ISBN 978-3-89785-784-1 9 783897 857841 NORMEN LOGIK EDGAR MORSCHER M h | N l ik Morscher | Normenlogik Die moderne Normenlogik wurde 1951 von G.H. vonWright mit seinem Aufsatz Deontic Logic begründet. Durch Umwandlung in ein modallogisches System entstand daraus das »Standardsystem« der Normenlogik in verschiedenen Varianten. Dieses Buch bietet eine allgemeinverständliche Einführung in diese normenlogischen Standardsysteme. Anschließend an eine informelle Erörterung der syntaktischen Struktur und der Interpretation von Normsätzen wird die formallogische Standardsprache für Normen und die dazugehörige Mögliche-Welten-Semantik entwickelt. Die metalogischen Beweise für die Korrektheit und Vollständigkeit des normenlogischen Standardsystems werden schrittweise vorgeführt. Auf dieser Grundlage werden weiterführende Entwicklungen, alternative Systeme und Neuansätze der Normenlogik behandelt, nämlich: multimodale und dyadische Systeme der Normenlogik, »defeasible deontic reasoning« sowie die dynamische Normenlogik. Außerdem wird aufgezeigt, wie sich die formalsprachlichen Verfahren der Normenlogik auf konkrete alltagsoder fachsprachliche Formulierungen in Moral und Recht bzw. Ethik und Jurisprudenz anwenden lassen. Ein Kapitel über die Geschichte der Normenlogik in den letzten 100 Jahren beschließt das Buch. G RU N D L AG E N S Y S T E M E ANWENDUNGEN Morscher • Normenlogik Edgar Morscher Normenlogik Grundlagen – Systeme – Anwendungen mentis Paderborn Gedruckt mit Unterstützung der Stiftungs-und Förderungsgesellschaft der Paris-Lodron-Universität Salzburg, der Stadt Salzburg und des Amtes der Vorarlberger Landesregierung. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2012 mentis Verlag GmbH Schulze-Delitzsch-Str. 19, D-33100 Paderborn www.mentis.de Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk sowie einzelne Teile desselben sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen ist ohne vorherige Zustimmung des Verlages nicht zulässig. Gedruckt auf umweltfreundlichem, chlorfrei gebleichtem und alterungsbeständigem Papier ISO 9706 Printed in Germany Druck: AZ Druck- und Datentechnik GmbH, Kempten ISBN: 978-3-89785-784-1 Inhalt Vorwort 7 1. Der Begriff der Normenlogik und ihre Zielsetzung 2. Allgemeingültigkeit von Normsätzen und die Gültigkeit normativer Argumente 3. Normative Funktoren und die Struktur von Normsätzen 4. Zur Interpretation von Normsätzen 5. Das Standardsystem der Normenlogik und seine Varianten 6. Beweistheoretische Grundbegriffe für das Standardsystem 7. Mögliche-Welten-Semantik für die Normenlogik 8. Modelltheoretische Grundbegriffe für das Standardsystem und seine Varianten 9. Korrektheit und Vollständigkeit des Standardsystems 10.Anwendung der beweistheoretischen und modelltheoretischen Begriffe auf normative Sätze und Argumente 11.Inhaltliche Einwände gegen das Standardsystem: Normenlogische Paradoxien und Normkonflikte 12.Spezifizierungen und Erweiterungen des Standardsystems 13.Das Sein-Sollen-Problem 14.Alternativen zum Standardsystem, verwandte Systeme und Hauptanwendungsgebiete der Normenlogik 15.Historischer Rückblick auf die Normenlogik der letzten hundert Jahre 16.Abschließende Bemerkungen und Ausblick 9 Literatur Personenregister Sachregister 11 17 51 85 103 107 117 125 143 167 185 203 233 247 281 283 299 303 5 Vorwort Die Normenlogik – auch ‘deontische Logik’ genannt – erlebte zwischen 1950 und 1980 eine Blüte. In den letzten 30 Jahren ist sie mehr und mehr in den Hintergrund getreten und zum Teil sogar in Vergessenheit geraten. Dafür gibt es viele Erklärungen. Ein Grund dafür mag darin liegen, daß die Normenlogik ihre theoretischen Fortschritte parallel zu den Fortschritten der Modallogik, ja sogar als Spezialfall der Modallogik erzielt hat. Das meiste, was man auf diesem theoretischen Gebiet erreichen konnte, ist inzwischen “ausgereizt”. Daher haben viele von denjenigen, die sich primär oder gar ausschließlich aus theoretischen Gründen mit logischen Themen beschäftigen, ihr Interesse an der Modallogik im allgemeinen und speziell auch an der Normenlogik verloren. Um in der konkreten Praxis von Recht und Moral mit diesem Instrument etwas anfangen zu können, muß man es jedoch in mühsamer Klein- und Knochenarbeit weiterentwickeln. Den Theoretikern ist diese Arbeit aber meist zu unergiebig; vielen Praktikern fehlen hingegen die dafür erforderlichen logischen Voraussetzungen, so daß sie sich lieber gleich von vornherein die Mühe mit dieser spröden Disziplin ersparen. Wissenschaftliche Fortschritte werden – auch in der Normenlogik – von manchen in kühnen Neuerungen gesucht, von anderen wiederum in der behutsamen Weiterentwicklung von Bewährtem. Ich schlage hier den zweiten Weg ein: Durch eine Rückbesinnung auf das “goldene Zeitalter” der Normenlogik sollen die philosophisch wichtigsten Ergebnisse herausgearbeitet werden, die im Rahmen der klassischen Standardsysteme der Normenlogik und ihrer Semantik erzielt werden können; diese Resultate sollte man nicht übermütig aufs Spiel setzen, solange man nicht über eine zumindest gleichwertige Alternative verfügt. Neuansätze der Normenlogik und Alternativen zu ihren Standardsystemen werden zwar im Rahmen dieses Buches mehrfach zur Sprache kommen (ihnen ist auch ein eigenes Kapitel – nämlich Kapitel 14 – gewidmet), doch kann ich mich mit ihnen nicht so eingehend, wie es wünschenswert wäre, beschäftigen. Statt dessen will ich hier vor allem über die Standardsysteme der Normenlogik gründlich informieren und 7 Wege zu ihrer Verbesserung und Weiterentwicklung aufzeigen. Dabei beschränke ich mich auf denjenigen Teil der Normenlogik, welcher auf einer aussagenlogischen Basis beruht; der Ausbau zu einem prädikatenlogischen (bzw. “quantifizierten”) System der Normenlogik bleibt dabei ausgeklammert. Zwar liegt sowohl in theoretischer Hinsicht als auch im Hinblick auf praktische Anwendungen der besondere Reiz der Normenlogik – wie der Modallogik überhaupt – in ihrer prädikatenlogischen Vertiefung; die eigentlichen Streitfragen der Normenlogik treten aber bereits in denjenigen Systemen auf, die auf einer aussagenlogischen Basis aufgebaut sind, während es in den Auseinandersetzungen im prädikatenlogischen Teil vor allem um ontologische Probleme geht. Dieses Buch handelt – seinem Titel entsprechend – von Grundlagen, Systemen und Anwendungen der Normenlogik. In den einleitenden Kapiteln (d. s. die Kapitel 1 – 4) wird zunächst die Zielsetzung der Normenlogik kurz erläutert; hierauf wird durch eine informelle Erörterung der syntaktischen und semantischen Grundlagen der Boden für die folgende formallogische Behandlung von Normsätzen vorbereitet. Im Kernstück des Buches (Kapitel 5 – 9) wird das Standardsystem der Normenlogik samt einigen Varianten vorgestellt. Außerdem wird eine Einführung in die Mögliche-Welten-Semantik geboten; mit ihrer Hilfe werden die Korrektheit und die Vollständigkeit des normenlogischen Standardsystems bewiesen. In der Anwendung der Normenlogik auf konkrete Beispiele treten Probleme auf, die zur Entwicklung alternativer Systeme der Normenlogik geführt haben (Kapitel 10 – 14). In einem Rückblick (Kapitel 15) wird dann noch die Geschichte der modernen Normenlogik beleuchtet. Meine Arbeit an diesem Buch wurde immer wieder durch andere Verpflichtungen unterbrochen und hat sich dadurch über viele Jahre hingezogen. In all diesen Jahren hat mich mein Freund und Kollege Alexander Hieke bei dieser Arbeit tatkräftig begleitet und unterstützt; seine wertvollen Anregungen und Verbesserungsvorschläge haben sich an vielen Stellen des vorliegenden Textes niedergeschlagen. Ich bin ihm dafür zu großem Dank verpflichtet. Salzburg, im November 2011 Edgar Morscher 8 1. Der Begriff der Normenlogik und ihre Zielsetzung Unter ‘Normenlogik’ versteht man – wie schon der Name sagt – die Lo­ gik der Normen. Mit dem Terminus ‘Norm’ bezieht man sich im allge­ meinen auf beliebige Gebote, Verbote und Erlaubnisse – gleich­­­gültig, ob sie rechtlicher, moralischer oder anderer Art sind. Normsätze sind sprachliche Aus­­drücke für solche Normen. In der Logik geht es zwar letztlich um abstrakte Strukturen, doch diese können durch sprach­li­­che Ausdrücke repräsentiert werden. Aus diesem Grund hat es auch die Normenlogik mit Norm­sät­zen zu tun, und man kann sie daher nicht nur als Logik der Normen, sondern ebensogut auch als Logik der Norm­sätze charakteri­sie­ren. Sehr häufig bedient man sich des Hilfszeitwortes ‘sollen’, um eine Norm auszudrücken: Statt zu sagen ‘Es ist geboten, daß Du Deinem Nachbarn in der Not beistehst’, sagt man oft auch ein­fach ‘Du sollst Dei­ nem Nachbarn in der Not beistehen’. Aber auch andere Normen – z.B. Ver­bo­te – las­sen sich mit Hilfe von ‘sollen’ ausdrücken; so drückt etwa ‘Du sollst nicht töten’ ein Ver­bot aus. Sollsätze gelten daher als Prototy­ pen von Norm­­sätzen, und wenn man von Sollsätzen spricht, meint man damit oft pars pro toto alle Normsätze. Man bezeichnet deshalb die Nor­ men­lo­gik oft auch als ‘Logik des Sollens’, ‘Logik der Soll­sätze’ oder – mit einem aus dem Griechi­schen stammenden Terminus – als ‘Deonti­ sche Logik’. (Der Ausdruck ‘deontisch’ hat seine ety­mo­­­lo­gische Wurzel im griechischen Wort ‘deîn’, welches soviel wie ‘zwin­gen’, ‘nötigen’ oder ‘sollen’ be­deutet. ‘Deon­­tisch’ in diesem Sinn tritt in ver­schie­denen Kon­ texten – wie ‘deon­ti­sche Phrase’, ‘deontischer Satz’, ‘deontische Theo­ rie’ – auf und ist dabei aus­tauschbar mit ‘normativ’; zum Un­ter­schied davon charakterisiert man heute mit dem Terminus ‘deontologisch’ eine bestimmte Art von normativen bzw. deontischen Theorien.) Be­reits Ernst Mally hatte 1926 seine Logik des Sol­lens als ‘Deontik’ bezeichnet. Seit dem Er­scheinen des Aufsatzes “Deontic Logic” von Georg Hen­­rik von Wright im Jahre 1951 ist der Ter­mi­nus ‘Deontische Logik’ fester Be­ standteil der phi­­­lo­sophischen und logischen Termi­no­logie. 9 Kapitel 1 / Begriff und Zielsetzung der Normenlogik Da die Normenlogik in der Anwendung auf Recht und Moral beson­ dere Bedeutung erlangt, rechnet man sie häu­­­fig zur Angewandten Logik; und da diese Anwendungen ebenso wie die theoretischen Grund­la­­­gen der Normenlogik mit philosophischen Fragestellungen eng verknüpft sind, wird sie oft auch als Teil­ge­­biet der sogenannten Philosophischen Logik angesehen. Logik ist eine Formalwissenschaft: Sie hat nicht die Aufgabe, inhalt­ liche Probleme zu lösen, son­­­­dern stellt nur die zur Lösung inhaltlicher Probleme erforderlichen formalen Hilfsmittel zur Ver­­­­fügung. Man nennt sie daher auch ‘formale Logik’. Oft wir die Logik – insbesondere, wenn man ihre Anwendungen im Auge hat – als Lehre von den (in formaler Hin­ sicht) gültigen Argumenten aufgefaßt. (Unter dem Terminus ‘Argument’ versteht man dabei einfach die sprachliche Wiedergabe einer Schluß­ folgerung.) Die “praktische” Haupt­­­aufgabe der Logik besteht demnach darin, gültige (d.s. de­duk­tiv korrekte) von ungültigen Argumenten zu unterscheiden. Ein Argument mit den Prämissen P1, P2,…, Pk und der Kon­klu­­­sion K ist genau dann gültig, wenn K aus der Prä­mis­senmenge {P1, P2,…, Pk} logisch folgt; und K folgt logisch aus {P1, P2,…, Pk} genau dann, wenn es keine Interpretation der nicht-logischen Ausdrücke gibt, die in K oder P1, P2,… oder Pk vorkommen, unter welcher jeder der Sät­ ze P1, P2,… und Pk wahr und K falsch ist. Das aber ist im allgemeinen genau dann der Fall, wenn der dem Argument entsprechende Konditio­ nalsatz ‘Wenn P1 und P2 und … und Pk, dann K ’ allgemeingültig (d.i. logisch wahr) ist. Die Logik kann ihre Aufgabe somit auf zweierlei Weise er­fül­len: Sie bestimmt entweder, welche Argumente gültig sind, oder sie sagt uns, welche Sätze allgemeingültig sind. Im Rah­men der “klassi­ schen” Logik, innerhalb dessen wir uns hier vor­wie­gend bewegen, dec­ ken sich die­se bei­den Aufgaben weitgehend. Wir können uns daher auf eine der beiden Aufgaben be­schrän­ken. Der Einfachheit halber steht bei der folgenden Behandlung der Normenlogik die zweite Aufgabe im Vor­der­grund: Wir fassen dabei die Logik primär (wenn auch nicht aus­ schließlich) als Lehre von den allgemeingültigen Sätzen auf­. Dem­ge­mäß hat die Normenlogik die Aufgabe zu bestimmen, welche Normsätze all­ ge­mein­gültig sind und welche nicht. 10 2. Allgemeingültigkeit von Normsätzen und die Gültigkeit normativer Argumente Ein Satz ist nach klassischer Auffassung genau dann allgemeingültig, wenn er wahr ist und in ihm nur logische Ausdrücke wesentlich vorkom­ men; alle deskriptiven bzw. nicht-logischen Aus­drücke (d.s. in erster Linie Individuennamen und Prädikate) können daher in einem allge­ mein­gül­­ti­gen Satz nur unwesentlich enthalten sein. Daß ein Ausdruck A in einem Satz S unwesentlich vor­­­kommt, heißt nichts anderes, als daß man A in S uniform durch einen Ausdruck A', der zur selben syntakti­ schen Kategorie wie A gehört, ersetzen kann, ohne daß sich dadurch der Wahr­­­­­­heitswert von S ändert (d.h.: Wenn S wahr ist, ist auch jeder von diesen neuen Sätzen wahr, und wenn S falsch ist, dann sind diese Sätze allesamt falsch). Wenn hier von der uniformen Ersetzung eines Aus­ drucks die Rede ist, so läßt sich diese Redeweise für Ausdruckstokens genausogut erläutern wie für Ausdruckstypes: Ein Ausdruckstoken A wird in einem Satztoken S durch einen Ausdruckstoken A' genau dann uniform ersetzt, wenn jeder mit A gestaltgleiche Ausdruckstoken, der in S vorkommt, durch einen mit A' gestaltgleichen Ausdruckstoken ersetzt wird; und ein Ausdruckstype A wird in einem Satztype S durch einen Ausdruckstype A' genau dann uniform ersetzt, wenn der Ausdrucksty­ pe A an jeder Stelle, an der er in S vorkommt, durch A' ersetzt wird. Wir können also bei unserer Redeweise vom uniformen Ersetzen von Ausdrücken bei Bedarf mühelos zwischen der Token- und Typeebene hin- und herwechseln. Wir führen nun eine bequeme Notation ein, die sich ebenfalls sowohl auf der Ebene der Tokens als auch auf der Ebene der Types einsetzen läßt: S(A'/A) ist derjenige Satz (und zwar entweder Satztoken oder Satztype), der auf die soeben erläuterte Art und Weise aus S durch uniforme Ersetzung von A durch A' entsteht. Etwas genauer gesagt: S(A'/A) ist derjenige Satztoken, der genau gleich wie S ist, außer daß an allen Stellen, an denen in S ein mit A gestaltgleicher Token steht, ein mit A' gestaltgleicher Token steht; bzw.: S(A'/A) ist derjenige Satztype, der genau gleich wie S ist, außer daß an allen Stellen, an denen in S der Type A vorkommt, der Type A' vorkommt. (Wenn A' mit A gestaltgleich 11 Kapitel 2 / Normenlogische Allgemeingültigkeit und Gültigkeit bzw. identisch ist, dann ist auch S(A'/A) mit S gestaltgleich bzw. iden­ tisch.) Mit Hilfe dieser Notation können wir nun präziser ausdrücken, was es heißt, daß ein Ausdruck in einem Satz unwesentlich vorkommt: A kommt in S ge­nau dann unwesentlich vor, wenn für jeden Ausdruck A', der zur sel­­­­ben syntaktischen Kategorie wie A gehört, gilt, daß S(A'/A) denselben Wahrheitswert wie A hat. Wenn A1, A2,…, An die ein­zi­gen deskriptiven bzw. nicht-logischen Ausdrücke sind, die in einem Satz S vorkommen, dann ist S genau dann allgemeingültig, wenn für alle Aus­drücke A'1, A'2,…, A'n, die – der Reihe nach – zu derselben syntak­ tischen Kategorie wie A1, A2,…, An ge­hö­ren, gilt, daß S(A'1, A'2,…, A'n/ A1, A2,…, An) wahr ist. (Diese Definition muß auf Satztypes beschränkt bleiben; ihre Anwendung auf Satztokens würde nämlich zu Problemen theoretischer Natur führen, auf die ich hier nicht näher eingehen kann. Solange aus dem Kontext nichts Gegenteiliges hervorgeht, werden wir sprachliche Ausdrücke, Sätze, Formeln usw. im allgemeinen immer als Types verstehen.) Wenn wir z.B. im Satz S1 = ‘Saul Kripke ist Logiker’ den Individuen­ namen ‘Saul Kripke’ durch andere Individuennamen (wie ‘Barack Oba­ ma’ oder ‘Peter Handke’) und das Prädikat ‘ist Logiker’ durch ein ande­ res Prädikat (wie ‘ist Österreicher’, ‘ist Engländer’, ‘ist Amerikaner’, ‘ist Tischler’, ‘ist Dich­­ter’ usw.) ersetzen, erhalten wir viele neue Sätze wie z.B. ‘Saul Kripke ist Engländer’ (d.i. S1(‘ist Eng­­­länder’/‘ist Logiker’)), ‘Barack Obama ist Logiker’ (d.i. S1(‘Barack Obama’/‘Saul Kripke’)), ‘Ba­ rack Obama ist Engländer’ (d.i. S1(‘Barack Obama’, ‘ist Engländer’/‘Saul Kripke’, ‘ist Logiker’)), ‘Pe­ter Handke ist Österreicher’ (d.i. S1(‘Peter Handke’, ‘ist Österreicher’/‘Saul Kripke’, ‘ist Logiker’)), ‘Saul Kripke ist Tischler’ (d.i. S1(‘ist Tischler’/‘ist Logiker’)) usw., von denen eini­ge wahr und andere falsch sind. Wenn wir hin­gegen solche Ersetzungen im Satz S2 = ‘Saul Krip­ke ist Logiker, oder es ist nicht der Fall, daß Saul Kripke Logiker ist’ uniform vornehmen, sind al­le Sät­­­ze, die so entstehen, wahr, und es ist kein ein­zi­ger falscher Satz darunter. Wir könnten sogar im Satz S2 den ganzen Teilsatz ‘Saul Kripke ist Logiker’ durch einen be­ liebigen anderen Satz wie ‘Pe­t­er Handke ist Öster­reicher’ oder ‘Peter Handke ist Amerikaner’ oder aber auch durch ‘2 + 2 = 4’ oder ‘2 + 2 = 7’ uniform ersetzen – das Ergebnis wäre immer wieder ein wahrer Satz. 12 Kapitel 2 / Normenlogische Allgemeingültigkeit und Gültigkeit Ein allgemeingültiger Satz ist also ein wahrer Satz, der auch dann noch wahr bleibt, wenn man alle deskriptiven Ausdrücke in ihm durch beliebige andere Aus­drücke der jeweils selben Kategorie uniform er­ setzt oder – wie man statt dessen auch sagen kann – wenn man alle diese deskriptiven Ausdrücke in ihm auch anders als gewöhnlich interpre­ tiert. (Was das genau heißt, wird in Kapitel 7 näher er­­läutert.) Die logisch wahren Sätze der Aussagenlogik (AL), die man auch ‘Tau­ tologien’ nennt, sind die­­­­j­enigen allgemeingültigen Sätze, in denen nur aussagenlogische Phrasen (die sogenannten Junk­­­­toren) wesentlich vor­ kommen, d.s. vor allem die folgenden Ausdrücke für Negation, Kon­junk­­­ tion, Disjunktion, Subjunktion und Bisubjunktion: ‘es ist nicht der Fall, daß’ (symbolisch ab­ge­kürzt durch: ¬), ‘und’ (∧), ‘oder’ (∨), ‘wenn – dann’ (→) und ‘genau dann, wenn’ (↔). In den logisch wahren Sätzen der Quantifikationstheorie bzw. Prädi­ katenlogik (PL) können dar­­über hinaus auch noch die prädikatenlogi­ schen Konstanten (die sogenannten Quantoren) we­sent­­­­lich vor­kommen, nämlich Allquantoren und Existenzquantoren; Allquantoren sind Aus­ drücke der Art ‘für jedes Ding x gilt:’ (bzw.: ∀x), ‘für jedes Ding y gilt:’ (∀y) usw., und Existenzquantoren sind Ausdrücke der Art ‘für min­­ destens ein Ding x gilt:’ (∃x), ‘für min­­destens ein Ding y gilt:’ (∃y) usw. Wenn wir auch noch das Identitätszeichen ‘=’ als logische Konstante hinzufügen, wird die Spra­­­­­che der elementaren Logik dadurch zur Spra­ che der Prädikatenlogik erster Ordnung mit Iden­ti­tät (PL=) er­­weitert. Allgemeingültige Sätze der AL sind Sätze, deren Form wir symbol­ sprachlich folgendermaßen wiedergeben können: p ∨ ¬p (z.B.: Saul Kripke ist Logiker, oder es ist nicht der Fall, daß Saul Kripke Logi­ ker ist); ¬( p ∨ q) → (¬p ∧ ¬q) (z.B.: Wenn es nicht der Fall ist, daß Peter Handke Logiker ist oder daß Saul Kripke Dichter ist, dann ist es nicht der Fall, daß Peter Handke Logiker ist, und auch nicht, daß Saul Kripke Dichter ist); p → ( p ∨ q); ( p ∧ q) → p; (( p → q) ∧ p) → q; ( p → q) ↔ (¬q → ¬p); usw. An die Stelle der Satzvariablen ‘p’ und ‘q’ können dabei beliebige Formeln (und in den entsprechenden wort­ sprachlichen Formulierungen beliebige Sätze) treten, solange berück­ sichtigt wird, daß die Ersetzung der Satzvariablen uniform erfolgt. 13 Kapitel 2 / Normenlogische Allgemeingültigkeit und Gültigkeit Allgemeingültige Sätze der PL sind Sätze, denen in der Symbolspra­ che Formeln folgender Art entsprechen: ∀x(Fx ∧ Gx) → ∀xFx (z.B.: Wenn für je­des Ding x gilt: x ist materiell und x ist endlich, dann gilt für jedes Ding x: x ist materiell); ¬∀xFx → ∃x¬Fx (z.B.: Wenn es nicht der Fall ist, daß für jedes Ding x gilt: x ist materiell, dann gilt für mindestens ein Ding x: es ist nicht der Fall, daß x materiell ist); ∀x(Fx → Gx) → (∀xFx → ∀xGx); ∃xFx → ∃x(Fx ∨ Gx); usw. An die Stelle der Prädikat­ variablen ‘F’ und ‘G’ bzw. der atomaren Formeln ‘Fx’ und ‘Gx’ können dabei auch komplexe Formeln (und in den wortsprachlichen Formulie­ rungen entsprechende Prädikate) treten, wobei selbstverständlich auf die Uniformität der Ersetzungen zu achten ist. Beispiele für allgemeingültige Sätze der PL= sind Sätze und Satz­ formen, die in der Symbolsprache folgendermaßen dargestellt werden: ∀x(x = x); ∀x∀y(x = y → y = x); ∀x∀y∀z((x = y ∧ y = z) → x = z); x = x; x = y → (Fx ↔ Fy); ∀x∀y((Fx ∧ x = y) → Fy); usw. Bis hierher herrscht weitgehend Einigkeit darüber, daß wir es bei den jeweiligen Ausdrücken, Spra­­­chen und Gesetzen mit logischen Aus­ drücken, mit logischen Sprachen und mit logischen Ge­­­­­setzen zu tun ha­ ben. Mit dieser Einigkeit ist es aller­dings vorbei, sobald wir weitere Kon­stan­ten in unsere Sprache einführen wie z.B. das ‘∈’ für die Ele­ mentbeziehung der Mengenlehre und da­­für Gesetze angeben wie z.B.: ∀x(x ∈ X ↔ x ∈ Y) → X = Y. Ha­ben wir damit wie durch die Hin­zu­­ fügung von ‘=’ nur das Gebiet der Logik erweitert, oder ge­hören das Symbol ‘∈’ und die da­mit verbundenen Gesetze bereits zur Ma­thematik und somit zu einer nicht mehr rein logischen Theo­­rie? Ähn­liche Fragen tauchen auf, wenn das logische Vokabular (d.i. die Menge derjenigen Aus­­­­­drücke, die in allgemeingültigen Sätzen wesent­ lich vorkommen können) über die Junk­­­­­toren und Quan­­­­toren hinaus um Ausdrücke für sogenannte Modalitäten wie ‘es ist not­wendig, daß’ (ab­ gekürzt: N) und ‘es ist mög­lich, daß’ (M) erweitert wird; da es dane­ ben auch noch andere Arten von Modalitäten gibt, auf die wir noch zu sprechen kommen (nämlich z.B. epistemische Modalitäten oder – für uns hier in erster Linie interessant – normative bzw. deontische Moda­ litäten), spricht man bei Notwendigkeit und Möglichkeit zur besseren Unterscheidung von diesen anderen Modalitäten auch von alethischen 14