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SWR2 Musikstunde 16.10.2012
Mit Ines Pasz
Schauspielmusik
Teil 2: Das Theater der Klassik
Die gute Nachricht für diese Musikstunde: es gibt sie, die Schauspielmusik im Theater
der Klassik, sogar häufiger als man denkt, oft ist sie sogar erhalten. Die schlechte
Nachricht: niemand hat sie eingespielt, es existieren leider keine Aufnahmen.
Bühnenmusik, Schauspielmusik, sie ist und bleibt ein Stiefkind im allgemeinen
Musikbetrieb, verkannt, verschmäht, verloren. Abgesehen von den wenigen großen
Ausnahmen, die Musikgeschichte schreiben und für das Genre die Fahne hoch halten:
Mendelssohns Sommernachtstraum etwa, Griegs „Peer Gynt“ oder auch Beethovens
Egmont. Aber auch der wunderbare Egmont verfälscht ein bisschen den Blick, er ist
nämlich nicht Beethovens einzige Schauspielmusik, wenn auch zugegeben seine beste.
Aber kennen Sie vielleicht Beethovens „Eleonore Prohaska“, „Tarpeja“, „Wilhelm Tell“,
oder von den „Die Ruinen von Athen“ mehr als nur den Titel? Hier gibt es sogar einen
echten türkischen Marsch, ein „alla Turca“, mindestens so unbekannt wie das ganze
Werk.
Musik 1:
Beethoven: Alla Turca
M0019412 005
1‘49
Ludwig van Beethoven im türkischen Kolorit, „Alla Turca“ aus „Die Ruinen von Athen“
nach einem Festspiel von August von Kotzebue mit den Berliner Philharmonikern unter
Bernhard Klee.
„Die Ruinen von Athen“ sind Teil einer Auftragskomposition, anlässlich der Eröffnung
eines neuen Theaters in Pest. Im 1. Teil heißt das Werk „König Stephan, Ungarns erster
Wohltäter“ und man fragt sich zu Recht, was griechische Baureste eigentlich mit der
ungarischen Geschichte zu tun haben. Aber der damalige Starautor und Verfasser des
Textbuches August von Kotzebue ist ein Mann mit großer Fantasie und scheut keine
kulturellen Exkurse. Göttin Minerva erwacht aus einem 2000 Jahre währenden Schlaf.
In den wurde sie von Zeus zwangsversetzt, weil sie den Tod des Sokrates nicht
verhindert hatte. Nun nimmt Gott Merkur sie bei der Hand und leitet sie zurück in ihr
geliebtes Athen. Aber, oh Schreck, es ist nicht wieder zu erkennen, verwüstet die Stadt
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und besetzt von den Türken. „Verlasse diesen Ort“, rät ihr Merkur, „auf nach Pest, hier an
der Donau Strand haben Künste und Kultur eine neue Heimat gefunden“. Und
tatsächlich, jubelt Kotzebue in seinem Festspiel, alle Türken sind von hier vertrieben, jetzt
wandeln Gestalten aus den Dramen von Lessing, Schiller und Goethe durch die Lande,
regiert König Stephan ein neues, besseres Athen.
Buntes Lokalkolorit also allerorten und Beethoven lässt sich nicht lange bitten. Der Chor
der Derwische gerät ihm dabei ganz besonders exotisch, geradezu verblüffend
orientalisch für die Wiener Klassik, die ja mit Türkenmusik schon so ihre Erfahrungen hat.
“Alle möglichen lärmenden Instrumente“ verlangt Beethoven in seiner Partitur: Trommeln,
Tambourine, Schellen und Castagnetten.
Musik 2:
Beethoven: Chor der Derwische
M0019412 004
2‘32
„Der Chor der Derwische“ aus Beethovens Bühnenmusik zu „Die Ruinen von Athen“ mit
dem Rias Kammerchor Berlin.
Aber Minerva gefällt die Türkenshow nicht: „Ha! Welchen Unsinn hat mein Ohr
vernommen“, poltert sie unhöflich los, „Welch ein barbarisches Geschrei.“
Beethoven nimmt’s mit Humor und jagt bewaffnete Janitscharen über die Bühne.
Im weiteren Verlauf der „Ruinen von Athen“ wird es etwas getragener. Alle bestaunen
glücklich, in wohliger Stimmung den neuen Musentempel von Pest.
Ein Oberpriester betritt die Szene, die Kaiserbüste ragt empor, ein Chor dankt Zeus und
alle eint die feierliche Huldigung, an wen oder was auch immer.
Beethoven macht mit und vertont die ganze Seligkeit mit erstaunlicher Direktheit.
Hinterher ist ihm das offensichtlich selbst ein bisschen peinlich. Als nämlich 1814 in Wien
eine konzertante Aufführung des Spektakels bevorsteht, verlangt Beethoven vom
Veranstalter für den Schluss unbedingt einen Vorhang: „Irgendeinen, egal was“,
beschwört er ihn, „wenn auch ein Bettvorhang oder nur eine Art Schirm. Es muss was
sein. Die Arie ist ohnehin mehr fürs Theater geschrieben, als dass sie im Konzert wirken
könnte. Alle Deutlichkeit geht ohne Vorhang oder etwas Ähnliches verloren! Zum Teufel
alles! Vorhang!!! Oder die Arie und ich werden morgen gehangen!“
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Musik 3:
Beethoven: Die Ruinen von Athen
M0019412 009
5‘42
„Will unser Genius noch einen Wunsch gewähren“, verkündet der Oberpriester in Ludwig
van Beethovens Schauspielmusik zu „Die Ruinen von Athen“, mit Klaus Hirte, Bass, dem
Rias Kammerchor und den Berliner Philharmonikern unter Bernhard Klee.
Wie man Beethovens Kommentaren entnimmt, schreibt er diese Schauspielmusik
eindeutig für die Bühne und nicht für den Konzertsaal. Genau umgekehrt ist es dagegen
bei Joseph Haydn. Er ist von einer seiner Bühnenmusiken so begeistert, dass er sie
gleich zu einer Sinfonie umfunktioniert. Immer mal wieder besuchen Schauspielertruppen
Schloss Esterhaza und führen hier ihre Stücke auf. Die Bühnenmusik dazu, die schreibt
der Haus-und Hofkomponist persönlich, so steht es in Haydns Vertrag. Auch 1774 kommt
so eine Wandertruppe zum Schloss an der ungarischen Grenze, berühmt vor allem für
ihre Shakespeare-Aufführungen. Dieses Mal aber haben sie eine französische Komödie
im Gepäck: „Le Distrait“, „Der Zerstreute“ von Jean-Francois Regnard.
Insgesamt sechs Teile schreibt Haydn dazu, Ouvertüre, Zwischenaktmusiken und ein
Finale und zwar, wie man aus Quellen weiß mit größtem Vergnügen.
Er lässt so viel Fantasie und Spaß bei der Sache, dass er es nicht übers Herz bringt die
Musik nach den Vorstellungen in irgendeiner Schublade zu versenken. Also bastelt er
daraus eine Sinfonie, eine sechssätzige, das ist schon ungewöhnlich genug.
In der Komödie geht es um eine arrangierte Ehe. Glücklicherweise kommt sie für die
Dame allerdings nicht zu Stande. Sie bekommt den Mann ihres Herzens. Auf der
Strecke bleibt Leander, ein zerstreuter Trottel. Er wabert durch die ganze Sinfonie, immer
wieder lässt Haydn ihn irgendwo hervorlugen. Schon gleich bei seinem ersten Auftritt In
der Ouvertüre bringt er die Musik schlagartig zum Erliegen, perdendosi steht in der
Partitur, sich verlierend, als hätten die Musiker vergessen, wie es weiter geht, Im Finale
dann verursacht Leander einen echten Fehlstart. Die Geigen beginnen zu schnell,
müssen wieder stoppen und dann erst mal ihre heruntergerutschte G-Saite nachstimmen.
Musik 4:
Haydn: Sinfonie Nr.60 „Der Zerstreute“
M0093587 005 ab 4'22 +006
2'00
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Joseph Haydn, das Finale aus seiner Sinfonie Nr.60 in C-Dur, mit dem Beinamen „Il
Distratto“, Der Zerstreute, es spielten die Heidelberger Sinfoniker unter Thomas Fey.
Il Distratto, der Zerstreute ist nicht die einzige Schauspielmusik von Joseph Haydn, aber
zweifellos seine beste, zumindest von denen, die erhalten sind.
Nur eine einzige dagegen schreibt Mozart, aber das mit höchstem Anspruch und
hinterher allergrößter Zufriedenheit. Autor des Dramas „Thamos“ und Auftraggeber ist
Tobias Philipp Freiherr von Gebler.
Beherzt macht sich der 17jährige Mozart an die Arbeit. Theater ist seine Leidenschaft, ob
nun Oper, Singspiel oder eben eine Schauspielmusik, auch wenn die Textvorlage nicht
gerade zu den Meisterwerken gehört. Ihre Handlung ist mindestens so unverständlich
und verwirrend wie die einer Barockoper mit lauter vermeintlichen Toten, Verschollenen
und in Wahrheit doch Liebenden, guten und bösen Protagonisten. Thamos steht als
ägyptischer Thronanwärter eindeutig auf der die Seite der Guten und bekommt am Ende
nicht nur die Königswürde, sondern auch die Frau seines Herzens.
Etwas Besseres als Mozart kann diesem mittelmäßigen Bühnenwerk jedenfalls nicht
passieren. Allein schon die opulente Besetzung des Orchesters setzt ein deutliches
Zeichen, mit vollem Holzbläsersatz und Hörnern, Pauken, Trompeten und Posaunen.
Mozarts beansprucht für seine Musik viel Raum in dem Drama, auch bei den Chören,
was ihm nach der Uraufführung gleich eine böse Kritik beschert: „Der Compositeur,“ steht
da „hat den 5. Akt durch die Wiederholungen der Chöre zu sehr verlängert. Sie sollten
gerade gesungen werden und besser abwechseln, sie können auch ganz wegbleiben.“
Das allerdings ist eine Frage der Sichtweise, immerhin hat Mozarts Musik überlebt und
nicht Geblers Drama.
Musik 5:
Mozart: Thamos
M0013199 005
3’47
Wolfgang Amadeus Mozarts Zwischenaktmusik zum 4. Akt des heroischen Dramas
„Thamos, König in Ägypten“, mit den English Baroque Soloists unter John Eliot Gardiner.
Mozart eröffnet der Schauspielmusik mit seinem Thamos zweifellos ganz neue
Dimensionen und stellt all die Voglers, Andres und Stegmanns damit erst mal wirksam in
den Schatten. Zur A-Besetzung gehören die Komponisten der Schauspielmusiken
nämlich nicht gerade, denn man sich kaum damit profilieren, die Musik steht naturgemäß
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immer etwas im Schatten des Dramas. Trotzdem, Schauspielmusiken sind eine wichtige
und munter sprudelnde Einkommensquelle. Es ist eine Menge zu tun für all die vielen
Wandertruppen, Hoftheater und Schaubühnen. Was uns heute gar nicht mehr so
bewusst ist, Musik gehört im 18. und frühen 19. Jahrhundert zum Schauspiel wie
Schminke und Perücke. Kaum eine Theateraufführung kommt ohne Musik aus,
manchmal sind es nur einfache Lieder oder Flötenstücke, manchmal Orchestermusik mit
Tänzen und Ouvertüren, je nach dem Geldbeutel der Auftraggeber. Es ist eine
theaterverrückte Zeit, die Einen konsumieren die vielen Bühnenwerke, die Anderen
reflektieren über sie.
Im Zeitalter der Aufklärung überlässt man nichts dem Zufall, alles wird analysiert und
debattiert. Auch und vor allem der tiefere Sinn des Theaters. Das Theater -eine
moralische Anstalt, ein Ort für ethisch motivierte Lehrsätze. Über allem steht die
Erkenntnis, die Wahrheit, die Vernunft, die pädagogische Wirksamkeit. Selbst bei einem
so sinnlichen Erlebnis wie dem Theaterbesuch.
„Ein vernünftiger Gedanke dient der Besserung des Menschen“, heißt die Maxime.
Auch Chefaufklärer Gotthold Ephraim Lessing macht sich seine Gedanken über das
Metier. Die vollkommene Bühne brauche realistische Darstellungen mit Hilfe adäquater
Theatermittel, meint er, wie eben zum Beispiel passende Musik. Da hat Lessing ganz
klare Vorstellungen: Die Musik möge bitte mit dem Inhalte des Stücks übereinstimmen,
fordert er. Andererseits will er die Musik aber auch nicht zu sehr aufwerten, Sinngehalte
gesteht er ihr nun doch nicht zu: „Die Musik soll dem Dichter nichts verderben“, mahnt er,
“der tragische Dichter liebt das Unerwartete, das Überraschende, mehr als ein anderer.
Er lässt seinen Gang nicht gern voraus verraten, und die Musik würde ihn verraten, wenn
sie die folgende Leidenschaft angeben wollte.“
Musik 6:
Beethoven: Gesang der Mönche
M0012626 019
1‘58
Die Singphoniker mit dem Gesang der Mönche aus Beethovens Musik zu Friedrich
Schillers Drama „Wilhelm Tell“.
Friedrich Schiller, er kennt die Wirkung von Musik sehr genau. Die Regieanweisungen in
seinem „Wilhelm Tell“ sprechen eine deutliche Sprache, Musik besitzt für ihn eine
dramaturgische Funktion, und die setzt er ganz bewusst ein.
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"Noch ehe der Vorhang aufgeht, hört man den Kuhreigen und das harmonische Geläut
der Herdenglocken, welches sich auch bei eröffneter Szene noch eine Zeitlang fortsetzt",
schreibt er an den Anfang des Dramas. Gleich zwei Komponisten auf einmal beauftragt
er mit der Schauspielmusik. Für die Uraufführung in Weimar 1804 schreibt sie ein
gewisser Franz Seraph Destouches, für die Berliner Erstaufführung im selben Jahr ein
ebenso unbekannter Bernhard Anselm Weber. Beide Partituren sind erhalten, bis auf
ganz wenige einzelne Nummern aber leider nicht eingespielt. Gerade Bernhard Anselm
Weber arbeitet eng mit Schiller zusammen. Er vertritt sogar selbstbewusst einen eigenen
Standpunkt, den des Musikers:
"Den erschütternden Ausgang des 2. Aktes habe ich anders empfunden“, schreibt er an
Schiller, „es will mir nicht in den Sinn, dass hier das Orchester mit einem prachtvollen
Schluss gleich einfalle. Es ist die Nacht, der fürchterliche Schwur ist getan, sie gehen
einzeln still auseinander, der Mond schwindet, die Sonne steigt herauf.
Sie wollen durch diesen prachtvollen Schwung die Handlung fortgeführt wissen, aber der
Zuschauer sieht mehr mit den Augen des äußeren, als denen des inneren Sinnes. So
würde eine starke, gleich zu Anfang prachtvolle Musik in dieser schauerlichen Situation
mein Empfinden stören. Belehren Sie mich eines Besseren, wenn ich mich täuschen
sollte“.
Wir wissen leider nicht wie Schiller darauf reagiert. Sein „Tell“ aber animiert später immer
wieder Komponisten. Für sie bietet das Drama ein ideales Terrain, denn Schiller dichtet
die Musik gewissermaßen schon in den Text hineindichtet, schreibt manchmal sogar
konkret welche vor, manchmal ganze Lieder. „Es lächelt der See, er ladet zum Bade", soll
in der 1.Szene gesungen werden, „vom Berge antwortet ein Hirte, „Ihr Matten lebt wohl",
dann die Alpenjäger "Es donnern die Höhen, es zittert der Steg".
Musik 7:
Curschmann: Es lächelt der See
M0295033 028
3‘16
„Es lächelt der See“ nach Friedrich Schiller von Karl Friedrich Curschtmann mit Hermann
Prey , Bariton, begleitet vom Kölner Rundfunkorchester unter Heinz Geese
Schauspielmusiken verraten nicht nur etwas über den Dichter, wenn er sie mitbestimmt,
sondern manchmal auch etwas über den Komponisten. Vor allem dann, wenn seine
Musik Akzente im Drama verschiebt, wenn auch vielleicht unbewusst. So zum Beispiel
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bei Beethoven und seiner Schauspielmusik „Leonore Prohaska“. Sie ist eine echte
Heldin der Befreiungskriege gegen Napoleon.
Geboren wird die Offizierstochter 1785 in Potsdam. In Männerkleidung, mit männlichem
Decknamen geht sie zu den Freikorps und wird in einer Schlacht schwer verwundet. Wie
ein Lauffeuer verbreitet sich in Preußen die Nachricht von ihrer Tapferkeit. Als sie 1813 in
Dannenberg stirbt, bestattet das preußische Volk sie als große Heldin mit militärischen
Ehren. Und was macht Beethoven mit der tatkräftigen Heroine?
Er schreibt ihr eine wehmütige Romanze auf die entschlossenen Lippen, und begleitet ihr
sanftes Säuseln mit Harfe und Glasharmonika, die denkbar zartesten und femininsten
Instrumente, so genannte schickliche Frauenzimmer-Instrumente. Hat er ein Problem mit
Leonore Prohaskas Kraft, ihrem Mut? fragt sich die moderne Musikwissenschaft.
Außerdem wählt er als Stimmlage einen Sopran, also wieder die weiblichste,
unschuldigste aller Stimmlagen. So zähmt er Eleonore und verharmlost sie.
Dabei schreitet sein Klärchen im Egmont noch mit mutigem Schritten voran, aber hier,
1814, da träumt die Streiterin Eleonre schön aber sanft von einer Blume, die blühet im
Garten der Liebe.
Musik 8:
Beethoven: Es blüht eine Blume im Garten
M0019412 016
2‘34
Johann Friedrich Leopold Duncker schreibt das Drama „Eleonore Prohaska“, Ludwig van
Beethoven die Musik dazu, hier war die Romanze „Es blüht eine Blume im Garten mein“
mit Sylvia McNair und den Berliner Philharmonikern unter Claudio Abbado.
So unbekannt Beethovens viele Schauspielmusiken auch sind, mit einer einzigen setzt er
ein Fanal für das ganze Genre, für seine Zeit und nachfolgende Generationen,
auch wenn daraus in unseren Konzertsälen vor allem die Ouvertüre überlebt.
Seine Musik zu Goethes Egmont, die beiden Titanen vereint in einem Werk, welch ein
Glücksfall! Zumal der Dichterfürst sonst bei der Auswahl seiner Komponisten auch schon
mal arg danebenliegt. So beauftragt er für die Bühnenmusik zu seinem Faust einen
Tonmeister namens Franz Carl Adelbert Eberwein und ignoriert dafür bei seinen
Gedichtvertonungen einen Liedkomponisten wie Schubert.
Aber bei seinem Egmont entscheidet er zum Glück nicht er, sondern der Impresario des
Wiener Burgtheaters. Er plant 1809 plant eine Neuinszenierung des Trauerspiels und
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wendet sich an Beethoven. Der ist mehr als begeistert. Erstens ist er sowieso ein großer
Bewunderer des Herrn von Goethe und außerdem ist das Thema eindeutig seins:
Kampf um Freiheit, Treue, Beharrlichkeit und Mut. Angeblich verzichtet er sogar auf ein
Honorar.
Die Handlung spielt in den Niederlanden, im 16. Jahrhundert. Spanien hat das Land unter
seiner Fuchtel, Herzog Alba führt ein blutiges Regiment. Graf Egmont wagt den Aufstand,
scheitert und wird gefangen genommen. Seine Geliebte Klärchen versucht vergeblich ihn
zu befreien, zuletzt vergiftet sie sich. Erhobenen Hauptes schreitet Egmont auf den Platz
seiner Hinrichtung, beseelt von der Hoffnung, dass die Freiheit einst siegen wird.
Neun Nummern verfasst Beethoven zu Goethes Drama, eine Ouvertüre, die Egmont
Ouvertüre, zwei Lieder für Klärchen, vier Zwischenspiele, ein Melodram für Egmont und
eine wahre Siegessinfonie am Schluss.
Einige Musiken gibt Goethe in seinen Regieanweisungen schon vor, darunter die beiden
Lieder für Klärchen.
Beethoven zeichnet sie als Kämpferin, mit Trommelmusik und Marschrhythmen, zwar
voller Emphase, aber auch etwas naiv, mädchenhaft, die Gefahr unterschätzend.
Musik 9:
Beethoven: Egmont „Die Trommel gerühret“
Take 3
Oehms classics LC 12424 Best.Nr. 767
2‘52
Klärchens emphatischer Schlachtruf „Die Trommel gerühret“ aus Beethovens
Schauspielmusik zu Goethes Trauerspiel Egmont, mit Maria Bengtsson, Sopran und dem
WienerRadio Sinfonieorchester unter Bertrand de Billy.
„Ich habe den Egmont bloß aus Liebe zum Dichter geschrieben“, bekennt Beethoven
gegenüber seinem Verleger und notiert an den Dichter ein knappes Jahr später:
„Sie werden nächstens meinen Egmont erhalten, diesen herrlichen Egmont, den ich,
indem ich ihn eben so warm als ihn gelesen, wieder durch Sie gedacht, gefühlt, und in
Musik gegeben habe.“
Man kann sich Beethovens Begeisterung über den freiheitsliebenden Grafen gut
vorstellen. Er kann gar keine rein illustrative Musik schreiben, dazu liegt ihm das Drama
viel zu sehr am Herzen. Nein, Beethoven untermalt nicht mehr nur oder schmückt aus,
sondern agiert und interpretiert, entwickelt Charaktere, schafft Atmosphäre, zeigt
Emotionen, ungeheuer suggestiv, bildhaft.
Nach Egmonts Verhaftung, bei seinem Abgang von der Bühne donnert er einen
gellenden Schrei, einen Dominantseptakkord aus dem Orchester, ohne Pause geht es in
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das Innenleben des Helden, wechselt vom äußeren Geschehen zum inneren, bis hin zur
Traumszene. Egmont sieht in seinem Kerker eine Lichtgestalt, die Freiheit und zugleich
seine Geliebte „Hinter dem Lager scheint sich die Mauer sich öffnen“, notiert Goethe als
Regieanweisung, „eine glänzende Erscheinung zeigt sich. Die Freiheit in himmlischem
Gewande, von einer Klarheit umflossen ruht auf einer Wolke. Sie hat die Züge von
Klärchen und neigt sich gegen den schlafenden Helden. Sie scheint ihn zu beklagen.
Dann fasst sie sich und ihn froh sein. Indem sie ihm andeutet, dass sein Tod den
Provinzen die Freiheit verschaffen werde, erkennt sie ihn als Sieger und reicht ihm den
Lorbeerkranz.“
Beethoven vertont den Text als Melodram, also als gesprochenen Text mit Musik.
Die Orchestereinwürfe spiegeln Egmonts Emotionen, seine Trauer, seine Hoffnung und
seine Ruhe, die immer deutlicher über ihn kommt, fast hypnotisch wird. Nach nur neun
Takten schläft Egmont ein und nimmt damit den Tod vorweg, der auf ihn wartet.
Musik 10:
Beethoven: Egmont Melodram
Take 14+15
5‘27
Oehms classics LC 12424 Best.Nr. 767
Egmonts Melodram mit Tobias Moretti, eine Szenenmusik, in der immer wieder nur Musik
und Bilder sprechen, still, intim, fast entrückt. Ein hinreißender Moment. Dann der
Schluss. Fest entschlossen, aufrecht geht Egmont dem Tod entgegen. Eine triumphale
Hymne, der Sieg der Freiheit über die Tyrannen, Egmont stirbt nicht umsonst, sondern
für eine bessere Zukunft. „Musik“ schreibt Goethe in die Regieanweisung, nur einfach
„Musik“. Außergewöhnlich für den Dichter, dem ja sonst nie die Worte fehlen. Ist hier der
Punkt erreicht, an dem die Sprache endet, an dem nur noch Töne etwas sagen können?
Musik 11:
Beethoven: Egmont Schluss
Track 16 (ab 2’28)
Oehms classics LC 12424 Best.Nr. 767
1‘55
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