Dr. Wolfgang Langer - IV Methoden der empirischen Sozialforschung I - SoSe 2000 1 Soziologische Theorien zur Erklärung von Fremdenfeindlichkeit (Xenophobie): 1. Konfliktheorie Cosers / Simmels Quellen: Krysmanski, H.J.: Soziologie des Konflikts. Materialien und Modelle. Reinbek b. Hamburg: Rowohlt, 1971 Coser, L.A.:Theorie sozialer Konflikte. Neuwied: Luchterhand, 1965 Simmel, G.: Soziologie. Untersuchungen über die Formen der Vergesellschaftung. Kapitel: Der Streit. Leipzig: Duncker&Humblot, 1908, S.247-336 Definition des Konflikts bei Coser (1965, S. 232): "Sozialer Konflikt kann definiert werden als Kampf um Werte oder Statusansprüche, um Macht und knappe Ressourcen, in dem die Ziele der streitenden Parteien sich nicht nur auf die Erreichung der Werte beziehen, sondern auch auf die Neutralisierung, Verletzung oder Beseitigung ihrer Rivalen. ... Inter- und Intragruppenkonflikte sind dauernde Merkmale sozialen Lebens." Krysmanski faßt die Theorie Cosers in 16 Thesen zusammen: "1. 2. 3. Soziale Konflikte haben gruppenfestigende Funktion: in ihnen entsteht Gruppenidentität, strukturelle Grenzen zwischen Gruppen treten hervor. ... Die gruppenerhaltende Funktionen sozialer Konflikte zeigen sich besonders in <Ventil-Institutionen>. ... Es gibt echte und unechte Konflikte: ... er versucht, <realistische>, zweckrationale Konflikte als die eigentlichen, echten sozialen Konflikte darzustellen, denen man wissenschaftlich auf den Grund gehen kann.<<Konflikte, die durch Frustation bestimmter Forderungen innerhalb einer Beziehung und durch Gewinnkalkulationen einzelner Partner entstehen, können als echte Konflikte bezeichnet werden, insofern sie .. Mittel sind, ein bestimmtes Ergebnis zu erreichen. Unechte Konflikte dagegen sind ... nicht durch die gegensätzlichen Ziele der Gegner verursacht, sondern durch die Notwendigkeit einer Spannungsentladung zumindest bei einem von beiden.>>" (S.127) Dr. Wolfgang Langer - IV Methoden der empirischen Sozialforschung I "4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. - SoSe 2000 2 Feindselige Impulse in Konflikten <helfen>, reichen zu ihrer Erklärung nicht aus: es geht Coser darum zu zeigen, daß <echte>, zweckrationale Konflikte nicht notwendig Feindseligkeit und Aggression implizieren. In engen sozialen Beziehungen findet sich immer ein gewisser Anteil von Feindseligkeit. ... Je enger [interdependenter, W.L.] die Beziehung, desto intensiver der Konflikt. ... Konflikte innerhalb von Gruppen wirken <<reinigend>> und verhindern <Spaltungen>. ... Das Vorhandensein von Konflikten kann ein positives Zeichen für die Stabilität von Beziehungen sein: nur zerbrechliche Sozialstrukturen können sich keine offenen Konflikte leisten. Konflikt mit Fremdgruppen verstärkt den inneren Zusammenhalt einer Gruppe. ... Der Konflikt mit einer anderen Gruppe bestimmt die Gruppenstruktur und die Reaktion auf inneren Konflikt. ... Solche <im Kampf erprobten> Gruppen sind oft auf die Suche nach Feinden angewiesen. ... Ideologische Konflikte sind oft besonders hart. ... Konflikt bindet Gegner aneinander: COSER knüpft hier an den vielleicht entscheidenden Satz SIMMELS an: <<man vereinigt, um zu kämpfen, und man kämpft unter der beiderseitigen anerkannten Herrschaft von Normen und Regeln>> (Simmel 1908, S.264). ... In bestimmten Kampfsituationen kann Interesse an der Einigkeit des Feindes bestehen. ... Konflikte schaffen und erhalten das Gleichgewicht der Macht. ... Konflikt schafft Vereinigungen und Koalitionen." (S. 129) Merksätze: 1. 2. 3. 4. Soziale Konflikte sind soziale Verteilungskämpfe um knappe Güter, Werte und Statusansprüche. Neben der Erreichung dieser Ziele streben sie eine "Neutralisierung / Vernichtung" des Gegners an. Soziale Konflikte als "zweckrationale Auseinandersetzungen" binden ihre Gegner aneinander und zwingen sie die Regeln des "Konflikts" einzuhalten. Je interdependenter eine soziale Beziehung ist, desto konfliktträchtiger ist sie. Je größer der Konflikt mit einer Fremd-Gruppe, desto stärker ist die Solidarität in der eigenen Wir-Gruppe. Dr. Wolfgang Langer - IV Methoden der empirischen Sozialforschung I 2. - SoSe 2000 3 Homans Theorie der sozialen Gruppe Quelle: Homans, G.C.: Theorie der sozialen Gruppe. Köln u. Oplanden, Westdeutscher Verlag, 1965 Ausgangspunkt: 1. 2. 3. Aktivität: Interaktion: Gefühl: Soziale Handlung Wechselseitige Orientierung Emotionen (sentiments) Empirisches Material: Industriesoziologische und ethnologische Beobachtungsstudien Induktiv abgeleitete Hypothesen: 1. "Wenn sich die Häufigkeit der Interaktion zwischen zwei oder mehr Personen erhöht, so wird auch das Ausmaß ihrer Zuneigung füreinander zunehmen, und vice versa [umgekehrt, W.L.]" (S. 126) 2. "Je größer die Solidarität nach innen, um so stärker die Feindseligkeit nach außen. ... Eine Abnahme in der Häufigkeit der Interaktion zwischen den Mitgliedern einer Gruppe und Außenstehenden, begleitet von einer Verstärkung der negativen Gefühle gegenüber Außenstehenden, wird die Häufigkeit der Interaktion und die Stärke der positiven Gefühle unter den Gruppenmitgliedern erhöhen, und vice versa." (S. 127) 3. "Je häufiger Personen miteinander in Interaktion stehen, desto mehr tendieren die zwischen ihnen vorhandenen Freundschaftsgefühle zur Verstärkung". (S. 145) Dr. Wolfgang Langer - IV Methoden der empirischen Sozialforschung I 3. - SoSe 2000 4 Heitmeyers / Olks Individualisierungstheorem Quelle: Heitmeyer, W. u.a.: Die Bielefelder Rechtsextremismus-Studie. Erste Langzeituntersuchung zur politischen Sozialisation männlicher Jugendlicher. München: Juventa, 1992 Heitmeyer, W.: Gesellschaftliche Desintegrationsprozesse als Ursachen von fremdenfeindlicher Gewalt und politischer Paralysierung. In: Aus Politik und Zeitgeschichte, B2-3/93 (1993), S. 3-13 Ausgangspunkt: Kapitalistische, moderne Gesellschaften sind durch stoßweise "Individualisierungsschübe" gekennzeichnet, die zur Auflösung "sozialer Milieus" in doppelter Hinsicht führen: 1. 2. Desintegration des Individuums: Verlust der sozialen Integration Desorientierung des Individuums: Verlust sozialer Orientierungen Heitmeyer (1993) faßt seinen Ansatz in 6 Thesen zusammen: 1. "- Je mehr Freiheit, desto weniger Gleichheit; 2. - je weniger Gleichheit, desto mehr Konkurrenz; 3. - je mehr Konkurrenz, desto weniger Solidarität; 4. - je weniger Solidarität, desto mehr Vereinzelung; 5. - je mehr Vereinzelung, desto weniger soziale Einbindung; 6. - je weniger soziale Einbindung, desto mehr rücksichtsloses Durchsetzen." Dr. Wolfgang Langer - IV Methoden der empirischen Sozialforschung I - SoSe 2000 5 Wie werden diese Desintegrationserfahren bzw. -erwartungen verarbeitet? Worin liegen die Anschlußmöglichkeiten zu rechtsextremen Ideologien / Positionen ? "Dazu gehören: - die Umformung von erfahrener Handlungsunsicherheit in Gewißheitssuche, an die rechtsextremistische Konzepte mit ihren Vorurteilen und durch ihre Stabilitätsversprechen anknüpfen; - die Umformung von Ohnmachtserfahrungen in Gewaltakzeptanz, die rechtsextremistische Konzepte mit ihrem Postulat "Der Stärkere soll sich durchsetzen" legitimieren können; - die Umformung von Vereinzelungserfahrungen in die Suche nach leistungsunabhängigen Zugehörigkeitsmöglichkeiten, die rechtsextremistische vor allem mit nationaler Zugehörigkeit und Überlegenheitsangeboten bieten." (S. 5) 7. Je mehr rücksichtsloses Durchsetzen, desto größer die eigene Handlungsunsicherheit 8. Je mehr rücksichtsloses Durchsetzen, desto größer die Ohnmachtserfahrungen. 9. Je mehr rücksichtsloses Durchsetzen, desto größer die eigene Vereinzelungserfahrung. 10. Je größer die eigene Handlungsunsicherheit und je größer die eigene Ohnmachtserfahrung und je stärker die eigene Vereinzelung erfahren wird, desto anfälliger ist der Jugendliche für rechtsextremistische Postionen. 11. Je größer die Identifikation mit rechtsextremistischen Positionen, desto höher die eigene Gewaltbereitschaft. Dr. Wolfgang Langer - IV Methoden der empirischen Sozialforschung I 4. - SoSe 2000 6 Hoffmann / Evens Gesellschaftsbild Quelle: Hoffmann, L. & Even, H.: Soziologie der Ausländerfeindlichkeit. Zwischen nationaler Identität und multikultureller Gesellschaft. Weinheim u. Basel: Beltz, 1984 Theoretische Postion: Verstehende Soziologie von Alfred Schütz und Harold Garfinkels Empirischer Zugang: Hermeneutische Inhaltsanalyse von Politikerreden und Leserbriefen in regionalen/überregionalen Tageszeitungen und Illustrierten Theoretischer Ausgangspunkt: Der Begriff des Gesellschaftsbilds Garfinkels: "Harold Garfinkel spricht in Anlehnung an Alfred Schütz von denjenigen "Beschreibungen der Gesellschaft, welche die Gesellschaftsmitglieder ... als Grundlage ihrer alltäglichen Entscheidungen zur Anwendung bringen". ... Gesellschaftsbild ist das von allen Gesellschaftsmitgliedern angewandte und wechselseitig als geltend unterstellte Interpretationsschema. ... Das Gesellschaftsbild dient daher auch zur Abgrenzung dieser Gesellschaft. es konstituiert ein Wir-Bewußtsein, das klare Vorstellungen enthält, wer es als Zugehöriger teilen muß und wer es als Fremder nicht teilen darf." (S. 35f.) Erklärung von Ausländerfeindlichkeit: "Ausländerfeindlichkeit wird hervorgebracht durch eine Änderung des sozialen Status der ursprünglich als Gastarbeiter eingereisten Ausländer, ohne daß sich zur gleichen Zeit, in gleichem Umfang und in gleicher Richtung ihre kulturelle Identität verändert. Durch die Statuspassage ohne Identitätspassage zeichnet sich ein Wandel der Gesellschaft der Bundesrepublik ab, der mit dem fortbestehenden Gesellschaftsbild nicht in Einklang gebracht werden kann." (S. 79) Dr. Wolfgang Langer - IV Methoden der empirischen Sozialforschung I - SoSe 2000 7 Die Autoren unterscheiden vier Phasen der Ausländerfeindlichkeit: 1. 2. 3. 4. Die latente Ausländerfeindlichkeit Die manifeste Ausländerfeindlichkeit Die dogmatische Ausländerfeindlichkeit Die Ausländerfeindschaft oder Ausländerhass Merksätze: Die Ausländerfeindlichkeit resultiert aus der Unterstellung der Inländer, daß die in Deutschland lebenden Ausländer trotz weitgehenden Integration und rechtlichen Gleichstellung nicht zur Assimilation, sprich zur Übernahme der deutschen Identität nicht bereit sind. Dr. Wolfgang Langer - IV Methoden der empirischen Sozialforschung I 5. - SoSe 2000 8 Allports sozialpsychologische Theorie des ethnischen Vorurteils Quellen: 1. 2. Allport, G.W.: Die Natur des Vorurteils. Köln: Kiepenheuer & Witsch, 1971 (19541) Allport, G.W.: Treibjagd auf Sündenböcke. Bad Nauheim: Christian Verlag, 1953 Theoretischer Ausgangspunkt: Attributionstheorie Definition des "ethnischen Vorurteils": Er definiert das Vorurteil als "eine ablehnende oder feindselige Haltung gegen eine Person, die zu einer Gruppe gehört, einfach deswegen, weil sie zu dieser Gruppe gehört und deshalb dieselben zu beanstandenden Eigenschaften haben soll, die man der Gruppe zuschreibt." (S. 21) "Ein ethnisches Vorurteil ist eine Antipathie, die sich auf eine fehlerhafte und starre Verallgemeinerung gründet. Sie kann ausgedrückt oder auch nur gefühlt werden. Sie kann sich gegen eine Gruppe als ganzes richten oder gegen ein Individuum, weil es Mitglied dieser Gruppe ist." (S. 23) Wie wirken Vorurteile ? "Die Wirkung eines so definierten Vorurteils besteht darin, daß es den Gegenstand des Vorurteils in eine so ungünstige Situation bringt, die es nicht durch sein eigenes schlechtes Verhalten verdient hat." (S. 23) Welche sozialstrukturellen Faktoren begünstigen die Entstehung von ethnischen Vorurteilen ? "- Wo die soziale Struktur duch [ethnische, W.L.] Hetereogenität bestimmt ist. Wo vertikale Mobilität [sozialer Ab- und Aufstieg, W.L.] möglich ist. Wo eine schneller sozialer Wechsel [Wandel, W.L.] möglich ist. Wo Unwissenheit und Schranken der Kommunikation bestehen. Wo der Umfang einer Minderheit groß ist oder im Wachsen begriffen ist. Dr. Wolfgang Langer - IV Methoden der empirischen Sozialforschung I - - - SoSe 2000 9 Wo direkter Wettbewerb [zwischen den Arbeitern verschiedener Ethnien, W.L.] und realistische Gefahren [Konflikte im Sinne von Lohndumping, W.L.] bestehen. Wo Ausbeutung wichtige Interessen der Gemeinschaft unterstützt. Wo die die Aggression regulierenden Sitten Bigotterie [Doppelmoral, W.L.] begünstigen. Wo traditionelle Rechtfertigungen für Ethnozentrismus vorliegen. Wo weder Assimilierung noch kultureller Pluralismus begünstigt werden." (S. 229) Abhilfe gegen ethnische Vorurteile: Kontakte zu Minoritäten auf der gleichen Statusebene. "Vorurteile können (wenn sie nicht tief in der Persönlichkeitsstruktur des einzelnen verwurzelt sind) durch einen Kontakt mit gleichem Status zwischen Majorität und Minderheiten in der Anstrebung gemeinsamer Ziele verringert werden. Die Wirkung ist sehr viel größer, wenn der Kontakt durch die öffentlichen Einrichtungen unterstützt wird (das heißt durch Gesetz, Sitten und örtliche Atmosphäre), und vorausgesetzt, der Kontakt führt zur Entdeckung gemeinsamer Interessen und der gemeinsamen Menschlichkeit beider Gruppen." (S.286) Merksätze: 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. Je höher der erlebte Statusverlust, desto größer das ethnische Vorurteil. Je höher der erlebte Statusgewinn, desto größer die Toleranz gegenüber ethnischen Minoritäten. Je schneller sich der soziale Wandel vollzieht, desto höher die soziale Desintegration/Desorientierung. Je höher die wahrgenommene soziale Desintegration/Desorientierung, desto stärker die ethnischen Vorurteile. Je größer der Anteil der zuwandernden Minorität und je schneller ihre Zuwanderung erfolgt, desto stärker die ethnischen Vorurteile. Je mehr sich soziale Verteilungskämpfe ethnisch strukturieren, desto stärker sind die ethnischen Vorurteile der Konfliktparteien. Je stärker der Ethnozentrismus einer Wir-Gruppe ausgeprägt ist, desto stärkere Vorurteile hegt sie gegen ihre ethnische Fremdgruppe. Je stärker die ethnische Minderheit eine Assimilation ablehnt, welche die Majorität fordert, desto stärker sind die ethnischen Vorurteile der Majorität. Dr. Wolfgang Langer - IV Methoden der empirischen Sozialforschung I 8. - SoSe 2000 10 Je mehr die ethnische Minderheit auf ihre Assimilation besteht, und je mehr sich die Majorität dagegen wehrt, desto stärker sind die ethnischen Vorurteile der Majorität.