Neurodegenerative Erkrankungen – vom Molekül zur Therapie Therapie der Parkinson-Krankheit • medikamentöse Therapie L-Dopa und Dopaminagonisten COMT-Inhibitoren MAO-B-Hemmer NMDA-Antagonisten Anticholinergika • operative Behandlungsmöglichkeiten Tiefenhirnstimulation (DBS) • nicht-medikamentöse Therapie • zukünftige Therapieoptionen 12.09.2010 Alexander Jörk - Friedrich-Schiller-Universität Jena 1 Pharmakotherapie verbessert die Symptomatik, aber nicht die Progredienz der Krankheit Erhöhung der Dopaminkonzentration durch L-Dopa-Substitution oder Dopamin-Agonisten Dopamin-Mangel durch Degeneration dopaminerger Neuronen Acetylcholin-Überschuss Hemmung des Dopaminabbaus durch COMT-Hemmer und MAOB-Hemmer NMDA-RezeptorAntagonisten 12.09.2010 - Inhibition der glutamatergen Signaltransduktion mit Hemmung cholinerger Interneurone Alexander Jörk - Friedrich-Schiller-Universität Jena durch Enthemmung der cholinergen Interneurone bei Dopaminmangel Muskarin-RezeptorAntagonisten 2 Levo-Dopa: Wirksamstes Medikament für die Behandlung von Parkinson („Goldstandard“) • Levo-Dopa (= L-Dopa) ist eine nicht-proteinogene Aminosäure, die aus Tyrosin mit Hilfe des Enzyms Tyrosin-Hydroxylase gebildet wird • Dopamin selbst ist ungeeignet, weil es die Blut-Hirn-Schranke kaum passiert • Levo-Dopa wird dagegen als Aminosäure über die Blut-Hirn-Schranke transportiert • durch Decarboxylierung im Gehirn entsteht aus dem Prodrug L-Dopa das therapeutisch wirksame Dopamin • keine Verzögerung der Krankheitsprogression • um den vorzeitigen Abbau zu Dopamin in der Körperperipherie zu verhindern, werden zusätzlich Decarboxylase-Hemmer, wie Benserazid (in Madopar®) oder L-Carbidopa (in Nacom®, Isicom®) verabreicht, welche beide nicht liquorgängig sind • Konsequenz der Kombination mit Benserazid/Carbidopa: Wirkspektrum: Akinese > Rigor > Tremor 12.09.2010 orale Dosis von L-Dopa kann vermindert werden Nebenwirkungen durch periphere Dopaminbildung nehmen ab Alexander Jörk - Friedrich-Schiller-Universität Jena 3 Orale Präparationen von L-Dopa • zur oralen Standardpräparation stehen Kapseln und Tabletten zur Verfügung • Monotherapie mit L-Dopa ist die erste Wahl bei Parkinson Patienten über 70 Jahre oder multimorbiden Patienten • bei Patienten, die nach Einnahme der Standardpräparation nur einen langsamen Wirkungseintritt verspüren oder unter frühmorgendlicher und nachmittäglicher Akinesie leiden, empfiehlt sich die dispersible Form, wodurch die maximale Plasmakonzentration früher erreicht wird • zur Therapie der nächtlichen Akinesie werden L-DopaRetardpräparationen eingesetzt variable Resorption von L-Dopa Retard am Tage (Mahlzeiten) mit schlechter Steuerbarkeit http://morutideboer.web-log.nl/photos/uncategorized/ madopar_1.jpg • proteinreiche Mahlzeiten und Antacida vermindern die Dopa-Wirkung • eine verzögerte Magenentleerung verzögert den Wirkungsbeginn 12.09.2010 Alexander Jörk - Friedrich-Schiller-Universität Jena 4 L-Dopa-Infusionstherapie mit der Duodopa-Pumpe • intrajejunale Infusionstherapie zur Behandlung des Parkinson-Syndroms im fortgeschrittenen Stadium • Freisetzung aus einer perkutan gelegten Sonde führt zum gleichmäßigen L-Dopa-Spiegel im Blut • pulsatile Rezeptorstimulation entfällt • jejunale L-Dopa-Gabe als Monotherapie empfohlen • Indikationsstellung: mit Tablettenform nicht mehr zu beherrschende Wirkungsfluktuationen und Dyskinesien im fortgeschrittenen Stadium soziale Versorgung für die Pflege der PEJ-Sonde http://epda.eu.com/medinfo/images/duodopa_case1.jpg 12.09.2010 Alexander Jörk - Friedrich-Schiller-Universität Jena 5 Nach 3 bis 5 Jahren kommt es unter L-Dopa zu Wirkungsfluktuationen und Dyskinesien • nach 3 bis 5 Jahren verkürzt sich Wirkdauer und Wirkungsausmaß einer einzelnen Dosis aus L-Dopa und Decarboxylase-Hemmer bei Kombinationstherapie mit DopaminAgonisten verzögern sich Einschränkungen • ausgeprägteste hypokinetische Wirkungsfluktuation ist das On-Off-Phänomen aufgrund nicht konstanter extrazellulärer Dopaminkonzentrationen im Striatum subkutane Applikation von Apomorphin kann eine Off-Phase nach 10-20 Minuten bessern • Dyskinesien sind choreatisch-schnelle, z.T. ballistische oder dystonisch-langsame unwillkürliche Bewegungen und treten während maximaler Plasmaspiegel auf häufig On-Phase mit orofazialen Dyskinesien 12.09.2010 Unter dem frühen Einsatz der Kombination von L-Dopa, Decarboxylase-Inhibitoren und Entacapon (rote Kurve) treten Dyskinesien nicht wie erhofft später und seltener auf, sondern im Gegenteil sogar früher und häufiger. (http://www.parkinson-klinik.de/images/190.jpg) • weitere Nebenwirkungen: Nausea, Vomitus, Pollakisurie, Tachyarrhythmie, Hypotension, psychotische Symptome Alexander Jörk - Friedrich-Schiller-Universität Jena 6 Progression der Parkinson-Krankheit bedingt motorische Spätkomplikationen unter L-Dopa Hypokinetische Wirkungsfluktuationen • Wearing-off-/End-of-dose-Akinesie: > am Wirkungsende (nach 4-6 h) Akinesie > mit Bezug zur Einzeldosis • Freezing: > plötzliche Bewegungsunfähigkeit, Unfähigkeit der Ganginitiierung > ohne Bezug zur Einzeldosis • On-Off-Phänomene: > unregelmäßiges Wechseln aus dem Zustand der Beweglichkeit (On) in Phasen mit ausgeprägter Parkinson-Symptomatik (Off) > ohne Bezug zur Einzeldosis Hyperkinetische Wirkungsfluktuationen • On-Dyskinesien: > bei hoher dopaminerger Stimulation (On) auftretend > meist choreatische, nicht schmerzhafte Dyskinesien > als „peak-dose“ Dyskinesie oder Plateau-Dyskinesie bezeichnet • Off-Dyskinesien: > bei niedriger dopaminerger Stimulation (Off) auftretend > meist schmerzhafte Dystonien, am häufigsten „Early morning“-Dystonie • biphasische Dyskinesien: > zu Beginn oder am Ende der „On“-Phase bei wechselnder dopaminerger Stimulation 12.09.2010 Alexander Jörk - Friedrich-Schiller-Universität Jena 7 Behandlung des idiopathischen Parkinson-Syndroms mit derzeit 10 Dopamin-Agonisten Ergot-Dopaminagonisten Non-Ergot-Dopaminagonisten Bromocriptin Cabergolin Dihydroergocriptin Lisurid Pergolid Piribedil (oral) Pramipexol (oral) Ropinirol (oral) Apomorphin (parenteral) -> Spezialindikation Rotigotin (transdermal) oral = Mutterkornalkaloidderivate = 2. Wahl (insbes. Cabergolin + Pergolid) = 1. Wahl in der Monotherapie bei Patienten < 70 Jahre und ohne Komorbidität Agonistische Selektivität für die D2-Rezeptorfamilie • Wirkungen der Dopaminrezeptor-Agonisten sind von der Decarboxylierungskapazität des striatalen Gewebes unabhängig Stimulation der postsynaptischen Neurone Wirksamkeit auch im fortgeschrittenen Krankheitsstadium • eine initiale Behandlung mit Dopaminagonisten führt im Vergleich zu einer L-Dopa-Monotherapie zu seltenerem Auftreten von Dyskinesien im Verlauf von 3 bis 5 Jahren aufgrund längerer Halbwertszeiten lassen sich L-Dopa-Wirkungsschwankungen vermeiden in Kombinationstherapie lässt sich L-Dopa-Gesamtdosis verringern Wirkspektrum: Akinese > Rigor > Tremor 12.09.2010 Alexander Jörk - Friedrich-Schiller-Universität Jena 8 Exkurs: Mutterkornalkaloide sind Derivate der Lysergsäure Roggenähre mit Befall durch Claviceps purpurea Strukturformel von Ergotamin Mittelalterliche Darstellung des Antoniusfeuers • nach Verzehr von befallenem Getreide kommt es zu Krämpfen, Erstickungsanfällen (Ergotismus convulsivus) oder durch lang andauernde Vasokonstriktion zu Gangrän der Extremitäten (Ergotismus gangraenosus Antoniusfeuer) • zu den Mutterkornalkaloiden zählen Dihydroergotamin, Dihydroergotoxin, Ergotamin, Ergometrin, Lysergsäurediethylamid, Bromocriptin und Cabergolin 12.09.2010 Alexander Jörk - Friedrich-Schiller-Universität Jena 9 Ergotamin-Derivate gelten aufgrund des Nebenwirkungsprofils als Second-Line-Dopamin-Agonisten • typische Nebenwirkungen für Dopaminagonisten sind Nausea, Vomitus, orthostatische Hypotension, Beinödeme und psychotische Effekte • sicherheitsrelevant ist das Auftreten von dosisabhängiger Tagesmüdigkeit mit raschen Einschlafphasen • Raynaud-Phänomene, pleuropulmonale und retroperitoneale Fibrosen sowie dosisabhängige Herzklappenfibrosen sind seltene Komplikationen einer Langzeittherapie mit Ergot-Dopaminagonisten, insbesondere Pergolid und Cabergolin ausschließlich Second-Line-Dopaminagonisten Sichtbare pleuropulmonale Fibrose im Röntgen-Thorax (http://www.archbronconeumol.org/ficheros/images/260/ 260v45n02/grande/260v45n02-13135189fig01.jpg) • Konsequenzen: keine Ergot-Dopaminagonisten für Patienten, die an einer Herzklappenerkrankung leiden bei Neueinstellung mit Ergot-Dopaminagonisten sollte jährlich eine kardiovaskuläre Untersuchung (transthorakales Echo) durchgeführt werden und halbjährlich Auskultation Herz und Lunge • Impulskontrollstörungen (Spielsucht, Kaufsucht, Essstörung, Hypersexualität) bei 5-10 % aller Parkinson-Patienten, welche zumeist Dopaminagonisten appliziert bekamen 12.09.2010 Pleurabiopsie mit Lymphozyteninfiltrat und Fibrosearealen (http://www.archbronconeumol.org/ficheros/images/260/260v45n01 /grande/260v45n01-13133601fig01.jpg) Alexander Jörk - Friedrich-Schiller-Universität Jena 10 Intermittierende und kontinuierliche subkutane Applikation von Apomorphin • wegen der geringen oralen Bioverfügbarkeit und der extrem kurzen Halbwertszeit nur für subkutane Applikation anwendbar, eine Monotherapie ist möglich • Indikation: bei Patienten mit motorischen Spätkomplikationen, insbesondere Off-Phasen, wenn die orale Parkinson-Therapie ausgeschöpft ist • mit Hilfe der Pumpenapplikation kontinuierliche Rezeptorstimulation • durch Verwendung einer 20 ml Spezialspritze braucht nur einmal täglich die Spritze gewechselt zu werden, Nadel muss aber täglich neu gesetzt werden • aufgrund der Größe und des Gewichtes (117g) kann das Gerät unauffällig am Körper getragen werden Apomorphin-Autoinjektor zur kontinuierlichen subkutanen Applikation (http://www.lichermt.de/crono-apogo-neu.jpg) 12.09.2010 Alexander Jörk - Friedrich-Schiller-Universität Jena 11 COMT-Inhibitoren sind in Kombination mit L-Dopa bei motorischen Fluktuationen zugelassen COMT-(Catechol-O-Methyl-Transferase)-Hemmer • Wirkung: durch Hemmung der Catechol-O-Methyl-Transferase verminderter Dopamin-Abbau und Levodopa-Abbau durch Methylierung verstärkte Dopamin-Wirkung, woraus verminderter L-Dopa-Bedarf resultiert keine Passage der Blut-Hirn-Schranke -> Wirkung auf Körperperipherie beschränkt • Anwendung: Wirkung nur in Kombination mit L-Dopa bei unzureichender Wirkung von L-Dopa bei „End-of-dose“-Fluktuationen -> Kontraindikation: nicht fluktuierende Patienten • Nebenwirkungen: gastrointestinal (Übelkeit, Erbrechen, Diarrhoe) und Dyskinesien durch erhöhte dopaminerge Effekte, psychische Nebenwirkungen (Unruhe, Halluzinationen), rötlich-brauner Urin Wirkstoffgruppe COMT-Hemmer Substanz Entacapon Tolcapon Handelsname Comtess® Tasmar® Besonderheiten • Mittel der ersten Wahl, weil wenig NW • seit 2003: Kombination L-Dopa-CarbidopaEntacapon (Stalevo®) auf dem Markt • Maximaldosis Entacapon: 2000 mg/d, ansonsten 200 mg/d • aufgrund potentiell schwerer Hepatotoxizität Mittel der zweiten Wahl • Wiederzulassung seit 2005 für das fortgeschrittene Parkinson-Stadium • Kontrolle der Leberfunktionsparameter 12.09.2010 Alexander Jörk - Friedrich-Schiller-Universität Jena 12 Selegilin und Rasagilin blockieren irreversibel die Monoaminooxidase Typ B MAOB-Hemmer • Wirkung: irreversible selektive Hemmstoffe der Monoaminooxidase vom Typ B im ZNS werden Dopamin und Noradrenalin durch die MAOB abgebaut durch MAOB-Blockade Verlängerung der Dopaminwirkung und Verminderung L-Dopa-Bedarf möglicherweise neuroprotektiver Effekt Wirkdauer aufgrund der Irreversibilität über mehrere Tage andauernd • Anwendung: im Frühstadium der Parkinson-Krankheit Behandlung motorischer Fluktuationen (End-of-dose-Fluktuationen) sowohl als Monotherapeutikum oder in Kombination mit L-Dopa zugelassen • Nebenwirkungen: Dyskinesien und psychische Nebenwirkungen (Unruhe, Halluzinationen, Angst), Maximaldosen über 10 mg/d führen zu peripherer MAOA-Hemmung, in hoher Dosierung kardiovaskuläre und ZNS-Stimulation ähnlich Amphetaminen Wirkstoffgruppe MAOB-Hemmer Substanzen Selegilin Rasagilin Handelsname Movergan®, Xilopar® Azilect® Besonderheiten • wird auch zu Amphetamin-Derivaten metabolisiert • schützt vor Umwandlung des ParkinsonToxins MPTP in den Metaboliten MPP+, der Atmungskette blockiert • keine AmphetaminMetabolisierung • geringere kardiovaskuläre NW • Reduktion von Off-Zeit und Gewinn von On-Zeit 12.09.2010 Alexander Jörk - Friedrich-Schiller-Universität Jena 13 Amantadin verhindert zusätzlich als Virustatikum das Uncoating der Viren NMDA-Rezeptor-Antagonisten • Wirkung: NMDA-Rezeptor-Antagonisten sind Inhibitoren der glutamatergen Signaltransduktion -> cholinerge Interneurone werden gehemmt und neuronales Gleichgewicht hergestellt -> Wirkspektrum: Hypokinese und Rigor werden stärker beeinflusst als der Tremor • Anwendung: Amantadin: als Monotherapeutikum oder Kombinationspartner bei Parkinson-Syndrom mit extrapyramidaler Symptomatik (p.o.) und akinetischer Krise (i.v.) Budipin: günstige Effekte auf Behandlung des Tremors • Nebenwirkungen: geringere Nebenwirkungen im Vergleich zu L-Dopa gastrointestinale Beschwerden Knöchelödeme mit Livido Unruhe, Verwirrtheit, Halluzinationen und psychotische Zustände Budipin: anticholinerge Effekte (Mundtrockenheit, Miktionsbeschwerden,…) Wirkstoffgruppe NMDA-Antagonisten Substanz Amantadin Budipin Handelsname PK Merz® Parkinsan® Besonderheiten • zu über 90% unveränderte renale Ausscheidung -> Akkumulation bei eingeschränkter Nierenfunktion • kurzfristige Reduktion von L-Dopa assoziierten Dyskinesien • sowohl NMDA-antagonistische als auch anticholinerge Wirkungsmechanismen besitzend • Herzkontrollen aufgrund seiner QTZeit verlängernden Nebenwirkung 12.09.2010 Alexander Jörk - Friedrich-Schiller-Universität Jena 14 Anticholinergika sind die ältesten Parkinson-Medikamente und werden seit 1860 eingesetzt Muskarin-Rezeptor-Antagonisten (Anticholinergika) • Wirkung: kompetitiver Antagonismus an striatalen, muskarinergen Acetylcholinrezeptoren Hemmung exzitatorischer cholinerger Neurone in der Basalganglienschleife Atropin-ähnliche Substanzen Biperiden und Metixen: bessere Hirngängigkeit (tertiäre Amine) • Anwendung: klinisch nützlich bezüglich der pharmakologischen Beeinflussung des Ruhetremors im Rahmen der Parkinson-Symptomatik; bei Neuroleptika-induziertem Parkinsonoid; selten in Kombination mit L-Dopa • Nebenwirkungen: periphere anticholinerge Nebenwirkungen: Mundtrockenheit, Akkomodations- und Miktionsstörungen, Obstipation, Tachykardie zentralnervöse anticholinerge Nebenwirkungen: Erregung, Halluzinationen, zentrales anticholinerges Syndrom (ZAS) Verschlechterung der Demenz -> Kontraindikation: Patienten mit Psychosen und Demenz Wirkstoffgruppe Muskarin-Rezeptor-Antagonisten Substanz Biperiden Metixen Trihexyphenidyl Bornaprin Handelsname Akineton® Tremarit® Artane®, Parkopan® Sormodren® Besonderheiten 12.09.2010 • Biperiden bei Epilepsie kontraindiziert, da Senkung der Krampfschwelle • Metixen beeinflusst beinahe ausschließlich den Ruhetremor • da Gefahr des Anstiegs von Augeninnendruck mit Glaukomentwicklung besteht, immer augenärztliche Kontrollen durchführen Alexander Jörk - Friedrich-Schiller-Universität Jena 15 Exkurs: Therapie der Parkinson-Demenz (PDD) • Parkinson-Demenz ist, ebenso wie die Alzheimer-Demenz, durch ein Defizit von Acetylcholin charakterisiert bei Parkinson-Patienten definitionsgemäß motorische Symptome ein Jahr vor der demenziellen Entwicklung • Therapie mit reversiblen Hemmstoffen der Acetylcholinesterase, um den Abbau von Acetylcholin zu dämpfen -> Medikamente mit anticholinerger Wirkung vermeiden! Rivastigmin ist seit 2006 zur antidementiven Behandlung der Demenz bei Morbus Parkinson im leichten und mittleren Stadium wirksam und wird im Hinblick auf kognitive Störung und Alltagsfunktion empfohlen. • Rivastigmin Pflaster seit 2007 erhältlich, aber aktuell nicht zur Behandlung der PDD zugelassen • für Patienten mit Parkinson-Demenz, Lewy-KörperDemenz und verwandten Erkrankungen sind klassische und viele atypische Neuroleptika kontraindiziert, da sie Parkinson-Symptome verstärken und Somnolenzattacken auslösen können • einsetzbare Neuroleptika sind Clozapin, Quetiapin • kaum Studien zur Wirkung von Donezepil, Galantamin 12.09.2010 Alexander Jörk - Friedrich-Schiller-Universität Jena 16 Zusammenfassung der medikamentösen Therapieempfehlungen bei Morbus Parkinson • lebenslange Therapie, deren optimale medikamentöse Einstellung aufgrund der natürlichen Progression der Krankheit mit zunehmender Therapiedauer schwieriger wird • bislang keine sicher neuroprotektiven Pharmaka für die Langzeittherapie verfügbar • bei der Ersteinstellung eines Parkinson-Patienten mit nur geringer Funktionseinschränkung empfiehlt sich Therapiebeginn mit Amantadin, Memantin oder Selegilin, zu denen später ein Dopaminrezeptor-Agonist hinzugefügt werden kann • bei unbefriedigender Besserung der Symptome wird als weiterer Kombinationspartner oder ersatzweise für den Dopamin-Agonisten Levodopa mit einem Decarboxylasehemmer gegeben • Ziel: Levodopa einsparen -> so spät wie möglich, so niedrig wie möglich und so hoch wie nötig • Beispiel: Parkinson-Patient < 70 Jahre/multimorbide Patienten: bei milder Symptomatik: Monotherapie mit Amantadin und Selegilin 1. Wahl ist Monotherapie mit Non-Ergot-Dopamin-Agonisten bei unzureichendem Effekt: Kombination mit L-Dopa • in allen Therapiesituationen obsolet sind: L-Dopa ohne Decarboxylasehemmer COMT-Hemmer als Monotherapie Anticholinergika bei alten, kognitiv eingeschränkten Patienten 12.09.2010 Alexander Jörk - Friedrich-Schiller-Universität Jena 17 Tiefe Hirnstimulation (= DBS) mithilfe stereotaktischer Operationsverfahren Definition Stereotaktische Neurochirurgie: Bei der stereotaktischen Hirnoperation (= Stereoenzephalotomie) wird die zu operierende Struktur nicht freigelegt, sondern das Zielgewebe unter dreidimensionaler Bildsteuerung berechnet. Für den eigentlichen Eingriff werden der Kopf des Patienten und die medizinischen Instrumente in einem fest verschraubten Rahmen (= stereotaktischer Apparat) fixiert und nach minimalinvasiver Trepanation die Elektroden unter Echtzeitbildgebung eingeführt. • Rückblick: bis zur Einführung der L-Dopa-Therapie Ende der 60-iger Jahre war die neurochirurgische Stereotaxie-Behandlung die aussichtsreichste Chance zur Linderung der Parkinson-Symptome • bis Ende der 80-iger Jahre des 20. Jahrhunderts wurde dabei die Stereotaxie ausschließlich "ablativ" eingesetzt, d.h. Zellareale wurden mechanisch oder thermisch dauerhaft zerstört -> Ablation trat aber aufgrund der Fortschritte in der medikamentösen Therapie in den Hintergrund • Nebenwirkungen der L-Dopa-Theorie führten zur Renaissance der Neurochirurgie bei Parkinson • heute: funktionelle Beeinflussung der Hirnregionen mit tiefer Hirnstimulation („deep brain stimulation“) 12.09.2010 Prototyp eines stereotaktischen Rahmens (http://www.rob.uni-luebeck.de/drupal/files/images/sonde.jpg) Alexander Jörk - Friedrich-Schiller-Universität Jena 18 Indikationen und Ausschlusskriterien für eine DBS mittels Stereoenzephalotomie Indikationen • idiopathisches Parkinson-Syndrom mit Voraussetzung eines positiven L-Dopa-Tests • schwere motorische Beeinträchtigung durch die Grundkrankheit oder deren Therapie trotz optimaler Medikation (Tremor, hypo- und hyperkinetische Motorfluktuationen) • essentieller Tremor • Tremor bei Multipler Sklerose • Dystonie (= Verkrampfungen und Fehlstellungen des Muskelapparates, zählt zu den extrapyramidalen Hyperkinesien) • im experimentellen Stadium der Anwendung der Tiefenstimulation des Gehirns befinden sich die Behandlung von Depressionen, Epilepsien, Clusterkopfschmerzen Kontraindikationen • • • • • biologisches Alter > 75 Jahre nicht beherrschte Begleiterkrankungen ausgeprägte Depression und Demenz Immunsuppression/Antikoagulation schwere Hirnatrophie 12.09.2010 Alexander Jörk - Friedrich-Schiller-Universität Jena 19 Elektroden-Zielpunkte der tiefen Hirnstimulation bei der Behandlung von Morbus Parkinson • je nach Symptomatik stehen drei Zielpunkte für ein operatives Verfahren zur Wahl, wobei bei Parkinsonpatienten mit Spätsyndromen in der Regel beide Hirnhälften operiert werden • Nucleus subthalamicus: Zielpunkt für die Mehrzahl der "austherapierten" Parkinson-Patienten mit Spätsyndromen Erfolg der Operation kann durch die Wirkung von L-Dopa vorhergesagt werden (L-Dopa-Test) dopaminerge Medikation kann durchschnittlich um ca. 50-60 % vermindert werden • Globus pallidus: • Nucleus ventralis des Thalamus: vorrangig Besserung von Hyperkinesien mäßige Erfolge bei Rigor und Ruhetremor postoperativ keine Verminderung der dopaminergen Medikation hohe Leistungsabgabe der Stimulatorbatterie erforderlich geeignet für Patienten mit einem essentiellen Tremor Patienten mit einem essentiellen Tremor weisen kein Dopamin-Defizit auf! Tremorform spricht nicht auf dopaminerge Medikation an kaum Besserung von Rigor und Bradykinese 12.09.2010 Alexander Jörk - Friedrich-Schiller-Universität Jena 20 Ablauf der Operation einer Tiefenhirnstimulation präoperative MRT CT nach Montage des stereotaktischen Grundringes unter Kurznarkose Lokalisation der Hirnstrukturen nach Bildfusion CT-MRT Koordinatenberechnung für Eintritts- und Zielpunkt vor Ausschleichen der Kurznarkose minimalinvasive Schädelöffnung mittels kleinen Bohrer (ca. 10 mm) stereotaktische Implantation der Tiefenhirnelektroden unter Lokalanästhesie intraoperative Testung des optimalen Stimulationspunktes durch Mikroelektrodenableitungen und Funktionstests: Finger-Nase-Versuch (Tremor), passive Beweglichkeit des Handgelenks (Rigor), Fingerübungen (Bradykinesie); gleichzeitig ständige Evaluation von Nebenwirkungen bei Nachlassen der Symptomatik endgültige Positionierung der Elektrode postoperative Testphase durch externen Stimulator (Vermeidung von Narkose-Effekten) und MRT-Kontrolle zweite OP-Sitzung zur Impulsgeberimplantation mit Präparation einer subcutanen Tasche infraclaviculär oder im abdominalen Fettgewebe und postoperative Röntgenkontrolle 12.09.2010 Alexander Jörk - Friedrich-Schiller-Universität Jena 21 Video: Zustand vor und nach Tiefenhirnstimulation 12.09.2010 Alexander Jörk - Friedrich-Schiller-Universität Jena 22 Ergebnisse und mögliche Nebenwirkungen der Tiefenhirnstimulation • Ergebnisse klinischer Studien zur Tiefenhirnstimulation: Linderung aller Kardinalsymptome des Morbus Parkinson Reduktion der Medikation und Verbesserung der Lebensqualität, die Progredienz der Krankheit kann aber nicht verhindert werden geringe Nebenwirkungen, vertretbares Komplikationsrisiko Funktionsweise: Depolarisationsblock, synaptische Inhibierung, Erschöpfung der Neurotransmitter • Stimulationsbedingte Nebenwirkungen der DBS: potentiell reversibel und durch Anpassung der Stimulationsparameter reduzierbar Parästhesien, Blickdeviation, Verkrampfungen, Sprachstörungen, unwillkürliche Hyperkinesien 12.09.2010 Postoperative Röntgenkontrolle der Elektrodenposition (http://www.charite.de/ch/neuro/klinik/patienten/ag_bewegungsstoerungen/ index/info/DBS_Aufklaerungsmaterial/DBS_Aufklaerungsmaterial.htm#3) Alexander Jörk - Friedrich-Schiller-Universität Jena 23 Nichtmedikamentöse Therapie des Morbus Parkinson • Korrektur parkinsonistisch fixierter Fehlhaltung (Rigor, Hypokinesie) durch Physiotherapie oder Ergotherapie • Tremor spricht nicht auf Gymnastik an • Ziel: Aufbau bewusster Willkürbewegung mit Unterstützung akustischer, taktiler und optischer Stimuli Parkinson-Selbsthilfe-Gruppe mit physiotherapeutischen Inhalten (http://www.parkinsonsh.at/landesverbaende/oberoesterreich/bilder/Bewegungsgruppe_AKh.JPG) ! Patient darf Störungen der Feinmotorik nicht durch vermehrten Krafteinsatz ausgleichen • früher Übungsbeginn reduziert die Dosis medikamentöser Therapie • Laufbandtraining fördert Flüssigkeit und Schrittlänge des Gangbildes und beugt Gelenkkontrakturen vor • Gruppentherapie schafft den Ausgleich für reduzierte soziale Kontakte • Sprechstörungen, wie ungenaue Artikulation oder fehlende Modulation der Lautstärke (= Dysarthrophonie), kann durch logopädische Therapiemaßnahmen begegnet werden 12.09.2010 Alexander Jörk - Friedrich-Schiller-Universität Jena 24 Transplantation von Stammzellen ist eine umstrittene potentielle Therapiemethode • induzierte pluripotente Stammzellen (iPS-Zellen) sind pluripotente Stammzellen, die durch künstliche Reprogrammierung von nicht-pluripotenten somatischen Zellen entstanden sind • Umwandlung durch extern angeregte Expression spezieller Transkriptionsfaktoren in der Körperzelle • Ziel: aus Stammzellen entstehen Dopamin produzierende Zellen Induzierte pluripotente Stammzelle nach künstlicher Reprogrammierung ausgereifter Nervenzellen einer Maus nach Einschleusung des Gens Oct4 (http://www.biotechnologie.de/BIO/Redaktion/Bilder/de/Newsfotos/stammzelleoct4,property=bild,bereich=bio,sprache=de.jpg) • Implantation embryonaler Stammzellen in das Gehirn konnte Ratten vom Parkinson-Tremor befreien, führte jedoch 2002 bei fünf von 19 Versuchstieren zur Entwicklung unheilbarer Teratome -> deshalb konzentriert sich Forschung auf den Einsatz von iPS-Zellen -> Ziel: aus transplantierten Zellen entstehen Dopamin-produzierende Zellen • Problem: bei bisher 350 Patienten nach Transplantation fetalen Hirngewebes, kaum signifikante Verbesserung motorischer Funktionen, stattdessen Fluktuationen und Hyperkinesien als NW 12.09.2010 Alexander Jörk - Friedrich-Schiller-Universität Jena 25 Auswahl präklinischer Neuentwicklungen von Wirkstoffgruppen Safinamide • neuer Wirkstoff in der Phase-III-Entwicklung für die Behandlung der Parkinson-Erkrankung • Wirkungsmechanismus: Dopamin-Modulation: Verbindung der selektiven und reversiblen MAO-B-Inhibition und der Blockade des Dopamin-Reuptakes zusätzlich Hemmung der Glutamatfreisetzung Adenosin-A2A-Rezeptor-Antagonisten • neuer Wirkstoffe: SYN-115, Preladenant und Fipamezole • Wirkungsmechanismus: Endigungen der striatalen GABAergen Projektionsneurone tragen Adenosin-A2ARezeptoren, deren Blockade die pathologisch erhöhte GABA-Freisetzung dämpft Verbesserung der Wirkungsfluktuationen unter L-Dopa-Therapie Glutamat-Rezeptor-Antagonist • neuer Wirkstoff AFQ056 zur Reduktion von L-Dopa induzierten Dyskinesien • Wirkungsmechanismus: metabotroper Glutamat-5-Rezeptor-Antagonist mit Teilantagonismus auf D2-Rezeptoren Annahme: Überaktivität des glutamatergen Systems für Symptomatik bei ParkinsonPatienten mitverantwortlich 12.09.2010 Alexander Jörk - Friedrich-Schiller-Universität Jena 26