2010 SARKOME 4 WissensWert Spezialbehandlung für Sarkome an Armen und Beinen: Die Extremitätenperfusion Die Extremitätenperfusion (ILP) ist eine Sonderform der Chemotherapie, mit der nur Extremitäten, das heißt also Arme und Beine behandelt werden. Die Abkürzung ILP entstammt den Anfangsbuchstaben der englischsprachigen Bezeichnung "Isolated Limb Perfusion", zu Deutsch: „Isolierte Extremitäten Durchströmung/-flutung“. Bei der Extremitätenperfusion wird der vom Tumor befallene Arm oder das vom Tumor befallene Bein unter Narkose vom Blutkreislauf zeitweise "abgekoppelt" und mit sehr starken zytostatischen Medikamenten durchspült. Da bei dieser Behandlung nicht der gesamte Körper behandelt wird und die Extremitäten mehr chemo-therapeutische Medikamente vertragen als andere Körperteile oder Organe, kann hier mit größeren Medikamenten-Mengen oder stärkeren Medikamenten gearbeitet werden als bei der "normalen" Chemotherapie. Bei dieser „Form der Operation“ in Kombination mit Chemotherapie wird ausschließlich das vom Tumor betroffene Bein oder der Arm behandelt. Dazu wird die Durchblutung von Bein oder Arm über eine Herz-Lungen-Maschine umgeleitet und damit jeglicher Blutaustausch zwischen der Gliedmaße und dem Körperkreislauf unterbrochen. Dann kann die Behandlung (Durchf lutung, Perfusion) der Gliedmaße mit den Medikamenten TNF-alpha (Tumor-Nekrose Faktor alpha) und Melphalan (Chemotherapeutikum) ausschließlich in dem isolierten Arm oder Bein erfolgen. Behandlungsziele Das Hauptziel der Extremitätenperfusion ist es beispielsweise, eine mögliche Amputation zu verhindern, indem nur der betroffene Arm oder das betroffene Bein eine sehr hoch dosierte Chemotherapie erhält, die dazu führen soll, dass der Tumor sein Wachstum einstellt, kleiner wird oder sogar ganz verschwindet. Die Extremitätenperfusion kann wie auch die Chemotherapie eingesetz werden: n adjuvant zur Beseitigung von Tumorresten und zur Senkung des Risikos einer Neuentstehung eines Tumors, n neoadjuvant zur Verkleinerung eines Tumors um die weitere, ggf. operative Behandlung zu erleichtern oder kurativ zur Heilung, bzw. um einen Tumor zum Verschwinden zu bringen. Derzeit geht man davon aus, dass von etwa 100 fortgeschrittenen Tumoren an den Gliedmaßen ca. 80% resektabel sind 15% mit Hilfe der ILP behandelbar (resektabel) sind 5% gar nicht resektabel sind. Ob, mit welchem Ziel und mit welchem Risiko eine solche Behandlung durchgeführt werden kann, sollten Sie unbedingt mit den entsprechenden Spezialisten an den Sarkom-Zentren besprechen. Durchführung Die Extremitätenperfusion stellt einen schweren Eingriff dar, an dem mehrere Ärzte-Teams beteiligt sind: n Anästhesisten führen die Narkose durch und überwachen den Patienten, n Chirurgen unterbrechen den Blutkreislauf zu den Gliedmaßen (Arm oder Bein) und schließen den Behandlungs­ bereich an eine Maschine an, die ihn mit den Medikamenten durchspült, n Radiologien/Nuklearmediziner achten darauf dass keine, bzw. nur eine zulässige Menge der Medikamente vom abgetrennten Kreislauf in den Blutkreislauf des Körpers eindringt und n anschließend wird das Bein oder der Arm wieder von Chirurgen an den Blutkreislauf des Körpers angeschlossen. Die Dauer der ILP ist recht unterschiedlich. In der Regel dauert der gesamte Prozess einer Extremitätenperfusion mehrere Stunden. 15 2010 4 WissensWert ),0p&UNKTIONSSCHEMA ­SOPHAGEALE +ERNTEMPERATUR ÍSOPHAGEALDIE3PEISERÍHRE BETREFFEND # 6ERBINDUNGZUR6ENE# $RAINAGE MITNATÓRLICHEM 'EF»LLE !USWASCHHAHN -ANO METER # 6ERBINDUNGZUR !RTERIE # # 4UMOR 4ELE THERMOMETER # 4HERAPEUTIKUM ANTEILIGE$OSIERUNG !LTERNATIVWEG DES4HERAPEUTIKUMS 'ESAMTDOSIS 3AUERTSOFFUND 7»RMEAUSTAUSCHER 2OTATIONS PUMPE # / #/ ,MIN "EINDECKE ERW»RMTAUF# W»HRENDDER 0ERFUSION Wirkungsweise Die ILP wird unter "hyperthermen" Bedingungen durchgeführt. Dies bedeutet, dass die Temperatur der betroffenen Gliedmaße auf 38° - 40° Celsius erhöht wird. Auf diese Weise wird eine optimale Durchblutung des Tumors erzielt (sog. Shuntbildung), so dass die bereits genannten Medikamente ihre volle Wirksamkeit entfalten können. Während der etwa 90 Minuten dauernden eigentlichen ILP hat TNF-alpha mehrere Effekte: n Zum einen wird durch TNF-alpha die Aufnahme des Chemotherapeutikums Melphalan direkt in den Tumor stark erhöht. Damit erhöht sich die Zerstörung der Tumorzellen um ein Vielfaches. n Zum anderen unterbindet TNF-alpha die Blutzufuhr in das Tumorgewebe und zerstört die Architektur der Blutgefäße des Sarkoms. Dies wird von einer schweren Entzündungsreaktion begleitet. Diese Effekte führen dann innerhalb weniger Wochen bei über 70% der damit be­ handelten Patienten zumindest zu größten Teilen zum allmählichen Absterben des Tumors. Risiken und Nebenwirkungen Bei der ILP handelt es sich um einen aufwändigen Eingriff, der in allgemeiner 16 Narkose vorgenommen wird. Trotz der sehr beeindruckenden Erfolge der ILP soll deswegen im Folgenden auch auf die möglichen Nebenwirkungen hingewiesen werden: n Fieber, Schüttelfrost, Kopfschmerzen und andere grippeartige Symptome, n Erschöpfung, Müdigkeit, Übelkeit, Appetitlosigkeit, Erbrechen, n Störungen des Herzschlages, der Herzfunktion oder niedriger Blutdruck, n Beeinträchtigung der Nierenfunktion, Störungen der Leberfunktion n Schmerzen oder Schwellung im betroffenen Arm oder Bein, Wasser­ einlagerung n Nervenschädigung im betroffenen Arm oder Bein n Blasenbildung der Haut, braune Hautverfärbung, lokale Wundinfektionen n Blutgerinnsel in den Arterien oder Venen des betroffenen Armes oder Beins gleichsweise gut vertragen und mit großen Erfolgen in der Behandlung des fortgeschrittenen Weichteil­sarkoms eingesetzt. Deutsche Sarkom-Zentren in welchen die ILP u. a. eingesetzt wird: Sarkom-Zentrum Berlin-Brandenburg PD Dr. P.-U. Tunn / PD. Dr. P. Reichardt Sarkom-Zentrum Essen PD Dr. G. Täger / PD Dr. S. Bauer Sarkom-Zentrum Frankfurt (Klinikum Höchst) Prof. Dr. M. Schwarzbach Chirurgische Onkologie Mannheim Prof. Dr. P. Hohenberger Behandlung mit ILP: Genauer nachgefragt… Aus einem Gespräch mit Prof. Dr. Peter Hohenberger, Mannheim: Seit wann kennt man die ILP? Die Anwendung der ILP und die Verab­ reichung der Medikamente erfolgt ausschließlich durch erfahrene und speziell ausgebildete (und akkreditierte) Operationsteams in Sarkom-Zentren. Daher ist das Auftreten von schweren Nebenwirkungen extrem unwahrscheinlich. Normalerweise wird dieses Behandlungsverfahren ver- Die hypertherme isolierte Extremitätenperfusion ist ein Verfahren, das bereits seit den 50iger Jahren existiert, initial angewendet bei Patienten mit einem malignen Melanom, das auf Extremitäten (Bein oder Arm) begrenzt war. Früher hat man ausschließlich Zellgifte (Zytostatika) in der Perfusion eingesetzt, unter der Vorstellung, dass die hohe 2010 Dosierung der Zellgifte in einem geschlossenen Kreislauf, wie ihn die Extremitätenperfusion darstellt, dazu führt mehr Tumorzellen abzutöten als dies bei systemischer Applikation möglich wäre. Da allerdings viele der Zellgifte nur dann wirken, wenn sich Zellen in der Teilung befinden und dies auch im Verlauf einer 1 ½- bis 2-stündigen Perfusion nur wenige der Tumorzellen sind, hat dieser Ansatz nicht zum Erfolg geführt. Bahnbrechend war die Entdeckung von Ferdy Lejeune Ende der 80iger Jahre, dass die Anwendung von rekombinantem humanem Tumornekrosefaktor (TNF) in Kombination mit Melphalan (einem Zellgift) dazu führen kann, die Gefäßstrombahn der Tumoren zu zerstören (was unabhängig davon ist, ob die Tumorzellen selbst in der Zellteilung sind oder nicht). Seit wann weiss man um den erfolgreichen Einsatz bei Sarkomen? Die erste 1992 veröffentlichte Patientenserie beschrieb Patienten mit Weichgewebe­ sarkomen und großen Melanomrezidiven. Diese zeigten eine nahezu komplette Tumor­ rückbildung bei acht von neun Patienten. Im Rahmen einer dann multizentrisch in Europa und Israel durchgeführten Studie konnte nachgewiesen werden, dass über 80 % von Patienten, die von einer Amputation wegen eines Weichgewebesarkoms bedroht sind, nach Anwendung der Extremi­ tätenperfusion die Tumoren sich soweit zurückbildeten, dass sie resektabel wurden. Über die nächsten fünf Jahre betrachtet musste nur bei 15 % der Patientengruppe doch eine Amputation erfolgen werden. Bei welchen Sarkomsubtypen funktioniert die ILP? Die Technik der Extremitätenperfusion funktioniert prinzipiell bei allen Sarkomsubtypen, sofern es sich um hochmaligne Sarkome (Grading 2 und 3) handelt. Bei sehr großen und hypervaskularisierten Liposarkomen, meist myxoiden Liposarkomen, die als hochdifferenziert eingeschätzt werden, funktioniert die Perfusion meist auch. Andere weichgewebliche Tumoren, die mit dieser Therapie behandelt werden können sind insbesondere Desmoide, manchmal auch Hämangiome. 4 SARKOME Welches sind die wesentlichen Ziele? Wesentliches Ziel einer Extremitätenperfusion ist nicht die komplette Vernichtung des Tumors, hiervon wären die eingesetzten Medikamente überfordert. Vielmehr führt die Zerstörung der Tumorgefäßstrombahn dazu, dass die Tumoren sich zurückbilden, und das Wachstum in das Umgebungsgewebe einstellen. Eine ausgesprochene Tumorverkleinerung wird nicht unbedingt erreicht und erwartet. Vielmehr dient die Perfusion dazu, den Tumor zu „devitalisieren“ da die Sicherheitsabstände bei Sarkomresektionen, die zur Vorbehandlung einer Perfusion bedürfen, meist sehr klein sind. Bei einem Sicherheitsabstand von weniger als 1 cm ist es sehr viel günstiger, den Abstand zu einem „kaputten“ Tumor zu haben als zu einem, der aktiv und vital gerade dabei ist, in das Umgebungsgewebe einzuwachsen. Die Operation, d.h. die Entfernung des Resttumors nach Perfusion mit einem Zeitabstand von ca. vier bis sechs Wochen ist auf jeden Fall Bestandteil des Gesamtbehandlungskonzeptes. Allerdings muss dann bei Erreichen von tumorfreien Resektionsrändern nur bei einer relativ geringen Anzahl von Patienten eine zusätzliche Strahlentherapie vorgenommen werden. Dies ist im Hinblick auf die Funktion der Gliedmassen häufig von Vorteil. Wie ist der Stellenwert der ILP heute und welches Risikopotential besteht? Inzwischen hat sich die Extremitätenper­ fusion zu einem standardisierten Behandlungsverfahren entwickelt. Allerdings ist die Anwendung des Hauptwirkstoffes, nämlich des rekombinanten TNF-alpha nicht ganz unproblematisch. Diese Substanz ist normalerweise nur dann im Blut, wenn eine bakterielle Infektion (Sepsis) vorliegt und vermittelt hierbei ganz heftige Fieberschübe – dies jedoch bei jedem Menschen. Die in der Extremitätenperfusion verabreichte Dosis beträgt etwa das Hundertfache dessen, was bei einem Menschen normalerweise unter den Bedingungen einer Infektion im Blut vorkommt. Die angewendete Dosis von TNF könnte zu schwerstem Fieber, Kreislaufreaktionen, Nierenversagen, oder Herzversagen führen und darf deshalb Prof. Dr. Peter Hohenberger – Chirurgischer Onkologe, Uniklinik Mannheim nur dann eingesetzt werden wenn sicher­ gestellt ist, dass aus der perfundierten Extremität nichts in die systemische Zirkulation übertritt. Hierzu bedient man sich radioaktiver Substanzen, die an die roten Blutkörperchen im Perfusionskreislauf gekoppelt werden. Durch einen Geigerzähler über dem Herzen wird gemessen, ob Radio­ aktivität dort ankommt. Ist das nicht der Fall, so kann davon ausgegangen werden, dass der Perfusionskreislauf geschlossen ist. Dann kann eine derartige Perfusion für den Patienten ungefährlich durchgeführt werden. Wer führt ILPs qualifiziert durch? Die notwendige technologische Ausstattung (Herz-Lungen-Maschine, erfahrener Per­ fusionist, radioaktive Applikation im OP) kann logischerweise nicht von jedem Krankenhaus vorgehalten werden. Derzeit sind die Zentren mit den höchsten Zahlen an Perfusionen in Deutschland Berlin, Mannheim, Essen, Erlangen, Bochum, Homburg und jüngst auch Frankfurt-Höchst. Europaweit sind etwa 40 Zentren akkreditiert. Akkreditierung bedeutet, dass durch ein für diese Technik erfahrenes Team die örtlichen Voraussetzungen überprüft werden sowie einer Perfusion beigewohnt wird, bevor das neu in diese Technik einsteigende Zentrum die Erlaubnis erhält das Medikament TNF-alpha überhaupt zu bestellen und geliefert zu bekommen. 17