Von guten Taten und goldenen Bullen Geschichten aus Archiv und Musikbibliothek des Klosters Einsiedeln Der Kaiser entscheidet: Schwyz wird Vogt des Klosters Goldene Bulle Sigismunds betreffs Schirmbrief der Schwyzer, 14. 4. 1434 Urkunde, Pergament, 1 Siegel, 50 × 67 cm KAE, A.XI.9 Verträge jeglicher Art werden heute durch eine Unterschrift und eine doppelte, wörtlich gleiche lautende Ausgabe rechtlich legitimiert. Vor rund 570 Jahren war dies nicht anders. Die Urkunden von 1434 sind ein solches Beispiel. In ihnen bestätigt der Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Sigismund den Schwyzern und dem Kloster Einsiedeln ihre gegenseitigen Rechte und Pflichten. Wie kam es dazu? 1415 nahm König Sigismund die entscheidende Gewalt in der Vergabe von Rechten und Lehen in die eigenen Hände. Fortan entschied er eigenständig über die Verteilung von Vogtrechten und die damit verbundenen Schirmherrschaften. So auch in Schwyz und Einsiedeln. Aufgrund guter Beziehungen verlieh Sigismund im Februar 1424 Schwyz die Vogtei über das Kloster Einsie­deln. Einsiedeln fiel somit unter die Herrschaft und die Gerichtsbarkeit von Schwyz. 1431 intervenierte Abt Burkhard von Krenkingen-Weissenburg (Amtszeit 1418 – 1438) erfolgreich; Sigismund widerrief das Vogtrecht von 1424 und stellte das Kloster unter seine Rechte und seinen Schutz. Schwyz intervenierte nun seinerseits. So kam es 1433 vor Sigismund, inzwischen zum Kaiser gekrönt, zu einer Anhörung der beiden Parteien. Kaiser Sigismund entschied zugunsten der Schwyzer und verlieh ihnen er­neut die Vogtei über Einsiedeln. Gleichzeitig bekräftigte er aber die Rechte und Freiheiten des Klosters. So blieb beispielsweise die Wahl des Abtes Angelegenheit des Klosters. Sigismund verlangte, dass diese Rechte dem Kloster durch Schwyz schriftlich bestätigt werden sollten. Schwyz tat dies am 15. März 1434 in einer Urkunde: «Amman, Rat und Gemeinde gemeinlich des Landes zu Schwyz tuon kunt», dass sie dem «Apt und de[m] Convent» ihre «Rechtungen, Fryheiten» belassen. Diese Ver- pflichtung der Schwyzer wiederum wurde von Kaiser Sigismund dem Kloster am 14. April 1434 in Form einer Goldenden Bulle wie folgt bestätigt: Zuerst wird der Aussteller genannt: «Wir Sigmundt von Gottes Gnaden römischer Keyser». Im zweiten Abschnitt wird die Urkunde der Schwyzer «von Wort zu Wort also lutend» wiedergeben. Im dritten Abschnitt wird zu erneuter Bestätigung der Urkunde und des Inhaltes diese «versigelt mit unser keyserlichen Maiestat Insigel». Dieses Siegel ist es auch, welches der Urkunde ihren Namen gibt: Goldene Bulle. Somit entscheiden in Streitigkeiten zwei unabhängige, inhaltlich jedoch gleiche Dokumente über Recht oder Unrecht. Mit der Goldenen Bulle von 1434 ist das Kloster Einsiedeln im Besitz eines dieser wertvollen Urkundenstücke – nota bene die Einzige. Frederik Furrer Darstellung des thronenden Kaisers Sigismund auf der Goldenen Bulle. 50 Mittelalter bis Reformation Der Schädel von Abt Plazidus Reimann Schädel von Abt Plazidus Reimann (1594 – 1670), 10. 7. 1670 In einem Wandschrank im südlichen Querflügel des Klosters Einsiedeln, wo bis 2005 das Archiv untergebracht war, liegt der Schädel von Abt Plazidus Reimann von Einsiedeln (Amtszeit 1629 – 1670). Abt Plazidus ging durch seine jahrzehntelange Verteidigung der Rechte und Privilegien des Klosters gegenüber dem Länderort Schwyz in die Geschichte ein. Zum Schicksal seines Schädels wurde ein ausser­ gewöhnlicher Fund gemacht: Im siebten Band der zwölf Diarien des Einsiedler Paters Josef Dietrich, die er in den Jahren 1670 bis 1701 anlegte und mit denen er einen äus­ serst facettenreichen Einblick in das Stiftsleben ermöglicht, liegt zum 16. März 1692 ein Bericht zu den Gebeinen des 1670 verstorbenen Abts vor. Auf Befehl des Dekans wurde an diesem Tag die Begräbnisstätte der Äbte geöffnet. Mehrere Patres und zwei Weltliche stiegen mit einer Leiter in die Äbtegruft, die sich beim Chor befand, um das auf einer Bahre liegende Skelett von Abt Plazidus umzulagern. Dies geschah im Laufe der Vorbereitungen zum Begräbnis des am 13. März 1692 verstorbenen Abts Augustin Reding von Biberegg. Wie es auch bei der Umbettung von Knochen in Beinhäuser Brauch war, wurden die sterblichen Überreste gereinigt. Den Krummstab, das Pektorale, das Skapulier sowie die Inful des verstorbenen Abtes separierte man für eine weitere Aufbewahrung aus­ serhalb der Gruft. Die Gebeine legte man in einem kleinen Behälter, einer «capsula», ab. Eine solche Umlagerung wurde vor einer Beisetzung regelmässig aus Platzgründen durchgeführt, denn im Bericht sind weitere Behälter mit Gebeinen, unter anderem die mit dem Namen von Abt Augustin Hofmann von Baden (1555 – 1629) gekennzeichnete «capsula», erwähnt. Von dessen Skelett ist zudem bekannt, dass man es 1670 vor der Beerdigung von Abt Plazidus ebenfalls vollständig in der Gruft liegend auffand. Die Einlagerung der Überreste eines bestimmten Menschen in spezielle Behältnisse wie kleine Kisten oder beschriftete Holzkästchen diente der Aufrechterhaltung der Individualität und der Identifikation. Zudem sollte das separate Zusammenlegen der Knochen eines Individuums die Auferstehung am Jüngsten Tag erleichtern. Warum der Schädel im Wandschrank des Archivs untergebracht wurde, kann nicht abschliessend beantwortet werden. Der Schädel könnte im Laufe der Umlagerung von Gebeinen aus der Gruft der Stiftskirche dorthin gelangt sein. Ein weiterer möglicher Beweggrund für die Aufbewahrung des Schädels könnte die Reliquienverehrung sein. Für dieses Motiv spricht, dass Abt Plazidus von einigen seiner Zeitgenossen als Heiliger angesehen wurde. Sollte der Abt, der sich zu Lebzeiten für die Rechte und Privilegien des Klosters eingesetzt hatte, vielleicht im Tod als «Schutzherr» über das klösterliche Schriftgut wachen? Myrta Gegenschatz-Geissmann Titelblatt des siebten Bandes des Diariums von Pater Josef Dietrich, 1689 –1692. 84 Frühe Neuzeit bis Helvetik Das verloren geglaubte Autograph von Mozart Skizzenblatt Skb 1778a, Wolfgang Amadeus Mozart, 1778 Autograph, 18 × 20 cm MBE, M 13 Zu den Juwelen der Einsiedler Musikbibliothek zählt die Sammlung der Autographe. Darin gebührt der Ehrenplatz dem Skizzenblatt von Wolfgang Amadeus Mozart. Pater Gall Morel, der Gründer der Musikbibliothek, war ein leidenschaftlicher Sammler von Autographen. Im Mozartjahr 1856 konnte er beim Augsburger Antiquitätenhändler Fidel Butsch neben Briefen von Goethe und Schiller auch ein Skizzenblatt von Mozart erwerben. 1998 gab die Internationale Stiftung Mozarteum einen Band mit allen heute zugänglichen Skizzen Mozarts heraus. Unter den 98 dort publizierten Skizzen trägt das Ein­ siedler Skizzenblatt die Nummer 17. Das Blatt datiert aus der ersten Hälfte des Jahres 1778 und entstand während Mozarts zweitem Pariser Aufenthalt. Im Unterschied zum ersten Besuch musste Mozart um Aufmerksamkeit kämpfen. Aus dem Wunderkind von damals war ein 22-jähriger Mann geworden, der seinen Weg noch nicht gefunden hatte. Seine Mutter, die ihn auf dieser Reise begleitete, war eben gestorben. Zudem war Mozart daran, sich von Salzburg und seinem strengen Erzbischof abzunabeln. In diesen Wochen komponierte Mozart die Sinfonie in D-Dur KV 297, die später den Namen «Pariser Sinfonie» erhielt. Es ist die einzige Sinfonie Mozarts, von welcher zwei verschiedene langsame Sätze überliefert sind: einer im Sechsachteltakt und einer im Dreivierteltakt. Der bei der Uraufführung am 18. Juni 1778 gespielte zweite Satz im Sechsachteltakt gefiel dem Konzertveranstalter Joseph Legros nicht. Deshalb bat er Mozart um einen anderen zweiten Satz, der dann am 15. August in Paris zum ersten Mal gespielt wurde und in die Erstausgabe des Pariser Druckes eingegangen ist. Das Einsiedler Skizzenblatt enthält auf sechs Zeilen eine einstimmige Verlaufsskizze dieses neuen zweiten Satzes im Dreivierteltakt. Nach einer leeren Zeile fol-­ gen auf vier Zeilen zwei Märsche in D in einstimmiger Notation. Auf der Rückseite befinden sich auf neun Zeilen ein Partiturausschnitt zum dritten Satz (Finale) der «Pariser Sinfonie» und je ein Fremdeintrag von Fidel Butsch und Pater Gall. Der Mozartforschung sollte dieses Skizzenblatt allerdings erst in der Mitte des 20. Jahrhunderts bekannt werden. Im Kloster galt es lange Zeit als verschollen. Pater Kanisius Zünd entdeckte den verloren geglaub­ ten Schatz im Jahr 1964 und teilte den Fund dem bekannten Schweizer Mozartforscher Ernst Hess mit. Dieser veröffentlichte die kleine Sensation im Mozartjahrbuch des selben Jahres unter dem Titel «Ein neu entdecktes Skizzenblatt Mozarts». Seither ist das Einsiedler Skizzenblatt auch im Köchelverzeichnis registriert. Wer weiss, vielleicht spricht man in kommenden Zeiten einmal vom Einsiedler Andante der «Pariser Sinfonie»? P. Lukas Helg OSB Pater Gall Morel (1803 –1872). 104 Frühe Neuzeit bis Helvetik Eine illustrierte Baugeschichte der Gnadenkapelle Gnadenkapelle ab 1818, Johann Jakob Huttle, 1850 Tinte, farbig laviert, Papier, 53 × 43 cm KAE, Plan 2.0540.0005 Um 1850 hat Johann Jakob Huttle, damaliger Klosterarchitekt in Einsiedeln, anhand von historischen Darstellungen eine Serie von sieben Plänen mit Kommentaren gefertigt, die verschiedene Stadien der Gnadenkapelle zeigen. Der vorliegende Plan ist der letzte der Reihe und zeigt die Gnadenkapelle, wie sie 1818 im klassizistischen Stil fertiggestellt wurde und heute noch steht. Nach der Aufhebung des Klosters 1798 wurde die Gnadenkapelle durch die französischen Truppen bis auf den Grund abgetragen und eingelagert. Der Konvent hatte sich und das Gnadenbild vor dem Einmarsch gerade noch rechtzeitig in Sicherheit gebracht. Nach der Rückkehr der Klostergemeinschaft wurden 1805 aus finanziellen Gründen vorerst nur die das Oktogon tragenden, bisher durch die Gnadenkapelle abgestützten Gewölbepfeiler (auf dem Grundrissplan kräftig rosa gefärbt) stabilisiert und dazwischen eine Mauer einge­ zogen. Die Ostseite kleidete man mit Material der alten Kapelle ein – Marmor und Alabaster, eine Stiftung des Grafen Caspar von Hohenems – und nach Westen hin wurde ein kleiner Chor mit dem Altar der Schwarzen Madonna errichtet. Mit der Wahl von Abt Konrad Tanner 1808 begann die Planung eines Neubaus. Der zum Baumeister aus­ gebildete Einsiedler Konventuale Bruder Jakob Natter entwarf mit dem Maler und Bildhauer Coelestin Birchler Pläne für eine barocke Kapelle. Ebenso wurde der klassizistische Mailänder Architekt Luigi Cagnola um ein Gutachten angefragt. Er forderte den Verzicht auf barocken Dekor, hiess jedoch sowohl die geplante Verkleinerung der Kapelle als auch die Vergrösserung der Öffnungen für eine bessere Sicht auf den Altar und das Gnadenbild gut. Der Innenraum vor dem Altar sollte den Konventmit­ gliedern vorbehalten sein, ohne aber den Blick auf die Schwarze Madonna für Besucher und Wallfahrer zu ver- sperren. Auf das Gutachten konnte Natter nicht mehr reagieren – er starb 1815, bevor es in Einsiedeln eintraf. Der Luzerner Baumeister Joseph Singer baute schliess­lich eine Kapelle im klassizistischen Stil. Das abgebildete Architekturmodell der Gnadenkapelle wurde wohl vor oder zu Beginn der Bauzeit gefertigt. Es weist gegenüber Huttles Plan kleine Abweichungen in den Proportionen auf und enthält einen detaillierten Vorschlag für die Innenausstattung. Bettina Mosca-Rau Modell der realisierten Gnadenkapelle, nach 1815. 130 Das 19. Jahrhundert Tot oder lebendig – Löwen im Kloster P. Damian Buck mit Löwe, Fotograf unbekannt, vermutlich 1926 Glasdiapositiv s / w, teilweise nachkoloriert, 9 × 13 cm KAE, Glasplatte 05897 Die naturwissenschaftliche Forschung und Lehre wurde im Kloster Einsiedeln von jeher gepflegt. Besondere Verdienste erwarb sich dabei Pater Damian Buck, der seit 1902 Lehrer für Naturgeschichte war. Vor allem im Zusammenhang mit der Lehrtätigkeit der Patres wurden im 19. Jahrhundert naturwissenschaftliche Sammlungen aufgebaut. Dazu gehörten unter anderem eine Physikaliensammlung, eine Mineraliensammlung und das Natura­ lienkabinett. Im Naturalienkabinett, das heute noch besteht, findet sich neben vielen anderen präparierten Tieren ein ausgestopftes Löwenpärchen. Diese Löwen waren Ende der 1920er-Jahre höchst lebendige klösterliche Mitbewohner. Am meisten Auf­ sehen erregte der erste Löwe, der am 9. Juni 1926 ins Kloster gebracht wurde. Pater Damian erzählte in der Schulzeitung «St. Meinrads Raben» vom Juli 1926 die Lebensgeschichte «der jungen Löwin», deren «Klostername» «Bassa» lautete. 1928 musste er allerdings ein­ gestehen: «Leider oder glücklicherweise enthielt jene Nachricht einen wesentlichen Irrtum und es ist höchste Zeit, die Irregeführten aufzuklären. Im Heimatschein war nämlich das jugendliche Wüstentier als weibliches Wesen eingetragen, heute steht und liegt es als männlicher Mähnenleu vor uns.» Der Lehrer der Naturgeschichte rechtfertigte sich für den «fundamentalen», aber amüsanten Irrtum folgendermassen: Erstens «Einem geschenkten Gaul schaut man nicht gleich ins Maul», zweitens tat er beim ersten Anblick des Tiers spontan den Ausspruch: «Der Typ verriet damals schon männlichen Charakter, männliche Würde und Entschlossenheit.» Im Juli 1927 erkannte Pater Damian das wahre Geschlecht des Tieres. «Von diesem Zeitpunkt an war auch die Behandlung und Bedienung des Löwen eine entsprechende, sie gestaltete sich respektvoller und aufmerksamer.» Allerdings waren die Löwen auf die Dauer zu gefräs­ sig und für die klösterliche Stille zu laut. Sie wurden deshalb abgeschossen und in Bern im Naturhistorischen Museum und in Leipzig vom berühmten Präparator Herman H. ter Meer präpariert. Seitdem sind sie die herausragenden Ausstellungsobjekte im Naturalienkabinett. In Pater Damians Nachlass finden sich Briefe und Rechnungen, die den Aufbau des Naturalienkabinetts dokumentieren. Viele Tiere im Naturalienkabinett kamen aus Ostafrika. Sie wurden dem Kloster von den Missionsbenediktinern aus St. Ottilien (gegründet 1884) geschenkt. Pater Damian bemühte sich aber auch andernorts um Neuzugänge für das Naturalienkabinett. In einem Brief vom 22. September 1931 aus Utrecht bedankte sich Hans Stosch-Sarrasani für die Übersetzung eines Briefes an Mussolini durch ein Konventmitglied und versprach Pater Damian den nächsten Tiger, der sterben würde. Andreas Kränzle Naturalienkabinett, ca. 1920 –1930. 172 Das 20. Jahrhundert