Kristallisationsgeschwindigkeit - Institut für Physikalische Chemie

Werbung
TU Clausthal
Institut für Physikalische Chemie
Grundpraktikum
18. KRISTALLISATIONSGESCHWINDIGKEIT
Stand 03/11/2006
Kristallisationsgeschwindigkeit
1. Versuchsplatz
Komponenten:
- U-Rohr mit Versuchssubstanz
- Thermometer
- Bechergläser
- Bunsenbrenner
2. Allgemeines zum Versuch
Viele Werkstoffe sind kristallin (Metalle, Keramiken) oder teilkristallin (50% der technischen
Polymere) und kommen während ihrer Herstellung oder Verarbeitung auch im flüssigen Zustand
vor. Der Übergang in den festen Zustand erfolgt nach Abkühlen bis unter den Schmelzpunkt.
Während der Erstarrung geht die Anordnung der Atome aus einer Nahordnung in eine
Fernordnung über. Diese Umwandlung erfolgt in zwei Schritten. Im ersten Schritt findet die
Keimbildung statt. Sie endet mit der Herausbildung wachstumsfähiger stabiler Partikel (Keime).
Die zweite Stufe umfasst die Phase des Wachstums. Während des Wachstums lagern sich
kontinuierlich weitere Atome an die vorhandenen Keime und schon entstandenen Kristallite an,
bis die Schmelze vollständig aufgebraucht ist.
Keimbildung
Am Schmelzpunkt erfolgt der
Übergang aus der flüssigen in die
feste Phase. Die Erklärung hierfür
wäre die geringere freie Volumenenergie des Festkörpers im Vergleich zur Flüssigkeit. Die frei
werdende Energiedifferenz beträgt Abb. 1 Übergang vom flüssigen in den festen Zustand
∆GV und wächst mit dem Volumen
des Festkörpers an.
Gleichzeitig entsteht jedoch mit der festen Phase auch eine Grenzfläche zur umgebenden
Flüssigkeit (Abb.1). Diese Grenzfläche ist mit einer freien Oberflächenenergie verbunden, die
ebenfalls mit der Größe des Festkörpers anwächst. Die Gesamtänderung der Energie ergibt sich
1
TU Clausthal
Institut für Physikalische Chemie
Grundpraktikum
18. KRISTALLISATIONSGESCHWINDIGKEIT
somit aus der Bilanz
Oberflächenenergie:
der
freigesetzten
Volumenenergie
und
Stand 03/11/2006
der
verbrauchten
4
∆G = p r 3 ∆GV + 4p r 2σ
3
Hierbei bedeuten 4/3πr3 das
Volumen
des
kugelförmigen
Keimlings mit dem Radius r, 4πr2
seine Oberfläche, σ die freie
Oberflächenenergie und ∆GV die
freie Volumenenergie, die mit
negativem Vorzeichen in diese
Abb. 2 Die freie Gesamtenergie bei der Erstarrung
Bilanz eingeht (Abb. 2). Solange
ändert sich mit der Größe des Körpers
der Festkörper noch sehr klein ist
(im Radius kleiner als r* in der Abbildung), nimmt seine freie Gesamtenergie beim Wachsen zu.
Daher möchte er sich wieder auflö sen und Energie abgeben. Er befindet sich in dem noch
instabilen Stadium des Embryos (Vorkeim) (Abb.3). Die Schmelze ist unterkühlt. Die Differenz
von Gleichgewichtsschmelztemperatur TS und vorliegender Temperatur T ist die Unterkühlung.
Erst nach Überschreiten von r*
(s. Abb. 2) nimmt die Gesamtenergie
mit wachsendem Radius ab. Aus
dem Vorkeim hat sich ein stabiler
Keim entwickelt.
Die Keimbildungs phase ist abgeschlossen, und
es beginnt die Wachstumsphase.
Aber auch oberhalb der Schmelztemperatur können sich in kleinen
Bereichen Atome ordnen. Diese
Bereiche werden als Kluster
bezeichnet; sie dienen als Ausgangsstufe für die Vorkeime.
Abb. 3 Kluster, Vorkeime und Keime in Abhängigkeit von der Unterkühlung
Bei geringer Unterkühlung kann es
vorkommen, dass die „großen“
Keime auf Kosten der „kleinen“ Embryonen wachsen („die Großen fressen die Kleinen“).
Dieser Vorgang wird als Ostwald-Reifung bezeichnet. Ostwald- Reifung findet auch beim
Bearbeiten von heißen Metallteilen statt. Nach vielen Bearbeitungsschritten hat sich die mittlere
Korngröße erhöht. Da Korngrenzen bei Metallen stark zur mechanischen Festigkeit beitragen,
ist dieser Prozess in der Regel unerwünscht. Umgekehrt muss man bei geringer Unterkühlung
2
TU Clausthal
Institut für Physikalische Chemie
Grundpraktikum
18. KRISTALLISATIONSGESCHWINDIGKEIT
Stand 03/11/2006
arbeiten, wenn man große Einkristalle erhalten will. Man muss die Anzahl der Keime klein
halten.
Unter homogener Keimbildung versteht
man die Keimbildung in der reinen
Schmelze ohne Beteiligung von Fremdkörperoberflächen. Sie setzt eine ausreichend große Unterkühlung voraus.
Durch die niedrige Temperatur können
sich erstens mehr Atome anhäufen und
größere Vorkeime bilden, und zweitens
verringert sich der kritische Radius r* als
Folge
des
größeren
energetischen
Unterschieds von flüssiger und fester
Phase. Homogene Keimbildung spielt
Abb. 2 Glatte Erstarrungsfront
kaum eine Rolle. Praktisch findet die
Keimbildung an Verunreinigungen oder Behälterwänden statt, deren Oberflächen hierfür
günstige energetische Bedingungen bieten. Die Keimbildung erfordert wegen der verringerten
Grenzfläche weniger Atome, und die notwendige Unterkühlung ist damit geringer. Diese auf
Fremdoberflächen stattfindende Keimbildung wird als heterogene Keimbildung bezeichnet.
Häufig werden den Schmelzen absichtlich Fremdpartikel zugesetzt. Diesen Vorgang bezeichnet
man als Kornfeinen oder Impfen.
Nachdem die Keimbildung abgeschlossen ist, wächst der Festkörper
durch Anlagerung von Atomen aus
der Schmelze weiter an.
Das
Kristallwachstum
ist
ein
im
wesentlichen kinetisch bestimmter
Prozess. Die äußere Form der
Kristalle
(der
Kristallhabitus,
Nadeln, Plättchen, Kuben, ...) wird
dadurch bestimmt, welche Kristallflächen am schnellsten Wachsen.
Der Kristallhabitus kann durch
wachstumshemmende Agentien beeinflusst werden. Zu solchen Mitteln
greift man z. B. um Streusalz in
kubischer Form (rieselfähig) zu
erhalten.
Abb. 3 Dendritisches Wachstum
3
TU Clausthal
Institut für Physikalische Chemie
Grundpraktikum
18. KRISTALLISATIONSGESCHWINDIGKEIT
Stand 03/11/2006
Der Wachstumsvorgang hängt vom Abtransport der freigesetzten Wärme ab. Diese besteht aus
zwei Anteilen: der spezifischen Wärme der Schmelze und der latenten Erstarrungswärme.
Spezifische Wärme wird freigesetzt, wenn sich die Schmelze bis auf die Erstarrungstemperatur
abkühlt. Die latente Wärme wird erst beim Erstarrungsvorgang frei.
Wenn sich die Temperatur der Schmelze oberhalb
der Erstarrungstemperatur befindet, können sich an
der Wachstumsfront keine Erhebungen ausbilden.
Die Grenzfläche zur Schmelze verschiebt sich
planar. Die latente Wärme wird von der
Grenzfläche durch den Festkörper abgeleitet.
Bei schwacher Keimbildung unterkühlt sich die
Schmelze, bevor die Erstarrung einsetzt.
Bei
unterkühlter Schmelze können Erhebungen auf der
Grenzfläche fest/flüssig schnell als Dendriten
anwachsen. Die latente Erstarrungswärme wird an
die Schmelze abgeführt und deren Unterkühlung
dadurch vermindert. Dendriten wachsen solange,
bis die unterkühlte Schmelze sich auf Erstarrungstemperatur erwärmt hat.
Die Endgröße eines Kornes ist abhängig von der
Anzahl der Keime und ihrer Verteilung. Die
Kristallisationsgeschwindigkeit (Kristallvolumen
pro Zeiteinheit) hängt vom Unterschied der freien
Energie zwischen der Schmelze und dem Kristall ab,
Abb. 4 Errstarrungsgesetze
der mit zunehmender Unterkühlung zunimmt. Die
Kristallisationsgeschwindigkeit ist außerdem von der
Beweglichkeit der Atome abhängig, die mit zunehmender Unterkühlung abnimmt. Diese
Beweglichkeit betrifft vor allem die laterale Diffusion von adsorbierten Atomen auf den
Kristallflächen. Dadurch ergibt sich für eine bestimmte Temperatur ein Maximum (Abb. 6).
Außerdem muss berücksichtigt werden, dass in der Grenzfläche die Schmelzwärme frei wird.
Die Erstarrung kann erst fortschreiten, wenn die Wärme abgeführt wird. Die
Erstarrungsgeschwindigkeit ist daher durch die Geschwindigkeit der Wärmeabfuhr begrenzt.
3. Orientieren Sie sich über
−
−
−
−
Oberflächenerscheinungen
reale Kristalle
Grundzüge der Thermodynamik
Gitterenergie
4
TU Clausthal
Institut für Physikalische Chemie
Grundpraktikum
18. KRISTALLISATIONSGESCHWINDIGKEIT
Stand 03/11/2006
4. Literatur
Ulrich – Jost
G. Tamman
G. Tamman
M. Volmer
Eugen - Wicke
Klockmann
P. W. Atkins
Kurzes Lehrbuch der Physikalischen Chemie
Kristallisieren und Schmelzen
Lehrbuch der heterogenen Gleichgewichte
Kinetik der Phasenbildung
Grundriss der Physikalischen Chemie
Lehrbuch der Mineralogie
Physikalische Chemie
5. Aufgabe
Bestimmen Sie die Kristallisationsgeschwindigkeit von Thymol (Tm = 51°C) in Abhängigkeit
von der Temperatur im Bereich von –10°C bis 40°C in Abständen von 10°C.
6. Versuchsdurchführung
Zunächst wird die sich in einem U- Rohr befindende Substanz im Wasserbad vollständig
aufgeschmolzen. Anschließend bringt man das Rohr in ein Bad mit der jeweiligen Versuchstemperatur. Hat die Substanz nach einigen Minuten noch nicht begonnen zu kristallisieren, so
muss der Prozess durch Zugabe eines Impfkristalls eingeleitet werden. Gemessen wird die Zeit,
in der die Kristallisation ein Intervall von 30 mm durchschreitet (Stoppuhr!). Die Bestimmung
ist für jede Temperatur zweimal auszuführen.
7. Auswertung
Die Mittelwerte werden in mm/min umgerechnet und graphisch gegen die Temperatur
aufgetragen.
8. R/S Sätze der verwendeten Chemikalien
Thymol:
R: 22-34
S: 1/2-26-28-36/37/39
Gesundheitsschädlich beim Verschlucken. Verursacht
Verätzungen.
Unter Verschluss und für Kinder unzugänglich aufbewahren. Bei
Berührung mit den Augen gründlich mit Wasser abspülen und Arzt
konsultieren. Bei Berührung mit der Haut sofort abwaschen Bei der
Arbeit geeignete Schutzkleidung, Schutzhandschuhe und
Schutzbrille / Gesichtsschutz tragen.
5
Herunterladen