Technologie IsolIerstoffe Technologie MatérIaux Isolants Alternativen zu SF6 in der Mittelspannungstechnik Vor- und Nachteile verschiedener Isolationsmedien Schaltanlagen sind eine der Schlüsselkomponenten in elektrischen Übertragungs- und Verteilnetzen. Mit ihnen lässt sich die Versorgung nach Bedarf lenken. Ausserdem schützen sie die Infrastruktur beim Eintritt von Fehlern. Um sie kompakt machen zu können, wird heute oft Schwefelhexafluorid (SF6) eingesetzt. Da dieses Gas um Grössenordnungen klimaschädlicher als CO2 ist, wenn es beispielsweise bei Lecks an Schaltanlagen austritt, ist es sinnvoll, nach Alternativen zu suchen. Michael Müller In der Schweiz kommen in den regionalen Verteilnetzen meist Mittelspannungsschaltanlagen mit Bemessungsspannungen von 1 kV bis maximal 36 kV vor. Die meisten Mittelspannungsschaltanlagen setzen sich aus einer Anreihung von Feldern zusammen, die über eine Sammelschiene miteinander elektrisch verbunden sind. Ein Feld kann mit Lasttrennschaltern oder, für Schutzzwecke, mit Leistungsschaltern ausgerüstet sein. Im Sammelschienenraum sowie im Leistungsschalterraum müssen die Pole isoliert werden. Beim Öffnen eines Schaltelements müssen die Schaltkontakte einen Strom zuverlässig unterbrechen. Die Verfahren zur Isolation und der Umsetzung der Schaltkontakte variieren zwischen den Herstellern und deren Anlagen. auf den Kontaktflächen entgegenwirkt. Beim darauffolgenden Nulldurchgang des Stromes erlöscht der Lichtbogen zwischen den relativ kühlen Kontaktflächen. So kommt es beim nächsten Spannungsanstieg zu keiner Stossionisation des Isoliermediums und die erneute Zündung des Lichtbogens bleibt aus. MS-Leistungsschalter: gestern und heute Bis in die 1930er-Jahre wurden Ölkesselschalter gebaut, bei denen die Schaltkontakte im Ölbad geschaltet wurden. Ölkesselschalter wurden durch Expansionsschalter abgelöst und sind heute praktisch ausgestorben. Bei Expansionsschaltern nutzt man den Effekt aus, dass der Lichtbogen auf Wasser einwirkt, und Dampf und Wasserbestandteile mit hohem Druck erzeugt. Nach vollständiger Öffnung der Schaltkontakte wird das Gasgemisch schlagartig expandiert, wodurch dem Lichtbogen die Energie zum Weiterbrennen entzogen wird. Auch diese Schaltertypen sind veraltet und heute kaum noch im Einsatz. Sie wurden bis in die 1960er-Jahre gebaut. Von den 1940er- bis in die 1980erJahre kamen Druckluftschalter zum Einsatz, bei denen die ionisierte Luft mit einer Druckluftdüse weggespült und somit der Lichtbogen ausgeblasen wird. Da diese Schalter sehr wartungsintensiv sind, werden sie kontinuierlich ersetzt und sind heute nur noch selten anzutreffen. Die heute noch oft im Einsatz stehenden Ölströmungsschalter wurden von den 1960er-Jahren an bis in die Neunziger Jahre eingesetzt. Die Zersetzung des Schalteröls durch den Lichtbogen erzeugt Wasserstoffgas mit hohem Druck. Anders als beim Ölkesselschalter wird die Ölströmung durch den Druck in verschiedene Richtungen gelenkt, was zu einer wesentlich intensiveren Kühlung führt. In den letzten 4 Jahrzehnten kamen immer wieder Selbstblasschalter mit SF6 als Löschmedium auf den Markt. Solche Schalter haben den Vorteil, dass die kühlende Gasströmung ebenfalls durch den Schaltlichtbogen angetrieben wird, und Schaltlichtbogen löschen Leistungsschalter müssen für Schutzzwecke in der Lage sein, auch Ströme im zweistelligen kA-Bereich zuverlässig zu trennen. Der dabei entstehende Lichtbogen muss gelöscht werden, wobei verschiedene Konzepte Anwendung finden. Die Löschung erfolgt aber immer nach dem gleichen Grundprinzip: Durch schlagartiges Öffnen der Kontakte wird der entstehende Lichtbogen verlängert. Zusätzlich kann die Verlängerung durch ein magnetisches Feld unterstützt werden, das den Lichtbogen von den Kontakten wegtreibt. Dem Lichtbogen wird nun innere Energie – Wärme – entzogen, was der Glühemission von Elektronen Bild 1 Feststoff­ isolierte 24 ­kV­ Kompaktanlage mit 5 Feldern. Bulletin 12 / 2012 37 Durchschlagsfestigkeit Luft SF6 140 Luft 120 100 100 80 60 40 20 0,01 Paschenkurve 1000 Durchschlagsspannung / kV Elektrische Feldstärke / kV/cm 160 Bilder: NSE Technologie IsolIerstoffe Technologie MatérIaux Isolants 10 1 0,1 1 10 100 Elektrodenabstand / cm Bild 2 Durchschlagsfestigkeit im homogenen Feld [11]. 0,1 0,0001 0,001 0,01 0,1 Abstand / cm 1 10 100 Bild 3 Paschenkurve für Luft mit Kupferelektroden [11]. dadurch die Antriebsenergie zum Schalten verhältnismässig gering ist. Diese Technik ist relativ aufwendig. Bei Störfällen und bei der Entsorgung sind durch die teilweise gesundheitsgefährdenden Reaktionsprodukte spezielle Sicherheitsmassnahmen zu treffen. Sie sind für Schaltanlagen mit Bemessungsspannungen über 50 kV prädestiniert. Vakuumschalter sind die jüngsten Schaltertypen. Sie zeichnen sich durch Wartungsfreiheit und exzellente Schalteigenschaften aus. Das Lichtbogenplasma besteht aus Metalldampf, der nach dem Schaltvorgang auf den Polen kondensiert und für nachfolgende Schaltvorgänge wieder zur Verfügung steht. Für die Trennung von Kurzschlussströmen ist beim Design darauf zu achten, dass es nicht zu einer lokalen Überhitzung der Kontaktflächen kommt. Der Lichtbogen lässt sich durch ein axiales Magnetfeld diffus verteilen oder durch ein radial gerichtetes Magnetfeld ablenken – der Lichtbogen wandert dann radial auf der Kontaktfläche. Die erforderlichen Magnetfelder werden durch ausserhalb der Schaltröhren liegende Spulen oder Formgebung der Kontakte erzeugt [1]. Isolation der Schaltanlage Die Isolationsfestigkeit einer Schaltanlage hängt im Wesentlichen von der Durchschlagsfestigkeit des Isolationsmediums und der Distanz der voneinander zu isolierenden Potenzialen ab. Traditionell sind Sammelschienenräume und Schalterräume durch die Umgebungsluft isoliert. Offene Anlagen, wie sie heute in der Schweiz noch oft anzutreffen sind, entsprechen nicht mehr dem Stand der Technik. Der Personenschutz, die Ersatzteilhal- 38 Bulletin 12 / 2012 tung und die aufwendige Erweiterung solcher Anlagen sprechen häufig für einen Ersatz. Dennoch haben solche Anlagen nicht selten Lebenszyklen von über 40 Jahren, was für ihre Zuverlässigkeit und Unterhaltbarkeit spricht. Die Isolationsfestigkeit hängt massgeblich vom Luftdruck und von der Verschmutzung ab. Kleintiere, die an spannungsführende Teile geraten, bilden eine grosse Gefahr. Beim Ersetzen solcher Anlagen oder beim Bau neuer Stationen kommen vielfach SF6-isolierte Kompaktanlagen mit Vakuum-Leistungsschaltern zum Einsatz. SF6-isolierte Schaltanlagen sind hochkompakt, weil SF6 im Gegensatz zu Luft eine rund dreimal höhere Durchschlagsfestigkeit aufweist (Bild 2). Dadurch lassen sich die Potenzialabstände verringern, was Platz spart. Selbstverständlich sind die Räume in gasgefüllten Anlagen gekapselt. Das führt zur Überlegung, ähnlich wie bei den Schaltröhren ein Hochvakuum zu erzeugen. Die Kapselung unterläge allerdings dem Umgebungsdruck von rund 1 bar (1 kg/cm²), was aufwendig umzusetzen wäre. Mit einem Überdruck von rund 3 bar, beispielsweise mit Luft, liessen sich zu SF6 bei Normaldruck vergleichbare Isolationsfestigkeiten erzielen (Bild 3). Man unterläge zwar nicht den Vorschriften für Druckbehälter [3], müsste jedoch massive konstruktive Massnahmen vornehmen. Da Stickstoff (Luft besteht zu 78 % aus N2) zwar eine bessere Wärmeleitfähigkeit, aber massiv schlechtere Konvektionseigenschaften als SF6 aufweist, müsste die Formgebung der stromführen- den Teile verändert werden, um eine ausreichende Kühlung zu erreichen. Zudem wären auch beispielsweise an Isolatoren Designmassnahmen zur Feldsteuerung an den Grenzflächen notwendig [3]. Aus diesen Gründen könnte eine Schaltanlage mit so hohen Druckunterschieden zur Umgebungsluft vermutlich nicht kompakt und wirtschaftlich realisiert werden. SF6 in Schaltanlagen Die Leckraten von SF6-isolierten Schaltanlagen wurden in den letzten Jahrzehnten massiv verringert. So ist durch hermetische Versiegelung und den Fülldrücken von etwa 0,2 bis 1 bar ein Gasverlust von 0,1 % pro Jahr heute keine Seltenheit mehr. So soll bei einer Einsatzdauer von 40 Jahren keine Wartung nötig sein, weshalb einige Hersteller sogar auf den Einsatz eines Manometers verzichten. Es ist nicht im Detail bekannt, wie die Verteilung der SF6-Emissionen im Lebenszyklus tatsächlich aussieht. Sicher ist, dass auf 4 % Verlust durch Leckage noch ein grösserer Teil von rund 11 % im Wiederverwertungszyklus hinzukommen. Somit werden nur rund 85 % des im Einsatz befindlichen SF6 recycelt [4]. Auf eine Anlage mit einer Befüllmenge von 10 kg SF6 (ein Feld enthält etwa 1 kg) ergäben sich somit 1,5 kg SF6Ausstoss. SF6 ist 23 000 mal klimawirksamer als CO2 [5]. Im Vergleich mit einem Kleinwagen, der 120 g/km CO2 ausstösst, entspricht dies einer gefahrenen Strecke von rund 290 000 km. Die Handhabung von SF6 ist relativ einfach. SF6 ist ungiftig, farb- und ge- Technologie IsolIerstoffe Technologie MatérIaux Isolants Material zu Isolierung Isolationseigenschaften Alterungseigenschaften und Wartung Entflammbarkeit Umweltaspekt Gesetzliche Aspekte Gefährliche Nebenprodukte Preis Luft, N2 Öl + ++++ Epoxid +++ SF6 +++ + –– + + ++++ ++ ++++ + ++ –– – ++++ – – + + ++++ – ++ + –– ––– –– +++ ruchslos und lässt sich mit einer Dichte von 6,63 kg/m³ fast schon wie eine Flüssigkeit umgiessen. Problematisch sind die Nebenprodukte, die bei Schalt- und Störlichtbögen entstehen. Mit Abstand am giftigsten ist das flüssige S2F10. Die maximale Konzentration der Dämpfe in der Luft, in der noch gearbeitet werden darf, beträgt gerade mal 0,025 ppm. Die überragende Toxizität entsteht allerdings durch die anfallenden Mengen von SOF2-Gas, dessen Grenzwert bei 1 ppm liegt [6]. Nebst den giftigen Gasen entstehen auch Salze wie ätzendes CuF2, reizendes AlF3, bei Vorhandensein von Wolfram WO3 und sehr giftiges und ätzendes WF6 [8], das zwischen 2 °C und 17 °C [7] flüssig ist. Die anfallenden Nebenprodukte müssen so gehandhabt werden, dass Mensch und Umwelt nicht in Mitleidenschaft gezogen werden. Gesetzliche Aspekte In der schweizerischen systematischen Rechtssammlung untersteht SF6 der Verordnung zur Reduktion von Risiken beim Umgang mit bestimmten besonders gefährlichen Stoffen, Zubereitungen und Gegenständen. Darunter fällt SF6 unter die in der Luft stabilen Stoffe, deren Zubereitung, Einfuhr und Verwendung grundsätzlich verboten ist. Unter umfassender Meldepflicht gibt es eine Reihe von Ausnahmen für Spezialanwendungen. So auch für elektrische Versorgungsanlagen mit Bemessungsspannungen von über 1 kV, sofern diese überwacht oder hermetisch abgeschlossen sind. Diese Ausnahme gilt nur bei umweltgerechter Entsorgung, wenn Emission und Verwendung so gering wie möglich gehalten werden, und vor allem, wenn gemäss dem Stand der Technik ein vergleichbarer Ersatz fehlt [9]. Die Pflichten des Betreibers für den Umgang mit SF6 in Schaltanlagen ist in der Schweizerischen Starkstromverordnung Abs. 3, Art. 40 festgelegt. Alternativen Zur Isolation von Mittelspannungsschaltanlagen kann auf SF6 verzichtet werden. Manche Hersteller verwenden Tabelle Bewertung der hauptsächlich ein­ gesetzten Isolations­ medien [10]. dafür beispielsweise Öl. Entscheidende Vorteile bringt allerdings die Feststoffisolation (Tabelle). Da Feststoffisolation nicht entweichen kann, ist ihre Handhabung über den gesamten Lebenszyklus hinweg unproblematisch und kommt ohne Überwachung aus. Weit verbreitet und bewährt ist die Feststoffisolation bei Spannungsund Stromwandlern. In Schaltanlagen werden Vakuumschaltröhren in Epoxid oder in Polyurethan eingegossen, um kurze Schaltröhrenlängen und kleine Polabstände im Schalterraum zu erreichen [2]. Auch Sammelschienen in Kompaktanlagen sind oft vergossen. Hersteller wie Eaton haben über 25 Jahre Erfahrung in der Feststoffisolierung und ihre Anlagen gelten als zuverlässig und ausgereift. Luft weist als Isolationsmedium bestechende Vorzüge auf, weshalb auch alte Anlagen noch lange im Einsatz bleiben und viele namhafte Hersteller weiterhin luftisolierte, gekapselte Anlagen anbieten. Da die Durchschlagsfestigkeit von Luft allerdings begrenzt ist, muss für den Bau von Kompaktanlagen auf alternative Isolationsmedien ausgewichen werden. Der Einsatz von Öl ist zwar wegen der ausgezeichneten Isolationseigenschaften interessant, aber die Anzahl der wenn auch nur geringen Nachteile überwiegt (konstruktiver Aufwand, Risiko des Ölverlustes), sodass eher nicht mit einem Durchbruch zu rechnen ist. SF6 und Epoxidharz haben sehr gute Isolationseigenschaften, die Alterung und Wartung von Anlagen beider Konzepte ist heute unproblematisch. Bezüglich Umweltverträglichkeit ist SF6 dem Epoxidharz deutlich unterlegen. Feststoffisolierte Schaltanlagen sind genauso kompakt wie SF6isolierte Anlagen und mittlerweile tausendfach bewährt. Sie bieten eine echte Alternative. Vakuum-Schaltröhren sind ausgereift und bieten zweifelsfrei gute Eigenschaften, um Kurzschlussströme zuverlässig auszuschalten. Sie sind verschleissarm und einfach in der Handhabung. Zukunftsorientierte Mittelspannungsanlagen sind daher feststoffisoliert und verfügen über Vakuumschaltröhren Résumé Les alternatives au SF6 en matière de technologie moyenne tension Les avantages et les inconvénients de différents isolants Les postes électriques constituent l’un des composants-clés des réseaux de transmission et de distribution. Ils permettent de diriger l’approvisionnement en fonction des besoins. De plus, ils protègent également les infrastructures en cas de défauts. L’hexafluorure de soufre (SF6) est souvent utilisé à l’heure actuelle afin de pouvoir réaliser ces installations d’une manière compacte. Sachant que ce gaz est davantage nuisible au climat que le CO2 lorsqu’il se dégage dans l’atmosphère, à titre d’exemple, lors de travaux d’entretien réalisés sur les postes électriques, il est judicieux de lui rechercher des alternatives. Les postes de moyenne tension disposant d’une isolation sous forme solide et de disjoncteurs sous vide représentent une solution satisfaisante. Un tel équipement permet de renoncer entièreNo ment au SF6. (Bild 1). So lässt sich völlig auf SF6 verzichten. Referenzen W. Castor: Grundlagen der elektrischen Energie­ versorgung Seminar 4 – Schaltgeräte, 2007, Fach­ bibliothek Haag, S. 222 – 224. [2] Electrical Review, Vol. 238, No 5, S. 20 – 21. [3] A. Reimüller, SF6­isolierte Schaltanlagen bis 52 kV, 2005, ABB, S. 1 – 7. [4] Eaton, New evidence about global SF6 emissions, 2011, Green Switching, S. 26. [5] Green Switching, Umweltfreundliche Schaltanla­ gen, Stand 24.02.2012. [6] A. H. Powell, Environmental aspects of the use of Sulphur Hexafluoride, 2002, ERA Technology Ltd., S. 11 – 12. [7] http://de.wikipedia.org/wiki/WF6, Stand 24.02.2012. [8] M. Averyt, SF6 By­products: Safety, Cleaning, and Disposal Concerns, 2006, ICF International, S. 4 – 6. [9] Verordnung zur Reduktion von Risiken beim Um­ gang mit bestimmten besonders gefährlichen Stoffen, Zubereitung und Gegenständen 814.81 Schweizerisches Landesrecht, 2005. [10] W. M. M. Mensheere, G. C. Schoonenberg, J. Ver­ straten, R. Vervaet, Insulating and Switching Media in Medium Voltage Distribution and Medium Voltage Motor Control, 2008, S. 4. [11] Valentin Crastan, Elektrische Energieversorgung 1, 2. Auflage, 2007, Springer, S. 99 – 103. [1] Angaben zum Autor Michael Müller, Dipl. Ing. FH, arbeitet zur Zeit als Netzschutz­ ingenieur bei NSE AG. Zuvor war er als Inbetriebsetzungsingenieur für Mittelspannungs­Umrichter­ systeme in der Windbranche tätig. NSE AG, 5610 Wohlen, [email protected] Bulletin 12 / 2012 39