2. Einleitung Die Euglenida sind eine morphologisch sehr heterogene Gruppe von Flagellaten, die in den verschiedensten Lebensräumen vorkommen. Dementsprechend haben sich ihre Ernährungsweisen an die Biotope angepasst: Phototrophe Vertreter kommen vornehmlich in den oberen Schichten von Salz- und Süsswasser vor und erhalten ihre notwendigen Kohlenstoffverbindungen über Umwandlung von Lichtenergie in chemische Energie (Photosynthese). Osmotrophe Arten resorbieren gelöste Substanzen aus dem umgebenden Medium (Pinocytose), während phagotrophe Spezies sich durch die Aufnahme fester Partikel (Phagocytose) mittels eines Cytostoms bzw. Ingestionsapparates ernähren. Osmotrophe und phagotrophe Euglenida leben vorwiegend in Biotopen mit nähstoffreichem Substrat, z.B. in Sedimenten von Gewässern, oder auch als Parasiten anderer Organismen, so beispielsweise in Copepoden, Rotatorien, Turbellarien und Nematoden (BRUMPT & LAVIER 1924, WENRICH 1924, MICHAJLOV 1977, 1981). Einige Arten sind auch in eher ungewöhnlichen Lebensräumen zu finden, wie Vertreter der Gattung Notosolenus auf Schnee (HOHAM & BLINN 1979) oder manche Euglena - Arten im großen Salzsee (JONES 1944). Die Euglenida weisen daher verständlicherweise ein weites Toleranzspektrum bezüglich Licht, pH-Wert, Salinität und Temperatur auf (JAHN 1946, HUBER-PESTALOZZI 1955). Ihre phylogenetische Einordnung in das System der Organismen wurde durch die Heterogenität der Gruppe deutlich erschwert, so daß daher sowohl ihre Position innerhalb der Eukaryota als auch die verwandtschaftlichen Beziehungen der einzelnen Spezies zueinander umstritten sind. Im folgenden wird zunächst die systematische Stellung der Euglenida innerhalb der Eukaryota beschrieben. Einleitung 3 2.1 Systematische Stellung der Euglenida Die Euglenida stellen eine Gruppe von einzelligen, begeißelten Eukaryoten dar, die nur sehr wenige morphologische Merkmale aufweisen, die eine systematische Einordnung erlauben. Nach Einordnungen von Botanikern wurden die Euglenida aufgrund des Besitzes von Plastiden, des Vorkommens von Chlorophyll a und b in den Plastiden der phototrophen Arten oder der Fähigkeit der Zellen in ein Palmellastadium überzugehen, entweder direkt der Abteilung Chlorophyta als Klasse Euglenophyceae unterstellt oder als eigenständige Abteilung Euglenophyta geführt (KLEBS 1883, DOUGHERTY 1955, CHRISTENSEN 1962, 1964, VAN DEN HOEK et al. 1993, SITTE et al. 1998). Innerhalb der Gruppe der Euglenida bilden die sich heterotroph ernährenden Organismen mit ca. zwei Dritteln (FARMER 1988) den weitaus größeren Teil der Arten und ziehen damit schon lange das Interesse von Systematikern mit zoologischer Ausrichtung auf sich. Von BÜTSCHLI (1884), der den Begriff Euglenida prägte, wurden diese Organismen als Ordnung Euglenida in die Klasse der Phytomastigophora des Stammes Protozoa gestellt. ALEXEIEFF (1912) schloß sich dieser Einordnung an, er nannte diese Gruppe allerdings Euglenina. Viele Autoren und Autorinnen umgingen allerdings die Schwierigkeit der Einordnung der Euglenida in das Reich Plantae oder das Reich Animalia, indem sie sie in ein ursprünglich von HOGG (1861) vorgeschlagenes Reich Protoctista oder in das von HAECKEL (1866) aufgestellte Reich Protista stellten (COPELAND 1956, MARGULIS et al. 1990, WALNE & KIVIC 1990). Im Reich Protoctista befanden sich alle Organismen, die nicht den Reichen Plantae, Animalia, Fungi oder den Prokaryoten (Monera) zugeordnet werden konnten. Das Reich Protista hingegen enthielt auch Prokaryoten. Somit stellen sowohl die Protoctista als auch die Protista in einem konsequent – phylogenetischen System sensu HENNIG (1950, 1966) keine monophyletische Gruppe dar, da sie sich nicht auf eine nur ihnen gemeinsame Stammart zurückführen lassen. Die Paraphylie der Protista wurde u.a. durch Untersuchungen der Nukleotidsequenzen von cox1 Genen, die für die Untereinheit 1 der Cytochrom c Oxidase kodieren, und von SSU rRNA bestätigt (TESSIER et al. 1997, SOGIN et al. 1989). Auch phylogenetische Rekonstruktionen anhand von Sequenzen unterschiedlicher Proteine, die zusammen in einem Datensatz ("concatenated data set") analysiert wurden, führten zum gleichen Ergebnis (BALDAUF et al. 2000). Die im gegenwärtigen Sprachgebrauch gleichwertig verwendeten Begriffe Protoctista und Protista bedeuten lediglich, daß es sich hier um eukaryotische Einzeller handelt. Einleitung 4 Mit der Entwicklung von elektronenmikroskopischen Techniken wurden detailliertere Untersuchungen der Zellstrukturen ermöglicht. Durch ultrastrukturelle Analysen der Geißeln (Substruktur mit Paraxonemalstab, Geißelinsertion in subapikaler anteriorer Tasche), der Mitochondrien (Cristae discoidal und an der Basis leicht eingeschnürt, Chondriom), der Mitose (geschlossen, mit intranukleärer Spindel) und der Reservoirregion (Cytostom) konnte gezeigt werden, daß die wahrscheinlich nächsten Verwandten der Euglenida die Kinetoplastida darstellen (LEEDALE 1967a,b, BROOKER 1971, DODGE 1973, TAYLOR 1976, 1980, STEWART & MATTOX 1980, CORLISS 1981, 1984, WILLEY & WIBEL 1985, SUREK & MELKONIAN 1986). Diese Gruppe umfaßt die parasitären Trypanosomatida und die freilebenden Bodonida (KIVIC & WALNE 1984). Zusammen mit den Kinetoplastida wurden die Euglenida von CAVALIER-SMITH (1981) als eigenes Reich Euglenozoa innerhalb eines "superkingdom" Eukaryota eingruppiert, während CORLISS (1984) sie als Stamm Euglenozoa innerhalb der Protista einordnete. Zwei weitere Taxa, die Diplonemida und Postgaardi (incertae sedis) wurden von SIMPSON (1997) unter Vorbehalt weiterer Analysen ebenfalls zu den Euglenozoa gestellt. Diese Taxa weisen morphologische Ähnlichkeiten mit den Euglenozoa auf, sie lassen sich aber weder in die Euglenida noch in die Kinetoplastida eingliedern. Die Stellung der Euglenida wurde mittels molekulargenetischer Methoden zuerst von SOGIN et al. (1989) untermauert. Diese Arbeitsgruppe untersuchte die SSU rDNA verschiedener Organismen und rekonstruierte einen Stammbaum, in dem die Euglenozoa eine monophyletische Gruppe an der Basis der Eukaryota bilden (Abb. 2-1). Euglenozoa Abb. 2-1: Stammbaum der Eukaryota, erstellt mit einem Distanz-Verfahren (FITCH & MARGOLIASH 1967) anhand von rRNA - Sequenzen für die kleine ribosomale Untereinheit; verändert nach SOGIN et al. 1989. Balken: 10 Nukleotidsubstitutionen / 100 Nukleotidpositionen ( = 10% Divergenz). Einleitung 5 Innerhalb des Stammbaumes gruppieren sie in der Nähe der amitochondrialen Vertreter Vairimorpha necatrix (Microsporidia, Burenellidae) und Giardia lamblia (Diplomonadina, Giardiinae) nahe am eukaryotischen Ursprung. Analysen anderer Gene, wie z.B. die der Elongationsfaktoren EF-1α und EF 2 oder der α- und β-Tubuline deuten allerdings auf eine Position in der eukaryotischen Kronengruppe hin (YAMAMOTO et al. 1997, KEELING et al. 1998). Die systematische Position der Euglenida innerhalb der Eukaryota ist daher nach wie vor umstritten. 2.2 Bisheriger Kenntnisstand der Evolution innerhalb der Euglenida Versuche einer Aufschlüsselung der einzelnen Taxa innerhalb der Euglenida wurden immer wieder unternommen. Dabei wurden die Taxa zumeist hinsichtlich ihrer Ernährungsweise klassifiziert. Dieses führte zu einem System der Euglenida, das die natürlichen Verhältnisse und Verwandtschaften nicht widerspiegelte, sondern künstliche Gruppierungen schaffte, die zwar manche morphologische Merkmale miteinander teilten, aber keine geschlossenen Abstammungsgemeinschaften repräsentierten (STEIN 1878, KLEBS 1883, SENN 1900, LEMMERMANN 1914, JAHN 1946, HOLLANDE 1952, HUBER-PESTALOZZI 1955, HONIGBERG et al. 1964, KUDO 1966, LEVINE et al. 1980). PRINGSHEIM (1948) versuchte als erster innerhalb der Euglenida eine Beziehung zwischen Taxonomie und Phylogenie herzustellen, also die Evolution im Sinne einer modernen Systematik aufgrund gemeinsamer Abstammung der Taxa zu rekonstruieren. Angeregt durch cytologische Ähnlichkeiten zwischen bestimmten farblosen und phototrophen Arten stellte er diese nicht mehr grundsätzlich in unterschiedliche Familien. Er begründete z.B. die Entstehung von heterotrophen Formen aus photosynthetisierenden Formen durch Verlust der Plastiden und somit einen sekundären Übergang zur Heterotrophie. Ein wichtiges Merkmal, das oftmals mit zur Klassifikation der Euglenida herangezogen wird, stellt die Geißel dar. Dabei ist neben der Anzahl der Geißeln auch von Bedeutung, ob nur eine oder beide der Geißeln emergent sind, d.h. aus dem Reservoir herausragen. LEEDALE (1967a), der in seiner Systematik neben der Ernährungsform einen besonderen Schwerpunkt auf die Geißeln legte, begründete aufgrund dieser Merkmale die in Tab. 2-1 dargestellten sechs Ordnungen. Die Ordnung Euglenales (phototroph; sekundär osmotroph nach Verlust der Plastiden), die sich durch den Besitz von einer emergenten und einer nicht-emergenten Geißel auszeichnet, Einleitung 6 wird von den Eutreptiales (phototroph und osmotroph) getrennt, da in letzteren zwei emergente Geißeln vorliegen. Die Rhabdomonadales (osmotroph), die wie die Euglenales eine emergente und eine nicht-emergente Geißel aufweisen, lassen sich von den Euglenales durch die Abwesenheit eines Stigmas und Paraxonemalkörpers (PAB), d.h. des photosensorischen Apparates abgrenzen. Die Sphenomonadales (phagotroph) werden von den Heteronematales (phagotroph) durch die Struktur des Ingestionsapparates unterschieden, der bei ersteren wesentlich einfacher aufgebaut ist als bei den zuletzt genannten. Das Kriterium für Organismen, die in die Ordnung Euglenamorphales einzuordnen sind, ist der Besitz von mindestens 3 Geißeln. Vertreter dieser Ordnung leben ausschließlich endozoisch. ORDNUNGEN mit Gattungen EUGLENALES (Ascoglena, Astasia, Colacium, Cyclidiopsis, Euglena, Hyalophacus, Khawkinea, Klebsiella, Lepocinclis, Phacus, Trachelomonas, Strombomonas) EUTREPTIALES (Distigma, Distigmopsis, Eutreptia, Eutreptiella) RHABDOMONADALES (Gyropaigne, Menoidium, Parmidium, Rhabdomonas, Rhabdospira) SPHENOMONADALES (Anisonema, Atraktomonas, Calycimonas, Notosolenus, Petalomonas, Sphenomonas, Tropidoscyphus) HETERONEMATALES (Dinema, Entosiphon, Heteronema, Peranema, Peranemopsis, Urceolus) EUGLENAMORPHALES (Euglenamorpha, Hegneria) Geißeln: F1: emergent F2: nicht emergent Stigma und PAB vorhanden Ernährungsmodi: Phototrophie Heterotrophie (Osmotrophie) F1: emergent F2: emergent Stigma und PAB vorhanden F1: emergent F2: nicht emergent Stigma und PAB nicht vorhanden F1: emergent F2 (wenn vorhanden): emergent Stigma und PAB nicht vorhanden Phototrophie Heterotrophie (Osmotrophie) F1: emergent F2 (wenn vorhanden): emergent Stigma und PAB nicht vorhanden mindestens drei Geißeln vorhanden Heterotrophie (Osmotrophie) Heterotrophie (Phagotrophie) Ingestionsapparat einfach aufgebaut Heterotrophie (Phagotrophie) Ingestionsapparat komplizierter aufgebaut Phototrophie Heterotrophie (Osmotrophie) ausschließlich Endoparasiten Tab. 2-1: Systematische Gliederung der Euglenida nach LEEDALE (1967a). F1: dorsales Flagellum, F2: ventrales Flagellum, PAB: Paraxonemalkörper. LEEDALE (1967a) bewertet in seiner Systematik den Merkmalszustand der Geißeln stärker als den Besitz von Chloroplasten, und begründet damit die Trennung der Euglenales von den Eutreptiales (Tab. 2-1). Dies würde in Folge bedeuten, daß Phototrophie innerhalb der Euglenida entweder ein plesiomorphes Merkmal darstellt, das hieße der gemeinsame Vorfahre von Euglenales und Eutreptiales besaß bereits Chloroplasten, oder daß die Einleitung 7 Aufnahme und Etablierung von Plastiden in den Euglenales und in den phototrophen Eutreptiales unabhängig voneinander stattgefunden haben muß. Auch FARMER (1988) beschäftigte sich mit der Taxonomie der Euglenida. Er kritisierte an der Einteilung von LEEDALE (1967a) insbesondere die Inkonsequenz bei der Verwendung des Merkmals Geißel, da die Länge der dorsalen Geißel einerseits die Trennung von Euglenales und Eutreptiales begründete, andererseits aber Ordnungen wie Sphenomonadales und Heteronematales aufgestellt wurden, in denen die Taxa sogar innerhalb dieser Ordnungen eine unterschiedliche Anzahl von Geißeln aufweisen durften. FARMER (1988) löste die Ordnung Eutreptiales auf und ordnete deren Taxa den Euglenales zu. Sekundär osmotrophe Euglenida Euglenales: Astasia. PAR in F1: aufgewunden. Sekundär osmotrophe Euglenida Euglenales: Khawkinea, Cyclidiopsis. PAR in F1: aufgewunden. Verlust von PAB, Stigma, Chloroplasten Verlust der Chloroplasten Abgeleitete osmotrophe Euglenida Rhabdomonadales: Rhabdomonas, Menoidium. PAR in F1: aufgewunden bis halbmondförmig. Reduktion der ventralen Geißel Abgeleitete freilebende und endozoische Euglenida Euglenamorphales: Euglenamorpha, Hegneria. Keine Informationen über PAR. Duplikation der Geißeln Abgeleitete phototrophe Euglenida Euglenales: Colacium, Euglena, Lepocinclis, Phacus, Trachelomonas. PAR in F1: aufgewunden. Reduktion der ventralen Geißel Primär osmotrophe Euglenida Primär phototrophe Euglenida Eutreptiales: Distigma. PAR in F1: aufgewunden. PAR in F2: plattenförmig. PAR [F1] < PAR [F2]. Eutreptiales: Eutreptia, Eutreptiella. PAR in F1: aufgewunden. PAR in F2: plattenförmig. PAR [F1] < PAR [F2]. Etablierung von Chloroplasten, PAB und Stigma Verlust des Ingestionsapparates, ventrale Geißel nicht mit der Zelloberfläche assoziiert Ursprüngliche phagotrophe Euglenida Sphenomonadales: Anisonema. Heteronematales: Entosiphon, Peranema. PAR in F1: aufgewunden. PAR in F2: plattenförmig Sphenomonadales Petalomonas (uniflagellat): PAR in F1: aufgewunden. Phagotrophe Vorfahren Abb. 2-2: Hypothetische Entwicklung innerhalb der Euglenida (verändert nach DAWSON & WALNE 1994, WALNE & DAWSON 1993) unter Berücksichtigung der Struktur des Paraxonemalstabes (PAR) im Querschnitt. F1: dorsale Geißel, F2: ventrale Geißel, PAB: Paraxonemalkörper. Einleitung 8 DAWSON & WALNE (1994) schlugen das in Abb. 2-2 dargestellte Schema zur Evolution der Euglenida vor, in dem die Struktur der Geißeln sowie die Ernährungsmodi berücksichtigt wurden. Zusätzlich eingefügt wurde die Ausprägung des Paraxonemalstabes (PAR), einer Struktur innerhalb der emergenten Geißeln, die im folgenden näher beschrieben werden wird. Die Autoren gehen von ursprünglich phagotrophen Euglenida mit zwei emergenten Geißeln aus, deren Weiterentwicklung nachfolgend in zwei unterschiedlichen Linien verläuft. Eine Linie führt zu primär osmotrophen Formen, in einer zweiten Linie entstehen mit der Aufnahme und Etablierung von Chloroplasten phototrophe Formen. In dieser zweiten Linie entstehen dann später durch Verlust der Plastiden, sowie in einigen Arten auch des Stigmas und des Paraxonemalkörpers (PAB), die sekundär osmotrophen Formen. In beiden Linien findet eine Reduktion der ventralen Geißel (F2) statt. 2.3 Rekonstruktion der Phylogenese Die Rekonstruktion der Stammesgeschichte hat das Ziel, ein natürliches System der Organismen zu schaffen. Grundlage dafür ist das von HENNIG (1950, 1966) erarbeitete Konzept der konsequent phylogenetischen Systematik, deren Ziel es ist, geschlossene Abstammungsgemeinschaften (Monophyla) zu finden, die dann eine Einteilung der Taxa aufgrund genealogischer Verwandtschaft ermöglichen. Die Monophyla werden durch Apomorphien begründet, also durch Merkmale, die in ihrer Stammlinie evolvierten. Merkmale sind dabei Eigenschaften der Organismen: Sie können morphologischer oder molekularer Natur sein. Der Begriff Merkmalszustand charakterisiert die Ausprägung der Eigenschaften. Besitzen die Merkmale nachweislich eine gemeinsame Abstammung, so werden sie als homologe Merkmale bezeichnet. Homologien können auf Sequenzebene nochmals unterschieden werden in Orthologien, Paralogien und Xenologien. Beruht die gemeinsame Abstammung auf einem Speziationsereignis, so wird von Orthologie gesprochen. Genduplikationen in einem Organismus führen zu paralogen Genen, ein Beispiel hierfür wären die unterschiedlichen Hämoglobine. Xenologe Gene entstehen durch lateralen Gentransfer; diese Gene sind dann zwar homolog, die sie tragenden Organismen müssen aber nicht zwingend miteinander verwandt sein (FITCH 1970, GRAY & FITCH 1983). Zur phylogenetischen Rekonstruktion sind dabei nur orthologe Merkmale geeignet; Paralogien und Xenologien können aber Auskunft über die phylogenetische Entwicklung einzelner Gene geben (HILLIS et al. 1996). Sind paraloge Sequenzen allerdings in "tandem Einleitung 9 repeats" angeordnet, so evolvieren sie oftmals gemeinsam und können wie ein einziges Gen betrachtet werden. In diesem Fall spricht man von "concerted evolution" (ZIMMER et al. 1980) oder Plerologie (PATTERSON 1988). Diese Sequenzen sind für eine phylogenetische Rekonstruktion ebenso geeignet wie orthologe Sequenzen. 2.3.1 Morphologische Analyse Im Sinne der von HENNIG (1950, 1966) begründeten Phylogenetischen Systematik geht der Rekonstruktion der Phylogenese und Darstellung mittels eines Stammbaumes (Kladistik) die Suche nach evolutiven Neuheiten voraus. Grundsätzlich gilt für die phylogenetische Rekonstruktion, daß die verwendeten Merkmale eine gewisse Komplexität aufweisen sollten, damit mögliche Konvergenzen im Verlauf der Analyse erkannt werden können. Als morphologische Merkmale werden dabei das Vorhandensein oder die Abwesenheit einer Struktur innerhalb eines Taxons gewertet. Nach Erstellen einer Merkmalsmatrix, in die die Merkmalszustände einfließen, muß zwischen abgeleiteten (apomorphen) und ursprünglicheren (plesiomorphen) Merkmalsausprägungen unterschieden werden. Die Schwierigkeit dieser Einschätzung kann mit Hilfe eines Außengruppenvergleiches gemindert werden, wobei man als Außengruppe Taxa wählt, die möglichst in naher verwandtschaftlicher Beziehung zu denen in der zu untersuchenden Innengruppe stehen, aber dennoch deutlich von ihnen abgegrenzt sind. 2.3.1.1 Allgemeine Beschreibung der Euglenida Es werden zunächst allgemeine diagnostische Merkmale der Euglenida beschrieben. Dabei wird etwas näher auf die innerhalb der Geißeln liegende Struktur des Paraxonemalstabes (PAR) eingegangen, da die Evolution der Gene, die für die beiden Hauptproteinkomponenten des PAR kodieren, anschließend untersucht werden wird. Bereits lichtmikroskopisch (Abb. 2-3) lassen sich die meisten Vertreter der Euglenida gut von anderen eukaryotischen Einzellern unterscheiden. Zurückzuführen ist dieses auf zwei Bewegungserscheinungen: Zum einen auf ihre typische Bewegung beim Schwimmen, wobei sich die Zellen während des Schwimmens mehr oder weniger schnell um ihre Längsachse drehen und optisch oftmals verdrillt erscheinen, zum anderen auf das "euglenoid movement", bei dem sich die Zellform ständig metabolisch verändert. Eine Reihe morphologischer Einleitung 10 Merkmale kann sehr gut für eine Datenmatrix verwendet werden, um die Entwicklung der Euglenida zu rekonstruieren. Abb. 2-3: Lichtmikroskopische Aufnahme einiger Zellen von Euglena gracilis. 1 cm = 24 µm. Die Euglenida besitzen keine Zellwand, sondern werden nach außen hin von einer Pellikula begrenzt, deren gestreifte Struktur bei höherer Auflösung bereits lichtmikroskopisch sichtbar ist. Die Pellikula besteht aus zwei Komponenten, einer 8-10 nm dicken Zellmembran und einer darunter liegenden proteinogenen epiplasmatischen Schicht, die je nach Spezies in ihrer Dicke variiert und in direktem Zusammenhang mit der Elastizität der Zellen steht, so daß flexible und rigide Formen entstehen können. An definierten Stellen unterhalb der epiplasmatischen Schicht befindet sich eine speziesspezifische Anzahl an Mikrotubuli als Cytoskelettelement. Die helikal angeordneten Pellikulastreifen bilden eine in der angelsächsischen Literatur als "ridge" und "groove" (Berg und Tal) bezeichnete Struktur, die innerhalb der einzelnen Arten sehr unterschiedlich ausgeprägt sein kann (Abb 2-4). Die Pellikula kann beispielsweise fusioniert vorliegen oder gekielt sein (LEEDALE 1975, 1982, DUNLAP et al. 1983). Einleitung 11 a b Abb. 2-4: Elektronenmikroskopische Aufnahmen von Querschnitten durch die Pellikula. a: Khawkinea quartana, Pellikula mit "ridge & groove" – Struktur. 1 cm = 185 nm. b: Gyropaigne lefevrei, gekielte Pellikula. 1 cm = 710 nm. Durch eine Invagination der Pellikula wird am vorderen Zellende der Reservoir/KanalKomplex gebildet, wobei Mikrotubuli als Festigungselemente an der cytoplasmatischen Seite des Kanals kontinuierlich in die Mikrotubuli der Pellikula übergehen. Die Reservoirmembran dient der Aufnahme von Nährstoffen; in ihrer Nähe befindet sich eine kontraktile Vakuole, die osmoregulatorische Funktionen übernimmt. Einige Arten der Euglenida weisen ein als Scroll bezeichnetes zusätzliches Festigungselement um den Kanal auf. Diese Struktur, die sich unterhalb der Pellikula des Kanals befindet, läßt sich in eine innere Schicht aus amorphem Material und in eine äußere Schicht aus Mikrotubuli unterteilen, wobei zwischen den beiden Schichten Kontakte bestehen (LEEDALE & HIBBERD 1974, CANN 1986). Die Geißeln, die extreme Ausstülpungen der Plasmamembran darstellen, entspringen den beiden Basalkörpern an der dorsalen Seite der Zellen und führen dann durch den Reservoir/Kanal-Komplex. Die Organisation der drei nahe der Reservoirmembran im Cytoplasma liegenden Geißelwurzeln ist in allen bisher untersuchten Euglenida identisch. Die dorsale Geißelwurzel liegt näher am dorsalen Basalkörper, die daraus austretende dorsale Geißel wird als F1 bezeichnet. Die ventrale Geißelwurzel liegt näher am ventralen Basalkörper, aus dem die als F2 bezeichnete ventrale Geißel austritt. Die intermediäre Einleitung 12 Geißelwurzel liegt zwischen den beiden zuerst genannten, wobei sie näher zum ventralen Basalkörpers hin lokalisiert ist (DAWSON & WALNE 1994). In einigen Arten sind beide Geißeln emergent und ragen somit aus dem Reservoir heraus, andere Arten weisen nur eine emergente Geißel auf, wobei die zweite Geißel sich dann verkürzt innerhalb des Reservoirs befindet. Zusätzlich besitzen die Geißeln haarartig erscheinende, nicht-tubuläre Proteinstrukturen, die auch Mastigonemata genannt werden (DEFLANDRE 1934, BOUCK et al. 1978). Ein Paraxonemalstab (paraxonemal rod, paraxial rod, PAR) ist definiert als eine lange zylindrische aus Proteinen bestehende Struktur, die sich nahezu über die gesamte Länge der Geißel hinzieht. Innerhalb der Geißel liegt der PAR parallel zum Axonem, mit dem Verknüpfungen vorhanden sind. Der PAR wird in der Literatur häufig als "paraflagellar rod" (PFR) bezeichnet, wobei diese Bezeichnung irreführend ist, da diese Struktur sich nicht neben der Geißel befindet, sondern zusammen mit dem Axonem von der Geißelmembran umgeben ist (ANDERSEN et al. 1991). Das Vorkommen von Paraxonemalstäben beschränkt sich nach bisherigen Erkenntnissen auf die Euglenozoa, auf Dinoflagellaten und auf die Pedinellales, eine Ordnung der Chrysophyceae, deren taxonomische Stellung wenig verstanden wird (THOMSEN 1988). Allerdings ist kein detalliertes Wissen über die Struktur oder Zusammensetzung der PARs in den Dinoflagellaten und Pedinellales vorhanden. Zusätzlich ist unklar, ob es sich dabei um homologe Strukturen handelt (ANDERSEN et al. 1991). Bekannt ist allerdings, daß die generelle, komplexe Struktur der Paraxonemalstäbe in den Euglenozoa einzigartig unter den Protisten ist (DAWSON & WALNE 1994). Die meisten Euglenida weisen eine dorsale Geißel (F1) und eine ventrale Geißel (F2) auf. In Ordnungen mit nur einer emergenten Geißel (Euglenales, Rhabdomonadales) ist F2 reduziert und tritt nicht aus dem Reservoir heraus. Dieses reduzierte Flagellum besitzt keinen Paraxonemalstab. Der PAR der emergenten Geißel F1 ist in Querschnitten als elektronendichte zylindrische oder gewundene Struktur zu erkennen, im Längsschnitt zeigt er eine gitterartige Anordnung. Diese Struktur des PAR ist auch in Petalomonas, einer Gattung der Ordnung Sphenomonadales mit nur einer singulären emergenten dorsalen Geißel, zu finden. In Ordnungen mit zwei emergenten Geißeln (Eutreptiales, Heteronematales) oder in biflagellaten Formen der Sphenomonadales ist der PAR der dorsalen Geißel F1 wie bereits beschrieben konstruiert. Zusätzlich weist hier aber auch das ventrale Flagellum F2 einen PAR auf, der sich strukturell vom PAR in F1 unterscheiden läßt (Abb. 2-5). Der Form nach wird er als oval bis halbmondförmig beschrieben und zeigt im Querschnitt einen plattenartigen Einleitung 13 Aufbau, wobei die einzelnen Platten, deren Anzahl variieren kann, senkrecht zum Axonem orientiert sind. Abb. 2-5: Elektronenmikroskopische Aufnahme eines Ultradünnschnittes durch die dorsale Geißel (links) und die ventrale Geißel (rechts) von Eutreptia viridis (Eutreptiales). 1 cm = 182 nm Jede Platte besteht ihrerseits aus horizontal und vertikal verlaufenden Filamenten. Benachbarte Platten sind durch schräge Filamente verbunden, die im Querschnitt gesehen, fast senkrecht zu den Platten verlaufen. In Abhängigkeit von der Schnittebene zeigen Längsschnitte durch den PAR unterschiedliche Muster. In Lateralschnitten, in denen sowohl der PAR als auch das Axonem sichtbar sind (Abb. 2-6, S 1), erscheint der PAR leiterartig. Dieses Bild wird durch ein Umranden der vertikal ausgerichteten Filamente durch die Horizontalfilamente verursacht. S2 S1 Abb. 2-6: Darstellung der lateralen Schnittebenen S 1 und S 2 durch den PAR, verändert nach WALNE & DAWSON (1993). Ist die Schnittebene zu der eben beschriebenen um 90° verschoben (Abb. 2-6, S 2), so ist das Axonem nicht sichtbar und der PAR weist eine parakristalline Struktur auf, die durch die im Einleitung 14 45° Winkel zu den Platten stehenden schrägen Filamente verursacht wird. Der Paraxonemalstab in der ventralen Geißel (F2) von Anisonema costatum (Sphenomonadales) hat mit 580 x 930 nm einen deutlich größeren Durchmesser als der von Entosiphon sulcatum (Heteronematales; 410 x 465 nm) oder der von Eutreptia pertyi (Eutreptiales; 180 x 270 nm). Die Anzahl der Platten, aus denen sich der PAR in F2 zusammensetzt, ist in den Sphenomonadales mit ca. 31 ebenfalls höher als in den Heteronematales (13 bis 15) oder den Eutreptiales (9 bis 13) (WALNE & DAWSON 1993). Der Hypothese, daß die ventrale Geißel innerhalb der Entwicklung der Euglenida reduziert wird (Abb. 2-2), wird also auch in Bezug auf die Entwicklung des PARs entsprochen. Biochemische Untersuchungen des PARs sind innerhalb der Euglenida bisher nur an Euglena gracilis durchgeführt worden. HYAMS (1982) verglich gelelektrophoretisch die Geißelproteine von Euglena gracilis mit denen von Chlamydomonas reinhardtii. Er konnte in Euglena gracilis zwei zusätzliche stark ausgeprägte Banden mit Molekulargewichten von 80 kD und 69 kD detektieren und ordnete diese als PFR 1 bzw. PFR 2 dem PAR zu. Auch LAUBE (1990) konnte die Banden des PAR mit MW von 80 kD und 70 kD in Euglena gracilis gelelektrophoretisch nachweisen. Auch Untersuchungen über die für die beiden Hauptproteine des PAR kodierenden Gene wurden ausschließlich an Euglena gracilis durchgeführt: NGÔ & BOUCK (1998) konnten zwei überlappende cDNA Fragmente des PAR aus Euglena gracilis isolieren, die für das elektrophoretisch mobilere PAR 2 Protein kodieren. Sequenzen von Genen, die für PAR 1 kodieren, sind bisher für keine euglenide Art verfügbar. In Photosynthese betreibenden Arten befindet sich in der Geißel - meist innerhalb der emergenten - auf Höhe des Übergangs vom Reservoir in den Kanal eine parakristalline Anschwellung, die als Paraxonemalkörper (paraxonemal body, PAB) bezeichnet wird. Im Cytoplasma ist das extraplastidäre Stigma in der Nähe der Reservoirmembran lokalisiert. Es besteht aus einer Ansammlung membranumgrenzter Globuli, die Lipide, Flavine und Carotinoide enthalten. Zusammen mit dem PAB dient das Stigma der Lichtperzeption. Die Plastiden in den phototrophen Formen, deren Anzahl zwischen 1 und über 10 betragen kann, besitzen im Gegensatz zu den Chlorophyta und Höheren Pflanzen eine zusätzliche, dritte Hüllmembran. Eine mögliche Erklärung hierfür findet sich in der Theorie einer sekundären Endocytobiose zwischen einer phagotrophen eugleniden Zelle und einem weiteren plastidenführenden eukaryotischen Einzeller: Die phototrophen Euglenida besitzen ebenso wie die Chlorarachniophyta - Chlorophyll a und b. Da unter den eukaryotischen Einleitung 15 Einzellern mit primärer Endosymbiose nur die Chlorophyta die Chlorophylle a und b aufweisen, wird vermutet, daß es sich bei der aufgenommenen Zelle jeweils um eine Chlorophyceae handelt (GIBBS 1978, MCFADDEN 1999). Als Reservekohlenhydrat bilden die Euglenida das β-1,3-Glucan Paramylon. Die Speicherung erfolgt in Form von membranumschlossenen Granula unterschiedlicher Größe im Cytoplasma. Die Paramylongranula befinden sich, auch bei den phototrophen Formen immer außerplastidär und in enger Umgebung der Pyrenoide, die Ansammlungen von hohen Konzentrationen an RuBisCo (Ribulose-1,5-Bisphosphat-Carboxylase/Oxygenase) darstellen. M C R Ch Z N D Abb. 2-7: Elektronenmikroskopische Aufnahme eines Ultradünnschnittes einer Zelle von Euglena gracilis. C: Chloroplast, Ch: kondensierte Chromosomen, D: Dictyosom, M: Mitochondrium, N: Nukleolus, R: Reservoir mit angeschnittenen Geißeln, Z: Zellkern. 1 cm = 2.08 µm. Der zumeist am hinteren Zellende liegende Nukleus besitzt einen kompakten Nukleolus und auch in der Interphase kondensierte Chromosomen (Abb. 2-7). Eine mehr oder weniger große Anzahl von Dictyosomen mit auffällig vielen Zisternen umgibt den Nukleus. Während der Mitose, die der ausschließlich vegetativen Vermehrung der Euglenida vorausgeht, ist der Nukleus am anterioren Zellende unterhalb des Reservoirs lokalisiert und bleibt von seiner Hüllmembran umgeben. Die Mitochondrien der Euglenida stellen sich elektronenmikroskopisch entweder als einzelne distinkte Mitochondrien oder als netzförmiges singuläres Chondriom dar, wobei in beiden Fällen die Cristae eher eben und flach als tubulär erscheinen (CAVALIER-SMITH 1981). Einleitung 16 2.3.2 Molekulargenetische Analyse Molekulare Merkmale sind grundsätzlich nicht anders zu bewerten als morphologische Merkmale. Da sie aber in höherer Zahl vorliegen, führen sie, insbesondere bei einzelligen Organismen, die nur wenige komplexe morphologische Merkmale aufweisen, zu einer wesentlichen Erweiterung des Spektrums an Information. Als Merkmale sind dabei homologe Positionen der Nukleotide oder der Aminosäuren innerhalb eines Satzes von Sequenzen zu verstehen, die Merkmalszustände sind deren Ausprägungen (A/C/G/T/- oder Val/Ile/Leu/-). Da im Laufe der Evolution Deletionen und Insertionen in den Sequenzen zu einer Verschiebung der homologen Positionen geführt haben, muß mit Hilfe von "Alignments" eine Positionshomologie ermittelt werden. Als geeignetes Gen hat sich dabei das im folgenden näher beschriebene Gen für die kleine Untereinheit der ribosomalen RNA (SSU rDNA) herausgestellt. 2.3.2.1 Die ribosomalen Gene Durch die Entwicklung moderner Technologien ist es heutzutage möglich, phylogenetische Rekonstruktion auf DNA-Ebene anhand bestimmter genetisch hochkonservierter Gene zu betreiben. Von besonderem Vorteil ist dabei die kleine cytoplasmatische Untereinheit des Ribosoms. Ribosomen, die von PALADE (1953) entdeckt wurden, sind die Orte, an denen die Translation der genetischen Information stattfindet. Elektronenmikroskopisch sind sie als rundliche bis ellipsoide Partikel mit einem Durchmesser von 15-30 nm erkennbar. Die eukaryotischen Ribosomen mit einem Sedimentationskoeffizienten von 80 S und mit einer Masse von 4200 kD bestehen aus einer großen 60 S und einer kleinen 40 S Untereinheit. Dabei enthält die 40 S Untereinheit die 18 S rRNA, während sich in der 60 S Untereinheit die 5 S, 5.8 S und 28 S rRNA befinden. Die Gene für die 18 S-, 5.8 S- und 28 S rRNA, die in den Nukleoli lokalisiert sind, liegen in Form von Replikationseinheiten vor. Die Trennung der einzelnen Replikationseinheiten erfolgt durch nicht - transkribierte Spacer (NTS). Das Primärtranskript einer Replikationseinheit besteht aus den intern und extern transkribierten Spacern (ITS und ETS) und den eigentlichen Ribonukleinsäuren (Abb. 2-8 a); diese werden dann in einem nachfolgenden Spleißvorgang freigesetzt. Einleitung 17 Von diesem für höhere Eukaryota typischen Muster gibt es innerhalb der Euglenida einige Abweichungen (Abb. 2-8 b). Das Gen der 28 S rDNA aus der großen ribosomalen Untereinheit wird bei Euglena gracilis in 13 Fragmente zerlegt (SCHNARE et al. 1990). In zwei Vertretern der Kinetoplastida, Crithidia fasciculata und Trypanosoma brucei, ist dieses Gen ebenfalls fragmentiert, hier besteht es allerdings aus 7 Abschnitten (WHITE et al. 1986, CAMPBELL et al. 1987, SPENCER et al. 1987). Ebenso liegt die rDNA bei Euglena gracilis nicht in zahlreichen Kopien als chromosomale Genfamilie vor, sondern nur in wenigen (evtl. nur einer) auf den Chromosomen lokalisierten Replikationseinheiten. Die übrigen Kopien, von denen in der Zelle ca. 103 vorhanden sind, liegen extrachromosomal als 11.5 kb große zirkuläre DNA-Ringe mit jeweils eigenem Replikationsstartpunkt vor (CURTIS & RAWSON 1981, RAVEL-CHAPUIS et al. 1985, COOK & ROXBY 1985). Die 5.8 S rDNA und die 5 S rDNA befinden sich nicht auf den zirkulären Ringen, sondern sind auf den Chromosomen lokalisiert. a rDNA Replikationseinheit von Eukaryoten 18 S [SSU] 5.8 S ITS-1 28 S NTS ETS b rDNA Replikationseinheit von Euglena ! SSU NTS ETS ITS-2 " 28 S ITS-1 bis ITS-13 Abb. 2-8: Genereller Aufbau einer rDNA Replikationseinheit der Eukaryota (a) im Vergleich mit der von Euglena gracilis (b). NTS: non transcribed spacer; ETS: external transcribed spacer; ITS: internal transcribed spacer. (a): Nach HILLIS & DIXON (1991). 2.3.2.2 Die SSU rDNA als molekularer Marker Die SSU rDNA tritt in allen lebenden Zellen in hoher Kopienzahl auf. Eine Amplifikation des gesamten Gens ist möglich, da sich am 3' und 5'-Ende der kodierenden Region hochkonservierte Sequenzelemente befinden, die eine Synthese von universellen Einleitung 18 Oligonukleotiden vereinfachen. Diese Eigenschaften macht die SSU rDNA zum geeigneten Gen, das häufig zur Rekonstruktion phylogenetischer Zusammenhänge genutzt wird (MEDLIN et al. 1988, HILLIS & DIXON 1991). Die SSU rDNA, deren Entwicklung nach bisherigen Erkenntnissen umweltunabhängig verläuft, ist für phylogenetische Rekonstruktionen sehr gut geeignet: Sie weist einerseits hochkonservative Bereiche auf, die eine Aufschlüsselung von entfernten Verwandtschaftsbeziehungen erlauben. Zum anderen besitzt sie aber auch genügend Variabilität, um eine Unterscheidung von Spezies zu ermöglichen (WOESE 1987). Zudem steht die rRNA in allen Zellen im gleichen funktionellen Zusammenhang (WOESE & FOX 1977). In einer Zelle finden viele Interaktionen zwischen der SSU rRNA und mit ihr koevolvierten RNAs und Proteinen statt, so daß eine enge Verzahnung dieser Moleküle vorliegt. Die Gefahr der Integration der SSU rDNA nach einem möglichen horizontalen Gentransfers ist daher als sehr gering einzuschätzen (GREEN & NOLLER 1997). Ein weiterer Vorteil der rRNA ist die Kenntnis über deren Sekundärstruktur, die eine sehr gute Kontrolle der Alignments (= Homologisierung der Sequenzdaten) ermöglicht (WOESE 1987). 2.3.2.3 Die Gene des PAR der Euglenozoa Wie bereits erwähnt, besteht der Paraxonemalstab (PAR) aus zwei Hauptproteinen, die sich gelelektrophoretisch in PAR 1 und PAR 2 mit MW von 70-80 kD, resp. 68-72 kD auftrennen lassen. Untersuchungen der Gene, die für die PAR-Proteine PAR 1 und PAR 2 kodieren, wurden an einigen Trypanosomatida durchgeführt. HUNGER-GLASER & SEEBECK (1997) konnten zeigen, daß diese Gene bei Trypanosoma brucei in zwei unterschiedlichen Genloci lokalisiert sind. Sie liegen dort jeweils in Form eines Clusters vor, das aus 4 tandemartig angeordneten Genen besteht. Die 5' untranslatierte Region (UTR) des ersten Gens und die 3' UTR des letzten Gens unterscheiden sich dabei von den drei dazwischenliegenden UTRs, die untereinander identisch sind. Bei Leishmania mexicana liegen die für PAR 1 kodierenden Gene in oben beschriebener Weise vor (MAGA et al. 1999), während der Locus für PAR 2 aus nur 3 tandemartig angeordneten Genen besteht (MOORE et al. 1996). Bisher ist nur von Euglena gracilis bekannt, daß die Organisation des par2-Locus sich von der der Trypanosomatida unterscheidet. Bei Euglena gracilis soll dieses sequenzierte Gen nicht in Form von tandemrepetitiven Einheiten vorliegen und zusätzlich Introns enthalten (NGÔ & BOUCK 1998). Einleitung 19 2.4 Ziel der Arbeit Ausgehend von den bisher widersprüchlichen Ergebnissen zur Rekonstruktion der Evolution der Euglenida, ergibt sich die Notwendigkeit, sowohl mit morphologischen als auch mit molekularen Daten, eine umfassendere phylogenetische Analyse dieses heterogenen Taxons zu unternehmen. Ansatzpunkt dieser Arbeit soll daher eine phylogenetische Analyse sein, die eine Rekonstruktion der Entwicklungsprozesse innerhalb des Taxons Euglenida zum Ziel hat. Neben morphologischen Analysen der Zellstrukturen wird die SSU rDNA als molekularer Marker verwendet, um die Verwandtschaftsverhältnisse dieser mit wenigen Merkmalen ausgestatteten Einzeller aufzuklären. Diese Rekonstruktionen dienen als Grundlage zur Untersuchung der molekularen Evolution der Gene par1 und par2, die für die Hauptproteine des Paraxonemalstabes kodieren. Es sollte analysiert werden, ob die molekulare Evolution dieser für Strukturproteine kodierenden Gene kongruent mit den Entwicklungsprozessen der Arten verläuft, wie sie anhand der Zellstrukturen und der SSU rDNA rekonstruiert wurden.