahlung C bewerten wir mit dem “fairen” Wert h C i π C := EQ . BT Es stellt sich nun die Frage nach expliziten Formeln für diesen Erwartungswert für wichtige am Finanzmarkt gehandelte Derivate. Wir betrachten zunächst die Call Option mit Strike K > 0 und Maturität T . Deren Wert ist gegeben durch h (S − K) i T + π call := EQ . BT Satz 6.20. Es gilt π call = s0 Φ log s0 K + (r + 12 σ 2 )T log √ − Ke−rT Φ 2 σ T s0 K + (r − 21 σ 2 )T √ . σ2 T Hier ist Φ die Verteilungsfunktion der Normalverteilung N (0, 1). 70 Beweis. Wir setzen K 0 := K/BT = K/erT und bemerken, dass π call = EQ [(XT − K 0 )+ ] = EQ [1l{XT >K 0 } XT ] − K 0 Q(XT > K 0 ). Da XT = s0 exp{σ W̄T − 12 σ 2 T }, folgt K0 K 0 W̄T 1 = √ >√ {XT > K 0 } = σ W̄T − 12 σ 2 T > log log + 21 σ 2 T s0 s0 T σ2 T W̄T 1 K log − rT + 21 σ 2 T = √ >√ s0 T σ2 T und insbesondere gilt da W̄T unter Pθ N (0, 1)-verteilt ist, wegen der Symmetrie der Normalverteilung log sK0 + (r − 12 σ 2 )T √ Q(XT > K 0 ) = Φ . σ2 T Zur Berechnung des Erwartungswerts nutzen wir dass Z := XT /s0 = exp{σ W̄T − 1 2 σ 2 σ T } wegen des Satzes von Girsanov ein Wahrscheinlichkeitsmaß Q mittels dQσ =Z dQ definiert unter dem (W̄t0 ) := (W̄t − σt) ein Qσ -Wienerprozess ist. Wir erhalten h σ XT i = s0 Qσ (XT > K 0 ) EQ [1l{XT >K 0 } XT ] = s0 EQ Z −1 1l{XT >K 0 } s0 und W̄T 1 K 0 1 2 W̄T0 1 K 0 1 2 {XT > K 0 } = √ > √ log = √ >√ log + 2σ T − σ T . s0 s0 2 T T σ2 T σ2 T s log K0 +(r+ 12 σ 2 )T √ D.h. EQ [1l{XT >K 0 } XT ] = s0 Φ . σ2 T Greeks Der Preis einer Call Option hängt von dem Startwert s0 > 0, dem Strike K > 0, der Maturität T > 0, der Zinsrate r ∈ R und der Volatilität σ > 0 ab, wobei die letzten zwei Parameter Modellparameter sind. Wir analysieren π call = π call (s0 , T, K, r, σ) := s0 Φ log s0 K + (r + 12 σ 2 )T log √ −Ke−rT Φ 2 σ T Mithilfe der Funktionen h1 = h1 (s0 , T, K, r, σ) = 71 log s0 K + (r + 12 σ 2 )T √ σ2 T s0 K + (r − 21 σ 2 )T √ . σ2 T und √ log h2 = h2 (s0 , T, K, r, σ) = h1 − σ T = s0 K + (r − 12 σ 2 )T √ σ2 T kann der Preis wie folgt dargestellt werden: π call = s0 Φ(h1 ) − e−rT K Φ(h2 ). Bestimmte Diferentiale der Bewertungsformel π call werden als Greeks bezeichnet. Diese Größen stellen die Abhängigkeit von π call bezüglich der verschiedenen Parameter dar. Der Name Greeks kommt daher, dass die meisten dieser Größen mit griechischen Buchstaben bezeichnet werden. (i) Eine Differentiation der Bewertungsformel nach dem Startwert der Aktie liefert ∆ := ∂s0 π call = Φ(h1 ) + √ 1 σ2 T s0 (s0 ϕ(h1 ) − Ke−rT ϕ(h2 )) = Φ(h1 ) > 0. Dies kann man leicht unter Nutzung von s0 ϕ(h1 ) − Ke−rT ϕ(h2 ) = 0 (43) √ zeigen. Um (43) herzuleiten, nutzen wir, dass h2 = h1 − σ T und schliesslich die Definition von h1 und bekommen dann √ 2 √ √ 1 2 1 1 2 2πKe−rT ϕ(h2 ) = Ke−rT e− 2 (h1 −σ T ) = Ke− 2 σ h1 e−rT +σ T h1 − 2 σ T 1 = Ke− 2 σ 2 s h1 −rT +log( K0 )+(r+ 12 σ 2 )T − 21 σ 2 T e √ − 12 σ 2 h1 s0 = Ke = 2πs0 ϕ(h1 ). K ∂s0 π call heißt Delta der Call-Option. Diese zeigt die Auswirkung infinitessimal kleiner Kursänderungen auf den Derivatepreis auf: die infinitessimale Wertänderung des Calls entspricht der Φ(h1 )-fachen Änderung des Aktienkurses (plus möglicher weiterer Preiseinflüsse, die durch die Zeit verursacht werden). Hat eine Bank eine Call-Option verkauft und möchte den Einfluss der stochastischen Preisänderungen möglichst gering halten, so sollte sie Φ(h1 ) Aktien halten. Hierbei muss das Portfolio mit der Zeit kontinuierlich an den neuen Aktienkurs und die neue Zeit bis zur Maturität angepasst werden. Nach Einführung von selbstfinanzierenden Handelsstrategien in stetiger Zeit kann man Strategien definieren, die die Ausschüttung sogar replizieren. Motiviert durch obige Diskussion ist eine kanonische Wahl für den Handel in der Aktie (Ht ) gegeben durch Ht = Φ(h1 (St , T − t)) Steckt man den Rest des Vermögens in den Bond, so erhält man in der Tat eine Replikation des Call Preises. 72 (ii) Differenziert man zweimal nach s0 , so erhält man das Gamma der Option. Im Fall der Call-Option ist dies √ Γ := ∂s20 π call = ϕ(h1 )(s0 σ T )−1 . Das Gamma zeigt an wie stark das replizierende Portfolio umgeschichtet werden muss bei Änderung des Preises s0 . Außerdem können wir aus Γ > 0 schließen, dass π call eine strikt convexe Funktion in s0 ist. (iii) Eine Differentiation nach der Zeit T liefert das Theta σs0 Θ := ∂T π call = √ ϕ(h1 ) + Kre−rT Φ(h2 ) > 0 2 T Dies folgt mithilfe von (43) aus ∂T h1 = ∂T h2 + 21 σT −1/2 mittels ∂T π call = s0 ϕ(h1 ) ∂T h1 − e−rT K ϕ(h2 ) ∂T h2 + r e−rT K Φ(h2 ). Dies zeigt auf, dass der Wert des Derivats fällt, wenn der Aktienkurs in der Zeit gleich bleibt (da sich die Zeit bis zur Maturität verkleinert). Diese Eigenschaft ist für den Put nicht gültig! Weiterhin sehen wir, dass der Preis eines europäischen Calls eine wachsende Funktion der Maturität T . Eine analoge Beobachtung haben wir auch bei dem amerikanischen Call gemacht für ein zeit-diskretes Modell, siehe Bemerkung 4.23, wo wir gezeigt haben, dass eine Ausübung zur letztmöglichen Zeit immer optimal ist. (iv) Eine Differentiation nach der Volatilität liefert das Lambda (oder auch Vega) √ Λ := ∂σ π call = s0 ϕ(h1 ) T > 0. Dies bedeutet insbesondere, dass bei der Unterschätzung der Volatilität die Bewertungspreise zu niedrig sind! (v) Differentiation nach der Zinsrate r liefert das Rho ρ := ∂r π call = K T e−rT Φ(h2 ) > 0. Der Optionspreis wächst mit der Zinsrate. Dies erscheint zunächst überaschend, da der arbitragefreie Preis gleich EQ [e−rT (ST − K)+ ] ist. Allerdings hängt Q auch wieder von r ab! (vi) Differenziert man nach dem Strike erhält man ∂K π call = −e−rT Φ(h2 ) < 0 73 Lemma 6.21. π call erfüllt die sogenannte Black-Scholes Differentialgleichung: ∂T π call = 12 σ 2 s20 ∂s20 π call + rs0 ∂s0 π call − rπ call , Bemerkung 6.22. Häufig wird als Black-Scholes(-Merton) Differentialgleichung auch die partielle Differentialgleichung mit dem umgekehrten Vorzeichen für die partielle Ableitung nach der Zeit bezeichnet, siehe beispielsweise [Shr04, Example 6.4.4.]. Für diese alternative Darstellung, wird zunächst v(t, x) so definiert, dass der Wert des Derivats zur Zeit t gerade Vt = v(t, St ) entspricht. Schließlich wird dann die entsprechende Gleichung für v formuliert. So ist dann π call = V0 = v(0, s0 ), was auch die Zeitumkehrung erklärt. Beweis. Aus der Berechnung der Greeks folgt, dass man die rechte Seite schreiben kann als 1 2 2 2 call 2 σ s0 ∂s0 π + rs0 ∂s0 π call − rπ call σs0 = 12 √ ϕ(h1 ) + rs0 Φ(h1 ) − r(s0 Φ(h1 ) − e−rT KΦ(h2 )) T 1 σs0 = 2 √ ϕ(h1 ) + re−rT KΦ(h2 )) = ∂T π call , T wobei wir im letzten Schritt (iii) benutzt haben. Die implizite Volatilität In die Bewertung eines Derivats gehen die Parameter s0 , T, K, r und σ ein. Wohingegen s0 , T , K klar spezifiziert sind und r sich meist gut anhand der Daten bestimmen lässt, ist die Wahl der Volatilität nicht trivial! Paradigma: Man fittet ein Marktmodell an den realen Markt indem man ein σ wählt für das die Modellpreise den Marktpreisen entsprechen. Beobachtung: Dieses σ kann meist nicht konsistent über verschiedene Maturitäten und Strikes gewählt werden! Für eine Call-Option heißt σ imp implizite Volatilität, wenn π call (. . . , σ) mit dem wahren Preis der Option übereinstimmt. Nun erhält man für verschiedene Maturitäten T und Strikes K verschiedene implizite Volatilitäten σ imp (T, K). Plottet man diese Werte für festgehaltene Laufzeit in einem Diagramm, so stellt man fest, dass sie eine U-Form bilden (Smile Effekt). Woran liegt dies? Das Auftreten verschiedener impliziter Volatilitäten zeigt, dass das Black-Scholes Modell, einen realistischen Finanzmarkt nur ungenügend widerspiegelt. Das Black-Scholes Modell arbeitet mit einer konstanten Volatilität. In der Realität ist die Variabilität der Kursbewegungen nicht konstant. Bei extremen Ereignissen bzw. geänderter Marktlage kann sie sich stark ändern. Bei der Bewertung einer Call-Option ist es jeweils entscheidend, wie wahrscheinlich es ist dass der Kurswert den Strike 74 überquert. Ist man stark in-the-money (out-of-the-money), so kann man durch Kauf der Aktie (ein leeres Portfolio) gut hedgen, erst in der Nähe des Strikes entstehen beim Umgewichten Kosten. Ist man also weit entfernt vom Strike unterschätzt das Black-Scholes Modell systematisch die Wahrscheinlichkeit wieder zurück zum Strike zu gelangen, da dies in der Realität durch eine Erhöhung der Variabilität (Volatilität) während der Laufzeit geschehen würde. Bei der impliziten Volatilität erhält man also typischerweise höhere Werte als dies die aktuelle Variabilität der Kurse vermuten lässt und der Effekt ist desto stärker je weiter man sich vom Strike entfernt. Bewertung nicht pfadabhängiger Derivate Wie wir gesehen haben kann das Black-Scholes Modell nicht die Gesamtheit der am Markt beobachteten Preise konsistent erklären. Wir wollen nun in diesem Abschnitt den umgekehrten Weg gehen und uns Fragen welche Rückschlüsse aus der Beobachtung der Call-Preise auf das vom Markt genutzte äquivalente Martingalmaß getroffen werden können. Wir betrachten in diesem Abschnitt Derivate mit Ausschüttung der Form C := g(ST ), wobei (St ) die Preistrajektorie einer Aktie bezeichne (nicht notwendigerweise des Black-Scholes Modells) und g : [0, ∞) → [0, ∞) eine messbare Funktion sei. Ferner bezeichne nun (Bt ) den Preisprozess eines T -Bonds, d.h. einer Anleihe mit Auszahlung 1 Euro zur Zeit T . Wir nutzen den T -Bond als Numeraire. Für Modelle in diskreter Zeit haben wir gesehen, dass aus der Arbitragefreiheit folgte, dass ein äquivalentes Martingalmaß Q existiert, sodass die diskontierten Preise von allen am Markt gehandelten Derivaten als Q Erwartungswerte darstellbar sind. Insbesondere erhält man für ein Derivat von obiger Form den undiskontierten Preis Z π g := B0 EQ [g(ST )] = B0 g(x) dQST (x). Kennt man also die Verteilung von ST unter dem am Markt genutzten Martingalmaß Q, so kann man alle Derivate von obiger Form bewerten. Beobachtung: Am Markt werden zu vielen Maturitäten Call- und Put-Optionen zu vielerlei Strikes gehandelt. Kann man aus deren Preisen Aussagen zur Verteilung QST ableiten? Annahme: Wir nehmen an, dass Preise für Call-Optionen für alle Strikes K ≥ 0 vorliegen und dem Wert Z π call (K) := B0 (x − K)+ dQST (x) (44) entsprechen. 75 Satz 6.23. Sei F die Verteilungsfunktion von QST . Der Call-Preis π call gegeben durch (44) ist rechtsseitig differenzierbar und es gilt für K ≥ 0 F (K) = 1 + ∂K+ π call (K) . B0 Hat QST eine stetige Lebesgue-Dichte f , so erfüllt diese f (K) = 2 call ∂K π (K) . B0 Beweis. Für alle x ∈ R betrachten wir 0 1 − ((x − (K + ε))+ − (x − K)+ ) = ε x−K ε 1 x≤K K <x≤K +ε x>K +ε := ϕK,K+ε (x). Damit folgt sofort π call (K + ε) − π call (K) = B0 − ε Z ϕK,K+ε (x) dQST (x) und für ε ↓ 0, gilt ϕK,K+ε ↑ 1l(K,∞) . Wir erhalten mittels monotoner Konvergenz, dass −∂K+ π call (K) = B0 (1 − F (K)). Auflösen nach F (K) liefert die erste Gleichung. Der zweite Teil des Satzes folgt direkt aus dem ersten. Merke: Die Gesamtheit aller Call-Preise zu einer festen Maturität T beschreiben eindeutig die Verteilung QST ! 6.4. Bewertung einer Barriereoption Wir betrachten als nächstes einen “down-and-out” Call mit Barriere B < s0 und Strike K > 0. Dieser liefert zur Maturität T die Auszahlung C d/o = (ST − K)+ 1l{mins∈[0,T ] Ss >B} . Allgemeiner werden wir uns auch fragen wie für eine messbare Funktion g : (0, ∞)2 → [0, ∞) ein Derivat mit Ausschüttung C = g( inf St , ST ) t∈[0,T ] zu bewerten ist. Bevor wir mit expliziten Berechnungen starten können, müssen wir uns den Wienerprozess nochmals genauer anschauen. 76 Satz 6.24 (Reflektionsprinzip). Sei (Wt ) ein Wienerprozess und MT := max Ws . s∈[0,T ] Es gilt für a ≥ 0 und b ∈ (−∞, a] a P(MT ≥ a) = 2 P(WT ≥ a) = 2 Φ − √ T und P(MT ≥ a, WT < b) = P(WT ≥ 2a − b) = Φ b − 2a √ T Beweis. (Beweisskizze) Man definiert τ := inf{t ∈ [0, T ] : Wt = a} und einen stetigen Prozess (W̄t ) mittels ( Wt , W̄t := 2a − Wt , wenn t ≤ τ wenn t ≥ τ. Aus den Eigenschaften des Wienerprozesses (ohne Beweis) folgt, dass (W̄t ) wieder ein Wienerprozess ist. Für ω ∈ {WT 6= a} gilt MT (ω) ≥ a ⇔ WT (ω) > a oder W̄T (ω) > a. Da {WT = a} eine Nullmenge ist und die Ereignisse {WT > a} und {W̄T > a} disjunkt sind, folgt, dass P(MT ≥ a) = P(WT > a) + P(W̄T > a) = 2P(WT > a) = 2P(WT ≥ a). Zum Beweis der zweiten Gleichung bemerken wir, dass {MT ≥ a, WT < b} = {W̄T > 2a − b} und somit P(MT ≥ a, WT < b) = P(WT > 2a − b). Aus dieser Aussage können wir leicht die Dichte für (MT , WT ) herleiten. Korollar 6.25. Die Zufallsvariable (MT , WT ) hat die Lebesgue-Dichte 4a − 2b − (2a−b)2 2T p(a, b) = 1lD (a, b) √ e , 2πT 3/2 wobei D = {(a, b) : a > 0, b < a}. 77 Beweis. Für a > 0 und b < a gilt da Φ0 (t) = ϕ(t) = − 1 2 √1 e− 2 t , 2π 4a − 2b − (2a−b)2 ∂2 b − 2a 2T = p(a, b). =√ Φ √ e ∂a∂b 2πT 3/2 T Daraus folgt, dass für A > 0 und B ≤ A Z P(MT ≥ A, Wt < B) = p(a, b) d(a, b) [A,∞)×(−∞,B) Ferner ist das Mengensystem E = {[A, ∞) × (−∞, B) : A > 0 und B ≤ A} ∩-stabil und σ(E) enthält alle offenen Teilmengen von D und insbesondere D selbst, d.h. B(D) ⊂ σ(E). Somit gilt nach dem Eindeutigkeitssatz für Maße, dass P◦(MT , WT )−1 eingeschränkt auf D die Dichte p hat. Um zu zeigen, dass dies auch für das uneingeschränkte Maß gilt, reicht es zu zeigen, dass Dc eine Nullmenge ist (da p|Dc ≡ 0). Dies folgt, da P(MT ≤ 0) = P((Wt ) hat lok. Maximum in 0) = 0 und P(MT ≤ WT ) = P((Wt ) hat lok. Maximum in T ) = 0. Proposition 6.26. Seien ρ ∈ R und seien (Yt ) und NT gegeben durch Yt = Wt + ρt und NT = max Yt . t∈[0,T ] Für a, b ∈ R mit a > 0 und b ≤ a gilt P(NT < a, YT ≤ b) = Φ b − 2a − ρT b − ρT √ √ − e2ρa Φ . T T Beweis. Wir bemerken, dass für b ≤ a, b b − 2a P(MT < a, WT ≤ b) = P(WT ≤ b) − P(MT ≥ a, WT ≤ b) = Φ √ −Φ √ T T und somit für alle b ∈ R P(WT ≤ b|MT < a) = ( 1, wenn b ≥ a √ Φ( √b )−Φ( b−2a ) T P(MT <a) T , wenn b ≤ a. Differentiation nach b liefert, dass WT gegeben {MT < a} die Lebesgue-Dichte √ ) ϕ( √b ) − ϕ( b−2a T b 7→ h(b) = 1l(−∞,a) (b) √ T T P(MT < a) 78 besitzt, wobei ϕ = Φ0 die Dichte der Standardnormalverteilung bezeichne. Wir verwenden wieder die Girsanov-Transformation und bezeichnen mit Pρ das Wahrscheinlichkeitsmaß mit Dichte dPρ = exp{ρWT − 12 ρ2 T }. dP Unter Pρ is (W̄t ) := (Wt − ρt)t∈[0,T ] eine Brownsche Bewegung und somit gilt LP ((Yt )t∈[0,T ] ) = LPρ ((Wt )t∈[0,T ] ). Hier bezeichnet LP die Verteilung1 einer Zufallsvariable unter dem Wahrscheinlichkeitsmaß P. Insgesamt folgt, dass P(NT < a, YT ≤ b) = Pρ (MT < a, WT ≤ b) = E exp{ρWT − 21 ρ2 T } 1l{MT <a,WT ≤b} Z b 1 2 = P(MT < a) eρy− 2 ρ T h(y) dy −∞ Z a∧b = e ρy− 12 ρ2 T −∞ √ ) ϕ( √yT ) − ϕ( y−2a T √ dy T √ ) − e2ρa ϕ( y−2a−ρT ) T √ dy = T −∞ b − ρT b − 2a − ρT √ =Φ √ − e2ρa Φ , T T Z b ϕ( y−ρT √ T Dabei haben wir im vorletzen Schritt ausgenutzt, dass 1 eρy− 2 ρ 2 T y − ρT 2 1 2 1 y y √ )2 − 1 ( y−ρT ϕ( √ ) = eρy− 2 ρ T − 2 T = e 2 T =ϕ √ . T T Wir können nun den Wert eines “down-and-out” Call mit Barriere B < s0 und Strike K > B berechnen. Satz 6.27. Für 0 ≤ B < s0 und K > B hat der “down-and-out” Call mit Barriere B und Strike K im Black-Scholes Modell den Wert π d/o := e−rT EQ [(ST − K)+ 1l{mint∈[0,T ] ST >B} ] = π call (s0 , T, K) − B σ2r2 −1 call B 2 π , T, K . s0 s0 Beweis. Es gilt mit A := {ST ≥ K, mint∈[0,T ] St > B} und K 0 := e−rT K π d/o = e−rT EQ [(ST − K)+ 1l{mint∈[0,T ] ST >B} ] = EQ [XT 1lA ] − K 0 Q(A). 1 Zur Erinnerung: Für eine Zufallsvariable X mit Werten in (E, B), ist die Verteilung von X unter P das Wahrscheinlichkeitsmaß auf (E, B) gegeben durch P(X ∈ A) für A ∈ B. 79 Da Xt = exp{σ W̄t − 12 σ 2 t}, können wir die Darstellung (St ) = (s0 exp{σ W̄t + (r − 1 2 2 σ )t}) nutzen, wobei (W̄t ) ein Q-Wienerprozess bezeichne. Es gilt A= 1 σ log r − 12 σ 2 K ≤ W̄T + T, s0 σ 1 σ log r − 21 σ 2 B < min [W̄t + t] . s0 σ t∈[0,T ] r− 1 σ 2 Nun ist (Yt ) := (−W̄t − σ2 t) eine Brownsche Bewegung mit Drift ρ := − und s0 s0 A = {YT ≤ σ1 log , NT < σ1 log }. K B Eine Anwendung von Proposition 6.26 liefert Q(A) = Φ =Φ log s0 K log s0 K s0 + (r − 12 σ 2 )T log 2r √ − e(1− σ2 ) log B Φ σ T + (r − √ σ T 1 2 2 σ )T − B σ2r2 −1 log Φ s0 s0 K − 2 log s0 B √ r− 21 σ 2 σ + (r − 21 σ 2 )T σ T B 2 /s0 K + (r − 12 σ 2 )T √ σ T Zur Berechnung von EQ [XT 1lA ] nutzen wir, die Girsanov-Transformation Qσ gegeben durch dQσ XT = = exp{σ W̄T − 21 σ 2 T }. dQ s0 Unter diesem Maß ist (W̄t0 ) = (W̄t − σt) eine Brownsche Bewegung und es gilt EQ [XT 1lA ] = s0 Qσ (A) und A= 1 σ log r + 12 σ 2 K T, ≤ W̄T0 + s0 σ Nun wählt man (Yt0 ) = (−W̄t − dass Qσ (A) = Φ =Φ log s0 K log s0 K r+ 12 σ 2 t) σ 1 σ log r + 21 σ 2 B t] . < min [W̄t0 + s0 σ t∈[0,T ] und nutzt Proposition 6.26 um zu folgern, s0 log + (r + 12 σ 2 )T 2r √ − e−(1+ σ2 ) log B Φ σ T + (r + √ σ T 1 2 2 σ )T 2 − log B σ2r2 −1 B Φ s0 s20 s0 K − 2 log s0 B √ + (r + 12 σ 2 )T σ T B 2 /s0 K + (r + 12 σ 2 )T √ . σ T Somit erhält man π d/o = s0 Qσ (A) − Ke−rT Q(A) = π call (s0 , T, K) − B σ2r2 −1 call B 2 π , T, K . s0 s0 Dabei haben wir die Darstellung von π call aus Satz 6.20 genutzt: π call (s0 , T, K) = s0 Φ log s0 K + (r + 12 σ 2 )T log √ − Ke−rT Φ 2 σ T 80 s0 K + (r − 12 σ 2 )T √ . σ2 T Als nächstes wollen wir eine Integaldarstellung für den Preis eines Derivats der Form C := g( sup St , ST ). t∈[0,T ] mit g messbar bestimmen. Zunächst leiten wir die Dichte für (NT , YT ) her. Satz 6.28. Sei ρ ∈ R und seien (Yt ) und (Nt ) gegeben durch Yt = Wt + ρt und Nt = max Ys . s∈[0,t] Die Zufallsvariable (NT , YT ) hat die Lebesgue-Dichte 4a − 2b ρb− 1 ρ2 T − (2a−b)2 2 2T e f (a, b) := 1lD (a, b) √ e 2πT 3/2 (a, b ∈ R), wobei D := {(a, b) : a > 0, b < a}. Beweis. Wir wissen bereits aus Korollar 6.25, dass die Zufallsvariable (MT , WT ) die Lebesgue-Dichte hat 4a − 2b − (2a−b)2 2T e p(a, b) = 1lD (a, b) √ , 2πT 3/2 wobei D = {(a, b) : a > 0, b < a}. Nun ist nach dem Satz von Girsanov der Prozess (Wt0 ) gegeben durch Wt0 = Wt − ρt unter dem Maß Pρ mit dPρ = exp{ρWT − 21 ρ2 T } dP ein Wienerprozess. D.h. (Wt ) hat unter Pρ die gleiche Verteilung wie (Yt ) unter P und insbesondere gilt LPρ (MT , WT ) = LP (NT , YT ). Es folgt somit für eine Borelmenge A ⊂ R2 : E[1lA (NT , YT )] = Eρ [1lA (MT , WT )] = E[exp{ρWT − 21 ρ2 T } 1lA (MT , WT )] Z = exp{ρb − 21 ρ2 T } p(a, b) d(a, b). A Satz 6.29. Sei g : (0, ∞)2 → [0, ∞) messbar und C := g( sup St , ST ). t∈[0,T ] 81 Das Derivat C hat den fairen Preis Z g −rT π =e f (a, b) g(s0 exp{σa}, s0 exp{σb}) d(a, b) D wobei f (a, b) := √ r− 1 σ 2 (2a−b)2 1 1 2 2 4a − 2b 2 e σ b− 2 (r− 2 σ ) T e− 2σ2 T 2π(σ 2 T )3/2 (a, b ∈ R) und D := {(a, b) : a > 0, b < a}. Beweis. Unter Q ist (W̄t ) ein Wienerprozess und es gilt St = s0 exp{σ W̄t + (r − 12 σ 2 )t}. Wir setzen Yt := W̄t + r− 12 σ 2 σ t und Nt := supt∈[0,T ] [W̄t + r− 21 σ 2 σ t]. Nun gilt C = g(s0 exp{σNT }, s0 exp{σYT }) und aus Satz 6.28 mit ρ = π = e−rT r− 12 σ 2 σ folgt Z EQ [C] = e−rT f (a, b) g(s0 exp{a}, s0 exp{b}) d(a, b). D Bemerkung 6.30. Analog kann man auch ein Derivat berechnen, dass vom Infimum inf s∈[0,T ] Ss und der Endposition ST abhängt. Dazu nutzt man, dass für eine Brownsche Bewegung (Wt )t≥0 und (−Wt )t≥0 die gleiche Verteilung haben und deshalb gilt d ( inf Ws , WT ) = (− sup Ws , −WT ). s∈[0,T ] s∈[0,T ] 6.5. Der amerikanische Put mit unendlichem Zeithorizont Dieses Teilkapitel orientiert sich an der Präsentation in [Shr04, Kapitel 8.3]. Bei der Berechnung des Thetas eines europäischen Call haben wir (zumindest implizit) gesehen, dass es bei dem amerikanischen Call mit Maturität T immer optimal ist erst zum letztmöglichen Zeitpunkt zu stoppen. D.h. solange es keine Dividendenzahlung gibt, ist der Wert eines amerikanischen Call gleich dem europäischen Call, wie wir ihn in Satz 6.20 berechnet haben. Wie auch für die diskreten Modelle in Kapitel 4, ist die Situation beim amerikanischen Put fundamental anders. Um eine Einführung in diese Problemstellung zu geben, behandeln wir in diesem Kapitel die Bewertung eines amerikanischen Puts mit unendlichem Zeithorizont, bei dem wir formal die Maturität T = ∞ wählen. Auch wenn 82 dieses Derivat nicht auf dem Markt gehandelt wird, stellt seine Bewertung dennoch ein Problem mit einer nicht-trivialen (und expliziten) Lösung dar. Für den Fall mit endlicher Maturität verweisen wir auf weiterführende Vorlesungen oder [Shr04]. Als Modell für den Finanzmarkt betrachten wir wieder das Black-Scholes Modell. Eine risikoloser Bond ist gegeben als Bt = ert und der Preisprozess folgt einer geometrischen Brownschen Bewegung. Genauer sei 1 St = s0 exp{σ W̄t + (r − σ 2 )t}, 2 wobei W̄t unter dem äquivalenten Martingalmaß Q eine Brownsche Bewegung ist. Nach Definition kann bei einem amerikanischen Derivat die Option auch vor der Maturität T ausgeübt werden. Die erlaubten Strategien sollten nur die Information über den Prozess bis zur ‘Gegenwart’ enthalten, d.h. sie sollten Stoppzeiten in dem folgenden Sinn sein. Wie auch in Definition 6.9 nehmen, wir an dass (Ft )t≥0 die von (W̄t ) erzeugte Filtration in dem obigen Sinn ist. Definition 6.31. Eine Zufallsvariable τ : Ω → [0, ∞] heißt Stoppzeit, wenn für alle t ≥ 0, {τ ≤ t} ∈ Ft . Nun können wir in Analogie zur diskreten Modellen eine amerikanische Put-Option bewerten. Definition 6.32. Sei T die Menge aller Stoppzeiten. Der Preis einer amerikanischen Put-Option mit unendlichem Zeithorizont zu Strike K > 0 ist definiert als π(s0 ) = sup EQ [e−rτ (K − Sτ )], τ ∈T wobei s0 den Startwert von (St )t≥0 bezeichnet. Hier interpretieren wir e−rτ (K −S(τ ))+ als 0 wenn τ = ∞. Bemerkung 6.33. (i) Bei endlicher Maturität schränken wir die Stoppzeiten darauf ein nur Werte in [0, T ] anzunehmen. Falls TT die Menge aller Stoppzeiten mit Werten in [0, T ] bezeichnet, definiert man den fairen Preis einer amerikanischen Put-Option mit Strike K und Maturität als π(s0 , T ) = sup EQ [e−rτ (K − Sτ )+ ]. t∈TT Man sieht also, dass π(s0 ) formal dem Fall entspricht, dass T = ∞ gewählt wird. (ii) Anders als bei den europäischen Option können wir hier auf (·)+ in (K − Sτ ) verzichten. Denn ist τ so dass Sτ > K mit positiver Wahrscheinlichkeit eintritt, so kann man eine neue Stoppzeit konstruieren, in dem man τ 0 = ∞ auf diesem Ereignis setzt. Die resultierende Auszahlung ist auf jeden Fall größer. 83 Da wir einen unendlichen Zeithorizont betrachten, könnte man vermuten, dass die optimale Stoppzeit nur von der aktuellen Höhe St des Aktienpreises abhängt. Wäre T endlich, dann hängt der optimale Stoppzeitpunkt auch von der Zeit T − t bis zur Maturität ab. Bei uns ist diese für jedes t unendlich. Wir betrachten deshalb Stoppzeiten der Form τLS = inf{t ≥ 0 : St ≤ L}. Man möchte also ein optimales Level L∗ finden, so dass man idealerweise dann stoppt, wenn der Preis (St ) unter dieses Level gefallen ist. Die Frage die wir im Folgenden beantworten werden: Was ist das optimale Level L∗ . Wenn wir zeigen können, dass die optimale Stoppzeit von dieser Form ist: Was ist der Wert π(s0 )? Wir berechnen zunächst den Wert der Option, wenn man annimmt, dass die optimale Stoppzeit τ = τLS ist. D.h. wir wollen den Erwartungswert berechnen S S πL (s0 ) := EQ [(K − SτLS )e−rτL ] = (K − L)EQ [e−rτL ]. Der Erwartungswert entspricht also der Laplace-Transformierten der ersten Zeit, dass der Preisprozess unter das Level L fällt. Ist s0 ≤ L, so ist τLS = 0 und der Erwartungswert ist 1. Ist s0 > L, so ist wegen der Stetigkeit der Brownschen Bewegung, die erste Zeit unter das Level L zu fallen gleich der Zeit das Level L zu treffen. Folglich berechnen wir zunächst die Laplacetransformierte der Treffzeit eines vorgegebenen Levels für eine Brownsche Bewegung mit Drift. Proposition 6.34. Es sei ρ ∈ R, (Wt )t≥0 eine Brownsche Bewegung unter P und Yt = Wt + ρt eine Brownsche Bewegung mit Drift ρ. Für m > 0, sei τm = inf{t ≥ 0 : Yt = m}, (45) die erste Treffzeit des Levels m (wobei inf ∅ = ∞). Dann gilt für alle r > 0, √ 2 E[e−rτm ] = e−m(−ρ+ ρ +2r) , wobei e−rτm := 0 falls τm = ∞. Für den Beweis benutzen wir das stetige Analogon des ‘Optional Sampling’-Satzes. Dazu erinnern wir daran, dass für einen adaptieren Prozess (Xt ) und eine Stoppzeit τ , der gestoppte Prozess X τ definiert wird als Xt t ≤ τ, τ Xt = Xt∧τ = Xτ t > τ. Hier ist a ∧ b = min{a, b}. Der ‘Optional Sampling’-Satz besagt nun, dass ein gestopptes Martingal wieder ein Martingal ist. Weiterhin ist ein gestopptes Supermartingal wieder ein Supermartingal. Beweis. Nach Proposition 6.14 für jedes ν ∈ R, der Prozess 1 2 Mt = eνWt − 2 ν t , 84 ein Martingal ist. Auf dem Ereignis τm < ∞, können wir t = τm einsetzen und erhalten nach Definition 1 2 1 2 Mτm = eνYτm −ρντm − 2 ν τm = eνm−(ρν+ 2 ν )νm = eνm−rνm . p wenn wir ν := −ρ+ ρ2 + 2r > 0 definieren. Wir können nicht direkt den Erwartungswert ausrechnen, aber nach dem ‘Optional Sampling’-Satz ist Mτm ∧t ein Martingal und deshalb gilt: 1 = M0 = E[Mτm ∧t ] = E[eνm−rνm 1l{τm ≤t} ] + E[eνYt −rt 1l{τm ≤t} ] (46) Wir möchten nun den Grenzwert t → ∞ durchführen und bemerken dazu, dass 1l{τm ≤t} ↑ 1l{τm <∞} . Außerdem gilt, da Y0 = 0, dass Yt ≤ m falls t ≤ τm und damit folgt eνYt −rt ≤ eνm−rt → 0 mit t → ∞. D.h. aus (46) folgt mit monotoner, bzw. dominierter Konvergenz, dass 1 = E[eνm−rτm 1l{τm <∞.} ]. Mit der Interpretation e−rτm = 0 für τm = ∞ ergibt sich durch Umstellen die gewünschte Formel für die Laplace-Transformierte. Bemerkung 6.35. In dem man den Grenzwert der Laplacetransformierten für r ↓ 0 berechnet, erhält man (wegen monotoner Konvergenz) P{τm < ∞} = lim E[e−rτm 1l{τm <∞} ] = e−m(|ρ|−ρ) . r↓0 Insbesondere, wird falls der Drift ρ > 0 das Level fast sicher erreicht. Andernfalls gibt es eine positive Wahrscheinlichkeit, dass das Level m nie erreicht wird. Lemma 6.36. Die Wertefunktion bei Stoppzeiten der Form τLS ist gegeben als ( K − s0 , für 0 ≤ s0 ≤ L, 2r πL (s0 ) = s0 − σ 2 , für s0 ≥ L. (K − L) L Beweis. Falls s0 ≤ L, dann ist τLS = 0 und damit folgt sofort die Aussage. Wir können also den Fall betrachten, dass s0 > L. Zur Erinnerung, 1 St = s0 exp{σ W̄t + (r − σ 2 )t}. 2 Insbesondere, ist St = L, genau dann wenn W̄t + (r − 21 σ 2 ) 1 L t = log =: −m. σ σ s0 85 Da s0 > L ist m > 0. Mit dieser Definition ist, da der Startpunkt s0 > L, auch (r− 1 σ 2 ) τLS = τm für τm wie in (45) (mit W̄t = −Wt und ρ = − σ2 ). Aus Proposition 6.34 folgt also √ 2 S πL (s0 ) = (K − L)EQ [e−rτL ] = (K − L)e−m(−ρ+ ρ +2r) Einsetzen der Werte ergibt ρ2 + 2r = (r + 21 σ 2 )2 1 2 1 2 2 2 (r − rσ + , σ + 2rσ ) = σ2 4 σ2 also gilt √ 2 1 (K − L)e−m(−ρ+ ρ +2r) = (K − L)e− σ2 log( s0 L )((r− 12 σ 2 )+(r+ 21 σ 2 )) = (K − L) s0 − 2r2 ) σ . L Lemma 6.37. Für s0 > 0, gilt πL∗ (s0 ) = max πL (s0 ). L≥0 für L∗ := 2r K. 2r + σ 2 (47) Beweis. Wir bemerken, dass für s0 ≥ L, 2r − σ2r2 πL (s0 ) = (K − L)L σ2 s0 − σ2r2 =: g(L)s0 , 2r mit g(L) := (K −L)L σ2 . Wir berechnen zunächst das Maximum von g. Es gilt g(0) = 0 und limL→∞ g(L) = −∞. Wir betrachten also L∗ so dass g 0 (L∗ ) = 0, also 0 = g 0 (L) = ((K − L) d.h. also L∗ := 2r 2r − L)L σ2 −1 . 2 σ 2r K 2r + σ 2 is die einzige Stelle für die g 0 = 0 und damit folgt aus g(L∗ ) = K( σ2 2r σ2r2 2r2 ) K σ > 0, 2 2r + σ 2r + σ 2 dass g bei L∗ maximal wird. Für später bemerken wir, dass g strikt monton wächst auf [0, L∗ ] und dann strikt monton fällt auf [L∗ , ∞). Nun zeigen wir, dass daraus folgt, dass πL∗ wirklich maximal ist. Zunächst betrachten wir Fall 1 : s0 ≤ L∗ . Hier gilt πL∗ (s0 ) = (K − s0 ). Für L ≥ s0 gilt πL (s0 ) = (K − 86 s0 ) = πL∗ (s0 ). Für L < s0 , folgt hingegen, da g auf [0, L∗ ] monoton wächst, dass mit γ = σ2r2 > 0, −γ πL (s0 ) = g(L)s−γ 0 < g(s0 )s0 = πs0 (s0 ) = (K − s0 ) = πL∗ (s0 ). −γ Fall 2 : s0 > L∗ , so dass πL∗ (s0 ) = g(L∗ )s−γ 0 . Ist L ≥ s0 , dann ist πL (s0 ) = g(L)s0 ≤ ∗ −γ g(L )s0 = πL∗ (s0 ). Andererseits gilt für L < s0 , dass πL (s0 ) = (K − s0 ) und damit −γ πL∗ (s0 ) = g(L∗ )s−γ 0 ≥ g(s0 )s0 = πs0 (s0 ) = (K − s0 ) = πL (s0 ). Insbesondere haben wir gezeigt, dass πL∗ (s0 ) ≥ (K − s0 )+ für alle s0 ≥ 0. Im verbleibenden Teil des Kapitels wollen wir zeigen, dass die Strategie zur Zeit τLS∗ zu stoppen im Vergleich zu allen Stoppzeiten optimal ist. Lemma 6.38. Der Preis π(x) = πL∗ (x) bei Stoppen zur Zeit τL∗ erfüllt die folgenden Bedingungen ( linear complementarity conditions): π(x) ≥ (K − x)+ 1 rπ(x) − rxπ 0 (x) − σ 2 x2 π 00 (x) ≥ 0 2 für alle x ≥ 0 (48) für alle x ≥ 0 (49) Ausserdem gilt für jedes x ≥ 0 in genau einer der beiden Ungleichungen (48) und (49) Gleichheit. Dabei wird π 00 (x) für x = L∗ entweder als π 00 (L∗ −) oder π 00 (L∗ +) interpretiert. Beweis. Die erste Aussage (48) haben wir bereits im Beweis von Lemma 6.37 gezeigt. Der zweite Teil folgt durch explizites Ausrechnen. Lemma 6.39. Sei τLS∗ wie in (42) mit L∗ wie in (47). Dann ist Mt = e−rt πL∗ (St ), ein Q-Supermartingal. Wir stellen den Beweis des Lemmas zurück und zeigen erst, wie sich daraus schließen lässt, dass die Strategie zur Zeit τLS∗ zu stoppen optimal ist. Satz 6.40. Für den amerikansichen Put mit unendlichem Zeithorizont ist die optimale Stoppzeit τLS∗ . D.h. es gilt πL∗ (s0 ) = max EQ [e−rt (K − St )]. τ ∈T Beweis. Sei τ ∈ T eine beliebige Stoppzeit. Da Mt = e−rt πL∗ (St ) nach Lemma 6.39 ein Supermartingal ist, gilt nach dem ‘Optional Sampling’-Satz, dass Mt∧τ auch ein Supermartingal ist. Insbesondere erhalten wir πL∗ (s0 ) = πL∗ (S0 ) ≥ EQ [e−r(t∧τ ) πL∗ (St∧τ )] 87 Da πL∗ beschränkt ist, können wir den Grenzwert t → ∞ durchführen und erhalten so mit dominierter Konvergenz πL∗ (s0 ) = πL∗ (S0 ) ≥ EQ [e−rτ πL∗ (Sτ )] ≥ EQ [e−rτ (K − Sτ )] wobei wir (48) für die zweite Abschätzung benutzt haben. Nun können wir das Supremum über alle Stoppzeiten τ ∈ T bilden und erhalten dann πL∗ (s0 ) ≥ sup EQ [e−rτ (K − Sτ )]. τ ∈T Die umgekehrte Ungleichung folgt aus der Definition von πL∗ (s0 ). Wir liefern nun den Beweis von Lemma 6.39 nach. Wenn man Techniken aus der stochastischen Analysis zur Hand hat, kann man Lemma 6.39 aus der sogenannten Itô-Formel kombiniert mit Lemma 6.38 herleiten. Wir zeigen einen Beweis, der die gleiche Idee benutzt, sich aber im Prinzip mit elementaren Mittel nachrechnen lässt. Beweis von Lemma 6.39. Nach der Markov Eigenschaft gilt für π(x) = πL∗ (x), 1 EQ [e−rt π(St )|Fs ] = EQ [e−rt π(s0 eσW̄t +(r− 2 σ = E[e−rt π(s0 e = Ex [e −rt 2 σWt +(r− 21 σ 2 )t π(s0 e )t ) | Fs ] ) | Fs ] σ(Wt−s +x)+(r− 12 σ 2 )t )] x=Ws = Ex [f (t − s, Wt−s )]|x=Ws , wobei unter Ex die Brownsche Bewegung (Wt ) in x startet und f definiert ist als 1 f (u, y) = e−r(u+s) π(s0 eσy+(r− 2 σ 1 mit Eu,y := s0 eσy+(r− 2 σ 2 )(u+s) 2 )(u+s) ) := e−r(u+s) π(Eu,y ), (50) . Dann gilt E[e−rt π(St )|Fs ] = Ex [f (0, W0 )]|x=Ws + 1 = e−rs π(s0 eσWs − 2 σ 2 Ws Z t−s ∂u Ex [f (u, Wu )]|x=Ws 0 Z )+ 0 (51) t−s ∂u Ex [f (u, Wu )]|x=Ws D.h. um zeigen, dass Mt ein Supermartingal ist reicht es zu beweisen, dass die partielle Ableitung des Erwartungswerts im Integral nicht-positiv ist. Dazu nutzen wir eine Technik aus der stochastischen Analysis. Zunächst berechnen wir 1 ∂u f (u, y) = −re−r(u+s) π(Eu,y ) + e−r(u+s) π 0 (Eu,y )(r − σ 2 )Eu,y . 2 und ∂y f (u, y) = e−r(u+s) π 0 (Eu,y )σEu,y , 2 ∂yy f (u, y) = e−r(u+s) π 00 (Eu,y )σ 2 Eu,y + e−r(u+s) π 0 (Eu,y )σ 2 Eu,y . 88 Daher gilt 1 ∂u f (u, y)+ ∂yy f (u, y) 2 1 2 = e−r(u+s) − rπ(Eu,y ) + rEu,y π 0 (Eu,y ) + σ 2 Eu,y π 00 (Eu,y ) ≤ 0. 2 (52) Dabei nutzen wir Lemma 6.38, dass also für alle x ≥ 0 1 rπ(x) − rxπ 0 (x) − σ 2 x2 π 00 (x) ≥ 0 2 Schließlich können wir entweder mit der Itô-Formel (siehe Vorlesung: Stochastische Analysis) oder durch direktes Ausrechnen (erst den Erwartungswert mit Hilfe der Dichte der Normalverteilung schreiben und dann ableiten) zeigen, dass für beliebige (häufig genug differenzierbare) f 1 ∂u Ex [f (u, Wu )] = Ex [∂u f (u, Wu ) + ∂yy f (u, Wu )]. 2 Angewand auf f wie in (50) erhalten wir aus (52) ∂u Ex [f (u, Wu ] ≤ 0, so dass wir aus (51) die Supermartingaleigenschaft schließen können. 89 A. Anhang A.1. Absolutstetige Wahrscheinlichkeitsmaße Im Folgenden bezeiche (Ω, F, P) einen Wahrscheinlichkeitsraum und Q ein endliches Maß auf (Ω, F) Definition A.1. 1. Q heißt absolutstetig bezüglich P, wenn für alle A ∈ F P(A) = 0 ⇒ Q(A) = 0. Kurz: Q P. 2. Die Maße P und Q heißen äquivalent, wenn P(A) = 0 ⇔ Q(A) = 0. Kurz: Q ∼ P. Satz A.2. Jede Zufallsvariable Z ∈ L1+ (Ω, F, P) definiert ein endliches Maß Q P auf (Ω, F) mittels Z Q(A) = Z dP A und es gilt für jede messbare Funktion f : Ω → [0, ∞] Z Z f dQ = f Z dP. Z heißt Dichte von Q bezüglich P. Satz A.3 (Satz von Radon-Nikodým). Jedes endliche Maß Q auf (Ω, F) mit Q P besitzt eine Dichte Z ∈ L1+ (Ω, F, P), d.h. es gilt Z Q(A) = Z dP (A ∈ F). A Notation: dQ dP := Z. Die beiden Sätze besagen, dass die Abbildung Φ die jeder Zufallsvariable Z ∈ L1+ (Ω, F, P) das absolutstetige Maß Z Φ(A) = Z dP A zuordnet eine Bijektion zwischen L1+ (Ω, F, P) und {Q : Q endl. Maß auf (Ω, F) mit Q P} definiert. Satz A.4. Es bezeichne Z die Dichte eines absolutstetigen Maßes Q. Es gilt 90 (i) Q ist Wahrscheinlichkeitsmaß ⇔ E[Z] = 1 (ii) Z > 0, Q-fast sicher (iii) Q ∼ P ⇔ Z > 0, P-fast sicher (iv) Q ∼ P ⇒ dP dQ = 1 Z, fast sicher Satz A.5. Sei Z die Dichte eines absolutstetigen W’Maßes Q und sei G eine Teil-σAlgebra von F. (i) Das auf G eingeschränkte Wahrscheinlichkeitsmaß Q|G besitzt die Dichte E[Z|Gt ] bezüglich P|G . (ii) Für eine Q-integrierbare oder nichtnegative Zufallsvariable Y gilt EQ [Y |G] = 1 E[ZY |G], Q-fast sicher. E[Z|G] Im Folgenden bezeichne (Ft )t=0,...,T eine Filtration auf (Ω, F). Definition A.6. Q besitze die Dichte Z. Der Prozess Z = (Zt )t=0,...,T gegeben durch dQ Zt = = E[Z|Ft ] dP Ft heißt Dichteprozess von Q bezüglich P. Bemerkung A.7. Der Dichteprozess ist ein (Ft )-Martingal (bezüglich P). Satz A.8. Q besitze die Dichte Z. Für einen adaptierten Prozess (Xt ) gilt (Xt ) ist Q-Martingal ⇔ (Zt Xt ) ist P-Martingal. A.2. Das essentielle Supremum Wir befassen uns in diesem Abschnitt mit einem Supremumsbegriff für Familien Φ von Zufallsvariablen aus L∗ = L∗ (Ω, F, P). Ist Φ abzählbar, so definiert ω 7→ sup Z(ω) Z∈Φ eine R̄ = R∪{±∞}-wertige Zufallsvariable, die bis auf fast sichere Gleichheit eindeutig definiert ist (hierzu wählt man jeweils eine beliebige Version aus der Ãquivalenzklasse). Ist jedoch Φ nicht abzählbar, so ist dieser Zugang zur Definition des Supremums problematisch. Beispiel A.9. Sei (Ω, F, P) gegeben durch Ω = [0, 1], F die Borel σ-Alebra und P die Uniformverteilung. Wenn wir nun die überabzählbare Familie Φ = {1l{x} , x ∈ R} von Zufallsvariablen betrachten, dann gilt für jedes X ∈ Φ, X = 0 P-fast sicher. Damit würde man von einem vernünftigen Supremumsbegriff erwarten, dass auch dieser gleich 0 ist. Allerdings gilt für das “ω-weise”-definierte Supremum sup X(ω) = sup 1l{x} (ω) = 1, X∈Φ x∈R 91 für alle ω ∈ Ω. Diese Größe ist zwar messbar, also eine Zufallsvariable, hat aber nicht die gewünschte Eigenschaft. Wie dieses Beispiel zeigt, brauchen wir also einen neuen Supremumsbegriff, der fast sichere Eigenschaften besser erfasst. Definition A.10. Seien Φ ⊂ L∗ und Z ∗ ∈ L∗ . 1. Z ∗ heiÃt Majorante von Φ, wenn Z ≤ Z ∗ , P-fast sicher, ∀Z ∈ Φ. 2. Eine Majorante Z ∗ heißt essentielles Supremum oder kleinste Majorante von Φ, wenn für jede Majorante Z ∗∗ von Φ gilt Z ∗ ≤ Z ∗∗ , P-fast sicher. Wir schreiben kurz: ess sup Φ = Z ∗ . Satz A.11. (i) Jede Familie von Zufallsvariablen Φ ⊂ L∗ besitzt ein eindeutiges (bis auf fast sichere Ãquivalenz) essentielles Supremum. (ii) Gilt für eine Familie Φ ⊂ L∗ folgende Eigenschaft Z 0 , Z 00 ∈ Φ ⇒ Z 0 ∨ Z 00 ∈ Φ, so existiert eine monoton wachsende Folge (Zn ) in Φ mit ess sup Φ = lim Zn . n→∞ 92 Literatur [FS04] H. Föllmer and A. Schied. Stochastic finance. An introduction in discrete time, volume 27 of de Gruyter Studies in Mathematics. Walter de Gruyter & Co., Berlin, extended edition, 2004. [FS11] H. Föllmer and A. Schied. Stochastic finance. An introduction in discrete time. Walter de Gruyter & Co., Berlin, extended edition, 2011. [Kle08] A. Klenke. Wahrscheinlichkeitstheorie. Berlin: Springer, 2nd revised ed. edition, 2008. [Shr04] S. E. Shreve. Stochastic calculus for finance. II. Springer Finance. SpringerVerlag, New York, 2004. Continuous-time models. [Wer00] D. Werner. Funktionalanalysis. Springer-Verlag, Berlin, extended edition, 2000. 93