RELIGIONEN UNTERWEGS Nr. 4 (2012), S 18-23 (Hg. Petrus Bsteh/Richard Potz/Forum für Weltreligionen) Beitrag von Isabel Lang Ein sündloser Prophet? - Davidvorstellungen im Islam In der islamischen Tradition ist David eine wichtige Gestalt und ein Prophet, der nach weit verbreiteter Vorstellung als sündlos gilt. In diesem Beitrag werden verschiedene Davidbilder und die sie prägenden Einflüsse dargestellt. Die Person des David ist aus der biblischen bzw. jüdischen und christlichen Überlieferung bekannt. Wie zahlreiche andere Gestalten der Bibel kommt David auch im Koran vor. Im Koran und in der islamischen Tradition gilt er als Prophet, der eine Offenbarungsschrift, den Psalter, erhalten hat. Wenn man von den Propheten im Islam spricht, hört man oft die bekannte und bei zeitgenössischen Muslimen weit verbreitete Vorstellung von deren „Sündlosigkeit“ (im Arabischen: „isma“). Dies bedeutet, dass ein Prophet keine Sünde begeht und sündlos („masūm“) ist.1 Entspricht dies aber tatsächlich der koranischen Davidvorstellung? Gibt es in der islamischen Tradition nur ein Bild von David, nämlich das des sündlosen Propheten? Nachstehend wird gezeigt, dass es innerhalb des Islams (wie auch im Judentum und im Christentum) ganz unterschiedliche Davidvorstellungen gibt, welche unterschiedliche Akzentsetzungen in Bezug auf und Interpretationen des Davidbildes deutlich machen. 1. Die Daviderzählung im Koran Im Koran ist David einer der Propheten, die eine Schrift erhalten haben und zwar den Psalter (Sure 4, 163 und Sure 17,55). Dort findet sich auch die Erzählung von David und Goliath, wenn auch in einer wesentlich kürzeren Form als in der Bibel (Sure 2,251). David wird als Richter dargestellt (Sure 21,78) und fertigt Panzerkleidung/Kettenpanzer an (Sure 21,80 und Sure 34,11). David wird Wissen (Sure 27,15) und die Weisheit verliehen, Streitfälle zu entscheiden (Sure 38,20). Die Vögel und Berge werden aufgefordert, mit ihm Bußlieder zu singen (Sure 34,10 und 38, 28-19). Sure 38, 21-25 ist jener Text, der für die Frage nach der Sündlosigkeit Davids zentral ist (aus der Übersetzung Rudi Parets2): „21 Ist dir nicht die Geschichte von denen, die miteinander stritten, zu Ohren gekommen? (Damals) als sie (über die Mauer) in den Palast einstiegen! 22 (Damals) als sie bei David eintraten! Da fürchtete er sich vor ihnen. Sie (aber) sagten: ‚Hab keine Angst! (Wir sind) zwei Prozeßgegner, von denen der eine dem andern Gewalt angetan hat. Entscheide nun zwischen uns nach der Wahrheit, laß dir keine Abweichung zuschulden kommen und führe uns auf den rechten Weg! 23 Der da, mein Bruder, hat neunundneunzig Schafe. Ich (dagegen) habe (nur) ein einziges Schaf. Nun sagte er zu mir: „Vertraue es mir an!“ und setzte mir mit (diesem) seinem Ansinnen stark zu.‘ 24 David (w. Er) sagte: ‚Er hat dir in der Tat unrecht getan, indem er (zusätzlich) zu seinen Schafen (auch noch) dein Schaf haben wollte. Viele von denen, die über gemeinsames Eigentum verfügen, tun ihren Partnern Gewalt an, ausgenommen diejenigen, die glauben und tun, was recht ist, – und das sind (nur) wenige.‘ Und David meinte, wir hätten ihn (selber mit diesem Streitfall) einer Prüfung unterworfen. Da bat er seinen Herrn um Vergebung, fiel, indem er sich (gleichzeitig) verneigte (?), nieder und tat Buße. 25 Und wir vergaben ihm dies(e seine Verfehlung, deretwegen er uns um Vergebung bat). Und bei uns (im Jenseits) steht er in einem nahen Verhältnis (zu uns) und hat eine schöne Einkehr.“ Jenen, die mit der Bibel vertraut sind, wird diese Erzählung bekannt vorkommen, denn sie ähnelt in Grundzügen der sogenannten „Nathansparabel“, die sich im biblischen Text findet. In der Koranübersetzung von Friedrich Rückert, wird die Passage sogar mit „Nathans Parabel“ überschrieben.3 Der koranische Text berichtet knapp von zwei Prozessgegnern, die zu David kommen, um ihn in einem Fall richten zu lassen. Der eine, der schon 99 Schafe besitzt, hat den anderen überredet, ihm auch noch sein einziges Schaf hinzuzugeben. David urteilt, dass er dem Letzteren damit Unrecht getan habe. Es folgt ein Bruch in der Erzählung, denn von der Ebene des Streitfalls zwischen den Prozessgegnern und der Rolle Davids als Richter, nimmt David nun selbst an, dass er einer Prüfung unterzogen werde. Er tut Buße und ihm wird vergeben. Was im koranischen Text jedoch unerwähnt bleibt, ist die Vorgeschichte, die nur in der Bibel erzählt wird. Die auftretenden Akteure sind im Koran lediglich David und die zwei Streitenden, die zu ihm kommen. Die im biblischen Text so wichtigen Gestalten Bathsheba und Uriah werden nicht erwähnt. Auch der Prophet Nathan, nach dem die Parabel in der Bibel benannt wird, kommt nicht vor. Die koranische Erzählung wirft für den Lesenden einige Fragen auf: Warum tut David plötzlich Buße? Warum wurde er geprüft? Worin besteht diese Prüfung? Was ist der Hintergrund dieser Erzählung? Weder durch Sure 38,21-25 noch durch andere koranische Texte werden diese Fragen beantwortet. 2. Die Daviderzählung in der Auslegung Auslegungen der koranischen Erzählungen über den Propheten David bzw. den Koran ergänzende Informationen über ihn finden sich innerhalb der islamischen Tradition u.a. in den literarischen Gattungen der Koranexegese, Prophetenbiographien und historischen Werken. Gestützt auf die knappen, elliptischen Texte des Korans, erhalten wir in der islamischen Tradition ein detaillierteres Davidbild. Gerade die Prophetenbiographien bieten zahlreiche ergänzende Informationen zu seinem Leben bzw. zur Vorstellung, die sich deren Autoren vom Leben Davids machten. Wie in den christlichen und jüdischen Auslegungstraditionen reflektieren auch die koranischen Auslegungen des Propheten David jene Anliegen, welche die Exegeten ihrer Zeiten beschäftigten. Der Koran wird wie die Bibel immer von Menschen in ihrem jeweiligen historischen Kontext gelesen. Sie lesen ihn nie voraussetzungslos, sondern mit den Augen ihrer Zeit und beeinflusst durch ihre individuelle Einstellung. Dies geschieht auch und gerade bei der Betrachtung des Textes in Sure 38,21-25. Nicht auf alle Davidbilder der islamischen Tradition kann hier eingegangen werden, weshalb beispielhaft die Erzählung von der Sünde Davids in der Geschichte Davids des Wahb b. Munabbih (654/5-728 oder 732)4 genauer vorgestellt wird. Sie ist auf einem Papyrus erhalten, der mit dem Jahr 844 n. Chr. datiert wird. Es handelt sich dabei um einen sehr frühen Text, der u.a. die Sünde Davids thematisiert. Der Abschnitt bezieht auch Erzählungen ein, die Texten in jüdischen und christlichen Quellen ähneln, die sogenannten „Isrāʾīliyyāt“. (Siehe Punkt 6) Die Sichtweise auf David und seine Sünde verändert sich nach Zeiten und Orten der Interpreten. Eine für die Auslegung von Sure 38,21-25 bedeutende Entwicklung vollzog sich im 8./9. Jahrhundert n. Chr. Zu dieser Zeit entwickelte sich die Vorstellung von der Sündlosigkeit (isma) der Propheten, gemäß der jeder Prophet, also auch der Prophet David, sündlos ist. Das Davidbild der späteren islamischen Auslegung ähnelt in diesem oft demjenigen jüdischer Quellen.5 (Baljon macht hier darauf aufmerksam, dass die isma-Vorstellung besonders für moderne Gläubige eine wesentliche Rolle spiele, und zwar in einem weit höheren Maße, als dies anfangs der Fall gewesen sei.)6 Die Sünde Davids wurde also sowohl von islamischen Gelehrten, die annehmen wollten, dass ein Prophet sündlos sei, als auch in jüdischen Kreisen als Problemfall angesehen. David wird von diesen Gelehrten in ihrer Interpretation als ein sündloser Prophet dargestellt. Während eine Sünde Davids ein wachsendes Problem für die muslimischen Theologen war, die der sich später entwickelnden isma-Vorstellung folgten, war dies in der Frühzeit nicht der Fall. Die Davidvorstellungen haben sich dadurch verändert. In der Exegese der koranischen Texte, die vom Propheten David erzählen, wird selbstverständlich nicht nur die Sünde Davids thematisiert. Viele andere Aspekte der Person Davids werden hervorgehoben. Die kanonischen sunnitischen Hadithsammlungen (Sammlungen von Aussprüchen des Propheten Muhammad) betonen z. B. Davids Rolle in Bezug auf Beten und Fasten, während die Sufis seine beispielhafte Rolle als Asket hervorheben.7 Es finden sich in der Exegese eine vielschichtige Davidvorstellungen, die ihre Schwerpunkte auf verschiedene Aspekte seiner Person legen. Nicht nur die Ausbreitung der isma-Vorstellung, sondern auch ein anderer Aspekt hatte große Auswirkungen auf ein sich veränderndes David-Bild: die Zurückweisung bzw. Einschränkung der so genannten „Isrāʾīliyyāt“ für die Koranauslegung. 3. Isrāʾīliyyāt als Mittel der koranischen Auslegung Es gibt Textelemente in der islamischen Koranauslegung, die in ähnlicher Form auch in jüdischen oder christlichen Quellen zu finden sind. Man nennt diese „Isrāʾīliyyāt“. Als dem Propheten Muhammad (571-632) auf der arabischen Halbinsel (im heutigen Saudi-Arabien) der Koran offenbart wurde, waren die ersten Hörer koranischer Offenbarungen anfangs noch Juden, Christen, Polytheisten und eine Form von Monotheisten, die als HSanīfen bezeichnet werden. Jüdische und christliche Konvertiten zum Islam und auch solche Personen, die jüdische und christliche Erzählungen kannten, spielten eine wichtige Rolle für das Verständnis der koranischen Daviderzählung und deren Auslegung, da sie Informationen aus ihren Herkunftsreligionen einbrachten. Diese Erzählungen, die Eingang in die Koranexegese fanden, wurden später als „Isrāʾīliyyāt“ bezeichnet. Sie ähneln Erzählungen in jüdischen oder christlichen Quellen, sind aber nicht unbedingt mit diesen identisch. Zunächst wurden sie durch Geschichtenerzähler mündlich tradiert, später dann verschriftlicht. In den Texten der islamischen Tradition banden muslimische Autoren sie kreativ in ihre Interpretation. Es handelt sich folglich nicht um ein bloßes Kopieren jüdischer oder christlicher Vorlagen, sondern um ein kreatives Weiterentwickeln gemeinsamer (also nicht exklusiv jüdischer, christlicher oder islamischer) Elemente der Schriftauslegung. Isrāʾīliyyāt sind sehr frühe Zeugnisse der Rezeption und Interpretation des koranischen Textes. Sie können wichtige Informationen darüber liefern, wie die ersten Adressaten des Korans oder auch Gläubige in der Frühzeit die koranische Offenbarung verstanden und welche Vorinformationen sie zum Verständnis des Korans mitbrachten. Sie stellen daher wertvolle Zeugnisse frühislamischer Koranauslegung dar. In der Frühzeit des Islams konnte man Isrāʾīliyyāt für die Interpretation der koranischen Texte verwenden, ohne dies problematisch zu empfinden. Dies änderte sich jedoch im Laufe der Zeit. Isrāʾīliyyāt wurden zunehmend als „unislamisch“ abgelehnt, da sie jüdische oder christliche Elemente in den Islam eingebracht hätten. Ferner wurden auch wichtige Tradenten dieser Erzählungen als sogenannte „Geschichtenerzähler“ kritisiert, da man ihnen vorwarf, diese Erzählungen bloß zur Unterhaltung vorzutragen und zu sehr ausgeschmückt zu haben. Während der Geschichtenerzähler in der Frühzeit als ehrbarer Beruf galt,8 erschienen sie in der späteren Zeit in einem negativen Licht.9 Besonders in der modernen Zeit werden Isrāʾīliyyāt abgelehnt, weil sie angeblich dem Islam fremd seien und den wahren Islam verfälschten.10 Dies hat auch starke Auswirkungen auf das Davidbild von Autoren, die Isrāʾīliyyāt ablehnen. Beispielhaft macht dies die Auslegung von Sayyid Qutb zu Sure 38,21-25 deutlich. Ein von Isrāʾīliyyāt „gereinigtes“ Davidbild ergibt ein sehr schlichtes Portrait, denn der Koran bietet aufgrund seines elliptischen Stils nur wenige Informationen über den Propheten David. Dies ist durch den historischen Kontext der Offenbarung bedingt, deren Erstadressaten mit diesen Geschichten vertraut waren. Erst bei späteren Generationen von Muslimen war dies nicht mehr der Fall. Hier konnten Isrāʾīliyyāt zur Erklärung herangezogen werden. 4. Annäherung an das Davidverständnis der Erstadressaten des Korans Um uns dem koranischen Davidbild anzunähern, müssen wir zunächst versuchen, den Koran so zu verstehen, wie seine ersten Adressaten ihn hörten. Als Juden, Christen, Polytheisten und HSanīfen, konvertierten sie erst im Laufe der Zeit zum Islam. In diesem spezifischen Kontext also wurde der Koran offenbart. Dazu meint Ömer Özsoy, der Koran sei „…kein übergeschichtliches Manifest, sondern eine geschichtliche Verkündigung in der Geschichte und für die Geschichte“11 und der Koran selbst sei als „ein dynamischer Prozess“ zu verstehen, der durch die Verbindung von Verkündigung und Offenbarungsgeschichte (des Korans) zustande kam.12 Daraus wird deutlich, dass der Koran mit seinen Erstadressaten in eine Interaktion tritt und in ihren eigenen historischen Kontext spricht. Die Offenbarung ist an eine Zeit und einen Ort gebunden. Die Zeit und der Ort, in die der Koran herabgesandt wurde, ist das 7. Jahrhundert auf der heutigen arabischen Halbinsel in den Städten Mekka und Medina (wie die Stadt Yatʾrib später genannt wurde). Angelika Neuwirth beschreibt den Koran dabei als „integralen Teil der Debattenkultur der Spätantike“, bei dessen mündlicher Verkündigung eine Interaktion zwischen Sprecher (Muhammad) und Hörern stattfinde.13 Sie stellt fest, dass der noch nicht verschriftlichte Koran „textlicher Niederschlag eines Kommunikationsprozesses“ sei.14 Dabei setze die erfolgreiche Kommunikation zwischen Koran und Hörern ein gemeinsames Vorwissen voraus.15 Auch Neuwirth spricht sich für eine kontextuelle Lektüre des Korans aus: „Der Koran ist als ein spätantiker Text anzuerkennen, der gemeinsam mit einer sich sukzessiv herausbildenden Gemeinde spätantik akkulturierter Hörer entstand.“16 Betrachten wir nun, über welche Vorkenntnisse die ersten Hörer des Korans vermutlich verfügten, als sie die Erzählung in Sure 28,21-25 hörten. 5. Die Daviderzählung in 2. Samuel 11-12 Im Koran finden wir eine Erzählung, die der so genannten „Nathansparabel“ ähnelt. Es wurde bereits angesprochen, dass der koranische Text einige Fragen offen lässt, wie z. B. worin genau die Prüfung bestanden hat und warum David büßend niederfällt, nachdem die beiden Prozessgegner ihm ihr Anliegen geschildert haben. Uriah und Bathsheba werden in der Erzählung nicht erwähnt. Vermutlich war dies auch nicht notwendig, denn die ersten Hörer des Korans, die diese Erzählung vermutlich kannten, wussten bereits, wovon die Offenbarung sprach. Die ersten Hörer hatten den biblischen Text von 2. Samuel 11-12 in Erinnerung, wobei man nicht genau nachprüfen kann, wie gut die Juden und Christen der arabischen Halbinsel mit ihren jeweiligen heiligen Schriften vertraut waren, ob und in welcher Weise diese schriftlich vorlagen oder als mündliche Geschichten überliefert wurden und auch ob diese Texte/Erzählungen mit dem heute vorliegenden Text exakt übereinstimmten. Eine ähnliche Erzählung wie in Sure 38,21-25 findet sich in 2. Samuel 11-12. Der Abschnitt aus 38,21-25 entspricht größtenteils der „Nathansparabel“ in 2. Samuel 12,1-4. Dort erzählt Nathan David eine Parabel von einem Reichen und einem Armen. Der reiche Mann hatte viele Schafe und Rinder, aber als er Besuch bekam, wollte er keines seiner eigenen Tiere schlachten, sondern nahm das des armen Mannes. David richtet den reichen Mann (12,5-6) und Nathan sagt ihm, dass er selbst dieser Mann sei (12,7ff.). Bemerkenswert ist, dass die ganze Vorgeschichte dieses Abschnittes, die in der Bibel doch das ganze Kapitel 11 einnimmt, im Koran nicht erzählt wird. Im biblischen Text dient die sogenannte „Nathansparabel“ dazu, David zu verdeutlichen, dass seine vorhergehende Tat falsch war. Sie wird nicht als reales Geschehnis erzählt, sondern als Kritik an Davids Handeln. In 2. Samuel 11 wird berichtet, dass David vom Dach des Königshauses aus eine attraktive Frau beobachtet, die sich eben wäscht. (V 2). Er lässt nach ihr schicken und man sagt ihm, dass es sich bei der Frau um Bathsheba, die Tochter Eliams, die Frau Uriahs handelt (V 3). David ist also darüber informiert, dass die Frau verheiratet ist. Trotzdem sendet er Boten zu ihr und schläft dann mit ihr. Wie nebenbei wird erwähnt, dass sie sich gerade von ihrer Menstruation gereinigt hat (V 4). Sie wird schwanger und teilt David dies mit (V 5). David holt nun Uriah (V 6) und sucht ihn zu überzeugen, in sein Haus zu gehen (V 8). Uriah jedoch schläft bei den anderen Soldaten (V 9). Nun versucht David, ihn betrunken zu machen, aber auch diesmal kehrt er nicht nach Hause zurück (V13). Daraufhin schreibt David einen Brief an Joab, ihn an die Front zu schicken, wo er stirbt (V14-15). Nachdem Uriah gefallen ist (V17), heiratet David dessen Witwe (V 27). Gott sendet ihm daraufhin den Propheten Nathan mit jener Parabel, die in ähnlicher Form auch im Koran erzählt wird: David spricht sich selbst das Urteil und das Kind aus der ehebrecherischen Beziehung mit Bathsheba stirbt (12,18). Das Bild, das im biblischen Text von David vermittelt wird, ist nicht das eines sündlosen Propheten. Es ist das eines Königs, der anstatt selbst wie die anderen Könige zu dieser Zeit ins Feld zu ziehen (11,1,) Joab und dessen Soldaten in den Krieg schickt. Er hingegen hat eine Affäre mit der Frau seines Offiziers, die daraufhin ein Kind von ihm erwartet. Danach versucht David seine Tat zu verdecken, indem er versucht, den Ehemann der Frau zu seiner Frau zurück zu schicken, damit es scheint, er sei der Vater des Kindes. Der Ehemann, Uriah, wird im Gegensatz zu Person Davids als ehrbarer Mann und loyaler Soldat dargestellt, der lieber bei den anderen Soldaten bleibt statt bei seiner Frau – welch ein Gegensatz zu David, dem König! 6. Ein Beispiel aus der islamischen Tradition: Die Sünde Davids bei Wahb b. Munabbih Eine ausführliche Geschichte des Lebens Davids findet sich auf einem von Raif Georges Khoury edierten Papyrus aus dem Jahr 844 n. Chr.17 Diese Geschichte Davids (abgekürzt: GD), wird auf Wahb b. Munabbih, einen bekannten frühislamischen Tradenten von Isrāʾīliyyāt zurückgeführt. Er war jüdischer Herkunft, doch vermutlich konvertierte bereits sein Vater zum Islam. Der Papyrus beschreibt nicht nur die Episode, die hier im Zentrum steht, sondern das gesamte Leben Davids. Jener Teil der Geschichte Davids, der dieselben Umstände wie Sure 38,21-25 darstellt, ist detaillierter als der Textabschnitt aus dem Koran selbst. Er ist ausführlicher und beantwortet einige der Fragen, die ein Leser an den knappen Koranabschnitt stellen könnte. Die drei Personen David, Bathsheba und Uriah werden dort genannt, während im koranischen Text Bathsheba und Uriah nicht namentlich erwähnt werden. Deutlich wird, dass Wahb verschiedene alternative Erzählelemente stehen lässt. So finden sich Traditionen von verschiedenen Überlieferern, die Wahb erwähnt, ohne eine Auswahl zu treffen und damit andere Möglichkeiten auszuschließen. Diese verschiedenen Traditionen haben unterschiedliche Sichtweisen, wie es zur Sünde Davids kam. Der Text verwendet dabei übrigens den arabischen Begriff „danb“, der mit „Sünde“ übersetzt werden kann. Interessant ist zu betrachten, worin diese Sünde nach dem Text eigentlich bestand. Zunächst werden unterschiedliche Möglichkeiten aufgeführt, wie sich der Anfang der Geschichte zugetragen haben könnte. In der ersten Version glaubt David nicht daran, dass es jemanden gibt, der keine Sünde begeht, und Gott offenbart ihm daraufhin, dass er ihn prüfen werde (GD 13,18-2118); in der zweiten Version glaubt David nicht, dass es jemanden gibt, der nicht jeden Tag eine Sünde beginge. Ohne Ankündigung wird David daraufhin geprüft (GD 14, 1-2). In der dritten beklagt sich David bei Gott, dass diejenigen, welche ihm vorausgegangen sind, von Gott geprüft wurden, er aber nicht, woraufhin Gott ihn prüft (GD 14,13-17). Interessant sind die Abschnitte des Textes, die ausführen, wie es überhaupt dazu kam, dass David Bathsheba sieht. (Dies wird etwa im biblischen Text nicht erwähnt, da er nur aussagt, dass David sie von seinem Haus aus sieht.) Zunächst wird erzählt, dass der Satan, während David in der Thora las, eine Taube vor seine Augen lenkte und David sie für seinen Sohn fangen wollte. Sie flog an eine Lichtöffnung, durch die David die badende Frau erblickte (GD 14,2-8). Eine andere Variante berichtet, dass David, während er sich der Lesung der Psalmen widmete, von einem Vogel aus Gold, Seidenbrokat, Perlen, Chrysolith und Türkis abgelenkt wurde, den er für seinen Sohn fangen wollte und der sich auf eine Lichtöffnung setzte, durch die David in den Garten Uriahs schauen konnte, in dem er eine badende Frau sah. Er ließ Genaueres über sie erkunden und man berichtete ihm, dass es sich um Bathsheba, die Frau des Uriah handele. David verfügte daraufhin in einem Brief an seinen Neffen, der das Heer befehligte, dass man Uriah die Lade tragen lassen solle. Das brachte ihn in größte Gefahr, Uriah starb im Kampf und David nahm seine Witwe zur Frau (GD 14, 19-16,5). Eine andere Tradition berichtet von einem Vogel mit goldenen Flügeln, der David ablenkte, als er sich in der Gebetsnische befand. Er wollte mit dem Vogel bei den Söhnen Israels Eindruck machen. Als er ihn jedoch fangen wollte, erblickte er durch eine Öffnung die Frau (GD 16,517,12). Bei Wahb findet sich zudem eine ausführlichere Erzählung der Geschichte der beiden miteinander Streitenden als in Sure 38,21-25. Dort wird beschrieben, dass die beiden zu ihm kamen, als er Bathsheba, die Witwe des Uriah heiratete (GD 17,17-18). Laut Wahb handelte es sich dabei offenbar nicht um zwei Menschen, sondern um Engel (GD 18,2-3). Die Textpassage, die sich nun anschließt, ist für die Frage wichtig, worin die Sünde Davids eigentlich bestanden hat. Nach dem Gespräch mit den beiden Männern/Engeln fiel David 40 Tage lang auf die Knie und bereute. Gott sprach ihm seine Vergebung zu. David jedoch konnte darauf erst vertrauen, als Gott ihm versicherte, dass er persönlich Uriah bitten werde, ihm am Tag der Auferstehung zu verzeihen, wenn dieser das Blut Davids fordere (GD 18,4-19). Unmittelbar anschließend wird eine Überlieferung angeführt, in der ein Gespräch zwischen David und Uriah an dessen Grab geschildert wird. David will Uriah darum bitten, ihn von dem, was er ihm angetan hat, zu befreien. Uriah spricht David davon frei, ihn dem Tode ausgesetzt zu haben, da er nun im Paradies sei. Nun offenbart Gott dem David, dass er selber Uriah darüber in Kenntnis setzen soll, dass er seine Witwe zur Frau genommen habe. Als David daraufhin dem Uriah mitteilt, dass er ihm dies wegen seiner Frau angetan hätte (d.h. ihn an die Front stellen zu lassen), schweigt Uriah. Gott sagte David jedoch zu, dass er ihn bei Uriah auslösen werde. Es wird berichtet, dass Gott ihm vergebe (GD 18,19-19,16). Wahbs Erzählung in der Geschichte Davids ist ausführlicher als der koranische Text und liefert Details zu David, die sich im Koran nicht finden. Wahb verwendet dabei Isrāʾīliyyāt, die einem Leser des Korans, der selbst keinen Bezug mehr zu biblischen oder nachbiblischen Erzählungen hatte, Informationen geben, ohne die beim Lesen von Sure 38,21-25 zahlreiche Fragen unbeantwortet blieben. Erwähnt werden die auch aus der Bibel bekannten Gestalten Uriah und Bathsheba. Dabei wird in Bezug auf Bathsheba deutlich gesagt, dass sie die Frau des Uriah war. Bemerkenswert ist, dass in allen Erzählungen, die Wahb berichtet, die Sünde Davids offenbar nicht darin lag, dass er eine ehebrecherische Beziehung mit Bathsheba, der Frau Uriahs hatte. Von einer Affäre mit ihr wird an keiner Stelle berichtet und entsprechend auch nicht von einer Schwangerschaft. Es wird jedoch deutlich, dass David Uriah wegen seiner Frau Bathsheba an die Front schickte und er sie nach dessen Tod heiratete. Bemerkenswert sind auch die Anfänge der Erzählung, in denen David als ein Frommer erscheint, der sogar um eine Prüfung bittet, und wie er in das Studium der Schrift versunken war, als er durch einen Vogel abgelenkt wurde. In einer Erzählvariante taucht sogar der Satan als der hinter der Prüfung Stehende auf. Hervorgehoben wird auch die Buße Davids, dem daraufhin die Vergebung Gottes zugesprochen wird. 7. Abschließende Betrachtung Es zeigte sich, dass die islamische Tradition unterschiedliche Davidbilder kennt. Die Interpretation des koranischen Textes hängt von Zeit und Kontext des jeweiligen Exegeten ab. Die verschiedenen Davidbilder beziehen sich nicht nur auf die Frage nach der Sünde Davids, sondern auf verschiedene Aspekte der Person Davids. Es findet sich also ein Nebeneinander von verschiedenen Davidvorstellungen, die auch viel über die theologische Sichtweise der jeweiligen Autoren offenbaren. Am Beispiel Wahb b. Munabbihs etwa lässt sich aufzeigen, dass bei einem Autor gleich mehrere Varianten von Erzählungen nebeneinander stehen können, welche verschiedene Interpretationen einer Geschichte beschreiben. Thomas Bauer hat in seinem Buch „Die Kultur der Ambiguität. Eine andere Geschichte des Islams“ anschaulich dargestellt, wie ambiguitätstolerant die muslimische Tradition war und wie man verschiedene Auslegungsmöglichkeiten des Korans zulassen konnte, ja sogar als bereichernd empfand, während heutige Denker oft meinen, die Bedeutung einer Koranstelle eindeutig interpretieren zu können.19 Durch die Moderne sei man von dieser Ambiguitätstoleranz der früheren Zeit abgekommen.20 Eine wichtige Rolle bei der Entwicklung des islamischen Davidbildes spielten Konvertiten zum Islam bzw. Personen, die in Kontakt zu Juden und Christen standen und deren Erzählungen kannten. Sie brachten die sogenannten Isrāʾīliyyāt mit in die Koranauslegung ein. Diese liefern wertvolle Hintergrundinformationen zu den koranischen Erzählungen und wurden daher in der islamischen Tradition weitertradiert und sind uns, wenn sie verschriftlicht wurden, auch heute noch u.a. in Werken der Koranexegese und in Prophetenbiographien zugänglich. Die Isrāʾīliyyāt und ihre Tradenten wurden besonders in der modernen Zeit von Muslimen (jedoch nicht nur von diesen) aus verschiedensten Gründen kritisiert. Man lehnte sie als Mittel zum Verständnis des Korans als „unislamisch“ ab. Dies hat Auswirkungen auf die Davidvorstellung dieser Personen, denn wenn man Isrāʾīliyyāt als Mittel der Koranauslegung ablehnt, fehlen entscheidende Aspekte zum Verständnis dieser Erzählungen, da die Erzählungen des Korans einen elliptischen Stil aufweisen und nicht alles detailliert darstellen. Der Koran hat einen ganz eigenen Stil und seine knappen Erzählungen waren zunächst an Hörer gerichtet, die mit diesen Erzählungen und ihren Hintergrundinformationen vertraut waren. Diese Informationen hat der spätere Leser nicht mehr und ist auf die Isrāʾīliyyāt zum besseren Verständnis der Davidserzählung angewiesen. Für die Veränderung des Bildes von David ist die Herausbildung der isma-Vorstellung wichtig, nach der ein Prophet sündlos ist. Die Sündhaftigkeit der Person Davids stellt nicht nur für Muslime ein Problem dar. Auch in der jüdischen Exegese gab es Tendenzen, die Sünde Davids in späterer Zeit anders auszulegen. Es finden sich hier ähnliche Versuche, den biblischen Text zu interpretieren wie in der islamischen Tradition Sure 38,21-25. Es wurde deutlich, dass eine Sünde Davids in der früheren Tradition offenbar noch nicht als so problematisch angesehen wurde. Teilweise kann auch ein Zusammenhang zwischen der Ablehnung von Isrāʾīliyyāt in der Exegese und der Vorstellung der Sündlosigkeit der Propheten bestehen, wenn die Isrāʾīliyyāt nicht das Bild eines sündlosen Propheten vermitteln. Dies sollte jedoch nicht generalisiert werden, denn Hasson weist z. B. darauf hin, dass die Tradenten von Isrāʾīliyyāt, die Geschichtenerzähler, das Bild des sündlosen Davids übernahmen und die Vorstellung von David in den biblischen Samuel- und Königsbüchern ablehnten.21 Die vorstehenden Betrachtungen machen deutlich, dass es verschiedene Davidvorstellungen im Islam gibt. Es wurden zudem Entwicklungen benannt, die diese beeinflusst haben. Nun stellt sich die Frage nach dem Davidbild des Korans. Wird die Idee der Sündlosigkeit der Propheten der Sure 38,21-25 gerecht? Ist das koranische Davidbild ein anderes als das biblische? Es ist wünschenswert, sich dem Koran unvoreingenommen zu nähern und ihn so zu verstehen, wie seine ersten Hörer ihn verstanden haben, denn sie waren die ersten Adressaten der koranischen Offenbarung. Dafür müsste man auch bei späteren „dogmatischen“ Entwicklungen, wie jener der Sündlosigkeit der Propheten prüfen, ob diese Vorstellungen dem koranischen Prophetenverständnis generell und in unserem Fall dem des Propheten David entsprechen. Welches Davidbild hatten also die ersten Hörer? Sie waren durch ihre religiöse Erziehung und ihr religiöses Umfeld geprägt. Die Erzählung von David war ihnen bekannt, denn sie hatten sie bereits in einem anderen Kontext gehört. In welcher Form sie diese gekannt haben, bleibt allerdings unklar, da es schwierig ist, festzustellen, wie tiefgehend sie über ihre religiösen Traditionen Bescheid wussten und ob und wie Erzählungen schriftlich oder mündlich weitergegeben wurden. In diesem Zusammenhang können beispielsweise die Isrāʾīliyyāt sehr aufschlussreich sein, denn sie spiegeln ein frühes Verständnis der koranischen Erzählungen wider. Eine von „dogmatischen“ Entwicklungen freie, unvoreingenommene Betrachtungsweise, die den Koran in seinem historischen Kontext sieht, könnte viel zu einem besseren Verständnis der koranischen Davidvorstellung beitragen. 1 Dabei hat der Terminus „isma“ jedoch auch noch eine andere Konnotation, nämlich die der „Unfehlbarkeit“. Aus inhaltlichen Gründen wird sich der Artikel jedoch auf den Aspekt der „Sündlosigkeit“ konzentrieren. 2 Paret, Rudi, Der Koran, Stuttgart 92004. 3 Rückert, Friedrich, Der Koran, Hartmut Bobzin (Hrsg.), Würzburg 1995. 4 Raif Georges Khoury, Wahb b. Munabbih. Teil 1. Der Heidelberger Papyrus PSR Heid Arab 23, Wiesbaden 1972, S. 191 und 198. 5 Hasson, Isaac, “David”, in: Jane Dammen McAuliffe (Hrsg.), Encyclopaedia of the Qurʾān, Bd. 1, Leiden/Boston/Köln 2001, S. 495-497 [im Folgenden: Hasson, David], S. 496. 6 Baljon, J. M. S., Modern Muslim Koran Interpretation (1880-1960), Leiden E. J. Brill 1968, S. 71: “If in the beginning the isma-doctrine may have been regarded by Muslim orthodoxy as a more or less irrelevant affair, it is now for most of the modernists a matter of the greatest moment.”. 7 Hasson, David, S. 497. 8 Goldziher, Ignaz. Muhammedanische Studien. 2 Bände in 1 Band. 2. Nachdruck der Ausgabe Halle 1888. Hildesheim/Zürich/New York 2004., S. 161. 9 Ebd., S. 161 und 166-167. 10 Nettler, Ronald L., „Early Islam, modern Islam and Judaism: The Israiliyyat in modern Islamic thought“, in: Muslim-Jewish Encounters: Intellectual Traditions and Modern Politics, (Studies in Muslim-Jewish Relations), Ronald L. Nettler and Suha Taji-Farouki (Hrsg.), Amsterdam 1998, S. 1-14, S. 1-2. 11 Özsoy, Ömer, Offenbarung als Aktualisierung: Erneuerungsprobleme zeitgenössischer Muslime und der Koran, in: Alter Text-neuer Kontext. Koranhermeneutik in der Türkei heute, eingeleitet, übersetzt und kommentiert von Felix Körner SJ, Verlag Herder Freiburg im Breisgau 2006, S. 15-28, S. 25. 12 Ebd., S. 25 und 27. 13 Neuwirth, Angelika, Der Koran als Text der Spätantike. Ein europäischer Zugang, Verlag der Weltreligionen im Insel Verlag Berlin 2010, S. 20. 14 Ebd., S. 203. 15 Ebd., S. 44. 16 Ebd., S. 73. 17 Raif Georges Khoury, Wahb b. Munabbih. Teil 1. Der Heidelberger Papyrus PSR Heid Arab 23, Wiesbaden 1972. 18 „GD“ steht hier für „Geschichte Davids“, die erste Zahl vor dem Komma für die Seite und die Zahl hinter dem Komma für die Zeile. 19 Bauer, Thomas, Die Kultur der Ambiguität. Eine andere Geschichte des Islams, Verlag der Weltreligionen im Insel Verlag Berlin 2011, S. 15-16. 20 Ebd., S. 35 und S. 46 „Der ambige Text schlechthin ist der Koran…. Während der moderne Philologe nicht anders kann als anzunehmen, daß von zwei Interpretationen einer Textstelle mindestens eine falsch sein muß, ging der muslimische Textexeget – ohne sich dadurch von nüchtern-wissenschaftlicher Interpretationstätigkeit abhalten zu lassen – davon aus, daß die Unverständlichkeit einzelner Stellen eine unvermeidliche, da gottgewollte Eigenschaft des Textes ist, eine göttliche List, die die Menschen zu ständiger neuer Beschäftigung mit dem Text anreizt und ihnen Gelegenheit zur Bewährung ihres Wissens und ihres Scharfsinns gibt.“ 21 Hasson, David, S. 496-497.