Ausgewählte Bereiche der Wirtschaftspolitik 1-1 Prof. Andreas Haufler (WS 2009/10) 1. Wettbewerbs- und regulierungstheoretische Grundlagen 1.1. Die Effizienz von Wettbewerbsmärkten (vgl. Weimann 2005, Kap. 6.1; Wdhlg. von Mikroökonomie) • vollkommene Konkurrenz als zentrale Voraussetzung für Pareto-Optimalität des Marktergebnisses • mikroökonomische Theorie: bei vollkommener Konkurrenz entsprechen sich Preis (= marginale Zahlungsbereitschaft der Konsumenten) und Grenzkosten Graphische Verdeutlichung: (a) Konsumentenrente • aggregierte eingesparte Ausgaben der Konsumenten gegenüber der maximalen Zahlungsbereitschaft • graphisch: Fläche unterhalb der Nachfragekurve und oberhalb des Marktpreises • algebraisch: Z pM Z qG KR = D(p)dp = D−1(q)dq − pGqG pG 0 (b) Produzentenrente • aggregierte Zusatzerlöse der Produzenten gegenüber minimalen Preisen, die zur Abdeckung der Grenzkosten notwendig sind Ausgewählte Bereiche der Wirtschaftspolitik 1-2 Prof. Andreas Haufler (WS 2009/10) • graphisch: Fläche oberhalb der Angebotskurve und unterhalb des Marktpreises • algebraisch: Z qG GK(q)dq = pGqG − K(qG) P R = pGqG − 0 (c) Sozialer Überschuss (Abbildung 1.1) • Summe aus Konsumenten- und Produzentenrente: Z qG KR + P R = D−1(q)dq − K(qG) 0 Abbildung 1.1: Sozialer Überschuss Preis 6 pM QQ Q Q Q Q ©© GK(q) ©© Q Q KR Q Q Q Q Q pG PR ©© © ©© ©© G Q ©© Q © © Q © Q Q ©© Q ©© © ©© © ©© D(p) Q Q Q K(qG) Q Q qG Q Q Q - Menge Ausgewählte Bereiche der Wirtschaftspolitik 1-3 Prof. Andreas Haufler (WS 2009/10) Effizienz von Grenzkostenpreisen (Abbildung 1.2) 1. Preis = Grenzkosten (pG): unverzerrter Markt • KR: • PR: • KR+PR: 2. Preis > Grenzkosten (p1): monopolist. Marktmacht • KR: • PR: • KR+PR: ⇒ Wohlfahrtsverlust durch zu geringe Produktion Beachte: das gleiche Ergebnis ergibt sich auch mit einer Steuer in Höhe von p1 − p2 3. Preis < Grenzkosten (p2): Outputsubvention in Höhe von p1 − p2 • KR: • PR: • Staat: • Summe: ⇒ Wohlfahrtsverlust durch zu hohe Produktionsmenge Ausgewählte Bereiche der Wirtschaftspolitik 1-4 Prof. Andreas Haufler (WS 2009/10) Abbildung 1.2: Effizienz von Grenzkostenpreisen Preis 6 pM HH HH HH HH p1 B C©©© HH HH HH pG p2 ©© ©© ©© HH A © ©© O © © © © © HH H F q1 © ©© HH ©© © H© ©HH © HH © © H © ©© GK(q) E qG HH H HH D(p) - q2 Menge =⇒ Maximierung des sozialen Überschusses entspricht der Pareto Effizienz wettbewerblich organisierter Märkte =⇒ dieses Ergebnis liegt der Kartellgesetzgebung und der Fusionskontrolle zu Grunde (→ Kap. 3 + 4) Ausgewählte Bereiche der Wirtschaftspolitik 1-5 Prof. Andreas Haufler (WS 2009/10) Steigende Skalenerträge und natürliche Monopole steigende Skalenerträge: Erhöhung aller Inputs mit Faktor k > 1 erhöht den Output um einen Faktor g > k =⇒ führt zu sinkenden Durchschnittskosten • sinkende Durchschnittskosten ergeben sich (u.a.), wenn ein Markt charakterisiert ist durch (hohe) Fixkosten und konstante variable Kosten (z.B. Bahn, Fernmeldewesen) • ‘natürliches Monopol’, da die Durchschnittskosten bei nur einem Anbieter auf dem Markt minimiert werden Abbildung 1.3: Sinkende Durchschnittskosten 6 A p0 p1 p2 u c A Acc A c c A c A cu A c A c c A c A c A c A cu c A u cu Au c A c A c c A c A c A c A A 0 1 2 A A A B H F E C q q q DK GK - q Ausgewählte Bereiche der Wirtschaftspolitik 1-6 Prof. Andreas Haufler (WS 2009/10) Wohlfahrtsvergleich: 1. Monopollösung: Angebotsmenge: A.) Produzentenrente: B.) Konsumentenrente: Summe aus A + B: 2. Preis = Durchschnittskosten: Angebotsmenge A.) Produzentenrente: B.) Konsumentenrente: Summe aus A + B: 3. Preis = Grenzkosten: Angebotsmenge: A.) Produzentenrente: B.) Konsumentenrente: Summe aus A + B: Ergebnis: Grenzkostenpreise maximieren aggregierte Wohlfahrt bzw. sozialen Überschuss Problem: Grenzkostenpreise führen zu Verlusten aller Unternehmen → Kartellgesetzgebung greift nicht =⇒ Bereich der Regulierungspolitik (Kap. 5+6) Zugrundeliegende Einschätzung: Privatisierung und Regulierung dominiert gegenüber staatlicher Übernahme. Letz- Ausgewählte Bereiche der Wirtschaftspolitik 1-7 Prof. Andreas Haufler (WS 2009/10) tere ist mit hohen Ineffizienzen verbunden (vgl. Grundzüge der Wipo, Kap. 11) Bedingungen für Pareto Optimalität: (vgl. Finanzwissenschaft - Allokation, Grundzüge der Wipo) 1. Güter rivalisierend im Konsum; Nutzungsausschluss ist möglich (sonst: staatliche Bereitstellung) 2. keine Externalitäten und Informationsasymmetrien (sonst: staatliche Intervention) 3. keine steigenden Skalenerträge (sonst: natürliche Monopole) • Wettbewerbspolitik i.e.S. beschäftigt sich mit Märkten, auf denen Bedingungen 1. bis 3. erfüllt sind (Kap. 3+4) • bei natürlichen Monopolen (Bedingungen 1. und 2. erfüllt, nicht aber 3.) → Bereich der Regulierungspolitik (Kap. 5+6) Ausgewählte Bereiche der Wirtschaftspolitik 1-8 Prof. Andreas Haufler (WS 2009/10) 1.2 Rahmenbedingungen der Wettbewerbs- und Regulierungspolitik (vgl. Weimann, 2005, Kap. 6.2; Knieps, 2005, Kap.1) Bedingung: gesicherte Eigentumsrechte (vgl. Grundzüge der Wipo, Kap. 4) • Grundbedingung für Pareto-effiziente Tauschhandlungen auf Märkten ist, dass Eigentums- und Verfügungsrechte klar definiert und durchsetzbar sind. Eigentum muss außerdem frei handelbar sein (Vertragsfreiheit). Dagegen ist es aus allokativer Sicht irrelevant, wem die Eigentumsrechte zugeordnet sind (Coase-Theorem) • Gegenbeispiel: bei Anarchie sind Eigentumsrechte nicht definiert bzw. nicht durchsetzbar (Hobbes’scher Naturzustand) ⇒ Pareto Effizienz wird verfehlt • =⇒ Schutz und Durchsetzung privater Eigentumsrechte als grundlegende Funktion des Staates (Rechts- und Polizeisystem) Beispiel: deutsche Wiedervereinigung Grundsatz der Rückgabe von Grundstücks- und Betriebseigentum an ehemalige Besitzer (für Enteignungen zwischen 1933-45 und nach 1949) Ausgewählte Bereiche der Wirtschaftspolitik 1-9 Prof. Andreas Haufler (WS 2009/10) • 2 Millionen Anträge auf Rückerstattung von Vermögensgegenständen (insbes. Immobilien) • 11.000 Anträge auf Rückgabe von Unternehmen ⇒ große Verzögerungen bei Bauinvestitionen und bei Weiterführung von Betrieben durch unklare Eigentumstatbestände (vgl. Sinn und Sinn, 1992, Kaltstart, S. 97) Ziele der Wettbewerbspolitik (vgl. Herdzina, Wettbewerbspolitik, 5. Aufl. 1999) 1. Allokationsziel: Sicherung einer Pareto effizienten Allokation (siehe Kap. 1.1) 2. Verteilungsziel: Verhinderung von übernormalen Gewinnen, die von Konsumenten zu Unternehmen mit Marktmacht umverteilen 3. Wachstumsziel: Realisierung von technischem Fortschritt durch Prozess- und Produktinnovationen und durch ‘Produktion von Informationen’ (Wettbewerb als Entdeckungsverfahren, Hayek 1968) 4. Freiheitsziel: Sicherung von Handlungs- und Wahlfreiheit für alle Marktakteure Ausgewählte Bereiche der Wirtschaftspolitik 1-10 Prof. Andreas Haufler (WS 2009/10) Beziehungen zwischen den Zielen: • Monopol (Oligopol) verletzt gleichzeitig Ziele 1, 2 und 4 ⇒ Harmonie dieser Ziele • potenzieller Konflikt zwischen kurzfristigen Zielen und langfristigem Wachstumsziel ⇒ Diskussion um Patentschutz (Kap. 3) Ausgewählte Bereiche der Wirtschaftspolitik 1-11 Prof. Andreas Haufler (WS 2009/10) 1.3 Wettbewerbspolitische Leitbilder (vgl. Knieps, Kap. 4.) A. Klassischer Liberalismus und Neoklassik • klassischer Liberalismus (Adam Smith 1776) entwickelt sich als Gegenbewegung zum Merkantilismus: Bedeutung offener Märkte, Abschaffung von Monopolprivilegien und Zöllen • staatlicher Schutz des Wettbewerbs (Antikartellpolitik) wird nicht als erforderlich angesehen • Identifikation von ‘Ausnahmebereichen’, in denen staatliche Bereitstellung notwendig ist: innere und äußere Sicherheit, Infrastruktur (u.a. Straßenbau, Postwesen, Wasserversorgung) • modelltheoretische Erfassung im neoklassischen Modell des allgemeinen Gleichgewichts (Walras, 1875) schließt zunehmende Skalenerträge und natürliche Monopole aus B. Ordoliberalismus und Freiburger Schule • Ordoliberalismus (Eucken, 1952; Böhm, Röpke) betont Zusammenhang zwischen Wettbewerbsfragen und Wirtschaftsordnung; große Rolle von Privateigentum und Vertragsfreiheit Ausgewählte Bereiche der Wirtschaftspolitik 1-12 Prof. Andreas Haufler (WS 2009/10) • wettbewerbspolitische Maßnahmen: Verbot von Kartellen; Regulierung von Monopolen durch unabhängige Behörde mit Ziel einer Preissetzung ‘als ob’ vollkommene Konkurrenz vorliegt • großer Einfluss auf Wirtschaftspolitik der Bundesrepublik nach 1950 (→ Kap. 1.4) C. Chicago-Schule und Antitrustpolitik • Kartellverbot (Antitrust) wird befürwortet (Posner, 1979) • Chicago-Schule (Demsetz, Stigler, Posner) plädiert für staatliche Abstinenz (statt Regulierung) auch in Bereichen mit zunehmenden Skalenerträgen. Bei natürlichen Monopolen wird Versteigerungsprozess vorgeschlagen (Demsetz, 1968), der mehrere unabhängige Bieter zur Voraussetzung hat (Bspl.: Versteigerung der UMTSLizenzen 2001) • Vergleich mit Abbildung 1.3: Versteigerung führt zur Umverteilung der Monopolrenten, aber nicht zu Angebotsausweitung; letztere kann nur durch neue Anbieter von Substitutprodukten zu Stande kommen • Begründung der Chicage-Schule: Markteintrittsschranken werden auf unregulierten Märkten rasch abgebaut, langlebige Monopole halten sich nur bei staatlicher Intervention (Demsetz, 1982). Erosion von Monopolmacht Ausgewählte Bereiche der Wirtschaftspolitik 1-13 Prof. Andreas Haufler (WS 2009/10) auf dynamischen Märkten gilt evtl. auch für ‘natürliche’ Monopole (→ Kap. 5). D. Harvard-Schule und ‘funktionsfähiger Wettbewerb’ • Harvard Schule (Mason, Bain) knüpft an empirische Ansätze der Industrieökonomik an: Formulierung und empirische Überprüfung eines Zusammenhangs zwischen Marktstruktur, Marktverhalten und Marktergebnis • wirtschaftspolitische Stoßrichtung: staatliche Regulierung dann gerechtfertigt, wenn signifikantes Abweichen von wettbewerblichen Preisen und Renditen empirisch gesichert ist • ursprüngliche Hypothese eines Zusammenhangs zwischen Marktkonzentration und Kapitalrendite (Bain, 1951); später verfeinert um verschiedene Maße für Marktzutrittsschranken (Bain, 1956) • empirische Bestätigung des structure-conduct-performanceAnsatzes: Industrien mit hoher Konzentration und hohen Zutrittsschranken haben höhere Kapitalrenditen. Verfeinerung der ökonometrischen Ansätze führt aber zu weniger eindeutigen Ergebnissen (→ Kap. 2). Ausgewählte Bereiche der Wirtschaftspolitik 1-14 Prof. Andreas Haufler (WS 2009/10) 1.4 Entwicklung des internat. Wettbewerbsrechts (Ingo Schmidt: Wettbewerbspolitik und Kartellrecht, 7. Aufl.) A. Vereinigte Staaten 1890: Sherman Act verbietet nach Tradition des angloamerikanischen Common Law alle Abmachungen, die den Handel einschränken (“contract or conspiracy in restraint of trade”). Insbesondere Verbot der Marktmonopolisierung (sec.2). Grundidee: demokratische Kontrolle von wirtschaftlicher Macht in den großen trusts, die nach dem Ende des Sezessionskrieges (1865) entstanden waren 1911: Entscheidung des Federal Supreme Court: Aufbrechen von großen Firmen, die durch Zusammenschluss entstanden waren: American Tobacco; Standard Oil of New Jersey 1914: Erweiterung durch Clayton Act und Federal Trade Commission Act: vorbeugende Unterbindung von Monopolmacht durch Verbot von Fusionen, die zu wesentlicher Beeinträchtigung des Wettbewerbs führen 1984: Zerschlagung von AT&T in ein Unternehmen für Ferngespräche und eine Reihe von regionalen Unternehmen (Baby-Bells) Ausgewählte Bereiche der Wirtschaftspolitik 1-15 Prof. Andreas Haufler (WS 2009/10) 1998-2002: Vergleich mit Microsoft Corporation: Microsoft wird nicht zerschlagen, muss aber technologische Details seines Betriebssystems den Konkurrenten bekannt machen (→ Kap. 3). B. Deutschland 1869: Gewerbeordnung sichert Recht auf Gewerbefreiheit 1897: Reichsgericht entscheidet, dass Kartellbildung dem Recht auf Gewerbefreiheit nicht entgegensteht, da dieses sich nur gegen den Staat, aber nicht gegen wirtschaftliche Macht von Privaten richtet. Es wird keine generelle Schädlichkeit von Kartellen gesehen. in der Folge: Deutschland als klassisches Land der Kartelle (1500 Kartelle bis 1923) und Großkonzerne (z.B. I.G. Farben); keine Gegenmaßnahmen 1923: erste Verordnung gegen Missbrauch wirtschaftlicher Machtstellung; geringe Wirkung 1933: Zwangskartellgesetz als nationalsozialistisches Instrument zur Lenkung der Wirtschaft 1947: Dekartellierungsverordnungen der Alliierten 1958: Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) löst Dekartellierungsbestimmungen ab. Grundlagen: US-amerikanisches Antitrustrecht und deutscher Ordoliberalismus (vgl. Kap. 1.3) Ausgewählte Bereiche der Wirtschaftspolitik 1-16 Prof. Andreas Haufler (WS 2009/10) C. Europäische Union • Wettbewerbsregeln in den Art. 85-90 der Römischen Verträge (1957) festgelegt, insbesondere Verbot der Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels (Umparagraphierung der Art. 85-86 in Art. 81-82 durch Vertrag von Amsterdam, 1998) • zunehmende Bedeutung, da nur einheitliches Wettbewerbsrecht in den EU-Staaten vor Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels schützt • dies betrifft sowohl die Bekämpfung des Machtmissbrauchs von Monopolisten (z.B. Microsoft-Verfahren) als auch Fusionen mit grenzüberschreitender Bedeutung (z.B. Unterstützung der Übernahme von Endesa durch E.ON im Jahr 2005, gegen den Widerstand der spanischen nationalen Kartellbehörde)