Daniel Neubacher Infektionsprävention bei hämato-onkologischen Patienten Leitungswasser im häuslichen Umfeld: Risikofaktor für Patienten mit Neutropenie? Studie zum Infektionsrisiko/Prävention auf individueller Basis empfohlen Sonderdruck www.anaesthesie-intensivmedizin.com D. NEUBACHER Leitungswasser enthält potenziell eine Vielzahl fakultativ humanpathogener Mikroorganismen, wie etwa Legionellen, Pseudomonaden und nicht-tuberkulöse Mykobakterien. Aus diesem Grund wird in Krankenhausbereichen zur Versorgung von Patienten mit eingeschränkter Immunfunktion eine wirksame Infektionsprophylaxe empfohlen (1). Für die Zeit nach der Klinikentlassung liegen bislang keine Empfehlungen zur Infektionsprophylaxe vor, obwohl Patienten mit Neutropenie auch in der häuslichen Umgebung durch humanpathogene Wasserkeime potenziell bedroht sind. Eine aktuelle Studie hat bei einer kleinen Gruppe hämato-onkologischer Patienten kein wesentlich erhöhtes Infektionsrisiko dokumentiert (2). Dennoch raten die Autoren zur Vorsicht und empfehlen Maßnahmen zur Prävention* auf einer individuellen Basis. Ein Hintergrund der Studie ist die Beobachtung, dass Patienten mit hämato-onkologischen Erkrankungen und geringem oder mäßigem Risiko für eine fiebrige Neutropenie meistens schon vor der Wiederherstellung einer normalen Leukozytenfunktion aus der Klinik entlassen werden. Diese Maßnahme schützt die Patienten vor einer Ansteckung mit Krankenhauskeimen. Über die Risiken einer Wasserkeiminfektion im häuslichen Umfeld ist jedoch bislang wenig bekannt. Für die Studie wurden zwischen Dezember 2006 und Dezember 2007 in den Haushalten von 65 hämato-onkologischen Patienten Leitungswasserproben auf nicht-tuberkulöse Mykobakterien, Pseudomonas aeruginosa und Legionella spp. untersucht. Die häufigsten Erkrankungen der Studienteilnehmer waren akute myeloische Leukämien, akute lymphatische Leukämien und Non-HodgkinLymphome. Alle Patienten waren nach der Entlassung aus dem Krankenhaus im Zustand einer Neutropenie, für die eine Mindestdauer von zehn Tagen angenommen wurde. Die Wasserproben wurden in allen 65 Haushalten von jeweils einem Wasserhahn und einer Dusche entnommen. Dabei wurde das Kaltwasser direkt abgefüllt; beim Warmwas- 2 www.anaesthesieintensivmedizin.com Sonderdruck ser wurde mit der Entnahme bis zu einer Temperaturkonstanz (58 °C) abgewartet. Die Wasserproben wurden in sterilen 500 ml-Flaschen gesammelt, innerhalb vier Stunden bei 2 - 8 °C ins Labor transportiert und dort unmittelbar verarbeitet. Die Proben wurden jeweils für die Detektion von Mykobakterien, Legionella spp. und P. aeruginosa aufbereitet. NICHT-TUBERKULÖSE MYKOBAKTERIEN: NACHWEIS IN 95 % DER KALTWASSERPROBEN Ein wichtiges Studienergebnis war der Nachweis einer hohen Inzidenz nicht-tuberkulöser Mykobakterien (NTM) im häuslichen Umfeld der Studienteilnehmer. Insgesamt wurden NTM in 10/65 (15,4 %) der Warmwasserproben und in 62/65 (95,4 %) der Kaltwasserproben nachgewiesen, häufig sogar mehrere Spezies nebeneinander. An 21 Wasserhähnen fanden sich zwei, an fünf Wasserhähnen drei und in einem Fall sogar vier verschiedene NTM-Spezies. Mittels Kultur und Genotypisierung wurden drei fakultativ humanpathogene NTM-Spezies identifiziert: Am häufigsten war Mycobacterium chelonae aufgetreten (an 58,5 % der Zapfstellen); M. mucogenicum wurde an 38,5 % und M. scrofulaceum an 1,5 % der Wasserhähne nachgewiesen. Von den Autoren wurde insbesondere die Häufigkeit von M. mucogenicum als überraschend eingestuft. Trotz der hohen Verbreitung wurden im Beobachtungszeitraum nur wenige Infektionen mit NTM dokumentiert: Bei einem Patienten mit akuter lymphatischer Leukämie wurde eine durch die Kultur bestätigte Infektion mit M. chelonae dokumentiert, wobei die Transmission wahrscheinlich über einen zentralen Venenkatheter (ZVK) erfolgte. Dieser Befund erscheint relevant, da in einer früheren Studie berichtet wurde, dass ein Ausbruch einer M. mucogenicum Bakteriämie mutmaßlich über einen durch Leitungswasser verunreinigten ZVK verursacht wurde (3). * Die Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention beim Robert Koch-Institut empfiehlt zur Vermeidung nosokomialer Wasserkeiminfektionen während der hochgradigen Immunsuppression ausschließlich steriles oder steril filtriertes Wasser zur Pflege von Haut und Schleimhaut zu verwenden. Sofern kein anderes geeignetes Verfahren bereitsteht, wird der Einsatz endständiger Bakterienfilter empfohlen. Die Empfehlung greift immer dann, wenn die Einhaltung der Empfehlungen des Umweltbundesamtes [zur Nulltoleranz gegenüber pathogenen Wasserkeimen] nicht gewährleistet werden kann. LEITUNGSWASSER P. IM HÄUSLICHEN UMFELD: RISIKOFAKTOR AERUGINOSA IN JEDEM ZEHNTEN HAUSHALT NACHGEWIESEN P. aeruginosa ist bei neutropenischen hämatologischen Patienten als Auslöser schwerer Infektionen und einer damit verbundenen hohen Letalität gefürchtet (4, 5). Im häuslichen Umfeld erscheint die Ansteckung von Risikopatienten sehr wohl möglich, zumal die Kontamination von Trinkwasseranlagen mit P. aeruginosa aus anderen Untersuchungen bekannt ist (6). Es kann postuliert werden, dass ca. die Hälfte der Infektionen mit P. aeruginosa außerhalb des Krankenhauses akquiriert werden und kontaminiertes Leitungswasser als mögliche Infektionsquelle berücksichtigt werden muss. P. aeruginosaInfektionen über das Trinkwasser wurden beispielsweise durch molekulare Untersuchungen auf Intensivstationen (DNA-Fingerprinting) zweifelsfrei gezeigt (7). Daher erscheint relevant, dass P. aeruginosa in der vorliegenden Studie in sieben Haushalten (10,5 %) nachgewiesen wurde. Für ebenso viele Patienten wurde im Beobachtungszeitraum von zwölf Monaten eine Infektion mit P. aeruginosa mikrobiologisch bestätigt. Bei einem Patienten wurde der Erreger zeitgleich im Leitungswasser und in einer respiratorischen Probe nachgewiesen. Da diese Probe für eine molekulare Analyse nicht zur Verfügung stand, blieb offen, ob die Ansteckung dieses Patienten über diese kontaminierte Wasserzapfstelle erfolgte. Hämatologische Erkrankungen in Verbindung mit einer Immunsuppression sind klassische Risikofaktoren für eine Legionellose. Hier gibt es umfangreiche Untersuchungen zum Auftreten dieser Infektionen im Krankenhaus. Die Risiken für eine Infektion im häuslichen Umfeld sind bislang weniger untersucht. In der vorliegenden Studie wurde eine Kontamination der Trinkwasseranlage mit Legionella spp. in sechs der 65 Haushalte dokumentiert (9,2 %). In fünf Fällen handelte es sich um die epidemiologisch relevante Spezies L. pneumophila. Im Beobachtungszeitraum wurde jedoch kein Fall einer Legionellose berichtet. Die Autoren vermuten, dass das in der Studie dokumentierte relativ geringe Infektionsrisiko auf die niedrige Fallzahl aufgenommener Patienten zurückzuführen sein könnte. Sie weisen jedoch darauf hin, dass NTM, Legionellen und P. aeruginosa in kontaminierten Trinkwasseranlagen langfristig im Biofilm persistieren (8, 9) und ein potenzielles Infektionsrisiko somit anhaltend besteht. Vor diesem Hintergrund empfehlen die Autoren ei- FÜR PATIENTEN MIT NEUTROPENIE? ne individuelle Infektionsprophylaxe, die gegebenenfalls ergänzend zu Antibiotika erfolgen sollte. FAZIT FÜR DIE PRAXIS – Für Patienten mit eingeschränkter Immunfunktion, etwa für hämato-onkologische Patienten, werden im Krankenhaus Maßnahmen zur Prävention einer Infektion mit humanpathogenen Wasserkeimen empfohlen (z.B. die Installation endständiger Sterilfilter). – Für diese Patienten existieren nach ihrer Entlassung bislang keine Empfehlungen zur Prävention von Wasserkeiminfektionen im häuslichen Umfeld. Die Risiken einer Infektion mit humanpathogenen Trinkwasserkeimen sind in dieser Phase nicht ausreichend bekannt. – Fakultativ humanpathogene Wasserkeime wie P. aeruginosa, Legionellen und insbesondere nicht-tuberkulöse Mykobakterien wurden in einer Studie in der häuslichen Umgebung hämato-onkologischer Patienten mit Neutropenie nachgewiesen. – Trotz eines dokumentierten niedrigen Infektionsrisikos im Beobachtungszeitraum raten die Autoren der Studie zur individuellen Infektionsprophylaxe, gegebenenfalls ergänzend zu Antibiotika. LITERATUR 1. Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention beim Robert Koch-Institut (RKI) (2010) Anforderungen an die Hygiene bei der medizinischen Versorgung von immunsupprimierten Patienten. Bundesgesundheitsblatt 53: 357-388 2. Von Baum H, Bommer M, Forke A, Holz J, Frenz P, Wellinghausen N (2010) Is domestic tap water a risk for infections in neutropenic patients? Infection; published Online 18. March 2010, DOI 10.1007/s15010-010-005-4 3. Kline S, Cameron S, Streifel A, Yakrus MA, Kairis F, Peacock K et al. (2004) An outbreak of bacteremias associated with Mycobacterium mucogenicum in a hospital water supply. Infect Control Hosp Epidemiol 25: 1042-1049 4. Kang CI, Kim SH, Park WB, Lee KD, Kim HB, Kim EC et al. (2005) Clinical features and outcome of patients with community-acquired Pseudomonas aeruginosa bacteraemia. Clin Microbiol Infect 11: 415-418 5. Maschmeyer G, Braveny I (2000) Review of the incidence and prognosis of Pseudomonas aeruginosa infections in cancer patients in the 3 www.anaesthesieintensivmedizin.com Sonderdruck D. NEUBACHER 1990s. Eur J Clin Microbiol Infect Dis 19: 915925 6. Blasco MD, Esteve C, Alcaide E (2008) Multiresistant waterborne pathogens isolated from water reservoirs and cooling systems. J Appl Microbiol 105 (2): 469-475 7. Reuter S, Sigge A, Wiedeck H, Trautmann M (2002) Analysis of transmission pathways of Pseudomonas aeruginosa between patients and tap water outlets. Crit Care Med 30 (10): 2222-8 8. Schulze-Roebbecke R, Janning B, Fischeder R (1992) Occurrence of mycobacteria in biofilm samples. Tuber Lung Dis 73: 141-144 9. Szewzyk U, Szewzyk R, Manz W, Schleifer KH (2000) Microbiological safety of drinking water. Annu Rev Microbiol 54: 81-127 DANIEL NEUBACHER Dipl. Biologe, Freier Medizinjournalist Frankensteiner Str. 16 60594 Frankfurt PABST SCIENCE PUBLISHERS 4 www.anaesthesieintensivmedizin.com Sonderdruck Eichengrund 28, 49525 Lengerich, Tel. ++ 49 (0) 5484-308, Fax ++ 49 (0) 5484-550, E-Mail: [email protected] – Internet: www.pabst-publishers.de www.anaesthesie-intensivmedizin.com