Wenn die Tochter HIV-positiv ist

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Lokal - Extra
Nordbayerischer Kurier - Samstag/Sonntag, 4./5. Mai 2013
AIDSBERATUNG OBERFRANKEN: Die Einrichtung der Diakonie will Betroffenen
und deren Angehörigen zur Seite stehen. Wichtig ist es den Beratern, den Leuten die Angst
vor der Krankheit zu nehmen und die Öffentlichkeit aufzuklären.
Er hilft Betroffenen und deren
Angehörigen:
Hermann Schuster von der
Aidsberatung
Oberfranken.
Foto: Müller
Wenn die Tochter HIV-positiv ist
Vater: Das war ein fürchterlicher Schock – Eltern hoffen auf ein langes und glückliches Leben ihres Kindes – Aufklärung statt Angst
H
BAYREUTH
Von Anne Müller
ier und heute erzählt nicht
ein HIV-positiver Mensch von
seinem Alltag mit der Infektion, sondern ein Vater. Er
lebt in unserer Gegend, seine Tochter ist
im jungen Erwachsenenalter und wird
von der Aidsberatung Oberfranken begleitet, weil sie HIV-positiv ist. Dieser
Gedanke ist auf den ersten Blick sehr erschreckend und beängstigend, gerade
weil sich Eltern in den wenigsten Fällen
mit dem Gedanken beschäftigen: Meinem Kind könnte es auch zustoßen,
meinKindkönnte sichauch infizieren.
DIAKONIE
IM GESPRÄCH
Wir halten zusammen, komme, was da
wolle. Ich denke, das hat uns allen den
Boden unter den Füßen wieder zurückgegeben, den wir durch die Diagnose
verloren hatten. Auch das medizinische
Personal hat ganz wunderbar auf die
neue Situation reagiert. Ein junger Arzt
erklärte uns, dass sie trotz der Infektion
ein langes und zufriedenes Leben führen
kann, und dass die Angst vor Aids
längst nicht mehr so groß sein muss wie
früher. Eine Krankenschwester nahm
mein Kind in den Arm und erzählte von
ihrem Sohn, der bei einem Unfall starb.
Sie sagte: Ich war in einer ähnlich
schlimmen Situation wie du jetzt, und
ich hatte keine Möglichkeit mehr, mit
ihm zu reden, aber du hast diese Möglichkeit! Die beiden Frauen konnten sich
gegenseitig wieder aufbauen, das hat
mich sehr berührt und fasziniert.“
Im Gespräch mit dem Vater fällt eines
sofort auf: Er dramatisiert die Situation
nicht und spricht ruhig, sachlich, engagiert, sehr detailliert, humorvoll und
sehr liebevoll von seinem Kind und dem
Umgangmit der Situation.
Sehr viele Menschen haben noch ein
Bild von Aids in ihrer Vorstellung, das
so nicht mehr stimmt, weil es überholt
ist. Mit den heutigen therapeutischen
Möglichkeiten bekommt man die HIVInfektion und manche Begleiterscheinungen sehr gut in den Griff.
Der Vater: „Man kann sich wahrscheinlich vorstellen, dass es für uns als
Eltern ein fürchterlicher Schock war, als
wir über die HIV-Infektion unserer
Tochter erfahren haben. Sie hatte Muskelschmerzen und einige weitere Symptome, die kein Arzt zufriedenstellend
diagnostizieren konnte. Nach einer sehr
eingehenden Untersuchung haben uns
dann die Ärzte erklärt, dass unsere
Tochter HIV-positiv ist. Wir sind natürlich aus allen Wolken gefallen! Aber
schon nach relativ kurzer Zeit war klar:
Der Vater: „Das heißt aber bei weitem
nicht, das man Aids nicht mehr ernst
nehmen soll! Es ist nur leider so, dass
die gesellschaftliche Wahrnehmung von
HIV und Aids von der Angst davor bestimmt wird. Deshalb finde ich, dass jeder HIV-positive Mensch sehr gründlich
darüber nachdenken sollte, ob er seine
Infektion öffentlich macht oder nicht.
Unsere Tochter bekam viel Unterstützung von uns als Familie, von Ärzten
und Beratungsstellen, aber die Vorbehalte in der öffentlichen Meinung sind
sehr stark, ich würde fast sagen, zementiert. Ein HIV-positiver Mensch
wird oft sofort in einen negativen Kontext gestellt, man hat Angst vor näherem Kontakt mit ihm, ihm wird oft die
Schuld für die Infektion in die Schuhe
geschoben. Die Ansichten von Kirche
und Politik zum Thema Aids tragen
natürlich nicht dazu bei, diese Ressentiments zu verringern. Zusammenfassend gesagt ist die Gesellschaft heutzutage viel zu wenig darüber informiert,
wie der aktuelle medizinische Stand ist
und dass man vor Aids wirklich nicht
mehr so viel Angst haben muss.“
Wo also kann angesetzt werden, damit
beispielsweise Eltern oder Angehörige
in einer solchen Schocksituation nicht
völlig den Boden unter den Füßen verlieren und damit sich in der öffentlichen Meinung über Aids etwas ändert?
zahlen & fakten
> Zuständigkeitsbereich der Aidsberatung Oberfranken: Regierungsbezirk Oberfranken.
> Etwa 90 Menschen mit HIV und Aids
werden begleitet.
> Es gibt Beratungsstellen in Bayreuth und Bamberg.
> In der Beratungsstelle der Diakonie
arbeiten vier hauptamtliche und zwölf
ehrenamtliche Mitarbeiter.
> Beratung gibt es per Telefon, per
E-Mail oder persönlich, auf Wunsch
auch anonym.
> Die Angebote der Beratungsstelle
(Information, Aufklärung, Beratung,
Begleitung und Psychotherapie) sind
kostenlos.
Der Vater: „Den Betroffenen glaubt man
immer am wenigsten. Wenn ein HIV-positiver Mensch sagt, dass das alles nicht
so schlimm ist, dann kann er damit nur
einen kleinen Teil der Bevölkerung für
sich gewinnen. Am überzeugendsten wären Stimmen aus der Politik, die die Aufklärung über HIV und Aids einen großen Schritt voranbrächten. Mit diesem
Thema wird man im Leben konfrontiert, also sollte man auch darüber Bescheid wissen und seine Meinung nicht
vor einer diffusen Angst bestimmen lassen, die es nicht braucht. Aids und HIV
ängstigen viele Menschen noch viel zu
sehr, und aus unserer eigenen Erfahrung kann ich sagen, dass wir auch Angst
hatten. Aber wir lernten, mit dieser Angst
umzugehen, sie abzubauen und Kraft
aus dem Gedanken zu schöpfen, dass es
Hoffnung auf einen guten Ausgang gibt.
Das wäre vor einigen Jahren noch nicht
möglich gewesen.“
glückend war, den Weg unserer Tochter
zurück in die Normalität zu erleben.“
Schock und Angst werden wahrscheinlich nie aus dem Umfeld von HIV
und Aids verschwinden, allerdings gibt
es mittlerweile gute und wirkungsvolle medizinische Möglichkeiten, um die
Infektion unter Kontrolle zu halten.
Was wären seine Wünsche für die Zukunft im Umgang mit HIV und Aids?
Der Vater: „Mir ist unglaublich wichtig,
darauf hinzuweisen, dass HIV-positive
Menschen ein langes, zufriedenes und
glückliches Leben führen können. Die
Betonung liegt auf können, denn eine
gewisse Disziplin für das Medizinische
gehört dazu, außerdem ein spezialisierter Arzt, eine kompetente Beratungsstelle und ein stabiles Umfeld mit
viel persönlichem Rückhalt. Ich hoffe
sehr, dass dieser Artikel über ein doch
sehr emotionales und auch erschreckendes Thema die Angst und die VorWie geht es der Tochter heute?
Der Vater: „Nach dem ersten Schock hat behalte entzerren und entdramatisieren
sich bei uns langsam eine gewisse Norkann. Der momentane Stand der Dinge
malität eingestellt. Die Muskelschmerist eben, dass eine Infektion mit dem HIzen konnten in einer sehr wirkungsvol- Virus nicht automatisch zum Tod führt.
len Reha behandelt werden, und die
Das war damals auch einer unserer
Ärztin, bei der sie in Behandlung ist, ist ersten Gedanken: Jetzt müssen wir zuganz wunderbar. Wir haben unser Kind sehen, wie unser Kind stirbt. Das war
sehr weltoffen erzogen, und diese Ofeinmal Realität, aber das ist nicht mehr
fenheit half ihr auch zurück in einen
so. Und wenn die Rahmenbedingungen,
normalen Alltag. Mittlerweile hat sie
also Disziplin, ein kompetenter Arzt
geheiratet, und ihr Ehemann ist ihr ein und das Umfeld stimmen und zusamstarker Rückhalt und ein großes Glück. menarbeiten, dann hat Aids zwar nicht
Sie war von Anfang an ehrlich zu ihm,
seinen Schrecken verloren, aber doch
und die beiden meistern ihr Leben, wie
seine Verbindung mit dem Tod. Unser
man sich das noch vor einigen Jahren
Kind führt ein glückliches Leben, und
nicht vorstellen konnte. Rückblickend
wir sind heute in der glücklichen Lage,
kann ich sagen, dass es für uns als Eldass ein HIV-positiver Mensch darauf
tern unglaublich ermutigend und behoffen kann.“
IM Interview: DiplomPsychologe Hermann Schuster, Leiter der Aidsberatung Oberfranken
Herr Schuster, beschreiben Sie bitte
Ihre Aufgaben in der Aidsberatungsstelle Oberfranken.
Hermann Schuster: Wir sind die erste
Anlaufstelle für Menschen mit Fragen
rund um das Thema HIV und Aids, ganz
egal, ob jemand sich allgemein informieren will, ob jemand Angst vor einer
möglichen Infektion hat oder im Alltagsleben als HIV-positiver Mensch
Hilfestellung
und
Unterstützung
braucht. Wir bieten Gesprächsmöglichkeiten und Psychotherapie an, wir
vermitteln aber auch Kontakt zu spezialisierten Ärzten oder zum Gesundheitsamt, wenn eine Therapie ansteht
oder ein HIV-Test gemacht werden soll.
Wie haben sich die Therapiemöglichkeiten in den vergangenen Jahren
entwickelt?
Schuster: Eine HIV-Infektion ist heute
nicht mehr unmittelbar mit den Themen Tod und Sterben verknüpft, wie
das beispielsweise noch vor 20 Jahren
der Fall war. Nichtsdestotrotz ist die
Diagnose für die infizierten Personen
oftmals ein großer Schock mit allen
physischen und psychischen Folgen.
Die HIV-Infektion und die Aids-Erkrankung sind sehr komplexe Krankheitsbilder, und deren Behandlung
sollte in spezialisierten HIV-Schwerpunktpraxen erfolgen. Auch hier unterstützen wir Betroffene und vermitteln Kontakte zu Medizinern.
haben HIV-positive Menschen auch
verschiedene Arten, damit umzugehen. Viele versuchen lange Zeit, die Infektion vor ihrem Umfeld zu verbergen. Sie wollen ihre Familien und ihre
Freunde schützen, und nicht zuletzt
auch sich selbst, weil der soziale Umgang mit einer HIV-Infektion immer
noch stark stigmatisiert ist. Ein großes
Problem ist, dass das Verstecken und
das Verschweigen unglaublich anstrengend ist, die Angst vor der Offenlegung aber oftmals noch viel größer
ist. Man kann sich vielleicht vorstellen,
welch enormer Druck neben der medizinischen Problematik auf dem MenGehen alle HIV-positiven Menschen
schen lastet, der alleine versucht, damit der Diagnose und der Krankheit
mit klarzukommen. Depressionen sind
gleich um?
keine Seltenheit. Grundsätzlich würde
Schuster: Auf keinen Fall. So wie jeder ich sagen, dass unsere Aufgabe darin
Mensch Höhen und Tiefen erlebt, so besteht, nach der anfänglichen
Schockstarre langsam eine gewisse
Normalität in den Alltag der Klienten
zu bringen. Dabei ist es hilfreich, wenn
das engere Umfeld des Betroffenen
über die Infektion Bescheid weiß und
Rückendeckung gibt. Aus meiner langjährigen Erfahrung kann ich heute sagen, dass die größten Mutmacher die
Menschen sind, die mit ihrer Infektion
schon sehr lange und relativ gut leben.
Was ist der Unterschied zwischen HIVpositiv und Aids?
Schuster: HIV steht als Abkürzung für
menschliches Immundefekt-Virus, ist
also ein Krankheiterreger, der unbehandelt auf lange Sicht unser Abwehrsystem schwächt und zerstört. HIV
bleibt ein Leben lang im Körper und
man kann es zunächst nicht wahrnehmen, fühlt sich also gesund. Aids be-
zeichnet das von HIV hervorgerufene
Krankheitsbild. Das Vollbild Aids (erworbenes
Immundefekt-Syndrom)
umfasst verschiedene Krankheiten, die
bei Menschen mit gesundem Abwehrsystem fast nie vorkommen.
Wie gehen Sie vor?
Schuster: Wir klären zunächst, ob reale HIV-Risiken vorliegen. Wenn ja, ermutigen wir zum HIV-Test im Gesundheitsamt. Das Ergebnis erfährt der Patient etwa eine Woche später in einem
persönlichen Gespräch. Sollte der Test
positiv sein, greift unser breitgefächertes Unterstützungsangebot. Der
eine braucht vielleicht detaillierte medizinische Informationen, der andere
braucht eher jemanden, bei dem er sich
die Angst und den Schock von der Seeamü
le reden kann.
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