Isolierte hypertherme Extremitätenperfusion mit TNF

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MEDIZIN
ÜBERSICHTSARBEIT
Isolierte hypertherme
Extremitätenperfusion mit TNF-α
und Melphalan
Eine Alternative zur Amputation bei lokal fortgeschrittenen
Weichgewebssarkomen
Peter M. Schlag, Per-Ulf Tunn
ZUSAMMENFASSUNG
SUMMARY
Einleitung: Die Behandlung des Weichgewebssarkoms der
Extremitäten hat sich im Verlauf der letzten Jahre von der
Amputation zur weiten Resektion und postoperativen
Strahlentherapie gewandelt. Beim lokal fortgeschrittenen
Weichgewebssarkom ist dieses Vorgehen meist nicht möglich. Um Amputationen und mutilierende chirurgische Eingriffe zu vermeiden, hat sich die isolierte Extremitätenperfusion (ILP, isolated limb perfusion) mit Tumornekrosefaktor-alpha (TNF-α) und Melphalan unter milder Hyperthermie klinisch bewährt. Methoden: Übersichtsarbeit auf der
Basis einer selektiven Literaturübersicht sowie eigener klinischer Erfahrungen der Autoren. Ergebnisse: Die 5Jahres-Überlebensrate bei hochmalignen Weichgewebssarkomen der Extremitäten liegt zwischen 50 und 60 %.
Diese kann auch durch ablative Operationsverfahren nicht
verbessert werden, weil die Prognose durch die Fernmetastasierung bestimmt wird. Die ILP ist derzeit beim lokal
fortgeschrittenen oder lokal rezidivierten Weichgewebssarkom der Extremitäten mit Ansprechraten von mehr als
70 % das effektivste neoadjuvante Verfahren. Beim
metastasierten Weichgewebssarkom kann die ILP auch
ohne nachfolgende Tumorresektion unter palliativer
Zielsetzung durchgeführt werden. Diskussion: Die Indikation zur ILP sollte bei lokal fortgeschrittenen oder rezidivierten Weichgewebssarkomen der Extremitäten, die nicht
sicher R0-reseziert oder nur durch eine Amputation radikal
operiert werden können, stets in Erwägung gezogen
werden.
Dtsch Arztebl 2007; 104(33): A 2268–73
Isolated Limb Perfusion with Tumour
Necrosis Factor-Alpha and Melaphan
Schlüsselwörter: Weichgewebssarkom, isolierte hypertherme Extremitätenperfusion, Extremitätenerhalt, multimodale Therapie
Klinik für Chirurgie
und Chirurgische
Onkologie
Charité Campus
Buch, Robert-Rössle
Klinik im HELIOS
Klinikum Berlin:
Prof. Dr. med. Dr. h.c.
Schlag,
Dr. med. Tunn
A 2268
D
ie Therapie von resektablen Weichgewebssarkomen der Extremitäten ist primär chirurgisch und
gliedmaßenerhaltend. Sie wird gegebenenfalls in Abhängigkeit vom Grading, der Tumorlokalisation und
dem histopathologischen Untersuchungsbefund durch
eine postoperative Radiotherapie im nichtmetastasierten Stadium im Erwachsenenalter ergänzt. Bei lokal
Introduction: Treatment for soft tissue sarcoma of the
extremities has shifted in recent years from amputation
to wide local excision combined with postoperative
irradiation. In locally advanced soft tissue sarcoma of the
limb, this limb-sparing approach is often not feasable.
In these circumstances, isolated limb perfusion (ILP)
with tumour necrosis factor-alpha (TNF-α) and melphalan,
delivered under mild hyperthermic conditions, can achieve
limb salvage in a significant percentage.
Methods: Selective literature review and presentation
of the authors` own results. Results: The 5-year overall
survival rate of patients with high malignant soft tissue
sarcoma of the limb is about 50 % to 60 %. As it has
become apparent that amputation for soft tissue sarcoma
does not improve survival rates, interest in limb salvage
approaches has increased. TNF-α and melphalan based
ILP can provide long term limb salvage in about 80 % of
the patients with locally advanced and recurrent soft tissue
sarcoma of the extremities. The overall response rate is
higher than 70 %. ILP represents the most effective neoadjuvant treatment approach of primary locally advanced
and recurrent soft tissue sarcoma at present. In cases with
widespread metastases, it can be used palliatively without
subsequent tumour resection to avoid ablative surgery.
Discussion: ILP should strongly be considered indicated
in locally advanced and recurrent soft tissue sarcoma
of the extremities to avoid amputations and improve
R0-resectability.
Dtsch Arztebl 2007; 104(33): A 2268–73
Key words: soft tissue sarcoma, isolated limb perfusion,
surgery, limb salvage, prognosis, interdisciplinary therapy
fortgeschrittenen Tumoren der Extremitäten werden mit
dem Ziel der Kuration häufig noch ablative Eingriffe
vorgenommen. Da die Prognose durch diese verstümmelnden Eingriffe meist nicht zu beeinflussen ist, sind
multimodale Maßnahmen vor ablativen Eingriffen zu
fordern. Die isolierte Extremitätenperfusion ist in diesem Kontext eine innovative neoadjuvante Therapie,
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Abbildung 1:
Angiografischer
Befund eines
Weichteilsarkoms
des distalen
Oberschenkels/
Fossa poplitea
vor und nach ILP
mit TNF-α und
Melphalan.
Die Aufnahmen
zeigen ein
komplettes
Verschwinden/
Zusammenbruch
der Tumorgefäße
10 Tage nach ILP.
um den Anteil extremitätenerhaltender Eingriffe zu steigern, ohne eine Verschlechterung der Prognose eingehen zu müssen und damit auch die Lebensqualität der
Patienten zu verbessern.
Weichgewebssarkome sind mit einer Inzidenz von 1
bis 2 Neuerkrankungen pro 100 000 Einwohnern und
Jahr selten und machen 1 bis 2 % aller malignen Neoplasien im Erwachsenenalter aus (1, 2). Die sehr heterogene Gruppe der Weichgewebssarkome umfasst alle
malignen Tumoren des nichtepithelialen Gewebes
(Muskulatur, Fettgewebe, Bindegewebe, Gefäße, etc).
Mit etwa 60 % stellen die Extremitäten die häufigste
Lokalisation dar, wobei die untere Extremität mit insgesamt etwa 40 % überwiegt.
Wegen der relativen Seltenheit des Weichgewebssarkoms sind spezielle Kenntnisse und Erfahrungen der
verschiedenen Therapiemöglichkeiten begrenzt. Die lokale Tumortherapie mit den üblicherweise zur Verfügung stehenden chirurgischen Möglichkeiten kann trotz
eines hohen operativ-technischen Niveaus im Einzelfall
problematisch sein. Gerade bei Patienten mit lokal fortgeschrittenen Weichgewebssarkomen der Extremitäten
sollten mutilierende Resektionen oder gar Amputationen aufgrund der Möglichkeit neoadjuvanter Strategien
in den Hintergrund treten. Zu den neoadjuvanten Therapieoptionen zählt neben der lokalen Radiotherapie und
der systemischen Chemotherapie, mit oder ohne lokale
Hyperthermie, die isolierte hypertherme Extremitätenperfusion. Vor einer Amputation ist es deshalb empfehlenswert, eine zweite Meinung in einem interdisziplinären Sarkomzentrum einzuholen.
Nach der Diagnosestellung und dem abgeschlossenen Staging steht bei der Therapie des nichtmetastasierten Weichgewebssarkoms im Erwachsenenalter die lokale Tumorbehandlung im Mittelpunkt. Das Ziel ist die
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langfristige lokale Tumorkontrolle und Heilung bei
gleichzeitigem Extremitätenerhalt. Durch die Anwendung multimodaler Therapiekonzepte kann eine hohe
lokale Tumorkontrolle verbunden mit Funktions- und
Extremitätenerhalt erzielt werden. Die Mehrzahl der
Weichteilsarkome lassen sich extremitätenerhaltend in
Abhängigkeit von der Lokalisation durch eine kompartmentorientierte oder weite Resektion, gegebenenfalls
kombiniert mit einer Radio-/Chemotherapie, behandeln.
Etwa 10 % der Tumoren sind jedoch lokal so weit fortgeschritten, dass diese primär nicht funktionserhaltend
kurativ reseziert werden können (R0-Resektion). Es
handelt sich vorwiegend um extrakompartmental lokalisierte Weichgewebssarkome in unmittelbarer Nachbarschaft oder mit Infiltration von Gefäß- und Nervenstrukturen oder Gelenken. Hier hat sich die isolierte Extremitätenperfusion (Isolated Limb Perfusion, ILP) mit
TNF-α (1 bis 4 mg) und Melphalan (10 bis 13 mg/L Extremitätenvolumen) bei milder Hyperthermie (38 bis
40 °C) als neoadjuvante Therapie bewährt, um den Tumor zu devitalisieren und zu verkleinern. Diese Behandlungsstrategie ermöglicht für etwa 80 % der Patienten,
die unmittelbar von einer Amputation aufgrund der
Lokalisation und Infiltrationstiefe des Tumors bedroht
sind, eine funktions- und extremitätenerhaltende Resektion. Die Indikation zur ILP besteht sowohl beim
Primärtumor als auch beim lokalen Tumorrezidiv. Auch
im metastasierten Stadium der Erkrankung beim lokal
fortgeschrittenen Weichgewebssarkom der Extremitäten ist die Indikation zur ILP selbst bei limitierter Lebenserwartung unter palliativem Aspekt sinnvoll, um
die Extremität zu erhalten. Eine kurative Amputation ist
nur dann gerechtfertigt, wenn durch keine neoadjuvante
Therapie eine R0-Resektion des Tumors, das heißt Entfernung histologisch im Gesunden, zu realisieren ist.
A 2269
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Schematische
Darstellung
der isolierten
Extremitätenperfusion
GRAFIK 1
TABELLE 1
Häufigkeit systemischer und lokaler Gewebsreaktionen im eigenen
Patientengut nach ILP mit TNF-α und Melphalan bei Patienten mit lokal
fortgeschrittenen Weichgewebssarkomen
Grad
Ausmaß der Reaktion
I
Keine subjektive oder objektive Reaktion
Häufigkeit
26,4 %
II
Leichte Rötung und/oder Ödem
45,9 %
III
Deutliches Erythem und/oder Ödem mit Blasenbildung;
geringe Beeinträchtigung der Motilität
22,3 %
IV
Ausgedehnte Epidermiolysen; Schädigung tiefer
Gewebe mit bleibenden Funktionsverlusten;
drohendes oder manifestes Kompartmentsyndrom
5,4 %
V
Schädigung, die eine Amputation erforderlich macht
1,6 %
(n = 125; 1993–2005), Klassifikation nach Wieberdink et al. (15)
Derzeit wird die ILP vorwiegend bei Weichgewebssarkomen im Erwachsenenalter vorgenommen. Bei Sarkomen im Kindesalter wird die Indikation wesentlich
seltener und dann vor allem im Rezidivfall gestellt (3).
Nachfolgend sollen die Grundlagen und Ergebnisse
dieses Therapiekonzeptes anhand einer selektiven und
fokussierten Literaturrecherche sowie der eigenen Behandlungsergebnisse vorgestellt werden.
Wirkprinzip von TNF-α und Melphalan
Tumor-Nekrose-Faktor-alpha (TNF-α) ist ein potentes
Zytokin mit einer effektiven antitumoralen Aktivität (4).
Eine systemische Applikation in therapeutisch wirksamen Dosen ist wegen der damit verbundenen hohen Toxizität problematisch. Die bei der ILP eingesetzte Dosis
von 1 bis 4 mg TNF-α liegt um den Faktor 10 über der
systemisch maximal tolerierten Dosis (MTD) von 0,350
mg/m2 Körperoberfläche (5).
TNF-α entfaltet seine Wirkung über direkte und indirekte zytotoxische/apoptotische Mechanismen und führt
letztlich zu einer Devitalisierung des Tumors. Neben den
direkten antiproliferativen und zytotoxischen Effekten
auf die Tumorzellen aktiviert TNF-α Adhäsionsmo-
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leküle an der Oberfläche von Endothelzellen innerhalb
des Tumors. Die tumorspezifische Wirkung beruht vermutlich auf der Hemmung des Integrins avβ3, einem Adhäsionsmolekül, das speziell während der Angiogenese
von Endothelzellen exprimiert wird und in den ruhenden
Endothelzellen des gesunden Gewebes nur in sehr geringem Maße anzutreffen ist. Die Inhibition der avβIntegrinfunktion führt schließlich zur Apoptose von Gefäß-Endothelzellen im Tumor. In einem komplexen Zusammenspiel mit Makrophagen und Leukozyten kommt
es dann zur Auflösung endothelialer vaskulärer Strukturen des Tumors und damit zur Tumornekrose (5, 6).
Die selektive Wirkung von TNF-α auf das Gefäßsystem des Tumors kann unter anderem eindrucksvoll
durch den Vergleich angiografischer Aufnahmen präund post-ILP gezeigt werden (Abbildung 1). Innerhalb
von 7 Tagen nach ILP mit TNF-α kann die Tumorvaskularisation komplett zusammenbrechen.
Tierexperimentell wurde zusätzlich zu den Effekten
auf das Gefäßsystem eines Weichgewebssarkoms nach
der Applikation von TNF-α eine 4- bis 6-fach höhere
Konzentration von Melphalan im Tumorgewebe, im Vergleich zur alleinigen Gabe von Melphalan, gemessen (7).
Über diesen Mechanismus verstärkt TNF-α den zytotoxischen Effekt von Melphalan. Je ausgeprägter die Vaskularisierung des Tumors, desto stärker sind die synergistischen Effekte von TNF-α und Melphalan zu erwarten.
Grundlagen der isolierten hyperthermen
Extremitätenperfusion
Die isolierte hypertherme Extremitätenperfusion (ILP)
ist ein regionales zytotoxisches Therapieverfahren, das
bei primär nicht kurativ resektablen Weichgewebssarkomen und auch bei Sarkomrezidiven der Extremitäten
zur klinischen Anwendung kommt. Ziel dieses Vorgehens ist, die Resektabilität des Tumors zu optimieren
beziehungsweise erst zu ermöglichen.
Die ILP wurde erstmals 1957 von Creech und Krementz zur Behandlung lokal fortgeschrittener Tumoren
im Extremitätenbereich klinisch eingeführt (8). Die
Isolation des Extremitätenkreislaufs mit einer extrakorporalen Zirkulationseinheit (Herz-Lungen-Maschine)
ermöglicht es, hochdosierte, regional effektive zytotoxische Substanzen zu applizieren und gravierende systemische Nebenwirkungen zu vermeiden. Die zusätzliche
Erwärmung des Gewebes verstärkt die medikamentöse
Wirkung (9). Bei der ILP wird die betroffene Extremität
durch einen chirurgischen Eingriff vom Körperkreislauf
des Patienten isoliert. In Abhängigkeit von der Tumorlokalisation werden im Bereich der unteren Extremität
ein iliakaler, hoch femoraler oder Adduktorenzugang
und an der oberen Extremität ein transpektoraler, axillärer oder kubitaler Zugang unterschieden. Hierzu ist die
Präparation der entsprechenden Arterien und Venen
notwendig. Nach dem Einführen der intravasalen
Katheter wird der extrakorporale Kreislauf mit einer
Herz-Lungen-Maschine komplettiert. Durch Anlage
eines Tourniquets werden kleinere Kollateralgefäße
temporär verschlossen und damit der Übertritt der applizierten Substanzen in den Körperkreislauf verhindert.
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a
b
Zur Leckkontrolle, das heißt einer gegebenenfalls unzureichenden Trennung von Extremitäten- und Systemkreislauf, ist die kontinuierliche Messung der Leckrate
durch intravasal applizierte radioaktive Indikatoren
(markierte, autologe Erythrozyten oder Humanalbumin)
sowohl im Körperkreislauf als auch im Extremitätenkreislauf von besonderer Bedeutung. Mit der Applikation der antitumoralen Medikation in den Extremitätenkreislauf kann erst dann begonnen werden, wenn eine
Stabilität des Systems vorliegt. Die Medikamente werden
intraarteriell gegeben, durchströmen die tumortragende
Extremität und gelangen über den venösen Rückstrom
wieder zurück in den extrakorporalen Kreislauf. Durch
einen im venösen System zwischengeschalteten Oxygenator und Wärmeaustauscher werden der pO2 und die
Temperatur des Extremitätenkreislaufs in einem Temperaturbereich von 38 bis maximal 40 °C konstant gehalten
(Grafik). Die Gesamtperfusionsdauer beträgt in der
Regel 90 min. Anschließend wird das Perfusat aus der
behandelten Extremität „ausgewaschen“, die intravasalen Katheter entfernt und nach Venen- und Arteriennaht
der Eingriff mit dem Wundverschluss beendet.
Die Dauer der gesamten Prozedur beträgt im Median
330 min.
Die ILP wird zunächst mit Melphalan als Monotherapie durchgeführt. Melphalan konnte dabei in einer bis zu
20-fach höheren Dosierung im Vergleich zur üblichen
systemischen Applikation bei angemessener Verträglichkeit eingesetzt werden. Die Ansprechraten lagen
beim malignen Melanom bei 75 bis 80 % (komplette
Remission in mehr als 50 % der Patienten) (10, 11, 12).
In der Behandlung des lokal fortgeschrittenen Weichgewebssarkoms der Extremitäten zeigte Melphalan allein
jedoch eine nur sehr begrenzte Wirksamkeit. Gleiche
Ergebnisse resultierten auch für andere Zytostatika
(zum Beispiel Adriamycin, Cisplatin, Aktinomycin) als
Monotherapie, waren aber mit stärkeren Nebenwirkungen assoziiert. Erst in Kombination von Melphalan mit
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c
Abbildung 2:
a) Exulzeriertes
Weichteilsarkom
der Fossa poplitea
rechts vor der
Therapie.
b) Klinisches
Resultat 6 Wochen
nach ILP mit TNF-α
und Melphalan
mit Demonstration
einer partiellen
Remission.
c) Ergebnis
nach weiterer
Tumorresektion
und plastischer
Rekonstruktion des
Weichteildefektes
12 Wochen
nach ILP.
TNF-α wurden erstmals von Lejeune et al. hohe Ansprechraten erzielt und somit 1992 der Durchbruch der
ILP in der Behandlung von lokal fortgeschrittenen
Weichgewebssarkomen der Extremitäten erzielt (13).
Die überzeugenden Ergebnisse einer Multicenter-Studie, auch unter Beteiligung unserer Klinik (14), in der
186 Patienten eingeschlossen wurden, führten schließlich 1999 zur europäischen Zulassung von TNF-α zur
Anwendung in Kombination mit Melphalan bei der
Therapie des lokal fortgeschrittenen Weichgewebssarkoms der Extremitäten. Es handelte sich hierbei um eine
prospektive Beobachtungsstudie. Eine randomisierte
Studie war in diesem Kontext ethisch nicht zu rechtfertigen, weil ausschließlich Patienten eingeschlossen
wurden, denen nach herkömmlichen Kriterien eine
Amputation der betroffenen Extremität empfohlen
wurde. Im weiteren Verlauf konnte mit zunehmender
klinischer Erfahrung und ergänzenden, vergleichenden
Beobachtungsstudien gezeigt werden, dass auch eine
Dosisreduktion von TNF-α von 4 auf 1 mg zu gleichen
Ergebnissen führte (15).
Aufgrund der Komplexität der ILP mit TNF-α und
Melphalan ist die Vorhaltung dieser Technik auf wenige
Kliniken mit ausreichender Erfahrung und Expertise beschränkt. Europaweit sind derzeit 35 Zentren zur Durchführung dieser sehr aufwendigen und fachübergreifenden Therapie in Zusammenarbeit mit dem Daniel den
Hoed Cancer Center in Rotterdam, Niederlande, ausgebildet worden. In Deutschland wird die ILP mit TNF-α
und Melphalan in entsprechend geschulten Zentren, unter anderem in Berlin, Bochum, Erlangen, Essen, Homburg/Saar und Mannheim, durchgeführt.
Postoperatives Management
Aufgrund der Möglichkeit systemischer Unverträglichkeitsreaktionen ist postoperativ eine intensivmedizinische Überwachung des Patienten obligat. Das Auftreten
von schwerwiegenden Nebenwirkungen – wie zum Bei-
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TABELLE 2
Behandlungsergebnisse (Beobachtungsstudien) beim lokal fortgeschrittenen Weichgewebssarkom der Extremitäten nach neoadjuvanter
ILP mit TNF-α und Melphalan und anschließender Resektion
Autoren
Patienten
Lev-Chelouche et al. (1999)
(n)
Responserate
(PR + CR) (%)
R0-Resektion
(%)
Lokalrezidivrate (%)
Extremitätenerhalt (%)
Gesamtüberleben
(median)
(Monate)
13
54 + 38
74
38
85
29
Lejeune et al. (2000)
22
64 + 18
k.A.
45
86
19
Olieman et al. (1998)
34
59 + 35
45
26
85
28
Grünhagen et al. (2006)
197
51 + 18
k.A.
k.A.
87
57
Eggermont et al. (1999)
246
48 + 28
k.A.
k.A.
76
k.A.
Bonvalot et al. (2005)
100
17 + 49
k.A.
k.A.
87
k.A.
Eigene Ergebnisse (2005)
125
53 + 19
91
18
81
63
PR, partielle Remission; CR, komplette Remission; k. A., keine Angabe
spiel sepsisähnliche Reaktionen, Nierenversagen, Leberversagen, paralytischer Ileus oder eine schwerste
toxische Schädigung der betroffenen Extremität, die
zur Amputation führen kann – liegen unter 3 %. Zu allgemeinen chirurgischen Komplikationen der ILP zählen
Infektion, Wundheilungsstörung, Thrombose, Embolie,
Verletzung von Gefäßen oder Nerven und Ausbildung
einer Lymphfistel, meist im Zusammenhang mit einer
Lymphdissektion. Die therapiebedingte Mortalität liegt
unter 0,5 % (16). Die lokalen und systemischen Nebenwirkungen sind somit im Hinblick auf die Gesamtproblematik der Erkrankung vertretbar. Moderate systemische Nebenwirkungen von TNF-α wie Fieber und
Schüttelfrost sind relativ leicht zu handhaben. Eine
forcierte Diurese wird zur Schockprophylaxe beziehungsweise Prävention einer Nierenschädigung vor, während
und nach der ILP durchgeführt.
Tabelle 3
Indikationen zur ILP beim lokal fortgeschrittenen Weichgewebssarkom
der Extremitäten
Erwachsenenalter
Primärtumor
Extrakompartmental lokalisierter oder kompartmentüberschreitender maligner Weichgewebstumor der
oberen und unteren Extremität (u. a. Gelenk-, Gefäßund Nervenkontakt), bei dem eine primäre R0-Resektion
fraglich nur mit einem hoch mutilierenden Eingriff
(z. B. Amputation) möglich ist.
Lokalrezidiv
Generell zu favorisieren, insbesondere bei lokal
fortgeschrittenem oder multilokulär wachsendem
Weichgewebssarkomrezidiv der Extremitäten, welches
bereits multimodal primär behandelt wurde
(Bestrahlung, Chemotherapie).
Kindesalter
Primärtumor
Progression unter systemischer
Induktions-Chemotherapie (z. B. CWS-Protokoll),
Alternative zur Amputation.
Lokalrezidiv
Nach multimodaler Vortherapie und drohender Amputation
unter kurativer und ggf. palliativer Intention.
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Die meisten Patienten entwickeln als Folge der ILP
lokale Hautreaktionen, die jedoch meist keiner speziellen Therapie bedürfen. Zur Einteilung der toxischen Reaktionen hat sich die Klassifikation nach Wieberdink
(17) etabliert. Etwa die Hälfte der Patienten entwickelt
lokale Reaktionen und Ödeme vom Grad II. Tabelle 1
gibt einen Überblick zur Häufigkeit der lokalen Nebenwirkungen im eigenen Patientengut. Die auftretenden
Hautreaktionen sind im Allgemeinen innerhalb von 14
Tagen rückläufig. Schwerwiegende lokale Schädigungen (Grad IV nach Wieberding: zum Beispiel drohendes
oder manifestes Kompartmentsyndrom) liegen bei 5 %
(Tabelle 1).
Nach 4 bis 8 Wochen erfolgt nach einem Restaging
zur Evaluation des Ansprechens auf die Therapie die
Resektion des Tumors. Die Resektion wird anhand der
Bildgebung (MRT) nach ILP unter Berücksichtigung
der prätherapeutischen Tumorausdehnung geplant. Da
es sich überwiegend um extrakompartmentale Tumorlokalisationen handelt, werden am häufigsten weite Resektionen durchgeführt. Bei mehr als 30 % der Patienten ist eine plastische Rekonstruktion des resultierenden
Weichteildefekts, teilweise auch unter funktionellen
Aspekten, erforderlich (Abbildung 2a–c). Das Resektat
wird histopathologisch untersucht, um den Anteil der
Tumornekrose und damit die Ansprechrate bestimmen
und eine eventuell notwendige adjuvante Therapie empfehlen zu können.
Klinische Ergebnisse
Die ILP mit TNF-α und Melphalan hat sich in mehreren
klinischen Studien als effektive Induktionstherapie
beim lokal fortgeschrittenen und primär nicht R0-extremitätenerhaltend resektablen Weichgewebssarkom erwiesen (3, 9, 13, 14, 16, 22, 23). Die Gesamtansprechrate liegt bei 70 bis 80 % (komplette Remission: 20 bis
30 %, partielle Remission circa 50 %). Bei etwa 80 %
der Patienten konnte die von der Amputation bedrohte
Extremität erhalten werden (Tabelle 2). Die Indikationen zur ILP sind in Tabelle 3 zusammengefasst.
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Zwischen 1993 und 2005 wurden in unserer Klinik
917 Patienten mit Weichgewebssarkomen interdisziplinär behandelt. Bei 125 Patienten führten wir eine ILP
aufgrund eines lokal fortgeschrittenen Weichgewebssarkoms der Extremitäten durch. Wir therapierten 54 %
Männer und 46 % Frauen in einem durchschnittlichen
Alter von 51 Jahren (11 bis 76 Jahre). Die Tumoren
verschiedener histologischer Typen (Synovialsarkom
23 %, malignes fibröses Histiozytom 19 %, Liposarkom
17 %, maligner peripherer Nervenscheidentumor 7 %,
pleomorphes Sarkom 7 %, Leiomyosarkom 5 % und
andere Sarkomtypen 23 %) waren überwiegend an der
unteren Extremität lokalisiert (87 %). Ein Extremitätenerhalt nach ILP konnte bei 80 % der Patienten erzielt
werden. Die 5-Jahres-Überlebensrate dieser Patienten
beträgt 63 %, die erkrankungsfreie 5-Jahres-Überlebensrate 46 % und die lokalrezidivfreie 5-Jahres-Überlebensrate 76 %.
Fazit
Mutilierende Resektionen und ablative Verfahren sind
zur Behandlung des lokal fortgeschrittenen Weichgewebssarkoms der Extremitäten in den meisten Fällen
vermeidbar. Amputationen führen in der Regel zu keiner
Verbesserung der Prognose bei meist schlechterer Lebensqualität. Die ILP mit TNF-α und Melphalan ist eine
sehr effektive additive Therapie um die Rate gliedmaßenerhaltender R0-Resektionen zu steigern. Sowohl nach
unseren als auch nach internationalen Erfahrungen kann
in etwa 80 % der Fälle eine Gliedmaßenamputation vermieden werden.
Interessenkonflikt
Prof. Schlag hat 2004 bis 2006 Honorare von Boehringer Ingelheim Research
Funding erhalten. Dr. Tunn erklärt, dass kein Interessenkonflikt im Sinne
der Richtlinien des International Committee of Medical Journal Editors besteht.
Manuskriptdaten
eingereicht: 30. 10. 2006; revidierte Fassung angenommen: 27. 2. 2007
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Anschrift für die Verfasser
Prof. Dr. med. Dr. h.c. Peter M. Schlag
Klinik für Chirurgie und Chirurgische Onkologie
Charité Campus Buch, Robert-Rössle Klinik
Lindenberger Weg 80, 13125 Berlin
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The English version of this article is available online:
www.aerzteblatt.de/english
A 2273
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