Bericht | Text und Foto: Dirk Huck Brendan Behan Der Trinker mit dem Schreibproblem Eines Tages auf einer Straße in Dublin Anfang der 1930er. Eine ältere Frau zieht einen kleinen Jungen hinter sich her, dessen Bewegungen unbeholfen wirken. Mitleidig bemerkt ein Passant: „Ist es nicht traurig, Ma‘am, dass ein so hübsches Kind behindert ist?“ „Erlauben Sie mal!“ entgegnet die Frau. „Der ist nicht behindert, der ist nur betrunken!“ Wer so früh anfängt, hat bestimmt mal eine große Karriere vor sich, wenn auch vielleicht keine sehr lange. Und tatsächlich: Bei dem kleinen Jungen, der da betrunken an der Hand seiner Großmutter durch Dublin torkelte, handelte es sich um den späteren Dichter, Schriftsteller und Dramatiker Brendan Behan. Besser bekannt wurde er als „Dichter mit einem Alkoholproblem“, oder, wie er selbst sich sah, als „Trinker mit einem Schreibproblem“. Brendan Behan wurde 1923 geboren, in einer Zeit der politischen Unruhe in Irland. Er wuchs in einer zwar verarmten, aber gebildeten bürgerlichen Familie in den Arbeitervierteln im Norden von Dublin auf. Als er geboren wurde, saß der Vater, von Beruf Anstreicher mit republikanischer Gesinnung, gerade wegen seiner Aktivitäten in der verbotenen IRA im Gefängnis. Aber er sorgte dafür, dass der kleine Brendan eine literarische Erziehung erhielt. Der zeigte früh sprachliches Talent: Von klein auf schrieb er Gedichte und Geschichten. Dem Vorbild des Vaters folgte der junge Brendan gleich in zweifacher Hinsicht: Mit dreizehn verließ er die Schule und wurde Anstreicher. Mit sechzehn heuerte er bei der Jugendgruppe der IRA an, um im Zweiten Weltkrieg Sprengstoffanschläge in England zu verüben. Er wurde gefasst und kam für drei Jahre in eine Jugendvollzugsanstalt. Doch dies war erst der Anfang. Im Dezember 1941 freigelassen, kehrte er nach Dublin zurück, um gleich darauf im April 1942 für den versuchten Mord an einem Polizisten zu vierzehn Jahren Gefängnis verurteilt zu werden. Dank einer Generalamnestie kam er 1946 vorzeitig frei. Während seiner Jahre im Gefängnis wandte er sich dem Schreiben zu. Darin schien er seine wirkliche Berufung gefunden zu haben. Nach seiner Freilassung lebte er zunächst eine Zeitlang in Paris, wo er Gedichte, Kurzgeschichten und Artikel für diverse Zeitungen schrieb. Vor allem seine Erlebnisse in Haft bestimmten sein literarisches Schaffen. Der autobiografische Roman „Borstal Boy“ (1958) erzählt von seiner Zeit in der Jugendstrafanstalt von Borstal im englischen Kent. Die Theaterstücke „The Quare Fellow“ (1954, dt. „Der Spaßvogel“), das in einem Gefängnis in der Nacht vor der Hinrichtung eines Verurteilten spielt, und „The Hostage“ (1957, dt. „Die Geisel“) wurden große Erfolge. Behans Humor und seine umgangssprachlichen, immer wieder von schmissigen Liedern unterbrochenen Dialoge waren damals wegweisend. Als er 1951 nach Dublin zurückkehrte, hatte er sich bereits einen Namen gemacht als Schriftsteller mit einem Alkoholproblem. Ein Dutzend Pints und zwei Flaschen Whiskey pro Tag waren keine Seltenheit. Über sich selbst sagte er einmal: „Ich trinke nur bei zwei Anlässen – wenn ich durstig bin, und wenn ich es nicht bin.“ Sein Körper quittierte dies mit einem Zusammenbruch. 1964 starb Behan im Alter von nur 41 Jahren. In einem Nachruf bezeichnete die irische Tageszeitung „Daily Express“ Behan als „zu jung, um zu sterben, aber zu betrunken, um zu leben.“ Behan war ein Rebell par exellence. Er liebte es, zu provozieren. Die irische Öffentlichkeit wollte einen gewitzten, wortgewandten, genialen, aber verzogenen Bengel, der kein Blatt vor den Mund nahm. Eine Rolle, die er nur zu gern erfüllte, auch wenn er sich mit der Zeit zur reinen Karikatur des ewig betrunkenen Iren entwickelte. Oft genug torkelte er bei den Aufführungen seiner Stücke betrunken auf die Bühne, um die Ansage zu machen. Bei der Uraufführung eines seiner Stücke in London lief er, in schäbiger Kleidung, mit ungepflegtem Haar und einen Hut hinhaltend, an der Schlange der anstehenden Zuschauer entlang und erbettelte Kleingeld – niemand erkannte ihn. Unvergesslich ist sein Spruch, mit dem er in seinen letzten Tagen vom Krankenlager aus der ihn behandelnden Nonne dankte: „Gott segne Sie, Schwester“, sagte er. „Mögen all Ihre Söhne Bischöfe werden.“ Aus literarischer Sicht gilt Brendan Behan als Erneuerer des englischsprachigen Theaters, was ihm einen Platz unter den bedeutendsten irischen Dramatikern des 20. Jahrhunderts bescherte. Dem gewöhnlichen Volk aber wird er wohl vor allem als ewig betrunkener Dichter in Erinnerung bleiben, oder, wie er es lieber sah, als der Trinker mit dem Schreibproblem. # 21