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Jahrbuch 2015/2016 | Norden, Caren; Dzafic, Edo; Strzyz, Paulina J. | Defekte Zellteilung: W ie die Zelle Fehler
ausgleicht
Defekte Zellteilung: Wie die Zelle Fehler ausgleicht
Defective cell division: How the cell compensates for mistakes
Norden, Caren; Dzafic, Edo; Strzyz, Paulina J.
Max-Planck-Institut für molekulare Zellbiologie und Genetik, Dresden
Korrespondierender Autor
E-Mail: [email protected]
Zusammenfassung
Die Teilung von tierischen Zellen verläuft nicht immer fehlerfrei; mit teilw eise fatalen Folgen für die Entw icklung
eines Organismus. Positioniert sich bei der Teilung von Netzhaut-Vorläuferzellen der Zellkern nicht im oberen
Teil der Zelle können sich die entstehenden Tochterzellen nicht problemlos in das Gew ebe integrieren. Werden
die Bestandteile des Zentrosoms, das die Zellteilung organisiert, nicht richtig dupliziert, kommt es zu
Fehlteilungen. Caren Norden und ihre Arbeitsgruppe untersuchen die zellbiologischen Mechanismen, die in der
Entw icklung des Auges eine Rolle spielen.
Summary
During cell division in animal cells, mistakes can occur, w hich can have serious consequences for a developing
organ and organism. For example, if the nuclei of retinal progenitor cells do not move upw ards in the cell
before undergoing division, the tw o daughter cells cannot reintegrate into the tissue. Also, w hen parts of the
centrosome – the regulator of cell division – are erroneously duplicated, abnormalities of cell division can occur.
The research lab of Caren Norden w ants to understand how cell biology drives morphogenesis.
W ir nehmen unsere Umw elt zum größten Teil mit unseren Augen w ahr: Rund 80 Prozent aller Informationen
liefert der Sehsinn. Ein w ichtiger Teil des visuellen Systems ist die Netzhaut mit den lichtempfindlichen
Sehzellen. Die Forschungsgruppe von Caren Norden am Max-Planck-Institut für molekulare Zellbiologie und
Genetik (MPI-CBG) stellt sich die Frage, w ie einzelne Zellen und ihr Verhalten dazu beitragen, ein komplexes
System w ie die Netzhaut zu bilden.
Das Hauptziel der Gruppe ist es zu verstehen, w elche zellbiologischen Mechanismen die Entw icklung des
Zebrafischauges (Abb. 1) beeinflussen. Dabei liegt der Fokus darauf, w ie sich aus Augenbläschen ein
Neuroepithelium, also ein Gew ebe aus Nervenzellen entw ickeln kann und w ie sichergestellt w ird, dass genau
die richtige Anzahl an Vorläuferzellen die genau richtige Anzahl an Nervenzellen produziert. Zudem w ollen die
Forscherinnen und Forscher entschlüsseln, w elche Nervenzellen w o genau im Gew ebe entstehen und w ie sie
an den Ort w andern, an dem sie dann ihre Funktion erfüllen. Damit spannt sich die Arbeit der Gruppe von der
zellulären Ebene bis hin zur Gew ebeebene und w ill ein umfassendes Verständnis der Entw icklung der
Netzhaut in W irbeltieren erreichen.
© 2016 Max-Planck-Gesellschaft
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Zur richtigen Zeit am richtigen Ort
A bb. 1: Sicht von obe n a uf e in Ze bra fischa uge . Die rote n und
grün e n Ze lle n sind Ne urone n und de r „Tunne l“ in de r Mitte ist
de r Se hne rv.
© Ma x -P la nck -Institut für m ole k ula re Ze llbiologie und
Ge ne tik / Icha , Norde n Forschungsgruppe
Zw ei Studien der Forschungsgruppe aus dem Jahr 2015 beschäftigen sich mit der Zellteilung von NetzhautVorläuferzellen. Die W issenschaftler stellen sich dabei vor allem die Fragen: "Welche Fehler können
auftreten?" und "W ie gleichen Zelle und Gew ebe Fehlentw icklungen aus?" Eine Studie in der Fachzeitschrift
Developmental Cell [1] beleuchtet die Frage, w arum der Zellkern in Netzhaut-Vorläuferzellen des Zebrafisches
zur Zellteilung verlässlich innerhalb der Zelle zur apikalen Seite, also nach oben w andert. Seit 1935 ist
bekannt, dass sich in den länglichen Zellen von Neuroepithelien der Zellkern nach oben bew egt, w enn eine
Zellteilung ansteht.
Caren Norden's Team und andere Gruppen haben in vergangenen Studien bereits erforscht, w ie dieser
Vorgang mechanisch funktioniert. Eine Erklärung, w arum das so ist und w ie dieser Prozess ausgelöst w ird,
gab es allerdings noch nicht. Also schauten sich die W issenschaftlerinnen und W issenschaftler genauer an,
w ie sich die länglichen Netzhaut-Vorläuferzellen in Zebrafisch-Embryonen verhalten. Die Zellen teilen sich
immer w ieder in zw ei w eitere Vorläuferzellen, bis sich ein genügender Vorrat angesammelt hat. In dieser
Phase, so die Beobachtung, ist es besonders w ichtig, dass sich der Zellkern an der apikalen Seite teilt. In
späteren Phasen der Netzhautentw icklung, w enn sich aus dem Pool an Netzhaut-Vorläuferzellen verschiedene
spezialisierte Neuronen der Netzhaut gebildet haben, w erden Zellkernteilungen auf der nicht-apikalen Seite
besser vom Gew ebe toleriert und ausgeglichen.
Mit aller Macht nach oben
Die Ergebnisse zeigen, dass die Zelle alles dafür tut, damit sich der Zellkern bei der Zellteilung im oberen
Bereich befindet. Selbst w enn der Zellkern schon anfängt, sich zu teilen, bew egt er sich w ährend seiner
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eigenen Teilung schnell nach oben, um zur Teilung der gesamten Zelle an der richtigen Stelle zu sein. Der
Prozess der Zellkernteilung w ird durch ein Protein im Zellkern, die Zellzyklus-abhängige Kinase 1 (CDK1),
ausgelöst. Sobald die Zellkernteilung in Gang kommt, ist der Teilungsprozess unumkehrbar.
A bb. 2: Auge e ine s wa chse nde n Ze bra fische m bryos: Ge sunde
Ze lle n, hie r grün und we iß m a rk ie rt, wurde n im pla ntie rt und
ha be n a bge storbe ne Ze lle n e rse tzt – da s Auge k onnte sich
norm a l e ntwick e ln.
© Aus: Edo Dza fic, P a ulina J. Strzyz, Micha e la W ilschBrä uninge r und C a re n Norde n/ C e ll R e ports, 24 Se pte m be r
2015 [2]
„W ir Biologen nennen das einen robusten Prozess“, erklärt Norden. Gemeinsam mit ihrem Team konnte die
W issenschaftlerin zeigen, dass die Wanderung des Zellkerns zur apikalen Seite der Zelle die Unversehrtheit
von Gew ebe gew ährleistet und damit einen w ichtigen Schritt zur Gew ebereifung darstellt. Wenn sich der
Zellkern w ährend der Teilung nicht oben befindet, ist es den Tochterzellen, die nach einer Teilung entstehen,
unmöglich, sich w ieder richtig in das Gew ebe einzufügen. „Die Zellen landen zur falschen Zeit am falschen Ort.
Sie sind verloren in Raum und Zeit“, erklärt Caren Norden die Folgen. Es können sich Zellklumpen bilden und
die w eitere Entw icklung der noch so jungen Netzhaut kommt aus dem Tritt. Eine mögliche Erklärung dafür ist,
dass die Integration nur an dieser Stelle möglich ist. Eine erfolgreiche Integration der Tochterzellen in das
Gew ebe ist somit unabdinglich für den richtigen Aufbau des Gew ebes. Damit haben die Forscher einen
w eiteren zellbiologischen Prozess gefunden, der zu einer gesunden Netzhautentw icklung beiträgt.
Mit dem Fehler leben
In einer zw eiten Studie aus dem Oktober 2015 schaute sich die Forschungsgruppe an, w ie die Zellen mit
fehlerhaft verdoppelten Zentrosomen umgehen. Das Zentrosom ist ein Zellorganell, das die Zellteilung
organisiert. Es
besteht aus
zw ei rechtw inklig
zueinander angeordneten
Zentriolen, zylinderförmigen
Strukturen, die in einer Proteinmatrix eingebettet sind. Vor der Teilung des Zellkerns verdoppeln sich die
Zentrosomen zeitgleich mit der DNA und trennen sich nach ihrer Verdoppelung, um zu entgegengesetzten
Polen der Spindel zu w andern. Dies ist w ichtig, um genetisches Material gleichmäßig zw ischen den zw ei
Tochterzellen zu teilen. Nach der Kern- und Zellteilung erhält dann jede Tochterzelle eines der beiden
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Zentrosomen. Die Duplizierung der Zentrosomen läuft nicht immer fehlerfrei ab: Wenn eine Zelle zu viele
Zentriolen hat, w erden mehr als zw ei Zentrosomen gebildet, w as zu Fehlentw icklungen bei der Zellteilung und
zu einer ungleichmäßigen Verteilung des genetischen Materials führt. Mit fatalen Folgen: Zu viele Zentrosomen
stehen im Verdacht, Ursache für Krankheiten w ie Krebs oder Mikrozephalie, eine Fehlbildung des Gehirns, zu
sein. Die W issenschaftlerinnen und W issenschaftler um Norden konzentrierten sich in ihrer Studie nun auf die
Reaktion einzelner Zellen auf solche fehlerhaften Vervielfältigungen des Zentrosoms im lebenden Organismus.
Dazu w ählten sie als Versuchsmodell, w ie bereits in der vorangegangenen Studie den Zebrafisch. Als Embryo
ist dieses Tier durchsichtig und man kann das w achsende Fischei einfach beobachten und problemlos in die
Zellen hineinschauen, ohne den Fisch aufw ändig präparieren zu müssen.
Zelltod und Fehlentwicklungen
Sie beobachteten, dass im sich entw ickelnden Nervensystem der Zebrafischretina zu viele Zentriolen zu Zellen
mit zw ei Zellkernen führen können. Die meisten dieser zw eikernigen Zellen sterben dann ab und verursachen
Fehlbildungen im Gew ebe des retinalen Neuroepithels. Diese Fehlbildungen bew irken den Tod einzelner Zellen
und führen zu Fehlern in der Netzhautentw icklung. Allerdings reagiert nicht jedes Gew ebe so empfindlich auf
Zellen mit zw ei Zellkernen w ie das Neuroepithel: Hautzellen beispielsw eise tolerieren Zellen mit zw ei
Zellkernen und
sterben nicht ab. Im Neuroepithlel aber überleben Zellen mit zw ei Zellkernen nicht. Andere
Zellen, bei denen es eine fehlerhafte Verteilung des genetischen Materials gibt, die aber nur einen Zellkern
haben, überleben jedoch, w as die Forscher überraschte. Demzufolge scheint eine fehlerhafte Genomverteilung
bei der Zellteilung von Neuroepithelzellen nicht immer automatisch zum Zelltod zu führen, sondern vornehmlich
die Bildung von zw ei Zellkernen. Das Risiko, dass sich bei der Zellteilung Tochterzellen mit zw ei Zellkernen
bilden und dann absterben, w iederholt sich bei jeder Zellteilung neu. Damit sind zu viele Zentriolen und
Zentrosomen für Vorläuferzellen in den frühen Entw icklungsstadien der Retina des Zebrafisches besonders
folgenschw er, da sie noch viele Zellteilungen bis zur Ausdifferenzierung in einen bestimmten Zelltyp
durchlaufen müssen und mit höherer Wahrscheinlichkeit eine zw eikernige Zelle gebildet w ird. Zellen, die sich
bereits in der Differenzierung befinden, w erden von zu vielen Zentriolen nicht beeinträchtigt und entw ickeln
sich meist normal w eiter.
Teamarbeit der Zellen
Die Forscher und Forscherinnen beobachteten eine interessante Reaktion des Gew ebes auf den Zelltod der
defekten Zellen: W ildtyp-Zellen, die von der Störung durch zu viele Zentriolen nicht betroffen sind, vermehren
sich einfach stärker um mehr Vorläuferzellen zu bilden und so den Verlust der Zellen zu kompensieren. Damit
können einige Fehlbildungen im Retinagew ebe ausgeglichen w erden. Diese Ergebnisse zeigen, dass es für
den Organismus außerordentlich w ichtig ist, ein normal organisiertes Gew ebe zu bilden. Zusammenfassend
stellt die Forschungsgruppe in ihrer Studie fest, dass überzählige Zentriolen nicht immer Auslöser für das
Auftreten von Krebs w ährend der Entw icklung sind. Jedoch ist es möglich, dass erw achsenes Gew ebe eher
anfällig für Krebs ist, w enn in frühen Entw icklungsstadien zu viele Zentriolen in der Zelle aufgetreten sind.
Literatur
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[1] Paulina J. Strzyz, P. J.; Lee, H. O.; Sidhaye, J.; Weber, I. P.; Leung, L. C.; Norden, C.
Interkinetic Nuclear Migration Is Centrosome Independent and Ensures Apical Cell Division to Maintain
Tissue Integrity
Developmental Cell 32, 203-219 (2015)
[2] Dzafic, E; Strzyz, P. J.; Wilsch-Bräuninger, M.; Norden, C.
Centriole amplification in zebrafish affects proliferation and survival but not differentiation of neural
progenitor cells
Cell Report 13, 168-182 (2015)
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