Franz Lemmermeyer Die Mathematik der Babylonier Franz Lemmermeyer [email protected] http://www.rzuser.uni-heidelberg.de/∼ hb3 vi Vorwort Auf die Frage, was sich menschheitsgeschichtlich zwischen der letzten Eiszeit etwa 20 000 v.Chr. und dem Aufblühen der griechischen Kultur nach 500 v.Chr. getan hat, vielleicht noch Ackerbau und Viehzucht, den Umgang mit Metall, sowie den Bau der Pyramiden als Antwort bekommen. Die “richtige” Kulturgeschichte der Menschheit scheint immer noch mit den Griechen zu beginnen. Auch die Geschichte der Mathematik lässt man in den meisten Büchern nach einer kurzen und eher verschämten Einführung in die babylonische und ägyptische Mathematik mit der griechischen Mathematik, vor allem natürlich mit Euklid, beginnen. Angesichts der riesigen Leistung der griechischen Mathematik ist das durchaus gerechtfertigt; allerdings sollte man sich vor der Vorstellung hüten, die andern alten Kulturen wären in Sachen Mathematik nicht über das Zählen bis 20 hinausgekommen. Die Mathematik der Babylonier ist bis heute ein Nischenthema geblieben, über das außer einigen wenigen Spezialisten nicht sehr viele Leute Bescheid wissen, selbst wenn sie sich für die Geschichte der Mathematik interessieren. Die Aussage, dass Babylonier und vor allem Ägypter für die Entwicklung der Mathematik eine eher marginale Rolle gespielt haben sollen, findet sich daher an nicht wenigen Stellen, auch wenn nur wenige Autoren sich so weit aus dem Fenster gelehnt haben wie etwa Morris Kline in [30, S. 14]: Vergleicht man ägyptische und babylonische Leistungen in der Mathematik mit denjenigen von älteren und ähnlich alten Kulturen, kann man in der Tat Gründe finden, deren Errungenschaften zu loben. Beurteilt man sie aber mit anderen Maßstäben, dann sind ägyptische und babylonische Beisträge zur Mathematik praktisch unbedeutend [. . . ]. Verglichen mit den Leistungen ihrer unmittelbaren Nachfolgern, den Griechen, verhält sich die Mathematik der Ägypter und Babylonier wie Kritzeleien von Kindern, die eben das Schreiben lernen, zu großer Literatur. [. . . ] Ägyptische und babylonische Mathematik wird am besten als empirisch beschrieben und verdient kaum den Namen Mathematik angesichts dessen, was wir seit den Griechen als die Hauptmerkmale dieser Wissenschaft betrachten. Griechische Geschichtsschreiber haben dagegen wiederholt erklärt, sie hätten ihre Mathematik von den Ägyptern gelernt. Das erste Mal taucht diese Geschichte bei Herodot auf; nachdem dieser aber erklärt hatte, welche Rolle die Geographie, also die Vermessung der Erde, bei den Ägyptern im Zusammenhang mit den jährlichen Überschwemmungen des Nil und der Festsetzung der Steuern gespielt hatte, viii erwähnte er, dass die Sonnenuhr und die Einteilung des Tages in 12 Stunden aus Babylonien nach Griechenland gekommen seien. Bis heute ist der Vollwinkel in 360◦ eingeteilt, und Stunden haben 60 Minuten, eine Minute 60 Sekunden: dies sind alles Überreste des Sexagesimalsystems, das die Babylonier entwickelt haben. Otto Neugebauer, einer der besten Kenner der griechischen und vorgriechischen Mathematik, hat in [46, S. 13] denn auch betont, dass die Griechen wohl kaum Reisen ihrer ersten Mathematiker nach Ägypten und Babylonien erwähnt hätten, wenn sie dort nichts hätten lernen können: In der Tat sind diese immer wiederholten Studienreisen kaum zu verstehen (selbst wenn man bei den Griechen zunächst absolute Kenntnislosigkeit voraussetzt), falls es dort nicht mehr zu holen gegeben hätte, wie die elementarsten Sätze über Drei- und Viereck. Dass die alten Kulturen Ägyptens und Mesopotamiens über erstaunliche Fähigkeiten (nicht nur in der Mathematik, sondern auch in Astronomie, Architektur und Literatur) verfügten, ist eigentlich erst im Laufe des 20. Jahrhunderts bekannt geworden. Es ist daher einigermaßen erstaunlich, dass bereits 1911 Edmund Hoppe (1854–1928) in seiner Geschichte der Mathematik und Astronomie im klassischen Altertum [22] nach dem obligatorischen Lobgesang auf die griechische Mathematik die Frage stellt, ob die Griechen wirklich, wie man bisher glaubte, nur Schöpfer und keine Empfänger gewesen seien, und dann Herodot erwähnt, dessen Ansichten über ägyptische und babylonische Einflüsse auf das griechische Denken als unzuverlässig angesehen worden seien. Dann schreibt er: Nahezu gleichzeitig erschienen nun zwei Funde, welche den Anstoß gaben, unsere Anschauungen über die Selbständigkeit der griechischen Forschung einer Revision zu unterziehen, indem sie plötzlich zwei Quellen mathematischer Kentnisse aufdeckten, welche um mehr als 1000 Jahre früher als die ersten Spuren griechischer Mathematik uns eine Kultur eröffneten, die wohl geeignet ist, als Quelle griechischer Wissenschaft betrachtet zu werden. Ich meine die Auffindung der beiden Tontafeln von Senkereh durch Loftus 1854 und des Papyrus Rhind , welcher erst nach dem Tode seines Entdeckers bekannt wurde, dessen Auffindung und Erwerb durch Rhind aber um das Jahr 1862 stattfand. Es ist wahrlich erstaunlich, wie nahe Hoppe mit seinen spärlichen Quellen (einige Tafeln mit Quadratzahlen und Multiplikationstabellen – mehr war damals noch nicht verstanden) der heute allgemein anerkannten Sichtweise gekommen ist, wie sie J. Friberg etwa in seinem Buch [19] dargelegt hat. Die Entwicklung der babylonischen Mathematik ist eng mit der Geschichte Mesopotamiens verknüpft; diese Geschichte, mit ihrem ständigen Wechsel der herrschenden Völker und Sprachen und den vielfältigen Verbindungen zu andern Völkern der Antike wie den Ägyptern, Persern, Griechen oder den Römern, ist sicherlich zu verworren, als dass man daraus in kurzer Zeit viel lernen könnte. Anders sieht es mit der Geschichte der babylonischen Mathematik aus: das meiste von dem, was Schüler in der 8. und 9. Klasse lernen sollten (lineare und quadratische Gleichungen, binomische Formeln, Satz des Pythagoras, Strahlensatz), F. Lemmermeyer 27. Oktober 2015 ix haben bereits die Babylonier gekannt. Dieses Buch soll den Versuch machen, auf dem schmalen Grat zwischen historischer Genauigkeit und Verständlichkeit eine Einführung in die babylonische Mathematik zu geben, die auch für Schüler verständlich sein soll. Es möchte zeigen, dass die Mathematik sehr wohl zu den kulturellen Errungenschaften der Menschheit gehört und dass diese ein Spiel ist, dessen Regeln man verstehen kann, wenn man sich etwas Mühe gibt. Die Geschichte der babylonischen Mathematik ist erst im 20. Jahrhundert entstanden; zuvor war fast gar nichts über die intellektuellen Leistungen dieser alten Kulturen Mesopotamiens bekannt, wenn man von einigen literarischen Werken absieht: das Gilgamesch-Epos und die Tatsache, dass viele von der Bibel verwendete Bilder wie etwa die Sintflut auch in babylonischen Mythen auftauchen, haben bereits Ende des 19. Jahrhunderts für Schlagzeilen gesorgt; die Aufregung war deutlich kleiner, als Irving Finkel 2014 die Entdeckung einer weiteren Keilschrifttafel mit dem Bauplan der babylonischen Arche publik machte: nachlesen kann man das in [13], bisher allerdings nur auf Englisch oder Fränzösisch. Nachdem E. Weidner [61] 1916 erkannt hatte, dass die Babylonier den Satz des Pythagoras gekannt haben müssen, passierte erst einmal nichts – die Welt hatte andere Sorgen. 1928 veröffentlichte C. Frank “Straßburger Keilschrifttexte in sumerischer und babylonischer Sprache”, und danach haben sich in den 30er Jahren vor allem Otto Neugebauer und François Thureau-Dangin um die Übersetzung mathematischer Keilschrifttexte verdient gemacht. Einführungen in die babylonische Mathematik gibt es zuhauf; nach steigendem Schwierigkeitsgrad geordnet seien die folgenden Werke allen empfohlen, die sich näher mit den Leistungen der alten Babylonier und dem Ringen um ein adäquates Verständnis ihrer mathematischen Leistungen beschäftigen möchten: • Das Büchlein [32] von Johannes Lehmann hat sehr elementaren Charakter, ist für Schüler gemacht und sollte viel bekannter sein, als es ist. • Kurt Vogel schon 1959 ein kleines Büchlein [58] bei Schroedel herausgebracht, das ebenfalls für Gymnasiasten gedacht war, heute aber etwas trocken rüberkommt. • Ebenfalls einen Blick wert ist das Buch [50] von Reimer, dessen Titel “Count like an Egyptian” eine Anspielung auf einen Bangles-Klassiker ist und insofern etwas irreführend ist, als es auch auf die babylonische Mathematik eingeht. • Flüssig lesbar, wenn auch bisher nur in Englisch, ist das Buch [53] von Rudman. • Wer keine Angst vor der holländischen Sprache hat, ist mit [7] von E.M. Bruins bestens bedient, wenn es auch vielleicht antiquarisch etwas schwer zu beschaffen sein dürfte. • Anspruchsvoller ist Jens Høyrups Einführung in die babylonische Algebra auf Französisch [26] oder auch [62] von Piedad Yuste auf Spanisch. x Darüberhinaus gibt es eine ganze Reihe von Büchern, die eher an das Fachpublikum gerichtet sind; hier sind in erster Linie Maurice Caveing [9], Jöran Friberg [17, 18, 19], Jens Høyrup [25] und Eleanor Robson [51] zu nennen. Von den vielen Seiten im Netz möchte ich hier nur ganz wenige vorstellen. • http://www.livius.org/ ist eine vorzügliche Sammlung von Quellen und Kommentaren zu antiker Geschichte und Mathematik. • Auf http://it.stlawu.edu/ dmelvill/mesomath/index.html gibt Duncan Melville eine sehr gute Einführung in die Mathematik Babyloniens • http://www.ams.org/samplings/feature-column/fc-2012-05 ist eine Seite mit sehr schönen Bildern von Keilschrifttafeln zu Multiplikation und Reziproken etc., welche Tony Phillips für die AMS (American Mathematical Society) zusammengestellt hat. Die im Buch vorgestellten Keilschrifttafeln tragen Bezeichnungen, die einen Hinweis auf die Sammlung geben, zu der sie gehören. Die bekanntesten sind • AO Antiquités Orientales, Louvre, Paris. Eine digitale Sammlung der Objekte im Louvre findet man online. • BM British Museum London • CBS Catalogue of the Babylonian Section, University of Pennsylvania • Db2 Tafeln im Irakischen Museum Bagdad, die vom Tell Dhibai stammen • HS Frau Professor Hilprecht Sammlung an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena • IM Irakisches Museum Bagdad • Ist S Museum in Istanbul, Keilschrifttafeln aus Sippur • MLC Morgan Library Collection, Yale University • MS Manuskripte der Martin Schøyen Sammlung • SKT Straßburger Keilschrift-Texte in der Bibliothèque Nationale et Universitaire in Straßburg • VAT Vorderasiatische Abteilung Tontafeln, Museum Berlin, heute Teil des Pergamon-Museums auf der Museumsinsel im Zentrum Berlins, von welchem das Vorderasiatische Museum nur einen Teil ausmacht • YBC Yale Babylonian Collection Inhaltsverzeichnis 1. Mesopotamien – Kultur und Geschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 1.1 Die Geschichte Babyloniens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 1.2 Die Entzifferung der Keilschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 1.3 Die Schreiberlehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 1.4 Babylonische Mythen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 1.5 Die Entdeckung der mathematischen Kultur Babyloniens . . . . . . . . . 17 2. Das 2.1 2.2 2.3 2.4 Babylonische Zahlensystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Sexagesimalsystem auf Tafeltexten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Grundrechenarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Reziprokentafeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Babylonische Maßsystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 20 29 38 44 3. Babylonische Algebra: Lineare Probleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Lineare Gleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Die Methode des falschen Ansatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Lineare Gleichungssysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4 Arithmetische und Geometrische Reihen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5 Zins und Zinseszins . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 49 51 51 52 53 4. Quadratwurzeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Quadratwurzeln durch √Faktorisieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Näherungsformel für 1 + x . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3 Das Heron-Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4 Die babylonische Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 55 57 60 62 5. Babylonische Algebra: Quadratische Probleme . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 5.1 Binomische Formeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 5.2 Quadratische Gleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 6. Babylonische Geometrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1 Der Satz des “Pythagoras” . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2 Pythagoreische Dreiecke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3 Rationale Exponenten; MLC 2078 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4 YBC 7289 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 69 71 73 73 xii 6.5 Das pythagoreische Dreieck (3,4,5) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 6.6 IM 55357 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 7. Plimpton 322 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1 Neugebauer: Pythagoreische Tripel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2 Reziproke Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3 Die Fehler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Die Komposition rechtwinkliger Dreiecke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 8.1 TMS 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 8.2 Die “Verdopplung” . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 9. Babylonische Geometrie: Kreise und Polygone . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 9.1 Das babylonische Pi: YBC 7302 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 9.2 Die Konstanten der Polygone . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 10. Die 10.1 10.2 10.3 10.4 10.5 10.6 10.7 10.8 77 78 79 79 Zahlengeometrie der Babylonier . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 Ein diophantisches Problem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 Die Keilschrifttafel IM 58045 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 Parametrisierung von Lösungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 Die Komposition Babylonischer Trapeze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 Ein Erbschaftsproblem aus AO 17 264 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 Die Keilschrifttafel VAT 8512 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 Eins geht noch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 Warum Trapeze? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 A. Hinweise und Lösungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 Namensverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 Tafelverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 1. Mesopotamien – Kultur und Geschichte Von den mathematischen Leistungen der Völker, die älter als 2500 Jahre sind, wissen wir nur wenig; im Wesentlichen die einzige Ausnahme ist die babylonische Kultur, die sich vor 5000 Jahren in Mesopotamien (das Land zwischen den Flüssen Euphrat und Tigris) auf dem Gebiet des heutigen Irak entwickelt hat. Unser Wissen über die ganze Bandbreite der babylonischen Kultur verdanken wir dem Umstand, dass die dort lebenden Völker Tontafeln zum Schreiben benutzt haben: während Dokumente, die auf vergänglichen Materialien wie Papyrus, Pergament oder Baumrinden geschrieben wurden, bis auf ganz wenige Bruchstücke längst zerfallen sind, haben sich Tausende dieser Tontafeln erhalten. Die meisten Tontafeln befassen sich mit verwaltungstechnischen Angaben, Geschichte, Religion und Literatur – nur bei einem kleinen Teil der Tafeln geht es um mathematische Probleme. Für eine ganz grobe geschichtliche Einordnung, die in erster Linie die Orientierung erleichtern soll, genügt vielleicht das folgende Raster: • 3. Jahrtausend vor Christus: die Sumerer schreiben auf Tontafeln, zuerst in Piktogrammen, später in Keilschrift. • Zu Beginn des 2. Jahrtausends v.Chr. übernehmen die Akkader die Macht; die sumerische Sprache wird zurückgedrängt, und die Akkader benutzen die Keilschrift, um ihre eigene Sprache zu schreiben. • Während der altbabylonischen Periode um 1800 v.Chr., die mit der Herrschaft von Hammurabi verknüpft ist, entstehen die meisten Keilschrifttafeln, die wir heute kennen. • Nach einem Niedergang der babylonischen Kultur gibt es ein Aufblühen in der neubabylonischen Periode (626–539 v.Chr.), in welcher Nebukadnezar II Babylon mit dem “Turm zu Babel” samt Ischtar-Tor zu einem Weltwunder der Architektur macht. • Nach den Eroberungen durch Dareios I., Kyros II. und Alexander dem Großen ist Babylon ein von den Einwohnern verlassener Ruinenhaufen; aus der Zeit der Seleukiden (so nennt man die Nachfolger Alexander des Großen, die nach weiteren Kriegen dessen Weltreich unter sich aufteilten) sind wieder einige Keilschrifttafeln erhalten. Das Hauptinteresse gilt aber inzwischen der Astronomie. 2 1. Mesopotamien – Kultur und Geschichte Ein Zweck des babylonischen Interesses an Astronomie war die Sterndeutung. Die Astrologie stand, ebenso wie andere Methoden, aus gewissen Vorzeichen k ünftige Ereignisse vorherzusagen, bei den Babyloniern hoch im Kurs; zu Zeiten der Römer galten die Chaldäer, also die damaligen Bewohner Mesopotamiens, in erster Linie als Sternkundige. Als solche tauchen sie auch im Neuen Testament als die drei Weisen aus dem Morgenland auf. 1.1 Die Geschichte Babyloniens Die Sumerer bewohnten um 3500 v.Chr. Mesopotamien, die Gegend zwischen Euphrat und Tigris im heutigen Irak. Sie benutzten Tontafeln zur Buchhaltung und Verwaltung; Zahlen wurden additiv aus Symbolen für 1, 10, 60, 600, 3600 usw, zusammengesetzt. Die ältesten bekannten Tontafeln stammen von Ausgrabungen in Uruk, das im Alten Testament als Erech auftaucht: im ersten Buch Mose geht es in Kapitel 10 um die Nachfahren Noahs; einer von ihnen, Nimrod, errichtete ein großes Reich, zu welchem die Städte Babel, Erech, Akkad, Aschur und Ninive gehörten. Tafeln der “Grabungsschicht IV” wurden etwa 3200 v.Chr. hergestellt. Die Schrift bestand damals aus Piktogrammen: ein Mensch wurde durch einen Kopf, Wasser durch zwei Wellen symbolisiert. Im Laufe der Jahrhunderte begann man, Linien durch Keile zu symbolisieren, und die Piktogramme wurden um 90◦ gedreht. Mit der Ausbildung der Keilschrift um 2700 v.Chr. wurden auch die Zahlensymbole in Keilschrift geschrieben. Nach 2300 v.Chr. fielen die Akkader in Babylonien ein, und deren König Sargon I begründete die Dynastie der Akkader. Diese übernahmen die Keilschrift, um fortan ihre eigene Sprache zu schreiben. Auch die darauffolgenden Jahrhunderte sind von Einwanderungen fremder Völker und Kriegen beherrscht; etwa um 1700 v.Chr. gelingt es Hammurabi, ganz Mesopotamien und Syrien wieder zu einem Reich zu vereinigen. Er erlässt Gesetze (den Codex Hammurabi), von denen Teile auf der über 2 m hohen Stele des Hammurabi eingemeißelt sind, und die Blüte der “altbabylonischen Kultur” unter seiner Herrschaft führt dazu, dass die meisten heute erhaltenen Keilschrifttafeln aus dieser Zeit stammen. Die Einführung neuer Gesetze erforderte göttliche Legitimation; Hammurabi ließ also auf dem Kopf seiner Gesetzesstele ein Bild einmeißeln, das ihm beim Empfang der königlichen Insignien vom Sonnengott Schamasch zeigte, ein Bild, das an den Empfang der Zehn Gebote auf dem Berg Sinai durch Moses direkt vom jüdischen Gott erinnert. Auch das Gesetz “Auge um Auge, Zahn um Zahn” findet sich, zusammen mit anderen biblischen Gesetzen, bereits im Codex des Hammurabi, der sich selbst als “Enlils auserwählter Hirte” bezeichnet. Das Original der Stele steht im Louvre in Paris, eine Nachbildung kann man im Vorderasiatischen Museum in Berlin bewundern. Hammurabi ließ die Stele vermutlich in Sippar aufstellen, aber die Elamer nahmen sie im 12. Jhdt. v.Chr. als Kriegsbeute mit nach Susa, wo sie dann 1902 von einem französischen Team ausgegraben wurde. Die Gesetze Hammurabis regelten das komplette tägliche Leben; 1.1 Die Geschichte Babyloniens 3 Abb. 1.1. Karte von Elam Abb. 1.2. Stele des Hammurabi (Louvre, Paris; Kopie im Vorderasiatischen Museum in Berlin) 4 1. Mesopotamien – Kultur und Geschichte • § 8: Stiehlt ein Mann Rind, Schaf, Esel, Schwein oder Schiff, so soll er, wenn dieses Gott oder dem Palast gehört, das 30fache zurückggeben; gehört es einem Beamten, so soll er das 10fache zurückggeben; hat der Dieb nichts zu geben, soll er sterben. • § 111: Ein Tempelmädchen, das zum Trinken in eine Schenke geht, soll verbrannt werden. • § 211: Wenn ein Arzt die Tochter eines Beamten durch Schläge zum Abtreiben ihres Fötus bringt, soll er 5 Schekel zahlen. § 212: Wenn diese Frau stirbt, soll er eine halbe Mine Geld zahlen. § 213: Wenn er die Sklavin eines Mannes schlägt und sie zum Abtreiben ihres Fötus bringt, soll er 2 Schekel bezahlen. § 214: Wenn diese Sklavin stirbt, soll er 1 3 Mine Geld zahlen. Dem Zeitalter des Hammurabi folgt ein Niedergang nach der Einwanderung von Hethitern und Kassiten; um 650 v.Chr. gründet Assurbanipal eine riesige Bibliothek, und der letzte babylonische Herrscher, Nebukadnezar II., wird im Alten Testament verewigt, als er und sein Reich dem Perser Kyros unterliegen. Nebukadnezar hatte in Babylon noch das Ischtar-Tor errichten lassen, ein gewaltiges Bauwerk zu Ehren der Göttin Ischtar (Venus) und eines der Haupt-Tore der Stadt, das auf die Prozessionsstraße führte. Das Tor war Teil der riesigen Stadtmauern Babylons, die vor ihrer Vernichtung zu den sieben Weltwundern zählten. Abb. 1.3. Das Ischtar-Tor nach seiner Freilegung durch Koldewey und auf einer Briefmarke von 2013 Babylon ist danach nur noch eine Sammlung von Ruinen; als Alexander der Große um 330 v.Chr. das Reich erobert, plant er noch, Babylon wieder aufzubauen, 1.1 Die Geschichte Babyloniens 5 aber vor seinem Tod gelingt es seinen Arbeitern nur, den Schutt wegzuräumen – wie viele Tontafeln dabei endgültig zerstört wurden, lässt sich kaum erahnen. Abb. 1.4. Tierfiguren am Ischtar-Tor und der Prozessionsstraße In der Neuzeit wurden erstmals 1851–54 einige glasierte Ziegel in den Ruinen Babylons entdeckt; Ausgrabungen von Robert Koldewey am Anfang des 20. Jahrhunderts legten das vollständige Ischtar-Tor frei. Die Ziegel wurden in knapp 400 Kisten gepackt und per Schiff nach Berlin gebracht; weitere 400 Kisten konnten erst nach dem Ende des Ersten Weltkriegs 1927 ihren Weg nach Berlin antreten, wo das Tor Ziegel für Ziegel wie ein Puzzle zusammengesetzt und wieder aufgebaut wurde. Heute kann man dieses Meisterwerk der Baukunst zusammen mit der Prozessionsstraße im Vorderasiatischen Museum bewundern. Die Kurzversion der Geschichte Mesopotamiens zwischen Alexander dem Großen und heute ist folgende: • 636 n.Chr. wird Mesopotamien muslimisch. • 762 n.Chr. wird Bagdad gegründet und entwickelt sich zur bedeutendsten Stadt der islamischen Welt. • Ab 1534 wird Mesopotamien Teil des Osmanischen Reichs. • Im ersten Weltkrieg wird Mesopotamien von den Briten besetzt, im zweiten ebenfalls. 6 1. Mesopotamien – Kultur und Geschichte • 1958 erklärt sich der Irak für unabhängig. • 1979: Nach jahrelangen Machtkämpfen kommt Saddam Hussein an die Macht und greift 1980 den Iran an; der Krieg dauert bis 1988. • 1990 überfällt der Irak Kuwait und wird im zweiten Golfkrieg wieder von dort vertrieben. • Am 20.03.2003 marschieren die USA und ihre Koalition der Willigen ebenso völkerrechtswidrig in den Irak ein wie zuvor Hussein in den Iran und Kuwait, verwüsten das Land; Zehntausende sterben, Museen werden geplündert, Kunstschätze auf dem Schwarzmarkt berscherbelt, und bei ihrem Abzug hinterlassen die USA ein machtpolitisches Vakuum, das in den letzten Jahren vom Islamischen Staat gefüllt worden ist, der seither alle historischen Stätten in die Luft sprengt, derer er habhaft werden kann, und der mit seiner Barbarei Flüchtlingsströme produziert, um die sich vor allem diejenigen Länder nicht kümmern, deren Politik der “Demokratisierung” des Nahen Ostens für dieses Chaos in erster Linie verantwortlich ist, nämlich die USA, England und Polen. 1.2 Die Entzifferung der Keilschrift Dass man alte, längst tote Sprachen entziffern kann, hat François Champollion am Anfang des 19. Jahrhunderts gezeigt. Im Zuge der militärisch nutzlosen Expedition Napoleons nach Ägypten, die ihn bis zu den Pyramiden führte, kamen Dutzende von Wissenschaftlern mit Hieroglyphen in Kontakt; die Entzifferung gelang durch den Fund des Rosetta-Steins (benannt nach dem Fundort), auf dem ein und dieselbe Inschrift in drei verschiedenen Sprachen eingemeißelt waren. Weil eine davon griechisch war, konnte Champollion nach und nach erst die Namen (Kleopatra und Ptolemäus) und dann ganze Sätze entschlüsseln. Der Rosetta-Stein wanderte übrigens als Kriegsbeute ziemlich schnell nach England und steht heute im British Museum in London. Die Keilschrift wurde erstmals im 17. Jahrhunderts in Europa zur Kenntnis genommen: Beispiele der Keilschrift brachte der Reisende Pietro della Valle mit, später hat S. Flowers einige Zeilen aus den Inschriften an den Ruinen von Persepolis kopiert. Carsten Niebuhr (1733–1815) brach 1749 nach dem Tod seines Vaters die Lateinschule ab und beendete seine Schulausbildung erst nach seinem Umzug 1755 nach Hamburg. Nach einem dreijährigen Mathematikstudium in Göttingen ging er zum dänischen Militär und wurde 1761 von König Frederik V. als Kartograph für eine Expedition nach Arabien berufen, auf der unter Anderem Beweise für den Wahrheitsgehalt des Alten Testaments gesucht werden sollten. 1765 gekangte Niebuhr nach Persepolis, wo er mehrere Inschriften in Keilschrift mit großer Sorgfalt kopierte. 1767 kehrte Niebuhr nach Kopenhagen zurück und veröffentlichte seine Daten; weiter gelingt es ihm, den jungen Friedrich Münter für die Archäologie zu begeistern. 1.2 Die Entzifferung der Keilschrift Jahr 1621 1772 1798 1802 1802 1826 1833 1835 1836 1838 1839 1844 1846 1846 1847 1847 1851 1853 1857 Ereignis Pietro della Valle berichtet am 21. Oktober von seiner Reise (1614– 1626) über die Türkei nach Ägypten, Palästina, Persien und Indien in einem Brief über Zeichen auf Monumenten in Persepolis und vermutet, dass es sich dabei nicht um Verzierungen, sondern um eine Schrift handelt. Carsten Niebuhr beginnt mit den Veröffentlichungen der Ergebnisse seiner Arabischen Reise; der letzte Band erscheint 1778. Oluf Tychsen erklärt, die Inschrift in Behistun sei ein Text in drei verschiedenen Sprachen. Friedrich Münter erkennt in einer Inschrift aus Persepolis einen dreisprachigen Text. Friedrich Grotefend entziffert Teile der von Niebuhr kopierten Inschrift in Persepolis Rasmus Rask erklärt weitere grammatikalische Besonderheiten der Inschrift von Persepolis Eugène Burnouf veröffentlicht Commentaire sur le Yaçna Rawlinson kopiert dreisprachige Inschrift am Berg Elwand bei Hamadan, einer Stadt in der Nähe der antiken Stadt Ekbatana Burnouf [8] findet in altpersischen Inschriften, die Niebuhr in Naksh-iRustam kopiert hatte, eine Liste von Ländernamen. Christian Lassen veröffentlicht Die altpersischen Keil-Inschriften von Persepolis. Entzifferung des Alphabets und Erklärung des Inhalts Rawlinson entziffert die ersten zwei Paragraphen der altpersischen Inschrift in Behistun Rawlinson schickt einen Bericht nach London, der die altpersische und die elamitische Inschrift in Behistun enthält Nils Ludwig Westergaard entziffert elamitische Inschriften aus Persepolis und Naksh-i-Rustam. Am 9. Juni hält Hincks in Dublin einen Vortrag On the First and Second Kinds of Persepolitan Writing Rawlinson veröffentlicht The Persian Cuneiform Inscription at Behistun, Decyphered and Translated, with a Memoir Hincks veröffentlicht einen Artikel mit Zahlen in Keilschrift Rawlinson kopiert die babylonische Inschrift von Behistun Rawlinson veröffentlicht die babylonische Inschrift von Behistun Edwin Norris (1795–1872) veröffentlicht den elamitischen Text aus Behistun Ein von William Henry Fox Talbot 1857 organisierter “Wettbewerb” zwischen Hincks, Rawlinson und Oppert beweist, dass die Keilschriften in der Tat im wesentlichen entziffert sind. Abb. 1.5. Entzifferung der Keilschrift 7 8 1. Mesopotamien – Kultur und Geschichte 1798 entdeckte der Rostocker Orientalist Oluf Tychsen, dass ein schräger Keil die Bedeutung eines Trennungszeichens zwischen zwei Wörtern hatte, und er behauptete, dass die drei Inschriften in Behistun nicht nur in drei verschiedene Schriftarten, sondern drei verschiedene Sprachen geschrieben waren. Der Däne Friedrich Münter zeigte in einem 1802 erschienenen Buch, dass die erste Inschrift in Persepolis eine alphabetische, die zweite (mit über 100 verschiedenen Zeichen) eine Silben- und die dritte eine Monogrammschrift ist. Er hat auch gesehen, dass Wiederholungen von Wörtern in der ersten Inschrift auch Wiederholungen in der zweiten und dritten entsprechen, dass also die drei Inschriften tatsächlich denselben Text wiedergeben. Auch das Wort “König” und “König der Könige” konnte er bereits korrekt erahnen. Die Entzifferung der akkadischen und sumerischen Keilschrifttexte verdanken wir einer Reihe von Gelehrten: nach den ersten Erfolgen des Gymnasiallehrers Grotefend im Jahre 1802 gelang Löwenstern, Hincks und Rawlinson der Durchbruch. Georg Friedrich Grotefend (1775 - 1853) war das sechste Kind eines Schuhmachermeisters aus Münden. 1795 begann er in Göttingen Theologie und Philologie zu studieren. Im Juli 1802 ging er mit seinem Freund Rafaello Fiorillo, der Sekretär der Göttinger Bibliothek war, spazieren; Grotefend behauptete, dass es möglich sein müsse, Inschriften zu entziffern, von denen man weder weiß, in welcher Sprache sie geschrieben sind, noch, worum es darin geht. Fiorillo forderte Grotefend daraufhin auf, die Keilschrift zu entziffern. Dieser begann mit einer Abschrift, die er im Bericht von Carsten Niebuhr fand, der von 1761 bis 1767 den Vorderen Orient im Auftrag des dänischen Königs bereist hatte, und machte sich danach an die Untersuchung einer Inschrift aus Persepolis, die sich über einem Relief befand. Grotefend glaubte, dass es darin um einen König gehen müsse, und tatsächlich gelang es ihm, dieses Wort mehrfach in der Inschrift zu entdecken. So fand er heraus, dass die Inschrift vom Perserkönig Dareios I. handelte, und ihm gelang die Entzifferung von zehn Keilschriftzeichen. Danach gelangen dem Franzosen Burnouf und dem Bonner Professor Lassen 1836 im wesentlichen die korrekte Übersetzung der bekannten Teile der Inschrift: Darius, der große König, der König der Könige, der König der Länder, des Hystaspes Sohn, der Achämenide, der diesen Palast gebaut hat. Xerxes, große König, der König der Könige, des Königs Darius Sohn, der Achämenide. Christian Lassen erklärt im Vorwort seines Buchs [31], dass die Beschaffung der Abschriften durch Niebuhr alles andere als ein Kinderspiel war: Die hoch an den Mauern stehenden Inschriften waren nur dann deutlich zu erkennen, wenn die Sonne sie beschien; da nun in dieser Luft der harte ursprünglich polirte schwarze Marmor nicht verwittert, so wurden seine Augen, schon von der ununterbrochenen Arbeit äußerst angegriffen, sehr gefährlich entzündet; und diess, so wie der Tod seines armenischen Bedienten, nöthigte ihn, höchst widerstrebend das alte persische Heiligthum zu verlassen, ohne es durch Abzeichnungen erschöpft zu haben. 1.2 Die Entzifferung der Keilschrift 9 Edward Hincks (1792–1866) stammte aus dem irischen Cork und war wie sein Vater protestantischer Priester. Er studierte am Trinity College in Dublin und begann sich Anfang der 1830er Jahre für das Altpersische zu interessieren – 1823 war Jean-Francois Champollion die Entzifferung der ägyptischen Hieroglyphen gelungen. 1842 entdeckte Paul Émile Botta in Niniveh die Keilschriftbibliothek des babylonischen Herrschers Assurbanipal, die Tausende von Keilschrifttafeln enthielt. Deren Studium lieferten Hincks die Erkenntnis, dass die akkadische Keilschrift eine Silbenschrift war, und dass ein und dasselbe Symbol je nach Kontext verschieden interpretiert werden konnte. Henry Rawlinson (1810–1895) hatte schon mit 17 Jahren Persisch gelernt und wurde vom britischen Militär nach Persien geschickt. Im Jahre 1835 kopierte Rawlinson eine dreisprachige Inschrift am Mount Elwand bei Hamadan, und mit den Erkenntnissen Grotefends sowie des Dänischen Philologen Rasmus Rask gelang ihm die Entzifferung des Texts. In Behistun (auch Bisutun, im heutigen Iran) kopierte Rawlinson 1836 oder 1837 eine drei-sprachige Inschrift in Altpersisch, Elamitisch und Akkadisch – allerdings war damals keine der drei Sprachen entziffert. Die Inschrift auf einer Felswand nahe der Verbindungsstraße zwischen Babylon und Ekbatana hatte der persische König Dareios anfertigen lassen, nachdem er 522 v.Chr. Aufständische unter der Führung eines gewissen Gaumata besiegt hatte. Damit diese Inschrift niemand beschädigen konnte, wurde der Felsvorsprung, auf dem die Schreiber gestanden hatten, während sie den Text und die Bilder in die Wand meißelten, abgeschlagen. Vor Rawlinson hatten schon andere Reisende aus Europa das Relief gesehen, es aber für ein Bild von Jesus und seinen 12 Aposteln gehalten. Rawlinson gelang in Zusammenarbeit mit Lassen die Entzifferung des Altpersischen Textes, die er 1845 veröffentlichte. 1844 kehrte Rawlinson noch einmal nach Behistun zurück und kopierte den vollständigen Text; diese Kopie erlaubte Niels Westergaard und Edwin Norris die Entzifferung der 131 Elamitischen Schriftzeichen, während Rawlinson selbst 1852 die Entzifferung des akkadischen Textes gelang. Das Relief selbst wurde im zweiten Weltkrieg schwer beschädigt, als es von Soldaten als Zielscheibe benutzt wurde. 1857 organisierte William Henry Fox Talbot (1800–1877) eine Art Entzifferungswettbewerb: er gab Hincks, Rawlinson und Oppert die Abschrift einer jüngst entdeckten Keilschrifttafel und bat sie, diese zu übersetzen. Alle drei lieferten sinngemäß dieselbe Übersetzung ab und zeigten dadurch, dass die Keilschrift tatsächlich entziffert worden war. Jules Oppert (1825–1905) entstammte einer jüdischen Familie aus Hamburg. Er studierte in Heidelberg, Bonn, Berlin und Kiel Orientalistik; 1847 emigrierte er nach Frankreich und wurde schnell zu einem der besten Kenner des Altpersischen. 1855 nahm er an einer Expedition nach Mesopotamien teil; nach seiner Rückkehr im Jahre 1854 ging er nach England, um die Sammlung im Britischen Museum zu untersuchen. Nach 1857 befasste er sich vor allem mit Assyriologie und gab der Sprache, die vor dem Akkadischen in Mesopotamien verwendet wurde, den Namen “Sumerisch”; die Existenz der Sumerer konnte erst 20 Jahre später zweifelsfrei nachgewiesen werden. 10 1. Mesopotamien – Kultur und Geschichte Abb. 1.6. Relief in der Felswand in Behistun Piktogramme der Sumerer Abb. 1.7. Sumerische Tafeln mit Piktogrammen Die Schrift der alten Sumerer bestand, ähnlich wie die Hieroglyphen der Ägypter, aus Piktogrammen. Die Piktogramme in der oberen Zeile in Abb. 1.8 aus [58, S. 10] (vgl. auch [60]) wurden um etwa 3000 v.Chr. benutzt, die Keilschriftsymbole in der Mitte um 2400 v.Chr.; die Keilschriftsymbole in der unteren Zeile waren im Spät-Assyrischen etwa 650 v.Chr. in Gebrauch. 1.3 Die Schreiberlehre 11 Archaische Form nach Drehung sumerische Keilschrift assyrische Keilschrift Bedeutung Vogel Name Mušen Wasser A Auge Korn Igi Še essen Kú Abb. 1.8. Vom Piktogramm zur Keilschrift Das Symbol für essen ist aus einem Kopf und einer kleinen Schale zusammengesetzt; wer sich die rechte Tafel in Abb. 1.7 genauer ansieht, wird das Symbol dort erkennen. Es wurde verwendet, wenn es um die Rationen von Brot und Bier ging, die Arbeitern als Lohn ausbezahlt wurden. Brot und Bier waren Grundnahrungsmittel; das Bier diente in erster Linie nicht dem Genuss, sondern wurde mit Wasser verdünnt: der Alkohol war lediglich dazu da, die Keime abzutöten. Die Keilschrift selbst ist wie jede Schrift sehr komplex, auch wenn manche ihrer Strukturen einfach zu verstehen sind. So bedeutete das sumerische Symbol KA den Mund, und es wurde als Kopf gezeichnet, bei dem der Mund stark betont wurde. Dasselbe Symbol konnte je nach Kontext aber auch “sprechen”, “Wort” oder “Zahn” bedeuten; schrieb man in das Symbol für KA das Zeichen A für Wasser, bedeutete es “trinken”. 1.3 Die Schreiberlehre Der Beruf des Schreibers (vgl. Abb. 1.10 und [14, S. 36]) war in Babylonien ebenso wie in Ägypten ein Beruf, zu dem man ausgebildet wurde, und stand in allerhöchstem Ansehen. Die Ausbildung begann damals wie heute mit 5-6 Jahren und fand im “Tafelhaus” statt, wo erfahrene Schreiber dem Nachwuchs den Umgang mit Griffel und Tontafel beibrachte und die Schüler Listen von Königen oder Pflanzen abschreiben ließ. Dort lernten sie die alten Sprachen (z.B. Sumerisch, als das Akkadische zur Umgangssprache geworden war), und sie lernten Mathematik. Selbst Könige prahlten damit, des Lesens und Schreibens mächtig zu sein, und Assurbanipal, dessen Bibliothek in Niniveh wir Tausende von Keilschrifttafeln verdanken, rühmte sich gar damit, die Schrift aus der Zeit vor der großen Flut lesen zu können. Diese Bibliothek wurde 612 v.Chr. bei der Einnahme von Niniveh durch Meder und Babylonier niedergebrannt, was zwar viele Keilschrifttafeln zerstörte, andere aber dadurch konservierte: gebrannte Tontafeln sind viel länger haltbar als 12 1. Mesopotamien – Kultur und Geschichte solche, die nur getrocknet worden sind. Nebenbei bemerkt haben viele Tafeln 4000 Jahre im Wüstensand Iraks besser überstanden als einige Jahrzehnte in den Museen der westlichen Welt; heute stehen diese Tafeln in Glaskästen, deren Temperatur und Luftfeuchtigkeit genauestens überwacht werden. Sicherlich konnte nicht jeder, der schreiben lernen wollte, dies auch tun; vermutlich hatte man zu einer angesehenen und reichen Familie zu gehören. Dennoch sollte man sich vor der Vorstellung hüten, dass es in Babylonien nur ganz wenige Schreiber gegeben hat. Dies ließe sich nämlich nur schwer mit der Vielzahl an Verträgen und Tafeln zur Buchhaltung in Einklang bringen, die man gefunden hat. Während die allermeisten Schreiber männlich waren, sind uns auch einige wenige Frauen bekannt, die des Schreibens mächtig waren. Abb. 1.9. Keilschrifttafel mit Umschlag Auch heute kann man das Schreiben in Keilschrift erlernen; viele Verantwortliche in den Museen, die Keilschrifttafeln besitzen, haben diese Kunst erlernt, um Kopien der Tafeln herzustellen. Empfehlen möchte ich ein Video [38], in dem der 1.3 Die Schreiberlehre 13 Leiter des Vorderasiatischen Museums in Berlin, Dr. Joachim Marzahn das Schreiben auf einer Keilschrifttafel vormacht. Marzahn arbeitete bis 1970 als Betriebsschlosser, machte dann sein Abitur an der Abendschule und studierte danach Vorderasiatische Archäologie und Altorientalistik in Halle. Nach seinem Diplom 1979 arbeitete er am Vorderasiatischen Museum im Berlin, und 1989 promovierte er in Jena über die “Grundlagen der Getreidewirtschaft in Lagasch, 24. Jh. v.u.Z.”. Ähnliche Videos gibt es vom Leiter des Britischen Museums, Irving Finkel und von Christine Proust, Forschungsdirektorin des CNRS an der Universität Paris. Abb. 1.10. Babylonische Schreiber: der vordere schreibt auf eine Tontafel, der hintere auf eine Papyrusrolle. Es gibt eine ganze Reihe von Tafeln, deren Einträge wie ein Lexikon wirken: Königslisten, mit denen die Schüler das Schreiben von Namen übten, Namen verschiedener Fische, von Vögeln, von verschiedenen Gefäßen zum Aufbewahren von Nahrungsmitteln bis hin zum Brauen von Bier. Zu Beginn wurden diese Listen von Schülern abgeschrieben, um das Schreiben zu lernen, in späteren Zeiten wurden sie von fortgeschrittenen Schreiberlehrlingen kopiert. In den Zeiten, in welchen das Sumerische nur noch als Wissenschaftssprache benutzt wurde (wie in der europäischen Renaissance das Lateinische), während die Bevölkerung die akkadische Sprache benutzte, dienten ähnliche Listen auch als 14 1. Mesopotamien – Kultur und Geschichte Wörterbücher. Aus einer Liste von Sprichwörtern auf der Tafel Ni 5376 aus der altbabylonischen Zeit kennen wir den Spruch Ein Schreiber, der kein Sumerisch kann – wie will er eine Übersetzung erstellen? Im Rechenunterricht wurde Addition und Subtraktion (vornehmlich wohl als Kopfrechnen, weil uns keine Schultafeln dazu bekannt sind), Multiplikation und die Berechnung von Reziproken und das Ziehen von Quadratwurzeln unterrichtet, bevor es an schwierigere, auch geometrische Probleme ging. Auf der Tafel A 29 985, auf der es um die Berechnung der Reziproken einer Zahl geht, musste der Schüler auf der Rückseite zwei Mal den Spruch Ein schwätzender Schreiber; seine Schuld ist groß. schreiben. 1.4 Babylonische Mythen Die Keilschrifttafeln der Babylonier erzählen uns eine ganze Menge über die alten Kulturen Mesopotamiens; die bekannteste Geschichte ist wohl diejenige von Gilgamesch, eine epische Erzählung, die sich mit Fragen von Leben, Tod, Unsterblichkeit und dem Verhältnis zwischen Menschen und Göttern auseinandersetzt. Die Geschichte einer Flut, in welcher fast die gesamte Menschheit umgekommen ist, findet sich in Kulturen auf jedem Kontinent. Etwa 20 000 v.Chr. endete die letzte Eiszeit – damals war wegen der riesigen Eismassen auf dem Land der Meeresspiegel mehr als 60 m unterhalb dem heutigen, und man hätte England von Europa aus zu Fuß erreichen können. Der Anstieg des Meeresspiegels mit dem Schmelzen des Eismantels muss an manchen Orten zu Katastrophen geführt haben, wenn plötzlich während einer Springflut eine ganze Tiefebene geflutet wurde. Wie alle großen Mythen der alten Kulturen geht auch die Geschichte der großen Flut auf eine Zeit zurück, in der es noch keine Schrift gab und diese Erzählung mündlich weitergegeben wurde; auch die Ilias und die Odyssee, also die Geschichte vom Trojanischen Krieg, wurden mündlich tradiert, bevor Homer sie niederschrieb. Als die Babylonier daran gingen, ihre Geschichte der Flut niederzuschreiben, gab es bereits drei solcher Mythen mit verschiedenen “Helden”, Atrahasis und Utnapishti. Die sumerische Geschichte der Flut erzählt davon, dass die Götter der Menschen überdrüssig werden und sie, trotz Protesten der Schöpferin Nintur, vernichten wollen. König Ziusudra baut daraufhin ein Boot und erhält die Unsterblichkeit: in der Tat bedeutet sein Name “der mit dem langen Leben” (im babylonischen Gilgamesch-Epos heißt der Erbauer der Arche Utnapishti, was “Ich fand das Leben” bedeutet). Diese Geschichte wurde vor 200 v.Chr. von Berossos ins Griechische übertragen; davon sind nur noch Fragmente erhalten, die erzählen, dass Xisuthros im Traum vor einer Flut gewarnt wurde; er solle den Anfang, die Mitte 1.4 Babylonische Mythen 15 und das Ende aller Erzählungen in Sippar begraben und ein Boot bauen. Er befolgte den Befehl und nahm seine Familie und seine Freunde ebenso mit wie Tiere, und ließ nach einer Weile Vögel frei, die aber wieder zurückkamen. Das zweite Mal hatten die Vögel Schlamm an ihren Füßen, und beim dritten Mal kamen sie nicht mehr zurück. Die Arche war in Armenien gelandet; Xisuthros und seine Familie durften bei den Göttern wohnen, die anderen wurden beauftragt, nach Babylonien zurückzugehen, die Schriften auszugraben, und sie unter den Menschen zu verbreiten. Der Atrahasis-Epos beginnt damit, dass die jüngeren Götter, die für die älteren arbeiten müssen, rebellieren. Daraufhin beschließen die älteren Götter, den Menschen zu erschaffen, damit dieser für sie arbeiten kann. Sie opfern einen Gott und erschaffen aus ihm die Menschen; da diese unsterblich sind und sich schnell vermehren, machen sie einen solchen Lärm, dass sie den Göttern den Schlaf rauben. Sie schicken zuerst eine Epidemie und dann Trockenheit, um die Menschheit zu vernichten, aber der Gott Ea (sumerisch Enki), der für die Erschaffung des Menschen verantwortlich war, vereitelt diese Pläne. Der dritte Versuch besteht in der Flut (“am Tage des Neumonds”: an diesem Tag stehen Mond und Sonne in einer Richtung, was auch heute noch für “Springfluten” sorgt), und dieses Mal warnt Ea Atrahasis und befiehlt ihm, eine Arche zu bauen, um sich und die Tiere der Erde zu retten. Letztendlich sind die andern Götter dankbar, dass einige Menschen die Katastrophe überlebt haben, müssten sie sich doch sonst selbst wieder um ihren Lebensunterhalt kümmern. Allerdings “erfinden” sie jetzt den Tod, Kindersterblichkeit und zölibatäre Priesterinnen, um der menschlichen Überbevölkerung Einhalt zu gebieten. Bereits damals gab es Probleme mit der Einhaltung des Zölibats, wie die autobiographische Skizze des ersten akkadischen Herrschers Sargon I beweist: dieser hat etwa um 2200 v.Chr. regiert und erzählte von sich, dass sein Vater unbekannt sei und seine Mutter, eine Priesterin, ihn heimlich zur Welt gebracht habe. Die Geschichte, wonach sie ihn auf einem kleinen Schiffchen auf dem Euphrat ausgesetzt hat, wo ihn jemand herausgefischt und aufgezogen hat, wurde im Alten Testament dann für den Lebenslauf von Moses verwendet. Im Zusammenhang mit der Entdeckung einer Keilschrifttafel, welche einen Bauplan der babylonischen Arche enthielt, hat Irving Finkel ein Buch [13] über diese Entdeckung geschrieben. Der Urvater der Israeliten Abraham stammt der Bibel nach aus der babylonischen Stadt Ur. Die Geschichte der Flut ist bei weitem nicht die einzige Geschichte, die es ins Alte Testament geschafft hat; über die Parallelen zu babylonischen Mythen im Talmud und dem Alten Testament sind ganze Bücher geschrieben worden. Die Entdeckung der sumerischen Schrift Dass die Sumerer nicht nur die Erhaltung der Tierwelt für bedeutend gehalten haben, sondern auch die Bewahrung ihrer Schrift, zeigt, welche Bedeutung sie der Erfindung der Keilschrift und ihrer eigenen literarischen Tradition zugemessen haben. Die Sumerer hatten auch eine Geschichte, die sich um die Erfindung der 16 1. Mesopotamien – Kultur und Geschichte Abb. 1.11. Irving Finkel und die von ihm gefundene Keilschrifttafel mit der Bauanleitung der babylonischen Arche Schrift dreht und auf die Zeit um 2100 v.Chr. zurückgeht. In dem Gedicht “Enmerkar und der Herr von Aratta” schickt Enmerkar, der zweite Herrscher der ersten Dynastie von Uruk, einen Boten nach Aratta, einer Stadt, die durch sieben Berge von Uruk getrennt ist, und fordert die Bewohner von Aratta auf, ihm Gold, Silber, Lapislazuli und andere Edelsteine zu schicken. Der Herrscher von Aratta stellte dem Boden Bedingungen, von denen er glaubte, dass sie nicht annehmbar waren, und schickte den Boten zurück. Dieses Spiel wiederholte sich, und die Bedingungen wurden von Mal zu Mal komplizierter, bis der Bote die zu überbringende Nachricht kaum mehr verstand: Der Bote, dessen Mund schwer war, konnte es nicht wiederholen. Da der Mund des Boten schwer war und er die Nachricht nicht wiedergeben konnte, drückte der Herr von Kulaba etwas Lehm flach und schrieb die Nachricht auf eine Tafel. Zuvor gab es kein Schreiben auf Lehm. Jetzt, unter der Sonne und an diesem Tag, gab es sie. Der Herr von Kulaba schrieb die Nachricht auf eine Tafel. So ist es geschehen. Die Wiederholung von Informationen wie in diesem Gedicht ist typisch bei Geschichten, die zuerst nur mündlich überliefert und erst viel später niedergeschrieben worden sind. Der Adressat, der Herrscher von Aratta, konnte die Tafel problemlos lesen; entweder war die Schrift auf einem andern Medium also bereits zuvor bekannt, oder es handelt sich hier um eine Inkonsistenz, wie sie sich in alten Mythen zuhauf finden lassen. 1.5 Die Entdeckung der mathematischen Kultur Babyloniens 17 1.5 Die Entdeckung der mathematischen Kultur Babyloniens Dass die Babylonier ein Zahlensystem mit der Basis 60 benutzt haben sollen, hatten bereits die Griechen geschrieben, lange bevor Hypsikles und Ptolemäus solche Systeme für ihre astronomischen Rechnungen benutzten. Formaleoni aus Venedig behauptete 1788, dass das Sexagesimalsystem wegen der Einteilung des Jahrs in 360 Tage und wegen der Eigenschaften des regelmäßigen Sechsecks gewählt worden sei. Es war ebenfalls “allgemein bekannt”, dass die Chaldäer die Schrift erfunden hatten. Genaueres wurde aber erst bewannt, nachdem die Keilschrift entziffert worden war. Es war wohl Edward Hincks, der 1854 durch die Untersuchung eines kurzen astronomischen Texts erkannte, dass das Zahlensystem der Babylonier auf der Basis 60 aufgebaut ist. Ebenfalls 1954 übersetzte Rawlinson einen nur teilweise erhaltenen Zylinder, von dem er zeigen konnte, dass er Tafeln von Quadrat- und Kubikzahlen enthielt, die im Sexagesimalsystem geschrieben waren. Die ernsthafte Auseinandersetzung mit der babylonischen Mathematik begann erst, als Ernst Weidner während des ersten Weltkriegs auf einer Keilschrifttafel eine Anwendung des Satzes von Pythagoras erkennt. Am Ende des 19. Jahrhunderts stellte die Universität von Pennsylvania Ausgrabungen in Nippur, bei denen ca. 50 000 Keilschrifttafeln ausgegraben wurden, fast 1000 davon mathematischen Inhalts. Je die Hälfte der Tafeln gingen an die Universität und das Osmanische Reich, also an ein Museum in Istanbul, einige Tafeln erhielt der Leiter der Ausgrabungen, Professor Hilprecht, für sich. Diese letzteren stiftete er nach seinem Tod der Universität Jena, einige davon hatte er in seinem Bericht aus dem Jahre 1906 der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. In den letzten Jahren wurden diese drei Sammlungen untersucht und von Eleanor Robson und Christine Proust [49] veröffentlicht. Die Erkenntnis, dass die Mathematik der Babylonier ein ganz erstaunliches Niveau besessen hat, verdanken wir in erster Linie den Arbeiten von Otto Neugebauer und Thureau-Dangin in den 1930er Jahren. Neben Tabellen von Vielfachen, Quadratzahlen, Reziproken gibt es vor allem reine Aufgabentexte, Aufgabentexte mit Angabe der Lösungen, und Aufgabentexte mit den durchgeführten Rechnungen. Nur wenige Mathematiker des 20. Jahrhunderts haben sich um die Geschichte von Mathematik und Astronomie so verdient gemacht wie Otto Neugebauer. Dieser wurde am 26. Mai 1899 in Innsbruck geboren und studierte nach dem Ende des ersten Weltkriegs in Graz, München und schließlich in Göttingen, dem damaligen Mekka der Mathematik. Neben seinen mathematischen Studien befasste er sich mit Ägyptologie und altorientalischen Sprachen, und an 1928 unterrichtete er Geschichte der Mathematik in Göttingen. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten emigrierte er nach Kopenhagen und 1939 an die Brown Unversity in den USA. Unter Mathematikern ist er heute vor allem als Gründer des Zentralblatts und später der Mathematical Reviews bekannt, also Zeitschriften, in welchen die 18 1. Mesopotamien – Kultur und Geschichte neuesten mathematischen Artikel und Bücher kurz besprochen werden. Neugebauer ist am 19. Februar 1990 in Princeton gestorben. Für uns ist Otto Neugebauer vor allem als Autor der Bücher Mathematische KeilschriftTexte bekannt, die von 1935 bis 1937 erschienen sind, sowie für den Ergänzungsband Mathematical Cuneiform Texts zusammen mit Abraham Sachs (1945). Auch wenn manche seiner Interpretationen babylonischer Mathematik sich als zu mutig herausgestellt haben, hat er doch mehr für die Geschichte der Mathematik getan als viele seiner schärfsten Kritiker. Bereits vor Neugebauer hat sich der französische Altorientalist Jean Geneviève François Thureau-Dangin, (1872–1944), der von 1895 bis 1928 als Chefkonservator am Louvre Experte für babylonische Keilschrifttexte war, um die Übersetzung sumerischer Tafeln verdient gemacht. 1938 erschien sein großes Werk [57] über mathematische Keilschrifttexte aus Babylonien. Nach dem zweiten Weltkrieg hat sich vor allem Evert Marie Bruins (1909–1990) für die Mathematik der Babylonier interessiert. Bruins wurde am 4. Januar 1909 in Woudrichem (Niederlande) geboren und studierte von 1927 bis 1932 Mathematik, Physik und Chemie in Amsterdam. Sein erster Artikel über die Berechnung von Quadratwurzeln in der babylonischen und griechischen Mathematik stammt aus dem Jahre 1948; zwischen 1953 und 1956 nahm er eine Stelle an der Universität von Baghdad an, und 1961 veröffentlich er zusammen mit Marguerite Rutten die Textes mathématiques de Suse [6], eine Sammlung von Keilschrifttafeln, die in Susa (im heutigen Iran) gefunden worden waren. Ein weiterer Mathematikhistoriker, der sich in [58] auch mit babylonischer Mathematik auseinandergesetzt hat, ist Kurt Vogel (1888–1985). Nach dem Abitur in Ansbach studierte er Mathematik und Physik in Erlangen und unterrichtete als Lehrer am Maximiliansgymnasium München und als Professor an der Universität München. Heute ist eine Vielzahl von Wissenschaftlern auf diesem Gebiet aktiv; daneben gab und gibt es eine ganze Reihe interessierter Laien: Johannes Lehmann (1922– 1995) [32] hat 20 Jahre lang die mathematische Schülerzeitschrift alpha geleitet, die in ihren besten Jahren eine Auflage von fast 100 000 Exemplaren (in der ehemaligen DDR) hatte. Weiter hat Peter Rudman, in seiner aktiven Zeit Professor für Physik, eine Leidenschaft für die Geschichte der Mathematik entwickelt und mit [53] ein sehr unterhaltsames und empfehlenswertes Buch über babylonische Mathematik vorgelegt. 2. Das Babylonische Zahlensystem Die Schreibweise der Zahlen hat sich im Lauf der Jahrtausende auch in Babylonien gewandelt. Die Sumerer um 3000 v.Chr. hatten, ähnlich wie viel später auch die Römer, eigene Zeichen für die 1, 10, 60, 600 usw.; daraus wurden die Zahlen additiv zusammengesetzt. Insbesondere konnte man mit endlich vielen Symbolen nicht beliebig große Zahlen schreiben: mit den römischen Zeichen I, V, X, L, C, D, M beispielsweise kommt man bis 5000 oder 10 000 und muss dann für jede neue Zehnerpotenz ein neues Symbol erfinden. Für die Wahl der Grundzahl 60 (anstatt wie bei den Römern 10) dürfte es verschiedene Gründe gegeben haben. Zum einen ist die Zahl 60 durch sehr viele kleine Zahlen teilbar, was den Händlern sehr gelegen kam: wir werden weiter unten bei der Besprechung der babylonischen Maßeinheiten sehen, dass deren Einheiten für Längen, Flächen und Gewichte ebenfalls einen engen Bezug zum Sexagesimalsystem haben. Auf der andern Seite dürfte die Tatsache, dass ein Monat etwa 30 Tage und das Jahr grob 360 Tage hat, auch eine Rolle bei der Wahl des Sexagesimalsystems ebenfalls eine Rolle gespielt haben – Belege dafür zu finden ist natürlich unmöglich, weil sich diese Dinge bereits in Zeiten abgespielt haben, als die Sumerer noch gar keine Schrift entwickelt hatten. Abb. 2.1. Sumerische Zahlzeichen Die Symbole für die Zahlen 1, 10 und 60 gehen auf sogenannte Zählsteine zurück: um den Besitz eines babylonischen Bürgers zu fixieren, hat man in ein Tongefäß kleine Kugeln, Kegel und Zylinder aus Ton gelegt, auf die man das Symbol einer Ziege oder eines Rinds geritzt hat. Einige dieser Zahlen kann man auf den Tafeln in Abb. 1.7 gut erkennen; sie wurden mit einem runden Griffel in den Lehm gedrückt. Als die piktographischen Symbole 500 Jahre später durch Keilschriftsymbole ersetzt wurden, hat man einen eckigen Griffel benutzt, mit dem man Keile und Winkelhaken eindrücken konnte. Nochmal ein halbes Jahrtausend später kam das akkadische System in Gebrauch, 20 2. Das Babylonische Zahlensystem das auf den allermeisten Keilschrifttafeln verwendet wird, und auf das wir weiter unten genauer eingehen werden. Die linke Spalte beginnt mit dem Symbol einer 1, in der zweiten Zeile taucht die Zahl 7 auf. Die Symbole in der rechten Spalte bezeichnen die Zahlen 4 · 36 000, 5 · 3 600, 4 · 600 + 2 · 60, 5 · 10 + 1. Zusammen macht dies 164 571. In der letzten Zeile der rechten Spalte sieht man noch die Zahl 3. Die Erklärung für die dazugehörige Rechnung werden wir unten auf S. 38 liefern. Abb. 2.2. Tontafel aus Shuruppak Unsere heutigen Zahlensymbole kamen auf dem Weg über die Araber von den Indern, die in der zweiten Hälfte des ersten Jahrtausends n.Chr. das Dezimalsystem entwickelten, das wir noch heute benutzen. Wer mehr darüber wissen möchte, sollte einen Blick in das Buch [27] von George Ifrah werfen. Unser heutiges Alphabet geht dagegen auf die Phönikier zurück, einem Volk von Händlern und Seefahrern aus dem Gebiet des heutigen Palästina; deren Idee, jeden Laut durch einen eindeutigen Buchstaben auszudrücken, kopierten die Griechen ebenso wie die Etrusker (die Toskana trägt ihren Namen, und dort findet man auch die wenigen heute noch erhaltenen Überreste ihrer Kultur), von denen es dann die Römer übernahmen. 2.1 Das Sexagesimalsystem auf Tafeltexten Während die Entzifferung der Keilschrift ein schwieriges und langwieriges Unternehmen war, machte das Lesen der babylonischen Zahlen keine großen Probleme. Mit der Einführung der Keilschrift kam auch eine Schreibweise von Zahlen in Gebrauch, die es erlaubte, beliebig große Zahlen darzustellen. Schaut man sich Tafeln an, die im wesentlichen aus Zahlen bestehen, so stellt man schnell fest, dass die Babylonier ihre Zahlen durch Zusammensetzung von nur zwei verschiedenen Symbolen geschrieben haben, nämlich den Keil und den Winkelhaken . Das Symbol taucht dabei allein oder in Gruppen bis zu neun solcher Symbole auf, und es ist nicht schwer zu erraten, dass diese die Zahlen 1 bis 9 repräsentieren. 2.1 Das Sexagesimalsystem auf Tafeltexten 21 Das Symbol dagegen tritt maximal fünfmal nebeneinander auf und bezeichnet die Zehnerzahlen von 10 bis 50. Um mehr über das babylonische Sexagesimalsystem herauszufinden, schauen wir uns wie die ersten Orientalisten Keilschrifttafeln an, die fast ausschließlich aus Zahlen bestehen, also Tabellen mit Quadratzahlen oder Multiplikationstabellen. Quadrattafeln Die Entschlüsselung des von den Babyloniern gebrauchten Sexagesimalsystems geht bereits auf Rawlinson zurück, und zwar hatte er zu diesem Zweck eine von William Loftus in Senkereh (Larsa) gefundene Tafel studiert. Dieser hatte auf seiner Forschungsreise zwei Tafeln mitgebracht; die zweite enthielt auf Vorder- und Rückseite 60 Zahlen samt ihrer Quadrate, die Rückseite der ersten Tafel enthielt entsprechend eine Tabelle von Kubikzahlen. Dieselbe Tafel wurde 1868 von François Lenormant, einem Schüler von Jules Oppert, unterucht. Er veröffentliche seine Ergebnisse auf fast 400 Seiten handschriftlich (das Setzen von Keilschriftsymbolen in Druckereien war in den Anfängen der Assyriologie natürlich kein kleines Problem) in [36]. Wie viele andere längst vergessener Bücher kann man eine digitaler Kopie dieses Werkes auf der Seite www.archive.org finden; außerdem gibt es noch eine Version in der digitalen Sammlung der Bayerischen Staatsbibliothek. Die damalige französische Schule um Oppert, insbesondere auch Lenormant, hatten die Überzeugung gewonnen, die würde neben der 1 auch 50 (und nicht 60) bedeuten, während sie mit Rawlinson darin übereinstimmten, dass die Brüche 1 Vielfache von 60 sind. Dies zwang Lenormant dazu, die Tafel der Quadratzahlen 1 als Quadrate zwischen 60 und 1 zu betrachten. Die allererste Seite gibt einen Ausschnitt aus besagter Tafel wieder. Über diese Tafel schreibt Lenormant: C’est par conséquent, d’après toutes les vraisemblances, le plus ancien monument mathématique qu’aucun pays nous ait conservé. A ce titre il est digne de toute l’attention des savants et mérite une place à part entre les monuments relatifs à l’histoire des connaissances humaines, car seul il nous donne idée des progrès que la science des nombres avait deja faits à une époque aussi reculée chez les habitants de la Chaldée. Aller Wahrscheinlichkeit nach ist dies das älteste mathematische Relikt, das irgend ein Land uns hinterlassen hat. Es ist daher der ganzen Aufmerksamkeit der Wissenschaftler würdig und verdient einen Platz unter den Denkmalen der Geschichte der menschlichen Kenntnisse, denn es gibt uns eine Idee vom Fortschritt, den die Zahlentheorie bereits in einer so weit zurückgehenden Epoche bei den Einwohnern Chaldäas gemacht hat. Die Floskel “der ganzen Aufmerksamkeit der Wissenschaftler würdig” wirkt heute antiquiert, war im 19. Jahrhundert aber gang und gäbe. Wüssten wir also nicht, wie 22 2. Das Babylonische Zahlensystem Abb. 2.3. Auszug aus Lenormants Dissertation alt ein Manuskript ist, könnten wir mit Hilfe solcher linguistischer Mittel das Alter bis auf ein Jahrhundert genau festlegen. Diese Methode spielt für die Datierung von Keilschrifttafeln eine ganz große Rolle: neben den für Zahlen benutzten Symbole kann man babylonische Texte anhand der Sprache (sumerisch bzw. akkadisch) und teilweise mit Hilfe verschiedener Dialekte (auch akkadisch wurde nicht zu allen Zeiten und an allen Orten genau gleich gesprochen oder geschrieben) grob datieren. Die Chaldäer waren ein semitisches Volk, das im 1. Jahrtausend v.Chr. den Süden Mesopotamiens bewohnte und mit den Aramäern verwandt ist. Die älteren Völker wie die Akkader oder gar die Sumerer waren im 19. Jahrhundert noch gänzlich unbekannt. Die Tafel selbst, deren Anfang in Abb. 2.4 zu sehen ist, enthält knapp links von der Mitte eine Spalte, in welcher man ohne große Mühe die Zahlen 1, 2, 3, . . . erkennen kann, die dort als , , usw. auftauchen. Nach der 9, also , kommt mit natürlich die 10, und danach geht es wieder ganz regelmäßig weiter. In der linken Spalte stehen also nacheinander die Zahlen (1), (4), (9), (16), (25) usw., d.h. die Tafel gibt die Quadratzahlen der Zahlen von 1 bis 60 (oder, das kann man anhand der Zahlen allein nicht erkennen, die Quadratwurzeln der Quadratzahlen zwischen 1 und 3600) an. Eine Überraschung erkennt man in der achten Zeile, wo das Quadrat 64 von 8 nicht durch 6 Winkelhaken und eine 4 geschrieben ist, sondern in der Form . Die Zahl 60 wird also durch dasselbe Symbol bezeichnet wie die 1. Das Quadrat 121 = 112 wird dementsprechend wegen 2 · 60 + 1 als geschrieben. 2.1 Das Sexagesimalsystem auf Tafeltexten Abb. 2.4. Auszug aus einer Keilschrifttafel von Lenormant 23 24 2. Das Babylonische Zahlensystem Aufgabe 2.1. Führe die Tabelle der Quadratzahlen bis zu 602 = 3600 fort. Beachte, dass die erste und die letzte Zeile dabei identisch sind, denn dass 2 das 2 Quadrat von ist, kann sowohl 1 = 1 bedeuten als auch 3600 = 60 . Vergleiche das Resultat mit den Tabellen A.1 im Anhang. Wie die Quadrattafeln errechnet worden sind, wissen wir nicht. Es ist allerdings nicht notwendig, jede Zahl von 1 bis 60 ins Quadrat zu erheben: vielmehr kann man die Werte der Quadrate auch erhalten, wenn man, mit 1 beginnend, die ungeraden Zahlen 3, 5, 7, . . . zu den jeweiligen Quadratzahlen addiert: +3 1 +5 4 +7 9 +9 16 25 Hinter dieser Beobachtung steckt die binomische Formel: (n + 1)2 − n2 = n2 + 2n + 1 − n2 = 2n + 1, (2.1) und die Folge von Zahlen der Form 2n + 1 ist einfach die Folge der ungeraden natürlichen Zahlen. Zum Erstellen einer Quadrattafel muss man also nicht einmal multiplizieren können – allerdings erfordert diese Einsicht wohl mehr mathematische Reife als eine einfache Technik zum Multiplizieren zweier Zahlen. Multiplikationstafeln Ebenfalls einfach zu verstehen sind Tabellen mit dem babylonischen “kleinen Einmaleins”, das sich allerdings nicht wie im Dezimalsystem auf Produkte bis 9 · 9 erstreckt, sondern bis 59 · 59 ausgeführt werden muss. Allerdings werden Produkte der Zahlen ab 20 nicht mehr einzeln angegeben; vielmehr beschränkt man sich für Zahlen größer als 20 auf die Produkte von Zehnerzahlen, also von 20, 30, 40 und 50. Betrachtet man die Tabelle auf der Tafel HS 0217 in Abb. 2.5, so wird man schnell zu der Überzeugung kommen, dass in der linken Spalte nacheinander die Zahlen 1, 2, 3, . . . , 9 stehen. Die senkrechten Keile symbolisieren also die Zahlen 1 bis 9. Der horizontale Keil muss dann für die 10 stehen, und die letzte Zahl links unten ist 14 (auf der Rückseite geht es mit 15 weiter, und nach 20 folgen 30, 40, 50 und 60. Die rechte Spalte dieser Tabelle beginnt also mit den Zahlen 9, 18, 27 usw.; dies legt die Vermutung nahe, dass es sich hierbei um eine Tabelle zur Multiplikation mit 9 handelt. Nach 6 · 9 = 54 (also ) kommt 7 · 9 = 63 ( ). Die letzte Zeile in der rechten Spalte der Tabelle steht also für 9 · 14 = 126, und 126 = 2 · 60 + 6 wird geschrieben. Entsprechend steht in der vorletzen Zeile 9 · 13 = 117, was wegen 117 = 60 + 57 als geschrieben wird. Die Rückseite der Tafel präsentiert die Vielfachen der 9 von 15 · 9 bis 20 · 9, sowie das Neunfache von 30, 40 und 50. Damit konnte man dann jede Ziffer des Sexagesimalsystems mit 9 multiplizieren: zur Bestimmung von 34 · 9 liest man aus der Tabelle 30 · 9 und 4 · 9 ab und addiert diese Zahlen. 2.1 Das Sexagesimalsystem auf Tafeltexten Abb. 2.5. Tafel HS 217, Vorderseite und Rückseite 25 26 2. Das Babylonische Zahlensystem Aus Untersuchungen weiterer Tafeln wird klar, dass die Babylonier vor 500 v.Chr. kein Symbol für fehlende Ziffern hatten; in ihrem System konnte also sowohl für die Zahl 1, also auch für 60 oder gar 602 , 603 usw. stehen; der Wert solcher Zahlen musste aus dem Kontext bestimmt werden. Insbesondere wird das Produkt 4 · 15 = 60 im babylonischen System ebenso mit bezeichnet wie die 1. Abb. 2.6. VAT 7858. Wie man hier sehen kann, wurde die Rückseite einer Tafel nach einer Drehung um die horizontale Achse beschriftet, d.h. die Tafeln wurden nicht wie in einem heutigen Buch von links nach rechts gedreht, sondern von oben nach unten. Viele Fälschungen von Keilschrifttafeln (auch solche gibt es) sind daran zu erkennen, dass die Rückseite um die vertikale Achse gedreht wurde. Die Tafel VAT 7858 ist zwar stark beschädigt, allerdings kann man mit wenig Mühe erkennen, dass hier eine Multiplikationstabelle für den Faktor 10 vorliegt; im Dezimalsystem wäre eine solche Tabelle natürlich ebenso überflüssig wie eine Tabelle für die Multiplikation mit 60, also . Hätten die Multiplikationstabellen nur der Multiplikation von Zahlen gedient, dann würden Tabellen der Vielfachen der Zahlen 1, 2, . . . , 9 und der Zehnerzahlen 10, 20, . . . , 50 ausreichen, da man 39 · 54 = (30 + 9)(50 + 4) = 30 · 50 + 30 · 4 + 9 · 50 + 9 · 4 2.1 Das Sexagesimalsystem auf Tafeltexten 27 Abb. 2.7. TMS 4: Multiplikation mit 25 rechnen kann. Tatsächlich hat man aber auch Tafeln mit Vielfachen etwa von gefunden, also von 16 23 , oder, da die Zahl nur bis auf Vielfache von 60 bestimmt ist, auch einfach von 1000. Ein besonders interessantes Tafelwerk ist das altbabylonische Prisma A 7897 ([45, S.24]), auf dessen 13 Flächen eine ganze Sammlung von Multiplikationstabellen eingetragen sind. In der Mitte des Prismas ist ein rundes, gut 1 cm breites rundes Loch; vermutlich war es in einer Tafelhaus drehbar angebracht und diente dem schnellen Nachschlagen von Produkten. Die Existenz der Multiplikationstafeln bedeutet nicht, dass die Babylonier bei jeder Multiplikation ihre Tafeln zu Rate gezogen haben: die wichtigsten Tafeln, wenn nicht gar alle, kannten gute Schreiber sicherlich auswendig. Verwandlung von Zahlen in das Sexagesimalsystem Das Umrechnen von Zahlen aus dem Sexagesimalsystem in das Dezimalsystem ist einfach: die Zahl steht (unter anderem) für 35 · 60 + 17 = 2117. Bei mehrstelligen Zahlen empfiehlt sich eine Technik, die man vor nicht allzu langer Zeit unter dem Namen Horner-Schema kannte: um ins Dezimalsystem umzurechnen, kann man statt 45 · 603 + 1 · 602 + 24 · 60 + 39 = 9 725 079 28 2. Das Babylonische Zahlensystem besser ((((45 · 60) + 1) · 60) + 24) · 60 + 39 = 9 725 079 rechnen. Will man umgekehrt 2117 im Sexagesimalsystem darstellen, muss man wiederholt durch 60 mit Rest teilen: 2117 : 60 = 35, 283 . . ., und 2117 − 35 · 60 = 17 ergibt dann die Darstellung 2117 = 35 · 60 + 17 also . Wenn man die Zahl N = 2020 = 104 857 600 000 000 000 000 000 000 im Sexagesimalsystem darstellen möchte, geht man ebenso vor (vgl. die Rechnung in Abb. 2.8). 1 Da man im babylonischen Sexagesimalsystem 20 nicht von 20 60 = 3 unterschei20 20 den kann, könnte anstatt 20 auf der Tafel auch der Wert von (1/3) angegeben sein, also das Reziproke von 320 . Ich halte dies für wahrscheinlicher, weil es andere Tafeln gibt, auf denen solche Reziproke großer Zahlen ausgerechnet sind, wie wir unten noch sehen werden. Satz 2.1. Um eine Zahl N , die im Dezimalsystem gegeben ist, im System mit der Basis b ≥ 2 darzustellen, dividiert man N wiederholt mit Rest durch b: N = q1 b + r1 , q1 = q2 b + r2 , ... qn−1 = qn b + rn , qn = rn+1 , wo die letzte Zeile andeuten soll, dass qn < b ist. Die Darstellung der Zahl N im System mit der Basis b ist dann (rn+1 rn . . . r2 r1 )b . Die Richtigkeit des Satzes wollen wir uns an einem Beispiel klar machen, indem man nur zweimal durch b teilen muss. Ist nämlich N = q1 b + r1 , q1 = q2 b + r2 und q2 = r3 , dann folgt N = q1 b + r1 = (q2 b + r2 )b + r1 = (r3 b + r2 )b + r1 = r3 b2 + r2 b + r1 . Da die “Reste” r1 , r2 , r3 alle kleiner als b sind, ist dies die Darstellung von N im System mit der Basis b. 2.2 Die Grundrechenarten 29 In diesem Buch wird es nur um das Dezimal- und das Sexagesimalsystem gehen; in der Informatik spielt vor allem das Dualsystem eine Rolle, das auf der Basis 2 aufgebaut ist und nur die Ziffern 0 und 1 besitzt. Hier ist das Erlernen des kleinen Einmaleins ein Kinderspiel, dafür sind die Zahlen recht lang. Um etwa 47 im Dualsystem zu schreiben, müssen wir wiederholt durch 2 mit Rest teilen: 45 = 22 · 2 + 1, 22 = 11 · 2 + 0, 11 = 5 · 2 + 1, 5 = 2 · 2 + 1, 2 = 1 · 2 + 0, 1 = 1, woraus sich die Darstellung 47 = (101101)2 ergibt: in der Tat ist 1 · 25 + 0 · 24 + 1 · 23 + 1 · 22 + 0 · 21 + 1 = 47. Für die Babylonier stellte sich das Problem der Verwandlung von Zahlen ins Dezimalsystem natürlich nicht. Als die Griechen in den letzten Jahrhunderten v.Chr. die babylonische Astronomie entdeckten und deren Daten übersetzten, werden sie um die Frage, wie man die babylonischen Sexagesimalzahlen in die in Griechenland gebräuchliche Notation umwandelt, wohl nicht herumgekommen sein. Letztendlich mussten sie aber einsehen, dass ihr eigenes Zahlensystem (das ähnlich wie das römische funktionierte) dem babylonischen in allen Belangen unterlegen war, und sie führten alle astronomischen Rechnungen im Sexagesimalsystem aus. Deutlich wird das am Bericht über die Messung des Erdradius durch Eratosthenes: dieser hatte durch die Beobachtung der Schattenlänge in Syene und Alexandria herausgefunden, dass der Umfang der Erde etwa 250 000 Stadien waren, und hatte diese Zahl dann auf 252 000 gerundet. Dies lässt sich einfach dadurch erklären, dass 250 000 = 1, 09, 26, 40 = ist, während 252 000 = 1, 10, 00, 00 = sexagesimal in der Tat viel “runder” ist. 2.2 Die Grundrechenarten Die Addition und Subtraktion von Zahlen im Sexagesimalsystem ist kein Problem: und zu addieren, rechnet man 5 + 8 = 13; die Summe endet hat man . Den einen Zehner überträgt man und rechnet 40 + 30 + 10 = also in einer 30 2. Das Babylonische Zahlensystem N = 1 747 626 666 666 666 666 666 666 · 60 + 40, 1 747 626 666 666 666 666 666 666 = 29 127 111 111 111 111 111 111 · 60 + 6, 29 127 111 111 111 111 111 111 = 485 451 851 851 851 851 851 · 60 + 51, 485 451 851 851 851 851 851 = 8 090 864 197 530 864 197 · 60 + 31, 8 090 864 197 530 864 197 = 134 847 736 625 514 403 · 60 + 17, 134 847 736 625 514 403 = 2 247 462 277 091 906 · 60 + 43, 2 247 462 277 091 906 = 37 457 704 618 198 · 60 + 26, 37 457 704 618 198 = 624 295 076 969 · 60 + 58, 624 295 076 969 = 10 404 917 949 · 60 + 29, 10 404 917 949 = 173 415 299 · 60 + 9, 173 415 299 = 2 890 254 · 60 + 59, 2 890 254 = 48 170 · 60 + 54, 48 170 = 802 · 60 + 50, 802 = 13 · 60 + 22, also 2020 = 13, 22, 50, 54, 59, 9, 29, 58, 26, 43, 17, 31, 51, 06, 40 und damit sexagesimal: Diese Zahl findet sich auf der Keilschrifttafel MS 2351. Abb. 2.8. Die Zahl 2020 oder das Reziproke von 320 2.2 Die Grundrechenarten 31 80 = 60 + 20; die gesuchte Summe ist also . Subtraktion macht ebensowenig Probleme; selbstverständlich konnten die Babylonier nur kleinere von größeren Zahlen abziehen: negative Zahlen wurden erst zwei Jahrtausende später erfunden. Ein etwas größeres Beispiel ist folgendes: und Addiere . Wie im Dezimalsystem beginnen wir mit der letzten Ziffer: 26 plus 39 = 65, also schreiben wir und behalten einen Übertrag von . Jetzt kommt 35 + 44 + 1 = 80, also schreiben wir und behalten einen Übertrag von . Schließlich rechnen wir 1 + 12 + 1 = 14 und haben das Ergebnis . Bei der Kontrolle im Dezimalsystem (5726+45 879 = 51 605) müssen wir beachten, dass das Ergebnis 14 · 602 + 20 · 60 + 5 = 51 605 und nicht etwa gleich 14 · 60 + 25 ist! Es sind nur wenige Keilschrifttafel erhalten, aus der wir lernen können, wie die Babylonier multipliziert haben. Die Berechnung von Quadratzahlen jedenfalls wurden im spätbabylonischen Zeitalter wie folgt durchgeführt. Um etwa das Quadrat von 3,24 = zu bestimmen, haben Sie (3, 24) · (3, 24) = (3 · 3, 3 · 24 + 24 · 3, 24 · 24) gerechnet, und zwar in folgendem quadratischen Schema: 3 24 3 10 12 1 21 36 24 11 33 36 Dabei ist 3 · 24 = 72 = 1, 12, sowie 3 · 3 = 9; mit dem Übertrag von 3 · 24 ergibt sich damit 3 · (3, 24) = 10, 12. In der nächsten Zeile ist 242 = 576 = 9, 36, und wegen 24 · 3 = 1, 12 erhalten wir mit Übertrag 24 · 3, 24 = 1, 21, 36. Spaltenweise Addition liefert dann 3, 24 · 3, 24 = 11, 33, 36, oder 2042 = 41616. Wir wollen ein weiteres Beispiel zur schriftlichen Multiplikation im Sexagesimalsystem vorrechnen, nämlich 52 · 100 = 5000. Im Sexagesimalsystem haben wir und zu multiplizieren; das Produkt der “Einerziffern” und ist ; die addieren wir zum Produkt von und und erhalten : In der Tat ist 50 · 602 + 23 · 60 + 20 = 5000. Die Babylonier haben das Quadrieren solch kleiner Zahlen nicht auf Tafeln hinterlassen. Auf der Tafel BM 34 601 (vgl. Abb. 2.9) finden sich Rechnungen, die 32 2. Das Babylonische Zahlensystem sich lange nicht erklären ließen. John Britton kam der Lösung näher, als er eine Zahl auf dieser Tafel als die Zahl [3] 03 13 15 33 54 58 1[9 24 11 01 39] 06 45 = 5 · 348 identifizierte. Abb. 2.9. BM 34601 Da augenscheinlich klar war, dass es sich bei der Tafel um eine Berechnung eines Produkts mehrstelliger Zahlen handelte, muss es bei der Multiplikation um das Produkt zweier Zahlen gegangen sein, deren eine etwa 325 ist und von der die andere die Ziffer 5 enthielt; weitere Möglichkeiten sind, dass die Zahl 347 oder 346 und die entsprechende Ziffer 15 oder 45 gewesen ist. Friberg ([18, S. 456]) hat die Rechnung als die Bestimmung des Quadrats der Zahl 4041740451317455214421209 = 346 erkannt; bei der Multiplikation dieser Zahlen taucht an einer Stelle das Proukt der Zahl mit der Sexagesimalziffer 45 auf. Die komplette Multiplikation lautet also: 2.2 Die Grundrechenarten 33 Die Tafel selbst enthält dagegen nur die Teilprodukte mit den Ziffern 17, 40, 45, 52, 14, 42, 12 und 9; während die Produkte mit den ersten Ziffern weggebrochen sind, fehlen die Produkte mit den Ziffern 13, 17 und 45. Offenbar hatte ein nachlässiger Schreiber eine Tafel mit der korrekten Berechnung von (346 )2 kopiert, dabei aber drei Zeilen vergessen; anders kann man nicht erklären, warum das Endergebnis wieder korrekt ist. Drei Bruchstücke einer Tafel aus dem Britischen Museum Mathieu Ossendrijver (Humboldt Univ. Berlin) hat 2014 drei Bruchstücke einer Tafel aus dem Britischen Museum als Teile einer großen Tafel identifiziert. Die von ihm anfangs untersuchte Keilschrifttafel war das kleine Bruchstück links oben in Abb. 2.10. Diese Tafel BM 34249 ist keine 4cm auf 4cm groß, und auf ihr erkennt man die Zahlen 16, 34, 39 1, 50, 31, 5 12, 16, 47, 10 1, 21, 51, 50 9, 5 1, 0 Die rechten Einerziffern in den Zeilen 3 und 4 sind abgebrochen; die letzte Zeile enthält rechts von der Eins das Zeichen für eine fehlende Ziffer, die erst in der Seleukidenzeit, also nach 300 v.Chr. eingeführt worden ist. Wie soll man ein solches Bruchstück analysieren? Wer ein gutes Gedächtnis hat wird sofort gesehen haben, dass diese Ziffern die Anfangsziffern der Zahl 946 = 78 551 672 112 789 411 833 022 577 315 290 546 060 373 041. aus BM 34 601 ist! Der nächste Schritt war die Suche nach einem weiteren Teil dieser Tafel unter den Tausenden von Bruchstücken, die zur Sammlung des Britischen Museums gehören (es ist durchaus denkbar, dass es in andern Museen weitere Bruchstücke 34 2. Das Babylonische Zahlensystem Abb. 2.10. Zwei der drei erhaltenen Bruchstücke einer Keilschrifttafel davon gibt). Diese Suche förderte zwei weitere Tafeln zutage, nämlich BM 32401 (mit knappp 7 × 5 cm) und BM 34517 (wieder kaum 4 × 4 cm groß). An der Rekonstruktion der Tafel in Abb. 2.11 kann man erkennen, welch kleiner Bruchteil der Tafel überlebt habt, trotz des Anrufs der Götter Bel und Beltiya in der ersten Zeile, dass die Tafel mit ihrem Segen intakt bleiben möge. Ägyptische Multiplikation Außer der oben vorgestellten “schriftlichen” Methode der Multiplikation, die sich auch durch Keilschrifttafeln belegen lässt, sind im Laufe der Zeit eine ganze Reihe weiterer Möglichkeiten zur Multiplikation zweier Zahlen in Betracht gezogen worden. So könnten die Babylonier ihre Nebenrechnungen auf Lehmtafeln geschrieben haben, die sie nach Gebrauch wieder glätteten, oder sie haben gleich im Sand gerechnet. Denkbar ist ebenfalls, dass sie bereits mit Rechensteinen operiert haben, also einer Vorstufe des Abakus. Den Vorschlag, die Babylonier hätten die ägyptische Multiplikation verwendet, die auf wiederholter Verdopplung beruht, halte ich angesichts der Tatsache, dass die babylonische Methode der Multiplikation der ägyptischen haushoch überlegen ist, für nicht sehr glaubwürdig. Dennoch hat sich dieses System des Multiplizierens in verschiedenen Teilen der Welt bis in das späte 20. Jahrhundert hinein erhalten. Um beispielsweise das Produkt 23 · 13 zu berechnen, haben die Ägypter die 23 wiederholt verdoppelt und dann wegen 13 = 1 + 4 + 8 die Zahl 23 zu ihrem 4- und 8-fachen addiert: 1 23 x 2 46 4 92 x 8 184 x 299 2.2 Die Grundrechenarten Abb. 2.11. Rekonstruktion der Keilschrifttafel BM 34249 + BM 32401 + BM 34517 35 36 2. Das Babylonische Zahlensystem in der Tat ist 23 + 92 + 184 = 299 = 23 · 13. Eine Verbesserung dieses Algorithmus ist der folgende: zur Berechnung von 23 · 13 verdoppelt man die erste Zahl und halbiert die zweite (eventuell auftretende Reste vergisst man): 23 13 46 6 92 3 184 1 299 dann addiert man diejenigen Zahlen auf der linken Seite, für welche die Zahl auf der rechten Seite ungerade ist. Damit ist in der Tat 23 · 13 = 23 · 1 + 23 · 12 = 23 · 1 + 46 · 6 = 23 · 1 + 92 · 3 = 23 · 1 + 92 · 1 + 92 · 2 = 23 · 1 + 92 · 1 + 184 · 1. Der Gebrauch dieser Technik bei den Babyloniern ist aber ebensowenig belegt wie die bisweilen anzutreffende Behauptung, die Babylonier hätten Produkte mit Hilfe der Formel a + b 2 a − b 2 − = ab (2.2) 2 2 berechnet. So hätten die Babylonier das Produkt 13 · 15 durch 15 + 13 2 15 − 13 2 13 · 15 = − = 142 − 12 = 195 2 2 bestimmen können. Aufgabe 2.2. Beweise die Gleichung (2.2) a) durch Ausmultiplizieren und b) durch die Anwendung der dritten binomischen Formel. Weniger geheimnisvoll, wenn auch gänzlich anders als vielleicht erwartet, ist die babylonische Methode der Division. Tatsächlich war den Babyloniern, soweit wir das ersehen können, eine unserer schriftlichen Division verwandte Methode wohl unbekannt. Stattdessen haben sie eine Zahkl z.B. durch 5 geteilt, indem sie sie mit der Reziproken von 5, also mit 12, multipliziert haben. Im Dezimalsystem würde der Division durch 5 wegen 2 · 5 = 10 die Multiplikation mit 2 entsprechen: statt 105 : 5 = 21 hätten die Babylonier also 105 · 2 = 210 gerechnet (und dabei die hintere Null nicht gesehen, weil es eine solche bei ihnen nicht gab). Diese Technik der “Division” setzt voraus, dass man in der Lage ist, die Reziproken aller “regulären” Zahlen (also solche, die nur durch 2, 3 oder 5 teilbar sind) zu berechnen. Auf derartige Techniken werden wir im nächsten Abschnitt eingehen. Hier sei nioch erwähnt, dass die griechischen Astronomen (etwa der alexandrinische Astronom Ptolemaios), als sie das Sexagesimalsystem für ihre Rechnungen 2.2 Die Grundrechenarten 37 nutzten, eine schriftliche Methode zur Division besaßen. Eine Darstellung einer solchen Division ist uns aber erst von Theon von Alexandria erhalten (vgl. [59, S. 83]), der beschrieben hat, wie man die Zahl 1515;20,15 durch 25;12,10 dividiert. Die Griechen benutzten dabei die Sexagesimalschreibweise nur für die nicht ganzen Zahlen. Theon geht so vor: aus 1515 : 25 = 60, 6 folgert er, dass der Quotient etwa 60 ist. Division der gegebenen Zahl durch 60 liefert einen Quotienten, der größer ist als 25;12,10. Substraktion von 60 · 25; 12, 10 liefert einen Rest von 3;10,15. Um eine Schätzung des Quotienten zu erhalten, nimmt man die ersten beiden Ziffern 3;10 = 0;190 und teilt durch 25, was etwa 7 ergibt. Zieht man 7 · 25; 12, 10 von 3;10,15 ab, bleibt ein Rest von 0;13,49,50, mit dem man wieder so verfährt. Die Rolle der Sieben Die Tatsache, dass 7 die kleinste natürliche Zahl ist, deren Reziproke man nicht als endlichen Sexagesimalbruch schreiben kann, dürfte für die besondere Rolle der 7 in der babylonischen (und später der jüdischen) Mythologie verantwortlich sein. “Sieben Lügen sind zuviel”, hieß es schon im 3. Jahrtausend v.Chr., und Gilgamesch musste in seinem Epos über sieben Berge gehen (dies hat sich bis heute erhalten: die sieben Zwerge wohnen hinter den sieben Bergen, und man muss über sieben Brücken gehen, nicht über sechs oder acht). Auch in der Astronomie spielt die 7 eine besondere Rolle: das Siebengestirn, die Plejaden, waren ein sehr bekanntes Sternbild; es gibt sieben “Wandelsterne”, nämlich Sonne, Mond und die fünf Planeten; und der Mondmonat ist durch die vier Phasen des Mondes (Neumond, aufgehender Halbmond, Vollmond, abnehmender Halbmond) in vier “Wochen” zu je 7 Tagen eingeteilt; diese babylonische Woche ist letztendlich auch für die Erschaffung der Welt in sieben Tagen im jüdisch-christlichen Glauben verantwortlich. Die Juden lernten den babylonischen Kalender während der Zeit der “babylonischen Gefangenschaft” kennen, aus der sie erst von Kyros wieder entlassen wurden; auch die heutigen hebräischen Namen für die 12 Monate sind babylonischen Ursprungs. Wenn Divisionen durch 7 ausgeführt werden mussten, behalfen die Babylonier . Angesichts der Tatsasich mit der Näherung 71 = 0; 8, 34, 17 = che, dass die Babylonier Reziproke von Zahlen mit sehr vielen Sexagesimalstellen berechnet haben, ist es ziemlich verwunderlich, dass es keine Versuche gab, die Reziproke von 7 genauer zu bestimmen. Der einzige Grund für das Fehlen solcher Rechnungen, den ich mir vorstellen kann, ist dass die Babylonier wussten, dass das Reziproke von 7 keine endliche Sexagesimaldarstellung besitzt. Hätte 17 eine endliche Sexagesimaldarstellung mit etwa n Sexagesimalziffern, dann wäre 60n /7 eine ganze Zahl, also 60n durch 7 teilbar. Haben die Babylonier also gesehen, dass das nur der Fall sein kann, wenn 60 durch 7 teilbar ist? Auf der Tafel YBC 10 529 (sh. [45, ], [59, S. 70]) finden sich Approximationen der Reziproken aller Zahlen von 50 bis 80, unter anderem 38 2. Das Babylonische Zahlensystem Auf einer von bereits 1937 von Raymond Jestin untersuchten Keilschrifttafel (sh. Abb. 2.2 und [23]), die offenkundig noch die sumerischen Zahlensymbole vor der Einführung des Sexagesimalsystems benutzt, sollen 1 152 000 sila (eine Raumeinheit, die grob einem Liter entspricht) Getreide so an Männer aufgeteilt werden, dass jeder von ihnen 7 sila bekommt. Das Ergebnis der Rechnung wird mitgeteilt: das Getreide reicht für 164 571 Männer, und es bleiben 3 sila übrig. Auf der Seite mesocalc lassen sich Dezimalzahlen in Sexagesimalzahlen umwandeln und die Grundrechenarten ausführen. Man kann die Webseite auch herunterladen und offline verwenden. 2.3 Reziprokentafeln Zu den Keilschrifttafeln, die weniger leicht zu enträtseln sind als einfache Tabellen von Produkten oder Quadratzahlen, gehört die Tafel MS 3874 in Abb. 2.12. Ab der dritten Zeile stehen an zweiter Stelle Zahlen, die wir ohne Mühe als 3, 4, 5, 6, 8, . . . , 30 entziffern. Die fehlenden Zahlen sind 7, 11, 13, 14 und einige , weitere. In der rechten Spalte stehen die Zahlen 20, 15, 12, 10, und dann was eigentlich 7 · 60 + 30 entspricht, aber so gar nicht in die Folge der Zahlen 1 passen will, die von 20 an abnehmen. Tatsächlich muss diese Zahl als 7 + 30 60 = 7 2 gelesen werden: die babylonische Mathematik hat notationell nicht zwischen 1 oder 1 bezeichnet, und man 60 oder 60 unterschieden: alle diese Zahlen wurden mit musste die Bedeutung aus dem Kontext ableiten. Schaut man sich die Zahlen nun genauer an, so stellt man fest, dass das Produkt der Zahlen in der zweiten und in der letzten Spalte immer 60 ergibt. Dies erklärt das Fehlen der Zahlen 7 und 11 usw.: die Zahl 60 ist nicht durch 7 oder 11 teilbar. Genausogut könnten wir aber sagen, das Produkt dieser Zahlen sei 1, da es notationell keinen Unterschied zwischen 1 und 60 gibt: steht dann für 20 1 1 30 für 60 = 3 . In dieser Interpretation enthält jede Zeile einen Teiler 60 = 2 und der 60 und ihr Reziprokes. Die Tafel MS 3874 ist also eine Reziprokentafel, die zu jeder “regulären Zahl” (das sind Zahlen, die nur durch 2, 3 oder 5 teilbar sind) 1 2 deren reziproke Zahl angibt. Die letzte Zeile lautet daher 30 = 60 , die vorletzte 2 13 20 1 dagegen 27 = 60 + 60 + 603 . Es macht nun keinerlei Probleme mehr, die Tafel nachzurechnen. Interessanter ist aber die Frage, wie man diese Werte errechnet. Eine Möglichkeit, die Standardtabelle der Reziproken zu berechnen, ist folgende: ausgehend von 2 = 30 (wir bezeichnen das Reziproke einer Zahl n im Folgenden durch Überstreichen: n = n1 ) erhält man durch verdoppeln der ersten und gleichzeitiges halbieren der zweiten Zahl 2.3 Reziprokentafeln 39 Abb. 2.12. MS 3874 4 = 0; 15, 8 = 0; 7, 30, 16 = 0; 3, 45 32 = 0; 1, 52, 30 usw. Um 3,45 zu halbieren, nimmt man sich eine 1 von der 3 und schiebt sie als 60 in die nächste Stelle: 3,45 = “2,105”; weil 105 ungerade ist, nehmen wir wieder eine 1 und schieben sie als 60 in die nächste Stelle; dann haben wir 2,104,60 zu halbieren und erhalten 1,52,30 oder, wenn wir das “Komma” wieder richtig setzen, 0;01,52,30. Auf diese Art und Weise ist das Halbieren von Sexagesimalzahlen ein Kinderspiel. Aufgabe 2.3. Berechne 15 16 durch fortgesetztes Halbieren im Dezimalsystem. Entsprechend erhalten wir ausgehend von 3 = 0; 20 nacheinander 6 = 0; 10, 12 = 0; 5, 24 = 0; 2, 30 und 48 = 0; 1, 15. Auf dieselbe Art folgen aus 5 = 12 die Reziproken von 10, 20 und 40. Weiter ist 2 9 = 32 , also 9 = 3 = 0; 6, 40 wegen 202 = 400 = 6, 40. Daraus wiederwum folgen die Reziproken von 18 und 36, und eine ähnliche Vorgehensweise liefert endlich die noch fehlenden Reziproken von 25 = 52 , 27 = 33 und 54. Eine andere Möglichkeit, wie wir die Reziproke von 27 ausrechnen können, 1 1 dieselbe Sexagesimaldarstellung besitzt wie 27 · 60n für ist die folgende: da 27 40 2. Das Babylonische Zahlensystem eine geeignete Potenz von 60, können wir den Nenner durch Multiplikation mit 1 einer solchen Potenz einfach beseitigen. Offenbar ist 27 · 603 = 8000, und die Standardmethode zur Transformation in das Sexagesimalsystem liefert nun 8000 = 133 · 60 + 20, 133 = 2 · 60 + 13, also 8000 = (2 · 60 + 13) · 60 + 20 = 2 · 602 + 13 · 60 + 20. Die Sexagesimaldarstellung 1 ist also wie erwartet. von 27 A.J. Sachs [54] entschlüsselte 1947 eine Methode zur Berechnung von Reziproken, die auf der Tafel VAT 6505 enthalten war. Seine Transkription der Tafel sieht so aus: 1. 2,[13],20 ist das igum. [Was ist das igibum?] 2. [Du, wenn du rechnest,] gehe so vor: 3. Nimm das Reziproke von 3,20; [du findest 18] 4. Multipliziere 18 mit 2,10; [du findest 39] 5. Addiere 1; du findest 40. 6. Nimm das Reziproke von 40; [du findest] 1,30. 7. Multipliziere 1,30 mit 18, 8. du findest 27. Das igibum ist 27. 9. So geht die Methode. Was passiert hier? Mit igibum bezeichneten die Babylonier das Reziproke der Größe, die sie igum nannten. Es ist also das Reziproke der Zahl = 2, 13, 20 = 8 000 zu berechnen. Dazu schreibt man die Zahl 2,13,20, als Summe des Hauptteils 2,10,0 und des Rests 3,20, und multipliziert den Hauptteil mit dem Reziproken des Rests, der natürlich so gewählt sein muss, dass er ein Reziprokes besitzt, das man in den Tafeln nachschlagen kann oder auswendig weiß. Im Falle von 3,20 = 200 ist das Reziproke 18 wegen 18 · 200 = 602 , und das Produkt des Hauptteils 2,10 mit dem Reziproken 18 ist 39 (wir kümmern uns wie die Babylonier nicht um die richtige Setzung des Kommas, unterscheiden also nicht zwischen 2,10,0 und 2,10). Addition von 1 ergibt 40, und das Reziproke von 40 ist 1,30 (Kopfrechnen: 60 3 1 40 = 2 = 1 2 = 1, 30). Dieses Ergebnis wird wieder mit 18 multipliziert, was 27 ergibt, und das ist in der Tat das Reziproke von 2,13,20 wegen 8000 · 27 = 603 . Auf den ersten Blick ist kaum zu glauben, dass nach all der seltsamen Rechnerei tatsächlich das richtige Ergebnis herauskommt – was um alles in der Welt geht hier vor? Hinter der babylonischen Technik steckt eine ganz einfache Formel; es 2.3 Reziprokentafeln 41 ist vermutlich ein offenes Problem herauszufinden, wie die Babylonier auf diese Methode gekommen sind. Durch zufälliges Rechnen mit Zahlen wird das kaum möglich sein. Um nachvollziehen zu können, was sich hinter der babylonischen Methode verbirgt, bezeichnen wir das Reziproke einer Zahl mit n1 ; das geht etwas am Kern der Methode vorbei, weil unsere moderne algebraische Schreibweise die sexagesimalen Kommaverschiebungen (also das Weglassen von Potenzen der 60) nicht wirklich widerspiegeln kann. Mathematisch steckt aber folgendes dahinter: Um das Reziproke von n = a + b zu finden, multiplizieren wir a mit dem Reziproken von b und n erhalten a · 1b = ab . Addition von 1 liefert ab + 1 = a+b b = b . Das Reziproke hiervon b ist n , und wenn wir dieses mit dem Reziproken von b multiplizieren, erhalten wir b 1 1 n · b = n , also das Reziproke von n. Satz 2.2. Das Reziproke von der regulären Zahl a + b mit dem regulären Ende b lässt sich über 1 1 1 = a · a+b + 1 b b berechnen. Aufgabe 2.4. Berechne das Reziproke von mit der babylonischen Methode. Aufgabe 2.5. Berechne das Reziproke von thode. mit der babylonischen Me- Zur Beschaffung eines hinreichend großen Zahlenmaterials gingen die Babylonier von einem kleinen Paar reziproker Zahlen aus, etwa 2,5 und 28,48; dann verdoppelten sie die Zahl links wiederholt, während sie gleichzeitig die Zahl rechts hablierten: 2, 5 28,48 4,10 14,24 8,20 7,12 16,40 3,36 33,20 1,48 1,06,40 54 2,13,20 27 Um beispielsweise 7,12 zu halbieren bringt man 1,00 = 60 nach rechts und denkt sich die Zahl als 6,72; deren Hälfte ist dann 3,36. Halbieren ist damit eine einfache Kopfrechenübung, die ebenso leicht zu erledigen ist wie das fortgesetzte Verdoppeln. Zur Bestimmung der Reziproken etwa von 1,06,40 setzen wir b = 6, 40, die Reziproke davon ist 9 (mit etwas Übung erkennt man derartige Reziproken kleiner Zahlen sehr schnell). Also bestimmen wir das Produkt von 1 und 9 und erhalten 42 2. Das Babylonische Zahlensystem 9; Addition von 1 ergibt 10, die Reziproke von 10 ist 6. Damit erhalten wir die Reziproke der Ausgangszahl als Produkt von 6 und 9 zu 54. Hätten wir dagegen den Ansatz a = 1, 06 und b = 40 versucht, so wäre die Rechnung wie folgt verlaufen: Die Reziproke von 40 ist 1,30; Multiplikation von 1,06 mit 1,30 ergibt 1,39. Mit dem neuen Ansatz a0 = 1, 30 und b0 = 9 finden wir die Reziproke 6,40 von 9, und das Produkt von 1,30 und 6,40 ist 10. Die Reziproke von 10 ist 6, Addition von 1 ergibt 7, aber diese Zahl hat keine Reziproke. In der Tat ist 1,06 = 66 nicht regulär, sodass unser Ansatz von vornherein zum Scheitern verurteilt war. Die Tafel YBC 4704 Auf der altbabylonischen Tafel YBC 4704 ([45, S.16]) finden sich die Reziproken von drei großen Zahlen, nämlich von Die dazugehörigen Reziproken sind Das Geheimnis dieser Zahlen enthüllt sich, wenn man sich deren Primfaktorzerlegung ansieht: die drei Zahlen sind 10 · 314 , 10 · 316 und 324 . Haben sich die babylonischen Schreiber davon überzeugen wollen, dass Zahlen dieser Form immer eine abbrechende Sexagesimaldarstellung besitzen? Auch die Frage, wie die Babylonier diese Werte errechnet haben könnten, ist interessant. Die Reziproken der ersten Potenzen von 3 sind 31 32 33 34 3 0; 20 9 0; 6, 40 27 0; 2, 13, 20 81 0; 0, 44, 26, 40 Division durch 3 im Sexagesimalsystem ist dasselbe wie Multiplikation mit 20; die Babylonier werden diese Werte also wohl durch fortgesetzte Multiplikation mit 20 erhalten haben. Wenn man die Tabelle der Vielfachen von 20 beherrscht, ist das kein Problem: 202 = 400 = 6 · 60 + 40; 40 · 20 = 800 = 13 · 60 + 20, schreibe 20, behalte 13, (6 · 20 + 13 = 2 · 60 + 13, also 203 = 2, 13, 20. Auf der andern Seite ist die Division durch 3 nur unwesentlich komplizierter im Kopf durchzuführen als das Halbieren: um etwa 6,40 durch 3 zu teilen, wird die 40 durch 39 + 1 ersetzt und die 1 als 60 in die nächste Sexagesimalstelle verfrachtet. Also ist ein Drittel von 6,40 gleich einem Drittel von 6,39,60 und damit gleich 2,13,20. 2.3 Reziprokentafeln 43 Arithmetische Rechnungen Es gibt viele Tafeln, die in offenkundigem Zusammenhang mit Reziproken stehen, deren Bedeutung sich uns bisher aber nicht vollständig erschlossen hat. Ein Prototyp einer solchen Tafel ist YBC 11127 (sh. [45, S. 15] und [58, S. 32]). Der Inhalt der etwa 9 × 8 cm großen Tafel ist schnell erklärt (vgl. Abb. 2.13): 1 1 2 2 2 30 1 2 3 20 40 2 4 15 30 2 5 12 24 2 6 10 20 2 4,54 Abb. 2.13. YBC 11127 Die erste Spalte enthält die ersten sechs regulären Zahlen, die zweite deren Reziproke; die dritte Spalte erhält man, indem man die Zahlen in der zweiten Spalte mit dem konstanten Faktor 2, der in Spalte vier angegeben ist, multipliziert. Die Zahl rechts oben gibt die Summe der Zahlen in der dritten Spalte an: in der Tat ist 1 1 1 1 1 9 54 49 1+ + + + + =4 =4 . ·2= 2 3 4 5 6 10 10 60 Worum es dabei wirklich geht, ist meines Wissens nach noch nicht geklärt. Vielleicht war es eine Art Standardaufgabe beim Unterricht des Bruchrechnens für Anfänger? Teilbarkeitsregeln Auf der altbabylonischen Keilschrifttafel MS 2242 finden sich folgende Zahlen: Alle diese Zahlen enden auf , also auf 225. Dies bedeutet, dass die Zahl bei der Teilung durch 602 den Rest 225 lässt. Weil auch 602 durch 225 teilbar ist, muss die ganze Zahl durch 225 teilbar sein, also durch . Eine analoge Regel im Dezimalsystem besagt, dass jede Zahl, die im Dezimalsystem auf 25 endet, auch 44 2. Das Babylonische Zahlensystem durch 25 teilbar ist, weil sie bei der Teilung durch 102 = 100 den Rest 25 lässt und sowohl 102 als auch 25 durch 25 teilbar sind. Wenn die Aufgabe also gelautet hat, die Zerlegung der regulären Zahl in der ersten Zeile zu finden, dann hätte der Schreiberlehrling gewusst, dass die Zahl durch teilbar ist; die Reziproke dieser Zahl ist 16, und Multiplikation der , gegebenen Zahl mit 16 ergibt die zweite Zahl. Da diese ebenfalls auf ergibt. Dies bedeutet, dass wird dieses Spiel fortgesetzt, bis sich am Ende die Ausganszahl gleich 156 = 36 · 56 ist. 2.4 Das Babylonische Maßsystem Wer glaubt, das Umrechnen von Quadratmetern in Quadratzentimeter sei eine intellektuelle Leistung, die man als Schüler nicht mehr zu erlernen braucht, weil die neueste Generation der Taschenrechner entsprechende Tasten besitzen, wird sich wundern, wenn er sieht, was man babylonischen “Söhnen des Tafelhauses” zugemutet hat. Dass unser Maßsystem im Vergleich zum babylonischen von geradezu kindlicher Einfachheit ist verdanken wir den Franzosen, die im Zuge ihrer Revolution am Ende des 18. Jahrhunderts beschlossen haben, konsequent Längen- und Gewichtsmaße einzuführen, die auf dem Dezimalsystem beruhen: aus der Grundeinheit Meter lassen sich dann Zentimeter, Millimeter und Kilometer auf dieselbe Art und Weise zurückführen wie Milligramm und Kilogramm auf das Gramm. Dass sie es dabei etwas zu gut meinten und auch die Zeit dezimalisieren wollten, indem sie jedem Monat genau 30 Tage gaben und diese in drei Wochen zu je 10 Tagen einteilten, darüberhinaus den Tag in 10 Stunden, jede Stunde in 100 Minuten und jede Minute in 100 Sekunden, hat das Volk nicht beeindruckt: zwar wurden einige Uhren mit einem Ziffernblatt von 10 Stunden hergestellt, aber die Tatsache, nun nur noch jeden zehnten Tag arbeitsfrei zu haben, hat die Freude an der Umsetzung der Dezimalisierung der Zeit doch arg gedämpft. Auch vor der Abschaffung der Einteilung des Winkels in 360◦ sind die Revolutionäre nicht zurückgeschreckt: sie haben auch dem rechten Winkel statt 90◦ den dezimalen Wert von 100 Neugrad gegeben. Auch diese Idee versank schnell wieder in der Versenkung und wurde erst wieder ausgegraben, als die Taschenrechnerhersteller beschlossen, für dieses heute nicht mehr gebrauchte Winkelmaß neben Grad (degree) und Bogenmaß (radian) eine Taste auf jedem Rechner zu reservieren (nämlich grad). Das metrische System wurde peu à peu in vielen anderen Ländern eingeführt und ist heute Standard in allen Ländern der Welt mit Ausnahme von Liberia und den USA. In England wurden die alten “imperialen Einheiten” 1971 durch das metrische System ersetzt. Ein inch ist 2,54 cm lang; 12 inch ergeben einen Fuß, 3 Fuß ein yard, 22 yard eine chain, 10 chains ein furlong und 8 furlong eine Meile, die etwa 1,609 km entspricht. Auf der See wurden Längen dagegen in Faden und Seemeilen gemessen. Das Volumen hatte von der Länge unabhängige Einheiten: ein gallon entspricht 4,546 Liter, daneben gab es quarts (ein Viertel einer gallon), pints (ein Achtel gallon, mit 0,568 l also etwas mehr als ein halber Liter, auch 2.4 Das Babylonische Maßsystem 45 heute noch die gebräuchliche Einheit bei Bier) und für die kleinen Mengen Unzen (fluid ounces), die den 160ten Teil einer gallon bezeichnen; die entsprechenden US-Einheiten haben dieselben Namen, aber leicht andere Werte. Das babylonische System der Maße ist ähnlich verwirrend wie das britische, weil es doch etwas mehr System enthält. Dennoch hat das Erlernen des Umrechnens der Maßeinheiten ineinander einen großen Teil der ersten Ausbildung der Schreiberlehrlinge eingenommen. Die einfachsten Längeneinheiten der altbabylonischen Periode sind • še (Gerstenkorn, etwa 28 mm) • 6 še sind ein šu-si (Finger, etwa 1,7 cm) • 30 šu-si sind ein kuš (Elle, etwa 50 cm) • 6 kuš sind ein gi (Schilfrohr, etwa 3 m) • 2 gi sind ein GAR, also etwa 6 m • 10 GAR sind ein TIR (Seil, etwa 60 m) • 6 TIR sind ein UŠ, also etwa 360 m. Die Grundeinheit der Fläche ist das SAR (Beet), was einem Quadrat-GAR 1 eines SAR, und der 180te Teil entspricht, also etwa 36 m2 . Ein gin (0,6 m2 ) ist 60 eines gin ist das še. Auch die kleinste Gewichtseinheit wurde še genannt; 180 še sind ein gin (Schekel), 60 gin ein mina (Mine). Diese Gewichtseinheiten wurden auch für Silber gebraucht; dieses diente als Zahlungsmittel, und 60 Minen ergaben ein Talent. Um die Tafel von Shuruppak (Abb. 2.2) zu verstehen, benötigen wir auch Hohlmaße. Ein sila ist etwa 1 Liter, der aus 60 gin besteht, und jedes gin aus 180 še (das Gerstenkorn musste für viele kleine Maßeinheiten herhalten). Die Tafel stammt etwa von 2500 v.Chr., und die Aufgabe besteht darin, ein Silo Getreide so zu verteilen, dass jeder Mann 7 sila bekommt. Man nimmt an, dass ein Silo 2400 gur und ein gur (damals) 480 sila entsprochen haben. Tatsächlich hat man das komplette Maßsystem der Babylonier im wesentlichen aus den auf derartigen Tafeln angegebenen Rechnungen herausgelesen. SAR war auch das sumerische Wort für 3600; weil es durch den Kreis dargestellt wurde, konnte es auch einen solchen symbolisieren. Als Edmund Halley ein Wort für den etwa 18-jährigen Zyklus suchte, in dem sich Sonnen- und Mondfinsternisse wiederholen, benannte er es nach dem von den Griechen aus dem Babylonischen entlehnten Wort “saros” (σαρoς) den Saroszyklus. Diesen Zyklus hatten die Babylonier spätestens um 700 v.Chr. entdeckt. Dem ersten griechischen Mathematiker Thales wird die Vorhersage einer Sonnenfinsternis in Kleinasien zugeschrieben, was man lange Zeit nicht geglaubt hat, weil die griechische Astronomie damals noch gar nicht so weit entwickelt war, um eine derartige Vorhersage zu erlauben. Da Thales aber seine Kenntnisse von Reisen nach Ägypten und Mesopotamien mitgebracht 46 2. Das Babylonische Zahlensystem hatte, scheint eine solche Vorhersage durchaus im Bereich seiner Möglichkeiten gelegen zu haben. Ein anderes von den Griechen aus dem Babylonischen entlehntes Wort ist “sossos” (σωσσoς); das babylonische “soss” konnte sowohl 16 als auch 60 bedeuten, was damit erklärt wird, dass der sechste Teil eines Jahres etwa 60 Tage sind. Man kann dies durchaus als Hinweis darauf verstehen, dass die Entstehung des Sexagesimalsystems durchaus etwas mit den etwa 360 Tagen im Jahr zu tun gehabt haben könnte. Übungen 2.1 Verwandle folgende Zahlen ins Dezimalsystem: a) b) c) d) e) f) 2.2 Verwandle folgende Zahlen ins Sexagesimalsystem: 12; 153; 1 024; 2 844; 10 000. 2.3 Verwandle folgende Brüche ins Sexagesimalsystem: 1 1 1 1 , , , , 5 , 7 , 17 . 2 4 5 6 12 20 36 2.4 Erstelle eine Tafel für die Reziproken der 2er-Potenzen von 21 = 2 bis 210 = 1024. 2.5 Führe die 9er-Multiplikationstabelle bis einschließlich 20 · 9 fort. 2.6 Worum handelt es sich bei der folgenden Tafel? 2.4 Das Babylonische Maßsystem 47 2.7 Kontrolliere die folgenden Tafel: Zwischen 18 und 20 steht hier übrigens keine 21, sondern das Symbol für 20 − 1: wie später die Römer, die 19 bisweilen in der Form XIX statt XVIIII geschrieben haben, kam auch bei den Babyloniern die subtraktive Schreibweise von Zahlen schon vor. 2.8 Erstelle ähnliche Multiplikationstabellen für die andern Zahlen zwischen 1 und 10. 2.9 Was ist auf der folgenden Tafel gerechnet? 2.10 Erkläre die folgende Tafel (YBC 7354) (vgl. [45, S.17]): 48 2. Das Babylonische Zahlensystem 2.11 Bestimme die Reziproken der Zweierpotenzen von 1/2 bis 1/210 . Gibt es eine Möglichkeit, solche Tafeln ohne große Mühe zu berechnen? Erstelle ähnliche Tafeln für die Reziproken von 3n , 5n , 2 · 5n usw. 2.12 Die einfachsten periodischen Dezimalbrüche sind wohl die Vielfachen von 19 = 0, 1111 . . .. Wie sieht das Reziproke von 59 im Sexagesimalsystem aus, wie seine Vielfachen? 2.13 Sexagesimalzahlen, die auf 12, 24, 36 oder 48 enden, sind durch 12 teilbar. Auf der Tafel MS 2242 findet sich eine Rechnung, die mit der Zahl = 3 11 06 10 42 48 57 36 beginnt. Teile diese Zahl so lange durch 12 (durch wiederholte Multiplikation mit 5), bis man die Faktorzerlegung dieser Zahl ablesen kann. 3. Babylonische Algebra: Lineare Probleme Mit “babylonischer Algebra” sind im folgenden Techniken gemeint, mit deren Hilfe die Babylonier Probleme gelöst haben, die wir durch das Lösen von Gleichungen mit einer oder mehrerer Unbekannten behandeln würden. Da den Babyloniern die algebraische Schreibweise noch gänzlich unbekannt ist, mussten sie für jeden Aufgabentyp ein eigenes Rezept entwickeln. Man nimmt an, dass sie sich dabei von einfachen geometrischen Vorstellungen haben leiten lassen. 3.1 Lineare Gleichungen Auf der Tafel YBC 4652 (sh. [45, S. 100-102] und [58, S. 45–46]) sind eine Reihe von Problemen nebst der Angabe ihrer Lösungen enthalten. Die ersten sechs Probleme sind so unvollständig erhalten, dass sie nicht rekonstruiert werden können; sie drehen sich aber wie alle andern Aufgaben auch um die Bestimmung des Gewichts eines Steins. Die Aufgaben sind, wie auf vielen anderen Lehrtexten auch, nach steigendem Schwierigkeitsgrad angeordnet. Das siebte Problem lautet: Ich fand einen Stein. Ich habe ihn nicht gewogen. Ich habe ein Siebtel addiert, dann ein Elftel; er wog eine Mine. Ein Vergleich mit der Lösung zeigt, dass damit folgendes gemeint war: zum unbe1 des kannten Gewicht x eines Steines wird 71 des Gewichts addiert. Dann wird 11 neuen Gewichts dazu gezählt, und am Ende hat man ein Gewicht von einer Mine. Wir schreiben dies als Gleichung x 1 x x+ + x+ = 60, (3.1) 7 11 7 wobei wir 1 Mine durch 60 gin ersetzt haben. Mit den heutigen Mitteln der Algebra ist die Lösung kein Problem. Ohne Nachdenken und mit reinem Rechnen erhalten wir durch Auflösen der Klammern x x x + = 60, x+ + 7 11 77 also nach Multiplikation mit 77 77x + 11x + 7x + x = 4620, 50 3. Babylonische Algebra: Lineare Probleme was auf 96x = 4620 und damit auf x = 48 18 . Der Stein wog daher 48 18 gin, was mit der angegebenen Lösung von 32 Mine 8 gin 22 12 še übereinstimmt (wir erinnern daran dass 1 Mine 60 gin und 1 gin gleich 180 še sind). Mit etwas weniger Rechnung kommt man aus, wenn man den Term x + x7 x + x7 ausklammert: dann folgt also 12 11 1+ x 1 x+ = 60, 11 7 · 87 x = 60. Multiplikation mit den Reziproken liefert x= 11 7 1 · · 60 = 48 12 8 8 wie oben. Die Substitution z = x + x7 hätte im wesentlichen dieselbe Rechnung geliefert. Die weiteren Probleme sind die folgenden: 8. Ich fand einen Stein. Ich habe ihn nicht gewogen. Ich subtrahierte ein Siebtel und dann nocheinmal ein Dreizehntel und wog ihn: 1 Mine. Wiewiel wog der Stein? Antwort: 1 Mine 15 5 6 gin. 9. Ich fand einen Stein. Ich habe ihn nicht gewogen. Ich subtrahierte ein Siebtel, addierte ein Elftel und subtrahierte dann nocheinmal ein Dreizehntel: 1 Mine. Wiewiel wog der Stein? Antwort: 1 Mine 9 12 gin 2 12 še, Die dazugehörigen Gleichungen sind also x 1 x − x− = 60; 7 13 7 x 1 x 1 x 1 x x− + x− − x− + x− = 60. 7 11 7 13 7 11 7 x− (3.2) (3.3) Vielleicht haben die Babylonier solche Schachtelgleichungen mit “Substitution” gelöst: setzt man in der letzten Gleichung die letzte Klammer, also das Gewicht des Steins, bevor man ein Dreizehntel wegnimmt, gleich z, so lautet das Problem z 13 z − 13 = 60, oder 12 13 · z = 60. Dies ergibt z = 12 · 60 = 65, d.h. der Stein wog vor der Subtraktion des Dreizehntels 65 gin. Setzt man jetzt das Gewicht des Steins w vor der Addition des Elftels gleich w, so ist w + 11 = 65, also w = 11 12 · 65. Damit x 11·65 7·11·65 37 1 ist x − 7 = 12 und endlich x = 6·12 = 69 72 , was wegen 69 37 = 60 + 9 12 + 72 72 1 5 1 1 1 und 72 = 2 · 180 gleich 1 Mine, 9 2 gin und 2 2 še sind. Dabei soll der Gebrauch des Wortes “Substitution” nicht bedeuten, die Babylonier hätten eine Bezeichnung für Unbekannte oder eine algebraische Notation besessen. Im Falle der Gleichung (3.2) beispielsweise hätten sie zur Lösung so vorgehen können: hat man vom Stein ein Siebtel weggenommen, und subtrahiert man dann ein Dreizehntel, dann hat man noch 12 13 vom Stein, von welchem man ein 3.2 Die Methode des falschen Ansatzes 51 13 Siebtel subtrahiert hat. Dieser wiegt dann 12 von 60, also 65 gin. Da dies nur 67 7 vom ursprünglichen Stein sind, muss dieser 6 · 65 = 455 6 gin gewogen haben. Eine andere Möglichkeit, solche Schachtelgleichungen zu lösen, ist die Methode des falschen Ansatzes, der im Mittelalter bei derartigen Aufgaben oft angewandt wurde, und den wir als nächstes vorstellen werden. 3.2 Die Methode des falschen Ansatzes Die Methode des falschen Ansatzes ist schnell erklärt. Nehmen wir an, wir haben eine Gleichung wie x x + = 60 3 5 zu lösen. Setzen wir x = 15 (um links einen ganzzahligen Ausdruck zu erhalten, ergibt sich 8 statt 60. Wir müssen also unseren Ausgangswert mit 60 8 multiplizieren, 1 = 112 zu erhalten. um die richtige Lösung x = 15 · 60 8 2 Satz 3.1. Sei f (x) = ax eine lineare Funktion; um die Gleichung f (x) = b zu lösen, setzt man x = x0 · f (xb 0 ) , d.h. man wählt den “falschen Ansatz x = x0 und korrigiert den Ansatz mit dem Korrekturfaktor f (xb 0 ) . Zum Beweis müssen wir nur nachrechnen, dass f (x) = b ist: f (x) = ax = a · x0 · b b = a · x0 · = b. f (x0 ) ax0 Die Gleichungen (3.2) und (3.3) sind von der angegebenen Gestalt, auch wenn wir die Konstante a nicht direkt ablesen können: diese ergibt sich erst nach Ausmultiplizieren und Zusammenfassen. Wählen wir im Falle (3.2) x0 = 7 · 13, dann erhalten wir 7 · 13 1 7 · 13 7 · 13 − − 7 · 13 − = 7 · 13 − 13 − 7 + 1 = 13(7 − 1) − (7 − 1) 7 13 7 = 13 · 6 − 6 = 12 · 6 = 72. Also multiplizieren wir unsere erste Wahl mit dem Korrekturfaktor = 455 erhalten x = 7·13·5 6 6 . 60 72 = 5 6 Aufgabe 3.1. Löse (3.1) und (3.3) mit der Methode des falschen Ansatzes. 3.3 Lineare Gleichungssysteme Ein Problem auf SKT 6 ([41, S. 124]) liest sich wie folgt: Der siebte Teil der Länge addiert zur Fläche ist 27. 0;30 ist die Breite. Berechne Länge und Fläche. 42 ist die Länge, 21 die Fläche. und 52 3. Babylonische Algebra: Lineare Probleme Bezeichnen wir die Länge mit L und die Breite mit B, so jaben wir also 1 L + LB = 27, 7 B= 1 . 2 Unglücklicherweise ist uns keine Lösung der Babylonier bekannt, sondern nur die Antwort. Wir können das Problem leicht lösen; im wesentlichen haben wir L 9 L 7 + 2 = 27, woraus wir sofort 14 · L = 27 und damit L = 42 und F = LB = 21 erhalten. Wegen des Bruchs mit Nenner 7 sind die Babylonier sehr wahrscheinlich anders vorgegangen. Mit dem falschen Ansatz L = 14 folgt L7 + L2 = 2 + 7 = 9 anstatt 27, sodass wir unseren Ansatz mit 3 multiplizieren müssen. Auch bei dieser Variante hätten sie nicht 14 durch 7 geteilt, sondern gefragt, womit man 7 malnehmen muss, um 14 zu erhalten. 3.4 Arithmetische und Geometrische Reihen Das Problem no. 5 auf der Keilschrifttafel SKT 362 (vgl. [15, S. 19], [43, S. 239], [9, S. 123]) dreht sich um 10 Brüder, die 1;40 Minen, also 100 Schekel erben. Der achte Bruder soll dabei 8 Schekel bekommen. Bei solchen Aufgaben wird es oft als selbstverständlich angenommen, dass der älteste Sohn ebensoviel mehr als der zweitälteste wie dieser mehr als der drittälteste usw. bekommt. Bezeichnet man also die Anteile der Brüder mit b1 , . . . , b10 , so ist d = bk+1 − bk konstant, b1 + . . . + b10 = 100, und b8 = 6. Wenn man möchte, kann man dieses Problem als lineares Gleichungssystem mit 9 Unbekannten auffassen. Wegen b7 = 6 + d, b6 = b + 2d, . . . , b1 = 6 + 7d und b9 = 6 − d, b10 = 6 − 2d erhalten wir 100 = (6 + 7d) + (6 + 6d) + . . . + 6 + (6 − d) + (6 − 2d) = 60 + (7 + 6 + 5 + 4 + 3)d = 60 + 25d, 8 was auf d = 40 25 = 5 führt. Der babylonische Text geht (natürlich) anders vor. Zuerst bestimmt der Schreiber das mittlere Erbe: wegen 100 : 10 = 10 erhält jeder Bruder im Durchschnitt 10 Schekel. Der dritte Bruder erhält so viel mehr als der Mittelwert wie der achte Bruder weniger erhält: a3 − m = m − a8 . Also ist 2m − 2a8 = a3 − a8 , und die letztere Differenz ist gleich dem 5-fachen der konstanten Differenz d. Der Schreiber rechnete daher 2 · 10 − 2 · 6 = 8 und teilte dies durch 5 (natürlich, indem er 8 8 mit 12, dem Reziproken von 5, multiplizierte. Das Ergebnis 96 60 = 5 ist dann die gemeinsame Differenz, und daraus kann man leicht den Erbteil jedes Bruders ausrechnen. Auf der Tafel AO 6484 aus der Seleukidenzeit soll die Summe aller Quadratzahlen von 1 bis 10 bestimmt werden. Um diese Summe zu finden, geht der Schreiber wie folgt vor: 3.5 Zins und Zinseszins Multipliziere 1 mit 13 : 1 3 10 3 Ergebnisse: 31 Multipliziere 10 mit 23 : Addiere die + 10 3 = 11 3 Multipliziere die Summe mit 55: macht 385 1 3 2n 3 2n+1 3 2n+1 2 · 53 n(n+1) 2 In der rechten Spalte haben wir die moderne algebraische Interpretation für die Berechnung der Summe der Quadratzahlen von 12 bis einschließlich n2 aufgeschrieben. Die ersten Schritte sind klar; die Zahl 55, die unvermittelt auftaucht, ist die Summe der Zahlen 1 bis 10, die durch 10·11 = 55 gegeben ist. Für 2 Pn von 2 2 2 2 1 + 2 + . . . + n = k=1 k erhalten wir also n X k=1 k2 = n(n + 1)(2n + 1) 2n + 1 n(n + 1) · = . 3 2 6 3.5 Zins und Zinseszins Um 2400 v.Chr. ließ Enmetena, der Herrscher von Lagash, einen Tempel bauen, auf dessen Grundstein in Form eines gebrannten Kegels aus Ton er Details über seine siegreiche Schlacht gegen die Nachbarstadt Umma festhalten ließ. Daraus wird klar, dass Enmetena Urlumma, dem Führer von Umma, Getreide geliehen hatte, dieser aber, anstatt sie nach sieben Jahren mit Zins und Zinseszins zurückzuzahlen, die Stadt Lagash angegriffen habe. Die Auseinandersetzung endete mit Urlummas Tod, und dessen Nachfolger Il ist für die Schulden seines Vorgängers aufgekommen (sh. Kazuo Muroi [40]). Der Standardzins für Getreide im alten Sumer war ein Drittel pro Jahr. Nach sieben Jahren wäre also wegen ( 34 )7 ≈ 7, 5 das 7,5-fache des geliehenen Getreides fällig gewesen. Es gibt eine ganze Reihe altbabylonischer Keilschrifttafeln, in denen es um Zinseszinsrechnungen geht, unter Anderem YBC 4669, VAT 8528 # 1, und AO 6770 # 2. 54 3. Babylonische Algebra: Lineare Probleme 4. Quadratwurzeln Im nächsten Kapitel werden wir sehen, dass die Babylonier in der Lage waren, “quadratische Gleichungen” zu lösen. Die Anführungszeichen sollen andeuten, dass den Babyloniern das Konzept von Formeln und Gleichungen natürlich fremd war, Anstatt x2 + x = 6 hätten sie etwa gesagt: “Ich habe Fläche und Seite eines Quadrats addiert: 6. Was ist die Seite?” Um solche Probleme lösen zu können, mussten die Babylonier in der Lage sein, Quadratwurzeln zu berechnen. Wie sie das angestellt haben, werden wir in diesem Kapitel erklären. Dabei werden wir mehr als an andern Stellen auf spätere Techniken zur näherungsweisen Berechnung von Wurzeln eingehen. 4.1 Quadratwurzeln durch Faktorisieren Teilbarkeitsregeln können auch beim Berechnen von Quadratwurzeln nutzbringend angewandt werden, die größer sind als diejenigen, die man aus Tabellen ablesen auszurechnen, liest man aus kann. Um etwa die Quadratwurzel aus der letzten Sexagesimalstelle 45 ab, dass diese Zahl durch 15 (und falls sie eine Quadratzahl ist, sogar durch 225) teilbar ist. Teilen durch 15, also Multiplikation mit 4, ergibt , und nochmalige Multiplikation mit 4 liefert = 81; diese Zahl hat die Quadratwurzel 9. Die Ausgangszahl ist also das Quadrat von 9 · 15 = 135. Auf der altbabylonischen Keilschrifttafel TMS 19b ([25, S. 194], [19, S. 402]) wird ein geometrisches Problem gelöst, und im Verlauf der Rechnung taucht die Quadratwurzel der Sexagesimalzahl 3,50,35,23,27,24,26,40 auf; ohne Kommentar wird das Ergebnis 15,11,06,40 genannt. Eine Möglichkeit, diese Wurzel zu berechnen, besteht in der Faktorisierungsmethode. Da die Zahl auf 40 endet, muss sie durch 20 teilbar sein, und wenn sie eine Quadratzahl ist, sogar durch 202 : dies lässt sich durch betrachten der beiden letzten Ziffern bestätigen, denn 26, 40 = 26 · 60 + 40 = 1600. Division durch 202 entspricht einer Multiplikation mit 32 = 9: Multiplikation der letzten Ziffer 40 mit 9 ergibt 360 = 6 · 60, was eine nicht aufzuschreibende Null und einen Übertrag von 6 ergibt. Als nächstes folgt aus 9 · 26 + 6 = 240 = 4 · 60 eine weitere “Null” und ein Übertrag von 4; dann kommt 9 · 24 + 4 = 220 = 3 · 60 + 40, was eine Sexagesimalziffer 40 und einen Übertrag 3 ergibt. Die vollständige Rechnung liefert 56 4. Quadratwurzeln 3, 50, 35, 23, 27, 24, 26, 40 = 202 · 34, 35, 18, 31, 06, 40. Auch hier zeigen die beiden letzten Ziffern, dass die Zahl wegen 6 · 60 + 40 = 400 durch 202 teilbar sein muss, und eine weitere Rechnung wie oben ergibt 34, 35, 18, 31, 06, 40 = 202 · 5, 11, 17, 46, 40. Wieder ist das Ergebnis durch 202 teilbar, und wir finden 5, 11, 17, 46, 40 = 202 · 46, 41, 40. Dieses Mal ist das Ergebnis nicht mehr durch 202 , sondern nur noch durch 102 teilbar; Multiplikation mit 62 = 36 liefert dann 46, 41, 40 = 102 · 28, 01. Diese Zahl ist klein genug, um die Quadratwurzel aus Tafeln abzulesen: 28,01 (dezimal 1681) ist das Quadrat von 41. Jetzt müssen wir nur noch die Divisionen rückgängig machen: da wir die Ausgangszahl drei Mal durch 202 und einmal durch 102 dividiert haben, muss die Quadratwurzel dieser Zahl gleich 20 · 20 · 20 · 10 · 41 sein, was das Endergebnis 3, 50, 35, 23, 27, 24, 26, 40 ist das Quadrat von 15, 11, 06, 40 ergibt. Noch hübscher ist ein Beispiel, das auf der Tafel Ist S 428 zu finden ist. Neugebauer konnte in [43, S. 80] zwar bereits erkennen, dass es dabei um die Berechnung einer Quadratwurzel geht, war aber angesichts der ziemlich schwer lesbaren Tafel nicht in der Lage, der gesamten Rechnung einen Sinn zu geben. Dies ist erst Huber [80] (vgl. auch Friberg [19, S. 400]) gelungen. Danach wird auf Ist S 428 die Quadratwurzel der Zahl 2,02,02,02,05,05,04 zumindest teilweise durch Faktorisierung bestimmt. Die Rechnungen verlaufen dabei wie folgt: 2, 02, 02, 02, 05, 05, 04 = 22 · 30, 30, 30, 31, 16, 16 30, 30, 30, 31, 16, 16 = 42 · 1, 54, 24, 24, 27, 16 1, 54, 24, 24, 27, 16 = 42 · 7, 09, 01, 31, 42, 15 4 · 7, 09, 01, 31, 42, 15 = 28, 36, 06, 06, 49 Hier erstaunt zuerst, dass die Sexagesimalzahl 1,54,24,24,27,16 nach der Teilung durch 16 größer wird. Dies liegt daran, dass 1,54,24,24,27,16 nicht durch 16, sondern nur durch 4 teilbar ist, die Zahl rechts somit als 7,09,01,31,42;15 zu lesen wäre. Diesen “Bruch” bekommt man durch Multiplikation mit 4 (also nicht wie bei Friberg [19, S. 403] mit einer Division durch 15) wieder weg. Denkbar ist, dass ein Schüler versehentlich geglaubt hatte, die Zahl 30,30,30,31,16,16 wäre durch 16 teilbar, und sein Versehen dann durch eine anschließende Multiplikation mit 4 wieder ausgebügelt hat. 4.2 Näherungsformel für √ 1+x 57 Die Quadratwurzel dieser Zahl ist jetzt ohne weitere Rechnung angegeben, obwohl sich das Ergebnis sicherlich nicht aus Tafeln ablesen lässt. Sehr wahrscheinlich wurde die Quadratwurzel dieser Zahl näherungsweise mit dem “Heron-Verfahren” bestimmt, das wir im Rest dieses Kapitels erklären werden. Nach der Bestimmung von 28, 36, 06, 06, 49 ist das Quadrat von 5, 20, 53 müssen die Divisionen wieder rückgängig gemacht werden, und als Ergebnis der Quadratwurzelberechnung erhält man jetzt 2, 02, 02, 02, 05, 05, 04 ist das Quadrat von2 · 4 · 4 · 30 · 5, 20, 53 = 1, 25, 34, 08. Noch interessanter als die Frage, wie die Babylonier diese Quadratwurzel berechnet haben, ist wohl die Frage, wie der Autor dieses Problems auf diese Aufgabe gekommen ist. Offenbar hat er die Quadratwurzel aus der Zahl 2,02,02,02,02,02,02 näherungsweise berechnet, dann das Ergebnis 1,25,34,08 quadriert und die Quadratzahl 2,02,02,02,05,05,04 erhalten, also die kleinste Quadratzahl größer als 2,02,02,02,02,02,02. Kubikwurzeln Auch Kubikwurzeln von Kubikzahlen, die außerhalb der angelegten Tafeln lagen, wurden in der Regel mit Hilfe von Teilbarkeitsregeln bestimmt (vgl. [58, S. 35]). Um etwa die Kubikwurzel aus = 3,22,30,00 = 729 000 zu bestimmen (diese Aufgabe wird auf YBC 6295 behandelt), beachte man, dass eine Kubikzahl, die ein Vielfaches der 60 ist, notwendig durch die dritte Potenz von 2 · 3 · 5 = 30 teilbar sein muss. Division durch 30 entspricht einer Verdopplung, Division durch 303 also einer Multiplikation mit 8, was die Zahl ergibt, also 27 und damit die Kubikzahl von 3. Die dritte Wurzel aus der ursprünglichen Zahl muss also 30 · 3 = 90 gewesen sein. 4.2 Näherungsformel für √ 1+x Die folgende Näherung für Zahlen, die nahe √ bei 1 liegen, hat den Vorteil, dass sie sich sehr leicht herleiten lässt: setzen wir 1 + x = 1 + h, und nehmen wir an, dass x und damit h kleine Zahlen sein sollen, dann liefert Quadrieren 1+x = 1+2h+h2 . Wenn h klein ist, ist h2 noch viel kleiner: bei h = 0, 1 ist ja schon h2 = 0, 01. Wenn wir also h2 aus der letzten Gleichung einfach weglassen, machen wir nur einen kleinen Fehler (der umso kleiner ist, je kleiner x ist). Dann haben wir 1+x ≈ 1+2h, was auf h = x2 und damit auf √ 1+x≈1+ x 2 (4.1) 58 4. Quadratwurzeln Abb. 4.1. YBC 6295: Berechnung einer Kubikwurzel führt. Diese Gleichung gilt natürlich auch, wenn x negativ (und betragsmäßig klein) ist. Binomische Formeln haben eine klassische geometrische Interpretation. Beispielsweise beruht die Formel (a + b)2 = a2 + 2ab + b2 in geometrischer Hinsicht auf der Berechnung des Flächeninhaltes eines Quadrats mit der Seitenlänge a + b auf zwei verschiedene Arten. Zum einen ist der Flächeninhalt des großen Quadrats gleich (a + b)2 , zum andern besteht das Quadrat aus zwei Teilquadraten mit Flächeninhalt a2 und b2 , sowie zwei Rechtecken, deren Fläche jeweils gleich ab ist. Also muss (a + b)2 = a2 + 2ab + b2 sein (vgl. [33, Kap. 3]). Dieselbe geometrische Idee lässt sich auf die√Verwendung der binomischen Formel bei der Herleitung der Näherungsformel 1 + x ≈ 1 + x2 verwenden. Dies macht die Sache nicht unbedingt klarer, erleichtert aber das Verständnis für das Vorgehen der Babylonier, das wir weiter unten vorstellen werden. √ Die Größe 1 + x beschreibt die Kantenlänge eines Quadrats mit Flächeninhalt 1 + x, wobei wir wieder annehmen wollen, dass x klein ist. Zum Flächeninhalt 4.2 Näherungsformel für √ 1+x 59 eines Quadrats mit Kantenlänge 1 müssen wir also noch eine Fläche von x dazulegen. Dies machen wir, indem wir rechts und oben an das Quadrat zwei kleine Rechtecke mit den Seitenlängen x2 anlegen. Die sich hier ergebende Figur ist kein Quadrat, weil rechts oben noch ein kleines Quadrat mit Flächeninhalt x2 /4 fehlt. Für sehr kleine x ist diese Fläche allerdings sehr klein, sodass wir nur einen kleinen Fehler machen, wenn wir das kleine Quadrat mit Flächeninhalt x2 /4 einfach dazu addieren und dann ein Quadrat mit Kantenlänge 1 + x2 und einer Fläche von etwas mehr als 1 + x erhalten. Erklärung der Näherung mit modernen Hilfsmitteln √ Das Schaubild der Funktion y = x ist eine liegende Parabel, oder genauer deren √ (obere) Hälfte. Dies kann man dadurch einsehen, dass man die Gleichung y = x quadriert: dann ist y 2 = x, und diese Beziehung beschreibt die Normalparabel nach Vertauschen von x- und y-Achse. √ Das Schaubild von f (x) = 1+x erhält man, wenn man diese liegende Parabel um 1 nach links verschiebt. Man erhält Näherungswerte für f in der Nähe von x = 0, indem man die Funktion durch ihre Tangente approximiert. Die Bestimmung der Tangen1 te ist Standard: es ist f 0 (x) = 2√1+x und damit f 0 (0) = 12 ; da die Tangente durch (0|1) geht, ist ihre Gleichung daher y = 12 x + 1. √ Satz 4.1. Die Tangente an die Funktion f (x) = 1 + x in x = 0 ist gegeben durch y = 1 + x2 . √ √ Beispiel. Für 1, 2 erhält man mit x = 0, 2 sofort 1, 2 ≈ 1, 1; der richtige Wert √ ist 1, 2 ≈ 1, 095445 . . .. √ Beispiel. Um eine Näherung für 17, kann man (4.1) nicht direkt anwenden, sondern muss erst etwas umformen: r r r √ 17 17 1 17 = 16 · =4 =4 1+ . 16 16 16 60 4. Quadratwurzeln Ziel dieser Aktion war es, die 17 unter der Wurzel in eine √ Zahl nahe bei 1 zu verwandeln, was wir dadurch erreicht haben, dass wir die 16 ausgeklammert haben. Jetzt können wir (4.1) darauf loslassen und finden r √ 1 1 1 17 = 4 1 + = 4 + = 4, 125. ≈4 1+ 16 32 8 √ Wegen 17 ≈ 4, 123 . . . ist das eine sehr gute Näherung; für Zahlen, die von einer Quadratzahl weiter entfernt sind, sind die Näherungen nicht so gut. Beispiel. Wenn eine Zahl √ nicht in der Nähe einer Quadratzahl liegt, kann man vorgehen wie folgt: um 20 zu approximieren, nutzt man aus, dass 4 · 20 = 80 in der Nähe einer Quadratzahl liegt: r r √ 1√ 1 3 1 80 20 = 80 = · 3 · = 1− , 2 2 81 2 81 und jetzt fährt man fort wie oben. Beispiel. Mit dem eben angewandten Trick lässt √ sich auch eine gegebene Näherung verbessern. Wir haben oben gesehen, dass 1, 2 ≈ 1, 1 ist. Wegen 1, 12 = 1, 21 gilt nun weiter r r p 1 1, 2 1 1 = 1, 1 · 1 − = 1, 1 · 1 − 1, 2 = 1, 21 · = 1, 1 − 1, 21 121 242 220 = 1, 095454 . . . , während der genau Wert p 1, 2 = 1, 095445 . . . ist. 4.3 Das Heron-Verfahren Zum Ziehen der Quadratwurzel aus kleineren Quadratzahlen hatten die Babylonier Tafeln (oder sie wussten sie auswendig). Daneben gab es Techniken zum Bestimmen der Quadratwurzeln aus großen Quadratzahlen, ebenso wie eine Methode, Näherungen von Quadratwurzeln aus Nichtquadratzahlen zu berechnen. Bevor wir diese Methode vorstellen, wollen wir uns ansehen, wie man Näherungen von Quadratwurzeln heute findet. Die babylonische Methode des Berechnens von Quadratwurzeln ist nach dem griechischen Mathematiker Heron von Alexandria benannt, weil dessen Schriften lange bekannt waren, bevor man die babylonische Keilschrift entziffern konnte. Wir tun uns leichter, wenn wir die Sprache der √ modernen Algebra benützen können. √ Angenommen, wir haben eine Näherung N ≈ a; wir machen den Ansatz N = a+h und versuchen etwas liefert N = a2 +2ah+ √ über h herauszufinden. Quadrieren √ 2 h . Nun ist aber h = N − a “klein” gegenüber N , weil doch a eine Näherung 4.3 Das Heron-Verfahren 61 √ für N sein sollte. Verglichen mit a2 ≈ N und 2ah ist also h2 klein. Wenn wir diesen Term vernachlässigen, folgt N ≈ a2 + 2ah; löst man diese “Gleichung” nach h auf, erhält man N − a2 , h≈ 2a also √ N − a2 N ≈a+h=a+ . (4.2) 2a Diese “babylonische Formel” ist also eine einfache Folgerung aus der binomischen Formel, und mit ihrer Hilfe kann man aus einer Näherung a eine bessere Näherung a1 = a + h berechnen. √ Beispiel. Um eine Näherung für 2 zu finden, beginnen wir mit dem (schlechten) Näherungswert a = 1 und finden mit der Formel (4.2) und N = 2 im ersten Schritt √ 2≈1+ 2−1 3 = . 2 2 √ Diese Näherung 2 ≈ 1, 5 können wir schrittweise verbessern, indem wir die alte Näherung a = 1 durch die neue ersetzen; damit finden wir √ 2≈ 3 2 − 94 3 1 17 = − + = , 2 2 12 12 2 · 32 und dann √ 2 17 2 − 17 577 122 2≈ + 17 = 408 . 12 2 · 12 Diese Näherung ist schon sehr gut; wir haben 3 = 1, 5 2 17 = 1, 41666 . . . , 12 577 = 1.414215686 . . . , 408 während √ 2 ≈ 1.414213562 . . . ist. Die nächste Näherung 665857 470832 ist schon auf mehr als zehn Nachkommastellen genau. √ Wir bemerken ebenfalls, dass mit einer Näherung a √ von 2 auch die Zahl 2/a eine Näherung ist; liegt die eine Approximation über 2, dann liegt die andere darunter und umgekehrt. Aus der Näherung a = 57 = 1, 4 erhalten wir so die Näherung a2 = 10 7 ≈ 1, 4286. 62 4. Quadratwurzeln Übrigens erhält man denselben Wert, wenn man statt (4.1) die Formel (4.2) mit a = 4 verwendet: dann ist ja √ 17 ≈ 4 + 17 − 42 1 =4+ 2·4 8 wie oben, nur dass man hier durch Wiederholung mit der neuen Approximation a = 4 18 = 33 8 eine noch bessere Näherung erhalten kann. 4.4 Die babylonische Methode Das Ziehen von Quadratwurzeln aus kleinen Zahlen erfolgte mit Hilfe von Quadrattabellen, also Tabellen, welche kleine Zahlen und deren Quadrate angaben. Ähnliche Tafeln gibt es auch für Kubikzahlen und sogar für Zahlen der Form n3 + n2 , nämlich MS 3048, BM 85200 und VAT 6599. Auf der Tafel IM 52301 (vgl. Bruins [5] und Vogel [58, S. 34–35]) findet sich eine Anleitung zum Ziehen der Quadratwurzel aus Zahlen, die sich nicht auf Quadrattafeln finden. Ist N eine solche Zahl, so hat man eine Quadratzahl a2 kleiner als N zu suchen; den Rest N − a2 = r muss man in vier Teile zerlegen und jeden dieser Teile “in die vier Windrichtungen” antragen. Für N = 20 ist a2 = 16 und r = N − a2 = 4. Teilt man diese Fläche in vier gleich große Teile, so hat man, damit man sie an die vier Seiten des Quadrats mit Kantenlänge a = 4 anlegen kann, daraus vier Rechtecke mit den Kanten a = 4 und b = 41 zu machen. Anstatt als wie wir das Ausgangsquadrat durch das Anlegen zweier Rechtecke “fast” zu einem Quadrat zu ergänzen, legen die Babylonier vier halb so große Rechtecke an jede Seite des Ausgangsquadrat. √ Ein besserer Näherungswert für N als a ist daher a + 2b = 4 + 2 · 0, 25 = 4, 5; das Quadrat von 4, 25 ist, wie man an der Skizze ablesen kann, um die vier kleinen Quadrate, also um 4b2 , zu groß. Im Vorliegenden Fall ist 4b2 = 14 , und in der Tat ist 4, 52 = 20, 25 um 41 = 0, 25 zu groß. Im allgemeinen Fall wähle man eine Näherung a < r und b = 4a und erhält den neuen Näherungswert a0 = a + 2b = a + √ N , berechne r = N − a2 N − a2 . 2a Bei Quadratwurzeln ist es übrigens ein großer Unterschied, ob die Sexsagesimalzahl als 1 oder als 60 gelesen wird, da 1 eine Quadratzahl ist, 60 dagegen nicht. Ist in einer babylonischen Rechnung die Wurzel aus wieder , so steht 4.4 Die babylonische Methode für die Zahl 1 (oder 602 = 3600 bzw. 1 602 = 1 3600 63 usw.). Liegt die Quadratwurzel aus dagegen zwischen 7 und 8, so muss als 60 gelesen werden. Um für diese Quadratwurzel eine Näherung mit Hilfe des babylonischen Verfahrens zu gewinnen, setzen wir N = 60 und a = 7; dann ist a+ 11 N − a2 =7+ . 2a 14 Division durch 14 ist nun für die Babylonier ein Problem; wir behelfen uns mit √ 12 48 der Näherung 11 60 die Zahl , 14 ≈ 15 = 60 und erhalten als Näherung für √ 7, 8. also 60 ≈ √ √ 2 √ Um für 2 eine brauchbare Näherung√zu erhalten, betrachten √ wir 2 · 60 = 7200 (im Dezimalsystem wäre die Wahl 200 natürlicher: aus 200 ≈ 14 wegen √ 142 = 196 folgt dann sofort die Näherung 2 ≈ 1, 4) und finden, dass 7200 = √ 144 144 842 + 144 ist; damit folgt 7200 ≈ 84 + 2·84 = 84 + 168 = 84 + 67 . Quadrieren 6 2 liefert (84 7 ) = 7200, 7, was erstaunlich genau ist. Als gute Babylonier sollten wir die 67 allerdings durch einen regulären Bruch approximieren. Dazu beachten wir 6 7 · 60 = 360 7 ≈ 51, was sexagesimal geschrieben wird. Addieren wir dies zu 84 √ = erhalten wir die Näherung für 2. Tatsächlich existieren verschiedene altbabylonische Tafeln mit Listen von Konstanten; auf einer von ihnen, nämlich YBC 7243 (sh. [45, Plate 49]), findet sich in der zehnten Zeile die Länge einer Diagonale eines Quadrats mit Seitenlänge 1 angegeben als was noch genauer ist als unsere obige Näherung. Übungen 4.1 Bestimme die Quadratwurzel der folgenden Quadratzahlen: (BM 13901) 0;0,17,21,40 4.2 Bestimme die Kubikwurzel der folgenden Kubikzahlen: 4.3 Benutze zwei Schritte der Formel (4.2), um gute Näherungswerte für die folgenden Quadratwurzeln zu erhalten: √ 1. 37 ≈ √ 2. 102 ≈ √ 3. 3 ≈ 4.4 Benutze die Formel (4.1), um eine Näherung der folgenden Quadratwurzeln zu finden: √ 1. 1, 1 ≈ √ 2. 0, 98 ≈ √ 3. 37 ≈ Kontrolliere mit dem Taschenrechner. Literatur 1. R.C. Archibald (Hrsg.), Euclid’s book on division of figures, Cambridge 1915 2. B. Artmann, Euclid. The Creation of Mathematics, Springer-Verlag 1999 3. I.G. Bashmakova, Diophant und diophantische Gleichungen, Birkhäuser 1974 4. L. 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