tv diskurs 74 WISSENSCHAFT Eine Prise Schönheit für Mädchen – eine Prise Heldenhaftigkeit für Jungen Susanne Stark und Johanna Kuhn Sind weibliche und männliche Rollenklischees Vergangenheit oder auch heute noch aktuelle Werbewirklichkeit? Die Vermarktungsstrategie des Gendermarketings schlägt in der Spielwarenindustrie ein wie eine Bombe, doch wie viel Vergenderung steckt generell in den Werbespots für Kinder? Eine Untersuchung an der Hochschule Bochum fragt nach den Geschlechterbildern in der TV-Werbung für die Zielgruppen Mädchen und Jungen – und findet nur wenig differenzierte Ansätze. Die Autorinnen plädieren für mehr Spielwaren- und Lebensmittelindustrie bekennen Farbe Die farbliche Gestaltung von Spielsachen macht schnell klar, wer Zielgruppe ist – Pastelltöne, rosa und pink auf der einen Seite, schwarz und blau auf der anderen. Abbildungen und getrennte Regale vermitteln direkte Zuweisung zu nur einem Geschlecht. Nicht zwingend sind hier Etikettierungen der Produkte „für Mädchen“ oder Produkte „für Jungen“ nötig, um bei den Kindern dieses Verständnis zu wecken. Schnell wird klar, worum es geht: um eine Vermarktungsstrategie, die an Rollenklischees appelliert und ihre Zielgruppe auf vermeintlich geschlechtsspezifische Bedürfnisse und Verhaltensweisen verweist. Auch im Lebensmittelmarkt setzt man auf gängige Stereotypen: Bei Suppen wird z. B. die Wahlmöglichkeit zwischen einer Suppe für Prinzessinnen in rosafarbener Verpackung und einer Suppe für Jungen in einer blauen Feuerwehrverpackung angeboten. In den Supermärkten finden wir Backmischungen mit der Aufschrift „Prinzessin Lillifee – Muffins mit Vanillegeschmack“. Die rosafarbene Verpackung zeigt Bilder vom fertigen Produkt, welches – wie nicht anders zu erwarten – mit rosa Herzchen als Guss und rosa Förmchen ausgestattet ist. Beworben wird die Teigmischung mit dem Slogan: „Für echte Prinzessinnen ist nur das Beste gut genug“. Daneben das Pendant für Jungen: die in Blau gestaltete Piratenmischung: „Ein köstlicher Schatz für echte Piraten“. Egal, wo man hinschaut, geschlechtsspezifische Zielgruppenansprache im Kindermarkt ist gängige Strategie. Das Prinzip ist einfach: Aus einem Kundenmarkt „Kinder“ wird ein Kundenmarkt für „Mädchen“ und einer für „Jungen“. Das Konzept des Gendermarketings geht davon aus, dass geschlechtsspezifisch unterschiedliche Bedürfnisse existieren und entsprechend befriedigt werden müssen. Die auf die tatsächlich oder vermeintlich unterschiedlichen Bedürfnisse angepassten Produkte werden auf dem Markt platziert und führen zu einer Differenzierung des Angebots anhand geschlechterorientierter Eigenschaften. Obige Beispiele aufgreifend, stellt sich die Frage, ob tatsächlich ein Bedürfnis nach geschlechterdifferenten Muffins oder Suppen bei Kindern besteht – oder ob nur alte Klischees aufgegriffen, verstärkt und lebendig erhalten werden, um Vermarktungschancen zu erhöhen. Vielfalt. Das kindliche Weltbild und Geschlechteridentität Die Differenzierung zwischen Feminina und Maskulinität ist ein wichtiger Faktor der Selbstwahrnehmung, da das Geschlecht bei der Mehrheit der Menschen im Fokus des Selbstempfindens steht. Die eigene Geschlechtsidentität entwickelt sich in den ersten zwei bis drei Jahren. Erst dann kann sich ein Kind an vorgegebenen Geschlechter- 64 4 | 2015 | 19. Jg. tv diskurs 74 rollen orientieren. Eine Vielzahl von Sozialisationsinstanzen trägt zur Ausbildung von Geschlechterrollen bei Kindern bei, wie z. B. der Kindergarten, die Schule, der Umgang mit anderen Kindern, die Eltern sowie die Medien. Präsenz der Medien in deutschen Kinderzimmern Medien sind für unsere Gesellschaft allgegenwärtig geworden, man spricht von einer „Omnipräsenz“. Über ein Drittel seines wachen Lebens verbringt der moderne Mensch mit Medien – und dies beginnt bereits in den frühen Kindertagen. Laut dem Medienpädagogischen Forschungsverbund Südwest (MPFS) besaßen im Jahr 2014 nahezu 100 % der deutschen Haushalte einen eigenen Fernseher, 36 % der Kinder verfügten gar über ein eigenes Gerät (vgl. MPFS 2014, S. 8). Das Medium Fernsehen ist als Leitmedium über die Jahre beständig geblieben. Es gehört zu den drei Haupt-Freizeitaktivitäten neben Hausaufgaben/Lernen und Freunde treffen. Bereits 12.000 Std. hat ein Jugendlicher im Alter von 15 Jahren vor dem Fernseher verbracht. Kinder nutzen das Fernsehen als Stimmungsmacher und können intensive fiktive Beziehungen zu Fernsehfiguren eingehen. Zwangsläufig beeinflusst so die Mediennutzung die Entwicklung des kindlichen Weltbildes, insbesondere bei jüngeren Kindern auch die Entwicklung der Geschlechterbilder. Dabei ist ein nicht unerheblicher Teil der Fernsehdarbietungen Werbung: Ca. 25 Mrd. Euro lassen es sich laut dem Zentralausschuss der Werbung die Unternehmen jährlich kosten, um in die Köpfe der Konsumentinnen und Konsumenten zu kommen. Laut Statista flattern jährlich knapp 4 Mio. Werbespots in die deutschen Wohnzimmer – und nicht wenige davon richten sich an Kinder. Um effiziente Werbung für Kinder generieren zu können, knüpfen Werbemacher an wesentliche Bedürfnisse der Kinder an, z. B. an den Drang, zu spielen und Abenteuer zu erleben, oder an den Wunsch, ernst genommen zu werden. Die TV-Spots sind so aufgemacht, dass die Kinder Sachverhalte schnell verstehen und Verhalten nachahmen. Bereits Vorschulkinder können innerhalb kürzester Zeit Werbespots mitsprechen oder mitsingen. Spiegeln die TV-Spots dabei nur die Alltagskultur unserer Gesellschaft wider oder gestalten sie diese? Eine exakte Beantwortung dieser Frage ist nicht möglich. Jedoch liegt die Vermutung nahe, dass Medien durch ihre Omnipräsenz und ein hohes Identifikationspotenzial stark beeinflussend wirken können. Dr. Renate Valtin, Professorin für Erziehungswissenschaften, fand in ihrer Untersuchung bei Grundschülern heraus, dass auch nach demografischem Wandel wie der gestiegenen Berufstätigkeit von Frauen oder verändertem Rollenbewusstsein der Väter stereotype Geschlechterbilder bei den Kleinen vorherrschen. Jungen empfinden ihre Stärken in der Kom- 4 | 2015 | 19. Jg. WISSENSCHAFT petenz von „Schnelligkeit“, „körperlicher Stärke“ und „Dominanz“, obgleich sie sich in diesem Alter kaum körperlich von den Mädchen unterscheiden. Diese hingegen betonen ihre Vorzüge in ihrer „Attraktivität“, ihrer „Schönheit“ und ihrer „Fürsorglichkeit“ (vgl. Valtin o. J., S. 102 ff.). Für die Konsumgüterindustrie besitzen die jungen Zielgruppen eine enorme Attraktivität: Die Kaufkraft der Kinder nimmt immer mehr zu. Die Höhe des Taschengeldes liegt bei deutschsprachigen Kindern im Alter von 4 bis 13 Jahren bei rund 7,23 Mio. Euro. Getreu dem Motto: „Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr“ setzt man auf langfristige Markenbindung. Wer als Kind loyal einer Marke gegenübersteht, tut es als Erwachsener ebenso. Zwischenfazit: Kinderprodukte mit klaren stereotypen Geschlechterzuweisungen machen aus einem Produktmarkt „Kinder“, zwei „Submärkte“, den für Jungen und den für Mädchen. Massenmedien, insbesondere die Fernsehsendungen und die sie umrahmende Werbung, besitzen ein hohes Identifikationspotenzial mit orientierendem Charakter, gleichzeitig haben die Kinder eine hohe Kaufkraft und stellen somit für Unternehmen eine attraktive Zielgruppe dar. Die TV-Werbung ist eine ideale Plattform, um die Genderorientierung der Produkte weiter fortzuführen. »Wer als Kind loyal einer Marke gegenübersteht, tut es als Erwachsener ebenso.« Analyse von Kinderwerbespots soll Klarheit schaffen Im Frühjahr 2015 wurde an der Hochschule Bochum eine empirische Untersuchung durchgeführt, die aufzeigen wollte, in welcher Weise geschlechtsspezifische Vermarktungsstrategien in der TV-Werbung für Jungen und Mädchen heutzutage präsent sind. Mittels einer Inhaltsanalyse wurden die Sender Disney Channel, Nickelodeon und SUPER RTL innerhalb von drei Wochen unter die Lupe genommen. Über 800 Spots wurden registriert, was insgesamt zu 91 verschiedenen Werbespots führte. Der Hauptfokus der Untersuchung lag auf der Analyse der Inszenierung der kindlichen Akteure. Zusätzlich wurde bei jedem Spot erfasst, welche Produkte beworben wurden. Last, but not least wurden die Werbespots auf ihre Machart getestet. 65 tv diskurs 74 WISSENSCHAFT Abb. 1: Zielgruppen der registrierten Werbespots Werbespots, in denen beide Geschlechter vorkamen, wendeten sich auch an beide Geschlechter, beworbene Produkte waren beispielsweise Gesellschaftsspiele oder Spielkonsolen. Analog verhielt es sich mit Spots, in denen nur eine Geschlechtszugehörigkeit vorhanden war. So richteten sich Spots mit männlichen Akteuren an Jungen, Spots mit weiblichen Akteuren an Mädchen. Waren Produkte personifiziert, galt das gleiche Prinzip. Es ergab sich zahlenmäßig eine relative Gleichverteilung der Spots in ihrer Zielgruppenrichtung (siehe Abb. 1). Spots: beide Geschlechter 37 % Spots: Mädchen 34 % Spots: Jungen 29 % Abb. 2: Stereotype Rollenbilder ■ ■ Mädchen Jungen 12 10 8 6 4 2 66 mutig dominant abenteuerlustig einnehmend kämpferisch heroisch schön kreativ geschickt fürsorglich mütterlich 0 Spots mit geschlechtsgemischten Gruppen zeigen sich in der Gestaltung weitgehend genderneutral: Die Auswahl der Themenwelten, die Farbgebung und die sprachlichen Mittel verzichten auf eindeutig weibliche oder männliche Attribuierungen. Anders aber bei der Dominanz der Schauspieler: In geschlechtsgemischten Kindergruppen gibt es von 33 ermittelten Spots lediglich einen Spot, in dem die Mädchenanzahl dominiert. Bei über der Hälfte der Spots dominiert das Geschlechtervorkommen der Jungen. Hier sind Mädchen lediglich in der Peripherie zu finden. Die Dramaturgie der Spots verläuft entsprechend. In über der Hälfte der Spots agieren die Mädchen eher passiv. Ihre Rolle liegt im Zuschauen oder Bewundern der Jungen. Meist ist es ein männlicher Akteur, der zuerst einen Einfall hat oder am Ende des Spots das Spiel gewinnt und so als „Held“ die Manege verlassen darf. Richtet man den Blick auf Spots mit nur einer Geschlechtszugehörigkeit, entsteht ein noch extremerer Eindruck: Themenwelten wie „Pflege/Schönheit“, „Haushalt“ oder „Märchenwelten“ sind zu 77 % in Mädchenspots vertreten. In über 71 % wird mit weichen Schnitten, harmonischer Atmosphäre und Pastelltönen gearbeitet. Untermalt wird das Ganze bei knapp 44 % mit sprachlichen Mitteln wie „niedlich/süß“, „modisch“, „schön“ oder „verzaubert“. Einige wenige Ausnahmen differenzieren den Gesamteindruck der Mädchenspots kaum. Bei den Jungenspots verhält es sich analog. Angepriesen werden die Produkte zu 100 % in „Science-Fiction“oder „Technik“- Welten. Über 92 % der Spots weisen harte Übergänge, schnelle Schnitte, dunkle Farben und eine abenteuerliche Atmosphäre auf. Abgerundet wird das Ganze in 65 % der Fälle mit Adjektiven wie „actionreich“, „kämpferisch“, „stark“ oder „mutig“. In 62,5 % der Mädchenspots und in 65 % der Jungenspots wird mit stereotypen Rollenmustern gearbeitet. Mädchen sind besonders mütterlich, fürsorglich und kreativ, Jungen hingegen kämpferisch, mutig und nehmen die Siegerrolle ein. Interessant ist, dass jedoch bei Mädchen typische maskuline Rollenmuster – wenn auch nur vereinzelt – vorhanden sind, andersrum dies bis auf eine Ausnahme in keinem Spot beobachtet werden konnte (siehe Abb. 2). 4 | 2015 | 19. Jg. tv diskurs 74 Als eine beeinflussende Instanz kindlicher Sozialisation kann TV-Werbung schnell in kritische Diskussionen geraten. Schon vor ca. 25 Jahren mahnte Rainer Neutzling, Soziologe, in seinem Buch Kleine Helden in Not das Dilemma der Jungen an, die händeringend nach Identifikationsfiguren suchen. Diese Lücke scheint die TVWerbung erkannt und aufgegriffen zu haben. Die Problematik von stereotypen Rollenzuweisungen liegt bei Mädchen darin, dass sie eng über schönes Aussehen und konfliktfreie rosa Welten definiert werden. Enge Rollenzuweisungen auch für Jungen: Ein mit Puppen spielender Junge wird eher misstrauisch beäugt, denn als fürsorglicher Vater betrachtet und ist folglich in einem TV-Spot für Puppen als Akteur undenkbar. WISSENSCHAFT Literatur: Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest (MPFS): Kim-Studie 2014. Kinder + Medien, Computer + Internet. Abrufbar unter: http://www.mpfs.de/ fileadmin/KIM-pdf14/ KIM14.pdf (letzter Zugriff: 03.03.2015) Valtin, R.: „Warum ich gern ein Mädchen oder ein Junge bin.“ Selbstbilder und Stereotype von Mädchen und Jungen. o. J. Abrufbar unter: www.gender.huberlin.de/ publikationen/genderbulletins/texte-37/texte37 pkt8.pdf (letzter Zugriff: 13.04.2015) »TV-Werbung für Kinder arbeitet durchaus mit stereotypen Geschlechterbildern.« Fazit Die explorative Studie der Hochschule Bochum, die im Rahmen einer Masterarbeit durchgeführt wurde, bestätigt somit, dass TV-Werbung für Kinder durchaus mit stereotypen Geschlechterbildern arbeitet. Welchen Stellenwert haben nun die Vermarktungsstrategien der Werbetreibenden in der Gesellschaft? Werbung will verkaufen und versteht sich nicht als erziehende Instanz. Die Werbung, die auf der Höhe der Zeit kommuniziert, überzeugt. Greifen die Werber also folgerichtig die Bilder, Sprache und Identifikationsschablonen auf, die von den Kindern gewünscht werden? Und nicht nur von den Kindern, auch von ihren Erziehern – schließlich sind es auch die Eltern, die im Supermarkt zugreifen, Eltern sind die „Gatekeeper“ für Kinderprodukte. Wenn Werbung nicht bloß die Alltagskultur der Kinder und Eltern widerspiegelt, sondern sie diese vielmehr mitgestaltet, zählt nicht nur der ökonomische Gewinn, sondern auch die soziale Verantwortung. Sollten die Unternehmen im Zuge von Corporate-Social-Responsibility-Diskussionen nicht verstärkt über ihre Rolle als Beeinflusser der Alltagswelten über die Medien nachdenken? Und als verantwortungsbewusste Mitgestalter der kindlichen Erlebniswelten das Spektrum der angebotenen Identifikationsmuster für Mädchen und Jungen erweitern? Ein so verstandenes Gendermarketing für Mädchen und Jungen böte soziale Rollenvielfalt – und würde der ökonomischen Dimension bestimmt nicht schaden. 4 | 2015 | 19. Jg. Dr. Susanne Stark ist Professorin für Marketing an der Hochschule Bochum im Fachbereich „Wirtschaft“. Ihre Schwerpunkte liegen in der Erforschung gesellschaftlicher Kommunikationsbedingungen und der Genderforschung. Johanna Kuhn hat aktuell an der Hochschule Bochum ihren Master of Arts in der Fachrichtung „Internationales Management“ abgeschlossen. 67