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Prof. Dr. Wolfgang Schlegel,
Abteilung Medizinische Physik
in der Strahlentherapie
Krebsforschung heute 2006
Innovative Krebsdiagnostik und -therapie
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Bestrahlung mit Einsicht
In Zukunft kænnen
Ørzte Lage und
Ausdehnung eines
Tumors auch
wåhrend der
Bestrahlung im
Bild mitverfolgen
Im Keller des Deutschen Krebsforschungszentrums
herrscht an manchen Wochenenden çberraschende
Betriebsamkeit: Hinter meterdicken Betonmauern zerlegt eine Gruppe von Physikern, Ingenieuren und Ørzten eine provisorisch anmutende Maschine, den experimentellen Linearbeschleuniger. Die Einzelteile des
Geråts werden im Erdgeschoss benætigt, am Bestrahlungsgeråt fçr die Patientenbehandlung. Dort bringen
die Wissenschaftler eine Ræntgenræhre an und installieren einen Strahlendetektor. Dicke Kabelstrånge
mçssen verlegt, alle Komponenten des Apparats neu
justiert werden. Eile ist geboten, um den engen Zeitplan des Patientenbetriebs so wenig wie mæglich zu
beeintråchtigen. Keine Frage, dass die Mitarbeiter der
Abteilung Medizinische Physik in der Strahlentherapie
dafçr Samstag und Sonntag opfern. Nach fast viertågiger Installation nimmt schlieûlich ein Beamter des
TÛV den Umbau ab.
Anlass fçr den tagelangen Aufwand ist die Erprobung
eines neuen Behandlungsverfahrens. Die Wissenschaftler machen das Bestrahlungsgeråt ± den Linearbeschleuniger, kurz Linac genannt ± einsatzbereit fçr
die ¹bildgesteuerteª oder ¹adaptiveª Strahlentherapie.
Strahlentherapeuten sehen sich bei ihrer Arbeit immer
mit demselben Problem konfrontiert: Sie kænnen Krebs
umso besser heilen, je hæher die Strahlendosis ist, die
sie dem Tumor verabreichen. Doch je hæher die Dosis,
desto zuverlåssiger mçssen die Ørzte vermeiden, dass
umgebendes, gesundes Gewebe in die Schusslinie der
Strahlen geråt. Dank moderner Verfahren hat die Bestrahlung in den letzten Jahren ein unglaubliches
Maû an Pråzision erreicht (siehe Kasten Seite 119). Die
Therapeuten kænnen den Strahl heute mit einer Genauigkeit von einem halben Millimeter auf den Tumor
lenken. Doch was, wenn sich der Tumor gar nicht dort
befindet, wo ihn die Mediziner vermuten, oder wenn
seine Lage sich wåhrend der Behandlung veråndert?
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Bestrahlung mit Einsicht
. . . Kontrolle ist besser
Therapie selbst, die Ønderungen von Volumen und
Form des Tumors bedingt: beispielsweise dann, wenn
die Bestrahlung von Tumoren im Kopf-Halsbereich
Wirkung zeigt. Zwischen der bildgebenden Diagnose,
auf der die Planung einer Bestrahlung beruht, und
dem Abschluss der bis zu 38 Therapiezyklen liegen oft
Wochen bis Monate. Besser, die Ørzte verlassen sich
nicht ausschlieûlich auf ihre ursprçnglichen Aufnahmen.
Mit dem neuen Verfahren aus dem Krebsforschungszentrum, das Linearbeschleuniger und Ræntgen-Computertomographen in einem Geråt vereint, låsst sich
dies nun jederzeit çberprçfen. ¹Ideal an unserer Technik ist, dass sich die Ørzte vor Beginn jedes Therapiezyklus schnell ein Bild von der Ist-Situation machen
kænnenª, sagt Professor Wolfgang Schlegel, Leiter der
Abteilung Medizinische Physik in der Strahlentherapie.
Anlass fçr Schlegels Neuentwicklung war ein in der
Strahlentherapie schon lange bekanntes Problem: Viele Tumoren verschieben sich durch nicht willentlich
steuerbare Bewegungen im Kærper. Ein anschauliches
Beispiel dafçr ist Prostatakrebs: Je nach Fçllungszustand der Harnblase verrutscht der Tumor um bis
zu einen Zentimeter. Gerade hier ist hæchste Vorsicht
geboten, liegt doch unmittelbar benachbart der strahlensensible Enddarm, der auf jeden Fall geschont werden muss. Bei anderen Krebserkrankungen ist es die
Aus Schlegels Abteilung sind an der Entwicklung der
adaptiven Therapie die Physiker Dr. Bernd Hesse, Professor Uwe Oelfke, Dr. Simeon Nill und Thomas
Tçcking beteiligt, auûerdem der Ingenieur Gernot Echner. Fçr die Bildgebung setzen die Wissenschaftler einen breit aufgefåcherten, kegelfærmigen Ræntgenstrahl
(¹cone beamª) ein. Damit erzeugen sie bei einem einzigen Schwenk der Ræntgenræhre um den Kærper des
Patienten ein Bild des gesamten Bestrahlungsgebiets.
Ein der Ræntgenræhre gegençberliegender Flåchen-
Der Multileaf-Kollimator, der als
Strahlenblende wirkt, passt den
Therapiestrahl an die individuelle
Anatomie des Tumors an
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Risikoorgane immer besser schonen
Viele technische Neuerungen haben in den letzten
Jahrzehnten dazu beigetragen, dass die Strahlentherapie wirkungsvoller und zugleich schonender wurde.
Ûber 60 Prozent aller Krebspatienten erhalten heute
eine Strahlentherapie mit dem Ziel der vollståndigen
Heilung oder einer deutlichen Linderung des Leidens.
Rund 50 Prozent aller Krebspatienten kænnen heute
geheilt werden. Dazu trågt die Strahlentherapie etwa
zur Hålfte bei, entweder als alleinige Behandlungsform oder in Kombination mit Chirurgie oder Chemotherapie.
erreichen, wenn bæsartige Tumoren strahlenempfindliche Organe wie den Sehnerv oder das Rçckenmark
hufeisenfærmig umwachsen, so dass die empfindlichen
Gewebe direkt in die Schusslinie der Strahlen geraten.
Hier setzt eine weitere Entwicklung aus Schlegels Abteilung an, die intensitåtsmodulierte Strahlentherapie
(IMRT): Die Methode beruht darauf, die Intensitåten
der Strahlendosis innerhalb eines Bestrahlungsfeldes
zu veråndern ± zu modulieren. Damit ist es mæglich, die
Dosis im Tumor zu erhæhen, ohne benachbarte Risikoorgane in Mitleidenschaft zu ziehen.
Professor Wolfgang Schlegel und die Mitarbeiter seiner Abteilung im Deutschen Krebsforschungszentrum
haben einen bedeutenden Anteil an diesem Fortschritt. Auf ihr Konto geht unter anderem die Entwicklung des Multileaf-Kollimators, einer vor dem Beschleuniger angebrachten Blende, deren Lamellen
computergesteuert den Querschnitt des Strahlenbçndels formen. So passt sich das Strahlenfeld bei
jeder Einstrahlrichtung der Tumorkontur an ± Konformationsstrahlentherapie nennen die Ørzte das Verfahren.
Die IMRT erfordert eine vællig neue Art der Therapieplanung. Nicht mehr der Arzt ermittelt durch Ausprobieren verschiedener Intensitåten und Einstrahlrichtungen die optimale Dosisverteilung. Vielmehr gibt er
dem Computer die Konturen des Tumors und der Risikoorgane, die Solldosis im Tumor und die Toleranzdosen der Risikoorgane vor, und der errechnet die
bestmægliche Dosisverteilung (¹Rçckwårts-Planungª).
Doch bei kompliziert geformten Tumoren stæût auch
diese Methode an ihre Grenzen. Idealerweise wird
dem Tumor eine so hohe Dosis verabreicht, dass alle
Krebszellen zerstært werden. Dies ist jedoch schwer zu
Verschiedene Studien zeigen bereits die Vorteile fçr
den Patienten: Beim Prostatakarzinom sinkt die Rate
der Darmkomplikationen, bei der Bestrahlung von
Brustkrebs werden Herz und Lunge, bei der Behandlung von Kopf-Halstumoren die Speicheldrçsen besser
geschont. Die IMRT wird inzwischen weltweit in vielen Kliniken eingesetzt.
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Bestrahlung mit Einsicht
detektor aus amorphem Silizium erfasst bei jedem
Grad der Umdrehung ein bis zwei Bilder. Die Prozedur
dauert rund eine Minute. Innerhalb kçrzester Zeit
rekonstruiert ein Computer aus den Einzelbildern die
dreidimensionale Tumoransicht auf dem Monitor.
auch minimale seitliche Positionsabweichungen erfasst werden, bei denen der Tumor aus dem Bestrahlungsfeld geråt. Geringfçgige Abweichungen in der
senkrechten Ebene dagegen spielen keine groûe Rolle
fçr die Genauigkeit und Sicherheit der Behandlung.
Eine Besonderheit des Geråte-Prototypen aus dem
Krebsforschungszentrum ist die 1808-Anordnung der
Komponenten: Beschleuniger und Ræntgenræhre stehen sich direkt gegençber. So ist gewåhrleistet, dass
Seit Ende 2004 wird die bildgesteuerte Therapie im
Krebsforschungszentrum klinisch erprobt. Die Strahlentherapeuten çberprçften mit dem Kegelstrahl bereits bei mehreren Patienten mit unterschiedlichen Tu-
Tumor und Risikoorgane
werden fçr die
Bestrahlungsplanung
markiert
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morerkrankungen die perfekte Positionierung. Jeder
dieser Behandlungen geht der aufwåndige Umbau des
Beschleunigers voraus, jedes Mal aufs Neue ist eine
TÛV-Abnahme fållig.
Erleichterung fçr die Patienten
In Zukunft soll das Verfahren die Strahlentherapie fçr
Patienten nicht nur sicherer, sondern auch ertråglicher
machen. Um das Potenzial der hohen Treffsicherheit
einer Pråzisionsstrahlentherapie voll auszuschæpfen,
mçssen die Kranken heute auf der Bestrahlungsliege
rigide fixiert werden. Fçr Patienten mit Tumoren im
Kopf-Halsbereich, die im Krebsforschungszentrum mit
der intensitåtsmodulierten Strahlentherapie behandelt
werden, bedeutet das, sich bei jeder Therapiesitzung
in eine eng anliegende, individuell angefertigte Plastikmaske zu zwången. Gerade mal die Nasenspitze
bleibt zum Atmen frei. Wird ein Prostatakarzinom behandelt, kommt zur Kopfmaske noch ein mit der Liege
verschraubtes Kærperkorsett dazu. Kann jedoch bei jedem Bestrahlungstermin der Tumor im Bild mitverfolgt und die Positionierung entsprechend nachjustiert
± ¹adaptiertª ± werden, dann entfållt die Notwendigkeit, den Patienten derart einzuzwången. Eine groûe
Erleichterung ± sicher nicht nur fçr Menschen mit einer Neigung zur Klaustrophobie. Ein Mehr an Komfort
fçr den Patienten, was langfristig auch Kosten einsparen wird: Das individuelle Anfertigen der Masken und
Kærperkorsette ist zeitaufwåndig und erfordert speziell
ausgebildetes medizinisches Personal.
Die Linien entsprechen
den Einstrahlrichtungen
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Bestrahlung mit Einsicht
Tumoren unter permanenter Bildkontrolle
zentrum vorbereitet. Dabei erfasst ein Sensorgçrtel
um den Brustkorb des Patienten Atemfrequenz und
Atembewegung. Gleichzeitig låsst sich çber die Bildgebung mitverfolgen, wie der Lungentumor durch das
Auf und Ab des Atmens verschoben wird. Ziel ist, den
Therapiestrahl so mit der Bewegung zu synchronisieren, dass nur genau in dem Moment gefeuert wird, in
dem sich die Geschwulst an einer definierten Position
befindet.
Neben dem Kontrollieren und Nachjustieren sehen die
Ørzte fçr die neue Technologie noch ganz andere Einsatzmæglichkeiten: Ihnen schwebt eine Krebsbehandlung vor, bei der der Therapiestrahl nur dann ausgelæst wird, wenn der Tumor den Strahlengang kreuzt.
Fçr die Behandlung von Lungenkrebs wird diese so genannte ¹gated therapyª derzeit im Krebsforschungs-
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¹Wir hoffen, dass damit auch Lungenkrebspatienten
deutlicher von der Strahlentherapie profitieren
kænnenª, sagt Professor Peter Huber, Leiter der Klinischen Kooperationseinheit Strahlentherapie, ¹denn bisher war oft das Risiko zu hoch, das empfindliche Lungengewebe zusåtzlich zu schådigen.ª Auch Patienten
mit Tumoren der Bauchspeicheldrçse oder mit Lebermetastasen, die ebenfalls von der Atmung mitbewegt
werden, kænnte die bewegungssynchronisierte Bestrahlung zugute kommen.
Therapie steckt noch in den Kinderschuhenª, so Schlegel, ¹sowohl bei der technischen Umsetzung, als auch,
was die Einsatzgebiete angeht.ª
Was ist die Vision der Strahlentherapeuten? ¹Das Beste wåre, den Tumor gar nicht erst aus den Augen zu
verlierenª, sagt Wolfgang Schlegel. ¹Trackingª nennen
sie das, das ståndige Mitverfolgen des Tumors durch
den Therapiestrahl unter permanenter Bildkontrolle.
Dazu mçssen noch ein paar technische Hçrden çberwunden werden. ¹Die Entwicklung der bildgesteuerten
Sibylle Kohlstådt
Das Potenzial, das in der Erfindung aus Schlegels Abteilung steckt, wurde bereits an anderer Stelle erkannt: Die Firma Siemens Medical Solutions hat vom
Krebsforschungszentrum die Lizenzen an der Technologie erworben und wird das Geråt weltweit auf
den Markt bringen.
Literatur
Oelfke, U. et al.: Medical Dosimetry 31(1), 2006
Nill, S. et al.: Phys. Med. Biol. 50:4087, 2005
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