Zusammenfassung der Ergebnisse und der Arbeit Alterität als kulturelle Herausforderung des Klonens. Eine Rekonstruktion bioethischer und literarischer Verhandlungen Die Dissertation greift das Thema des sogenannten reproduktiven Klonens auf, d.h. die Methode, mit der das Schaf Dolly in Schottland gezeugt wurde. Mögliche Konsequenzen einer Anwendung der Technik auf Menschen wurden von 1996–2006 in Bioethik, Recht und öffentlichem Diskurs intensiv debattiert und werden derzeit angesichts neuer Entwicklungen der Stammzellforschung und Gentherapie wieder virulent. Die Dissertation wendet sich dem Thema aus einer Perspektive zu, welche die interdisziplinäre Bioethik ins Verhältnis zur Geschlechterforschung setzt. Damit werden nicht nur bioethische Urteile kontextualisiert, sondern es wird zudem das Materialkorpus erweitert: Anhand einer Überblicksdarstellung von 40 deutschen und englischen Romanen wird das Motiv des Klons im 20. Jahrhundert kulturvergleichend untersucht. Ergänzend dazu umfasst die Dissertation sieben Einzelanalysen, die von sehr bekannten Romanen wie Aldous Huxleys Brave New World (1932) über breit rezipierte Texte wie Kazuo Ishiguros Never Let Me Go (2005) bis hin zu gänzlich unerforschten wie Hans-Ulrich Horsters Klon-Kind Uli (1981) reichen. Bereits die Einleitung der Dissertation verwendet diese Romane, um die Klon-Debatte jenseits einer reinen Abwägung von Nutzen und Risiken als moralisches, kulturelles und gesellschaftliches Phänomen zu verorten. Gerade Romane verdeutlichen durch ihre soziale und emotionale Einbettung der Figuren, dass unsere Einstellungen zum Klon auf drei Weisen ausgestaltet sein können: Erstens können wir ihm als moralischem Gegenüber begegnen. Zweitens können diese Szenarien mit Bedeutungszuschreibungen des Klons als heteronomer (fremdbestimmte) Figur am Rand der Gesellschaft einhergehen. Drittens kann der Klon aufgrund seiner asexuellen Entstehung und genetischen Duplizierung als etwas genuin Fremdes, d.h. Monströses und Unnatürliches erscheinen. Diese drei Möglichkeiten der Bedeutungszuschreibung stellt die Einleitung in den theoretisch zentralen und für die Bioethik innovativen Kontext der Alterität. Im zweiten Kapitel wird die methodologische Grundlage zur Rekonstruktion moralischer Überzeugungen formuliert. Diese Analyse verfolgt das Anliegen, Alteritätskonstruktionen in der ethischen Debatte selbst sichtbar zu machen, deren Entstehung sich unter Einbeziehung von historischen und diskursanalytischen Vorstudien dokumentieren lässt. Ausgehend 1 von bisherigen Ansätzen narrativer Bioethik formuliert dieses Kapitel einen Ansatz, der Literatur systematisch in diese Untersuchungen einbezieht. Indem Romane als Szenarien verstanden werden, die die Situation (potentiell) Betroffener erzählen, stellen sie die Nutzung einer Technik in einen zwar fiktiven, aber doch lebensweltlichen Kontext. Zudem wird Literatur als methodischer Impuls zur Rekonstruktion, d.h. kritischen Analyse der impliziten Normierungen und Wertvorstellung in der ethischen Debatte genutzt: Die literarische Thematisierung gibt den begründeten Anlass dafür, moralische Überzeugungen daraufhin zu befragen, welche Gründe für moralisches Handeln ihnen in Bezug auf Alterität ihnen zugrunde liegen. Moralische Überzeugungen rekonstruiert die Arbeit nicht nur als Grundlage für bioethische Argumente, sondern auch für Romane als Ergebnis von Interpretationsprozessen (moralische Überzeugungen eines hypothetischen Autors). Das Konzept der Verhandlung bezieht sich also auf die intersubjektive Diskussion der Richtigkeit moralischer Überzeugungen in einem kommunikativen Prozess zwischen Literatur und Bioethik, die dadurch zugleich für Kritik und Veränderung zugänglich wird. Durch eine Analyse der bioethischen Debatte mithilfe der Kategorien Individualität, Familienformen und Handlungsspielräume zeigt sich im nächsten Kapitel, wie der Klon unterschiedliche Formen der Alterität auch in der bioethischen Debatte repräsentiert. Hier geht es nicht nur um die Möglichkeiten und Grenzen technischer Innovationen, sondern auch um die diskursive Verhandlung kultureller Vorstellungen von Identität, Verwandtschaft und agency. Anhand ausgewählter ethischer Positionen kann die Arbeit zeigen, dass beim Verwenden von Klon-Szenarien und beim Sprechen über die Zukunft stets moralische Überzeugungen verhandelt werden, die im konkreten Bezug zu ihrer Gegenwart stehen. Hieran schließen zwei historische Kapitel an, die die Verhandlung des Klonens im 20. Jahrhundert beleuchten: Ausgangspunkt sind die Forschungen Hans Spemanns, ab 1914 Direktor des Kaiser-Wilhelm-Institutes für Biologie in Berlin-Dahlem. Er formuliert ein ›fantastisches Experiment‹, nämlich den Kern einer ausdifferenzierten Zelle in eine entkernte Eizelle zu transferieren, um zu sehen, wie diese sich entwickelt – die erste Idee des Klonens. Von hieraus stellt die Arbeit die Technik und ihre ethische Diskussion in ihrem historischen Verlauf in Deutschland und Großbritannien dar, wobei die jeweiligen kulturelle Kontexte mittels literarischer Überblicksdarstellungen und Einzelanalysen berücksichtigt werden. Dabei liegt der Fokus auf der Frage, in welchen Textformen der Klon Bedeutungszuschreibungen des moralischen Gegenübers, des heteronomen Subjekts/Forschungsobjekts oder des genuin Fremden erhält – wie also Alterität als zentrale gesellschaftliche und kulturelle 2 Herausforderung verhandelt wird. Virulent wurde dies z . B . bei der Unterscheidung zwischen ›normalen‹ und ›missgebildeten‹ Embryonen und bei der Abgrenzung zwischen sog. ›reproduktivem‹ und ›therapeutischem‹ Klonen. Die Analyse zeigt, dass hier sprachlich fortwährend Ausschlüsse produziert werden, indem zwischen ›richtigen‹ und ›rekonstruierten‹ oder ›vorstufigen‹ Embryonen unterschieden wird. Die Ergebnisse verdeutlichen, dass es sich aus zwei Gründen lohnt, einen erneuten Blick auf das Klonen zu werfen: Erstens wird Alterität in der bioethischen Fachdebatte und im rechtlichen Diskurs selbst konstruiert, was für die gesellschaftliche Diskussion durchaus relevant ist. Zweitens greifen Romane diese Konstruktion in unterschiedlicher Form auf, indem sie sie bestätigen, bereichern oder auch unterwandern. Besonders literarische Szenarien, die den Klon als gleichberechtigtes Gegenüber darstellen, zeigen, dass seine Betrachtung als gleichgeschaltetes und fremdes bzw. fremdbestimmtes Wesen nicht evident ist. Eine Auseinandersetzung mit Literatur sensibilisiert dafür, dass die Wahrnehmung einer Technik oder einer medizinischen Handlung nicht außerhalb kultureller, gesellschaftlicher und epistemischer Standpunkte geschieht. Vielmehr prägt gerade die Wahrnehmung die Ausbuchstabierung eines Szenarios und auch dessen Bewertung. Dies zeigt nicht zuletzt der Kulturvergleich: Durch die Analyse wird deutlich, dass das Klonen in Deutschland eher als Bruch mit kulturellen Traditionen wahrgenommen wird, während es in Großbritannien eher als Fortsetzung des menschlichen Handlungsspielraums interpretiert wird. Ein weiteres Ergebnis ist, dass bestimmte Argumentationsmuster und moralische Urteile im Diskurs immer wieder auftauchen, wenn sich neue technische Entwicklungen zum Klonen ergeben. Individualität, Familienformen und Handlungsspielräume sind nämlich bereits seit den 1970er Jahren zentrale Themen der immer wiederkehrenden Debatte. Während diese jedoch nach einem Skandal um den südkoreanischen Forscher Hwang Woo-Suk im Jahr 2005 in der Bioethik ad acta gelegt wurde, forschten Biologie und Medizin ununterbrochen weiter – was erst kürzlich zu neuen Diskussionen um Stammzellforschung und Gene Editing führte. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob die Bioethik nur über Forschungsergebnisse diskutieren sollte, die jeweils öffentliche Aufmerksamkeit erhalten, oder auch nach derartigen Skandalen weiter kritisch urteilen sollte. Hieraus leitet sich die zentrale Forderung der Dissertation ab, im Zuge dieser neuer Debatten zu bedenken, was die Artikulation moralischer Überzeugungen über die Zukunft in der Gegenwart bedeuten können und was sie über den situierten Standpunkt der Argumentierenden aussagen. 3