Grundlagen der Genetik und der Gentechnik

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Aktuell | Ernährungslehre & Praxis
Nr. 5
Mai 2010
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Grundlagen der Genetik
und der Gentechnik
Dr. Patricia
Falkenburg
Weidenweg 3
50259 Pulheim
Teil 61: Mechanismen der Evolution:
Von der natürlichen Selektion zur modernen Gentechnik
●
●
Die Erbausstattung des Schweins, von
dem unser in der Einleitung der letzten
Folge gedachtes Schnitzel stammt, unterscheidet sich – dank jahrhundertelanger Züchtungsbemühungen – deutlich von der seines nahen Verwandten
im Wald. Und das trifft praktisch für
alle unsere Lebensmittel zu: nichts von
allem, was wir heute essen, hat eine
„natürliche“, sprich naturbelassene
Gen-Ausstattung – wenn wir von Wildkräutern absehen. In diesem Beitrag
wollen wir weitere Mechanismen der
natürlichen Evolution betrachten,
einen Blick auf Tier- und Pflanzenzüchtung werfen und zuletzt kurz den
Einfluss der Methoden der Gentechnik
auf gezielte Zuchtbemühungen untersuchen.
In der letzten Folge wurde gezeigt, dass
Rekombination und Mutation die zellulären Prozesse sind, die die genetische Variabilität innerhalb einer Population bewirken, und nach welchen Gesetzmäßigkeiten Gene von Eltern auf
ihre Nachkommen weitergegeben werden. Charles DARWIN zufolge werden
durch natürliche Selektion aus einer
Population diejenigen Individuen
überleben oder bevorzugt zur Fortpflanzung gelangen und damit mehr
Nachkommen erzeugen, die besonders gut an bestimmte dominierende
Umweltbedingungen angepasst sind
(„survival of the fittest“ – und das heißt
keineswegs zwangsläufig, dass immer
der Stärkere gewinnt!).
Der Mensch wiederum hat seit Beginn
des Sesshaftwerdens eine ihm genehme Selektion bei Nutzpflanzen
und Haustieren durch Zuchtwahl vorgenommen. Mit den Methoden der
Gentechnik können nun gezielt ge-
wünschte Gene auch in artfremde Organismen eingeführt werden.
Hier sollen zunächst weitere molekulare und populationsgenetische Mechanismen vorgestellt werden, die die
Evolution der Arten ermöglicht haben.
Bei eingehender Betrachtung zeigt
sich hierbei eine ganz erstaunliche Mobilität in unterschiedlichsten Bereichen.
Molekulare Springinsfelde
In den letzten Jahrzehnten ist mit der
Fortentwicklung der Sequenziertechniken für DNA von zunehmend mehr
Arten die Basenabfolge des gesamten
Genoms entschlüsselt worden, darunter auch des Menschen („human genome project“). Das Wissen über die
Organisation von kodierenden Sequenzen – Genen – und anderen DNAAbschnitten ist dadurch geradezu explodiert: vormals als unnütz angesehene nicht-kodierende DNA-Regionen
erfüllen wichtige Aufgaben und die
Gesamtzahl an Genen im menschlichen Genom ist deutlich geringer als
ursprünglich erwartet (ca. 25 000, entsprechend rund 2 % der DNA).
Weitere Erkenntnisse betreffen die
Aufnahme artfremder DNA: schon
lange ist bekannt, dass bestimmte
Viren Mechanismen entwickelt haben,
um ihre DNA in die chromosomale
DNA ihres Wirts zu integrieren. Gut
untersucht ist dies für die sog. Retroviren, deren Genom aus RNA besteht,
die aber unmittelbar nach der Infektion von einem „Reverse Transkriptase“ genannten Enzym – auch dies inzwischen ein wichtiges Werkzeug der
Gentechnik – in DNA überschrieben
und in die Wirts-DNA integriert wird.
Die Integration solcher Fremd-DNA
kann, je nachdem an welchem chromosomalen Ort sie erfolgt, schwerwiegende Folgen für die Genexpression
des Wirts haben, indem sie entweder
Gene zerstört oder auf die Genregulation und -expression Einfluss nimmt.
Andere bewegliche DNA-Elemente
sind die sog. Transposons und Retrotransposons, auch als „springende
Gene“ bezeichnet, die ihre Position im
Genom verändern können. Auch hier
können je nach Integrationsort benachbarte Gene in ihrer Aktivität beeinflusst werden, wobei sowohl eine
verstärkte Expression als auch ein
mehr oder weniger vollständiges Ausschalten möglich sind, Mechanismen,
die u. U. auch bei einer Krebsentstehung eine wichtige Rolle spielen. Beim
Menschen bestehen tatsächlich rund
45 % des Genoms aus transposablen
Elementen, die allerdings nicht alle
ständig wild durcheinander hüpfen.
Von essenzieller Bedeutung sind sie
aber zum Beispiel für die Variabilität
von Immunglobulinen, also Antikörpermolekülen, die nur so ermöglicht
wird. Andere Transposons erscheinen
eher quasi parasitär, z. B. das LINE-1Retrotransposon, das etwa 17 % der
menschlichen DNA ausmacht und das
molekulare Werkzeug zu seiner Vermehrung und Verbreitung selbst kodiert.
Die Aktivität transposabler Elemente
kann im Genom eine deutlich höhere
Variabilität bewirken als sie durch allmähliche Mutationen möglich wäre.
1
Die Teile 1–5 dieser Serie mit teilweise ausführlichem
Glossar finden Sie in Ernährungs Umschau 2/2008,
6/2008, 9/2008, 1/2009 und 3/2009.
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Allerdings haben die höheren Organismen Mechanismen entwickelt, diese
molekularen Heuschrecken unter Kontrolle zu halten. Neuere Forschungen
in den USA haben jedoch gezeigt, dass
die Kontrolle der transposablen Elemente unter schweren Stressbedingungen in der Umwelt von der Zelle scheinbar gezielt außer Kraft gesetzt werden
kann, sodass plötzlich in großem Umfang Gene verdoppelt und innerhalb
des Genoms verschoben werden. Auch
wenn hierbei mit hoher Wahrscheinlichkeit viele Neukombinationen tödlich für den Organismus sind, so ergibt
sich daraus auch das Potenzial, sich mit
großer Radikalität und Schnelligkeit auf
vollständig geänderte Umweltbedingungen einstellen zu können und eventuell als neue Art zu überleben [1].
neuer Durchmischung von Genen
führt (쏆 Abbildung 1d). Selbst ein horizontaler Genfluss (Genfluss zwischen
Arten) ist möglich, wenn man die Aktivität von Viren und den Gentransfer
mittels Plasmiden von Bakterien auf andere Bakterien oder beispielsweise
Pflanzen in Betracht zieht – eine Art
„natürlicher Gentechnik“. Dennoch
sind über die Jahrmillionen der Evolution hinweg weite Bereiche der DNA
nicht nur innerhalb einer Art bei allen
Individuen dieser Art sondern auch zwischen Arten identisch geblieben. So unterscheidet sich das Genom von Schimpanse und Mensch nur zu 5 %. Vergleichsweise kleine Änderungen des
Genotyps können demnach erhebliche
Auswirkungen auf den Phänotyp, das
äußere Erscheinungsbild, haben.
Wie die zufällige Integration eines
springenden Gens seinem Träger auch
einen Vorteil bringen kann, zeigt ein interessantes Beispiel aus der Forschung
zu Genen, die das Diabetes-Risiko beeinflussen. Eine Arbeitsgruppe am
Deutschen Institut für Ernährungsforschung hat 2009 bei Mäusen ein neues
Diabetes-Risikogen identifiziert – eines
von inzwischen vielen. Die Forscher
konnten zeigen, dass das entsprechende Gen auch bei übergewichtigen Menschen mit Diabetes überaktiv ist. Beim
Vergleich von übergewichtigen Mäusestämmen, fanden die Wissenschaftler
nun bei einigen Stämmen, die trotz
Übergewichts keinen Diabetes entwickelten, in einem der nicht-kodierenden Bereiche des Risikogens ein Transposon, das offenbar die Expression des
neuen Diabetesgens hemmt [2].
Die Häufigkeit bestimmter Allele (Genfrequenz), also bestimmter Merkmalsvarianten eines definierten Gens, kann
in einer Population schwanken und im
Verhältnis zu anderen Allelen des betreffenden Gens größer oder kleiner
werden (쏆 Abb. 1b). Als Gendrift bezeichnet man in der Populationsgenetik eine zufällige Veränderung der Genfrequenz innerhalb des Genpools einer
Population (쏆 Abb. 1c). Der sog. Genshift bezeichnet wiederum den gemeinsamen Austausch ganzer Gensegmente, etwa durch Rekombinationsprozesse. Gendrift und Genshift ergänzen die auf die Population einwirkende
natürliche Selektion, wirken aber im
Unterschied zu dieser nach dem Zufallsprinzip.
Dabei ist eine zufällige Änderung der
Genfrequenz in kleineren Populationen statistisch bedeutsamer, sodass
Gendrift und Genshift einen wichtigen
Faktor der Weiterentwicklung von
Gründerpopulationen und somit für
die Artbildung darstellen: Eine isolierte
Zufallspopulation, die in einem umgrenzten Gebiet lebt, besitzt natürlicherweise nur einen kleinen Ausschnitt
der möglichen Allele eines Gens, die in
der Gesamtpopulation vorkommen.
Die Allelzusammensetzung in der Elternpopulation weicht somit zwangsläufig von der in der Kinderpopulation
ab: Der Genpool ist gedriftet. Gendrift
macht sich aus statistischen Gründen
Vom Affen zum Menschen:
Wandernde Individuen und
wandernde Allele
Die genetische Variabilität resultiert
also aus der Umordnung von Genen
und größeren Chromosomenabschnitten in der Rekombination im Zuge der
sexuellen Fortpflanzung und aus Mutationen der DNA sowie der Aktivität beweglicher Elemente. Gefördert werden
kann sie zum Beispiel durch die Wanderung von Individuen zwischen Populationen, die zu einem Genfluss mit
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umso stärker bemerkbar, je kleiner eine
Population ist: hat man eine Tüte mit
roten und gelben Gummibärchen in
gleicher Anzahl, so wird man, wenn
man nur oft genug hineingreift, ungefähr gleich viele rote und gelbe Bärchen gezogen haben. Greift man aber
nur wenige Male hinein, ist die Wahrscheinlichkeit, eine unterschiedliche
Zahl roter und gelber Gummibärchen
zu erwischen, sehr viel höher. Driftende
Allele verschwinden oft auch völlig aus
der Population (쏆 Abb. 1c). Die genetische Vielfalt wird verringert und der
Genpool verarmt.
Vom Menschen wohin? –
Homo sapiens und die
Zukunft
Auch wenn die frühen Ursprünge des
Menschen immer noch heiß diskutiert
werden, ist doch inzwischen die Theorie, dass sich der moderne Mensch vor
etwa 60 000–70 000 Jahren von Afrika
aus in alle Regionen der Erde ausgebreitet hat, weitgehend akzeptiert. Seit
wann der Homo sapiens ein Homo sapiens ist, ist ebenfalls noch umstritten,
eines der ältesten Fossilien, die zumindest eindeutig einer Unterart zugeordnet wurden, ist der Homo sapiens idaltu
aus Äthiopien mit einem Alter von
160 000 Jahren. Somit gibt es also den
modernen Menschen in seiner genetischen Ausprägung als Art seit mindestens 160 000 Jahren und das geht weit
hinaus über unsere gesamte uns bekannte kulturelle und soziokulturelle
Entwicklung von der Steinzeit bis zum
Maschinen- und Technologiezeitalter.
Nun stellt sich mancher die Frage, ob
zwischen äußerlich erkennbar unterschiedlichen ethnischen Gruppen des
Menschen auch eindeutige genetische
Unterschiede nachweisbar sein könnten. In Nachfolge des Humangenomprojekts wurde von einer Forschergruppe aus aller Welt um Luigi Luca
CAVALLI-SFORZA und dem MorrisonInstitut der Stanford-Universität das
sog. „Human Genome Diversity Project“ ins Leben gerufen. Im Rahmen
dieser politisch allerdings sehr umstrittenen Untersuchung wurden systematisch Genproben von ethnischen Grup-
pen aus aller Welt gesammelt und verglichen [3]. Umstritten war der Ansatz,
weil man vielfach befürchtete, die Ergebnisse könnten in diskriminierender
Weise missbraucht werden. Das Ergebnis der Studien hat aber bislang eigentlich genau das Gegenteil von dem erbracht, was man fürchtete und vermutete: das Erbgut der verschiedenen
Ethnien unterscheidet sich kaum. Während es innerhalb einer Population
eine große genetische Variabilität gibt,
sind die messbaren Unterschiede zwischen zwei Gruppen sehr gering. Die
Ergebnisse zeigen vielmehr eine kontinuierliche Veränderung aller untersuchten Populationen.
Eine andere vergleichende Studie
konnte zeigen, dass viele Unterschiede
im Erscheinungsbild verschiedener ethnischer Gruppen entscheidend vom
Level der Genaktivität geprägt werden.
Von rund 4 200 analysierten Genen
wich die Expressionsaktivität bei mehr
als 1 000 bei Menschen mit europäischer deutlich von der bei Menschen
mit asiatischer Abstammung ab. Dies
zeigt, von welch entscheidender Bedeutung die vielfältigen Prozesse der
Genregulation sind und wie eine Diversifizierung nicht alleine durch Änderungen der kodierenden Bereiche
eines Gens erzielt wird, sondern in
noch größerem Ausmaß durch Variationen in den regulatorischen Sequenzen. Erinnern wir uns an den Vergleich
der Proteine mit Werkzeugen der Zelle:
einen gut gebauten Schraubenschlüssel
kann man für alle möglichen Arbeitsschritte gebrauchen und so erscheint es
durchaus sinnvoll, dass die Natur nicht
einfach beständig an ihren gut gelungenen Schraubenschlüsseln – den Enzymen – herumfeilt, sondern sie nach
Bedarf für unterschiedliche Aufgaben
zu unterschiedlichen Zeiten einsetzt.
Stellen wir uns die Frage, ob – und
wenn ja – in welchem Ausmaß der moderne Mensch noch den Mechanismen
der Evolution unterworfen ist. Die
grundlegenden molekularen Vorgänge
der Vererbung mit Rekombination und
Genmutation laufen selbstverständlich
auch bei uns genauso ab wie bei allen
anderen eukaryontischen Organismen
auf dieser Erde und auch Prozesse der
Gendrift, Genverdoppelungen oder Allelverluste finden heute in unserem
Genom statt wie vor Jahrtausenden. Andererseits sehen wir, wie stabil die Art
Homo sapiens seit nunmehr rund
160 000 Jahren geblieben ist, und wenn
sich die Artbildung am ehesten bei kleinen, räumlich isolierten Populationen
vollzieht, dann wird die weltweite
Durchmischung viel eher dafür sorgen,
dass noch bis vor wenigen Jahren regional beschränkte Allele sich über die
gesamte Erde ausbreiten.
Ein gutes Beispiel ist etwa die in
Deutschland in den letzten Jahrzehnten
beobachtete Zunahme an Patienten mit
schweren Thalassämien. Die verschiedenen Formen der Thalassämie – unterschiedliche Mutationen in Hämoglobingenen – waren ursprünglich vor
allem in Afrika verbreitet, wo sie in rezessiver Form ihren Trägern offenbar
einen gewissen Schutz vor der Malaria
bieten. Im Zuge der Migrationsbewegung kommen nun auch in Europa
immer mehr Menschen mit diesen Erbkrankheiten an und eine zunehmende
Durchmischung der Thalassämiegene
mit dem europäischen Genpool ist zu
erwarten.
Zu guter Letzt sollte man auch nicht die
Zeiträume außer Acht lassen, in denen
sich Evolution vollzieht: allein in
Europa haben Homo sapiens und Homo
neanderthalensis beispielsweise mindestens 10 000 Jahre lang koexistiert und
in Afrika wohl über 40 000 Jahre. Die
kulturelle Geschichte des modernen
Menschen verfolgen wir zurück bis zur
Steinzeit, d. h. bis zu einem Zeitraum
vor ca. 9 000 Jahren. In evolutionären
Zeitspannen gerechnet, ist dies verschwindend wenig und wir können
nicht erwarten, eine echte genetische
Evolution beim Menschen zu sehen
oder messen zu können – selbst wenn
sich unsere Gene allmählich ändern,
neue Allele entstehen und andere verschwinden.
Von der Evolution zur
Züchtung
Das Äußere einer Art kann sich aber
auch sehr viel schneller ändern: so
waren nur wenige Hundegenerationen
nötig, um aus einem wilden Wolf den
asthmatischen Mops der Großtante zu
kreieren. Dazu muss aber eine äußere
Kraft entscheidend eingreifen – beim
Hund war das natürlich der Mensch.
Ziel der züchterischen Entwicklung von
Tierrassen ist dabei zunächst nicht der
besonders außergewöhnliche Schoßhund, sondern die optimale Verwertbarkeit der Tiere als Lieferanten von
dem Menschen dienlichen Produkten
wie Fleisch, Milch, Fell bzw. Tierhaut.
Der gewünschte Fortschritt wird dabei
durch gezielte Selektion und Verpaarung der Tiere erreicht. Dieser Prozess
begann parallel mit der Sesshaftwerdung des Menschen und betraf Pflanzen ebenso wie Tiere.
Eine überlebenssichernde Ernährung
war dabei ohne die gezielte Auswahl
und Ansaat besonders ertragreicher
Sorten gar nicht denkbar und die soziokulturelle Evolution des Menschen
ist untrennbar mit der gezielten Entwicklung permanent verfügbarer Nahrungsressourcen verbunden. So sind
alle unsere Getreidearten Zuchtprodukte aus wild wachsenden Süßgräsern,
deren Ähren aber viel kleinere Früchte
tragen und oft auch durch ihre große
Brüchigkeit schlecht zu sammeln sind.
Bereits in der Jungsteinzeit wurden daraus beispielsweise Emmer und Einkorn selektioniert. Natürliche Zuchtwahl sowohl bei Pflanzen als auch bei
Tieren basiert dabei auf „von alleine“
auftretenden Mutationen im Erbgut
der interessierenden Art: so entdeckten
die frühen Menschen bei ihrer Suche
nach Nahrung besipielsweise, dass die
Körner bestimmter Grasarten zum Verzehr taugen und den Speisenplan angenehm ergänzen, auch wenn der Jagderfolg ausbleibt. Sie begannen, gezielt
die körnerproduzierenden Gräser zu
suchen und zu sammeln. Bevorzugt
wurden dabei unweigerlich größere
Körner und solche, deren Ähren stabil
genug waren, um aufrecht zu stehen
und so einem Absammeln im reifen Zustand überhaupt erst zugänglich waren.
Wurde nun ein Teil der gesammelten
Samen im Siedlungsgebiet zunächst unabsichtlich verloren, später gezielt ausgesät, so hatte bereits eine Selektion hin
zu größeren Samen und stabileren
Ähren stattgefunden.
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Jahrhundertelang funktionierte die
Tier- und Pflanzenzucht nach diesem
Prinzip: Individuen mit den gewünschten Eigenschaften werden vermehrt
bzw. zur Paarung zugelassen, Individuen, die dem Zuchtziel nicht entsprechen, werden verworfen bzw. von der
Paarung ausgeschlossen. Die nötige Va-
riabilität der Zuchtpopulation beruht
aber allein auf natürlich auftretenden
Mutationen entsprechend den zuvor
betrachteten Regeln.
Von der Züchtung
zur Gentechnik
a) Ausgangspopulation
Selektion
b) Mutation bewirkt
neues Merkmal „blau“
c-1) „rot“ und „grün“
sind ausgestorben
Selektion
c-2) „blau“ und „gelb“
sind ausgestorben
d) zwei verarmte Populationen vereint:
es sind wieder alle Merkmale vorhanden
Abb. 1: Populationsgenetische Mechanismen der Evolution.
Durch Mutationen in der DNA entstehen in der Ausgangspopulation (a) neue Merkmale
(Allele): Ein Gummibärchenfabrikant kann neuerdings auch Gummibärchen in blauer Farbe
produzieren. Führen sie dazu, dass ihre Träger einen Überlebensvorteil erlangen, so setzen
sie sich im Laufe der Zeit durch, bedingen bestimmte Allele andererseits einen Überlebensnachteil für ihre Träger, so werden sie aus der Population verschwinden: Ein Umweltfaktor,
nennen wir ihn Ute, mag keine gelben Gummibärchen, sodass diese in der Tüte übrigbleiben. Ute isst am liebsten die roten Bärchen und diese „sterben aus“. Wir betrachten eine
natürliche Selektion (c-1). Ute hat alle roten Gummibärchen längst verspeist und danach
ihre zweitliebsten, die grünen. Hans hingegen mag gerade gelbe und die neu entwickelten
blauen (c-2). Wenn nun die beiden Tüten mit der jeweils halb gegessenen „GummibärchenPopulation“ gemischt werden, so ist eine neue Population entstanden, in der wieder alle
Allele vorhanden sind (d) und unser Beispiel verdeutlicht einen Genfluss.
Eine Gendrift tritt auf, wenn durch zufällige äußere Einflüsse ein Teil der Population ausstirbt und mit ihr bestimmte Allele, man spricht auch von einem Flaschenhalseffekt. Ein
gutes Beispiel ist eine Insektenpopulation, bei der in einem kalten Winter der größere Teil
der Population ausstirbt. Aus den wenigen überlebenden Tieren bildet sich im nächsten
Jahr eine neue Population, die nun aber nur noch die Allele der zufällig übrig gebliebenen
Elterntiere trägt, bis durch neue Mutationen eine neue größere Variabilität entsteht. Der
Genpool der neuen Population kann sich danach von dem der Stammpopulation deutlich
unterscheiden.
Die Erkenntnisse der molekularen Genetik mit ihrem explosionsartig gewachsenen Verständnis für die biochemische Organisation der DNA und die
molekularen Vorgänge bei Rekombination, Mutation und Vererbung haben
nun den menschlichen Bemühungen,
gewünschte Eigenschaften bei Tieren
und Pflanzen zu etablieren, eine völlig
neue Dimension verliehen. Kann ein
bestimmtes Merkmal eindeutig einem
bestimmten Gen zugeordnet werden,
so ist es nun möglich, dieses Gen zu isolieren und gezielt in das Erbgut einzuführen. So wird z. B. in der grünen Biotechnologie versucht, Pflanzen gentechnisch so zu modifizieren, dass sie
besonders resistent gegen Schädlinge
oder Pflanzenvernichtungsmittel sind
oder dass sie gewünschte Inhaltsstoffe
herstellen, die nicht Teil ihrer natürlichen Ausstattung sind. Ganz so einfach
ist das aber nicht: wirklich gut funktioniert dies nur, wenn das gewünschte
Merkmal nur von einem Gen kodiert
wird. Weitere Hürden sind die gezielte
Expression und nicht zuletzt die stabile
Integration ins Genom an einem bestimmtem Genort. Eine genauere Betrachtung der Ansätze der modernen
Gentechnik folgt im siebten und letzten
Teil dieser Serie.
Literatur
왎
1. Bauer J: Das kooperative Gen: Abschied vom Darwinismus. Hoffmann & Campe, 2008
2. Ruschke K, Ebelt H, Klötzing N et al. (2009) Defective peripheral nerve development is linked to
abnormal architecture and metabolic activity of
adipose tissue in Nscl-2 mutant. PLoS One, Vol
4(5), e5516
3. Human Genome Diversity Project www.stand
ford.edn/group/morrinst/hgdp.html Zugriff am
10.02.2010
„Ernährungslehre und -praxis“, ein Bestandteil der „Ernährungs Umschau“. Verlag: UMSCHAU ZEITSCHRIFTENVERLAG GmbH, Sulzbach/Ts. Zusammenstellung und Bearbeitung:
Dr. Eva Leschik-Bonnet, Deutsche Gesellschaft für Ernährung, Dr. Udo Maid-Kohnert, mpm Fachmedien (verantwortlich).
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