11. Privatisierung 11.1 Entwicklung der Privatisierung

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Einführung in die Wirtschaftspolitik
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Prof. Andreas Haufler (SoSe 2010)
11. Privatisierung
11.1 Entwicklung der Privatisierung
• grundsätzliches Argument für staatliche Unternehmenskontrolle: vermeidet überhöhte Preise gewinnmaximierender Unternehmen in natürlichen Monopolmärkten
(insbes. Netzindustrien: Eisenbahn, Telekommunikation,
Energie) → Kap. 5
• aber: bei staatlichem Management geringere Anreize zu
effizientem Produktions- und Investitionsverhalten
(→ Kap. 11.2)
• seit 1980 werden diese Nachteile staatlichen Managements zunehmend sichtbar und zunehmend thematisiert
• Konsequenz: Privatisierung ehemaliger Staatsunternehmen
1. Für die EU-Länder ergibt sich in den 1980er Jahren
eine Reduktion der Aktivität staatlicher Unternehmen (als Anteil am Privatsektor) um durchschnittlich
ein Viertel.
2. In weniger entwickelten Ländern ist der Rückgang
noch deutlicher: Anteil der Produktion staatlicher
Unternehmen am BIP bis zu 15% im Jahr 1980, aber
nur noch 3-4% im Jahr 1999 (Sheshinski und LopezCalva, 2003, Table 1).
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Gründe für Privatisierung
Quelle: Sheshinski and Lopez-Calva (2003): Privatization
and its benefits. CESifo Economic Studies 49, 429-459.
1. Politische Ziele in Staatsunternehmen
Manager staatlicher Unternehmen verfolgen neben dem
Gewinnziel häufig noch andere Ziele bzw. sie unterliegen
zusätzlichen Nebenbedingungen. Insbesondere werden
aus sozialen oder stabilisierungspolitischen Gründen oft
Beschäftigungsziele gesetzt. Dies führt zu einem zu hohen Personalbestand in öffentlichen Unternehmen (Deutsche Bahn; Deutsche Post vor der Privatisierung).
Eine höhere Beschäftigung dient auch den Eigeninteressen und dem Prestige der staatlichen Manager bzw.
Bürokraten (empire building → Kap. 9).
2. Weiche Budgetbeschränkung Verluste (z.B. durch
überhöhte Personalkosten) führen bei Staatsunternehmen nicht zum Konkurs, sondern werden durch steuerfinanzierte Zuschüsse aufgefangen. Dies kann mittels
der Politischen Ökonomie erklärt werden: Der Konkurs
trifft eine klar definierte Gruppe (die Beschäftigten im
Staatsunternehmen; z.B. bei Banken auch die Kunden)
und hat daher höhere politische Kosten als die Finanzierung des Defizits über Steuergelder, die alle Bürger
in geringem Umfang treffen (→ Kap. 8).
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Durch diese ‘Versicherung’ gegen Konkurs (bail-out Garantie) werden die Anreize staatlicher Manager zu effizienter Produktion reduziert (→ Mikroökonomie II)
3. Unvollständige Leistungskontrolle der Manager
Auch bei positiven Erträgen sind die Anreize der Manager in staatlichen Unternehmen gegenüber Managern
im Privatsektor reduziert, da wichtige Elemente der Leistungskontrolle fehlen (z.B. sinkender Aktienkurs bei Fehlentscheidungen; Übernahme durch andere Firmen).
Empirische Evidenz (LaPorta und Lopez-De-Silanes, 1999):
Studie von 218 Unternehmen in Mexiko, die zwischen 1983
und 1991 privatisiert wurden. Ergebnisse.
1. das Gewinn/Umsatz-Verhältnis erhöht sich durch Privatisierung um durchschnittlich 24 Prozentpunkte.
2. Faktorenanalyse für die höhere Gewinnspanne zeigt, dass
höhere Gewinne nicht vorwiegend durch höhere Preise erzielt werden (10% durch höhere Güterpreise, 33%
durch Reduzierung des Personalbestandes, 57% durch
Produktivitätsgewinne)
3. privatisierte Betriebe werden vom Subventionsempfänger
zur Steuerquelle
insgesamt robuste empirische Evidenz für Effizienzgewinne
durch Privatisierung
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11.2 Staatliche vs. private Bereitstellung
11.2.1 Modelltheoretische Analyse
• Modell von Hart, Shleifer und Vishny: The proper scope
of government. Quarterly Journal of Economics 1997.
• Grundproblem unvollständiger Verträge wird auf Investitionsentscheidungen angewandt und in den beiden Regimes staatlichen vs. privaten Managements verglichen
Modellannahmen:
• Regierung (als Vertretung der Bürger) fragt ein Gut
nach, das entweder staatlich oder privat hergestellt wird
• das Gut hat Basisqualität B0 und Stückkosten von C0
• ohne Innovationen bezahlt die Regierung dem Management einen Preis von p0 (Kaufpreis bei privatem Management, Gehalt bei staatlichem Management)
• das (private oder staatliche) Management kann zwei Arten von Innovationen durchführen
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1. Verfahrensinnovationen Iv reduzieren Produktionskosten um c(Iv ), verschlechtern aber auch die Produktqualität um b(Iv ).
Eigenschaften: c0 > 0, c00 < 0, b0 > 0.
2. Produktinnovationen Iq erhöhen Produktqualität über
Qualitätsgewinn β(Iq ) (mit β 0 > 0, β 00 < 0).
• Die Erträge aus einer Verfahrensinnovation können bei
privatem Management vollständig internalisiert werden,
aber nicht bei staatlichem Management.
• Die Erträge einer Qualitätsinnovation müssen immer ex
post von der Regierung (Finanzminister) ‘genehmigt’
werden. Dies erfolgt durch einen Preis/Lohn, der über
dem Basispreis p0 liegt.
• lineare Funktionen für Produktqualität und Kosten:
B = B0 − b(Iv ) + β(Iq ),
C = C0 − c(Iv )
(11.1)
First best Lösung:
• volkswirtschaftlicher Bruttoertrag der Investitionen: Überschuss der Qualität über die Produktionskosten (B −C)
• volkswirtschaftlicher Nettoertrag: W = B −C −Iv −Iq
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• Einsetzen von (11.1) ergibt Zielfunktion
max B0 − b(Iv ) + β(Iq ) − C0 + c(Iv ) − Iv − Iq
Iv ,Iq
• Bedingungen erster Ordnung:
c0(Iv∗) − b0(Iv∗) = 1,
β 0(Iq∗) = 1.
(11.2)
Grenznutzen = Grenzkosten der Investition (für Iv und Iq )
Privates Management
• Management trägt alle Investitionskosten (Iv + Iq )
• bei Verfahrensinnovationen können alle Erträge (Kosteneinsparungen) realisiert werden; die negativen Qualitätsrückwirkungen werden nicht berücksichtigt
• bei Produktinnovationen kann nur der (ex post) nachverhandelte Teil der Erträge realisiert werden
• Drohpunkte zur Bestimmung der Überschüsse in einem
Nash-Verhandlungsspiel
– Staat zahlt keinerlei Preisaufschlag für bereits getätigte Qualitätsinnovationen
– privates Management zieht gesamtes durch Iq gesammeltes know-how ab
=⇒ β(Iq ) ist für beide Seiten eine reine Rente
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Aufteilung der Rente aus Produktinnovationen: im NashVerhandlungsspiel wird das Produkt der Überschüsse über
die Drohpunkte (Reservationsnutzen) maximiert. Es sei x
der Aufschlag für das private Management. Dann gilt:
max
(β − x) x
x
→
x = β/2
Die Auszahlung für das private Management ist dann:
π P = p0 + 0.5 β(Iq ) − C0 + c(Iv ) − Iv − Iq
Bedingungen erster Ordnung:
(11.3)
Vergleich mit (11.2) ergibt bei privatem Management:
1. zu hohe Investitionen in Verfahrensinnovationen;
2. zu geringe Investitionen in Produktinnovationen.
Staatliches Management
• auch staatliches Management muss alle Investitionskosten selbst tragen: zusätzlicher Arbeitseinsatz und Brechen von Widerständen gegen Reformen
• Erträge aus Produktinnovationen (höhere Qualität) und
Verfahrensinnovationen (niedrigerer Preis) sind von Zustimmung der Regierung abhängig: nachträgliche Verhandlung über Lohn/Gehalt
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• staatlicher Manager internalisiert auch die (Qualitäts-)
Kosten von Verfahrensinnovationen
• anderer Drohpunkt des Managements: bei Entlassung
des Managements verbleibt Anteil (1 − λ) des durch
Innovationen gesammelten know-hows in der Behörde
Ist x wieder der Aufschlag für den (staatlichen) Manager,
so ergibt sich im kooperativen Nash-Verhandlungsspiel
max
[(β − b + c) − x − (1 − λ)(β − b + c)] × x
x
= max
[λ(β − b + c) − x]×x
x
→
x = (λ/2)(β−b+c)
Die Auszahlung für den staatlichen Manager ist dann:
π S = p0 − C0 + (λ/2)[β(Iq ) − b(Iv ) + c(Iv )] − Iv − Iq
Bedingungen erster Ordnung:
(11.4)
Vergleich mit (11.2) ergibt bei staatlichem Management:
1. jetzt zu geringe Verfahrensinnovationen Iv ;
2. Produktinnovationen Iq noch geringer als bei privatem
Management.
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β0 6
-
I
Abbildung 11.1: Qualitätsinnovationen
b0, c0
6
-
I
Abbildung 11.2: Verfahrensinnovationen
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Vergleich der Lösungen:
Privates Management dominiert , wenn
1. die Regierung sich im Konfliktfall einen großen Teil
der Erträge aus den Innovationen des staatlichen Managements aneignen kann (λ ist gering)
=⇒ Unterinvestition in Produktinnovationen wird
bei staatlichem Management verstärkt
2. die negativen Qualitätseffekte von Prozessinnovationen nicht gravierend sind (b0 ist gering)
=⇒ Niveau der Verfahrensinvestitionen ist bei privatem Management annähernd effizient
Staatliches Management dominiert , wenn
1. Drohpunkt des Staates bei Staatseigentum und bei
Privateigentum ähnlich ist (λ → 1)
=⇒ Unterinvestition in Produktinnovationen ist in
beiden Regimes ähnlich
2. Qualitätsrückwirkungen der Prozessinnovationen bedeutend sind (b0 ist groß)
=⇒ Überinvestition in Verfahrensinnovationen bei
privatem Management ist gravierender als Unterinvestition bei staatlichem Management
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11.2.2 Anwendung auf einzelne Privatisierungsbereiche
Modell liefert einen Argumentationsrahmen für die Entscheidung zwischen öffentlicher und privater Produktion, aber
keine quantitative Abwägung der gegenläufigen Effekte
(a) Gefängnisse
• begrenzter Umfang von Qualitätsinnovationen
• Verfahrensinnovation: Kostenersparnis durch weniger
qualifiziertes Personal hat negative Rückwirkungen
auf Betreuungsqualität. Dies hat potenziell hohe soziale Kosten (Ausbrüche; Kriminalität im Gefängnis)
=⇒ Privatisierung zumindest problematisch
(b) Schulen
• Qualitätsinnovationen (neue Lernmethoden) wichtig
• Verfahrensinnovationen: Einsparungen bei Personal
durch größere Klassen hat negativen Effekt auf Lernqualität
• aber: Lernerfolg gut beobachtbar und vergleichbar
→ Konkurrenz zwischen Anbietern kann zur Einbeziehung von Qualitätsmerkmalen führen.
=⇒ Privatisierung möglich und potenziell erfolgreich
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