8. Interessengruppen und rent-seeking 8.1 Wahlkampfausgaben

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Grundzüge der Wirtschaftspolitik
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Prof. Andreas Haufler (SoSe 2009)
8. Interessengruppen und rent-seeking
8.1 Wahlkampfausgaben und Spenden
Erweiterung des probabilistischen Wahlmodells aus Kap. 7.3:
(a) Wahlkampfausgaben können Wahrscheinlichkeit eines
Erfolges erhöhen:
∂V1
∂V1
V1 = f (P1, P2, C1, C2) mit
> 0,
<0
∂C1
∂C2
mit P1 als Programm und C1 als Wahlkampfausgaben
von Kandidat 1 und analog für den Konkurrenten 2
(b) Wahlkampfausgaben müssen mit Spenden (S1) finanziert werden, wobei Budgetbeschränkung C1 = S1 gilt.
Geldgeber können
• Programm des Kandidaten in eine gewünschte Richtung ändern: P1(S1)
• Wahrscheinlichkeit eines Erfolges des präferierten Kandidaten erhöhen: (∂V1/∂C1) (∂C
/∂S1)} > 0
1{z
|
=1
Schlussfolgerungen:
• Mit dieser Modellerweiterung können sich Gleichgewichte ergeben, in denen (finanzstarke) Geldgeber einen Kandidaten durchsetzen, der ihre Interessen vertritt bzw.
sein Programm an ihre Interessen anpasst.
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• =⇒ im Unterschied zu Kap. 7.3 kann der politische
Prozess hier zu einem ‘verzerrten’ Ergebnis führen, das
von einer Maximierung der sozialen Wohlfahrt abweicht
empirische Ergebnisse:
ad (a): Wahlkampfausgaben
• positive Korrelation zwischen Wahlkampfausgaben und
Siegchancen des Herausforderers;
geringere Ausgaben und geringere Korrelation von Ausgaben und Erfolg für den Amtsinhaber
• Grund: wichtige Funktion von Wahlkampfausgaben ist
Erhöhung des Bekanntheitsgrades; das ist weniger relevant für Amtsinhaber
ad (b): Spenden
• Spenden gehen i.d.R. an Kandidaten, die die Positionen
des Spenders vertreten; nur wenige Spender geben an
mehrere Parteien gleichzeitig (Poole/Romer, 1985)
• Spenden höher, wenn Wahlausgang knapp ist
=⇒ die empirischen Ergebnisse sind konsistent mit einem
Rationalverhalten aller Akteure
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8.2 Monopolrenten und Regulierung
• Literatur zum rent-seeking: beschreibt die Anreize von
Akteuren, sich ökonomische Renten zu verschaffen und
diese zu erhalten (Tullock, 1967; Krueger, 1974)
• im einfachsten Fall erreicht eine Firma, dass sie von
der Regierung die alleinige Lizenz zum Verkauf eines
Produktes zu einem regulierten Preis P R oberhalb der
Grenzkosten k erhält (reguliertes Monopol)
P
6
-
Output
Abbildung 8.1: Wohlfahrtsverluste durch Regulierung
• Konsumentenrente bei Grenzkostenpreis P C : K+R+L
• Konsumentenrente bei reguliertem Preis P R : K
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• wohlfahrtstheoretische Betrachtung betont die Verzerrung durch zu geringen Output (Harberger-Dreieck L),
während R ein reiner Transfer ist (von Konsumenten
zum Produzenten)
• rent seeking Literatur befasst sich mit der Rente R
zugrundeliegendes (Auktions-) Kalkül:
1. (Monopol-) Rente R ist ein Gewinn (prize), den man mit
Ausgaben (Ressourcen) erhalten kann. Diese Ausgaben
lohnen sich, bis sie (fast) so hoch sind wie die Rente.
2. Bei kompetitiven Annahmen (freier Eintritt, Symmetrie)
werden im Gleichgewicht vom Gewinner der ‘Auktion’
Ressourcen in voller Höhe der Monopolrente eingesetzt.
3. Ressourcen bestehen zum Teil aus Transfers (an Regierungsbeamte; Korruption), zum Teil aus direkt unproduktiven Ausgaben (Lobbyismus).
4. Bestechungsgelder führen zu unproduktivem Verhalten
bei Beamten: Wettbewerb um Positionen, in denen man
solche Zahlungen erhält.
5. Im Endergebnis geht ein großer Teil der Monopolrente
der Gesellschaft verloren, da die unproduktiven Tätigkeiten keine Versorgung der Gesellschaft mit Gütern und
Dienstleistungen darstellen. Der Wohlfahrtsverlust aus
dem Monopols ist (annähernd) R + L.
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Regulierung und rent-seeking
Stigler (1971): klassischer Aufsatz zur Regulierung natürlicher Monopole: Regulierung folgt nicht der Minimierung des excess burden, sondern reagiert auf politischen
Druck von Produzenten und Konsumenten
Formalisierung durch Peltzman (1976)
• Analyse im gleichen Rahmen wie in Abbildung 8.1: Die
Regierung entscheidet über den Preis eines regulierten
Gutes, dessen Grenzkosten konstant sind.
• Die Regierung erhält Stimmen aus dem Nutzen von Produzenten (UR ) und Konsumenten (UC ). Die politische
Unterstützungsfunktion (political support function) der
Regierung ist
∂V
∂V
V = V (UR , UC ) mit
> 0,
> 0 (8.1)
∂UR
∂UC
• Die Nutzen der beiden Gruppen werden vereinfachend
den von ihnen erzielten Renten gleichgesetzt
UR = R,
UC = K̄ − R − L
(8.2)
dabei ist R: Monopolrente; K̄: Konsumentenrente bei
Grenzkostenpreis; L: toter Verlust (deadweight loss)
• dann ergibt sich im Optimum für den Politikparameter
P (Preis des regulierten Gutes):
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

dV
∂V dR
∂V  dR dL 
−
 = 0
=
+
−
(8.3)
dP
∂UR dP ∂UC
dP dP
• bei Erhöhung von P sind die Verluste der Konsumenten
um L höher als Gewinne der Produzenten; aber: die
Gewichte der beiden Gruppen in der Nutzenfunktion der
Regierung können unterschiedlich sein
• bessere Organisation der Produzenteninteressen (→
Kap. 8.3) führt zu ∂V /∂UR > ∂V /∂UC → der Zusatzverlust für die Konsumenten (L) wird im Optimalkalkül
des Regulierers (Politikers) abgewogen gegen den größeren politischen Einfluss der Produzenten
• =⇒ es ergibt sich ein Preis oberhalb der Grenzkosten,
obwohl der Grenzkostenpreis effizient wäre
Beispiel zum Peltzman Modell (vgl. Abbildung 8.1)
• lineare Nachfragefunktion: X = a − P
• konstante Grenzkosten: k
• Produzentenrente: UR = (P − k)X = (P − k) (a − P )
• Konsumentenrente: UC = (a − P )X/2 = (a − P )2/2
• konstanter marginaler Nutzen der Regierung aus politischer Unterstützung jeder Gruppe:
∂V
∂V
= ωR ,
= ωC
∂UR
∂UC
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dann ergibt sich bei Annahme einer additiven Form der politischen Unterstützungsfunktion:
2
+
ω
(a
−
P
)
/2}
V = ωR (P
−
k)(a
−
P
)
C
{z
}
|
|
{z
P rod.rente
Kons.rente
Ableiten nach dem für die Regierung optimalen Preis ergibt
P =
• bei gleichem politischen Gewicht beider Interessengruppen (ωR = ωC ) ergibt sich P = k, d.h. der regulierte
Preis entspricht dem effizienten Grenzkostenpreis (dies
maximiert die Summe aus Produzenten- und Konsumentenrente)
• wird nun das politische Gewicht der Produzenten erhöht,
ergibt sich ein steigender regulierter Preis im politischen
Optimum:
∂P
=
∂ωR
Fazit: die politisch einflussreichere Gruppe bewegt das politische Gleichgewicht in die von ihr präferierte Richtung.
Nur wenn die politischen Gewichte aller Interessengruppen
gleich groß sind und sich dadurch gegenseitig neutralisieren,
ergibt sich das unverzerrte (effiziente) Ergebnis.
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Verbleibende Frage: warum wird ein Sektor mit konstanten Durchschnittskosten überhaupt reguliert?
In vielen kompetitiven Dienstleistungsbereichen wird der
Marktzutritt aus unterschiedlichen Gründen beschränkt (z.B.
Ärzte, Notare). Dadurch entstehen für die Inhaber einer
knappen ‘Lizenz’ Monopolrenten. Diese Monopolrenten werden von den Inhabern über politischen Druck verteidigt,
selbst wenn der ursprüngliche Grund für die Marktzutrittsbeschränkung entfallen ist.
Beispiel: Gesundheitswesen
• gegenwärtiges System in Deutschland kombiniert gesetzliche und private Krankenversicherung (GKV und
PKV). Dabei sind die Abrechnungssätze für Privatpatienten viel höher als für Kassenpatienten.
• Zahl der Arztpraxen in einer Gemeinde ist begrenzt, um
eine Überversorgung mit Gesundheitsleistungen auf Kosten der Krankenkassen zu vermeiden.
• =⇒ Arztpraxen in reichen Gemeinden mit einer hohen
Zahl von Privatpatienten erhalten Renten, während in
einkommensschwachen Gebieten Praxen leerstehen, weil
sie viel Arbeit bei geringer Entlohnung (GKV-Sätze) bedeuten.
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8.3 Individuelle Anreize und organisierte Interessen
Richtungsweisende Arbeit zu Interessengruppen durch Mancur Olson: The Logic of Collective Action (1965)
• Ausgangspunkt für Olsons Theorie ist, dass free riding
auch bei der Organisation von Interessen eine wichtige
Rolle spielt, d.h. potenzielle Mitglieder versuchen, von
Lobbying zu profitieren, ohne selbst Beiträge zu leisten
• Dadurch sind die Grundzüge der Theorie öffentlicher
Güter auch auf die Bereitstellung der Dienstleistung ‘Lobbying’ anwendbar. Speziell stellt sich das free-riding Problem, wenn
– die von der Interessenvertretung betroffene Gruppe
groß ist
– ein Ausschluss der Nicht-Mitglieder von den Ergebnissen des Lobbying nicht möglich ist
Beispiel: free riding bei Industrielobbying:
• vier Firmen unterschiedlicher Größe produzieren
x1 = 4.000.000 Autos, x2 = 2.000.000 Autos
x3 = 1.000.000 Autos, x4 = 500.000 Autos
• Lobbying für die Nicht-Einführung einer Umweltmaßnahme spart Kosten von $1 pro Auto
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• Lobbying hat sinkende Grenzerträge: jedes LobbyingBüro kostet $250.000. Die Wahrscheinlichkeit, die Umweltmaßnahme zu verhindern ist p1 = 0.25 bei einem
Büro, p2 = 0.4 bei zwei Büros, p3 = 0.5 bei drei Büros,
p4 = 0.55 bei vier Büros. Jede Firma kann nur ein
Lobbying-Büro eröffnen.
Firma 1: Kosten und eigener Nutzen für das 1. Büro
Firma 2: Kosten und eigener Nutzen für das 2. Büro, gegeben dass Firma 1 ein Büro eröffnet
Firma 3: Kosten und eigener Nutzen für das 3. Büro, gegeben dass Firma 1 und 2 ein Büro eröffnen
Wie viele Büros sollten aus der kollektiven Sicht der Autohersteller eröffnet werden?
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Produzenten- vs. Konsumenteninteressen
eine wichtige Anwendung von Olsons Theorie ergibt sich
beim Vergleich der Organisierbarkeit von Produzenten- vs.
Konsumenteninteressen. Hier ist grundätzlich davon auszugehen, dass Produzenteninteressen besser organisierbar
sind. Gründe:
1. Die Zahl der Produzenten eines Gutes ist geringer als
die Zahl der Konsumenten.
2. Die Interessen der Produzenten sind konzentrierter, weil
eine Spezialisierung in der Produktion, aber nicht im
Konsum erfolgt. Die (politische) Änderung eines einzelnen Preises hat daher einen großen Einfluss auf das
Budget der Produzenten dieses Gutes, aber nur einen
geringen Einfluss auf das Budget jedes Konsumenten.
Daraus folgt, dass das zu Grunde liegende free riding Problem auf der Produzentenseite sehr viel geringer ist als auf
der Konsumentenseite.
=⇒ Dies bietet eine Erklärung für die empirische Beobachtung, dass Produzenten sehr viel mehr Lobbying betreiben als Konsumenten. Dieses asymmetrische Lobbying führt
wiederum dazu, dass in der praktischen Wirtschaftspolitik
verzerrte Entscheidungen zu Gunsten der Produzenten getroffen werden (Subventionspolitik, Zollpolitik; vgl. die Annahme ωR > ωC im letzten Abschnitt)
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8.4 Importzölle und Importquoten
In kompetitiven Industrien können Renten auch durch Zölle
geschützt und erhalten werden. Typische Sektoren in den
Industrieländern: Landwirtschaft, Stahl, Textil.
p
6
-
Menge
Abbildung 8.2: Wohlfahrtskosten von Zöllen
• S D : heimisches Angebot; D: heimische Nachfrage
• pF : Weltmarktpreis (kleine, offene Volkswirtschaft)
Freihandel: Preis pF , Nachfrage DF ,
heimische Produktion X F , Importe DF − X F
Zollgleichgewicht: Preis pF + τ , Nachfrage DR,
heimische Produktion X R, Importe DR − X R
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Wohlfahrtsanalyse von Zöllen:
Produzentenrente
+R
Zolleinnahmen
+G
Verlust an Konsumentenrente −R − G − L1 − L2
Summe (excess burden)
−L1 − L2
=⇒ klassisches Ergebnis in der Außenhandelspolitik:
Zölle sind schädlich für das Land, das sie erhebt. Dies gilt
zumindest dann, wenn das Land keinen Einfluss auf den
Weltmarktpreis des Gutes hat.
Warum werden Zölle dennoch häufig erhoben?
• Inländische Produzenten des Gutes erhalten durch den
Zoll eine Rente. Ihre Interessen setzen sich im politischen Prozess gegen die Konsumenteninteressen durch,
obwohl die Summe aus Konsumenten- und Produzentenrente sinkt (vgl. Kap. 8.2).
• aber: rent-seeking Aktivitäten der inländischen Produzenten (Lobbyismus etc.) können wiederum zum zumindest teilweisen Verlust der Produzentenrente R führen
(analog zu Regulierung; Kap. 8.2).
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Importquoten als alternatives Instrument
• Werden statt der Zölle Importquoten verwendet, um
die heimischen Produzenten zu schützen, so werden die
Steuereinnahmen G in Abbildung 8.2 durch Renten der
Importeure ersetzt.
p
6
-
Menge
Abbildung 8.3: Wohlfahrtskosten von Importquoten
IR: Importrente ersetzt Regierungseinnahmen G
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• Weiteres rent-seeking um die Zuteilung dieser Quoten
(durch Aufbau von Überkapazitäten, zusätzliche Markteintritte) führt dazu, dass auch G zumindest teilweise zu
einem gesamtgesellschaftlichen Wohlfahrtsverlust wird.
• Die gesamten Wohlfahrtsverluste durch Importlizenzen
können sehr groß werden. Schätzungen von Anne Krueger (1974) ergeben Wohlfahrtsverluste bis zu 7% des
BSP (Indien, 1964) bzw. 15% des BSP (Türkei, 1968).
• Diese hohen Wohlfahrtsverluste durch Importquoten haben (u.a.) dazu geführt, dass in jüngeren Handelsrunden
Quoten wieder in Zölle umgewandelt worden sind (sogenannte ‘tariffication’ der Importschutzmaßnahmen).
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