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Grammatik und Pragmatik - Ihr Zusammenspiel bei der Pluralvermittlung
W. Grießhaber – Manuskript eines Vortrags in Marburg – 12.01.1993
Gliederung:
§1
Plural - linguistisch
§2
Plural - Vermittlung in Lehrwerken
§3
Plural - Vermittlung: was wissen (angehende) LehrerInnen?
§4
Plural - Vermittlung im Unterricht - ein Beispiel
§5
Resümee und Ausblick
§0
Einführung, Gliederung
Deutsch als Fremdsprache ist ein aus der Praxis entstandener Bereich der Germanistik.
Unter dem Praxisdruck stand zunächst hauptsächlich die Deutschvermittlung an
ausländische Kinder und Erwachsene im Inland im Mittelpunkt, doch zur gleichen Zeit
etablierte sich auch der erste Studiengang für ausländische Studierende. Doch dem
Praxisbezug während der Etablierungsphase ist die Gefahr der Zersplitterung inhärent,
wie sie in der Diskussion von Reich und Weinrich etwa aufscheint. Es ist ein Konzept
vonnöten, das die Vermittlung in die universitäre Forschung und Lehre einzubindet.
Einen solchen Ansatz zur Verbindung von Theorie und Praxis möchte ich am Beispiel
der Vermittlung der Pluralformen des Substantivs vorstellen. Dabei geht es nicht nur um
die Didaktisierung linguistischer Erkenntnisse, ein Ansatz, der schon in der Frühzeit der
Sprachlehrforschung in der Diskussion um die didaktische Grammatik als unzureichend
erkannt wurde. Es geht um die prozedurale Analyse grammatischer Formen, um die
funktionale Leistung der Formen bei ihrer Verwendung. Aus der Sicht der funktionalen
Grammatik der Amsterdamer Schule um Dik etwa bedeutet dieser integrative Ansatz
auch die Einbeziehung diskursanalytischer Untersuchungen.
Bezogen auf die Vermittlung der Pluralformen des Substantivs wird in dem Beitrag die
These entwickelt, daß der in der Didaktik vorherrschende Vermittlungsweg, der die
Pluralformen als Zähloperationen behandelt, weder die funktionale Leistung der
Pluralformen erfaßt noch eine angemessene Vermittlungsbasis darstellt.
Das Thema wird unter folgenden vier Blickrichtungen behandelt: (1) zunächst wird
diskutiert, wie ‚innerlinguistische‘ Arbeiten die Pluralbildungen analysieren und
systematisieren, (2) darauf folgt im zweiten Schritt eine Darstellung der
Vermittlungswege anhand ausgewählter Lehrwerke für Deutsch als Fremdsprache, (3)
im dritten Schritt wird kurz vorgestellt, was angehende und unterrichtende Lehrer und
Lehrerinnen über den Plural und seine Vermittlung wissen und (4) im letzten Schritt
wird eine Unterrichtsstunde zum Thema Plural analysiert. Auf der Basis der
verschiedenen Zugänge werden abschließend Vorschläge für die wissenschaftliche
Forschung
und
unterrichtliche
Praxis
formuliert.
Plural
§1
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Plural: wie wird die Pluralbildung linguistisch behandelt?
Beginnen wir nun mit der sprachwissenschaftlichen Perspektive der Pluralbildung.
Dabei steht die Beschäftigung mit den Formen im Zentrum. Zum Gebrauch können auf
Grund der geringen vorliegenden Ergebnisse in diesem Beitrag auch nur Hinweise in
diese Richtung vorgestellt werden.
Die am weitesten verbreitete Pluralregel für Deutschlerner legen Schulz & Griesbach
dem deutschen Lehrer schon in Kapitel 2 ihres erfolgreichen Lehrwerks in den Mund,
indem sie schreiben: „Lernen Sie immer den Artikel und den Plural! Dann machen Sie
keine Fehler.“ (1977 2: 8f.). Kaum jemand hat diesem Ratschlag widersprochen, wie
Mugdans Zitatensammlung zeigt, die im Handout auf Seite 1 unter Nummer 1
abgedruckt ist.
Wenn der Bereich schon für Muttersprachler einige Überraschungen bereithält, wie der
Disput über „Semmel-Knödel“ oder „Semmeln-Knödeln“ zeigt, ist es nicht erstaunlich,
daß auch fortgeschrittene Deutschlerner nicht vor der Bildung falscher Pluralformen
sicher sind. Auch in der Linguistik wird die Ansicht geteilt, daß die Pluralbildung, wie
Werner es formulierte, „eines der schwierigsten Kapitel der deutschen Grammatik
dar(stellt)“ (1969: 93). Aus der Vielzahl verschiedener Pluralformen ergibt sich das
Problem der Wahl der richtigen Form. Auch wenn Selektionsregeln die Zahl der
möglichen Formen für ein gegebenes Wort einschränken, bleiben im Prinzip immer
noch mehrere Möglichkeiten. Die richtige Wahl ist - nach Werner - „nicht mehr Sache
der Phonemik oder Syntax, sondern der Lexemik; das (…) muß von unseren Ausländern
wortweise oder in unterschiedlich langen Listen gelernt werden.“ (S. 99).
Die Systematisierung des Inventars an Pluralformen folgte bis in die jüngere Zeit
Grimms Unterscheidung von vokalischen, d.h. starken, und konsonantischen, d. h.
schwachen, Deklinationen mit jeweils verschiedenen Stämmen. Paul konstatiert zwar
sprachgeschichtliche Veränderungspozesse aufgrund der Abschwächung der Endsilben
und bemerkt zu Beginn der Flexionslehre in seiner Grammatik, daß es keinen Zweck
habe, „an das Nhd. immer den Standpunkt des Idg. anzulegen“ (1917: 4). Doch
dessenungeachtet baut er seine Darstellung auf den zwei um eine Mischklasse
erweiterten Deklinationen auf.
Entscheidende Anstöße zur synchronen Darstellung kamen aus der pädagogischen
Praxis, nicht zuletzt von Auslandsgermanisten, die die sprachhistorisch basierten
Darstellungen aufgaben und synchronische Analysen durchführten. Zu nennen wären
hier Curme 1922, Kufner 1962 oder Bech 1963. Als Ergebnis dieser synchronen
Neuorientierung werden für den Zentralbereich der substantivischen Pluralbildung
allgemein 5 Gruppen angenommen, für die Werner 1969 die Basis lieferte. Seine
matrixförmige Darstellung relationiert Form und Genus der Substantive mit ihren
Plural
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Pluralformen. Durch Zusammenfassung der umgelauteten Varianten mit den nicht
umgelauteten und der Aussparung von Ausnahmen gelangt man zu der von Augst
(1975: 8f.) vorgestellten Systematik, die Sie im Handout unter Nummer 2 finden.
(1)
(2)
(3)
(4)
(5)
-Ø
-er
-e
-en
-s
das Segel
der Leib
der Fisch
das Ohr
die Mutti
die Segel
die Leiber
die Fische
die Ohren
die Muttis
der Vogel
der Wald
der Marsch
die Vögel
die Wälder
die Märsche
(Augst 1975: 8f.)
Von dieser Darstellung ausgehend kehrt Augst die Blickrichtung um zu der Frage:
Welches Wort wählt welchen Plural? Unter Berücksichtigung von Lautgestalt und
Genus als entscheidenden Größen nimmt er folgende Gruppierung vor:
(1) Plur. und Genus allein durch Lautgestalt bestimmt;
(2) Plur. durch Lautgestalt und Genus bestimmt;
(3) Plur. weder durch Lautgestalt noch Genus noch beide zusammen bestimmt.
Daraus entwickelt er ein Set von Regeln zur Pluralbildung, das unter Nummer 3 im
Handout wiedergegeben ist. Es umfaßt neben drei Grundregeln für das zentrale
Pluralsystem zwei weitere Regeln für den Plural auf -s sowie den -er Plural, die nach
Augst beide nicht zum deutschen Pluralsystem zählen (1979: 224 ff.):
(1) Maskulina & Neutra bilden den Plural auf -e, Feminina auf -en.
(2) Das -e wird getilgt bei Wörtern, die -E(l,r) und -lein enden,
ebenso -en bei Wörtern, die auf -en enden;
positiv: -el, -er, -en, -lein bilden im Mask. & Neutr. den Plural mit -ø
(3) Substantive auf -e bilden den Plural auch im Maskulinum mit -en.
(4) Periphere Regel für Wörter, bei einer Untergruppe folgt auf einen Vollvokal ein
weiterer Vollvokal (Papa, Echo,…) Plural mit -s.
(5) -er Plural tritt außer bei -tum bei einsilbigen Kernwörtern auf,
-er Plural hat, wenn möglich immer Umlaut
Mit diesem Regelset lassen sich von 84,6% der Wörter des Grundwortschatzes nach
Oehler 1966 korrekte Pluralformen bilden.
In diesem Regelsystem spielt die um Artikelwörter erweiterte Plural- und
Singularflexion eine wichtige Rolle bei der Disambuigierung homonymer Suffixe, z. B.
-s zu -(e)s (Gen. Sg.), -e zu (Dat. Sg.) und -en zu (Gen., Dat., und Akk. Sg.). Die
Einbeziehung der Artikelwörter löst die Polysemie der Suffixe auf. Feminina besitzen
immer eine suffigierte Pluralbildung auf -e oder -en, die im Zusammenhang mit den
Artikelwörtern eine eindeutige Pluralmarkierung ergibt. Allgemeiner formuliert, wird
die Singularflexion im wesentlichen von flektierten Artikelwörtern getragen, während
die Pluralmarkierung wesentlich durch Substantivsuffixe erfolgt. Damit zeigt das
Deutsche eine Tendenz zur separaten Markierung von Numerus und Kasus: Numerus
morphologisch durch Suffixe und Umlaut, Kasus durch Artikelflexion. Wurzel (1982:
Plural
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43) spricht in diesem Zusammenhang sogar von einer Agglutinationstendenz.
Gegen diesen strukturalistisch bestimmten Ansatz von Augst unternimmt Köpcke 1988
den Versuch einer psycholinguistischen Regelformulierung. Sie geht davon aus, daß
die Pluralmarkierung produktorientiert nach abstrakten Plural-Schemata im mentalen
Lexikon gebildet wird und nicht aufgrund von regelerzeugten Morphembildungen. Bei
einem Experiment wurden 40 Versuchspersonen Nonsense-Wörtern zusammen mit dem
bestimmten Artikel vom Tonband präsentiert, zu denen sie den Nominativ Plural
bildeten. Danach verwenden die Probanden die Suffixe -(e)n und -e in nahezu 100% der
obligatorischen Kontexte. In favorisierten Kontexten liegt dagegen die
Verwendungsrate für -e mit 42% deutlich unter denen von -(e)n mit 66% und -s mit
69%. Aus der Gesamtheit der Ergebnisse stellt Köpcke eine fallende Ausdrucksstärke
von -(e)n > -s > -e > -er fest. (e)n ist demnach die ‚beste‘ Pluralmarkierung, weil es als
eigenes Segment perzeptiv leicht wahrnehmbar ist, als Pluralmarkierung häufig
vorkommt und selten als Singularendung auftritt. Dieses Ergebnis korrespondiert mit
einer Klassifikation der Pluralmarkierer nach Salienz, Vorkommen und
Ausdrucksstärke, im Handout unter Nummer 4 zu finden. Vor dem Hintergrund der
oben dargestellten Interdependenz von Artikelwörtern und Pluralbildung ist zu diesem
Ergebnis einschränkend anzumerken, daß es aufgrund der isolierten Bildungen
möglicherweise zu einer Überrepräsentation ausdrucksstarker Pluralformen führt.
Damit kommen wir noch einmal auf syntaktische Aspekte der Pluralbildung zurück. Die
enge Beziehung der Artikelflexion zur Pluralbildung betrifft nicht nur die Kasus,
sondern auch den Numerus. Das Deutsche besitzt ein allgemeines Kongruenzprinzip.
Alle aufeinanderbezogenen Konstituenten kongruieren im Numerus: die Elemente
innerhalb einer Nominalphrase und das finite Verb mit dem Subjekt.
In der generativen Grammtiktheorie dienen solche Kongruenzverhältnisse ganz
selbstverständlich als Indikator für das Vorliegen syntaktischer Beziehungen. Für das
Englische ist dies etwa in der verbreiteten Einführung von Radford 1981 in die
generative Theorie zu ersehen. Radford begründet die WH-Bewegung unter anderem
mit Daten, bei denen die Numeruskongruenz von Verb und NP für das Vorliegen einer
zugrundeliegenden syntaktischen Beziehung angeführt wird, die den Sätzen in der
Tiefenstruktur vor der Bewegung des WH-Elements zugrundelag (1981: 160f.):
(53a) He might say which boy likes/*like Mary?
(54a) Which boy might he say — likes/*like Mary?
Deutsche Arbeiten, z.B. Stechow & Sternefeld 1988, sind - wohl aufgrund der
komplexeren Verhältnisse im Deutschen - differenzierter, nehmen aber auch eine
Kongruenzbeziehung zwischen der Verbalphrase und dem Subjekt an, die im Element
AGR stecken, das an der Oberfläche nicht auftritt. Bei finitem Verb enthält AGR die
Kongruenzmerkmale Person und Numerus. Eine plurale Subjekt NP erfordert also über AGR durch vermittelt - eine plurale Verbflexion in INFL.
(16) [NPi
AGRi
VP] Form des englischen Satzes auf der D-Struktur (S. 153)
Plural
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Diese Kongruenzverhältnisse sind jedoch nicht universell, sondern sehr
sprachspezifisch. Das Türkische z. B. hat nur ein Pluralsuffix, das je nach
vorausgehendem Vokal als -ler oder -lar realisiert wird. Allerdings trägt nach
Kardinalzahlen normalerweise kein weiteres Element eines Satzes ein Pluralsuffix. Für
die Bezeichnung der Pluralität ist das Zahlwort ausreichend. „Drei Männer“ heißt also
nicht wie im Deutschen „*üç adamlar“, sondern „üç adam“, wörtlich „drei Mann“.
Zählbare Mengenangaben kongruieren im Türkischen also im Gegensatz zum
Deutschen regelmäßig gerade nicht mit einer Pluralmarkierung am Nomen. Johanson
(1971: 33) bezeichnet dies als Vermeidung von „Hypercharakterisierungen“ und einer
Neigung des Türkischen zur morphologischen Ökonomie.
Wenn man diese Verhältnisse noch als syntaktisch geregelt betrachten kann, ist damit
doch der Schritt von der Morphologie der Pluralformen zu ihrer Verwendung
vollzogen. Dies soll nun anhand des Türkischen und Japanischen weitergeführt werden,
bevor wir zu der Frage kommen, welche funktionale Leistung den Pluralformen im
Deutschen zukommt. Unter Nummer 5 finden Sie im Handout einen kleinen Ausschnitt
aus einem in der Türkei verlegten Kinderbuch. In allen drei Sätzen muß im Deutschen
das Verb im Plural verwendet werden, im Türkischen dagegen steht es im Singular. In
Satz (3) „Kom‚ular da geldi.“ trägt das Nomen ein Pluralsuffix. Es ist im gegebenen
Zusammenhang der einzige Hinweis auf mehrere Nachbarn. Wenn im Text „Kom‚u da
geldi.“ stehen würde, würde dies jedoch nicht bedeuten, daß „ein Nachbar“ gekommen
ist. Vielmehr würde dem Leser damit mitgeteilt, aus dem Kontext zu entnehmen, ob ein
Nachbar/Nachbarin gekommen ist oder eine unbestimmte Anzahl von Nachbarn. In
diesem Sinn bezeichnet die Grundform des Substantivs im Türkischen nicht eine
abzählbare Einheit, sondern unbestimmte Exemplare des Typs ‚Nachbar‘. Wenn das
Wort „kom‚u “ zusammen mit einer Mengenangabe verwendet wird, ist durch die
Mengenangabe - z.B. üç, d.h. drei - präzise bestimmt, von wievielen Exemplaren des
Typs Nachbar die Rede ist. Eine weitere Markierung durch Pluralformen würde diese
Bestimmung umgekehrt wieder auflösen.
Wenn wir nun das Japanische oder Chinesische betrachten, fehlen beiden Sprachen
Entsprechungen unserer substantivischen Pluralformen. Kelz übertreibt dies nach
Auskunft von Japanologen und Sinologen etwas, wenn er feststellt, daß „für uns so
elementare Erscheinungen wie Pluralbildung (…) für den Deutsch als erste westliche
Fremdsprache lernenden Südostasiaten etwas völlig Fremdes (sind), für das er nur mit
Mühe Verständnis gewinnt“ (1982: 5); siehe auch Handout Nummer 6.
Wenn im Japanischen Mengenangaben gemacht werden, dann werden den
Objektbezeichnungen spezielle Zähleinheiten suffigiert, die die die Objekte semantisch
kurz charakterisieren. Die Zähleinheiten bezeichnen nach Rickmeyer die Objekte z. B.
als etwas Flaches (-mai) oder etwas buchförmig Gebundenes (-satu) (…), oder geben
definierte Maßeinheiten wieder, wie z.B. die Fläche einer tatami-Strohmatte (-zyoo)
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oder internationale Maße wie Kilogramm bzw. Kilometer (kiro) (1985: 251).
Rickmeyer zählt in seiner Grammatik auf knapp drei Seiten 47 solcher
Zähleinheitssuffixe auf. In diesem Fall wird das Substantiv selbst unverändert
gebraucht. Dem deutschen Ausdruck „zwei Taxis“ entspricht ein Ausdruck „Taxi zwei
Objekttyp-Auto“. Wenn vom Sprecher keine Mengenangabe gemacht wird, ist vom
Hörer ähnlich wie im Türkischen aus dem Kontext zu erschließen ob der Objekttyp
einmal oder in unbestimmter Menge gemeint ist. Kelz weist dementsprechend darauf
hin, daß chinesische Lerner über hohe rezeptive Fertigkeiten verfügen, die bei der
Sprachvermittlung exploitiert werden können.
Japanische und chinesische Deutschlerner haben die von Kelz angesprochenen
Probleme mit der Bildung und dem Gebrauch deutscher Pluralformen. Beispiele von
Germanistikstudentinnen sind im Handout unter Nummer 7. In der Äußerung (a) wird
die Pluralform der Kopula mit der Singularform des Substantivs „Phonemfolge“
kombiniert. In den Äußerungen (b) und der vorletzten Zeile in (c) bilden die
Studentinnen Pluralformen auf „-en“, den Typ, den Köpcke als den typischen Plural
bezeichnet. Während in (b) die Pluralform nicht korrekt gebildet ist, ist in (c) zwar die
Pluralform korrekt gebildet, der Plural selbst aber nicht korrekt.
Die Beschäftigung mit dem letzten Fehler führt uns wieder zur funktionalen Leistung
der Pluralform. Dazu muß sowohl der bestimmte und der unbestimmte Artikel
miteinbezogen werden. Betrachten wir folgende Sätze, siehe Handout Nummer 8.
(a)
(b)
(c)
(d)
(e)
Der Vater hängt einen Strumpf auf die Wäscheleine.
Der Vater hängt den Strumpf auf die Wäscheleine.
Der Vater hängt Strümpfe auf die Wäscheleine.
Der Vater hängt die Strümpfe auf die Wäscheleine.
Der Vater hängt drei Strümpfe auf die Wäscheleine.
Bei den zwei Sätzen (a) und (b), in denen das Substantiv ‚Strumpf‘ im Singular steht,
hängt der Vater ein Exemplar der abgrenzbaren Größe ‚Strumpf‘ auf die Leine. Bei den
drei Sätzen (c) bis (e), in denen das Substantiv ‚Strumpf‘ im Plural steht, hängt er
mehrere Exemplare auf die Leine. Zum Ausdruck dieser Pluralität ist die Pluralform des
Substantivs vollauf ausreichend. Der Unterschied zwischen den Sätzen (c), (d) und (e)
betrifft nicht die Tatsache der Pluralität, sondern die Art der Bestimmung, auf was für
Strümpfe die Handlung des Aufhängens angewendet wird. Ohne Artikel wird in (c)
mitgeteilt, daß die Handlung des Aufhängens auf eine unbestimmte Zahl von
‚Strümpfen‘ angewendet wird. Mit dem bestimmten Artikel „die“ wird dem Hörer in (d)
dagegen mitgeteilt, daß sich das Aufhängen auf dem Hörer schon bekannte Strümpfe
bezieht; in der Äußerung selbst werden diese Strümpfe weder hinsichtlich ihrer genauen
Zahl noch Beschaffenheit nach näher bestimmt. Mit dem Zahlwort „drei“ schließlich
wird in (e) mitgeteilt, daß sich das Aufhängen auf drei Exemplare der Einheit ‚Strumpf‘
bezieht.
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Ohne in diesem Beitrag eine Theorie des Plurals vorlegen zu können, soll skizziert
werden, wie eine solche Theorie zu entwickeln ist. In Weiterführung der Arbeiten von
Baur & Rehbein 1979 und Ehlich 1986 läßt sich der Plural als Mittel der operativen
Prozedur bestimmen. Ihre zentrale Leistung ist die Zusammenfassung mehrerer
Exemplare einer abgrenzbaren Größe zu einer Einheit. Die Abgrenzbarkeit, bzw.
Zählbarkeit ist die Voraussetzung für die Anwendung der Pluralprozedur, d. h. für die
Verwendung des betreffenden Substantivs im Plural. Abstrakte, nicht abgrenzbare
Größen wie Glück, Geld, Kaffee usw. können demnach auch nicht im Plural verwendet
werden, bzw. Wenn sie im Plural verwendet werden, werden sie als abgrenzbare
behandelt. Mit der Äußerung „da sind Gelder geflossen“ wird demnach „Geld“ zu einer
abgrenzbaren Größe und betrifft nun verschiedene Geldbeträge, die geflossen sind.
Der Gebrauch der Pluralformen mit Zahlwörtern ist demnach eine Verwendung, die die
Leistung der Pluralform nicht in Anspruch nimmt, sondern sie aus den für das Deutsche
geltenden Kongruenzbedingungen obligatorisch erfordert. Das Türkische verwendet in
diesem Fall deshalb auch keine Pluralformen. Für die Vermittlung des Plurals - und
nicht nur der Pluralformen - heißt dies, daß über Zähloperationen zwar auf eine
Vielzahl von Objekten Bezug genommen wird, daß aber Ausdrücke mit
Mengenangaben gerade nicht die spezifische Leistung der Pluralform erfassen.
Auch im Deutschen gibt es Bereiche mit einem besonderen Bezug auf mehrere zählbare
Objekte. Betroffen sind neben Substantiven in festen Wendungen, z. B. „von Fall zu
Fall entscheiden“, Abstrakta und Maßangaben wie „zwei Glas Wasser“, statt „zwei
Gläser Wasser“. Keseling 1968 beschreibt solche Phänomene als „indifferenten
Numerus“, der für sich weder Singular noch Plural bezeichnet. Entsprechende
Substantive weisen keine Kasussuffixe auf.
Die Hinweise auf das Japanische und Chinesische haben deutlich gemacht, daß die
Leistung der deutschen Pluralformen verschieden realisierbar ist. Sprachen können
Objekte auf sehr verschiedene Art zu Einheiten zusammenfassen. Hier liegen denn auch
die Hauptprobleme fortgeschrittener Deutschlerner aus diesen Sprachgemeinschaften.
Da die deutschen Formen der Pluralbildung im Vergleich zu den muttersprachlichen
Klassifikatoren erheblich reduziert sind, dürfte in klassisch kontrastiver Sicht der
Erwerb der Formen kein großes Problem darstellen. Das Lernproblem besteht im
Erwerb der im Deutschen obligatorischen Klassifikation der Substantive nach ihrer
Zählbarkeit und die Anwendung der operativen Prozedur auf diese Objekte. Dies wird
deutlich, wenn wir auf den Lernertext 7 (c) zurückkommen. Schon der letzte Satz des
ersten Abschnitts enthält definite Pluralformen, obwohl hier infinite Formen den Inhalt
besser treffen würden. Allerdings sind die Pluralformen normgerecht gebildet und im
Rahmen der Gebrauchsweisen verwendet. Allerdings impliziert die Aussage, daß es in
den angesprochenen Satztypen mehrere verschiedene anadeiktische und katadeiktische
Verweistypen gibt. Dagegen ist wohl etwas anderes gemeint, nämlich, daß es in den
Satztypen sowohl katadeiktische wie anadeiktische Verweisungen gibt.
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Zum Schluß der linguistischen Perspektive soll noch kurz ein Desiderat angesprochen
werden. Bisherige Arbeiten sind auf die Produktion der Formen ausgerichtet, während
die rezeptive Interpretation von Substantiven in Texten ausgeblendet ist. Hier wären
unter fremdsprachendidaktischen Gesichtspunkten Verfahren wünschenswert, mit denen
man von flektierten Vollformen aus auf die Grundform zurückkommt, und zwar ohne
daß in jedem Fall z.B. das Genus schon bekannt ist. Solche Regeln wären für Lesekurse
sehr wichtig. Die Lesegrammatik von Heringer 1988 kann hier nur ein erster Schritt
sein, da dieser Interpretationsweg allenfalls berührt wird.
Zwischenbilanz unter fremdsprachendidaktischen Gesichtspunkten:
Zusammenfassend kann die Bestandsaufnahme der lingusitischen Arbeiten zur
Pluralbildung mit folgendem Resümee abgeschlossen werden:
(1) Zwischen Singular und Plural wird in Verbindung mit Artikelwörtern im jeweiligen
Kontext eine eindeutige morphologische Unterscheidung gemacht.
(2) Die Pluralformen sind gegenüber den Singularformen ‚markiert‘. Insbesondere
Feminina haben immer eine morphologische Markierung des Plurals; sie haben
entweder -e, -ë oder -en, nie jedoch -Ø oder -er.
(3) Pluralformen lassen sich bis auf periphere Einheiten synchron von ihrem Genus und
ihrer Lautgestalt von ihrer Grundform im Singular her bestimmen.
(4) Sowohl die Produktionsregeln von Augst wie die psychischen Schemata von
Köpcke setzen muttersprachliche Kenntnisse voraus. Die Inanspruchnahme des Genus
bei Augst ist für alle die Lerner keine Hilfe, die mit jedem deutschen Substantiv auch
dessen Genus lernen müssen. In diesen Fällen ist es in der Tat effizient, mit jedemWort
gleichzeitig das Genus und die Pluralform zu lernen. Die Schemata von Köpcke
operieren auf komplexen morphologischen Strukturen des Deutschen, die vielen
Lernern nicht vertraut sind, sondern ebenfalls einen Lerngegenstand darstellen.
(5) Unter dem Gesichtspunkt des Gebrauchs der Pluralform ist hervorzuheben, daß sich
Singular und Plural nicht direkt auf Objekte in einzähliger oder mehrzähliger Form
beziehen. Mit der Pluralform werden mehrere Objekte einer abgrenzbaren Größe zu
einer Einheit zusammengefaßt.
(6) Der Gebrauch des Plurals läßt sich deshalb nicht durch eine Zähloperation ableiten.
Bei Mengenangaben mit Zahlwörtern wird die spezifische Leistung der Pluralform
gerade nicht in Anspruch genommen.
(7) Die Einteilung von Objekten zu zählbaren Einheiten ist sprach- und kulturspezifisch.
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Plural - Vermittlung in Lehrwerken
Nach dem Blick auf linguistische Arbeiten zum Plural soll nun die Vermittlung der
Pluralformen in exemplarisch ausgewählten Lehrwerken für Deutsch als Fremdsprache
und die ihnen zugrundeliegenden typischen Vermittlungswege behandelt werden.
Die in der Bundesrepublik entwickelten und publizierten Lehrwerken bieten bei der
Vermittlung des Plurals - wie im folgenden Pluralformen abkürzend genannt werden ein ziemlich einheitliches Bild:
Die Einführung erfolgt recht früh in der zweiten oder dritten Lektion.
Die Vermittlung geht von den Singularformen aus.
Gleichzeitig mit den Pluralformen werden sowohl die Nominativ-Pluralform des
bestimmten Artikels wie auch mindestens eine verbale Pluralform eingeführt. Oft
werden auch Kardinalzahlen eingeführt.
In allen Lehrwerken werden gleichzeitig mehrere Pluralformen eingeführt. Bis auf
wenige Ausnahmen werden sogar alle fünf Bildungsarten eingeführt.
Zur Darstellung werden tabellarische Übersichten ohne verbale Regelbeschreibung
verwendet. Das kann angesichts der geringen Deutschkenntnisse zum Zeitpunkt der
Vermittlung nicht verwundern.
Die Vermittlung basiert auf Zähloperationen von zuvor eingeführten ‚Objekten‘. Bei
den ‚Objekten‘ handelt es sich um Individualnomen aus dem Lebensbereich der
Adressaten; z.B. Bleistifte, Bälle, Stühle, usw.
Bis auf ein Lehrwerk (Schulz & Griesbach) sind die Übungen bildbezogen und
basieren ebenfalls auf Zähloperationen.
Lediglich Deutsch aktiv Neu verwendet linguistische Regeln der Pluralbildung. auf dem
Handout finden Sie die unter Nummer # die Regel 1 auf -e. Es werden die fünf
bekannten Typen zugrundegelegt mit einer weiteren Untergliederung der Formen auf (e)n in solche mit nur -n und -en aufgespalten. Die Regeln setzen die Kenntnis des
Gennus voraus und sind deshalb - wie oben schon erwähnt - nur von begrenztem Wert.
Fazit:
Pluralformen werden recht früh anhand von Zähloperationen eingeführt und geübt. Sie
werden normalerweise isoliert entweder mit dem Artikel oder einem Zahlwort geübt.
Adjektive sind zu diesem frühen Zeitpunkt meist noch nicht eingeführt. Insgesamt tritt
dadurch die klare Numerusdistinktion zum Singular überhaupt nicht auf. Pragmatisch
gesehen handelt es sich um einfachste, isolierte referentielle Sprechhandlungen. Die
eingentliche Leistung des Plurals muß von den Lernern selbst erarbeitet werden.
Lediglich Lerner verwandter Muttersprachen können dabei an die Kenntnis gleicher
Verfahren anknüpfen. aber auch sie müssen die unterschiedliche Einteilung und
Behandlung zählbarer Objekte selbst entdecken.
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Plural - Vermittlung: was wissen (angehende) LehrerInnen?
Im nun folgenden Schritt soll vorgestellt werden, was (angehende) LehrerInnen über die
Pluralbildung wissen. Das erste Beispiel betrifft Studierende der ‚Zusatzausbildung von
Lehrern für Schüler verschiedener Muttersprache‘ in Hamburg, das zweite Studierende
der Germanistik an der Universität Szeged. Beide Gruppen sollten in Gruppenarbeit
Regeln der Pluralbildung ermitteln und Vermittlungskonzepte erarbeiten.
Die Teilnehmer der Zusatzausbildung gelangten zu dem generelle Resümee, daß keine
festen Regeln zu erkennen seien. Die einizige Möglichkeit wird darin gesehen, eine
Liste der Pluralformen und den Plural für jede Vokabel vorzugeben. Die Beiträge sind
auszugsweise unter Nummer 10 im Handout abgedruckt.
Interessant sind Einzelfragen, die die Teilnehmer während der Gruppenarbeit bewegen.
Z.B. wird diskutiert, ob ausgehend von ‚Lehrer‘ für Berufe die einheitliche Pluralregel
‚keine Veränderung‘ exisitert. Dies wird aufgrund des Gegenbeispiels ‚Bauern‘
verworfen. Probleme bereiten „Stoffnomina“ wie ‚Kohle‘ oder ‚Zucker‘. Auch
Pluraliatanta wie ‚Leute‘ machen bei der Einordnung Schwierigkeiten. Besondere
Aufmerksamkeit gilt orthographischen Erscheinungen wie Konsonantenveränderungen
bei ‚Fluß‘ zu ‚Flüsse‘ oder der Verdopplung des auslautenden ‚s‘ in ‚Bus‘ zu ‚Busse‘.
Auch Wörter wie ‚Kaktus‘ - ‚Kakteen‘ werden länger besprochen.
Die ungarischen Studenten produzierten innerhalb kurzer Zeit sehr differenzierte
Suffixparadigmata. Sie berücksichtigen ebenfalls orthographische Besonderheiten der
Konsonantenverdopplung als eigene Regel. Eine Gruppe formuliert im Vorspann die
schon bekannte Grundregel, alle Pluralformen am besten mit den Wörtern zusammen zu
lernen. Sie weist auch darauf hin, daß Feminina explizit eine Pluralform erfordern und
daß -s bei Fremdwörtern vorkommt. Die andere Gruppe erfaßt zusätzlich die
Pluralbildung auf -a bei Fremdwörtern.
Beide Gruppen befassen sich also mit orthographischen Besonderheiten, die bei den
linguistischen Arbeiten zur Pluralbildung praktisch keine Rolle spielen, da sie
systematisch gesehen nicht zur Pluralbildung im engeren Sinn gehören. Der
linguistische Zugriff läßt in dieser Hinsicht Erscheinungen unberücksichtigt, die in der
Vermittlung eine Rolle spielen. Beide Gruppen beschäftigen sich intensiv mit
irregulären Pluralformen, die in der Linguistik ebenfalls als Randphänomene behandelt
werden, da Regelmäßigkeiten mit großer Reichweite angestrebt werden. Im Vergleich
der beiden Gruppen fällt auf, daß die deutschen Teilnehmer zur Regelfindung und formulierung auf der Basis ihrer muttersprachlichen Kenntnisse empirisch Beispiele
durchgehen, während die ungarischen Studenten gut gelernte Regeln reproduzieren.
Beide stimmen darin überein, daß die Pluralformen am besten zusammen mit den
Wörtern
vermittelt
und
gelernt
werden.
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Plural - Vermittlung im Unterricht - ein Beispiel
Nun soll die Einführung der Pluralformen in einem Unterricht für ausländische Kinder
in einer Hamburger Schule vorgestellt werden. Es handelt sich um eine heterogene
Lerngruppe mit sehr unterschiedlichen Muttersprachen und unterschiedlichen
Zweitsprachkenntnissen. Die zehn 13 bis 14 jährigen Schüler und Schülerinnen kamen
aus der Türkei, aus Griechenland und dem Kosovo. Die kürzeste Aufenthaltsdauer liegt
bei knapp 4 Monaten. Die Lehrerin benutzte ein kopiertes Arbeitsblatt als
Unterrichtsgrundlage. Der Unterricht war mit der Lehrerin nicht abgesprochen, es sollte
sich um eine normale Unterrichtsstunde handeln.
Der Unterricht gliedert sich in vier größere Abschnitte: (1) zu Beginn wird anhand eines
Arbeitsblattes eine Zuordnungsübung zu Präpositionen gemacht, die in diesem Beitrag
nicht behandelt wird; bei dieser Übung sollen die Schüler Sätze, bzw. Satzteile mit
Bildern verbinden; (2) mit einer Zuordnungsübung desselben Typs beginnt die
Vermittlung des Plural von Substantiven; (3) als Fortführung dieser Übung werden in
zwei Schritten die Pluralformen an der Tafel erarbeitet; (4) zum Schluß übertragen die
Schüler die Tabelle in ihre Hefte. Die folgenden Ausführungen behandeln die
Zurodnungsphase und die Erarbeitung der Pluralformen.
Die Zuordnungsphase
Der Unterricht ist durch die repetitive Wiederholung strukturell gleicher
Handlungsschritte gekennzeichnet. Von den Schülern sind nacheinander zehnmal
dieselben Handlungsschritte durchzuführen: (1) Lesen eines Satzes, bzw. Satzteils, (2)
Identifizierung des Inhalts auf einem der sequentiell anders angeordneten Bilder und (3)
Verbalisierung der entsprechenden Bildnummer als Ziffer. Im Verlauf des Unterrichts
treten folgende Probleme während der Zuordnungsphase auf: (1) Schwierigkeiten beim
Vorlesen, (2) Unkenntnis eines Substantivs und (3)Nichtidentifizierung der richtigen
Abbildung.
Die Vermittlung der Pluralformen im engeren Sinne
Die eigentliche Vermittlung der Pluralformen ist auf das Engste mit Zähloperationen
und Zahlen, bzw. Nummern verknüpft. Im Mittelpunkt der einleitenden
Zuordnungsübung steht die Nennung der richtigen Bildnummer. Zum Abschluß der
Übung erhalten die Schüler die Anweisung, „Nochmal die Zahlen {zu} sagen.“. Die
eigentliche Vermittlungsphase beginnt mit dem Wort „Mehrzahlwörter“, das die
Lehrerin, wie aus Beispiel # im Handout ersichtlich ist, mit einer Zähloperation erklärt.
Dieses Zählen der jeweils auf den Bildern sichtbaren Kleidungsstücke wiederholt sich
nun während der Vermittlungsphase für alle acht Bilder mit Kleidern. Fast stereotyp
wird die Frage gestellt ‚Wieviel Hosen, Handtücher usw. seht ihr?‘.
Plural
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Da die Objekte jeweils zu mehreren abgebildet sind, werden die entsprechenden
Substantive zusammen mit dem Zahlwort im Plural verwendet. Von dieser Form aus
geht die Lehrerin zurück zur Grundform im Singular. Die Einführung dieser Operation
ist im Handout unter Nummer # wiedergegeben. Die Lehrerin markiert zunächst mit
„So“ (317) einen neuen Abschnitt, kommt dann zum Zählen (318) und beginnt das
Zählen mit Nennung des Zahlworts „Ein…“ (319), das von einer Schülerin mit der
passenden Form „Strumpf“ weitergeführt und von einem anderen Schüler als ganze
Äußerung zusammengeführt wird (321). Dies wird von der Lehrerin mit „Gut“ bewertet
(322). Die danach abschweifenden Schüler werden von der Lehrerin wieder auf die an
der Tafel angeschriebene Pluralform zurückgeholt (337) und auf die SingularGrundform hin orientiert (339). Nach der Nennung einer korrekten Form schreibt sie
unter der Spaltenüberschrift „Einzahl“ „der Strumpf“ links von der Pluralform „die
Strümpfe“. Damit sind Singular- und Pluralformen für dieses Substantiv eingeführt und
die tabellarische Grundstruktur für die Erfassung der übrigen Substantive etabliert.
Weder hier noch an anderer Stelle weist die Lehrerin explizit darauf hin, daß
Substantive in zwei Formen auftreten, und daß mit einem Zahlwort höher als eins die
Pluralform zu verwenden ist. Diese Kongruenzbeziehung wird stillschweigend
vorausgesetzt. Der von der Lehrerin eingeschlagene Vermittlungsweg basiert weiter auf
der Voraussetzung, daß die Schüler die Grundform der Substantive und ihr Genus
schon kennen. Tatsächlich ist jedoch oft ein Herumraten über das Genus zu beobachten.
Selbst nach der Wiederholung der richtigen Form durch die Lehrerin benutzen Schüler
leise vor sich hin sprechend den falschen Artikel.
Als letzter Schritt erfolgt die Bewußtmachung der Formunterschiede zwischen
Singular und Plural. Den Beginn dieser Phase zeigt Nummer # im Handout. Die
Schüler müssen zunächst beide Formen lesen (692) und anschließend die Unterschiede
benennen. Bei dieser Bewußtmachung wird von der Lehrerin keine weitere
Systematisierung vorgenommen. Die Klasse ist während dieser Phase deutlich
unruhiger als bei den vorhergegegangenen, so daß nur noch einzelne
Kommunikationsfetzen vom Band her rekonstruierbar sind. Deshalb ist auch fraglich,
ob die Schüler das Geschehen an der Tafel aufmerksam und aktiv mitverfolgen.
Merkmale der Sprache im Unterricht
Abschließend soll noch kurz ein Blick auf die Sprache im Unterricht geworfen werden.
Die Beiträge der Schüler beschränken sich vorwiegend auf zwei Typen sprachlicher
Handlungen: (1) erstens auf die Reproduktion schriftlicher Ausdrücke beim Vorlesen
und (2) zweitens auf die Verbalisierung isolierter Zahlausdrücke wie „Nummer drei“
oder die Nennung von Substantiven im Singular mit bestimmtem Artikel. Nur selten
ergreifen sie die Initiative zur Klärung von Unsicherheiten.
Plural
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Wie sieht nun ihr Input aus, d.h. wodurch ist die Sprache der Lehrerin gekennzeichnet?
Sie stellt überwiegend kurze Fragen, z.B. „Wie heißt es beim Zählen?“ oder verwendet
ebenfalls isolierte Ausdrücke wie „Die Blusen“. Auch bei Verstehensproblemen der
Schüler vereinfacht sie ihre Sprache systematisch. Die Lehrer, mit denen die Aufnahme
im Seminar behandelt wurde, stellten mit Erstaunen fest, daß die Lehrerin ein
grammatisch unkorrektes Deutsch verwendet, Pidgin redet, wie sie es nannten.
Ihre Sprache weist in der Tat typische Reduktionsphänomene auf, wie sie in
Sprachkontaktsituationen zu beobachten sind, wenn die Kommunikationspartner über
kein gemeinsames Verständigungsmittel verfügen. Das Auftreten dieser Foreigner talk
Variante im schulischen Kontext wirft jedoch die Frage auf, wo und wie die Schüler
tatsächlich die deutsche Sprache präsentiert und systematisch vermittelt bekommen.
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§5
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Resümee und Ausblick
Die Analyse des Unterrichtsauschnitts unterstreicht die Notwendigkeit der
Einbeziehung des Sprachgebrauchs, um den für die Pluralvermittlung unergiebigen
Ansatz der Zähloperation zu überwinden. Allerdings sind dazu noch weitere Arbeiten
erforderlich. Im vorliegenden Fall könnten kurzfristig die hoch entwickelten
memorierenden Fertigkeiten und Lerngewohnheiten stärker genutzt werden. Nach
Untersuchungen von Schwerdtfeger können türkische Schüler erheblich besser auch
unverständliche Texte memorieren als vergleichbare deutsche Schüler. Weiterhin müßte
die starke, um nicht zu sagen ausschließliche, Orientierung an der gesprochenen
Umgangssprache zugunsten einer komplexeren, schulbezogenen Sprache aufgegeben
werden. Schließlich handelt es sich im strengen Zweitspracherwerbssinn um
erwachsene Lerner nach Abschluß ihrer Schulbildung im Heimatland, die über
schriftsprachliche Fertigkeiten verfügen. Diese Fertigkeiten könnten zunächst rezeptiv
zur Arbeit mit komplexeren Äüßerungen eingesetzt werden. Tragfähigkeit und Grenzen
eines derartigen Vorgehens müßten jedoch im Unterricht erprobt und wissenschaftlich
überprüft werden.
In Lehrwerken wird die Pluralbildung fast ausnahmslos als morphologische
Erscheinung im Zusammenhang von Zähloperationen behandelt. Eine Ausnahme bildet
hier das im chinesischen Kontext entwickelte „Lernziel Deutsch“. Es basiert ungeachtet
des einsprachigen Vorgehens auf kontrastiven Erfahrungen. Es spaltet die Pluralbildung
in zwei Teile auf. Zunächst werden Pluralformen für Berufe in der männlichen und mit in abgeleiteten weiblichen Form behandelt. Die damit mögliche Anknüpfung an
Bildungsprinzipien des Chinesischen kann das Phänomen des Plurals näherbringen. In
der folgenden Lektion werden die behandelten Formen wieder aufgegriffen und weitere
Formen eingeführt. Dieses Beispiel zeigt die Notwendigkeit und Fruchtbarkeit
kontrastiver Arbeiten im Vermittlungszusammenhang.
Die Erhebungen des L e h r e r w i s s e n s legen Verkürzungen linguistischer
Systematisierungen offen, z.B. vereinfachte Suffigierungsregeln unter Ausklammerung
orthographischer Veränderungen. Umgekehrt erweist sich das Lehrerwissen als zu stark
von schriftsprachlichen Normen und Ausnahmen geprägt. Es umfaßt so gut wie keine
Vermittlungsaspekte.
Die Analyse bestätigt die anfangs aufgestellte These, daß ein Ansatz erforderlich ist, der
integrativ Grammatik und Diskursanalyse aufeinander bezieht. ‚Innerlinguistische‘
Analysen betrachten Sprache unter eigenen Fragestellungen und Zielsetzungen. Die
linguistisch entwickelten Regeln der Pluralbildung setzen Kenntnisse voraus, die die
meisten Lerner nicht mitbringen. Sie sind deshalb nicht anwendbar. Das größte
Desiderat besteht jedoch in einer funktionalen Theorie des Pluralgebrauchs. Die im
Beitrag vorgestellten Skizze der Bestimmung des Plurals als Subsumptionsverfahren
abgegrenzter Größen zu einer Einheit erlaubt sprachvergleichende Analysen. Mit ihrer
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Hilfe ließen sich auch spezifische Lernprobleme beschreiben und erklären.
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