1 Gyula Racz: Interdisziplinäre Aspekte der Musikvermittlung in

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Gyula Racz:
Interdisziplinäre Aspekte der Musikvermittlung in Verbindung mit Bildenden Künsten und Digitalen
Medien
Die wissenschaftliche und praktische Beschäftigung mit dem Verhältnis der Musik zu Bildender Kunst und Neuen
Medien führt zwangsläufig zum Gedanken, dass in einer durch Bilder, Medien und Kommunikation beherrschten
Welt die Musikvermittlung auch als Teil der Musikwissenschaft eine interdisziplinäre Untersuchung bedingt.
Besonders die Schnittstellen und die Wechselwirkungen zwischen den verschiedenen künstlerischen Bereichen in
Verbindung mit den Neuen Medien sollen erforscht werden. Dadurch eröffnen sich Aktionsfelder und
Reflexionsräume in Richtung Prozesse der Kommunikation und der Interaktion zusammen mit Vorgängen der
technischen Übertragung und der Vernetzung.
Das Buch untersucht die Materie in einigen thematischen Bereichen:
Voraussetzungen, Aspekte der medialen und mediengesellschaftlichen Entwicklung, Schaffensprozess
In einer von Bildmedien dominierten Welt, gepaart mit ständiger Klangeinwirkung, ist es notwendig die
Gemeinsamkeit der Künste und ihre Rolle in der ästhetischen Bildung zu untersuchen. Die Verbindung zu den
Neuen Medien, bzw. die durch diese veränderten ästhetischen Eigenarten sind auch zu berücksichtigen.
Die Erforschung der sinnlichen Wahrnehmung der Menschen in der Interdisziplinarität, das Ästhetische zu
verstehen und zu reflektieren bezogen auf die Musik in Verbindung mit Bildern und insbesondere mit Medien ist
eine vornehmliche musikwissenschaftliche und musikvermittlerische Aufgabe.
Die beiden Teile der Erkenntnis, d.h. der Verstand und die Sinne bestimmen die ästhetischen Werte. Die
ästhetischen Werte verändern sich ständig. Die Aufnahme der Kunst erfolgt hauptsächlich über die Sinne und die
Verarbeitung über den Intellekt.
Der Begriff „mediale Gesellschaft“ verweist auf die Beeinflussung von Bild und Ton. Die Kunst existiert nicht allein,
sie lebt durch den Austausch, die Kommunikation. In der Kunst wird der gesellschaftliche Zustand immer mehr über
Codes und Symbole ausgedrückt. Ein anderer Vorgang ist die Globalisierung durch das Internet. Gleichzeitig besteht
die Möglichkeit der Glokalisierung. Seit Web 2.0 haben sich die Strukturen verändert, durch Partizipation,
Emergenz und Transparenz.
Mit der Erfindung der analogen Aufnahmetechnik wurde der Raum dem Vortrag entzogen und dafür die
Interpretation reproduzierfähig gemacht. Mit Multimedia wird die Verbindung zwischen dem Visuellen und dem
Akustischen sehr eng. Besonders die Medienkunst trägt dazu bei, dass die sensuellen Grenzen häufig durchlässig
sind.
Multimediale Anwendungen und Verfahren arbeiten mit zeitabhängigen und zeitunabhängigen Medien. Die
Voraussetzung ist Multimodalität und Multifunktionalität.
Die audiovisuellen Medien eroberten in den letzten 100 Jahren immer mehr Bereiche der menschlichen
Empfindung. Die neuen Medienansätze für die Kunst entstanden in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts.
Bei den „traditionellen Künsten“ erfolgte ein Reflektieren auf die Errungenschaften der Medienkunst. Diese
Verbindung oder Wechselwirkung ist in erster Linie mehr inhaltliche als technische Reflexion. Die große
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gesellschaftliche Wirkung, die die Medien zeigen, beeinflusst heute alle künstlerischen Aktivitäten.
Auch Licht und andere optische Phänomene wurden in der Medienkunst herangezogen, um das zweidimensionale
Bild zu verlassen, Dreidimensionalität zu erreichen und alle Elemente in einen Raum zu projizieren. Mit der Virtual
Reality ist eine neue Kunst- und Wahrnehmungserfahrung entstanden. Die nächste Stufe ist die Netzkunst. Die
kulturelle Wandlung wird als „Iconic Turn“ beschrieben.
Vermittlungsprozesse
Die geschichtliche Entwicklung der fächerübergreifenden Beziehungen zeugt von einer engen Verbindung. Zu den
archaischen Kommunikationsmitteln gehörte auch die Musik, die neben Tanzbegleitung auch als Stimulierung bis
zur Ekstase diente. In der griechischen Philosophie wurde die Musik schon den mathematischen Wissenschaften
mit Erkenntnissen über die Beziehungen zwischen Farben und Harmonien zugeordnet. In der mittelalterlichen
westlichen Welt übernahmen wieder die fahrenden Sänger eine Vermittlungsrolle. Eine bürgerliche
Weiterentwicklung und spätere Variante des Minnegesangs war der ‚Meistersang‘, der bis zum Ende des 16.
Jahrhunderts weiterlebte mit „farbigen“ Bezeichnungen der Melodien, genannt „Töne“. In der Musikikonographie
übernehmen die dargestellten musikalischen Darstellungen Vermittlungsfunktionen. Besonders deutlich sind die
gegenseitigen Hinweise bei Motettenbildern, die ein ganzes Notenblatt mit abbilden.
In der Renaissance wurde die Rolle der Bildenden Künste in einer Paragone-Diskussion neu bewertet. Das Thema
ist hier auch der Unterschied zwischen Wirklichkeit und Darstellung. Eine wichtige ästhetische und praktische
Kategorie ist die Harmonie in der Zeit und die harmonische Proportionalität der Teile. In der Musikikonographie
geht es aber weniger um Wettstreit, sondern mehr um Verbindung zwischen den Künsten und Wissenschaften.
Seit Anfang der Operngeschichte wurde die Aufführung oft durch einen Paragone-Prolog als Vermittler/Erklärer
eingeführt. Diese Prologe wurden von Aufführung zu Aufführung aktualisiert und auch politisch benutzt. Ab Mitte
des 18. Jahrhunderts ging der Prolog auf die ganze Oper über. Der Wettstreit wurde einseitiger: „Prima la musica e
poi le parole“.
Vermittlungsfunktion hatte die verstärkte Gestik des Jesuiten-Barocktheaters und auch die schriftliche Erklärung zu
der jeweiligen Aufführung. In den ästhetischen Diskussionen um 1800 wurde die Musik als höchste Kunst
deklariert, da sie die Empfindungen am reinsten ausdrückt.
Für die Eigenheiten der Orchesterbildung, Aufstellung und Opernaufführung sind die musikikonographischen
Dokumente wichtige Quellen, wenn auch die Darstellung nicht immer die exakte Musikpraxis wiederspiegelt.
Im 19. Jahrhundert beschäftigt die Maler der Gedanke der ‚Gesamtkunst‘ und der gemeinsame ‚Kunstgeist‘, d.h.
der Vereinigung der Künste. Es entsteht ein neues Kunstverständnis. Wagner leitet die Gemeinsamkeit der Künste
von der altgriechischen Kunst ab, sowie aus der Zweiartigkeit („äußerer und innerer“) des „künstlerischen
Menschen.“ Deswegen sind die Künste untrennbar. Diese sind durch gemeinsame „Systeme und Regeln“
verbunden.
Walter Benjamin, der schon die Politisierung des Gesamtkunstwerks erkennt, erblickt in ihm eine auslaufende
Form des bürgerlichen Kunstanspruchs, der aber später in veränderter Form im Film weiterlebt. Die Politisierung
des Gesamtkunstwerks und eine Art Versteinerung der Idee führten zu Meinungen über den Tod des
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Gesamtkunstwerks. Sie lebt aber im 21. Jahrhundert doch weiter, denn die Elemente und Ideen des
Gesamtkunstwerks sind im Film, Multimedia und Hypermedia zu finden.
Kunstwerke entstehen nach gewissen Regeln, die von den Künstlern beachtet, zugleich aber auch verändert
werden. Ganz im Sinne von Cage: „Everything we do is music“ löst sich die Gegenwartskunst aus ästhetischen
Abgrenzungen, sie stellt sich einem politischen, soziologischen und gesellschaftlichen Diskurs, wobei die
gesellschaftliche Relevanz häufig wichtiger als die ästhetische erscheint.
Am Anfang des 20. Jahrhunderts versuchten Bildende Künstler, vor allem Kandinsky, die „immateriale Kunst – die
Musik“ in die Malerei zu übertragen. So entstanden verschiedene aus der Musik entlehnte Begriffe. Besonders von
den Formprinzipien der Musik waren die Maler angetan. Festzuhalten ist in diesem Zusammenhang die direkte
Vorstellung der Maler und mancher Musiker, implizite Komponisten über die synästhetische Verknüpfung der
Farben mit dem Klang.
Durch den Einfluss der neuen Medien entsteht eine neue Lern- und Lehrkultur. Die kontinuierlich angepassten
Fragestellungen verändern das Beziehungsgeflecht zwischen Schaffensprozess und Pädagogik. Durch die
Antworten bekommt man neue Anhaltspunkte und dadurch neue methodische Ansätze.
Vermittlungswege über Wahrnehmung
Jede Zeit hat ihre eigene Vorstellung von einer vom Bild ausgelösten Bildung und damit von Bild- und
Bildungskompetenz. Multimedia hat ermöglicht, dass ,Bilder auch klingen können‘. Im Sinne von Huber ergibt die
visuelle und die akustische Kompetenz gemeinsam die Wahrnehmungskompetenz als Teil der Bildung und der
Medienkompetenz, gepaart mit der Selbstwahrnehmung.
Die Wahrnehmung spielt eine zentrale Rolle im ästhetischen Prozess. Die verschiedenen Ebenen der
Wahrnehmung sind miteinander verknüpft. Sie kann individuell an ein Referenzsystem gebunden werden. Dieses
Referenzsystem ist in hohem Maße von der ästhetischen Erfahrung und von Kenntnissen, d.h. von der Bildung
abhängig. Die Auseinandersetzung mit den Künsten, besonders mit deren Verbindungen, Überschneidungen und
Verknüpfungen zueinander und zu den Medien schult die ästhetische Erfahrung und erhöht die ästhetische
Kompetenz.
Zwei Vorgänge im Wahrnehmungsprozess, das Empfinden des emotionalen Inhalts und dessen Bewusstmachung,
erfolgen meist unmittelbar. Die wichtigsten Vorgänge sind das Erkennen von Zusammenhängen, die Bestimmung
von Empfindungen und das Finden der Ursache von emotionalen Bindungen. Bei gleichzeitiger Apperzeption von
Musik und Bildern lassen sich komplexe emotionale Vorgänge feststellen, die sich gegenseitig beeinflussen. Sehr
deutlich ist das Gestaltprinzip der Geschlossenheit zu erkennen. So werden die Sinneseindrücke verknüpft
wahrgenommen. Seit Anfang des 21. Jahrhunderts wurde viel darüber diskutiert, ob die Spiegelzellen beim
Entstehen von Empathie, Autismus, Sprache und Kultur eine große Rolle spielen. Außerdem stellte man fest, dass
sie für die ästhetische Wahrnehmung von Bedeutung sind.
Jahrtausendelang war Kunst von Menschen für Menschen geschaffen. Die Musik fand in einer räumlichen und
zeitlichen Gleichzeitigkeit statt. Mit der Erfindung von Reproduktionstechniken in der Musik wurde sie aufgehoben.
Die äußerst schnelle Entwicklung der Computertechnik und die Erfindung neuer Vernetzungsorganisationen
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verändern zudem den Charakter der Kommunikation. Durch die Digitalisierung der Kunst entsteht die Situation der
vollständigen Manipulationsmöglichkeit. Es geht um Virtualisierung und virtuelle Welten.
Die Musik- und Kunstvermittlung erfährt Veränderungen durch die Neuen Medien. Einerseits zog der Computer mit
allen seinen Möglichkeiten in Lernprozesse ein, andererseits entstanden neue Vermittlungsmethoden, die nicht
nur das raum- und zeitunabhängige Lernen, sondern auch eine andere Strukturierung des Wissens ermöglichen.
Das Phänomen der Apperzeption „versagender“ Bilder ist sehr alt. Heute zeugt die filmische Verbreitung der Bilder,
besonders in Verbindung mit der Musik, nämlich in Videoclips von einer zunehmenden Inflation der Bildgestaltung.
Die Musik selbst wandelt sich immer mehr von akustischer Darstellung zu akustischer Kommunikation.
Klang der Bilder – Bilder der Klänge in Zeit und Raum
Die Darstellung von Musik in der bildenden Kunst ist die Musikikonographie. In der Bildenden Kunst wurden Maler
und Bildhauer immer wieder von Musik angeregt sie bildlich umzusetzen, da Musik und –instrumente Teil des
Alltags und der religiösen Zeremonie waren. Seit dem 19. Jh. gab es viele Beispiele für die programmatische
Verbindung von Bildender Kunst und Musik. Die Beziehung/Verbindung der Künste erfolgt auf mehreren Ebenen:
Geschichte der Beziehungen, Zusammenhang der Kunstwerke und Künstlerische Beziehungspraxis. Die Geschichte
der Künste ist gleichzeitig die Geschichte eines Wettstreits und auch einer Verbindung. Eine andere
Verbindungsweise der Künste ist die ästhetische Bildung oder ästhetische Erziehung.
Uns interessiert der Zeit-Raum-Begriff ausschließlich aus der Sicht des Künstlers und des Kunstliebhabers. Auch
Bergson interpretiert die Zeit psychologisch, verbindet sie aber mit dem Raum.
Nach Leonardo da Vinci entsteht der Unterschied zwischen Musikstücken und Bildern durch die unterschiedliche
Zeitlichkeit. In der Kunst des 20. Jahrhunderts wurden die Kategorien „Raum“ und „Zeit“ häufig gegeneinander
aufgehoben. In der Multimedia oder den intermedialen Formen sind die Übergänge zwischen Raum und Zeit
fließend. Die Musik hat im Zeitprozess einen fortschreitenden Charakter. Die Musik als akustisches Phänomen hat
durchaus auch Raumcharakter. Die beiden physikalischen Größen Zeit und Raum verbinden die Musik und die
Bildende Kunst mehr als sie zu trennen.
In der Aleatorik und der graphischen Musik zeigt sich die Kodierung in einer, der Bildenden Kunst nicht
unähnlichen, bildlichen Form. Ebenso findet man sie in der Notation der Elektronischen Musik als graphische
Darstellung der Klangbewegungen. Mit der Notation entstand ein Klang-Bild System in beide Richtungen: Das
Akustische wird in ein Optisches umgewandelt und aus diesem „Bild“ werden musikalische Inhalte rekonstruiert.
Bildende Kunst, Medienkunst, d.h. Bilder und mediale Mittel sind in der Musikvermittlung eine immer beliebtere
Ergänzung. Bilder im Konzert sind eine heute immer häufiger verwendete Hilfsquelle der Konzertvermittlung. In der
Praxis werden die Verbindungen vielmehr auf eine Inhaltsebene gezogen.
Das Aufwachsen der Kinder unter einer immer mehr beherrschenden visuellen Medienlandschaft, die das
Akustische automatisch einbindet, ruft geradezu nach der Erweiterung des Konzerterlebnisses mit visuellen
Mitteln.
Exemplarische digitale Bausteine
Mit CSound können schöpferisch Klänge und Klangkompositionen auf digitaler Basis erzeugt werden. Die
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Klangerzeugung und Komposition erfolgt aus Quelltexten, aus denen das Programm Klänge generiert. Ein Vorteil
von CSound ist, dass wir mit ihm auch nichtharmonische Klänge erzeugen können.
Das Portal netzspannung.org des Fraunhofer Instituts MARS - Exploratory Media Lab stellt wichtige Werkzeuge für
die medienkünstlerische Arbeit zur Verfügung. Es handelt sich hier um variable und interaktive Prozesse, die durch
Hyperstrukturen verknüpft sind. Für die kommunikativ visuelle und auditive Kompetenzbildung sind diese
Materialien unverzichtbar. Die Bereiche sind: Tele- Lectures, Medienkunst Lernen, Digital sparks, Medienkunst
Forschung und Archiv.
Mit Autorensystemen erstellt man ein digitales Angebot für beinahe alle pädagogischen und
vermittlerischen Tätigkeiten. Sie bieten verschiedene multimediale Entwicklungswerkzeuge. Mediator gehört zu
den älteren Autorensystemen. Eine Stärke des Programms ist, dass es viele vorgefertigte und veränderbare
Wizards bietet und sowohl für verschiedene Aktionen als auch für Eigenschaften der Objekte fertige Standards
parat hat.
Für die fächerübergreifende Arbeit findet man Materialien wie digitalisierte Musikstücke und Bilder in
Datenbanken.
Die NAXOS MUSIC LIBRARY (NML) ist die weltgrößte Musikbibliothek-Datenbank ihrer Art. Es stehen Informationen
zu den Werken und den Künstlern, Referenzinformationen und Opernlibretti zur Verfügung. Technisch ist NML auf
Windows Media Basis aufgebaut.
Prometheus enthält hauptsächlich kunsthistorisch relevantes Material aus den Bereichen Kunst-, Design- und
Architekturgeschichte, Theologie, Geschichte und Archäologie. Die Plattform beinhaltet auch Elemente des ELearning.
Fazit:
In
den
Bereichen
Kunst-
und
Musikpädagogik,
insbesondere
in
ihrer
multimedialen
und
fächerübergreifenden und damit hybriden Verschränkung brächte eine gegenseitige Durchdringung vielfältige
Vorteile für alle Disziplinen. Dadurch erfährt die Musikvermittlung fachliche Ergänzungen.
Das Buch enthält eine ausführliche Literaturliste mit insgesamt 1.720 Beiträgen.
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