Sinkende gesundheitsbezogene Lebenszufriedenheit in der Adoleszenz Eine empirische Untersuchung zur Erfassung von Unterschieden im Gesundheitsverhalten Jugendlicher in der Stadt und auf dem Land Master-­‐Thesis Master of Advanced Studies in Gesundheitsförderung von Petra Oberli Eingereicht beim Referenten Dr. Carl Oliva am 20.06.2015 Für Lisa und Jens „Zufriedenheit ist das Gefühl der Übereinstimmung unserer einzelnen Subjektivität mit dem Zustande unseres bestimm-­‐ ten, uns gegebenen oder durch uns hervorgebrachten Zu-­‐ standes.“ Georg Friedrich Wilhelm Hegel (1770 -­‐ 1831) ii Dank Zunächst möchte ich mich an dieser Stelle bei all denjenigen bedanken, die mich während des Studiums und bei der Anfertigung dieser Master-Thesis immer wieder unterstützt und motiviert haben. Ganz besonders gilt dieser Dank meinem betreuenden Dozenten, Herrn Dr. Carl Oliva. Sein kritisches Hinterfragen und seine wertvollen Hinweise haben mich dazu gebracht, über meine Grenzen hinaus zu denken. Auch seine moralische Unterstützung und kontinuierliche Motivation haben einen grossen Teil zur Vollendung dieser Arbeit beigetragen. Weiter danke ich allen Schülerinnen und Schülern, welche mit dem Ausfüllen der Fragebogen diese Untersuchung überhaupt erst ermöglicht haben, sowie ihren Lehrpersonen und der Schulleitung, die mir die Erlaubnis zur Durchführung der Befragung gegeben haben. Ein besonders grosser Dank gebührt meinen Kindern Lisa und Jens und meiner erweiterten Familie, die, obwohl sie sehr oft auf gemeinsame Familienzeit verzichten mussten, mich immer wieder motiviert und aufgemuntert haben und mir mit ihrem Verständnis und ihren Umarmungen die nötige Kraft zum Durchhalten gegeben haben. Herzlichen Dank auch an Frau Regula Mumenthaler für ihre administrative Unterstützung, Frau Pia Stalder für ihr Gegenlesen und ihre kritischen Hinweise und der Korrektorin Frau Ruth Flückiger für ihre Durchsicht und die Korrekturen. Und ebenfalls ganz herzlich danke ich meiner Studien-Freundin, Caroline Kiener, welche mir jederzeit moralisch und freundschaftlich zur Seite gestanden ist und immer zur richtigen Zeit den richtigen Tipp hatte. iii Abstract Das Jugendalter ist eine sensible Lebensphase, in der die Heranwachsenden gravierende Veränderungsprozesse im physischen, psychischen, emotionellen und kognitiven Bereich durchlaufen. Wie Studien zeigen, sinkt dabei die gesundheitsbezogene Lebenszufriedenheit in der Adoleszenz zwischen 11 und 15 Jahren ab und steigt danach wieder an. Den Umgang mit Risiken zu erlernen, gehört zu den Entwicklungsaufgaben der Jugendlichen, aber gewisse Jugendliche sind in ihrer Adoleszenz Risikofaktoren stärker ausgesetzt und laufen deshalb Gefahr, negative Verhaltensweisen zu übernehmen. Es stellt sich die Frage, ob die Faktoren Lebensumgebung Stadt und Land sowie Schulbildungsniveau auf die gesundheitsbezogene Lebenszufriedenheit in der Adoleszenz einen Einfluss haben. Es wird von den Hypothesen ausgegangen, dass die Jugendlichen auf dem Land und mit zunehmendem Schulniveau wahrscheinlich ein besseres Gesundheitsverhalten zeigen. Dazu wurde eine quantitative Datenerhebung durchgeführt und 330 Jugendliche zwischen 12 und 17 Jahren aus Stadt, Land und Agglomeration differenziert nach Schultypus Real-, Sekundarschule und Gymnasium über ihre Gesundheit und Lebenszufriedenheit befragt. Bei der Recherche nach Einflussfaktoren wurden eindeutige Unterschiede zwischen Faktoren, die auf das Gesundheitsverhalten einerseits und auf das Risikoverhalten andererseits wirken, festgestellt. So sind es die Kontextfaktoren wie Alter, Geschlecht, Lebensumgebung und Schultypus, welche einen Einfluss auf risikoreiches Verhalten haben, während Gesundheitsverhalten vor allem durch soziopsychologische Faktoren wie geringe Zukunftsängste, Schulfreude und Lebenszufriedenheit geprägt sind. Für die Prävention und Gesundheitsförderung hat dies zur Konsequenz, dass Risikoverhalten und Gesundheitsverhalten als voneinander unabhängige Dimensionen betrachtet und berücksichtigt werden sollten. iv Inhaltsverzeichnis 1 Einleitung ................................................................................................. 1 1.1 1.2 1.3 1.4 1.5 Ausgangslage .................................................................................................... 1 Fragestellung ..................................................................................................... 3 Zielsetzung ......................................................................................................... 3 Abgrenzung der Arbeit ....................................................................................... 4 Aufbau der Arbeit ............................................................................................... 4 2 Theoretisches Modell ............................................................................. 4 2.1 Lebenszufriedenheit und gesundheitsbezogene Lebenszufriedenheit .............. 4 2.1.1 Lebenszufriedenheit .................................................................................... 4 2.1.2 Gesundheitsbezogene Lebenszufriedenheit ............................................... 5 2.1.3 Gesundheit .................................................................................................. 5 2.1.4 Gesundheitsverhalten .................................................................................. 6 2.2 Risikobezogenes Gesundheitsverhalten in der Adoleszenz, deren Ursachen und Folgen ......................................................................................................... 6 2.3 Risiko- und Schutzfaktoren-Modell .................................................................... 8 2.4 Orientierungsmodell und Forschungsfragen .................................................... 10 2.4.1 Orientierungsmodell .................................................................................. 10 2.4.2 Forschungsfragen ...................................................................................... 11 2.5 Hypothesen ...................................................................................................... 11 3 Methoden der empirischen Untersuchung ......................................... 12 3.1 3.2 3.3 3.4 3.5 Fragebogen...................................................................................................... 12 Methoden und Stichprobe ................................................................................ 13 Definition der Untersuchungsgruppe ...............................................................13 Durchführung und Rücklauf ............................................................................. 14 Auswertung der Ergebnisse ............................................................................. 14 4 Beschreibende Ergebnisse der Explorationsstudie .......................... 15 4.1 Individuum ........................................................................................................ 16 4.1.1 Gesundheit und Wohlbefinden .................................................................. 16 4.1.2 Ernährung und sportliche Betätigung ........................................................ 22 4.1.3 Freizeit ....................................................................................................... 25 4.2 Soziale Umgebung........................................................................................... 28 4.2.1 Familie ....................................................................................................... 28 4.2.2 Schule ........................................................................................................ 30 4.2.3 Freunde ..................................................................................................... 31 4.3 Risikoverhalten ................................................................................................32 4.3.1 Sexualität ................................................................................................... 32 4.3.2 Tabak, Alkohol und Illegale Substanzen ................................................... 33 4.3.3 Gewalt und Bedrohungen .......................................................................... 35 4.3.4 Zukunftsangst ............................................................................................ 36 4.3.5 Protektion .................................................................................................. 37 4.3.6 Bewältigung von Schwierigkeiten ..............................................................38 v 4.4 Zusammenfassung der Resultate .................................................................... 40 5 Diskussion der Resultate ..................................................................... 41 5.1 5.2 5.3 5.4 Diskussion der Forschungsfragen und Hypothesen ........................................ 41 Vergleich der Ergebnisse mit dem aktuellen Forschungsstand ....................... 47 Pfadanalyse ..................................................................................................... 47 Entwicklung neuer Erkenntnisse ...................................................................... 52 6 Zusammenfassung der Ergebnisse .................................................... 54 6.1 6.2 6.3 6.4 Die wichtigsten Übereinstimmungen und Unterschiede zum aktuellen Forschungsstand .............................................................................................54 Erkenntnisse für die Optimierung der Prävention ............................................ 55 Kritik und Grenzen der Studie .......................................................................... 56 Schlussfolgerungen und Ausblick .................................................................... 56 7 Literaturverzeichnis und Quellenangaben ......................................... 59 8 Selbständigkeitserklärung ................................................................... 61 9 Anhänge ................................................................................................. 62 9.1 9.2 9.3 Modellübersicht ................................................................................................62 Praktische Vorschläge für die Ernährungsprävention in Schulen .................... 66 Fragebogen...................................................................................................... 68 vi Verzeichnis der Abbildungen Abbildung 1: Hauptdeterminanten der Gesundheit nach Dahlgren & Whitehead 1991 ............................................................... 6 Abbildung 2: Kontinuum Gesundheit-Krankheit, Quelle RADIX (2013) .................... 9 Abbildung 3: Risikofaktoren und Schutzfaktoren-Modell, leicht adaptiert nach Hüsler, G. (2010). ....................................................................... 9 Abbildung 4: Darstellung des Orientierungsmodells als Pfadanalyse .................... 10 Abbildung 5: Selbsteingeschätzter Gesundheitszustand ....................................... 17 Abbildung 6: Von allen Schmerzsymptomatiken sind Mädchen mehr betroffen .... 18 Abbildung 7: Anzahl Stunden Schlaf pro Nacht ..................................................... 19 Abbildung 8: Anzahl befragter Mädchen und Jungen zu Bewertung der Lebenszufriedenheit .......................................................................... 21 Abbildung 9: Häufigkeit des Frühstücks ................................................................. 23 Abbildung 10: Häufigkeit der sportlichen Aktivität pro Woche .................................. 25 Abbildung 11: Freizeittätigkeiten der Jugendlichen .................................................. 26 Abbildung 12: Familienstrukturen ............................................................................. 29 Abbildung 13: Anzahl der befragten Mädchen und Jungen gemessen an der Schulfreude ....................................................................................... 31 Abbildung 14: Einflussverhalten von Freunden ........................................................ 32 Abbildung 15: Übersicht über Alkohol-, Tabak- und Drogenkonsum differenziert nach Alter, Geschlecht, Schultypus und Wohnumgebung ................ 34 Abbildung 16: Bedrohung durch Mobbing oder Gewalt in der Schule ...................... 35 Abbildung 17: Zukunftsangst der befragten Jugendlichen ....................................... 37 Abbildung 18: Protektionsverhalten .......................................................................... 38 Abbildung 19: Bewältigung von Schwierigkeiten ...................................................... 39 Abbildung 20: Zusammenhang zwischen Bildung und Gesundheit (Mielck, 2000; Hurrelmann, 2000; und Lamprecht et al., 2006) ................................43 Abbildung 21: Einfluss-Faktoren auf das Gesundheitsverhalten. (Nur signifikante Pfade) ................................................................................................49 Abbildung 22: Pfadmodell Risikoverhalten, direkte Einwirkung der Kontextfaktoren auf das Risikoverhalten. (Nur signifikante Pfade) .............................51 Abbildung 23: Pfadmodell der moderierenden Einflussfaktoren auf das Risikoverhalten .................................................................................. 53 vii Verzeichnis der Tabellen Tabelle 1: Risiko- und Schutzfaktoren gruppiert nach individueller, familiärer und sozialer Ebene. ...................................................................................... 10 Tabelle 2: Anzahl der befragten Mädchen und Jungen differenziert nach Schultypus und Lebensumgebung ......................................................... 14 Tabelle 3: Gesundheitsverhalten auf dem Land ..................................................... 47 Verzeichnis der Abkürzungen AIMRaD Abstract, Introduction, Methods, Results and Discussion ANOVA Analysis of Variance HBSC-Studie Health Behaviour in School-Aged Children SGE Schweizerische Gesellschaft für Ernährung SPSS Statistical Package for the Social Sciences STI Sexually Transmitted Infection WHO World Health Organization viii 1 1.1 Einleitung Ausgangslage Lange Zeit galt das Kindheits- und Jugendalter als beschwerdefreie und mehrheitlich gesunde Lebensphase (Hurrelmann, 2010). Tatsächlich zeigen die Daten des Bundesamtes für Statistik einen U-förmigen Zusammenhang zwischen dem Lebensalter und dem Mortalitätsrisiko (Kuntsche, 2004, S. 281). Dieses Ergebnis belegt die Vorstellung, dass Kindheit und Jugend diejenigen Lebensabschnitte sind mit der geringsten Lebensbedrohung durch Krankheiten Substanzmissbrauch, Tötungen und Unfälle. Diese erfreuliche Tatsache birgt jedoch die Schattenseite in sich, dass Jugendliche ihre Gesundheit oftmals als eine Art unerschöpfliches Gut betrachten (Kuntsche, 2004). Das Jugendalter ist eine sehr sensible Lebensphase, in der die heranwachsenden Jugendlichen die gravierendsten Veränderungen im physischen, psychischen, emotionellen und kognitiven Bereich (Sawyer et al., 2012, in Marmet, 2015) durchlaufen. Zudem müssen sie gleichzeitig hohe Anforderungen in der Schule bewältigen. Auf dem Weg zum Erwachsenwerden gilt es, eine zunehmende emotionelle und soziale Unabhängigkeit von den Eltern zu erreichen, die Auseinandersetzung mit körperlichen Entwicklungen zu bewältigen, Entscheidungen zur Ergreifung eines Berufes zu treffen, Beziehungen und Konsumverhalten aufzubauen. Diese Phase ist oft nicht einfach zu bewältigen, da die verschiedenen Entwicklungsaufgaben häufig in Widerspruch miteinander stehen. Die Jugendlichen müssen sich an Veränderungen anpassen, um sich eine eigene Identität anzueignen und ein Gefühl für persönliche Kompetenzen zu entwickeln (Bentuelle und Demeulemeester, 2008). Die Adoleszenz ist eine Zeit des Experimentierens, und es gehört ebenfalls zu den Entwicklungsaufgaben der Heranwachsenden, die Fähigkeit des Umgangs mit Risiken zu erlernen und zu erfahren, mit welchen Herausforderungen sie umgehen können und mit welchen nicht (Hendry und Kloep, 2002, S. 85). Aufgrund dieser Entwicklungsanforderungen ist nachvollziehbar, dass gewisse Gesundheitsbelange in der Adoleszenz einen eher untergeordneten Stellenwert aufweisen und es schwierig ist, Jugendliche zu einem gesundheitsbewussten Verhalten zu animieren, weil das Problembewusstsein eine Grundvoraussetzung für die Änderung von gesundheitsschädigendem Verhalten ist (Prochaska et al., 1992; Prochaska & Velicer, 1997, in Kuntsche, 2012). Damit wird klar, dass ein entsprechendes Gesundheitsverhalten und die Risikovermeidung sehr stark vom Klima der 1 Anregung durch externe gesellschaftlichen Faktoren sein muss, weil Jugendliche tendenziell von sich aus nicht auf dieser Bewältigungsaufgabe vorbereitet sind. Andererseits sind gewisse Jugendliche in ihrer Adoleszenz Risikofaktoren stärker ausgesetzt als andere Gleichaltrige, und sind deshalb vulnerabler, mit Risikoverhaltensweisen zu experimentieren und sie unter Umständen zu übernehmen (BAG, 2014). Resultate aus der HBSC-Studie (Health Behavior in School-aged Children) 2010, zeigen, dass das häufige Auftreten physischer und psychoaffektiver Symptome, Unzufriedenheit mit den Lebensumständen, eine geringe elterliche Kontrolle, das abendliche Ausgehen mit Freunden (mindestens einmal pro Woche) signifikant mit dem Konsum psychoaktiver Substanzen (Tabak, Alkohol, Cannabis), aggressiven Verhaltensweisen in der Schule und ungesunden Gewichtskontrollstrategien assoziiert sind (Archimi und Delagrande Jordan, 2014). Wie aus dem Bericht „Konsum psychoaktiver Substanzen Jugendlicher in der Schweiz – Zeitliche Entwicklungen und aktueller Stand“ (ermittelt aus der HBSCStudie 2010) der Organisation Sucht Schweiz hervorgeht, können sich gesundheitsrelevante Verhaltensweisen im Verlaufe der Adoleszenz verändern. So hat der Anteil der 11- bis 15-jährigen Jugendlichen, welche körperlich aktiv sind und Sport treiben, kontinuierlich abgenommen, während beispielsweise die Anteile derjenigen Jugendlichen, die fernsehen, Tabak rauchen und Alkohol trinken, kontinuierlich ansteigen. Etablieren sich solche Verhaltensweisen als Gewohnheiten, sind sie auch durch präventive Bemühungen oder Interventionen relativ schwierig zu verändern und bleiben oftmals bis ins höhere Erwachsenenalter bestehen (Hamburg et al., 1993, in Windlin et al., 2011). Trotz Aufklärungs- und Präventionskampagnen im Setting Schule und Jugendarbeit zeigen jüngste Studien (HBSC), dass das jugendliche Bewusstsein betreffend Gesundheit und gesundheitsbeeinflussenden Verhaltensweisen nach wie vor unzureichend ist. Es stellt sich also die Frage nach den weiteren Ursachen und Einflussfaktoren, welche die sinkende gesundheitsbezogene Lebenszufriedenheit in der Adoleszenz begünstigen. Die vorliegende Arbeit setzt sich zum Ziel, einen Beitrag zur Behebung dieses Mangels zu leisten. Bisher wurde der Aspekt, wie sich die Lebensumgebung Stadt/Land und die Schule auf die allgemeine und gesundheitsbezogene Lebenszufriedenheit der Jugendlichen auswirkt, in vorliegenden, jüngeren Studien nicht ausführlich untersucht, könnte 2 aber diesbezüglich neue Erkenntnisse bringen. Die vorliegende Arbeit basiert demzufolge auf der folgenden Fragestellung: 1.2 Fragestellung Ist die sinkende gesundheitsbezogene Lebenszufriedenheit eine Folge der Lebensumgebung (Stadt/Land und Schule), welche einen prägenden Einfluss auf die Jugendlichen hat und deshalb entwicklungstypisch ist für die Zeitspanne der Adoleszenz? Zur Beantwortung der vorliegenden Fragestellung werden die Perspektiven der Jugendlichen mittels einer eigenen durchgeführten quantitativen Befragung einbezogen sowie Erkenntnisse aus früheren Ergebnissen grosser Studien, wie der HBSCStudie 2010, und bereits bestehendem Wissen aus der Jugendsoziologie verwendet. 1.3 Zielsetzung Die vorliegende Arbeit hat einerseits zum Ziel aufzuzeigen, in welchem Masse die vier Gesundheitsdeterminanten nach Dahlgren und Whitehead (1991) • Faktoren individueller Lebensweisen • Soziale und kommunale Netzwerke • Lebensbedingungen • Physische Umwelt Einflussfaktoren auf die sinkende gesundheitsbezogene Lebenszufriedenheit in der Adoleszenz sind. Andererseits sollen aus der Untersuchung Informationen über den selbsteingeschätzten Gesundheitszustand und das Gesundheitsverhalten Jugendlicher im Vergleich Stadt/Land/Agglomeration erfasst werden. Eventuelle auffällige Erkenntnisse im Gesundheitsverhalten der verschiedenen Lebensumgebungen könnten einen Beitrag für zukünftige Präventionsstrategien leisten. Damit wird hier von der Vorstellung ausgegangen, dass mittels der Erfassung des selbsteingeschätzten Gesundheitszustandes zunächst am besten ein Bild über die aktuelle Situation der Jugendlichen verschafft werden kann. 3 1.4 Abgrenzung der Arbeit Thematisch wird die Problemstellung auf das gesundheitsbezogene Risikoverhalten, dessen Kontexte, Ursachen und Folgen eingegrenzt. Weitere Themen wie Werte, politisches Engagement, Religion oder Migrationshintergründe wären ebenfalls Diskussionsthemen, welche zur Erforschung der gesundheitsbezogenen Lebenszufriedenheit beitragen. Das wären Aspekte, die dann wichtig würden, wenn an die hier zu erarbeitenden Ergebnisse ergänzende Fragen angefügt würden, oder wenn ganz einfach die hier gewählte Perspektive zu keinen positiven Ergebnissen führen würde. 1.5 Aufbau der Arbeit Diese empirische Arbeit wird nach der Struktur AIMRaD (Abstract, Introduction, Methods, Results and Discussion) gegliedert (FFHS, Departement Gesundheit). Auf die Zusammenfassung und Einleitung folgt der theoretische Teil, in welchem auf Gesundheit, das allgemeine Gesundheitsverhalten und das risikobezogene Gesundheitsverhalten mit deren Ursachen und Folgen in der Adoleszenz eingegangen wird und wo Schutz- und Risikofaktoren genauer erläutert werden. Weiter wird auf das Orientierungsmodell eingegangen und werden die Formulierungen der Forschungsfragen und Orientierungshypothesen beschrieben. Im darauf folgenden Methodenteil wird das methodische Vorgehen erklärt und anschliessend im Teil mit den Resultaten über die erhobenen Daten und die durchgeführten Analysen berichtet. In der darauf folgenden Diskussion werden die Ergebnisse miteinander in Beziehung gesetzt und interpretiert. Die Ergebnisse werden dann mit Erkenntnissen aus der Theorie in Verbindung gebracht und Vorschläge für die Prävention entworfen. Die angewandte Methode sowie das Vorgehen werden kritisch hinterfragt und noch offene oder neu entstandene Fragen angefügt. Die Schlussfolgerungen bilden den Abschluss der Forschungsarbeit. 2 Theoretisches Modell 2.1 2.1.1 Lebenszufriedenheit und gesundheitsbezogene Lebenszufriedenheit Lebenszufriedenheit Die Bewertung des eigenen Lebens ist ein Ausdruck des eigenen Wohlbefindens, wird von zahlreichen Faktoren geprägt und ist ein zeitlich relativ stabiles Konstrukt. Die besondere Relevanz der Lebenszufriedenheit der Jugendlichen ergibt sich dadurch, dass in dieser Lebensphase die Lebenszufriedenheit vor allem durch ei- 4 gene Lebenserfahrungen sowie durch familiäre Beziehungen geprägt wird (Pavot und Diener, 1993; aus Factsheet HBSC 2009/10 Deutschland, Review of the Satisfaction with Life Scale. Psychological Assessment, 5, 164-172). 2.1.2 Gesundheitsbezogene Lebenszufriedenheit Die gesundheitsbezogene Lebenszufriedenheit wird allgemein als ein mehrdimensionales Konstrukt verstanden, das körperliche, emotionale, mentale, soziale, spirituelle und verhaltensbezogene Komponenten des Wohlbefindens und der Funktionsfähigkeit aus der Sicht der Betroffenen beinhaltet. Gesundheitsbezogene Lebensqualität beschreibt somit den subjektiv wahrgenommenen Gesundheitszustand bzw. die erlebte Gesundheit (vgl. Schumacher, Klaiberg, Brähler, 2003 in RavensSieberer, 2007) und definiert den Begriff in dieser Weise am umfassendsten. 2.2 Gesundheit und Gesundheitsverhalten 2.1.3 Gesundheit Der Begriff Gesundheit umfasst eine Vielzahl von Bedeutungs- und Interpretationsmöglichkeiten und reicht von fachspezifischen bis zu philosophischen Inhalten. Das englische Wort für „Gesundheit“ (health) ist abgeleitet von „heal“ heilen und vom altenglischen Wort „hael“ , welches so viel wie „vollständig, umfassend“ bedeutet und als Integrität, Wohlbefinden und Unversehrtheit der ganzen Person definiert werden kann (Naidoo und Wills, 2010). Die WHO definiert Gesundheit als Zustand des vollkommenen körperlichen, seelischen und sozialen Wohlbefindens und nicht die blosse Abwesenheit von Krankheit oder Gebrechen (Ottawa-Charta, 1986). Wenn es um die Verantwortung der Gesundheit geht, so steht einerseits der Mensch selbst im Mittelpunkt, das heisst, er ist eigenverantwortlich für die Erhaltung seiner Gesundheit, andererseits wirken diverse Faktoren, sogenannte Determinanten, auf seine Gesundheit ein. Margret Whitehead und Göran Dahlgren (1991) haben die verschiedenen Ebenen in einem Modell, dem sogenannten Regenbogenmodell, dargestellt, auf denen diese Faktoren wirken: 1. Ebene: Persönliche Verhaltens- und Lebensweisen 2. Ebene: Unterstützung und Beeinflussung durch das soziale Umfeld 3. Ebene: Lebens- und Arbeitsbedingungen 4. Ebene: Ökonomische, kulturelle und physische Umweltbedingungen 5 Abbildung 1: Hauptdeterminanten der Gesundheit nach Dahlgren & Whitehead 1991 Dies macht deutlich, dass Gesundheit und Wohlbefinden nicht nur durch biologische Faktoren bestimmt werden und beeinflussbar sind, sondern zudem von äusseren Faktoren beeinflusst werden. 2.1.4 Gesundheitsverhalten Als Gesundheitsverhalten werden alle Verhaltensweisen von gesunden Menschen verstanden, die nach wissenschaftlichen (epidemiologischen) Erkenntnissen die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass Krankheiten vermieden werden oder die Gesundheit erhalten wird. Der Begriff wird damit vielfach als Gegenbegriff zum Risikoverhalten verwendet, der alle Verhaltensweisen oder Gewohnheiten umfasst, die wissenschaftlich belegt die Wahrscheinlichkeit erhöhen, eine spezifische Krankheit zu entwickeln (Faltermeier, 1994). Nach Scholz und Schwarzer (2005, in Knoll, Scholz und Rieckmann, 2013) stellt Gesundheitsverhalten eine präventive Lebensweise dar, die Schäden fernhält, Fitness fördert und die Lebenserwartung verlängern kann. Als Beispiele können sportliche Aktivität, gesunde Ernährung, Sonnenschutzverhalten, Kondombenutzung, Zahnpflege und andere angeführt werden. Verhaltensweisen, welche die Gesundheit potenziell gefährden und nachgewiesenermassen schädigen (Rauchen, Alkohol- und Drogenkonsum), können dagegen als Risikoverhalten bezeichnet werden. 2.2 Risikobezogenes Gesundheitsverhalten in der Adoleszenz, deren Ursachen und Folgen Das Gesundheitsverhalten im Jugendalter umfasst sowohl gesundheitsförderliche Verhaltensweisen wie ausreichende Bewegung, gesunde Ernährung, Zahnhygiene, Verhütungsmittelgebrauch, protektive Massnahmen wie Tragen eines Schutzhelmes, Sonnenschutz und Gehörschutz als auch gesundheitsgefährdende Verhal- 6 tensweisen wie Alkohol- und Drogenkonsum (Hurrelmann, 2010). Als risikohaftes Gesundheitsverhalten können auch hoher Zuckerkonsum, sitzende Freizeitaktivitäten wie fernsehen, übermässiger Handy- und PC-Konsum angesehen werden. Da sich im Jugendalter fast alle gesundheitsbezogenen Verhaltensweisen deutlich mit dem Lebensalter verändern (gesundheitsgefährdende Verhaltensweisen nehmen durchschnittlich zu und sinken nach Erreichen des dritten Lebensjahrzehnts wieder ab), liegt es nahe, nach den Gründen für die entwicklungsbezogenen Einflüsse zu suchen (Hurrelmann, 2010). Gemäss Hurrelmann und Quenzel (2012) gibt es hierfür zwei sich ergänzende Erklärungsansätze: Einerseits kommt es nach dem verhältnismässig kontinuierlichen Wachstum der Körperfunktionen in der Kindheit, durch die Geschlechtsreife zu einem Ungleichgewicht in der körperlichen und psychischen Entwicklung der Persönlichkeit. Der gesamte Körper ist in anatomische, physiologische und hormonelle Veränderungen einbezogen, was umfassende Auswirkungen auch auf der seelischen und sozialen Ebene hat. Neurobiologische Veränderungen im Gehirn, die für den Reifeprozess verantwortlich sind, führen dazu, dass Jugendliche in der Pubertät mehr von emotionalen und sozialen Faktoren beeinflusst werden und stärker auf Stimuli wie riskante Verhaltensweisen reagieren, während selbstregulatorische Kompetenzen erst mit zunehmendem Reifeprozess im späteren Jugendalter zunehmen. Andererseits stehen auf dem Weg zum Erwachsenwerden konstitutive und gesellschaftliche Erwartungen an, die als Entwicklungsaufgaben bezeichnet werden können. Typische Entwicklungsaufgaben in der Adoleszenz sind beispielsweise das Erreichen von Unabhängigkeit von den Eltern, Aufbau von Beziehungen (Peergroups und Partnerschaften) und die Auseinandersetzung mit der körperlichen und persönlichen Entwicklung. Diese Entwicklungsaufgaben sind oftmals nicht leicht zu bewältigen, da die Handlungsbedingungen zur Erreichung des Erwachsenenstatus nicht klar definiert sind und zudem Entwicklungsbereiche komplex vernetzt sind (Widerspruch = schulisches Engagement und Aufbau von Peerbeziehungen). Diese Konflikte können dazu führen, dass Jugendliche riskante gesundheitsbezogene Verhaltensweisen zeigen, um die Lösung von Entwicklungsaufgaben voranzutreiben (Hurrel- mann, 2010). Den Umgang mit diesen Risiken zu erlernen und zu erfahren, mit welchen Herausforderungen sie umgehen können und mit welchen nicht, gehört ebenfalls zu den Entwicklungsaufgaben von Jugendlichen und ist notwendig, um die eigenen Kompe- 7 tenzen abzuschätzen und um Defizite kompensieren zu können (Hendry und Kloep, 2002, in Hurrelmann, 2012). Allerdings können riskante gesundheitsbezogene Verhaltensweisen, wie Rauchen, Alkoholkonsum und negative Ernährungsgewohnheiten, die im Jugendalter entstehen und sich manifestieren, zu gesundheitlichen Problemen im Erwachsenenalter führen, wie zum Beispiel Stoffwechselerkrankung, Übergewicht, Krebs und HIVInfektionen, zudem sind Risikoverhaltensweisen die wichtigsten Ursachen für Todesfälle (Unfall, Suizid) in diesem Altersabschnitt. Damit ist das Jugendalter ein wichtiges Zeitfenster für Präventionsmassnahmen (Pinquart & Silbereisen, in Hurrelmann, 2010). 2.3 Risiko- und Schutzfaktoren-Modell Gesundheit stellt keinen statischen Zustand dar, sondern ist vielmehr von einer sich laufenden veränderlichen Positionierung auf einem Raum-Zeit-Kontinuum von Gesundheit und Beschwerdelast geprägt. Diese Positionierung wird von einem Zusammenspiel von Risikofaktoren und Schutzfaktoren (oder Ressourcen) bestimmt. Erklärende Definitionen siehe unten (Radix Schweiz, 2013): Risikofaktoren sind Merkmale einer Person, deren materiellen oder sozialen Umwelt, welche die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass sich bestimmte Risikoverhalten, Krankheiten oder gesundheitliche Störungen entwickeln. Risikofaktoren brauchen nicht unmittelbare Ursache der Gesundheitsstörungen zu sein. Beispiele: geringes Selbstwertgefühl, fehlende Verhaltensregeln in Familie und Schule, mangelnde Bildung, sozio-ökonomische Einflüsse u.a. Schutzfaktoren sind Merkmale einer Person oder deren Umwelt, welche die Wahrscheinlichkeit vermindern, dass sich Risikoverhalten, eine bestimmte Krankheit oder gesundheitliche Störungen entwickeln. Schutzfaktoren sind nicht einfach der Gegenpol von Risikofaktoren. Sie sind für die Prävention wichtig, weil sie die Auswirkungen von bestehenden, z.T. unveränderbaren Risikofaktoren abschwächen können. Beispiele: Familiäre Bindung, soziale Kompetenzen, Bildung u.a. Risiko-Schutzfaktoren-Modell Gemäss dem Risiko-Schutzfaktoren-Modell besteht die zentrale Strategie von Prävention und Gesundheitsförderung darin, die Gesundheit einerseits über eine Reduktion oder Abminderung von Risikofaktoren, vor allem aber durch die Stärkung oder den Ausbau von Schutzfaktoren zu verbessern. Die empirische Erfahrung 8 zeigt, dass auch erhebliche Risikokonstellationen, die je nachdem nur beschränkt beeinflussbar sind, durch genügend Schutzfaktoren abgemildert werden können. Abbildung 2: Kontinuum Gesundheit-Krankheit, Quelle RADIX (2013) Im Zusammenhang mit Risiko- und Gesundheitsverhalten, Schutz- und Risikofaktoren treten auch Begriffe wie Resilienz und Vulnerabiliät auf. Das Zusammenspiel dieser Faktoren wird in der folgenden Abbildung sichtbar. Abbildung 3: Risikofaktoren und Schutzfaktoren-Modell, leicht adaptiert nach Hüsler, G. (2010). Quelle: FFHS, Gesundheitspsychologie, 2014 Bei steigender erhöhter Vulnerabiliät kommen Risikofaktoren stärker und Schutzfaktoren schwächer zum Tragen, umgekehrt hat Resilienz einen stärkeren Einfluss: Risikofaktoren werden abgemildert und Schutzfaktoren gestärkt. Das heisst: Je höher die Risikofaktoren, desto eher muss wahrscheinlich mit Problemverhalten/Risikoverhalten gerechnet werden, und je höher die Schutzfaktoren, desto weniger muss wahrscheinlich mit Problemverhalten gerechnet werden. Resilienz, als Personeneigenschaft, bezeichnet die Stressresistenz und Widerstandfähigkeit und wird als stabile und situationsübergreifende Eigenschaft verstanden. Nebst Personenmerkmalen werden auch Umweltfaktoren als entscheidende protektive Einflüsse betrachtet, die als modifizierbar gelten. Vulnerabilität (Verletzbarkeit): Individuelle Disposition, die Risikoverhalten und 9 psychische Störungen begünstigt. Sie wird von genetischen, psychischen und sozialen Faktoren bestimmt. Eine Vielzahl von Risiko- und Schutzfaktoren können gleichzeitig relevant für verschiedene Problembereiche sein. Zum besseren Verständnis zeigt die nachfolgende Tabelle eine Auswahl übergeordneter Risiko- und Schutzfaktoren (RADIX, 2013). Ebene Risikofaktoren Schutzfaktoren Individuum Geringes Selbstwertgefühl Mangelnde Konfliktlösekompetenz, Gewalterfahrungen Impulskontrolle Frustrationstoleranz Selbstwirksamkeitserwartung Verantwortungsvolle Lebenseinstellung Familie Einseitiger Erziehungsstil Mangelnde Bildung der Eltern Schlechte Beziehung zu Eltern Substanzmissbrauch der Eltern Positive familiäre Einbettung Vorbildfunktionen Soziale Umgebung, Peergruppe, Schule Mangelnde Integration Unbeliebtheit bei Gleichaltrigen Mangelnde Schulfreude Vielfältige Freizeitgestaltung Positives Schulklima Tabelle 1: Risiko- und Schutzfaktoren gruppiert nach individueller, familiärer und sozialer Ebene 2.4 2.4.1 Orientierungsmodell und Forschungsfragen Orientierungsmodell Das Ziel der vorliegenden Arbeit ist es aufzuzeigen, welche Einflussfaktoren auf das Risiko- sowie das Gesundheitsverhalten Jugendlicher einwirken und dadurch als Resultante der entgegengesetzten Kräfte für die sinkende gesundheitsbezogene Lebenszufriedenheit in der Adoleszenz eine wesentliche Rolle spielen. Diese Erkenntnisse könnten unter Umständen in weitere Präventionsprojekte in der Jugendarbeit einfliessen. Alter Familie Bewältigung von Schwierigkeiten Geschlecht Risikoverhalten Lebensumgebung Gesundheitsverhalten Lebenszufriedenheit Schultypus Abbildung 4: Darstellung des Orientierungsmodells als Pfadanalyse 10 Unter Berücksichtigung der einzelnen Einflussfaktoren auf das Gesundheitsverhalten und das Risikoverhalten, widerspiegelt das Orientierungsmodell folgende Forschungsfragen: 2.4.2 Forschungsfragen Forschungsfrage 1 Wie hoch ist die allgemeine, selbsteingestufte Lebenszufriedenheit bei Adoleszenten, insbesondere mit Bezug auf die Gesundheit, in Abhängigkeit des Geschlechts, der Lebensumgebung und des Schulniveaus. Forschungsfrage 2 Welche Einflussfaktoren sind ausschlaggebend für eine verminderte gesundheitsbezogene Lebenszufriedenheit der Jugendlichen? Forschungsfrage 3 Sind erhöhtes Risikoverhalten, missbräuchlicher Suchtmittelkonsum und vermindertes Ernährungsbewusstsein direkte Folgen einer verminderten Lebenszufriedenheit oder resultiert eine solche daraus? Forschungsfrage 4 Gibt es Unterschiede im Gesundheitsverhalten und der gesundheitsbezogenen Lebenszufriedenheit zwischen Jugendlichen aus der Stadt und vom Land? Aus dem Fokus der Fragestellung und den in der Folge hergeleiteten Forschungsfragen ergeben sich folgende Orientierungshypothesen: 2.5 Hypothesen Orientierungs-Hypothese 1a: Jungen zeigen wahrscheinlich eine höhere allgemeine Lebenszufriedenheit als Mädchen, und Mädchen schätzen wahrscheinlich ihre gesundheitsbezogene Lebenszufriedenheit höher ein als Jungen. Orientierungs-Hypothese 1b: Je höher das Schulbildungsniveau, desto bewusster wird wahrscheinlich das Gesundheitsverständnis der Jugendlichen. Orientierungs-Hypothese 1c: Die Lebensumgebung der Stadt und der Agglomeration führen wahrscheinlich zu einer verminderten Lebenszufriedenheit als die Lebensumgebung Land. 11 Orientierungshypothese 2: Je geringer das familiäre Gesundheitsverständnis und -verhalten, umso kleiner ist wahrscheinlich die gesundheitsbezogene Lebenszufriedenheit der Jugendlichen. Orientierungs-Hypothese 3: Je höher bei Jugendlichen Selbstwirksamkeit und Kohärenzgefühl ausgeprägt sind, desto geringer scheint die Vulnerabiliät zu erhöhtem Risikoverhalten zu sein. Orientierungshypothese 4: Jugendliche aus der Lebensumgebung Land zeigen wahrscheinlich ein geringeres risikobezogenes Gesundheitsverhalten und eine höhere gesundheitsbezogene Lebenszufriedenheit als Jugendliche aus der Lebensumgebung Stadt und Agglomeration. 3 3.1 Methoden der empirischen Untersuchung Fragebogen Die für die Studie verwendeten Daten wurden mittels Fragebogen in Papierform erhoben. Schriftliche Befragungen haben den Vorteil, dass sie anonym durchgeführt werden können und dadurch sozial angepasstes Antwortverhalten verringert werden kann. Die Abgabe des Fragebogens in Papierform durch die Lehrpersonen direkt an die Schüler sorgt für eine höhere Rücklaufquote, was in Anbetracht des vorgegebenen Zeitraums ein Vorteil ist. Erfasst wurden Items, die sich zur Untersuchung des Gesundheitsverhaltens und der Lebenszufriedenheit eignen. Der Fragebogen enthielt 40 Fragen und wurde in 14 Themenblöcke gegliedert. 1. Gesundheit und Wohlbefinden 2. Schule 3. Familie und Wohnumgebung 4. Gesundheitsverhalten 5. Freizeit und Bewegung 6. Sexualität 7. Ernährung 8. Suchtverhalten Tabak 9. Suchtverhalten Alkohol 10. Suchtverhalten Drogen und psychoaktive Substanzen 11. Umwelt 12. Zukunft 12 13. Bewältigung von Schwierigkeiten 14. Lebenszufriedenheit Ausser bei den Fragen zu Alter, Grösse und Gewicht, Beruf der Eltern, Schlafdauer und Lebenszufriedenheit wurden die Fragen so verfasst, dass die Jugendlichen bei vorgegebenen Antworten ein Kreuz setzen konnten. Zusammen mit dem Fragebogen (siehe Anhang 8.2) erhielten die Schülerinnen und Schüler einen neutralen Umschlag, in den sie den ausgefüllten Fragebogen stecken konnten und den sie zugeklebt der Lehrperson abzugeben hatten. Die Fragebogen wurden anschliessend in den Umschlägen von der Lehrperson in einem vorfrankierten Karton zurückgesandt. 3.2 Methoden und Stichprobe Die Befragung wurde in Form einer Klumpenstichprobe (Clusterstichprobe) durchgeführt. Das heisst, die Auswahl erfolgte nicht auf einzelne Schülerinnen und Schüler, sondern auf der Ebene von ganzen Schulklassen. Die einzelnen Cluster wurden mit der Absicht gezielt ausgewählt, um mit Bezug auf die nationalen, repräsentativen Stichproben vertiefende Sondierungen zu den gesundheitsbezogenen Fragen durchzuführen. Insbesondere wurden Klassen aus der deutschen Schweiz ausgewählt, die sich nach Stadt, Agglomeration und Land, sowie nach Realschule, Sekundarschule und Gymnasium unterscheiden, damit die Einflüsse von der Lebensumgebung und des Schultypus auf gesundheitsbezogene Variablen untersucht werden können. Die Schulleitungen der ausgewählten Schulen wurden schriftlich zur Teilnahme angefragt und informiert. Zu diesem Zeitpunkt wurde den Schulleitern eine Rohfassung des Fragebogens zur Prüfung ethisch-moralischer Bedenken beigelegt. 3.3 Definition der Untersuchungsgruppe Die Stichprobenbeziehung bildeten Schulklassen des 7. bis 9. Schuljahres, gegliedert nach Schultypus Real- und Sekundarschule sowie Gymnasium (Quarta). Ausgewählt wurden je eine Klasse aus der Lebensumgebung Land, Agglomeration sowie Stadt. Die Schüler waren zu diesem Zeitpunkt zwischen 11 und 17 Jahre alt. Von 330 teilnehmenden Schülern haben 329 die Fragebogen ausgefüllt, 1 Schüler war krankheitshalber abwesend. 85 Schüler (25,8%) leben in der Wohnumgebung 13 Stadt, 144 Schüler (43,8%) in der Wohnumgebung Agglomeration und 100 Schüler (30.4%) in der Wohnumgebung Land. Die nachfolgende Tabelle zeigt die Zusammensetzung der ausgewählten Stichprobe differenziert nach Geschlecht, Schultyp und Lebensumgebung. Anzahl (n) Schultyp Total Realschule Sekundarschule Gymnasium Mädchen 48 95 37 Jungen 59 59 Gesamtsumme 107 154 Lebensumgebung Total Stadt Agglomeration Land 180 48 84 48 180 31 149 37 60 52 149 68 329 85 144 100 329 Tabelle 2: Anzahl der befragten Mädchen und Jungen differenziert nach Schultypus und Lebensumgebung 3.4 Durchführung und Rücklauf Die Lehrpersonen der ausgewählten Klassen erhielten die Fragebogen Ende Februar 2015 und hatten 4 Wochen Zeit, die Befragung während einer Schulstunde durchzuführen und die ausgefüllten Fragebogen zurückzusenden. Dies geschah mit allen angeschriebenen Klassen, was einer Rücklaufquote von 100% entspricht. Die Lehrkräfte und Schüler wurden ausdrücklich auf Anonymität und das Recht auf die freiwillige Teilnahme hingewiesen. 3.5 Auswertung der Ergebnisse Die Auswertung der Fragebogen erfolgte unter Zuhilfenahme der Statistik- und Analysesoftware SPSS (Statistical Package for the Social Sciences) der Software-Firma IBM. In einem ersten Schritt galt es die Antwort-Variablen anhand des erstellten Fragebogens zu definieren und ein Codebuch (125 Variablen) zu erstellen. Diese Variablen wurden je nach Thema und Frage einer Ordinal- (Wert einer Antwort, z.B. 1=schlecht / 4=sehr gut), Nominal- (Benennung der Antwort, z.B. 1=Akademiker / 3=Angestellter) und einer numerischen Skala (Angabe einer Zahl, z.B. Altersangabe) zugeteilt. Darüber hinaus wurden gewisse Antworten auf nominale oder ordinale Skalen in „pseudo“-numerische Variablen recodiert (Dichotomisierung: 1=Ja 0=Nein oder Jungen=0, Mädchen=1. Weiter ist zu erwähnen, dass bei 4-stufigen Skalen jeweils der tiefste oder der negativste Wert eine 1 und der höchste oder positivste Wert eine 4 erhält. Die Variablen wurden zur Auswertung der Antworten in einer Korrelation gegenüberstellt und der daraus resultierende Korrelations-Koeffizient als dimensionsloses Mass (Stärke) für den Grad des linearen Zusammenhangs zur 14 Erklärung verwendet. Dort wo es um die vereinfachte Darstellung von Kreuztabellen ging, also um die Darstellung von bivariaten Korrelationen wurde das Tau-b von Kendall verwendet (Signifikationsniveau *p < .005; **p < .01; ***p < .001). Dort wo Pfadanalysen angestellt wurden, also multiple partielle Korrelationsanalysen durchgeführt wurden, ist der standardisierte Regressionskoeffizient von Pearson verwendet worden (beta Koeffizienten). 4 Beschreibende Ergebnisse der Explorationsstudie In diesem Kapitel werden die Ergebnisse der Explorationsstudie in deskriptiver Weise dargestellt. Dazu gehören die univariaten Verteilungen der wichtigsten Variablen und die korrelative Darstellung der wichtigsten Bündel von Variablen. Unter Bündeln von Variablen werden hier diejenigen Variablen verstanden, die sich um eine Zielvariable bilden und darstellen können, ob und in welchem Sinn die Variablengruppe ein Syndrom bilden kann oder nicht. Dabei soll immer auch abgeklärt werden – weil das zum wesentlichen Teil der Problemstellung der vorliegenden Arbeit gehört – inwiefern das Geschlecht, das Alter der Jugendlichen, der besuchte Schultyp und die Wohnumgebung Land, Agglomeration und Stadt eine Rolle in der Konstitution der Zusammenhänge bzw. der Syndrome bilden. Um diese Beschreibung von Syndromen zu erleichtern, wird folgende Gliederung des Datensatzes vorgenommen: • Aspekte, die das Verhalten des Individuums beschreiben, beginnend mit Gesundheit und Wohlbefinden • Aspekte, die sich aus der Einbettung des Individuums in bestimmte Netzwerke ergeben, wie Familie, Schule und Freundeskreis • Aspekte, die das Risikoverhalten umfassen und begünstigen, wie Alkohol-, Tabak- und Drogenkonsum, Protektionsverhalten und Umgang mit Gewalt und Bewältigung von Schwierigkeiten und Zukunftsängsten. 15 4.1 Individuum 4.1.1 Gesundheit und Wohlbefinden In der Schweiz sowie in anderen Teilen Europas durchgeführte Jugendbefragungen neueren Datums zeigen, dass die Mehrheit der Jugendlichen angibt, gesund zu sein und die Schwierigkeiten der Adoleszenz ohne gesundheitliche Probleme zu meistern (Currie et al., 2008, in Kuntsche, 2012). Dennoch geben einige Jugendliche gesundheitliche Probleme wie Kopf-, Bauch- und Rückenschmerzen oder auch Schwindel, Nervosität, Traurigkeit und Reizbarkeit an. Zudem geben einige begleitende Schlafschwierigkeiten an. Generell treten somatische oder psychoaffektive Symptome während der Adoleszenz in der Regel nur vorübergehend auf. Diese Symptome können jedoch – wenn sie verstärkt oder chronisch auftreten – auf zugrunde liegende mehr oder weniger starke psychische Probleme hinweisen. Werden derartige Probleme nicht erkannt und frühzeitig behandelt, können sie bis ins Erwachsenenalter bestehen bleiben und sich allenfalls verschlimmern (Kinnunen et al., 2010, in Kuntsche, 2012). Wenn sich somatische Symptome nicht durch eine organische Ursache erklären lassen, sind diese oft auch auf Stress-Situationen oder unbewältigte Spannungen zurückzuführen, welche während der Adoleszenz häufig vorübergehend auftreten. Dieses Kapitel beschreibt Indikatoren der somatischen Gesundheit Jugendlicher. Die Jugendlichen wurden zu folgenden Themen befragt: 1) Selbsteinschätzung des Gesundheitszustandes 2) Gesundheitliche Probleme 3) Schmerzen 4) Schlaf 5) Seelisches Befinden 6) Lebenszufriedenheit 1) Selbsteinschätzung des Gesundheitszustandes Die Mehrheit der befragten Jugendlichen schätzt ihren Gesundheitszustand als positiv ein. 69% (227) geben an, über einen guten Gesundheitszustand zu verfügen. 27,7% (91) bezeichnen ihren Gesundheitszustand als „eher gut“ und 3,3% (11) Schüler als „eher schlecht“ (siehe Abbildung unten). 16 Selbsteingeschätzter Gesundheitszustand 3.3 eher schlecht 27 eher gut 69 gut 0 20 40 60 80 Abbildung 5: Selbsteingeschätzter Gesundheitszustand Differenziert man die Selbsteinschätzung des Gesundheitszustandes weiter nach Geschlecht, Alter, Schultyp und Wohnumgebung, zeigen die Resultate – wider Erwarten – zwar keinen Zusammenhang im Geschlechtervergleich (tau-b -.098). Auch schätzen Jugendliche aus den verschiedenen Schultypen (tau-b = .037/Pearson-Chi-Quadrat 0.621) oder aus Landregion, Agglomeration und Stadt ihren Gesundheitszustand ähnlich ein (tau-b = .005/Pearson-Chi-Quadrat 0.530). Doch ist es signifikant auffällig, dass mit zunehmendem Alter in der Adoleszenz der Gesundheitszustand geringer eingeschätzt wird (tau-b = -.116*). 2) Gesundheitliche Probleme Die Jugendlichen wurden nach ihren gesundheitlichen Problemen befragt und wie sie sich aktuell gesundheitlich fühlen. Lediglich 56,8% (187) der befragten Schüler gaben an, sich aktuell vollständig gesund zu fühlen. 32,5% (107) gaben an, sich mehr oder weniger gesund zu fühlen, 6,7% (22) fühlten sich angeschlagen, und 3,3% (11) gaben an, unter einer langdauernden Krankheit zu leiden. Ein Zusammenhang bestehender gesundheitlicher Probleme mit Geschlecht, Alter und Schultypus wurde verdeutlicht. So leiden eher weniger Jungen als Mädchen unter gesundheitlichen Problemen (tau-b -.117*), und auch eher jüngere Jugendliche (taub= -.115*) und Jugendliche mit tieferem Schultypus (tau-b = -.122*) haben weniger gesundheitliche Probleme. Die Lebensumgebung hat auf die gesundheitlichen Probleme keinen signifikanten Einfluss. 3) Schmerzen Im Weiteren wurden die Jugendlichen befragt, unter welchen vier spezifischen körperlichen Symptomen (Kopf-, Bauch- und Rückenschmerzen sowie Schwindel) sie öfters leiden würden. Von 329 befragten Schülern geben 55,6% (183) an, öfters unter Kopfschmerzen zu leiden. Bauchschmerzen geben 43,8% (144) an, 40,7% (134) leiden unter Rücken- 17 schmerzen und 34,4% (113) werden öfters von Schwindel geplagt. Von allen körperlichen Beschwerden sind die Mädchen deutlich stärker betroffen als Jungen. Somatische Beschwerden 35.9 Jungen Mädchen 33.9 24.6 20.7 17.1 10.9 Kopfschmerzen 24.4 10.9 Bauchschmerzen Rückenschmerzen Schwindel Abbildung 6: Von allen Schmerzsymptomatiken sind Mädchen mehr betroffen Aus den Ergebnissen geht hervor, dass somatische Beschwerden bei den Mädchen häufiger auftreten als bei den Jungen. Besonders auffällig ist der Unterschied bei Kopf- und Bauchschmerzen. So leiden deutlich mehr Mädchen als Jungen an Kopfschmerzen (tau-b = .190**) und Bauchschmerzen (tau-b = .375**) sowie an Schwindel (tau-b = .213**). Entgegen den Erwartungen besteht aber keine Zunahme der Schmerzen bei zunehmendem Alter der Jugendlichen. Auch gibt es keine Unterschiede bezüglich Wohnumgebung. Kinder auf dem Land sind gleichermassen von somatischen Beschwerden betroffen wie ihre städtischen Schulkollegen oder diejenigen aus der Agglomeration. Was hingegen auffällt, ist ein signifikanter Zusammenhang zwischen Bauchschmerzen und Kopfschmerzen. Wer unter Kopfschmerzen leidet, hat oft dazu auch vermehrt Bauchschmerzen (tau-b = .192**). Und diejenigen Jugendlichen, welche über Bauchschmerzen klagen, sind auch vermehrt von Rückenschmerzen (tau-b = .124**) betroffen. Noch signifikanter ist der Zusammenhang zwischen Schwindel und Bauchschmerzen (tau-b = .161**). Interessant ist auch der Zusammenhang von Schultypus und Schwindelbeschwerden. Je höher der Schulbildungsgrad, desto häufiger sind die Schüler von Schwindel betroffen (tau-b = .118*). 4) Schlaf Gesunder Schlaf ist zentral für die physische und psychische Gesundheit. Das Jugendalter ist eine besondere Phase in der Entwicklung des Schlafverhaltens: Es kommt zu grösseren Umwälzungen im Schlaf-Wach-Rhythmus: Die Jugendlichen gehen abends später schlafen und haben morgens wiederum Schwierigkeiten, rechtzeitig für die Schule aufzustehen. 18 Die Schüler wurden deshalb über ihre Schlafgewohnheiten (Schlafdauer, Schlafqualität) befragt. Ebenfalls wurden sie aufgefordert, ihre Schlafdauer zu beurteilen. Schlafdauer 35,5% (116) Jugendliche schlafen durchschnittlich pro Nacht 8 Stunden, 28,7% (94), 7 Stunden, 12,2% (40) 6 Stunden. 4,2% (14) 5 oder weniger Stunden. 15% (49) Schüler schlafen 9 Stunden, 4,3% (14) schlafen 10 oder mehr Stunden pro Nacht. Schlafdauer in Stunden 4.3 10 + mehr 15 9 Stunden 35.5 8 Stunden Prozent 28.7 7 Stunden 12.2 6 Stunden 4.2 5 -weniger 0 10 20 30 40 Abbildung 7: Anzahl Stunden Schlaf pro Nacht Schlafbeurteilung Von den befragten Jugendlichen geben 42,9% (141) an, eher genug zu schlafen, 30,4% (100) denken dass sie eindeutig genug schlafen, 21% (69) finden, dass sie eher zu wenig und 5,5% (18) eindeutig zu wenig schlafen. Schlafqualität Von den befragten Jugendlichen geben 26.0% (83) an, an Schlafstörungen (Einund Durchschlafschwierigkeiten) zu leiden. Davon sind mit 16% (51) wiederum etwas mehr Mädchen betroffen als die Jungen mit 10% (32). Aus der Befragung zeigt sich wie erwartet, dass vor allem jüngere Kinder mehr schlafen (tau-b = -.212**). Auch zeigt sich, dass die Schlafdauer nicht nur mit zunehmendem Alter abnimmt, sondern mit zunehmend höherem Schulbildungsgrad (tau-b = -.133**). Auch schlafen Kinder auf dem Land durchschnittlich länger pro Nacht (tau-b = .109*) als ihre Kameraden aus der Agglomeration oder der Stadt. Das Geschlecht hat auf die Schlafdauer keinen signifikanten Einfluss (tau-b = .033), doch schlafen die Mädchen tendenziell länger. Was weiter auffällig und interessant ist, dass Jugendliche, die mehr schlafen, lieber in die Schule gehen (tau-b = .128**) und dadurch wahrscheinlich stressresistenter 19 sind. Das zeigt sich auch in der Schlafqualität. Jugendliche, die angeben, schlecht zu schlafen, korrelieren mit höherem Schultypus (taub =.106*), gehen weniger gerne zur Schule (tau-b = -.151**) und sind wohl für Stress anfälliger. Dies zeigt sich in den ebenfalls auffälligen Werten von Schulfreude korreliert mit somatischen Beschwerden. Jugendliche, die nicht gerne zur Schule gehen, klagen öfter über gesundheitliche Probleme (tau-b = .133**), im Speziellen über Kopfschmerzen (tau-b = .149**) und Rückenschmerzen (tau-b = .145**). Zudem sind sie oft hässig und unzufrieden (tau-b=.158**). Die schlecht schlafenden Jugendlichen schlafen aber auch stundenmässig weniger (tau-b = -.242**). Das Resultat bezüglich höheren Schultypus und Schlafqualität könnte daran liegen, dass der höhere Schultypus und der Schulstress für die schlechtere Schlafqualität verantwortlich sind. Alter (taub-b= .058) und Geschlecht (tau-b = .082) wie auch Wohnumgebung (tau-b = -.033) haben auf die Schlafqualität keinen Einfluss und sind in den Resultaten nicht signifikant. Es besteht aber ein deutlicher Zusammenhang zwischen Schlafqualität und Schmerzen. Jugendliche, die unter somatischen Beschwerden wie Kopf- (tau-b = .142*), Bauch- (tau-b = .118*) und Rückenschmerzen (tau-b = .164**) leiden, schlafen schlecht. Ein ebenfalls signifikanter Zusammenhang besteht mit Schwindel (taub = .241**). Von Schwindel betroffen sind auch die Jugendlichen, die wenig schlafen (tau-b = -.145**), und wie schon erwähnt, wirkt sich die kürzere Nachtruhe auch auf die subjektive Schlafqualität aus (tau-b = -.242**). 5) Seelisches Befinden Die Einschätzung des psychischen Wohlbefindens der befragten Jugendlichen wurde aufgrund der Häufigkeit von fünf psychoaffektiven Symptomen (Unzufrieden, Traurigkeit, Probleme mit Mitmenschen, Suizidgedanken und Einschlafschwierigkeiten) erhoben. Von den 329 befragten Jugendlichen fühlen sich die Mehrheit mit 93,6% (308) im Allgemeinen glücklich und zufrieden, öfters hässig und unzufrieden lediglich 14,2% (45), traurig und niedergeschlagen noch 11,1% (35). 5,8% (19) Kinder gaben an, Probleme mit Mitmenschen zu haben, und 4,3% (14) haben auch schon an Suizid gedacht. Aus den Ergebnissen gehen keine signifikanten Korrelationen von psychoaffektiven Symptomen mit Geschlecht, Alter, Schultypus und Wohnumgebung hervor. Lediglich kann eine leichte Signifikanz von Problemen mit Mitmenschen und zunehmenden Alter nachgewiesen werden (tau-b = .108*). Zudem haben Jugendliche mit hö- 20 herem Schultypus eine geringere Anfälligkeit zu traurigen und niedergeschlagenen Gemütszuständen (tau-b -.126*). Die weiteren Resultate zeigen, dass Jugendliche, welche sich als glücklich und zufrieden bezeichnen, viel weniger hässig und unzufrieden (tau-b = .229**), kaum traurig und niedergeschlagen sind (tau-b = .208**), selten an Suizid denken (tau-b = -.197**), weniger Probleme mit Mitmenschen (taub = -.153**) und weniger Schlafstörungen haben (tau-b = -.171**). Dass aber Jugendliche, die häufig hässig und unzufrieden sind, auch oft traurig und niedergeschlagen sind (tau-b = .324**), Probleme mit ihren Mitmenschen haben (tau-b = .321**) und auch schon an Suizid gedacht haben (tau-b = .177**), und Jugendliche mit Suizidgedanken oft Probleme mit ihren Mitmenschen haben (tau-b = .140*) und schlecht schlafen (tau-b = .120*) könnten bereits signifikante Zeichen für eine erhöhte Vulnerabiliät sein. Probleme besprechen Von den befragten Jugendlichen gaben 5% (17) an, überhaupt keinen Gesprächspartner zu haben, 87,5% (286) Schüler haben eine Vertrauensperson, mit der sie über alle Probleme sprechen können. 6) Lebenszufriedenheit Die Bewertung der Lebenszufriedenheit erfolgte über die Darstellung einer Leiter mit elf Sprossen. Das obere Ende der Leiter wurde mit „ das beste denkbare Leben (10 Punkte)“ und das untere Ende mit „das schlechteste denkbare Leben (0 Punkte)“ bezeichnet. Die Jugendlichen wurden danach gefragt, auf welcher Sprosse sie ihr derzeitiges Leben verorten. Lebenszufriedenheit 60 50 40 30 20 10 0 Jungen Mädchen Abbildung 8: Anzahl befragter Mädchen und Jungen zu Bewertung der Lebenszufriedenheit 21 Die Resultate in der Befragung zeigen eine signifikante Korrelation zwischen Geschlecht und Lebenszufriedenheit (tau-b = -. 179**) und zeigen damit auf, dass Jungen ihre Lebenszufriedenheit höher einschätzen als gleichaltrige Mädchen. Die Faktoren Alter (tau-b = -.040), Lebensumgebung (tau-b = .033) und Schultypus (tau-b = .053) hingegen, scheinen keinen signifikanten Einfluss auf die Lebenszufriedenheit der Jugendlichen zu haben. Weiter finden interessante Aspekte bezüglich Schulfreude, Schlaf, Zukunftsangst und Familienstruktur und Lebenszufriedenheit. So geben Jugendliche eine höhere Lebenszufriedenheit an, die gerne zur Schule gehen (tau-b = .168**), Spass in ihrer Freizeit haben (tau-b = .177**), genügend (taub-b= .128**) und gut schlafen (taub=.179**). Jugendliche mit einer hohen Lebenszufriedenheit haben weniger Zukunftsängste (tau-b = .250**) und sehen sich auch besser in der Lage, mit Schwierigkeiten zu recht zu kommen (tau-b = .131**). Wie aus weiteren Resultaten hervor geht, spielt die Familienstruktur ebenfalls eine zentrale Rolle der Jugendlichen. So lebt die Mehrheit der Jugendlichen (31 von 42), die ihr derzeitiges Leben als „bestes Leben“ angeben, in einer Familienstruktur mit Eltern und Geschwister. Je mehr gesundheitliche Probleme bestehen, desto weniger gut wird der Gesundheitszustand eingeschätzt (tau-b = .597**), und je mehr gesundheitliche Probleme bestehen, desto tiefer wird die Lebenszufriedenheit bezeichnet (tau-b = .208**). Jugendliche, die oft an Kopfschmerzen (tau-b = .113**) oder Schwindel (tau-b = .194**) leiden, schätzen ihre Lebenszufriedenheit ebenfalls deutlich geringer ein. Je besser der Gesundheitszustand der Jugendlichen, desto höher wird auch die Lebenszufriedenheit eingeschätzt (tau-b = .257**). 4.1.2 Ernährung und sportliche Betätigung Eine gesunde Ernährung und genügend sportliche Betätigung wirken sich positiv auf den Gesundheitszustand und die körperliche Entwicklung von Heranwachsenden aus. Die Schweizerische Gesellschaft für Ernährung (SGE) gibt regelmässig Empfehlungen für eine ausgewogene, abwechslungsreiche Ernährung für jedes Lebensalter ab. Die Ernährung Jugendlicher sollte ausgeglichen sein, sie ist aber auch verbunden mit Freude und Geselligkeit. Aus diesem Grund dürfen Jugendliche durchaus Süssigkeiten oder „Fast Food“ essen, jedoch sollte Letzteres durch Gemüse oder Früchte ergänzt werden. Beides sollte jedoch nur gelegentlich vorkommen und durch die anderen Tagesmahlzeiten ausgeglichen sein (SGE, 2010). Körperliche Aktivität wirkt sich nicht nur auf das physische, sondern auch auf das psychische Wohlbefinden aus, verbessert die kognitiven Fähigkeiten und fördert die 22 soziale Integration Jugendlicher (Hallal et al., 2006, in Kuntsche, 2012). Verschiedene Faktoren können einen Einfluss auf die Ernährung und die körperliche Aktivität Jugendlicher haben, einige betreffen das Individuum (z.B. das Geschlecht, das Alter und das Wissen über die Ernährung), andere gehören zum sozialen Umfeld (sozioökonomischer Status der Familie, der Einfluss der Gleichaltrigen oder der Medien sowie die Verfügbarkeit und der Zugang zu Lebensmitteln) (Sallis et al., 2000; Taylor et al., 2005, in Kuntsche, 2012). In diesem Kapitel werden Aspekte der Ernährungsgewohnheiten und der körperlichen Aktivität beschrieben: 1) Allgemeines Befinden beim Essen 2) Häufigkeit des Frühstückens 3) Häufigkeit bestimmter Nahrungsmittel und Getränke 4) Fett- und Zuckerkonsumverhalten 5) Sportliche Betätigung 1) Allgemeines Befinden Von den befragten Jugendlichen gaben 89,1% (294) an, dass sie sich beim Essen meistens oder immer wohl fühlen, 7,6% (25) fühlen sich oft unwohl und 1,5% (5) immer unwohl beim Essen. 2) Häufigkeit des Frühstücks Von den befragten Jugendlichen gaben lediglich 64,1% (211) an, regelmässig zu frühstücken. Tägliches Frühstück kein Frühstück Prozent Frühstück 0 20 40 60 80 Abbildung 9: Häufigkeit des Frühstücks Aus den Resultaten der Befragung ist eine deutliche Korrelation zwischen Frühstücksverhalten und einerseits Schultypus (tau-b = .182**) und andererseits der Wohnumgebung (tau-b = .191**) auszumachen. Daraus kann gefolgert werden, dass Jugendliche aus ländlicher Gegend häufiger frühstücken als ihre gleichaltrigen 23 Kameraden aus Agglomeration und Stadt und dass die Häufigkeit des Frühstücks mit höherem Schulbildungsniveau zunimmt. Alter (tau-b = -.095) und Geschlecht (tau-b = -.006) scheinen keinen signifikanten Einfluss zu haben, doch zeigt sich, dass eher Jungen als Mädchen täglich frühstücken und die Tendenz eher zu jüngeren Schülern geht. 3) Häufigkeit bestimmter Nahrungsmittel und Getränke Von den befragten Jugendlichen konsumieren täglich 82,1% Obst, 82,7% (272) Gemüse und Salat, 79,3% (261) Milchprodukte und 93% (306) trinken täglich Wasser. Von Lebensmitteln, deren häufiger Verzehr nicht empfohlen wird, konsumieren 45,9% (151) täglich Süssigkeiten und Chips, 41% (135) Süss- oder Energygetränke. Aus den Resultaten der Befragung können bezüglich Alter keine signifikanten Unterschiede im Ernährungsverhalten gesehen werden. Auch im Geschlechtervergleich zeigen Mädchen und Jungen in ihren Ernährungsweisen ein ähnliches Bild, lediglich gibt es eine Auffälligkeit beim Konsum von Süssgetränken, welche mehr von den Jungen bevorzugt werden (tau-b = -.250**). Signifikante Auffälligkeiten zeigen sich hingegen zwischen Ernährung und Schultypus und der Ernährung von Stadt- und Landjugendlichen. So essen Jugendliche mit höherem Bildungsniveau mehr Salat und Gemüse (tau-b = .175**), weniger Chips und Süssigkeiten (tau-b = .196**) und trinken auch weniger Süssgetränke (tau-b = .281**). Jugendliche vom Land trinken ebenfalls weniger Süssgetränke (tau-b = -.191**) und konsumieren weniger Chips und Süssigkeiten (tau-b = -.143**) als ihre gleichaltrigen Kameraden in der Stadt. Auffällige Korrelationen gibt es auch innerhalb der konsumierten Nahrungsmittel. So zeigen die Ergebnisse deutlich, dass Jugendliche, welche täglich Süssigkeiten und Knabbergebäck naschen, weniger Gemüse und Salate essen (tau-b=-, 113**) und deutlich mehr Süssgetränke (tau-b = .359**) als Wasser trinken (tau-b = -. 149**). 4) Fett- und Zuckergehaltkonsumverhalten Von den befragten Jugendlichen achten 88 (26.7%) auf Fett- und Zuckergehalt der täglich konsumierten Speisen. 5) Sportliche Aktivität Von den befragten Jugendlichen geben lediglich 17,9% (59) an, täglich Sport zu treiben, mehr als 4x pro Woche treiben 46 (14%), 3-4x pro Woche 104 (31,6%), 12x pro Woche 103 (31,3%). 16 (4,9%) Jugendliche treiben keinen Sport. 24 Sportliche Aktivität pro Woche keinen Sport 1-2x/Woche 3-4x/Woche Prozent mehr als 4x/Woche täglich Sport 0 10 20 30 40 Abbildung 10: Häufigkeit der sportlichen Aktivität pro Woche Aus den Ergebnissen geht hervor, dass sich die Jungen häufiger als die Mädchen (tau-b = -.251**) sportlich betätigen. Bezüglich Alter (tau-b = .026), Schultyp (tau-b = .041) oder Wohngegend (tau-b = -.007) bestehen keine auffälligen Unterschiede. Das heisst, dass sich das Bild bezüglich Häufigkeit der sportlichen Aktivität, unabhängig vom Alter oder der Lebensumgebung sowie auch bezüglich Schulbildung, ähnlich zeigt. 4.1.3 Freizeit Untersuchungen des Freizeitverhaltens zeigen, was Jugendliche mit ihrer Freizeit anfangen. Grundsätzlich gibt es sowohl Tätigkeiten, die keine wesentlichen Unterschiede zwischen den Altersgruppen, Geschlecht, Schulbildung oder Wohnumgebung während der Jugendzeit aufzeigen. So stellt Musik durch die gesamte Adoleszenz das wesentliche Medium da. Auch Freunde treffen ist eine im Zeitablauf unverändert wichtige Bezugsgruppe. Medien spielen eine immer wichtigere Rolle im Leben der Jugendlichen. Jugendliche verfügen heutzutage über mehr Geld und infolgedessen auch über mehr von dem, was man mit Geld kaufen kann. Ein Grossteil der Jugendlichen verfügt über eine eigenen „medialen Werkzeugschrank“ (Luger, 1999, in Hepp, 2004). Auch Computerspiele sind heute nicht mehr aus Kindheit und Jugend wegzudenken und können durchaus unterhaltsam, spannend und lernfördernd sein. Manche Spiele verherrlichen und verharmlosen jedoch Töten und Gewalt, können darüber hinaus süchtig machen und zur Flucht Jugendlicher aus der Realität in eine Fantasiewelt beitragen – die in einem gewissen Ausmass für Kinder und Jugendliche zwar normal ist, aber in dieser Form durch die mit diesen Medien verbundenen Nebenwirkungen kritisch zu betrachten ist. Zugenommen hat auch der Besitz von Mobiltelefonen. Ständig erreichbar zu sein, sind für Jugendliche überzeugende Argumente für eine Anschaffung, denn die Interaktion zwischen den Jugendlichen findet heute nicht mehr nur real, sondern auch über das Smartphone statt. 25 In diesem Kapitel werden Freizeitverhalten und Befinden in der Freizeit beschrieben. Die Jugendlichen wurden befragt zu: 1) Spass und Hobbies 2) Freizeitverhalten 3) Sitzende und aktive Freizeitaktivitäten 1) Spass und Hobbies Von den befragten Jugendlichen haben 86% (284) in ihrer Freizeit häufig oder meistens Spass, 12,9 % (43) langweilen sich manchmal oder häufig. Tätigkeiten, die von den Jugendlichen in der Freizeit häufig oder sehr häufig durchgeführt werden: Freizeitjob (35,9%), Lesen (42,9%), Musik hören (90.9%), Musizieren (35,9%), in die Stadt gehen (61,4%), Fernsehen (65%), Basteln, Werken, Handarbeit (24,6%), Handy (71,1%), PC (37,7%), Pfadi, Feuerwehr (7.9%), Schülertreff (17,6%), Freunde treffen (89,4%),Tiere pflegen (32,2%), Velo/Töffli fahren (52,9%). Freizeittätigkeiten 100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0 Prozent Abbildung 11: Freizeittätigkeiten der Jugendlichen 2) Freizeitverhalten Aus den Resultaten der Befragung geht hervor, dass Freizeittätigkeiten wie Musik hören, Handy, Fernsehen und PC-Spiele keine wesentlichen Unterschiede zwischen den Altersgruppen innerhalb der Jugendzeit ausmachen. Mit zunehmendem Alter treffen sich Jugendliche öfter mit Freunden. Während sich jüngere Mädchen mit Tätigkeiten wie Basteln und Tiere pflegen beschäftigen, gehen sie mit zuneh- 26 menden Alter häufiger in die Stadt. Sie lesen mehr und hören generell öfter Musik als Jungs. Diese beschäftigen sich derweil häufiger mit PC-Spielen und Velo/Töfflifahren. Einen signifikanten Unterschied im Freizeitverhalten zeigt sich zwischen Land- und Stadtjugend. Während die Jugendlichen vom Land öfter Freizeitjobs nachgehen (tau-b = .105*), Basteln (tau-b = .167**), Tiere pflegen (tau-b = .167**), Velo fahren (tau-b = .262**) und in der Pfadi/Feuerwehr (tau-b = .142**) sind, gehen ihre Kollegen aus der Stadt öfter shoppen (tau-b = -352**), sehen häufiger fern (tau-b = -.129*), benutzen das Handy häufiger (tau-b = -.130*) und hören etwas mehr Musik (tau-b = -.106*). Auch bei der Schulbildung zeigen sich Unterschiede im Freizeitverhalten. So lesen die Jugendlichen mit zunehmender Schulbildung öfter (tau-b = .170**), gehen häufiger Freizeitjobs nach (tau-b = .116*) und musizieren mehr (tau-b = .213**). Jugendliche mit tieferem Schulbildungsniveau haben die Tendenz, häufiger in die Stadt zu gehen (tau-b = -.177**), mehr fernzusehen (tau-b = -.129**) und häufiger am Handy zu gamen (tau-b = -.226**). 3) Freizeitaktivitäten im Sitzen Sitzende Freizeitaktivitäten wie Fernsehen, PC-Spiele, Handy usw. sind wichtige Indikatoren für das Gesundheitsverhalten der Jugendlichen. Aus den Ergebnissen der Befragung geht hervor, dass Mädchen ihre Freizeit eher mit sitzenden Tätigkeiten wie Fernsehen, Handy etc. verbringen als Jungen. Auch nehmen mit zunehmendem Alter die sitzenden Freizeitaktivitäten zu. Sitzende Freizeitverhalten korrelieren signifikant miteinander, das heisst, wer fernsieht, spielt auch am Handy (tau-b = .338**), wer am Handy spielt, gamet auch am PC (tau-b = .169**). Sitzende Freizeitaktivitäten korrelieren zuungunsten aktiver oder musischer Freizeitbeschäftigungen wie Freizeitjob (tau-b = -.113*), lesen (tau-b = -.116*), musizieren (tau-b = -.195**), basteln/werken (tau-b = -.148**) und Tiere pflegen/betreuen (tau-b = -.172**). Auffällig ist ebenfalls, dass mit zunehmendem Schulbildungsniveau die sitzenden Freizeitaktivitäten eher zugunsten körperlicher (Freizeitjob, tau-b = .170**) und musischer Aktivitäten wie musizieren (tau-b = .231**) und lesen (tau-b = .116*) zurückgehen und auf dem Lande sitzende Freizeitaktivitäten weniger stark verbreitet sind als bei den Jugendlichen in der Stadt (shoppen, tau-b = -352**), fernsehen, tau-b = -.129*, Handykonsum, tau-b = -.130*). Wenn Jugendliche häufig fernsehen, gamen oder am Handy sind, wirkt sich das negativ auf das Ernährungsverhalten aus, denn sie konsumieren auffällig mehr Süssgetränke (tau-b = .240**), Süssigkeiten oder Knabbergebäck (tau-b = .267**) und essen deutlich weniger Gemüse und Salat (tau-b = -.222**). 27 4.2 4.2.1 Soziale Umgebung Familie Die Familie ist neben der Schule und Peergroups eines des wichtigsten sozialen Settings im Jugendalter. Zahlreiche Studien belegen die Wichtigkeit der Familie für das Leben Jugendlicher. Insbesondere die Qualität der Beziehung zur den Eltern sowie deren Unterstützung bei der Sozialisation sind entscheidende Determinanten für die psychosoziale Entwicklung Jugendlicher (Buelga und Musitu, 2006, in Kuntsche, 2012). Der Prozess der Autonomieentwicklung und die Veränderung der Rollenwahrnehmung innerhalb der Familie, die den Übergang zum Erwachsenenalter kennzeichnen, sind oftmals mit Spannungen oder Konflikten im familiären Umfeld verbunden. Sind diese Konflikte gravierend und ausdauernd, können sie bei Jugendlichen einerseits internalisierte Probleme wie Depressionen oder Angstzustände bewirken. Andererseits können sich die Probleme auch externalisiert durch Gewaltausübung oder anderweitiges risikoreiches Verhalten zeigen (Buist et al., 2004; Moreno et al.; Yu et al., 2006, in Kuntsche, 2012). Die Qualität der Beziehung zur Familie und die Familienstruktur sind für Kinder und Jugendliche von enormer Wichtigkeit für die psychosoziale Entwicklung. Als Unterstützung und Vorbildfunktion bei der Sozialisation spielen sie eine zentrale Rolle (Buelga und Musitu, 2008, in Kuntsche, 2012). Fallen diese familiären Vorbilder beispielsweise durch veränderte Familienstrukturen weg, kann dies einerseits internalisierte Probleme (abnehmende gesundheitliche Lebensqualität, Angst und Depressionen) wie auch externalisierende Probleme zur Folge haben (Allan, Porter, McFarland, McElhaney und Marsch, 2007, in Oliva und Hüttenmoser Oliva, 2013). Das externalisierte Verhalten ist oft mit Gewalthandlungen assoziiert, die als Folge selber persönliche Gesundheitsrisiken auslösen (Hagan und Foster, 2001, in Oliva und Hüttenmoser Oliva, 2013). Die Beziehung zur Familie und deren Mitgliedern ist deshalb unter diesen Gesichtspunkten entscheidend, um Probleme des Erwachsenwerdens erfolgreich zu bewältigen. 28 In diesem Abschnitt werden die Familienverhältnisse unter folgenden Aspekten untersucht: 1) Familienstruktur 2) Wohnumgebung und Wohngebäude 3) Beruf und Arbeitsort der Eltern 4) Tabak- und Alkoholkonsum der Familienmitglieder 1) Familienstruktur Aus den Informationen der befragten Jugendlichen über die Familienmitglieder, mit denen sie zusammenleben, kann die Familienstruktur ermittelt werden. Aus den Antworten der 329 befragten Jugendlichen ergeben sich folgende Familienstrukturen: 63,5% (209) leben mit ihren Eltern und Geschwistern, 14,3% (47) leben mit ihrer Mutter und Geschwistern, 9,4% (31) leben mit beiden Eltern, 6,7% (22) leben mit ihrer Mutter, 2,4% (8) leben mit ihrem Vater. Familienstruktur mit Mutter mit Eltern mit Eltern und Geschwister 0 10 20 30 40 50 60 70 Prozent Abbildung 12: Familienstrukturen 2) Wohnumgebung und Wohngebäude Von den 329 befragten Jugendlichen leben 44,8% (144) in der Agglomeration, 30,4% (100) auf dem Land, 25,8% (85) in der Stadt. 52% (172) leben in einem Einfamilienhaus und 47% (157) in einer Wohnung. 3) Beruf und Arbeitsort der Eltern 27,4% (90) der Väter sind in einer höheren Position tätig, selbständig erwerbend oder haben einen akademischen Beruf. 29,2% (96) der Väter sind im unteren oder mittleren Kader tätig. 36,8% (121) der Väter sind als Angestellte tätig. Von allen Vätern arbeiten 80,2% (264) auswärts und 10,9% (36) zu Hause. 17,9% (59) der Mütter sind in einer höheren Position tätig, selbständig erwerbend oder haben einen akademischen Beruf. 32,3% (106) der Mütter sind im unteren 29 oder mittleren Kader tätig. 43,2% (142) der Mütter sind als Angestellte oder Familienfrau tätig. Von allen Müttern arbeiten 60,5% (199) auswärts und 31,9% zu Hause. Aus der Befragung ist weiter ersichtlich, dass ein signifikanter Zusammenhang der beruflichen elterlichen Tätigkeiten und dem Schultypus der befragten Jugendlichen besteht. Je höher die Berufsausbildung der Eltern ist (Beruf Vater, tau-b = -.399**, Beruf Mutter tau-b = -.372**), desto mehr Kinder besuchen einen höheren Schultypus (tau-b = -.399**/ -.377**). Die Bildung der Eltern beeinflusst also auch die Bildung der Kinder. 4) Tabak und Alkoholkonsum in der Familie Im Rahmen der Befragung wurden die Anteile Jugendlicher erfasst, bei denen mindestens eine Person in der Familie a) raucht und b) regelmässig Alkohol konsumiert. 15,2 % gaben an, dass ihr Vater raucht. Bei 6,4% raucht die Mutter und bei 5,5% ein oder mehrere Geschwister. Ebenfalls 15,2% gaben an, dass ihr Vater regelmässig Alkohol konsumiere, bei 0,6% ist es ihre Mutter und bei 4,6% ein oder mehrere Geschwister, die regelmässig Alkohol trinken. Das heisst, dass ungefähr 1 von 5 Jugendlichen mit dem regelmässigen Konsumieren von Alkohol konfrontiert wird. Weiter ist aus den Resultaten der Befragung ersichtlich, dass ein signifikanter Zusammenhang rauchender Familienmitglieder mit rauchenden Jugendlichen (tau-b = .160**) besteht, und Alkohol konsumierender Familienmitgliedern mit Alkohol konsumierenden Jugendlichen (tau-b = .201**). Ausserdem besteht ein signifikanter Zusammenhang von Tabak und Alkohol (tau-b = .473**). In rauchenden Familien wird also auch regelmässig Alkohol konsumiert. Es sind also vor allem Jugendliche aus Familien, in denen geraucht oder Alkohol konsumiert wird, die ebenfalls regelmässig rauchen oder Alkohol konsumieren. Deshalb muss davon ausgegangen werden, dass die Familie auch bezüglich negativer Verhaltensweisen wie Suchtmittelkonsum eine zentrale Vorbildfunktion ausübt. 4.2.2 Schule Die Schule nimmt im Alter von 11 bis 15 Jahren einen zentralen Platz im Leben der Jugendlichen ein. Einige Studien konnten nachweisen, dass die Freude an der Schule während der Adoleszenz abnimmt. Diese Entwicklung verhält sich bei den Geschlechtern unterschiedlich. Die Schulfreude geht bei Jungen mit zunehmendem Alter stärker zurück als bei den Mädchen (Fend, 1997). 30 Die Schule wird als wichtiges Setting der Gesundheitsförderung gesehen, weil durch sie Heranwachsende aus allen Schichten über viele Jahre hinweg erreicht werden können (Naidoo & Wills, 2010). Gesundheit und Lernfähigkeit stehen in einem wichtigen Zusammenhang. Die Schulerfahrungen der Jugendlichen beeinflussen die Entwicklung ihres Selbstwertgefühls, ihre Selbstwahrnehmung und ihr Gesundheitsverhalten. Schüler und Schülerinnen mit schwachen Schulleistungen, einem geringen Bildungsanspruch und einer hohen Abwesenheitsrate greifen früher riskante Verhaltensweisen auf (Canning et al., 2004, in Naidoo & Wills, 2010). Aufgrund des zentralen Stellenwertes der Schule wurden die Jugendlichen bezüglich ihrer Einstellung zur Schule befragt. Von den befragten Jugendlichen gehen 23,5% (76) sehr gerne zur Schule, 62.8% (208) mittelmässig gerne, nicht so gerne 9.1% (30) und gar nicht gerne 4.3% (14). Wider Erwarten und wider den Resultaten der HBSC-Studie von 2010 zeigen die Mädchen und Jungen der vorliegenden Studie bezüglich Schulfreude ein in etwa ähnliches Bild (siehe Abbildung unten). Mädchen gehen zwar insgesamt etwas lieber zur Schule als die Jungen, doch sind die Resultate nicht signifikant unterschiedlich. Diese Untersuchung bezieht sich allerdings nur auf das Alter der Adoleszenz und kann nicht auf die Gesamtheit aller Schüler bezogen werden. Schulfreude 120 100 80 60 Jungen 40 Mädchen 20 0 sehr gerne zur mittelmässig nicht so gerne Schule gerne zur Schule zur Schule gar nicht gerne zur Schule Abbildung 13: Anzahl der befragten Mädchen und Jungen gemessen an der Schulfreude Aus den weiteren Resultaten der Befragung ergeben sich ebenfalls keine signifikanten Korrelationen zwischen Schulfreude und (dem untersuchten) Alter (tau-b = .068), Schultypus (tau-b = .095) oder Lebensumgebung (tau-b = -.012). 4.2.3 Freunde Freundschaften zeichnen sich durch einen hohen Grad an gegenseitiger Zuneigung (Dunn, 1933), Vertrauen, Offenheit, Intimität, Verlässlichkeit, gemeinsame Projekte 31 und Aktivitäten aus (Flammer & Alsaker, 2002, in Kuntsche, 2012). Der Einfluss von Freundinnen und Freunden sowie von Gleichaltrigen im Allgemeinen auf die Entwicklung von Jugendlichen, beispielsweise auf gesundheitsschädigendes Verhalten oder auf Einstellungen und die emotionale Wahrnehmung, wurde in vielen Studien beobachtet (umfassende Literaturübersicht in Dodge et al, 2006, in Kuntsche, 2012). Von den befragten Jugendlichen erachten 12.2% die Tätigkeiten der Freunde als Vorbild, 28.5% als nachahmenswert. Die Tätigkeiten der Freunde wecken bei 46% Ansporn, das Gleiche zu tun. Selbst Einfluss auf die Tätigkeiten der Freunde zu haben, geben 49.2% der Jugendlichen an. Freunde 49.2 Eigene Ideen beeinflussen die 46.5 Tätigkeiten der Freunde wecken Prozent 28.9 Tätigkeiten der Freunde sind 12.2 Freunde sind Vorbilder 0 10 20 30 40 50 60 Abbildung 14: Einflussverhalten von Freunden 4.3 Risikoverhalten 1) Sexualität 2) Alkohol, Tabak und illegale Substanzen 3) Gewalt und Bedrohungen 4) Zukunftsängste 5) Protektion 6) Bewältigung von Schwierigkeiten 4.3.1 Sexualität Jugendliche sind im Bezug auf ihre ersten sexuellen Erfahrungen besonderen Risiken ausgesetzt, wie beispielsweise ungewollte Schwangerschaften, sexuell übertragbare Krankheiten (STI), HIV oder Gebärmutterhalskrebs durch Humane Papillomaviren (HPV), zudem neigen Jugendliche in der Adoleszenz allgemein dazu, höhere Risiken einzugehen. Eine diesbezügliche Aufklärung und Prävention ist deshalb gerade in dieser Zeit elementar. Die Jugendlichen wurden deshalb über 32 ihre Einschätzung bezüglich Information durch Eltern, Schule oder durch eigene Informationsbeschaffung befragt. Information über Verhütung und HIV/AIDS und STI Von 302 befragten Kindern denken 82,1%, dass sie genügend über AIDS/HIV und STI informiert sind, und bei Fragen über Verhütung fühlen sich lediglich 3% ungenügend informiert. 4.3.2 Tabak, Alkohol und illegale Substanzen Tabak Der Nikotinkonsum von Jugendlichen ist eine besorgniserregende Realität und ein wichtiger Indikator für das Risikoverhalten Jugendlicher. So tendieren Jugendliche dazu, die Folgen des Tabakkonsums zu unterschätzen, indem sie eher die kurzfristigen – vermeintlich positiven – Folgen sehen als die schädlichen Langzeitfolgen (Godeau et al., 2002, in Sucht Schweiz, Forschungsbericht Nr. 75, 2015). 91,8% (302) der befragten Jugendlichen rauchen weder regelmässig noch gelegentlich. Von den 7.9% (26) der befragten Schüler, die regelmässig rauchen, geben 63% (18) an, dass auch in der Familie geraucht wird, und 76% (19) haben auch Freunde, die rauchen. Alkohol Der regelmässige Konsum von Alkohol und illegalen Substanzen stellt ebenfalls einen erheblichen Risikofaktor einerseits für das Auftreten von Krankheiten dar, andererseits steht der Konsum von Alkohol und illegalen Substanzen in engem Zusammenhang mit Verletzungen, Unfällen im Strassenverkehr oder anderen riskanten Verhalten, welche oftmals unter Alkohol- und Drogeneinfluss auftreten. Von 329 befragten Schülern gaben 13,7% (45) an, gelegentlich oder regelmässig Alkohol zu konsumieren. Davon gaben 56,8% (25) an, dass ebenfalls in der Familie regelmässig Alkohol konsumiert wird, und 75,5% (34) haben auch Freunde, die regelmässig Alkohol konsumieren. Illegale Substanzen Von den befragten Jugendlichen geben 2,7% (9) an, gelegentlich oder regelmässig Drogen zu konsumieren. Davon geben 77,8% (7) an, Freunde zu haben, die ebenfalls Drogen konsumieren. Wie in Abbildung 15 unten (Alkohol, Tabak, illegale Substanzen) ersichtlich, steigt der Konsum von Alkohol (tau-b = .258**), Tabak (tau-b = .178**) und der illegalen Substanzen (tau-b = .178*) mit zunehmendem Alter der befragten Jugendlichen an, während bei dieser Untersuchung kein signifikanter Un- 33 terschied im Geschlechtervergleich vorliegt. Auffällig ist, dass es einen signifikanten Zusammenhang zwischen dem Rauchverhalten und dem Alkoholkonsum (taub-b = .473**) oder dem Konsum illegaler Substanzen (tau-b = .296**) gibt. Damit ist gemeint, wer raucht, trinkt auch mehr Alkohol oder konsumiert illegale Substanzen. Der leicht signifikante Wert in Korrelation von Alkohol und Schulbildung (tau-b = .113*) könnte mit dem Umstand, dass sich in den Klassen mit höherer Schulbildung (Quarta) vor allem ältere (15- bis 17-jährige) Jugendliche befinden (Alter-Alkohol; tau-b = .258**). Abbildung 15: Übersicht über Alkohol-, Tabak- und Drogenkonsum differenziert nach Alter, Geschlecht, Schultypus und Wohnumgebung Aus den weiteren Ergebnissen geht hervor, dass Jugendliche, welche rauchen, ihren Gesundheitszustand geringer einschätzen (taub-b= -.145**) als Jugendliche ohne Suchtverhalten. Bei den Alkohol konsumierenden Jugendlichen ist dies sogar noch deutlicher (tau-b = -197**). Sie leiden auch häufiger unter gesundheitlichen Problemen (tau-b = .208**), im Speziellen unter Rückenschmerzen (tau-b = .149**) und Schwindel (tau-b = .190**). Jugendliche, die ein Suchtverhalten zeigen, sind auch häufiger hässig und unzufrieden (tau-b = .180**), traurig und niedergeschlagen (tau-b = .136*), haben Probleme 34 mit Mitmenschen (tau-b=.123*) und haben auch schon an Suizid gedacht (tau-b = .184**). Sie schlafen weniger (tau-b = -.209**) und schlechter (tau-b = .136*). Negatives Gesundheitsverhalten wie Suchtverhalten wirkt sich auch auf andere Verhaltensweisen negativ aus, so nimmt das protektive Verhalten im Strassenverkehr (Helm) deutlich ab (tau-b = -.222*). 4.3.3 Gewalt und Bedrohungen Die zunehmende schulische Gewalt scheint zu einer gängigen Austragungsform zwischenmenschlicher Probleme geworden zu sein. Daten der internationalen Studie (Currie et al., HBSC 2008) zeigen auf, dass in der Schweiz zwar körperliche Gewalt in der Schule weniger ausgeprägt ist, jedoch subtilere Formen von Gewalt häufiger vorkommen, angefangen bei Hänseleien und Beleidigungen über verbale und psychische Aggressionen bis hin zu sozialer Ausgrenzung, welche für die Opfer nicht minder schwere Konsequenzen zur Folge haben können. Deshalb erstaunen auch die erhobenen Befunde dieser Befragung über Mobbing und Bedrohung durch Gewalt nicht, spiegeln sie doch die Resultate der nationalen Befragung (HBSC 2010) wider. Mobbing und Gewalt in der Schule Erschreckend ist das Ergebnis einer unter Jugendlichen verbreiteten Form von subtiler Gewalt, dem Mobbing, und der Bedrohung der Jugendlichen durch Gewalt. Von den befragten Schülern gaben 30,9% (101) an, dass in ihrer Klasse gemobbt wird oder wurde. 72,6% (239) fühlen sich von (subtiler) Gewalt bedroht (siehe Abbildung unten). Mobbing und Gewalt in der Schule Prozent Bedrohung durch Gewalt Mobbing 0 20 40 60 80 Abbildung 16: Bedrohung durch Mobbing oder Gewalt in der Schule Aus den Resultaten dieser Befragung geht hervor, dass vor allem in Klassen mit tieferem Schulniveau schikaniert und gemobbt wird, unabhängig von Alter, Geschlecht oder Wohnumgebung. Der Bedrohung durch Gewalt sind mit zunehmendem Alter (tau-b = .159**) deutlich mehr Mädchen (tau-b = .177**) unterworfen. Das 35 wirkt sich deutlich auf die Schulfreude (tau-b = -133**) und auf die gesundheitlichen Probleme (tau-b = .-124**) der Jugendlichen aus. So zeigen sich auffällige somatische Symptome wie beispielweise Bauchschmerzen (tau-b = .156**) und Schwindel (tau-b = .164**) bei Jugendlichen, die von Mobbing und Gewalt betroffen sind. Bedrohungen durch Umwelt Aus Umfragen geht hervor, dass Jugendliche dem Schutz der Umwelt sehr aufgeschlossen gegenüberstehen. Ergebnisse aus Studien zeigen, dass Kinder und Jugendliche in einem erheblichen Ausmass Zukunftsängste vor allem gegenüber den Umweltproblemen haben (Szagun et al., 1994) und sich zunehmend von der absehbaren Entwicklung bedroht fühlen (Waldmann 1994). Auch wenn oftmals von einem sinkenden Umweltbewusstsein bei Jugendlichen die Rede ist, lässt dies vermutlich eher auf die fehlenden Handlungsmöglichkeiten als auf mangelnde Einsicht in die Wichtigkeit des Umweltschutzes schliessen. Das Thema „Bedrohung durch die Umwelt“ nimmt bei den befragten Jugendlichen einen exponierten Stellenwert ein, und deshalb erstaunen die folgenden Ergebnisse nicht unbedingt. Von den hier befragten Jugendlichen fühlen sich 79.9% von der zunehmenden Luftverschmutzung bedroht, von Handy- und anderer Strahlung 74,5%, gentechnisch veränderte Lebensmittel finden 54.4% bedenklich, 48.6% fühlen sich durch den Strassenverkehr bedroht und 30.7% fühlen sich durch Lärm eingeschränkt. Aus den erhobenen Resultaten lassen sich weitere signifikante Korrelationen erstellen. So zeigt sich die Bedrohung durch Luftverschmutzung (tau-b = .115*) und Handystrahlung (tau-b = .176**) bei Mädchen und mit zunehmendem Alter (taub=.167**) stärker als bei Jungen und bei jüngeren Kindern. Jugendliche auf dem Land fühlen sich von der Luftverschmutzung etwas weniger betroffen (tau-b = .129*). Die Sensibilisierung für Umweltfragen zeigt sich auch beim höheren Schultypus, und Jugendliche dieses Typus denken, dass Handy-Strahlungen (tau-b = .159**) sowie Gen-Lebensmittel (tau-b = .115*) zukünftige Probleme schaffen könnten. 4.3.4 Zukunftsangst Von 329 befragten Jugendlichen äusserten 3,6% (12), dass ihnen die Zukunft Angst mache, 24% (81) haben manchmal, 43,2% (142) selten Angst vor der Zukunft. Lediglich 28,6% (94) sehen ohne Angst in ihre Zukunft. 36 Wie die vorliegende Befragung zeigt, sind es vor allem die männlichen Jugendlichen, die geringere Zukunftsängste haben (tau-b = - .179**), und eher jüngere Kinder (tau-b = - .114**). Als Erklärungen für Ängste zeigen sich vor allem in signifikanten Zusammenhängen mit Bedrohungen durch die Umwelt, im Speziellen Lärm (taub = -108*), Luftverschmutzung (tau-b = - 158**), Strassenverkehr (tau-b = -126**), Handy- und andere Strahlen (tau-b = -166**), Gen-Food (tau-b = -117*) und die Bedrohung durch Gewalt (tau-b = -122*). Zukunftsangst 3.6 oft Angst vor der Zukunft manchmal Angst vor der Zukunft 43.2 selten Angst vor der Zukunft 43.2 Prozent 28.6 keine Angst vor der Zukunft 0 10 20 30 40 50 Abbildung 17: Zukunftsangst der befragten Jugendlichen 4.3.5 Protektion Schutz vor äusserlichen Einwirkungen Laut einer Befragung von Jugendlichen über ihr Sonnenschutzverhalten (Krebsliga, 2014) stellte sich heraus, dass sich die meisten Jugendlichen unzureichend vor Sonneneinstrahlung schützen. Zum einen sind die befragten Jugendlichen ungenügend über die Folgen informiert, zum anderen sind Hüte und Sonnenbrillen unbeliebte Protektoren. Es muss davon ausgegangen werden, dass sich die Jugendlichen auch bei anderen Umwelteinflüssen ungenügend schützen. Aufgrund der Wichtigkeit der Prävention von Folge- oder Langzeitschäden wurden die Jugendlichen über ihr Protektionsverhalten befragt bezüglich: • Sonnenschutzverhalten • Gehörschutz • Kopfschutz im Strassenverkehr • Protektion beim Wintersport Von den befragten Jugendlichen dieser Studie gaben 91,5% (301) an, sich beim Skifahren/Snowboarden mit Helm und Protektoren zu schützen, einen Helm beim Velofahren tragen aber lediglich 45% (148). Haut- und Augenschutz bei Sonnen- 37 einwirkungen befolgen 65,7% (216), jedoch nur 22,2% (73) schützen ihr Gehör bei lauter Musik. Protektion 22.2 Gehörschutz 45 Helm beim Velofahren 91.5 Protektion im Wintersport Prozent 65.7 Sonnenschutz 0 20 40 60 80 100 Abbildung 18: Protektionsverhalten Die Ergebnisse der Befragung zeigen, dass sich Mädchen (tau-b = .154**) und Jugendliche mit höherem Schulbildungsniveau (tau-b = .142**) häufiger vor Sonneneinstrahlung schützen. Das Helmtragen im Strassenverkehr ist in ländlichen Gegenden deutlich verbreiteter (tau-b = .204**) als in Agglomeration und Stadt. Leider nimmt mit zunehmendem Alter das Helmtragen im Strassenverkehr deutlich ab (taub-b= - .306**), wobei sich das Helmtragen bei Wintersport offenbar etabliert hat. Der signifikante Wert der Landjugend beim Helmtragen im Wintersport, (tau-b = .278**) könnte dadurch erklärt werden, dass diese mehr Wintersport betreiben als Gleichaltrige in der Stadt. Gehörschutz betreiben ebenfalls die Jugendlichen vom Land konsequenter (tau-b = .142**), und auch bei steigendem Schulbildungsniveau wird das Gehör besser geschützt (tau-b = .167**). Generell kann gesagt werden, dass sich Jugendliche vom Land und Jugendliche mit höherem Schulbildungsniveau konsequenter vor Umwelteinflüssen schützen. 4.3.6 Bewältigung von Schwierigkeiten Jugendliche, die Risikoverhalten experimentell und nur gelegentlich zeigen, unterscheiden sich von denjenigen Jugendlichen, deren gesundheitliche und soziale Entwicklung durch massives und andauerndes Risikoverhalten ernsthaft gefährdet ist. Es gehört zu den Entwicklungsaufgaben von Jugendlichen, die Fähigkeit des Umgangs mit Risiken zu lernen und zu erfahren, mit welchen Herausforderungen sie umgehen können und mit welchen nicht. Dies ist notwendig, um die eigenen Kompetenzen abzuschätzen und um Defizite kompensieren zu können (Hendry und Kloep, 2002, S. 85). 38 Eine hohe Selbstwirksamkeitserwartung (Definition: „Die optimistische Überzeugung einer Person, über die notwendigen personalen Ressourcen zur Bewältigung schwieriger Anforderungen zu verfügen. Im Vordergrund stehen dabei nicht die objektiven Ressourcen, sondern der Glaube an diese.“ Bandura, 1997) ist eine wichtige Ressource bei der Bewältigung schwieriger Lebensanforderungen und erhöht die Resilienz, das heisst, die Fähigkeit, erfolgreich mit belastenden Lebensumständen wie traumatischen Erfahrungen, Misserfolgen, sozialen Risikobedingungen usw. umzugehen. Diese Resilizenz ist ein wichtiger Faktor im verantwortungsvollen Gesundheitsverhalten Jugendlicher. In diesem Kontext wurden die Jugendlichen dieser Untersuchung nach ihren Bewältigungsmöglichkeiten befragt. Von den aus der vorliegenden Studie befragten Kindern finden 77,7% (247), dass sie immer eine Lösung auf ein Problem finden, 59% (184) wissen, wie sie sich in unerwarteten Situationen verhalten sollen, 56,3% (175) sehen Schwierigkeiten gelassen entgegen, und 71,7% (225) finden, dass sie schon klar kommen, egal was passiert. 67,7% (210) geben an, dass sie Probleme aus eigener Kraft meistern können, und 26,5% (83) denken, dass sie – um voranzukommen – gezwungen sind, Dinge zu tun, die eigentlich nicht richtig sind. 27% (84) denken, dass Menschen wie sie nur geringe Möglichkeiten haben, ihre Interessen gegen andere durchzusetzen, und 26,3% (82) haben das Gefühl, dass das, was in ihrem Leben passiert, von anderen abhängt (siehe Abbildung unten). Bewältigung von Schwierigkeiten Ich habe das Gefühl, das meiste, was in meinem Leben passiert, von anderen Leuten abhängt 26.3 Menschen wie ich haben nur geringe Möglichkeiten, ihre Interessen gegen andere 27 Um heute in der Welt voranzukommen bin ich fast gezwungen Dinge zu tun, die eigentlich nicht 26.5 Wenn ein Problem auftaucht, kann ich es aus eigener Kraft meistern 67.7 Was auch passiert, ich kann für jedes Problem eine Lösung finden 71.7 Schwierigkeiten sehe ich gelassen entgegen, weil ich an meinen Fähigkeiten vertrauen kann 56.3 In unerwarteten Situationen weiss ich immer wie ich mich verhalten soll 59 Die Lösung schwieriger Probleme gelingt mir immer, wenn ich mich bemühe 77.7 Abbildung 19: Bewältigung von Schwierigkeiten Aus den vorliegenden Ergebnissen dieser Befragung geht hervor, dass Jungen wie Mädchen Schwierigkeiten in etwa gleich bewältigen können, einzig der Variable 39 „Um voranzukommen, bin ich fast dazu gezwungen, Dinge zu tun, die eigentlich nicht richtig sind“ stimmten deutlich mehr Jungen (tau-b = -.140*) und Jugendliche mit zunehmendem Alter (tau-b = .131**) zu. Auffällig ist auch, dass Jugendliche mit tieferem Schulbildungsniveau auffällig oft finden, dass Aussagen wie: „Menschen wie ich haben nur geringe Möglichkeiten, ihre Interessen gegen andere durchzusetzen“ (tau-b = -.231**) und „was in meinem Leben passiert von anderen abhängt“ (tau-b = -.170**) auf sie zutreffen würden, aber nichtsdestotrotz finden sie dennoch, dass Aussagen wie: „In unerwarteten Situationen weiss ich immer oder meistens, wie ich mich verhalten soll“ (tau-b = -.142**) und „was auch passiert, ich werde schon klar kommen“ (tau-b=- .112**) für sie stimmen. Damit liegen sie mit den Jugendlichen aus der Stadt gleich, die ebenfalls „Schwierigkeiten gelassener entgegensehen“ (tau-b = -.151**), „Auftauchende Probleme öfter aus eigener Kraft meistern können“ (tau-b = -.172**), „in unerwarteten Situationen öfter wissen, wie sie sich verhalten sollen“ (tau-b = -.134*) und öfter „schon klar kommen, egal was passiert“ (tau-b = -. 155**) als ihre Schulkollegen auf dem Land. 4.4 Zusammenfassung der Resultate Die Jugendlichen schätzen ihren physischen und psychischen Gesundheitszustand mehrheitlich positiv ein und sind mit ihrem Leben zufrieden. Über alles hinweg gesehen sind dabei Jungen zufriedener und schätzen ihre subjektive Gesundheit tendenziell höher ein als Mädchen. Betrachtet man den Kontext Lebensumgebung, können keine signifikanten Unterschiede bezüglich subjektiver Gesundheit und Lebenszufriedenheit gefunden werden. Familie, Freunde und Schule nehmen einen wichtigen Stellenwert im Leben der Jugendlichen ein, wobei die Familie eine wichtige Vorbildfunktion im Gesundheits-, Risiko- und Ernährungsverhalten innehat, Peergruppen Freizeittätigkeiten und das Risikoverhalten beeinflussen und der Leistungsdruck im schulischen Kontext einen wesentlichen Anteil an der sinkenden Lebenszufriedenheit der Jugendlichen hat. Nur eine Minderheit der befragten Jugendlichen zeigt risikohafte Verhaltensweisen wie Rauchen oder den Konsum illegaler Substanzen wie Cannabis. Dabei zeigt sich, dass der Anteil der rauchenden Mädchen tendenziell höher ist. Hingegen steigt der Alkoholkonsum mit zunehmendem Alter und tendenziell bei Jungen leicht an. Risikoverhalten zeigt sich tendenziell in der Lebensumgebung Stadt höher als auf dem Land. Mädchen zeigen generell ein besseres Gesundheitsverhalten, was sich vor allem im Ernährungsverhalten und deutlich im Protektionsverhalten zeigt. Bezüglich dem Kontext Lebensumgebung zeigt sich ein ähnliches Bild: Das Ernäh- 40 rungs- und Protektionsverhalten zusammen mit aktiveren Freizeitbeschäftigungen auf dem Land zeigen ein höheres Gesundheitsverhalten. Jugendliche fühlen sich von Gewalt bedroht. Die Mädchen sind hier stärker von schulischer Gewalt (in Form subtiler Gewalt wie Mobbing) betroffen als Jungen, was sich in der Folge bei ihnen in körperlichen Beschwerden äussert und einen negativen Einfluss auf die Schulfreude und Lebenszufriedenheit hat. Zusammen mit den Bedrohungen durch die Umwelt (Luftverschmutzung, Lärm usw.), welche von Mädchen ebenfalls höher eingestuft werden, können sie als Einflussfaktoren für die Abnahme geringerer Zukunftsängste in der Adoleszenz bezeichnet werden. 5 Diskussion der Resultate Das vorangehende Kapitel widmete sich der statistischen Beschreibung der Stichprobe und der wichtigsten Zusammenhänge. Dabei ist versucht worden, systematisch nach Syndromen zu suchen, die hier als Variablen mit hoher gegenseitiger Korrelation verstanden werden. Bei den Syndromen ist einzig auf die Interdependenz zwischen Variablen und noch nicht explizit auf mögliche Kausalitäten geachtet worden. In diesem Kapitel wird nun auf dem vorangehenden aufbauend versucht, die Fülle der Informationen aus der Syndrom-Analyse zu verdichten. Dies geschieht nun gruppiert um die Orientierungshypothesen, die zu Beginn der Arbeit aufgestellt worden sind. Nachdem bekannt ist, welche Hypothesen verworfen bzw. akzeptiert worden sind, sollen die Ergebnisse anhand von Schlüsselindikatoren und von zusammenfassenden Indices nochmals zusammengefasst werden. Dazu wird das Instrument der Pfadanalyse eingesetzt. 5.1 Diskussion der Forschungsfragen und Hypothesen Forschungsfrage 1 Wie hoch ist die allgemeine, selbsteingestufte Lebenszufriedenheit bei Adoleszenten, insbesondere mit Bezug auf die Gesundheit, in Abhängigkeit des Geschlechts, der Lebensumgebung und des Schulniveaus? Hypothese 1a Jungen zeigen wahrscheinlich eine höhere allgemeine Lebenszufriedenheit als Mädchen und Mädchen schätzen ihre gesundheitsbezogene Lebenszufriedenheit höher ein als Jungen. 41 Hypothese 1a In der vorliegenden Studie erfolgte die Bewertung der allgemeinen Lebenszufriedenheit über die Darstellung einer Leiter mit elf Sprossen. Das obere Ende der Leiter wurde mit „das beste denkbare Leben (10 Punkte)“ und das untere Ende mit „das schlechteste denkbare Leben (0 Punkte)“ bezeichnet. Die Jugendlichen wurden danach gefragt, auf welcher Sprosse sie ihr derzeitiges Leben verorten. Die Ergebnisse zeigen, dass viele Mädchen und Jungen zufrieden mit ihrem Leben sind. Die Lebenszufriedenheit hängt dabei sehr stark vom subjektiven Gesundheitszustand ab (gesundheitsbezogene Lebenszufriedenheit) (tau-b = .257**). Im Geschlechtervergleich konnte nachgewiesen werden, dass Jungen ihre allgemeine Lebenszufriedenheit deutlich höher einschätzen als Mädchen (tau-b = -.179**), die gesundheitsbezogene Lebenszufriedenheit (subjektiver Gesundheitszustand) hingegen ist nicht signifikant vom Geschlecht abhängig (tau-b = -.098), zeigt mit diesem Wert höchstens eine Tendenz zugunsten der Jungen. Die Jungen sind also zufriedener mit ihrem Leben, was sich einerseits mit wissenschaftlichen Befunden deckt und durch die unterschiedliche Entwicklung (Identitätsfindung) in der Adoleszenz begründet werden kann, andererseits können auch körperliche Veränderungen das Wohlbefinden und die allgemeine Zufriedenheit beeinflussen. Hypothese 1b Je höher das Schulbildungsniveau, desto bewusster wird wahrscheinlich das Gesundheitsverständnis der Jugendlichen. Hypothese 1b Das Wissen um die Faktoren, die unsere Gesundheit beeinflussen, ist eine wichtige Ressource für ein gesundes Leben und basiert auf einer wichtigen Determinante unserer gesellschaftlichen Position, der Bildung. Ein längerer Verbleib im Bildungssystem verbessert berufliche Perspektiven und Einkommenschancen, stärkt Alltagsund Gesundheitskompetenz und individuelle Gesundheitsentscheidungen, was sich auf das Gesundheitsverhalten und den Lebensstil auswirkt. 42 Lebensbedingungen Formale und informelle Bildung Lebensstil Gesundheitsverhalten Gesundheit Gesundheitskompetenz Abbildung 20: Zusammenhang zwischen Bildung und Gesundheit (Mielck, 2000; Hurrelmann, 2000; und Lamprecht et al., 2006) Bezüglich Lebenszufriedenheit und Schulbildung zeigen die vorliegenden Ergebnisse keine signifikanten Unterschiede zu Jugendlichen mit tieferem Schulbildungsniveau (tau-b = .053, nicht signifikant). Wenn also Unterschiede erwartet werden dürften, dann sind solche vermutlich erst ab dem 20. oder 30. Lebensjahr möglich, nämlich dann, wenn sich die Position in der Gesellschaft mehr gefestigt hat und sich Erfahrungen kumuliert haben. Anders sieht es aber beim Gesundheitsverständnis und -verhalten aus. Dieses wird ja schon in den frühen Jahren von den Eltern und anderen Referenzgruppen vermittelt. Einerseits klagen Jugendliche, welche einen tieferen Schultypus besuchen, über mehr gesundheitliche Probleme (tau-b = -.122**), hingegen je höher das Schulniveau der Jugendlichen ist, desto öfter frühstücken sie (tau-b = .182**), essen sie mehr Gemüse (tau-b = 175**) und sind konsequenter in der Protektion ihres Körpers vor Umwelteinflüssen. So schützen sich Jugendliche mit höherem Schulbildungsniveau bewusster vor Sonneneinstrahlung (tau-b = .142**) und schützen ebenfalls ihr Gehör konsequenter (tau-b = .167**) vor lauter Musik. Die Resultate zeigen, dass Bildung ganz allgemein die Kompetenzen im Umgang mit Gesundheit und Krankheit verbessert. Dieser Effekt lässt sich gemäss der Organization for Economic Cooperation and Development (OECD) auch generationenübergreifend nachweisen: Die Bildung der Eltern beeinflusst die Gesundheit der Kinder (Stamm und Lamprecht, 2009). Dies zeigen auch Resultate aus der vorliegenden Studie. Jugendliche aus Familien, deren Eltern eine höhere Bildung aufweisen, besuchen selbst einen höheren Schultypus, denn je höher die berufliche Qualifikation des Vaters und der Mutter, desto höher ist auch der Schultypus der Kinder (bspw. tau-b = .-399**, Beruf Vater). Wie weiter aus den Ergebnissen hervorgeht, leben diese Eltern ihren Kindern ein be- 43 wussteres Gesundheitsverhalten vor. So essen Jugendliche, deren Eltern eine höhere berufliche Ausbildung haben, häufiger Gemüse (tau-b = .-169**), schützen Augen und Haut (tau-b = -.110*) vor der Sonne und das Gehör vor Schallemissionen (tau-b = -.114*). Hypothese 1c: Die Lebensumgebung der Stadt und der Agglomeration führen wahrscheinlicher zu einer verminderten Lebenszufriedenheit als die Lebensumgebung Land. Hypothese 1c: Bisher wurde der Aspekt, wie sich die Lebensumgebung auf die allgemeine Lebenszufriedenheit der Jugendlichen auswirkt, in vorliegenden, jüngeren Studien nicht ausführlich untersucht. Deshalb können sie keine Referenzwerte für die vorliegende Studie abgeben. Wenn man von den Einflussfaktoren ausgeht, aus welchen sich die allgemeine Lebenszufriedenheit der Jugendlichen herausbildet (Kapitel 2.1), könnte man daraus ableiten, dass keine Unterschiede bestehen. Wie aus den Ergebnissen der vorliegenden Untersuchung bereits hervorgeht, zeigen sich keine signifikanten Unterschiede in der allgemeinen Lebenszufriedenheit im Vergleich zu den Jugendlichen aus der Stadt und der Agglomeration (tau-b = .033, nicht signifikant) und die Hypothese muss verworfen werden. Die allgemeine Lebenszufriedenheit ist demnach, zumindest für diese Altersgruppe, kein Phänomen, das sich in der Stadt anders entwickelt als auf dem Land. Es kann auch sein, dass sich in unserer Gesellschaft für die Jugendlichen die Bedingungen unabhängig von der Lebensumgebung gleich verteilt entwickeln. Zudem ist die Lebensqualität in der Schweiz, nicht nur in den Städten, sondern auch in den ländlichen Regionen bei Kriterien wie Einkommen, Gesundheitswesen, Sicherheit, persönlichen Freiheiten sowie Familien- und Gesellschaftsleben sehr hoch (SECO, Staatssekretariat für Wirtschaft). Forschungsfrage 2 Welche Einflussfaktoren sind ausschlaggebend für eine verminderte gesundheitsbezogene Lebenszufriedenheit der Jugendlichen? Hypothese 2: Je geringer das familiäre Gesundheitsverständnis und -verhalten, umso kleiner ist wahrscheinlich die gesundheitsbezogene Lebenszufriedenheit der Jugendlichen. Die Familie spielt, neben Schule und Freundeskreis, die wichtigste soziale Rolle im Leben der Jugendlichen und hat eine zentrale Vorbildfunktion. Dies geht einmal aus 44 dem Bildungsverhalten der Jugendlichen hervor, denn je höher die Berufsausbildung der Eltern, desto höher das Schulbildungsniveau der Jugendlichen, und andererseits aus dem Gesundheitsverhalten beziehungsweise Risikoverhalten im speziellen dem Umgang mit Tabak und Alkohol. Hier zeigt sich deutlich, dass Gewohnheiten in der Familie von den Jugendlichen übernommen werden. So gibt es einen signifikanten Zusammenhang von rauchenden Jugendlichen mit rauchenden Familienmitgliedern (taub-b=. 160**). Dieser Zusammenhang ist auch mit Alkohol ersichtlich (tau-b = .201**). Auffällig und besonders signifikant ist, dass Alkohol und Tabakkonsum in einem starken Zusammenhang stehen, in rauchenden Familien wird auch regelmässig Alkohol (tau-b = .473**) konsumiert. Es kann deshalb davon ausgegangen werden, dass auch andere Verhaltensweisen wie Ernährungs-, Bewegungs- und Protektionsverhalten von Eltern an ihre Kinder weitergegeben wird. Wie aus den Resultaten deutlich ersichtlich ist, leiden Jugendliche, welche Risikoverhalten zeigen, deutlich häufiger an gesundheitlichen Beschwerden wie Kopfschmerzen und Schwindel, haben deutlich öfter psychoaffektive Symptome und schlafen auch schlecht. Ihre allgemeine Lebenszufriedenheit schätzen sie geringer ein. Forschungsfrage 3 Sind erhöhtes Risikoverhalten, missbräuchlicher Suchtmittelkonsum und vermindertes Ernährungsbewusstsein direkt assoziiert mit einer verminderten Lebenszufriedenheit? Hypothese 3: Je höher bei Jugendlichen Selbstwirksamkeit und Kohärenzgefühl ausgeprägt ist, desto geringer scheint die Affinität zu erhöhtem Risikoverhalten zu sein. Es gehört zu den Entwicklungsaufgaben von Jugendlichen, die Fähigkeit des Umgangs mit Risiken zu lernen und zu erfahren, mit welchen Herausforderungen sie umgehen können und mit welchen nicht. Dies ist notwendig, um die eigenen Kompetenzen abzuschätzen und um Defizite kompensieren zu können (Hendry & Kloep 2002, S. 85). Jugendliche, die Risikoverhalten experimentell und nur gelegentlich zeigen, unterscheiden sich von denjenigen Jugendlichen, die in ihrer Adoleszenz Risikofaktoren stärker ausgesetzt sind und deren gesundheitliche und soziale Entwicklung durch massives und andauerndes Risikoverhalten ernsthaft gefährdet ist. Eine hohe Selbstwirksamkeitserwartung ist eine wichtige Ressource bei der Bewältigung schwieriger Lebensanforderungen und erhöht die Resilienz, das heisst, 45 die Fähigkeit, erfolgreich mit belastenden Lebensumständen wie traumatischen Erfahrungen, Misserfolgen, sozialen Risikobedingungen usw. umzugehen. Diese Resilienz ist ein wichtiger Faktor im verantwortungsvollen Gesundheitsverhalten Jugendlicher. Wie bereits in Hypothese 2 ausgeführt, resultiert eine verminderte Lebenszufriedenheit aus verschiedenen Faktoren wie gesundheitlichen Problemen, Risikoverhalten, Langeweile, Schulschwierigkeiten oder interfamiliären Problemen. Legt man den Fokus auf die Vulnerabiliät und die Resilienz, geht eindeutig aus den Resultaten hervor, dass Jugendliche, welche über eine gesunde Resilienz verfügen, weniger anfällig für negatives Gesundheitsverhalten sind. Risiko-Einflussfaktoren können ihnen weniger anhaben als vulnerableren Jugendlichen. Resiliente Jugendliche schätzen ihre Lebenszufriedenheit höher ein (Bewältigung von Schwierigkeiten, taub = .131**) und deshalb kann davon ausgegangen werden, dass die Lebenszufriedenheit vom Gesundheitsverhalten abhängt. Je höher die Lebenszufriedenheit, desto positiver das Gesundheitsverhalten (tau-b = .134**). Forschungsfrage 4 Gibt es Unterschiede im Gesundheitsverhalten und der gesundheitsbezogenen Lebenszufriedenheit zwischen Jugendlichen aus der Stadt und vom Land? Hypothese 4: Jugendliche aus der Lebensumgebung Land zeigen wahrscheinlich ein geringeres risikobezogenes Gesundheitsverhalten und eine höhere gesundheitsbezogene Lebenszufriedenheit als Jugendliche aus der Lebensumgebung Stadt und Agglomeration. Alle aus der vorliegenden Studie zusammengetragenen Ergebnisse wurden unter dem Aspekt Lebensumgebung miteinander verglichen und für das risikobezogene Gesundheitsverhalten folgende Ergebnisse ermittelt (vgl. Kap. 4). In der subjektiven Einschätzung des Gesundheitszustandes, der physischen und psychischen Beschwerden sowie Schulfreude, Zukunftsängsten und der Lebenszufriedenheit unterscheiden sich Jugendliche vom Land kaum von Gleichaltrigen aus der Agglomeration und der Stadt. Aus den Fragen „Bewältigung von Schwierigkeiten“ geht hervor, dass sich Landjugendliche etwas weniger zutrauen als ihre Kollegen aus der Stadt und Agglomeration, doch daraus zu folgern, dass die Jugendlichen dadurch vulnerabler für Risikoverhalten sein könnten, ist nicht zutreffend. Im Gesundheitsverhalten unterscheiden sie sich denn deutlich von den Jugendlichen in der Stadt und Agglomeration (siehe untenstehende Tabelle, der Korrelations-Koeffizient Kendalltau-b steht für die Stärke der Signifikanz bezüglich der Landjugendlichen). Aus die- 46 sen Werten lässt sich schliessen, dass Jugendliche aus der Lebensumgebung Land tatsächlich ein geringeres risikobezogenes Gesundheitsverhalten zeigen als Jugendliche aus der Stadt und Agglomeration. Korrelation (Kendall-Tau-b) Schlafdauer Gesundheitsverhalten bezüglich der Wohnumgebung Land (tau-b) .109* Frühstücksverhalten 191** Süssgetränke -.191** Süssigkeiten -.143** Sportliche Aktivität .007 Handykonsum Fernsehen Velofahren Freizeitjob Freizeitbeurteilung -.130* -.129* .262** .105* .032 Tabakkonsum in Familie - .145**) Protektionsverhalten Helm Gehör .204** .142** Tabelle 3: Gesundheitsverhalten auf dem Land 5.2 Vergleich der Ergebnisse mit dem aktuellen Forschungsstand Vergleicht man die Ergebnisse der vorliegenden Erhebung mit den bisherigen grossen nationalen Studien wie der HBSC 2010, geht hervor, dass sich die Resultate, trotz kleinerer Stichprobe in etwa ähnlich präsentieren. Das Ziel der vorliegenden Arbeit, sich vertieft mit den Kontext-Faktoren Alter, Geschlecht, Lebensumgebung und Schultypus im Bezug auf Risiko- und Gesundheitsverhalten auseinanderzusetzen, brachte hingegen einige interessante zusätzliche Aspekte hervor, welche im nachfolgenden Kapitel 5.3 Pfadanalyse ausführlich erläutert werden. 5.3 Pfadanalyse Die Pfadanalyse ist ein statistisches Verfahren zur Überprüfung linearer Kausalmodelle. Die Stärke der kausalen Beziehung zwischen je zwei Variablen wird durch Pfadkoeffizienten ausgedrückt. Die Pfadanalyse basiert auf der Matrix der Korrelationskoeffizienten der in der Analyse verwendeten Variablen. In einem weiteren Rechengang werden die partiellen linearen 47 Korrelationskoeffizienten (beta- Koeffizienten) bestimmt, die als Pfadkoeffizienten bezeichnet werden (Seibel & Nygreen, 1972, Zeitschrift für Sozialpsychologie, S. 5-12). Für die nachfolgende Pfadanalyse wird von einen Grundmodell ausgegangen, das aufgrund der Erkenntnisse aus dem deskriptiven (Kap. 4) und dem erklärenden Teil (Kap. 5.1) zusammengestellt worden ist. Es handelt sich um die vier Kontextvariablen Alter, Geschlecht, Lebensumgebung und Schultypus. Darauf folgen in nachsehender Sequenz die soziopsychologischen Variablen: Schulfreude, Bewältigung von Schwierigkeiten, Gesundheitsprobleme, Zukunftsangst und Lebenszufriedenheit. Am Schluss der kausalen Sequenz steht die letzte abhängige Variable, das Risikoverhalten im einen Pfadmodell und das Gesundheitsverhalten im anderen Pfadmodell. In der vorliegenden Arbeit wurde die Pfadanalyse zur Herleitung der Frage nach den Einflussfaktoren für Gesundheits- und Risikoverhalten eingesetzt und es wurden folgende Ergebnisse herausgearbeitet: Pfadmodell Gesundheitsverhalten Bevor die Pfadanalyse ausgeführt werden konnte, wurden zuerst folgende Indikatoren gebildet: „Gesundheitsverhalten“ und „Risikoverhalten“. Für jeden Indikator sind die relevanten Variablen – für das Gesundheitsverhalten die Variablen „Schlafdauer, Frühstückverhalten, täglich Gemüse“ und für das Risikoverhalten die Variablen „Süssigkeiten, Handykonsum, Fernsehen“ – ausgewählt und anhand einer Hauptkomponentenanalyse untersucht worden. Die hier verwendeten Indikatoren sind das Resultat der ersten Hauptkomponente, welches in der Datenmatrix gespeichert wurde, um diese für weitere Analysen zur Verfügung zu haben. Verfolgt man die Pfade, welche auf das Gesundheitsverhalten einen Einfluss haben (Abb. 19), wird deutlich, dass nebst den Kontext-Faktoren Alter und Lebensumgebung vor allem die psychosozialen Einflussfaktoren Lebenszufriedenheit und Schulfreude auf das Gesundheitsverhalten wirken. Die Lebenszufriedenheit hängt von den Faktoren geringe Zukunftsängste (abhängig von Alter und Geschlecht), Schulfreude, Schultypus, Alter und von Gesundheitsproblemen ab, welche wiederum von der Schulfreude beeinflusst werden. Die Schulfreude ihrerseits ist tendenziell vom höheren Schultypus positiv abhängig. Aus den Pfad-Koeffizienten geht hervor, dass mit zunehmendem Alter die geringen Zukunftsängste abnehmen (das heisst: Zunahme der Zukunftsangst), dass unabhängig davon weibliche Jugendliche geringere Zukunftsängste und dadurch eine höhere Lebensqualität haben. Des Weiteren wird klar, dass bei Jugendlichen mit tendenziell höherem Schultypus eine höhere Schulmotivation besteht (knapp signifi- 48 kant, p=.051) und demzufolge wenig Gesundheitsprobleme bestehen und dies wiederum zu geringeren Zukunftsängsten und höherer Lebensqualität führt, was sich auf das positive Gesundheitsverhalten auswirkt (Modellübersicht und Anova im Anhang). Das zeigt sich auch im direkten Einfluss der Kontextvariablen Alter und Schultypus. Je jünger die Jugendlichen sind, desto höher die Lebensqualität (mit zunehmendem Alter nimmt die Lebensqualität ab) und je höher der Schultypus, desto höher die Lebensqualität und somit das positive Gesundheitsverhalten (siehe Abbildung 21 unten). Bewältigung von Schwierigkeiten -.114* Alter Geringe Zukunftsangst -.1 73 -.1 1 5* .16 Geschlecht 9* * -.186** ** .159** 3* * Schule .1 3 13 .13 * -.172** .151 ** 5** .10 + 2 .281** Gesundheitsprobleme .11 .174** Schultypus Gesundheitsverhalten .169** 5* Lebensumgebung .119* 6* * 2 .1 Lebenszufriedenheit Abbildung 21: Einfluss-Faktoren auf das Gesundheitsverhalten. (Nur signifikante Pfade) Das Pfadmodell wird (versuchsweise) folgendermassen interpretiert: Das Gesundheitsverhalten ist direkt von zwei Kontextvariablen abhängig. Je geringer das Alter, umso ausgeprägter ist das Gesundheitsverhalten. Die ländliche Lebensumgebung (im Gegensatz zur städtischen) ist positiv mit dem ausgeprägten Gesundheitsverhalten verknüpft. Weiter ist das Gesundheitsverhalten direkt von den soziopsychologischen Variablen Schulfreude und Lebenszufriedenheit positiv ge- 49 * 4* prägt. Interessant ist die Tatsache, dass das Gesundheitsverhalten nicht nur durch die Kontexte Alter und Lebensumgebung, sondern durch die soziopsychologische Variable Lebenszufriedenheit abhängig ist, denn die Lebenszufriedenheit ist besser veränderbar als die Kontexte Alter und Lebensumgebung. Deshalb soll auf diese Tatsache vertiefter eingegangen werden. Die Lebenszufriedenheit ist negativ vom Alter und positiv vom (höheren) Schultyp geprägt, aber auch von den soziopsychologischen Variablen der Schulfreude und in diesem Zusammenhang über den indirekten Pfad der geringen gesundheitlichen Problemen und ferner auch von der geringen Zukunftsangst, die wiederum abhängig ist vom (geringeren) Alter, vom Geschlecht (Jungen) und von den geringeren Gesundheitsproblemen. Die Lebenszufriedenheit bündelt also eine Reihe von Einflüssen, die von schwer veränderbaren Kontextvariablen ausgehen, aber indirekt auch über die Zukunftsängste und über die Schulfreude verlaufen. Im Sinne eines Präventionsansatzes liegt demnach der Schlüssel zur Verbesserung des Gesundheitsverhaltens in Ansätzen zur Verbesserung der Lebenszufriedenheit durch die Verringerung der Zukunftsangst einerseits und der Erhöhung der Schulfreude andererseits. Pfadmodell Risikoverhalten Unter Risikoverhalten wird das Eingehen von gesundheitlichem Risiko verstanden. Dieser Index ist aufgrund der Hauptkomponentenanalyse der Variablen Risikoverhalten (Süssigkeiten, Handykonsum, Fernsehen) gebildet worden. Trägt man die Ergebnisse für das Risikoverhalten zusammen, wird ersichtlich, dass lediglich die Kontextfaktoren Geschlecht, Lebensumgebung und Schultypus je einen direkten Pfad zum Risikoverhalten zeigen. Hingegen lassen sich aus den weiteren Variablen des zu Grunde gelegten Modells keine weiteren direkten oder indirekten Pfade abgewinnen. Dies steht im Gegensatz zum Modell des Gesundheitsverhaltens. Die Kontextfaktoren Geschlecht, Lebensumgebung und Schultypus sind direkte Einflussfaktoren für die Entstehung eines Risikoverhaltens bei Jugendlichen. Die im Grundmodell angenommenen soziopsychologischen Variablen zeigen keine Effekte. Aus den Koeffizienten geht hervor, dass die folgenden Determinanten unabhängig voneinander einen Einfluss auf das Risikoverhalten haben: männliche Jugendliche, das tiefere Schulbildungsniveau, die städtische Umgebung, in diesem Sinn neigen die gewählten Variablen eher dazu, ein Risikoverhalten auszubilden (siehe Abbildung unten). 50 Alter Bewältigung von Schwierigkeiten Geringe Zukunftsangst Geschlecht -.147** Schule Lebensumgebung -.145** -.246** Lebenszufriedenheit Schultypus Risikoverhalten Gesundheitsprobleme Abbildung 22: Pfadmodell Risikoverhalten, direkte Einwirkung der Kontextfaktoren auf das Risikoverhalten. (Nur signifikante Pfade) Das Ergebnis dieser Pfadanalyse führt zum Schluss, dass sich das Risikoverhalten nicht über die Sequenz der erwarteten soziopsychologischen Variablen entfaltet, sondern sich alleine aus den Kontextvariablen ergibt. Das Risikoverhalten hat also nichts mit geringer Schulfreude, nichts mit unbewältigten persönlichen Schwierigkeiten, nichts mit vorhandenen gesundheitlichen Problemen, nichts mit hohen Zukunftsängsten und nichts mit unbefriedigter Lebenszufriedenheiten zu tun. Die Konsequenz dieser Ergebnisse ist, dass diese Kontextvariablen im Sinne einer Prävention schwer manipulierbar sind. Deshalb stellt sich nun die Frage: Welche moderierenden Variablen könnten zwischen den Kontextvariablen und der Risikovariable vermitteln? Das heisst, es müssen Erklärungen gefunden werden, wieso der betreffende Kontext zu Risikoverhalten führt. In der Sprache der Pfadanalyse müsste das heissen, dass eine Erklärung dann gefunden worden ist, wenn der direkte Pfad zwischen einer Kontextvariable und dem Risikoverhalten durch eine moderierende Variable vollständig oder teilweise aufgelöst werden kann. Das heisst, dass solche Indikatoren bestimmt werden sollen, welche mit den Lebensverhältnissen des Kontexts direkt in einem Zusammenhang stehen, aber sich nicht auf die soziopsychologischen Variablen des Grundmodells beziehen. 51 5.4 Entwicklung neuer Erkenntnisse Modell Risikoverhalten Legt man den Fokus auf das Pfadmodell „Risikoverhalten“ und seine direkten Einflussfaktoren, die Kontextfaktoren Geschlecht, Lebensumgebung und Schultypus und forscht man nach Moderatoren, die den oben genannten Bedingungen genügen, lassen sich die folgenden moderierenden Variablen bestimmen, welche die Lebensverhältnisse der Kontexte genauer spezifizieren: Peergruppe, in die Stadt gehen und gesundes Essverhalten (siehe Abbildung unten). Der Indikator „Peergroup“ reflektiert einen Aspekt der Lebensverhältnisse des Kontexts Alter und Schultypus. Der Indikator „in die Stadt gehen“ widerspiegelt einen Aspekt der Lebensverhältnisse des Alters, des Geschlechts, der Lebensumgebung und auch des Schultypus. Schliesslich gibt der Indikator „gesundes Essverhalten“ Aspekte der Lebensverhältnisse der Schule wieder. Das Risikoverhalten steht durch die Moderatoren-Variablen „Peergruppe“, „in die Stadt gehen“ und „gesundes Essverhalten“ mit den Kontext-Faktoren in Verbindung. Diese Moderatoren-Variablen widerspiegeln Aspekte der Lebensweisen im Rahmen der Kontextfaktoren. Zudem begünstigen sie gleichzeitig die Entwicklung eines Risikoverhaltens: Je höher das Alter der Jugendlichen, desto wichtiger wird die Peergruppe, und diese Peergruppe ist ein Einflussfaktor, welcher Risikoverhalten begünstigt. Gleichzeitig gilt: Je höher der Schultyp, umso wichtiger sind die Peergruppe, die das Risikoverhalten begünstigen. Der Faktor „in die Stadt gehen“ widerspiegelt das Leben der Kontexte wie folgt: Es handelt sich um die jüngeren Jugendlichen, die männlichen Jugendlichen, die Jugendlichen aus der Stadt und die Jugendlichen mit tieferem Schulbildungsniveau, bei denen das Risikoverhalten begünstig wird. Gesundes Essverhalten hingegen bewirkt, dass Risikoverhalten weniger auftritt. Risikoverhalten und Essverhalten hängen auch vom Schultyp ab. Je höher der Schultypus, desto gesünderes Essverhalten und desto weniger Risikoverhalten. Ein tieferer Schultypus hingegen ist direkte Variable für Risikoverhalten. 52 .191** Alter Peergruppe .12 6* * 8* * 0* * -.1 1 -.1 7 -.149* 1* * .20 Geschlecht -.146** „In die Stadt gehen“ 6* -.27 Lebensumgebung Risiko verhalten 3 -.1 2* * 4 .20 ** Gesundes Essverhalten 3 -.1 1** -.212** Schultypus Abbildung 23: Pfadmodell der moderierenden Einflussfaktoren auf das Risikoverhalten Modell Gesundheitsverhalten Aus dem Modell „Gesundheitsverhalten“ können ebenfalls neue Erkenntnisse gewonnen werden. Wenn man hier die Pfade verfolgt, wird ersichtlich, dass Kontextfaktoren mit psychologischen Variablen verknüpft sind und das ganze Modell zu einer soziopsychologischen Angelegenheit wird. Die Förderung von positivem Gesundheitsverhalten muss hier über die Stärkung der psychologischen Variablen, der Lebenszufriedenheit und der Verminderung der Zukunftsangst als zentrale Angelpunkte laufen. Männliche Jugendliche sowie Jugendliche mit tieferem Schultypus, welche im Verlaufe der Adoleszenz von Zukunftsängsten betroffen sind und dadurch in ihrer Lebenszufriedenheit eingeschränkt werden, sind die HauptZielgruppe einer Strategie der Gesundheitsförderung gemäss diesem Modell. Dazu lässt sich im Gesundheitsmodell ein weiterer zentraler Angelpunkt für die Gesundheitsförderung beobachten: Gemeint ist der Pfad vom Schultypus über die Lebenszufriedenheit zum Gesundheitsverhalten. Damit erweist sich die Schule als Kontext und als Institution als wichtigster Einflussfaktor der Gesundheitsförderung, nämlich die Förderung der Lebenszufriedenheit als Produkt der Institution hat eine positive Wirkung auf das Gesundheitsverhalten. Der Institution der Bildung kommt daher eine verantwortungsvolle Rolle zu. Aus den Resultaten der Pfadmodelle lassen sich folgende neue Erkenntnisse gewinnen: 53 Wenn man die Pfade der beiden Modelle verfolgt und vergleicht, wird deutlich, dass die Variablen Gesundheitsverhalten und Risikoverhalten unterschiedliche direkte Einflussfaktoren haben und deshalb in keinem Zusammenhang und keiner Korrelation zueinander stehen (tau-b = -.045). Dieser Aspekt dürfte vor allem für die Präventions- und gesundheitsfördernden Projekte wichtig sein und könnte bisherige, nicht in diese Richtung zielende Massnahmen ergänzen. 6 6.1 Zusammenfassung der Ergebnisse Die wichtigsten Übereinstimmungen und Unterschiede zum aktuellen Forschungsstand Aus den bisherigen Erkenntnissen und Untersuchungen ist man zum Ergebnis gekommen, dass Gesundheitsverhalten und Risikoverhalten von den gleichen Einflussfaktoren abhängig sind und für die Prävention die Differenzierung dieser Faktoren eine untergeordnete Rolle spielen würde. Bei genauerer Untersuchung der einzelnen Einflussfaktoren wird diesbezüglich in der vorliegenden Studie aber ein Unterschied gesehen. Zwischen den Zielvariablen Risikoverhalten und Gesundheitsverhalten besteht gar keine Korrelation (tau-b = .045). Gesundheitsverhalten und Risikoverhalten sind nicht Gegensätze, sondern voneinander unabhängige Dimensionen. So wird das Risikoverhalten vor allem von den Kontextvariablen Alter, Geschlecht, Lebensumgebung und Schultypus und kontextbezogenen Moderatorvariablen (Gesunde Lebensmittel, Peergruppen, Stadtaufenthalte) beeinflusst, und der Schwerpunkt der Prävention sollte hier auf der Förderung beziehungsweise auf dem positiven Einwirken der kontextabhängigen Moderatorvariablen liegen. Bei der Erhaltung der Gesundheit spielen vor allem soziopsychologische Einflussfaktoren, wie Lebensqualität, geringe Zukunftsängste und Schulfreude, eine zentrale Rolle. Hier sollte der Fokus auf die individuelle Förderung von Lebenskompetenzen, Selbstwirksamkeit und Handlungskompetenzen von Jugendlichen gelegt werden. Schulische Partizipation und Empowerment mit Schwerpunkt auf die Förderung von Lernzielen im kognitiven Bereich könnten als Grundpfeiler für positives Gesundheitsverhalten ein wichtiger Faktor sein, falls sie damit die Zukunftsangst durch kognitive Kompetenzen fördern, welche dadurch die Zukunftsangst vermindern. 54 6.2 Erkenntnisse für die Optimierung der Prävention Die aus dieser Untersuchung gewonnenen Erkenntnisse über die Einflussfaktoren von Risikoverhalten und Gesundheitsverhalten lassen die Frage nach Optimierungsmöglichkeiten bestehender Präventionskampagnen und -massnahmen in einem neuen Licht aufkommen. Gesundheitsverhalten und Risikoverhalten sind voneinander unabhängige Dimensionen und unterscheiden sich folglich in Prävention und Gesundheitsförderung. Wenn es um die Vermeidung oder Korrektur eines Risikoverhaltens geht, ist es wichtig zu wissen, dass Kontextfaktoren wie Alter, Geschlecht, Lebensumgebung und Schultypus von kontextbezogenen Einflussfaktoren (Moderatoren) beeinflusst werden. Die Förderung eines positiven Umgebungsmilieus im Sinne einer Verhältnisprävention wie gesunde Ernährung in der Schule ist ein Aspekt. Dabei soll nebst dem gesundheitlichen Nutzen die Ökologie, die Nachhaltigkeit, der Alltag, das Machbare, aber auch das Ausgefallene und das Neue wie das „Kostengünstige“ nicht aus den Augen gelassen werden. Einige praktische Vorschläge und Ideen sind im Anhang unter 9.2 aufgelistet. Positives Gesundheitsverhalten in der Adoleszenz hängt indessen stark von psychologischen Einflussfaktoren wie Lebenszufriedenheit, Schulfreude und von geringen Zukunftsängsten ab. Im Zentrum steht hier der Jugendliche als Individuum, seine Förderung von Lebenskompetenz, Selbstwirksamkeit, Selbstregulation und Handlungskompetenz, dies aber immer auch unter Berücksichtigung der entsprechenden kognitiven Kompetenzen. Familiäre Unterstützung und Vorbildfunktion nehmen einen wichtigen Stellenwert im Erwerb von Resilienz bezüglich positiven Gesundheitsverhaltens der Jugendlichen ein und prägen diese nachhaltig. Fallen diese familiären Vorbilder weg oder verändern sich Familienstrukturen, rücken alternative Vorbilder in den Mittelpunkt. Die Schule wird zu einem wichtigen Faktor für die Vermittlung von einerseits schulischem Wissen (Bildung), gesellschaftlichen Zusammenhängen und zur Förderung von Partizipation und Empowerment andererseits zur Förderung und Bildung von kognitiven Fähigkeiten, beziehungsweise zur Verhinderung von kognitiven Defiziten. Die Vermittlung von Wissen in natur- und gesellschaftswissenschaftlichen Fächern bereitet die Jugendlichen auf das Leben vor und nimmt ihnen die Angst vor der Zukunft. Das Fördern von Lebenskompetenz, Partizipation und Empowerment stärkt 55 Selbstwirksamkeit und Handlungskompetenz und trägt zu einem gewaltfreien Schulklima bei. Jugendarbeit kann die Entwicklung von positivem Gesundheitsverhalten fördern, indem sie die Jugendlichen bei der Entwicklung wichtiger Lebenskompetenzen (Beziehungs- und Konfliktfähigkeit, Zuversicht und Selbstwirksamkeit, selbständige Urteilsbildung, Problemlösungsrepertoire) begleiten und durch Stärkung von Schutzfaktoren (sinnvolle Freizeitgestaltung, tragende soziale Netze, feste emotionale Bezugspersonen und Vermittlung von gesundem Essverhalten) zur Verminderung von Ängsten (Perspektivenlosigkeit, fehlender sozialer Anschluss, Bedrohung durch Gewalt) und somit zu einer besseren Lebensqualität beitragen. 6.3 Kritik und Grenzen der Studie Bei der Literatur-Recherche dieser Arbeit stösst man hauptsächlich auf die Arbeiten und Theorien des Sozial-, Bildungs- und Gesundheitswissenschaftlers Klaus Hurrelmann. Alternative theoretische Ansätze werden kaum erwähnt. Auch die vorliegende Arbeit basiert im theoretischen Teil auf den Ansätzen Hurrelmanns, und berücksichtigt aber auch alternative Referenzen (Allan, Porter, McFarland, McElhaney und Marsch, 2007; Hagan und Foster, 2001). 6.4 Schlussfolgerungen und Ausblick Wie aus der vorliegenden Arbeit als auch aus der nationalen HBSC-Studie ersichtlich, sinkt die gesundheitsbezogene Lebenszufriedenheit in der Adoleszenz zwischen 11 und 15 Jahren ab und steigt danach wieder an. Es wird nach ursächlichen Faktoren gesucht, welche – trotz bestehender Präventionsprojekten und gesundheitsfördernder Massnahmen – für das unzureichende Gesundheitsverständnis und Gesundheitsverhalten der Jugendlichen verantwortlich sein könnten und bisher noch nicht genauer untersucht wurden. Es stellte sich die Frage, ob die Kontextfaktoren Lebensumgebung Stadt/Land und Schule einen massgeblichen Einfluss auf die Lebenszufriedenheit in der Pubertät haben, und führte in der Folge zur Fragestellung: Ist die sinkende gesundheitsbezogene Lebenszufriedenheit eine Folge der Lebensumgebung (Stadt/Land und Schule), welche einen prägenden Einfluss auf die Jugendlichen hat und deshalb entwicklungstypisch ist für die Zeitspanne der Adoleszenz? 56 Die Antwort darauf ist von komplexerer Natur und kann nicht pauschal abschliessend beantwortet werden, weil die Zusammenhänge von Kontext- und Einflussfaktoren multikausal korrelieren und systemischer Betrachtung bedürfen, wie dies in der vorliegenden Studie für das Risiko- und das Gesundheitsverhalten getan worden ist. Die sinkende gesundheitsbezogene Lebenszufriedenheit kann zwar einerseits als entwicklungstypische Zeitspanne in der Adoleszenz gesehen werden, in der es wichtig ist, typische Entwicklungsaufgaben des Erwachsenwerdens zu bewältigen, andererseits sollten die Jugendlichen in dieser sensiblen Zeit optimal gefördert, unterstützt und begleitet werden, um eventuelles risikohaftes Gesundheitsverhalten oder Risikoverhalten zu minimieren beziehungsweise nicht entstehen zu lassen und zudem die Gesundheit der Jugendlichen zu bewahren und zu fördern, um zukünftige Manifestationen im Erwachsenenalter zu verhindern oder zu verringern. Für die Prävention und die Gesundheitsförderung ist es deshalb wichtig zu erkennen, dass präventive und gesundheitsfördernde Massnahmen nur dann erfolgreich sein können, wenn Gesundheitsverhalten und Risikoverhalten auseinandergehalten werden und systemisch vorgegangen wird. Risikoverhalten muss immer im Zusammenhang mit Kontextfaktoren wie Alter, Geschlecht, Lebensumgebung und Schultypus und deren moderierenden Einflussfaktoren, wie beispielsweise Peergruppen, oder risikoreiches Umgebungsmilieu (Stadtaufenthalte usw.) und Essverhalten betrachtet werden. Gesundheitsverhalten hingegen ist abhängig von kognitiven Fähigkeiten und der individuellen Resilienz. Die Förderung von Gesundheitsverständnis und Gesundheitsverhalten liegt in der Verantwortung von Familie und Schule, welche durch ihre Vorbildfunktion und Kompetenzvermittlung zur Verringerung von kognitiven Fähigkeiten beitragen. Systemisches Vorgehen mit vergleichenden Überlegungen und eine Vermeidung von monokausalen Massnahmen erlauben komplexere Wechsel und bilden ein sicheres Fundament für geeignete Strategien. Die oben gestellte Frage muss deshalb wie folgt beantwortet werden: Die sinkende Lebenszufriedenheit in der Adoleszenz ist einerseits entwicklungstypisch, aber auch von multikausalen, sozio-psychologischen Faktoren abhängig. Die Lebensumgebung Stadt oder Land ist einer davon, und aufgrund der Resultate aus der Befragung und der überprüfenden Pfadanalyse kann hier eine Abhängigkeit 57 gesehen werden. Jugendliche vom Land zeigen ein geringeres Risikoverhalten als Jugendliche aus der Stadt, jedoch nicht alleine aufgrund eines besseren Gesundheitsverhaltens, sondern weil die Einflussfaktoren (Moderatoren-Variablen), wie „Aufenthalte in der Stadt“, welche zu risikohaftem Verhalten (Fast-Food, Tabak- und Alkoholkonsum usw.) führen können, geringer oder unterschiedlicher sind im Vergleich zu denjenigen aus der Stadt. Jugendliche aus der Lebensumgebung Land sind unter Umständen verkehrstechnisch weniger mobil und mehr unter erzieherischer Aufsicht, welche ihnen Gänge in die Stadt erschweren. Kurz gesagt: Jugendliche vom Land leben eine unterschiedliche kontextbezogene Realität als diejenigen Jugendlichen aus der Stadt. Die Schule bzw. die Schulfreude ist ein weiterer Faktor, welcher infolge defizitärer Kognitionen (tieferes Schulbildungsniveau) zu einer sinkenden Lebenszufriedenheit führen kann. Dieser Faktor entwickelt sich hingegen ganz unabhängig von den Stadt-Land-Unterschieden. Ebenso wirken Alter und Geschlecht unabhängig von den Stadt-Land-Unterschieden. Die Verringerung von Lebens- und Zukunftsängsten der heranwachsenden Menschen muss also das angestrebte Ziel zur Förderung der Lebenszufriedenheit in der Adoleszenz sein. Hier stehen Familie und Schule in der Verantwortung der Jugendlichen. Das – schon eingangs erwähnte – Zitat von Georg Friedrich Wilhelm Hegel (1770 1831) soll zum Abschluss noch einmal wiederholt werden: „Zufriedenheit ist das Gefühl der Übereinstimmung unserer einzelnen Subjektivität mit dem Zustande unseres bestimmten, uns gegebenen oder durch uns hervorgebrachten Zustandes.“ 58 Literaturverzeichnis und Quellenangaben Archimi, A. D. (2014). Vulnérabilité aux comportements à risque à l'adolescense, Detaillierte Zusammenfassung aus dem Forschungsbericht Nr. 67. Addiction Suisse. Allen, J. P., Porter, M., McFarland, C., McElhaney, K. B. & Marsh, P. (2007). The Relation of Attachment Security to Adolescents’ Paternal and Peer Relationships, Depression, and Externalizing Behavior. Child Development, 78(4), 1222– 1239. doi:10.2307/4620699 Bantuelle, M. & Demeulemeester, R. (Eds.).(2008) Comportements à risque et santé : agir en milieu scolaire. (Référentiels). Saint-Denis: Institut national de prévention et éducation pour la santé (Inpes). 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Des Weiteren versichere ich, dass ich bisher noch keine wissenschaftliche Arbeit mit gleichem oder ähnlichem Inhalt an der Fernfachhochschule Schweiz oder an einer anderen Hochschule eingereicht habe. Mir ist bekannt, dass die Fernfachhochschule Schweiz andernfalls auch nachträglich berechtigt ist, mir den auf Grund dieser Arbeit verliehenen Titel zu entziehen. Sumiswald, 20.06.2015 61 8 8.1 Anhänge Modellübersicht Gesundheitsverhalten Modellübersicht und ANOVA Gesundheitsverhalten Modellübersicht b Angepasstes Modell R 1 ,318 a R- Standardfehler R-Quadrat Quadrat der Schätzung Durbin-Watson ,101 ,069 ,94934362 2,059 a. Prädiktoren: (Konstante), Alter, Lebensleiter, Familie, Bewältigung von Schwierigkeiten, Schulfreude, Lebensumgebung, geringe gesundheitliche Probleme, Geschlecht, geringe Zukunfts- angst, Schultyp b. Abhängige Variable: Gesundheitsverhalten= Schlaf ANOVA a Mittel Modell 1 der Quadratsumme df Quadrate F Sig. Regression 28,856 10 2,886 3,202 ,001 Residuum 256,857 285 ,901 Gesamtsumme 285,714 295 b a. Abhängige Variable: Gesundheitsverhalten = Schlaf b. Prädiktoren: (Konstante), Alter, Lebensleiter, Familie, Bewältigung von Schwierigkeiten, Schulfreude, Lebensumgebung, geringe gesundheitliche angst, Schultyp 62 Probleme, Geschlecht, geringe Zukunfts- Koeffizienten a Standardisierte Nicht standardisierte Koeffizienten Modell 1 B Standardfehler (Konstante) ,063 1,024 Geschlecht ,132 ,118 -,116 Koeffizienten Beta t Sig. ,061 ,951 ,067 1,119 ,264 ,060 -,115 -1,919 ,056 ,017 ,085 ,012 ,197 ,844 ,022 ,076 ,017 ,295 ,769 Lebensleiter ,074 ,036 ,124 2,042 ,042 Wohnt zusammen mit ,007 ,039 ,010 ,168 ,866 Schulfreude ,216 ,083 ,151 2,605 ,010 Umgebung definiert ,220 ,079 ,169 2,784 ,006 ,041 ,074 ,033 ,551 ,582 ,071 ,127 ,032 ,557 ,578 Alter Schultyp Geringe gesundheitliche Probleme Geringe Zukunftsangst Bewältigung von Schwierigkeiten a. Abhängige Variable: Gesundheitsverhalten = Schlaf 63 Risikoverhalten Modellübersicht und ANOVA Risikoverhalten Modellübersicht b Angepasstes Modell R 1 ,391 a R- Standardfehler R-Quadrat Quadrat der Schätzung Durbin-Watson ,153 ,123 ,92909852 1,916 a. Prädiktoren: (Konstante), Alter, Lebensleiter, Wohnt zusammen mit, Bewältigung von Schwierigkeiten, Schulfreude, Lebensumgebung, geringe gesundheitliche Probleme, Geschlecht, geringe Zukunftsangst, Schultyp b. Abhängige Variable: Risikoverhalten=Zuckerkonsum ANOVA a Mittel Modell 1 der Quadratsumme df Quadrate F Sig. Regression 44,255 10 4,425 5,127 ,000 Residuum 245,156 284 ,863 Gesamtsumme 289,410 294 b a. Abhängige Variable: Risikoverhalten =Zuckerkonsum b. Prädiktoren: (Konstante), Alter, Lebensleiter, Wohnt zusammen mit, Bewältigung von Schwierigkeiten, Schulfreude, Umgebung definiert, geringe Gesundheitsprobleme, Geschlecht, Geringe Zukunftsangst, Schultyp 64 Koeffizienten a Standardisierte Nicht standardisierte Koeffizienten Modell 1 B Standardfehler (Konstante) 1,797 1,001 Geschlecht -,293 ,116 Alter -,029 Schultyp Koeffizienten Beta t Sig. 1,795 ,074 -,147 -2,532 ,012 ,059 -,029 -,490 ,625 -,340 ,084 -,246 -4,051 ,000 ,061 ,073 ,048 ,833 ,406 Lebensleiter -,031 ,036 -,051 -,865 ,388 Wohnt zusammen mit -,008 ,038 -,011 -,206 ,837 Schulfreude -,129 ,081 -,090 -1,592 ,113 Umgebung definiert -,191 ,078 -,145 -2,467 ,014 -,052 ,072 -,043 -,724 ,470 ,027 ,125 ,012 ,214 ,831 Geringe gesundheitliche Probleme Geringe Zukunftsangst Bewältigung von Schwierigkeiten a. Abhängige Variable: Risikoverhalten = Zuckerkonsum 65 8.2 Praktische Vorschläge für die Ernährungsprävention in Schulen Ganz allgemein müssen die Jugendlichen mit Geniessen, Machen, Schmecken, Erfahren, Mitdenken usw. abgeholt werden. Folgende Food-Konzepte wurden in Zusammenarbeit mit Judith Gmür-Stalder, Rezeptautorin, Foodstylistin und Hauswirtschaftslehrerin, entwickelt und hier als Vorschläge dargestellt. Der Saftladen: Einmal pro Monat (oder nach Bedarf) gibt es eine Klasse, Gruppe (in- oder extern der Schule), in der die Jugendlichen gesunde Säfte, Smoothies, Shakes etc. mixen und anbieten. Wieso nicht an einem Sportanlass der Schule, an einem Club-Event usw. energiereiche, brainfoodige, vegane etc. Drinks anbieten? Food-Market: Gesunde Snacks, Brotaufstriche, Brötchen, Konserven, Sirups, Chutneys, Knuspermüesli, Gebäck usw. werden in Gruppen, Klassen, Clubs usw. fein zubereitet, evtl. vorher kreiert und getestet, degustiert und verbessert, dann an Wochenmärkten, in Dorfläden, an Weihnachtsmärkten, in Altersheimen, beim Familien-Treff usw. verkauft … Food-Track: Jugendliche können an verschiedenen Orten im Dorf, in Vororten oder Quartieren bei Sportanlässen, Konzerten, Festivals oder auch am Food-TrackFestival o.Ä. gesunde Snacks, Mahlzeiten, Drinks etc. anbieten/verkaufen. Food-Blogg: z.B. im Hauswirtschafts-Unterricht einen spannenden Food-Blogg entwickeln und unterhalten. Da sind Sportlehrer, Informatiklehrer, Lehrpersonen aus den Gestaltungsfächern usw. gefragt. Vielleicht gibt es auch einen Informatik-Profi, einen Fotografen oder Filmer etc. aus dem Dorf/Stadt/Quartier, der sich engagieren würde? Events mit Jungköchen: Mit den jungen Wilden kochen, erleben, sich von der Kreativität etc. anstecken lassen ( à la Jamie Oliver). Referate, Kurse für Jugendliche anbieten! Motivierte Leute aus der ErnährungsBranche sprechen aus Erfahrung, präsentieren ihr Berufsbild, lassen Junge mitwirken … Schul-Bistro: Hauswirtschaftsklassen unterhalten mit Hilfe der Lehrerschaft ein Bistro, einmal pro Monat oder 4-mal im Jahr? Sie lancieren eine Frühstücks-Bar, einen Pasta-Tisch, eröffnen ein Jugendtreff-Beizli usw. Guetzli-Abo: Vor Weihnachten können alle Interessierten ihre Bestellung abgeben, gebacken werden gesunde, evtl. auch vegane oder fremde Spezialitäten. Es wäre auch möglich, dieses Angebot übers Jahr anzubieten. Hübsche Verpackungen, kre- 66 ative Ideen sind gefragt …Abos wären auch möglich für gesundes Brot, Konfitüre, Salatsaucen, Wähentag … Rezept-Newsletter-Blogg-Zeitschrift… Junge Schreibwütige engagieren sich und produzieren ein Foodheft (Kreation, Text, Reportage, Styling, Layout, Druck, Vertrieb), eine Rezeptbroschüre für den dorfansässigen Käser, Metzger, Gemüseproduzenten … Die Jugendlichen erhalten Lebensmittel gesponsert zum Testen, Kreieren…. Pausenkiosk … aber gesund und vielfältig bestückt, weg mit billigen Riegeln, dafür Ruchbrot und Orangensaft… vielleicht gibt’s lustige und abwechslungsreiche Snackpacks (bedruckte Beutel, Tüten) … Shakes, die zuvor frisch im Haushaltsunterricht/Clubs zubereitet werden … Food-Bike: Junge Sportskanonen vertragen für ein Sackgeld Spezialitäten ab Hof/Geschäft … Das können Fleisch, Gemüsepakete, Erdbeeren frisch ab Plantage usw. sein. Hauswirtschafts-Portrait in Menu-Zeitschriften: Reporter besuchen Schulklassen, portraitieren die Kinder, drucken Lieblingsgerichte, eigene Rezepte, Ideen, Wünsche ab … Sensorik: Events mit einer dynamischen Sensorikerin veranstalten. Die Jugendlichen werden so sensibilisiert und aufgeweckt. Alle Sinne werden aktiv. Kochen auf dem Feuer, Lufttrocknen, Essen mit den Händen, alle Möglichkeiten ausschöpfen, um Gesundes an vielseitig interessierte Jugendliche heranzutragen. 67 8.3 Fragebogen 68