1 Sprachbeschreibung 5 Verb und Verbgruppe Uwe Helm Petersen 5 VERB UND VERBGRUPPE 1 1.1 1.2 Das Verb Finite Verben Infinite Verben 2 2.1 2.2 2.2.1 2.2.1.1 2.2.1.2 2.2.2 2.2.2.1 2.2.2.2 2.2.2.3 Die Verbgruppe Finite Verbgruppen Infinite Verbgruppen Infinitivformen Null-Infinitiv des Präsens und Perfekts Zu-Infinitiv des Präsens und Perfekts Partizipialformen Partizip I Präsens Gerundiv Partizip II Perfekt 3 Hilfs- und Vollverbal 4 Modalverben in der Verbgruppe 5 Funktionsverbgefüge 1 DAS VERB [V] Das Verb bezeichnet inhaltlich Handlungen, Vorgänge und Zustände. Es spiegelt diese Prozesse in ihrer zeitlichen Einbettung wieder. Damit unterscheidet sich das Verb deutlich vom Substantiv, das im weitesten Sinne Dinge bezeichnet. Das Verb verfügt über einen sehr großen Formenreichtum; darin kommt - wie weiter unten dargestellt werden soll - seine vielfältige funktionale Leistung zum Ausdruck. Im Satz tritt das Verb auf entweder allein als sogenanntes Simplexverb auf der Wortebene: Ich komme nächste Woche ganz bestimmt zum Unterricht. oder als Gruppenglied der Verbgruppe, also auf der Gruppenebene: Du hättest lieber schon in dieser Woche kommen sollen. Die deutschen Verben verteilen sich ihrer Flexion nach auf drei Konjugationsgruppen: Die schwache Konjugation der regelmässigen Verben wie holen - holt - holte - geholt Uwe Helm Petersen FS 2006 Center for Tyske Studier, SDU 5 Verb und Verbgruppe 2 Sprachbeschreibung Die starke Konjugation der unregelmässigen Verben wie geben - gibt - gab - gegeben Die stark-schwache oder gemischte Konjugation wie dürfen - darf - durfte - gedurft Bei der Verbkonjugation dieser drei Gruppen wird bei jeder zwischen finiten und infiniten Formen unterscheiden. 1.1 Finite Verben flektieren (oder konjugieren) in der Person, im Numerus, im Tempus und im Modus: FlexionsKategorie PERSON NUMERUS TEMPUS MODUS Subkategorien 1.Person 2. 3. Singular Plural Präsens Präteritum Indikativ Konjunktiv Imperativ Kürzung 1 2 3 sg pl präs prät indik konj imper Beispiele ich hole/ gebe/ darf du holst/ gibst/ darfst er holt/ gibt/ darf sie holt/ gibt/ darf sie holen/ geben/ dürfen er holt/ gibt/ darf er holte/ gab/ durfte er holt/gibt/ darf er hole/ gebe/ dürfe hole/ gib/ Die sogenannten umschriebenen Tempusformen wie z.B. das Perfekt (hat...geholt) und das Futur (wird...holen) sowie das Passiv der Diathese (wird...geholt) bilden keine synthetischen Formen am Simplexverb, sondern kommen nur als umschriebene (analytische oder periphrastische) Formen in der Verbgruppe vor. In Kap. 6 werden sie im Zusammenhang mit dem deutschen Tempussystem auch eingehender behandelt. Hier sollen zunächst die drei Konjugationsformen in den beiden Basistempora Präsens und Präteritum (beide nur im Aktiv) mit den einschlägigen Notationen dargestellt werden. Dabei wird jede Form mit den fünf Flexionskategorien Person, Numerus, Tempus, Modus und Diathese in der angegebenen Abfolge so notiert, wie es aus den nun folgenden Konjugationsparadigmen hervorgeht: Präsens, Indikativ, Aktiv: ich du er, sie, es wir ihr sie Uwe Helm Petersen schwach stark gemischt Notation hol-e - -st - -t - -en - -t - -en geb-e gib-st gib-t geb-en - -t - -en darfdarf-st darfdürf-en - -t - -en 1sg, präs, indik, aktiv 2sg, präs, indik, aktiv 3sg, präs, indik, aktiv 1pl, präs, indik, aktiv 2pl, präs, indik, aktiv 3pl, präs, indik, aktiv FS 2006 Center for Tyske Studier, SDU 5 Verb und Verbgruppe 3 Sprachbeschreibung Präsens, Konjunktiv I, Aktiv: ich du er, sie, es wir ihr sie schwach stark gemischt Notation hol-e - -est - -e - -en - -et - -en geb-e - -est - -e - -en - -t - -en dürf-e - -est - -e - -en - -et - -en 1sg, präs, konj I, aktiv 2sg, präs, konj I, aktiv 3sg, präs, konj I, aktiv 1pl, präs, konj I, aktiv 2pl, präs, konj I, aktiv 3pl, präs, konj I, aktiv schwach stark gemischt Notation hol-te - -test - -te - -ten - -tet - -ten gab- -st - - -en - -t - -en durf-te - -test - -te - -ten - -tet - -ten 1sg, prät, indik, aktiv 2sg, prät, indik, aktiv 3sg, prät, indik, aktiv 1pl, prät, indik, aktiv 2pl, prät, indik, aktiv 3pl, prät, indik, aktiv schwach stark gemischt Notation hol-te - -test - -te - -ten - -tet - -ten gäb-e - -est - -e - -en - -t - -en dürf-te - -test - -te - -ten - -tet - -ten 1sg, prät, konj II, aktiv 2sg, prät, konj II, aktiv 3sg, prät, konj II, aktiv 1pl, prät, konj II, aktiv 2pl, prät, konj II, aktiv 3pl, prät, konj II, aktiv schwach stark gemischt Notation hol-(e) hol-t gibgeb-t Präteritum, Indikativ, Aktiv: ich du er, sie, es wir ihr sie Präteritum, Konjunktiv II, Aktiv: ich du er, sie, es wir ihr sie Imperativ: 2sg, imper 2pl, imper Die nun folgende Konjugationsübersicht ist so geordnet, dass hervorgeht, wie die vier Flexionskategorien in der schwachen, der starken und der gemischten Konjugation flexivisch zum Ausdruck kommen und wie sie präziser zu charakterisieren sind. Dabei geben die von 1 bis 4 gekennzeichneten senkrechten Kolonnen folgendes an: Kolonne 1: Verbstamm Kolonne 2: die Tempusflexive Uwe Helm Petersen FS 2006 Center for Tyske Studier, SDU 5 Verb und Verbgruppe 4 Sprachbeschreibung Kolonne 3: die Modusflexive Kolonne 4: die Person-Numerusflexive Ferner bedeuten Ø = Nullendung (Nullallmorf) ÷ = nicht markierte Flexionskategorie A = Ablaut bzw. Vokalwechsel 1 I schwach 2 3 4 II stark 2 3 4 1 1 III gemischt 2 3 4 präs, indik 1 sg 2 sg 3 sg 1 pl 2 pl 3 pl hol - ÷ ÷ ÷ ÷ ÷ ÷ ÷ ÷ ÷ ÷ ÷ ÷ e st t en t en geb i i geb - ÷ ÷ ÷ ÷ ÷ ÷ ÷ ÷ ÷ ÷ ÷ ÷ e st t en t en darf dürf - ÷ ÷ ÷ ÷ ÷ ÷ ÷ ÷ ÷ ÷ ÷ ÷ Ø st Ø en t en präs, konj I 1 sg 2 sg 3 sg 1 pl 2 pl 3 pl hol - ÷ ÷ ÷ ÷ ÷ ÷ e e e e e e Ø st Ø n t n geb ÷ ÷ ÷ ÷ ÷ ÷ e e e e e e Ø st Ø n t n dürf ÷ ÷ ÷ ÷ ÷ ÷ e e e e e e Ø st Ø n t n prät, indik 1 sg 2 sg 3 sg 1 pl 2 pl 3 pl hol - te te te te te te ÷ ÷ ÷ ÷ ÷ ÷ Ø st Ø n t n gab - A A A A A A ÷ ÷ ÷ ÷ ÷ ÷ Ø st Ø en t en durf - te te te te te te ÷ ÷ ÷ ÷ ÷ ÷ Ø st Ø n t n prät, konj II 1 sg 2 sg 3 sg 1 pl 2 pl 3 pl hol - te te te te te te ÷ ÷ ÷ ÷ ÷ ÷ Ø st Ø n t n gäb - A A A A A A e e e e e e Ø st Ø n t n dürf - te te te te te te ÷ ÷ ÷ ÷ ÷ ÷ Ø st Ø n t n Wenn man diese morphologische Segmentierung akzeptieren kann, ist folgendes festzustellen: Zur Tempusflexion (Kolonne 2): Das Präsens ist im Deutschen flexivisch nicht markiert, während das Präteritum in den drei Konjugationsformen folgendermaßen markiert wird: (I) In der schwachen Konjugation durch ein segmentierbares Flexiv -ete- oder -te- Uwe Helm Petersen FS 2006 Center for Tyske Studier, SDU Sprachbeschreibung (II) (III) 5 5 Verb und Verbgruppe Er redete wie gewöhnlich zu viel Sie liebte ihn nicht mehr. In der starken Konjugation durch Vokalwechsel im Stamm, den sogenannten Ablaut, und ØFlexiv Warum kam er gestern nicht? In der gemischten Konjugation durch sowohl Vokalwechsel im Stamm wie segmentierbares Flexiv -te- bei dürfen/ durfte, können/ konnte, müssen/ mußte, wissen/ wußte ferner auch bei brennen/ brannte, kennen, nennen, rennen, senden, wenden und mit Vokal- und Konsonantenwechsel bei bringen/ brachte, denken/ dachte, mögen/ mochte Zur Modusflexion (Kolonne 3): Die Flexionskategorie des Modus ist im Deutschen dreigliedrig mit dem Indikativ, dem Konjunktiv und dem Imperativ. Der Indikativ ist - wie aus der Übersicht hervorgeht - im Deutschen flexivisch nicht markiert, während der Konjunktiv zweierlei zum Ausdruck kommt, zum einen durch das Flexiv -e- im Präsens. Diesen Konjunktiv im Präsens nennen wir Konjunktiv I. Zum anderen durch den Konjunktiv II, dem Konjunktiv im Präteritum, der bei den starken Verben durch -e- (ging/ ginge) mit zusätzlichem Umlaut des abgelauteten Stammvokals bei starken Verben mit a, o oder u als Stammvokal (war/ wäre, zog/ zöge, schlug/ schlüge).In der gemischten Konjugation nur durch Umlaut des abgelauteten Stammvokals a, o oder u (dachte/ dächte, mochte/ möchte, musste/ müsste) Bei den schwachen Verben im Präteritum wird der Konjunktiv II überhaupt nicht markiert. Hier vertreten stattdessen die Formen des Präteritum Indikativs den Konjunktiv II, was ganz unproblematisch ist, da der Konjunktiv II im Präteritum keine Vergangenheitsbedeutung hat, vgl. folgende Beispiele: Der Chef hat im Moment keine Zeit für Sie. hat = Gegenwart = Präsens Indikativ Gestern hatte er auch keine Zeit. hatte = Vergangenheit = Präteritum, Indikativ Sollte er aber morgen Zeit für mich haben, wäre es schön. sollte und wäre = Möglichkeit in der Zukunft = Präteritum, Konjunktiv II Oft benutzt man in diesen Fällen die würde-Umschreibung, um den Konjunktiv II deutlich zu markieren. Der Imperativ ist ein Modus, der an das Hier und Jetzt der Sprechsituation gebunden ist. Zeitlich sind Imperativformen nur gegenwartsbezogen, weshalb sie keine Tempusmarkierung haben. Der Imperativ ist praktisch atemporal und kommt nur in der 2. Person im Singular und Plural vor: Der 2. Singular des Imperativs wird mit den Flexiven -Ø oder -e markiert. Bei starken Verben mit Vokalwechsel e > i allerdings nur mit -Ø, vgl. fahr(e), komm(e), hol(e), sag(e) aber nur gib, sieh. Der 2. Plural des Imperativs wird flexivisch mit -(e)t ausgedrückt: fahrt, kommt, gebt, seht, schneidet, arbeitet. Uwe Helm Petersen FS 2006 Center for Tyske Studier, SDU Sprachbeschreibung 6 5 Verb und Verbgruppe Die Person-Numerusflexion (Kolonne 4) kommt durch folgende 6 verschiedene Kombinationen der beiden Subkategorien flexivisch so zum Ausdruck: Subkategorien 1 sg 2 sg 3 sg 1 pl 2 pl 3 pl Flexivvarianten -e, -Ø -st, -est, beide mit evt. Umlaut oder Vokalwechsel -t, -et, -Ø mit evt Umlaut oder Vokalwechsel -n, -en -t, -et -n, -en Zur finiten Verbkonjugation lässt sich zusammenfassend feststellen, dass das Präsens und der Indikativ flexivisch nicht markiert werden. Zur Funktion des finiten Verbs: Das finite Verb bzw. die finite Verbgruppe fungieren syntaktisch im Satz als Prädikat und nehmen dort mit dieser Funktion eine Schlüsselstellung ein. Diese beruht auf folgende Leistungen: 1. Auf Grund seiner lexikalischen Semantik legt das Verb als (Vollverbal des) Prädikat(s) das syntaktische Minimum an Satzgliedern fest (Valenz). 2. Mit Hilfe des Tempus wird der dargestellte Sachverhalt relativ zur Sprechzeit eingeordnet, u.z. als gegenwärtig, vergangen oder zukünftig. 3. Im Modus des Verbs drückt sich die Stellungnahme des Sprechers/Schreibers zum Geltungsgrad der Aussage aus. 4. Durch die Diathese wird eine bestimmte Blickrichtung in Bezug auf das Geseschen akzentuiert (Aktiv = täterzugewandt; Passiv = täterabgewandt). 5. Durch die feste Wortstellung des Verbs und der Verbgruppe am Klammeranfang und Klammerschluss wird der Satz strukturiert (Vorfeld, Hauptfeld, Nachfeld). 6. Grammatisch konstituiert das finite Verb in seiner interpersonellen Funktion als Finitum gemeinsam mit dem Subjekt den finiten Satz. Das findet seinen Ausdruck in der grammatischen Person-Numerus-Kongruenz zwischen dem Subjekt und dem Finitum des Prädikats. Uwe Helm Petersen FS 2006 Center for Tyske Studier, SDU Sprachbeschreibung 1.2 5 Verb und Verbgruppe 7 Infinite Verben [vi] Die infiniten Verbformen erscheinen im Deutschen als infinite Verben auf der Wortebene [vi] (Der Fuchs hat die Gans gestohlen.) und als infinite Verbgruppen auf der Gruppenebene [vgi] (Der Fuchs soll die Gans gestohlen haben). Infinite Verbformen fungieren in Sätzen interpersonell als Prädikator. Da die verschiedenen infiniten Verbformen sich erst auf Gruppenebene sinnvoll beschreiben lassen, sollen die infiniten Verben und deren Formen hier nur kurz dargestellt werden. Auf der Wortebene unterscheiden wir fünf verschiedene infinite Verbformen: Null-Infinitiv [Ø-inf] Stamm + -en: hol-en, geb-en, dürf-en... Der Student möchte das Problem lösen. [Ø-inf] Zu-Infinitiv [zu-inf] zu + Stamm + -en: zu hol-en, zu geb-en, zu kauf-en... Der Student versucht, das Problem zu lösen. [zu-inf] Partizip I (Partizip Präsens) [ptz I] Stamm + -end: hol-end, geb-end, arbeit-end... der das Problem lösende Student [ptz I] Partizip II (Partizip Perfekt) [ptz II] Schwache Konjugation: ge- + Stamm + -(e)t: ge-hol-t, ge-arbeit-et, ge-mach-t... Stamm + -et: bestell-t, erzähl-t, versammel-t... Der Student hat das Problem gelöst. [ptz II] bestellte Bücher Starke Konjugation: ge- + Stamm + -en: ge-geb-en, ge-komm-en, ge-stoch-en Stamm + en: begonn-en, umgang-en, zerbroch-en... Wann ist er eigentlich gekommen? Der zerbrochene Krug. Gerundiv [ger] zu + Stamm +-end-: zu hol-end-, zu lös-end-... das vom Studenten zu lösende Problem [ger] Weiterführend zu den infiniten Verbformen, vgl Kap. 2.2 Infinite Verbgruppen. Uwe Helm Petersen FS 2006 Center for Tyske Studier, SDU 2 5 Verb und Verbgruppe 8 Sprachbeschreibung DIE VERBGRUPPE [vg] Wie bei den finiten und infiniten Verben der Wortebene unterscheiden wir auch auf der Gruppenebene zwischen finiten Verbgruppen [vgf] und infiniten Verbgruppen [vgi]. Im folgenden Satz sind alle vier Formkategorien vertreten: Wieso hat er eigentlich behauptet, die Aufgabe lösen zu können? Das diskontinuierliche Prädikat des Hauptsatzes hat...behauptet ist eine finite Verbgruppe [vgf], weil sein Hilfsverbal [HV] hat ein finites Verb ist: hat…behauptet P:vgf hat HV: vf behauptet VV: ptz II Das Prädikat des als Objekt fungierenden Infinitivsatzes lösen zu können hingegen ist wegen des als Hilfsverbal fungierenden infiniten Verbs zu können als eine infinite Verbgruppe [vgi] einzuordnen: lösen zu können P: vgi lösen VV: Ø-inf zu können HV: zu-inf Eine Verbgruppe, die ein finites Verb [vf] enthält, ist also eine finite Verbgruppe [vgf]. Infinite Verbgruppen [vgi] dagegen bestehen ausschließlich aus infiniten Verben [vi]. Verbgruppen, finite wie infinite, sind jeweils zweigliedrig aufgebaut. Das eine Gruppenglied, das Oberglied, fungiert als Vollverbal und ist immer infinit (hier behauptet [VV: ptz II] und lösen [VV: Ø-inf]), während das andere als Hilfsverbal fungierende Gruppenglied finiter oder infiniter Form ist (jeweils hat [HV: vf] und zu können [HV: zu-inf]). Hat das Hilfsverbal finite Form, ist die ganze Verbgruppe finit (hier hat...behauptet [P: vgf]), und umgekehrt, wenn das Hilfsverbal infinit ist, dann ist auch die ganze Verbgruppe infinit (hier lösen zu können [P: vgi]). Wir werden unten in 2.3 bei der Besprechung komplexer Verbgruppen ferner feststellen, dass sowohl Vollverbal wie Hilfsverbal auch Gruppenform haben können. Uwe Helm Petersen FS 2006 Center for Tyske Studier, SDU 2.1 5 Verb und Verbgruppe 9 Sprachbeschreibung Finite Verbgruppen [vgf] werden wie die finiten Verben morphologisch klassifiziert nach der Person, dem Numerus, dem Tempus, dem Modus und zusätzlich auch nach der Diathese (Genus verbi), und zwar in der angegebenen Reihenfolge. Die erweiterten (analytischen oder periphrastischen) Indikativ- und Konjunktivformen der Verbgruppen verteilen sich auf jeweils ein Präsens- und ein Präteritumsystem wie folgt: Die Tempora des Präsenssystems im Indikativ haben das Präsens als Basistempus FUTUR II, INDIKATIV [fut II, indik] FUTUR I, INDIKATIV [fut I, indik] er wird es getan haben er wird dorthin gegangen sein er wird es tun er wird dorthin gehen PERFEKT, INDIKATIV [perf, indik] PRÄSENS, INDIKATIV [präs, indik] er hat es getan er ist dorthin gegangen er tut es er geht dorthin Basis Durch diese Anordnung wird deutlich, dass die beiden Tempora Perfekt und Futur II in den zwei linken Kästchen zeitlich vor den beiden rechten, jeweils dem Präsens und dem Futur I, liegen, während die Tempora in den beiden oberen Kästchen, die Futurformen I und II, zeitlich nach den beiden unteren, dem Präsens und Perfekt, liegen. Die erweiterten Tempora im Präsenssystem werden folgendermaßen gebildet: Das Perfekt im Indikativ besteht aus einem Vollverbal im Partizip II und aus einer Präsensform von haben oder sein als Hilfsverbal: hat … getan P: vgf (3sg, perf, indik) hat HV: vf (3sg, präs, indik) Uwe Helm Petersen getan VV: ptz II FS 2006 Center for Tyske Studier, SDU 5 Verb und Verbgruppe 10 Sprachbeschreibung ist … gegangen P: vgf (3sg, perf, indik) ist HV: vf (3sg, präs, indik) gegangen VV: ptz II Das Futur I im Indikativ wird gebildet aus einem Vollverbal im Nullinfinitiv und einer Präsensform von werden als Hilfsverbal: wird … tun/gehen P: vgf (3sg, fut I, indik) wird HV: vf (3sg, präs, indik) tun/gehen VV: Ø-inf Das Futur II, Indikativ (z.B. wird...getan haben bzw. wird...gekommen sein) setzt sich zusammen aus zunächst einer finiten Form von werden als Hilfsverbal und einer infiniten Verbgruppe im Infinitiv II (getan haben bzw. gegangen sein) als Vollverbal. Diese infinite Verbgruppe besteht wiederum aus einem Partizip II als Vollverbal (getan bzw. gegangen) und einem Ø-Infinitiv I von haben oder sein als Hilfsverbal: wird … getan haben P: vgf (3sg, fut II, indik) wird HV: vf (3sg, präs, indik) getan haben VV: vgi (inf II) getan VV: ptz II Uwe Helm Petersen FS 2006 haben HV: Ø-inf Center for Tyske Studier, SDU 5 Verb und Verbgruppe 11 Sprachbeschreibung wird … gegangen sein P: vgf (3sg, fut II, indik) wird HV: vf (3sg, präs, indik) gegangen sein VV: vgi (inf II) gegangen VV: ptz II sein HV: Ø-inf Die Tempora des Präteritumsystems im Indikativ haben das Präteritum als Basistempus, allerdings ohne Futurformen, die im Präteritumsystem des Indkativs nicht vorkommen: PLUSQUAMPERFEKT, INDIKATIV [plusq, indik] PRÄTERITUM, INDIKATIV [prät, indik] er hatte es getan er war dorthin gegangen er tat es er ging dorthin Basis Das Plusquamperfekt, Indikativ besteht aus einem Vollverbal im Partizip II und aus einer Präteritumform von haben oder sein als Hilfsverbal: hatte … getan P: vgf (3sg, plusq, indik) hatte HV: vf (3sg, prät, indik) getan VV: ptz II war … gegangen P: vgf (3sg, plusq, indik) war HV: vf (3sg, prät, indik) Uwe Helm Petersen gegangen VV: ptz II FS 2006 Center for Tyske Studier, SDU 5 Verb und Verbgruppe 12 Sprachbeschreibung Im Konjunktiv verteilen sich die Tempora auch auf ein Präsens- und ein Präteritumsystem nach dem gleichen Muster wie im Indikativ, nur mit dem Unterschied, dass das finite Verb im Konjunktiv steht. Die Tempora des Präsenssystems im Konjunktiv I: FUTUR II, KONJUNKTIV I [fut II, konj I] FUTUR I, KONJUNKTIV I [fut I, konj I] er werde es getan haben er werde dorthin gegangen sein er werde es tun er werde dorthin gehen PERFEKT, KONJUNKTIV I [perf, konj I] PRÄSENS, KONJUNKTIV I [präs, konj I] er habe es getan er sei dorthin gegangen er tue es er gehe dorthin Basis Das Perfekt, Konjunktiv I besteht aus einem Vollverbal im Partizip II und aus einem Präsens, Konjunktiv I von haben oder sein als Hilfsverbal: habe … getan P: vgf (3sg, perf, konj I) habe HV: vf (3sg, präs, konj I) getan VV: ptz II sei … gegangen P: vgf (3sg, perf, konj I) sei HV: vf (3sg, präs, konj I) gegangen VV: ptz II Das Futur I, Konjunktiv I wird gebildet aus einem Vollverbal im Nullinfinitiv und einer Präsensform im Konjunktiv I von werden als Hilfsverbal: werde … tun/gehen Uwe Helm Petersen FS 2006 Center for Tyske Studier, SDU 5 Verb und Verbgruppe 13 Sprachbeschreibung P: vgf (3sg, fut I, konj I) werde HV: vf (3sg, präs, konj I) tun/gehen VV: Ø-inf Das Futur II, Konjunktiv I (z.B. werde...getan haben bzw. werde...gegangen sein) setzt sich zusammen aus zunächst einem Präsens, Konjunktiv I von werden als Hilfsverbal und einer infiniten Verbgruppe im Infinitiv II (getan haben bzw. gegangen sein) als Vollverbal. Diese infinite Verbgruppe wiederum aus einem Partizip II als Vollverbal (getan bzw. gegangen) und einem ØInfinitiv I von haben oder sein als Hilfsverbal: werde … getan haben P: vgf (3sg, fut II, konj I) werde HV: vf (3sg, präs, konj I) getan haben VV: vgi (inf II) getan VV: ptz II haben HV: Ø-inf werde … gegangen sein P: vgf (3sg, fut II, konj I) werde HV: vf (3sg, präs, konj I) gegangen sein VV: vgi (inf II) gegangen VV: ptz II Uwe Helm Petersen sein HV: Øinf FS 2006 Center for Tyske Studier, SDU 5 Verb und Verbgruppe 14 Sprachbeschreibung Die Tempora des Präteritumsystems im Konjunktiv II: KONDITIONALIS II, KONJUNKTIV II [kond II, konj II] KONDITIONALIS I, KONJUNKTIV II [kond I, konj II] er würde es getan haben er würde dorthin gegangen sein er würde es tun er würde dorthin gehen PLUSQUAMPERFEKT, KONJUNKTIV II [plusq, konj II] PRÄTERITUM, KONJUNKTIV II [prät, konj II] er hätte es getan er wäre dorthin gegangen er täte es er ginge dorthin Basis Das Plusquamperfekt, Konjunktiv II besteht aus einem Vollverbal im Partizip II und aus einem Präteritum, Konjunktiv II von haben oder sein als Hilfsverbal: hätte … getan P: vgf (3sg, plusq, konj II) hätte HV: vf (3sg, prät, konj II) getan VV: ptz II wäre … gegangen P: vgf (3sg, plusq, konj II) wäre HV: vf (3sg, prät, konj II) Uwe Helm Petersen gegangen VV: ptz II FS 2006 Center for Tyske Studier, SDU 5 Verb und Verbgruppe 15 Sprachbeschreibung Der Konditionalis I, Konjunktiv II wird gebildet aus einem Vollverbal im Nullinfinitiv und einer Präteritumform im Konjunktiv II von werden als Hilfsverbal: würde … tun/gehen P: vgf (3sg, kond I, konj II) würde HV: vf (3sg, prät, konj II) tun/gehen VV: Ø-inf Der Konditionalis II, Konjunktiv II (z.B. würde...getan haben bzw. würde...gegangen sein) setzt sich zusammen aus zunächst einem Präteritum, Konjunktiv II von werden als Hilfsverbal und einer infiniten Verbgruppe im Infinitiv II (getan haben bzw. gegangen sein) als Vollverbal. Diese infinite Verbgruppe wiederum aus einem Partizip II als Vollverbal (getan bzw. gegangen) und einem ØInfinitiv I von haben oder sein als Hilfsverbal. würde … getan haben P: vgf (3sg, kond II, konj II) würde HV: vf (3sg, prät, konj II) getan haben VV: vgi (inf II) getan VV: ptz II haben HV: Ø-inf würde … gegangen sein P: vgf (3sg, kond II, konj II) würde HV: vf (3sg, prät, konj II) gegangen sein VV: vgi (inf II) gegangen VV: ptz II Uwe Helm Petersen sein HV: Ø-inf FS 2006 Center for Tyske Studier, SDU 5 Verb und Verbgruppe 16 Sprachbeschreibung Das System der Diathese im Deutschen ist folgendermaben gegliedert Aktiv Diathese Vorgangspassiv Passiv Zustandspassiv Das Aktiv: Der Student löst das Problem. [3sg, präs, indik, aktiv] Der Student hat das Problem gelöst. [3sg, perf, indik, aktiv] Das Vorgangspassiv oder dynamisches Passiv mit werden als Hilfsverbal: Das Problem wird (vom Studenten) gelöst. [3sg, præs, indik, vorgpass] Das Problem ist (vom Studenten) gelöst worden. [3sg, perf, indik, vorgpass] Das Problem wird bald gelöst werden. [3sg, fut I, indik, vorgpass] Das Problem wird damals schon gelöst worden sein. [3sg, fut II, indik, vorgpass] Das Zustandspassiv oder statisches (resultatives) Passiv mit sein als Hilfsverbal: Das Problem ist gelöst. [3sg, präs, indik, zustpass] Das Problem ist schon längst gelöst gewesen. [3sg, perf, indik, zustpass] Das Problem wird bald gelöst sein. [3sg, fut I, indik, zustpass] Das Problem wird auch damals gelöst gewesen sein. [3sg, fut II, indik, zustpass] Vergleiche dazu die Analyse der passivischen Verbgruppen, zunächst im Vorgangspassiv: wird … gelöst P: vgf (3sg, präs, indik, vorgpass) wird HV: vf (3sg, präs, indik) Uwe Helm Petersen gelöst VV: ptz II FS 2006 Center for Tyske Studier, SDU Sprachbeschreibung 5 Verb und Verbgruppe 17 ist … gelöst worden P: vgf (3sg, perf, indik, vorgpass) ist HV: vf (3sg, präs, indik) gelöst worden VV: ptzg (vorgpass) gelöst VV: ptz II worden HV: ptz II wird … gelöst werden P: vgf (3sg, fut I, indik, vorgpass) wird HV: vf (3sg, präs, indik) gelöst werden VV: vgi (Ø-inf I, vorgpass) gelöst VV: ptz II Uwe Helm Petersen FS 2006 werden HV: Øinf Center for Tyske Studier, SDU 5 Verb und Verbgruppe 18 Sprachbeschreibung wird gelöst worden sein P: vgf (3sg, fut II, indik, vorgpass) wird HV: vf (3sg, päs, indik) gelöst worden sein VV: vgi (Ø-inf II, vorgpass) gelöst worden VV: vgi (vorgpass) gelöst VV: ptz II sein HV: Ø-inf worden HV: ersatzinf Und jetzt im Zustandspassiv: ist … gelöst P: vgf (3sg, präs, indik, zustpass) ist HV: vf (3sg, präs, indik) gelöst VV: ptz II ist … gelöst gewesen P: vgf (3sg, perf, indik, zustpass) ist HV: vf (3sg, präs, indik) gelöst gewesen VV: vgi (zustpass) gelöst VV: ptz II Uwe Helm Petersen FS 2006 gewesen HV: ptz II Center for Tyske Studier, SDU 5 Verb und Verbgruppe 19 Sprachbeschreibung wird … gelöst sein P: vgf (3sg, fut I, indik, zustpass) wird HV: vf (3sg, präs, indik) gelöst sein VV: vgi (Ø-inf I, zustpass) gelöst VV: ptz II sein HV: Ø-inf wird … gelöst gewesen sein P: vgf (3sg, fut II, indik, zustpass) wird HV: vf (3sg, päs, indik) gelöst gewesen sein VV: vgi (Ø-inf II, vorgpass) gelöst gewesen VV: vgi (vorgpass) gelöst VV: ptz II Uwe Helm Petersen sein HV: Ø-inf gewesen HV: ptz II FS 2006 Center for Tyske Studier, SDU 20 Sprachbeschreibung 2.2 5 Verb und Verbgruppe Infinite Verbgruppen [vgi] Bei den Infinita gehen wir von zwei Infinitivformen und drei Partizipialformen aus: Infinitiv I (Präsens): lösen zu lösen Infinitiv II (Perfekt): gelöst haben gelöst zu haben Der Student möchte das Problem lösen. Er hat noch nicht versucht, das Problem zu lösen. Bald wird er das Problem gelöst haben Er verspricht, es bald gelöst zu haben. Partizip I (Präsens): lösend- der das Problem lösende Student Gerundiv: zu lösend- das vom Studenten zu lösende Problem Partizip II (Perfekt): gelöst gelöst- Der Student hat das Problem gelöst. das vom Studenten gelöste Problem Der Infinitiv Präsens (als Verb auf Wortebene) und der Infinitiv Perfekt (als Verbgruppe auf Gruppenebene) erscheinen sowohl als Null-Infinitive (lösen bzw. gelöst haben) wie als Zu-Infinitive (zu lösen bzw. gelöst zu haben). Das Gerundiv ist eine vom Partizip I abgeleitete Partizipialform im Präsens Passiv mit modaler Bedeutung. Zu den wichtigsten Funktionsmöglichkeiten der Infinita siehe unten. Uwe Helm Petersen FS 2006 Center for Tyske Studier, SDU 5 Verb und Verbgruppe 21 Sprachbeschreibung 2.2.1 Infinitivformen Das Infinitivsystem: aktiv (1a,b) inf präs vorgpass (2a,b) passiv zustpass (3a,b) Infinitiv aktiv (4a,b) inf perf vorgpass (5a,b) passiv zustpass (6a,b) Dazu diese Beispiele: (1a) (1b) Man sollte den Schwindler verhaften. [Ø-inf präs, aktiv] Die Polizei versucht nicht einmal, ihn zu verhaften. [zu-inf präs, aktiv] (2a) (2b) Dieser Schwindler muss unbedingt verhaftet werden. [Ø-inf präs, vorgpass] Er wünscht allerdings nicht, verhaftet zu werden. [zu-inf präs, vorgpass] (3a) (3b) Er muß trotzdem verhaftet sein. [Ø-inf präs, zustpass] Er hat es nämlich satt, verhaftet zu sein. [zu-inf präs, zustpass] (4a) (4b) Die Polizei soll ihn Gott sei Dank verhaftet haben. [Ø-inf perf, aktiv] Die Polizei behauptet, ihn verhaftet zu haben. [zu-inf perf, aktiv] (5a) (5b) Er müsste eigentlich verhaftet worden sein. [Ø-inf perf, vorgpass] Es ärgert ihn, wieder verhaftet worden zu sein. [zu-inf perf, vorgpass] (6a) (6b) Er soll nie verhaftet gewesen sein. [Ø-inf perf, zustpass] Er behauptet, nie verhaftet gewesen zu sein. [zu-inf perf, zustpass] Zur Bildung und Funktion der Infinitivformen in Einzelheiten Folgendes: Uwe Helm Petersen FS 2006 Center for Tyske Studier, SDU Sprachbeschreibung 5 Verb und Verbgruppe 22 2.2.1.1 Null-Infinitiv des Präsens und des Perfekts Bildung Ø-Infinitiv Präsens: Stamm + -en: hol-en, geb-en, dürf-en... Ø-Infinitiv Perfekt: VV: ptz II + HV (haben/ sein): Ø-inf: (geholt haben, gekommen sein...) Funktion als Satzglied Prädikat im Infinitivsatz [P: Ø-inf] (Man hörte ihn) im Nebenzimmer die Geige spielen Subjekt [S: Ø-inf] Arbeiten heibt leben. Prädikativ zum Subjekt [PS: Ø-inf] Arbeiten heibt leben. Prädikativ zum Objekt [PO: Ø-inf) Man hörte ihn spielen. Adverbial Sie gingen baden. Funktion als Gruppenglied Vollverbal in einer als Prädikat fungierenden Verbgruppe [VV: Ø-inf] Der Student muss das Problem lösen. Hilfsverbal in einer als Prädikat fungierenden Verbgruppe [HV: Ø-inf] Er soll aber das Problem gelöst haben. Kern einer Substantivgruppe (substantivierter Infinitiv) [K: Ø-inf] Dein ewiges Jammern (geht mir auf die Nerven.) Das Schweigen im Walde. 2.2.1.2 Zu-Infinitiv des Präsens und des Perfekts Bildung Zu-Infinitiv Präsens: zu + Stamm + -en: zu hol-en, zu geb-en, zu kauf-en... Zu-Infinitiv Perfekt: VV: ptz II + HV (zu haben/ zu sein): Ø-inf: (geholt zu haben, gekommen zu sein...) Funktion als Satzglied Prädikat im Infinitivsatz [P: zu-inf] (Der Student versucht,) das Problem zu lösen. (Der Chef verlangt,) ungestört zu Mittag zu schlafen. Objekt [O: zu-inf] Sie versuchte zu schlafen. Uwe Helm Petersen FS 2006 Center for Tyske Studier, SDU Sprachbeschreibung 23 5 Verb und Verbgruppe 2.2.2 Partizipialformen 2.2.2.1 Partizip I (Partizip Präsens) [ptz I] Bildung Stamm + -end: hol-end, geb-end, arbeit-end... Funktion als Gruppenglied Attribut einer Substantivgruppe die schlafende Schönheit Kern einer Substantivgruppe (Substantiviertes Partizip I) die Schlafende Kern einer Partizipialgruppe (der) das Problem lösende (Student) [ptz I] Funktion als Satzglied Prädikat eines Partizipialsatzes Vor Angst zitternd (meldete er sich beim Chef.) [P: ptz I] Freies Prädikativ: Weinend stürzte sie in seine Arme. [FPS: ptzI] 2.2.2.2 Gerundiv [ger] Bildung zu + Stamm +-end-: zu hol-end-, zu lös-end-... Funktion nur als Gruppenglied, u.z. als Attribut einer Substantivgruppe das zu lösende Problem Kern einer (als Attribut fungierenden) Partizipialgruppe (das) vom Studenten zu lösende (Problem) [K: ger] 2.2.2.3 Partizip II (Partizip Perfekt) [ptz II] Bildung Schwache Konjugation: ge- + Stamm + -(e)t: ge-hol-t, ge-arbeit-et, ge-mach-t... bzw. Stamm + -et: bestell-t, erzähl-t, versammel-t... bei Verben mit unbetonter Vorsilbe. Starke Konjugation: ge- + Stamm + -en: ge-geb-en, ge-komm-en, ge-stoch-en bzw. Stamm + en: begonn-en, umgang-en, vergeb-en... bei Verben mit unbetonter Vorsilbe. Funktion als Satzglied Prädikat eines Partizipialsatzes Gerade angekommen (musste er wieder fort.) [P: ptz II] (Plötzlich fühlte er sich) von den anderen Gästen bedroht. Prädikativ zum Objekt Uwe Helm Petersen FS 2006 Center for Tyske Studier, SDU 5 Verb und Verbgruppe 24 Sprachbeschreibung Er fand den Wagen zerstört. Funktion als Gruppenglied Vollverbal in einer als Prädikat fungierenden finiten Verbgruppe Der Student hat das Problem gelöst. [VV: ptz II] Attribut einer Substantivgruppe das gelöste Problem Kern einer (als Attribut fungierenden) Partizipialgruppe (das) vom Studenten gelöste (Problem) [K: ptzII] 3 HILFS- UND VOLLVERBAL In seiner Funktion als Prädikat [P: vf] hat das finite Verb zwei Aufgaben: Zum einen trägt sein Stamm den lexikalischen Inhalt, der u.a. über Zahl, Funktion und Form der vom Verb geforderten Satzglieder entscheidet. Dieser (informationstragende) Teil des Prädikats fungiert interpersonell als Prädikator . Zum anderen realisiert das Prädikat durch seine Flexive eine bestimmte grammatische Information, die durch das Potential der vier Flexionskategorien (Person, Numerus, Tempus und Modus) ermöglicht wird. Dieser (flexivische) Teil des Prädikats fungiert interpersonell als Finitum. Wenn das Prädikat aber aus einer finiten Verbgruppe besteht [P: vgf], teilen sich die beiden Gruppenglieder die Aufgaben, indem das infinite Vollverbal die lexikalische Information übernimmt und als Prädikator fungiert, während das finite Hilfsverbal die grammatische Information realisiert und als Finitum fungiert. Da alle Verben als Prädikat fungieren können, können sie auch in der Verbgruppe als Vollverbal fungieren. Aber nur die wenigsten Verben haben die Möglichkeit, die Funktion des Hilfsverbals zu ergreifen. Die häufigsten Kandidaten dieser Funktion sind haben, sein und werden, wobei die Wahl von jeweils haben und sein von der Lexik des als Vollverbal fungierenden Verbs abhängt. An den folgenden Beispielen sieht man, dass die Verben etwas von ihrem lexikalischen Inhalt einbüßen, wenn sie als Hilfsverbal fungieren: Form Verb haben sein werden VOLLVERBAL Er hat fünf Kinder. Sie hat keine Lust mehr. Er ist im Büro. Er ist ein guter Mensch. Das Essen ist gut. Er wird bald Lehrer. Sie wurde froh. Funktion HILFSVERBAL Er hat schwer gearbeitet. Sie ist noch nicht gekommen Er wird den Wein trinken. Der Wein wird getrunken. Wie aus den obigen Analysen hervorgegangen ist, werden die beiden Funktionen Hilfs- und Vollverbal nicht nur von Verben, sondern auch von Verbgruppen getragen. Das wird immer der Fall sein, wenn eine Verbgruppe aus mehr als zwei Verben besteht. Uwe Helm Petersen FS 2006 Center for Tyske Studier, SDU 4 5 Verb und Verbgruppe 25 Sprachbeschreibung MODALVERBEN IN DER VERBGRUPPE Die Modalverben sind eine andere lexikalische Gruppe von Verben, die auch als Hilfsverbale (und Finita) fungieren, aber sie sind als solche nicht ganz vollwertige Kandidaten wie die drei oben behandelten Verben. Sie bilden nämlich zusammen mit dem Vollverbal kein periphrastisches Tempus wie das Perfekt oder den Futur. Das am modalen Hilfsverbal ausgedrückte Tempus ist das Tempus der ganzen Verbgruppe, vgl. Er will kommen, wo die Verbgruppe, die hier im Präsens steht, folgendermaßen analysiert wird: will … kommen P: vgf (3sg, präs, indik) will MHV: vf (3sg, präs, indik) kommen VV: Ø-inf gegenüber einer Verbgruppe im Futur, z.B. Er wird kommen wird … kommen P: vgf (3sg, fut I, indik) wird HV: vf (3sg, präs, indik) kommen VV: Ø-inf Bei den Modalverben sind zwei Konstruktionen mit unterschiedlicher Bedeutung möglich, vgl.: (a) (b) Sie muss den ganzen Tag schwer gearbeitet haben. [P: vgf (3sg, präs, indik)] Sie hat den ganzen Tag schwer arbeiten müssen. [P: vgf (3sg, perf, indik)] In (a) bezieht sich die Modalität der Notwendigkeit auf die ganze Aussage (’Es besteht für den Sprecher kein Zweifel, dass sie gearbeitet hat’). In (b) hingegen bezieht sich die Notwendigkeit auf die Aktivität des Subjekts sie. In (a) steht das Prädikat im Präsens, in (b) aber im Perfekt, vgl. folgende Analyse: Uwe Helm Petersen FS 2006 Center for Tyske Studier, SDU 5 Verb und Verbgruppe 26 Sprachbeschreibung muss … gearbeitet haben P: vgf (3sg, präs, indik) muss HV: vf (3sg, präs, indik) gearbeitet haben VV: vgi (inf II) gearbeitet VV: ptz II haben HV: Ø-inf hat .. arbeiten müssen P: vgf (3sg, perf, indik) hat … müssen HV: vgf (3sg, perf, indik) hat HV: vf(3sg, präs, indik) arbeiten VV: Ø-inf müssen -VV: Ø-inf Das Modalverb allein als Prädikat finden wir in Beispielen wie Ich will ins Kino. [P: vf] Darf ich mit? [P: vf] Uwe Helm Petersen FS 2006 Center for Tyske Studier, SDU 5 5 Verb und Verbgruppe 27 Sprachbeschreibung DAS FUNKTIONSVERBGEFÜGE Eine dritte Gruppe von Verben, die nicht nur als Vollverbal, sondern auch als eine Art Hilfsverbal fungieren, sind diejenigen Verben, die zusammen mit einer Präpositionalgruppe als Prädikat fungieren. Solche Konstruktionen aus Verb + Präpositionalgruppe heißen Funktionsverbgefüge [fvg], z.B. zur Aufführung bringen in Das Theater brachte sein Stück zur Aufführung vgl dazu die Analyse ÄF: hs Das Theater S: sbgn brachte P: fvg- sein Stück O: sbga zur Aufführung -P: fvg FHV: vf (3sg, prät, indik) PK: ppg zur Präp: part Uwe Helm Petersen FS 2006 Aufführung RGM: sbgd Center for Tyske Studier, SDU Sprachbeschreibung 6 5 Verb und Verbgruppe 28 ÜBUNGEN Formen Sie das Prädikat der jeweiligen Sätze um, und stellen Sie dabei ach die jeweiligen Baumdiagramme dar. Ausgangssatz: Die Kripo löst den Fall. P: vf (3sg, präs, indik, aktiv) P > (1sg, perf, indik, aktiv) P > (2 pl, fut I, indik, aktiv) P > (3 sg, fut II, indik, aktiv) P > (2 pl, plusq, indik, aktiv) P > (3sg, präs, indik, vorgpass) P > (3sg, präs, indik, zustpass) P > (3sg, perf, konj I, vorgpass) P > (3sg, perf, indik, zustpass) P > (3sg, fut I, indik, vorgpass) P > (3sg, fut II, indik, vorgpass) P > (3sg, kond I, Konj II, vorgpass) P > (1sg, plusq, konj II, aktiv) Analysieren Sie folgende Sätze: (1) Die Schüler haben die armen Lehrer zur Verzweiflung getrieben. (2) Ich habe den Fehler leider nicht finden können. (3) Ihm ist der Nobelpreis verliehen worden. (4) Man hätte den Preis lieber einem anderen Schriftsteller geben sollen. (5) An deiner Stelle würde ich das nicht tun. (6) Ich bin belogen worden. (7) Er war immer der Ansicht gewesen, er habe den richtigen Job gewählt. (8) Wenn wir in Odense ankommen, wird er schon längst verreist sein. (9) Das hätte ich nicht geglaubt. (10) Die Angelegenheit wird bald besprochen werden. Uwe Helm Petersen FS 2006 Center for Tyske Studier, SDU