Spezialbehandlung für Sarkome an Armen und

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SARKOME
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WissensWert
Spezialbehandlung für Sarkome an Armen und Beinen:
Die Extremitätenperfusion
Die Extremitätenperfusion (ILP) ist eine Sonderform der Chemotherapie, mit der nur
Extremitäten, das heißt also Arme und Beine behandelt werden. Die Abkürzung ILP
entstammt den Anfangsbuchstaben der englischsprachigen Bezeichnung "Isolated
Limb Perfusion", zu Deutsch: „Isolierte Extremitäten Durchströmung/-flutung“.
Bei der Extremitätenperfusion wird der vom Tumor befallene Arm oder das vom
Tumor befallene Bein unter Narkose vom Blutkreislauf zeitweise "abgekoppelt" und
mit sehr starken zytostatischen Medikamenten durchspült. Da bei dieser Behandlung
nicht der gesamte Körper behandelt wird und die Extremitäten mehr chemo-therapeutische Medikamente vertragen als andere Körperteile oder Organe, kann hier mit
größeren Medikamenten-Mengen oder stärkeren Medikamenten gearbeitet werden
als bei der "normalen" Chemotherapie.
Bei dieser „Form der Operation“ in Kombination mit Chemotherapie wird ausschließlich das vom Tumor betroffene Bein oder
der Arm behandelt. Dazu wird die Durchblutung von Bein oder Arm über eine
Herz-Lungen-Maschine umgeleitet und damit jeglicher Blutaustausch zwischen der
Gliedmaße und dem Körperkreislauf unterbrochen. Dann kann die Behandlung
(Durchf lutung, Perfusion) der Gliedmaße
mit den Medikamenten TNF-alpha (Tumor-Nekrose Faktor alpha) und Melphalan
(Chemotherapeutikum) ausschließlich in
dem isolierten Arm oder Bein erfolgen.
Behandlungsziele
Das Hauptziel der Extremitätenperfusion ist
es beispielsweise, eine mögliche Amputation
zu verhindern, indem nur der betroffene
Arm oder das betroffene Bein eine sehr
hoch dosierte Chemotherapie erhält, die
dazu führen soll, dass der Tumor sein
Wachstum einstellt, kleiner wird oder sogar
ganz verschwindet.
Die Extremitätenperfusion kann wie auch
die Chemotherapie eingesetz werden:
n adjuvant zur Beseitigung von Tumorresten und zur Senkung des Risikos
einer Neuentstehung eines Tumors,
n neoadjuvant zur Verkleinerung eines
Tumors um die weitere, ggf. operative
Behandlung zu erleichtern oder kurativ
zur Heilung, bzw. um einen Tumor zum
Verschwinden zu bringen.
Derzeit geht man davon aus, dass von etwa
100 fortgeschrittenen Tumoren an den
Gliedmaßen ca.
80% resektabel sind
15% mit Hilfe der ILP behandelbar
(resektabel) sind
5% gar nicht resektabel sind.
Ob, mit welchem Ziel und mit welchem
Risiko eine solche Behandlung durchgeführt werden kann, sollten Sie unbedingt
mit den entsprechenden Spezialisten an den
Sarkom-Zentren besprechen.
Durchführung
Die Extremitätenperfusion stellt einen
schweren Eingriff dar, an dem mehrere
Ärzte-Teams beteiligt sind:
n Anästhesisten führen die Narkose durch
und überwachen den Patienten,
n Chirurgen unterbrechen den Blutkreislauf zu den Gliedmaßen (Arm oder
Bein) und schließen den Behandlungs­
bereich an eine Maschine an, die ihn mit
den Medikamenten durchspült,
n Radiologien/Nuklearmediziner achten
darauf dass keine, bzw. nur eine zulässige
Menge der Medikamente vom abgetrennten Kreislauf in den Blutkreislauf
des Körpers eindringt und
n anschließend wird das Bein oder der
Arm wieder von Chirurgen an den Blutkreislauf des Körpers angeschlossen.
Die Dauer der ILP ist recht unterschiedlich.
In der Regel dauert der gesamte Prozess
einer Extremitätenperfusion mehrere
Stunden.
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Wirkungsweise
Die ILP wird unter "hyperthermen" Bedingungen durchgeführt. Dies bedeutet, dass
die Temperatur der betroffenen Gliedmaße
auf 38° - 40° Celsius erhöht wird. Auf diese
Weise wird eine optimale Durchblutung des
Tumors erzielt (sog. Shuntbildung), so dass
die bereits genannten Medikamente ihre
volle Wirksamkeit entfalten können.
Während der etwa 90 Minuten dauernden
eigentlichen ILP hat TNF-alpha mehrere
Effekte:
n Zum einen wird durch TNF-alpha die
Aufnahme des Chemotherapeutikums
Melphalan direkt in den Tumor stark erhöht. Damit erhöht sich die Zerstörung
der Tumorzellen um ein Vielfaches.
n Zum anderen unterbindet TNF-alpha
die Blutzufuhr in das Tumorgewebe und
zerstört die Architektur der Blutgefäße
des Sarkoms. Dies wird von einer
schweren Entzündungsreaktion begleitet.
Diese Effekte führen dann innerhalb weniger Wochen bei über 70% der damit be­
handelten Patienten zumindest zu größten
Teilen zum allmählichen Absterben des
Tumors.
Risiken und Nebenwirkungen
Bei der ILP handelt es sich um einen aufwändigen Eingriff, der in allgemeiner
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Narkose vorgenommen wird. Trotz der
sehr beeindruckenden Erfolge der ILP soll
deswegen im Folgenden auch auf die möglichen Nebenwirkungen hingewiesen
werden:
n Fieber, Schüttelfrost, Kopfschmerzen
und andere grippeartige Symptome,
n Erschöpfung, Müdigkeit, Übelkeit,
Appetitlosigkeit, Erbrechen,
n Störungen des Herzschlages, der Herzfunktion oder niedriger Blutdruck,
n Beeinträchtigung der Nierenfunktion,
Störungen der Leberfunktion
n Schmerzen oder Schwellung im
betroffenen Arm oder Bein, Wasser­
einlagerung
n Nervenschädigung im betroffenen Arm
oder Bein
n Blasenbildung der Haut, braune Hautverfärbung, lokale Wundinfektionen
n Blutgerinnsel in den Arterien oder
Venen des betroffenen Armes oder Beins
gleichsweise gut vertragen und mit großen
Erfolgen in der Behandlung des fortgeschrittenen Weichteil­sarkoms eingesetzt.
Deutsche Sarkom-Zentren in welchen
die ILP u. a. eingesetzt wird:
Sarkom-Zentrum Berlin-Brandenburg
PD Dr. P.-U. Tunn / PD. Dr. P. Reichardt
Sarkom-Zentrum Essen
PD Dr. G. Täger / PD Dr. S. Bauer
Sarkom-Zentrum Frankfurt
(Klinikum Höchst)
Prof. Dr. M. Schwarzbach
Chirurgische Onkologie Mannheim
Prof. Dr. P. Hohenberger
Behandlung
mit ILP: Genauer nachgefragt…
Aus einem Gespräch mit
Prof. Dr. Peter Hohenberger,
Mannheim:
Seit wann kennt man die ILP?
Die Anwendung der ILP und die Verab­
reichung der Medikamente erfolgt ausschließlich durch erfahrene und speziell ausgebildete (und akkreditierte) Operationsteams in Sarkom-Zentren. Daher ist das
Auftreten von schweren Nebenwirkungen
extrem unwahrscheinlich. Normalerweise
wird dieses Behandlungsverfahren ver-
Die hypertherme isolierte Extremitätenperfusion ist ein Verfahren, das bereits seit den
50iger Jahren existiert, initial angewendet
bei Patienten mit einem malignen Melanom, das auf Extremitäten (Bein oder Arm)
begrenzt war. Früher hat man ausschließlich
Zellgifte (Zytostatika) in der Perfusion eingesetzt, unter der Vorstellung, dass die hohe
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Dosierung der Zellgifte in einem geschlossenen Kreislauf, wie ihn die Extremitätenperfusion darstellt, dazu führt mehr Tumorzellen abzutöten als dies bei systemischer
Applikation möglich wäre. Da allerdings
viele der Zellgifte nur dann wirken, wenn
sich Zellen in der Teilung befinden und dies
auch im Verlauf einer 1 ½- bis 2-stündigen
Perfusion nur wenige der Tumorzellen sind,
hat dieser Ansatz nicht zum Erfolg geführt.
Bahnbrechend war die Entdeckung von
Ferdy Lejeune Ende der 80iger Jahre, dass
die Anwendung von rekombinantem
humanem Tumornekrosefaktor (TNF) in
Kombination mit Melphalan (einem Zellgift) dazu führen kann, die Gefäßstrombahn der Tumoren zu zerstören (was unabhängig davon ist, ob die Tumorzellen selbst
in der Zellteilung sind oder nicht).
Seit wann weiss man um
den erfolgreichen Einsatz bei
Sarkomen?
Die erste 1992 veröffentlichte Patientenserie
beschrieb Patienten mit Weichgewebe­
sarkomen und großen Melanomrezidiven.
Diese zeigten eine nahezu komplette Tumor­
rückbildung bei acht von neun Patienten.
Im Rahmen einer dann multizentrisch in
Europa und Israel durchgeführten Studie
konnte nachgewiesen werden, dass über
80 % von Patienten, die von einer Amputation wegen eines Weichgewebesarkoms
bedroht sind, nach Anwendung der Extremi­
tätenperfusion die Tumoren sich soweit
zurückbildeten, dass sie resektabel wurden.
Über die nächsten fünf Jahre betrachtet
musste nur bei 15 % der Patientengruppe
doch eine Amputation erfolgen werden.
Bei welchen Sarkomsubtypen
funktioniert die ILP?
Die Technik der Extremitätenperfusion
funktioniert prinzipiell bei allen Sarkomsubtypen, sofern es sich um hochmaligne
Sarkome (Grading 2 und 3) handelt. Bei
sehr großen und hypervaskularisierten
Liposarkomen, meist myxoiden Liposarkomen, die als hochdifferenziert eingeschätzt
werden, funktioniert die Perfusion meist
auch. Andere weichgewebliche Tumoren,
die mit dieser Therapie behandelt werden
können sind insbesondere Desmoide,
manchmal auch Hämangiome.
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SARKOME
Welches sind die
wesentlichen Ziele?
Wesentliches Ziel einer Extremitätenperfusion ist nicht die komplette Vernichtung des
Tumors, hiervon wären die eingesetzten
Medikamente überfordert. Vielmehr führt
die Zerstörung der Tumorgefäßstrombahn
dazu, dass die Tumoren sich zurückbilden,
und das Wachstum in das Umgebungsgewebe einstellen. Eine ausgesprochene
Tumorverkleinerung wird nicht unbedingt
erreicht und erwartet. Vielmehr dient die
Perfusion dazu, den Tumor zu „devitalisieren“ da die Sicherheitsabstände bei Sarkomresektionen, die zur Vorbehandlung einer
Perfusion bedürfen, meist sehr klein sind.
Bei einem Sicherheitsabstand von weniger
als 1 cm ist es sehr viel günstiger, den Abstand zu einem „kaputten“ Tumor zu haben
als zu einem, der aktiv und vital gerade
dabei ist, in das Umgebungsgewebe einzuwachsen. Die Operation, d.h. die Entfernung des Resttumors nach Perfusion mit
einem Zeitabstand von ca. vier bis sechs
Wochen ist auf jeden Fall Bestandteil des
Gesamtbehandlungskonzeptes. Allerdings
muss dann bei Erreichen von tumorfreien
Resektionsrändern nur bei einer relativ
geringen Anzahl von Patienten eine zusätzliche Strahlentherapie vorgenommen werden. Dies ist im Hinblick auf die Funktion
der Gliedmassen häufig von Vorteil.
Wie ist der Stellenwert
der ILP heute und welches
Risikopotential besteht?
Inzwischen hat sich die Extremitätenper­
fusion zu einem standardisierten Behandlungsverfahren entwickelt. Allerdings ist die
Anwendung des Hauptwirkstoffes, nämlich
des rekombinanten TNF-alpha nicht ganz
unproblematisch. Diese Substanz ist normalerweise nur dann im Blut, wenn eine bakterielle Infektion (Sepsis) vorliegt und vermittelt hierbei ganz heftige Fieberschübe –
dies jedoch bei jedem Menschen.
Die in der Extremitätenperfusion verabreichte Dosis beträgt etwa das Hundertfache
dessen, was bei einem Menschen normalerweise unter den Bedingungen einer Infektion im Blut vorkommt. Die angewendete
Dosis von TNF könnte zu schwerstem Fieber, Kreislaufreaktionen, Nierenversagen,
oder Herzversagen führen und darf deshalb
Prof. Dr. Peter Hohenberger – Chirurgischer Onkologe, Uniklinik Mannheim
nur dann eingesetzt werden wenn sicher­
gestellt ist, dass aus der perfundierten
Extremität nichts in die systemische Zirkulation übertritt. Hierzu bedient man sich
radioaktiver Substanzen, die an die roten
Blutkörperchen im Perfusionskreislauf gekoppelt werden. Durch einen Geigerzähler
über dem Herzen wird gemessen, ob Radio­
aktivität dort ankommt. Ist das nicht der
Fall, so kann davon ausgegangen werden,
dass der Perfusionskreislauf geschlossen ist.
Dann kann eine derartige Perfusion für den
Patienten ungefährlich durchgeführt
werden.
Wer führt ILPs qualifiziert
durch?
Die notwendige technologische Ausstattung
(Herz-Lungen-Maschine, erfahrener Per­
fusionist, radioaktive Applikation im OP)
kann logischerweise nicht von jedem Krankenhaus vorgehalten werden. Derzeit sind
die Zentren mit den höchsten Zahlen an
Perfusionen in Deutschland Berlin, Mannheim, Essen, Erlangen, Bochum, Homburg
und jüngst auch Frankfurt-Höchst. Europaweit sind etwa 40 Zentren akkreditiert.
Akkreditierung bedeutet, dass durch ein für
diese Technik erfahrenes Team die örtlichen Voraussetzungen überprüft werden
sowie einer Perfusion beigewohnt wird,
bevor das neu in diese Technik einsteigende
Zentrum die Erlaubnis erhält das Medikament TNF-alpha überhaupt zu bestellen
und geliefert zu bekommen.
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