Universitätsklinik Bonn: Seminar „Medizinische Psychologie“ / SS 2005 / Dipl.-Psych. D. Löhrer Def. Gedächtnis = • Informationsspeicher für gelernte Informationen • Fähigkeit, Informationen abzuspeichern und wiederzugeben Universitätsklinik Bonn: Seminar „Medizinische Psychologie“ / SS 2005 / Dipl.-Psych. D. Löhrer Hermann Ebbinghaus (1885): Lernen von sinnlosen Silben • Untersuchte im Selbstversuch, wie oft er eine Liste von sinnlosen Silben (z.B. „bax“, „buf“, lic“) lernen musste, bis er sie zweimal hintereinander fehlerfrei wiedergeben konnte, anschließend überprüfte er, wie viele Silben er davon nach bestimmten Zeitspannen ( 20 Minuten, 1 Stunde, 9 Stunden, 1 Tag, 2 Tage ....bis 31 Tage) fehlerfrei wiedergeben konnte: Ø Exponentielle Vergessensrate: D.h. innerhalb der ersten 24 Stunden war die Vergessensrate am höchsten, mit zunehmender Dauer wurde immer weniger vergessen Ø „Überlernen“: Das Vergessen erfolgte langsamer, wenn er nicht direkt, nachdem er die entsprechende Liste zweimal fehlerfrei wiedergeben konnte, aufhörte zu üben, sondern diese noch (bis zu 30x) mehrmals weiter übte. Ø Die Speicherkapazität des Kurzzeitgedächtnisses (KZG) beträgt 7 + / - 2 Informationseinheiten (Items), Ø Erhöhung der Speicherkapazität des KZG wird durch Zusammenfassen einzelner Items zu einem Cluster (chunk) möglich (sog. „chunking“): (z.B. statt „1“, „9“, „8“ und „4“ merkt man sich „1984“) Universitätsklinik Bonn: Seminar „Medizinische Psychologie“ / SS 2005 / Dipl.-Psych. D. Löhrer Vergessen und Abruf von Informationen im KZG: • Informationen werden für die Dauer von max. 20 Sekunden im KZG gespeichert. So bald neue Informationen eingehen, werden ältere Informationen überschrieben, d.h. gelöscht. Der Zerfall oder das Überschreiben der Informationen kann jedoch durch innerliches Wiederholen („rehearsal“) verhindert werden. Ø Wissensinhalte können um so besser reproduziert werden, je häufiger sie innerlich wiederholt wurden: • Craik & Lockart (1972): Ø Nicht die reine Verweildauer der Informationen im KZG, sondern ihre Verarbeitungstiefe ist dafür ausschlaggebend. (D.h. Information wird mit Bedeutung verknüpft: Statt sich z.B. „1984“ zu merken, merken Sie sich „Anna’s Geburtsjahr“) • Je mehr Items im KZG gespeichert sind, um so langsamer ist generell der Abruf einzelner Items (da alle gespeicherten Items „durchsucht“ werden müssen, um einzelne wiederzugeben). • Items, die zuerst (sog. „primacy-Effekt“) oder zuletzt (sog. „recency-Effekt“) in einer dargebotenen Liste gelernt wurden, werden leichter erinnert. Universitätsklinik Bonn: Seminar „Medizinische Psychologie“ / SS 2005 / Dipl.-Psych. D. Löhrer Teile des Langzeitgedächtnisses (LZG): 1) Deklaratives (explizites) Gedächtnis = bewusste Erinnerung an selbst erlebte Erlebnisse oder allgemeine Wissensbestände (PET-Untersuchungen: Erhöhte Aktivität im Hippocampus und Frontalhirn der rechten Hirnhemisphäre erkennbar.) a) semantisches Gedächtnis = allgemeingültige Wissensbestände (z.B.: „das Jahr 365 Tage und 52 Wochen“, „die Olympiade findet alle vier Jahre statt“ u.ä.m.) b) episodisches Gedächtnis: persönliche Erinnerungen an selbsterlebte Ereignisse 2) Prozedurales (implizites) Gedächtnis = motorische und sensorische Fertigkeiten; dass etwas gelernt wurde ist i.d.R. nicht bewusst, sondern wird anhand des Lerneffekts bei weiterer Übung oder im Vergleich mit ungeübten Personen erkennbar. (PET-Untersuchungen: Verringerte Aktivität im Hippocampus und Frontalhirn der rechten Hirnhemisphäre) Universitätsklinik Bonn: Seminar „Medizinische Psychologie“ / SS 2005 / Dipl.-Psych. D. Löhrer Speicherung und Abruf von Informationen aus dem Langzeitgedächtnis (LZG) (I): • Kodierung von Informationen erfolgt bedeutungsbezogen: (man erinnert sich z.B. an den Inhalt eines Gesprächs, nicht aber an dessen genauen Wortlaut, wenn Sie sich das Wort „Zweig“ merken sollten, werden Sie sich beim Abruf eher fehlerhaft an „Ast“ (semantischer Fehler), als an „Zwei“ (akustischer Fehler) oder an „Zwerg“ (visueller Fehler) erinnern.) • Je besser eine Informationen bedeutungsmäßig verarbeitet wurde, z.B. mit früheren Wissensinhalten verknüpft wurde, um so mehr „Ankerpunkte“ für einen späteren Abruf gibt es: Die Information kann leichter abgerufen werden. (PET-Untersuchungen: Der Konsolidierungsprozess neuer Informationen findet im Hippocampus statt, die dauerhafte Speicherung in diversen Hirnarealen) • „Kontextabhängiges Lernen“: Der Abruf von Information ist leichter, wenn er im gleichen Kontext stattfindet, in dem die Informationen eingespeichert wurden: (Wortlisten, die Pbn in einer ausgeglichenen vs. In einer traurigen Stimmungslage gelernt haben, konnten diese signifikant besser in der entsprechenden Stimmungslage abrufen als in der entgegengesetzten. Das Gesicht eines Kommilitonen kann man leichter einordnen, wenn man ihm in der Universität, statt in der Innenstadt, begegnet.) Universitätsklinik Bonn: Seminar „Medizinische Psychologie“ / SS 2005 / Dipl.-Psych. D. Löhrer Speicherung und Abruf von Informationen aus dem Langzeitgedächtnis (LZG) (II): • Abrufschwierigkeiten durch Interferenzen: retroaktive Interferenz = Neu gelernte Informationen stören den Abruf früher gespeicherter Informationen. (nach Auswendiglernen einer neuen Telefonnummer „vergisst“ man die alte) proaktive Interferenz = Früher gelernte Informationen erschweren den Abruf später gespeicherter Informationen. (Beispiel: Trotz späterer widersprüchlicher Information (z.B. bei Presserichtigstellungen) wird weiter die alte erinnert.) Universitätsklinik Bonn: Seminar „Medizinische Psychologie“ / SS 2005 / Dipl.-Psych. D. Löhrer Gedächtnisstörungen (am Beispiel der Amnesie): Amnesie = Verlust von Teilen des Gedächtnisses • Organische Ursache: (Hirnläsionen, körperliche Erkrankungen, Schlaganfall, Substanzmissbrauch (insbesondere Alkohol) • Dissoziative Amnesie = A. ohne organische Ursache: (plötzlich eintretende Unfähigkeit, sich an wichtige persönliche Sachverhalte zu erinnern, z.B. Informationen betreffend selbst erlebter oder beobachteter traumatischer Ereignisse (wie Vergewaltigung, Mord, Folter) oder allgemein belastender Erlebnisse (z.B. selbst begangenes Verbrechen, Steuersünden, selbst verursachter Unfall) • Anterograde Amnesie = Unfähigkeit, nach einer Hirnschädigung o.ä. eingespeicherte Informationen, abzurufen (d.h. es kann nichts Neues mehr gelernt werden); das Altgedächtnis ist jedoch ungestört. • Retrograde Amnesie = Unfähigkeit, Informationen, die vor einer Hirnschädigung o.ä. eingespeichert wurden (Altgedächtnis) zu erinnern, während das Einspeichern und Abrufen neuer Information (also Lernen) weiterhin möglich ist Universitätsklinik Bonn: Seminar „Medizinische Psychologie“ / SS 2005 / Dipl.-Psych. D. Löhrer Gedächtnisstörungen (am Beispiel Demenz): Demenz = erworbene, globale Beeinträchtigung der höheren Hirnfunktionen einschließlich des Gedächtnisses, der Fähigkeit, Alltagsprobleme zu lösen, der Ausführung sensumotorischer und sozialer Fertigkeiten, der Sprache und Kommunikation sowie der Kontrolle emotionaler Reaktionen ohne ausgeprägte Bewusstseinstrübung. (Definition nach WHO) Universitätsklinik Bonn: Seminar „Medizinische Psychologie“ / SS 2005 / Dipl.-Psych. D. Löhrer Demenz vom Alzheimer-Typ: • Ca. 50-70% aller Demenzfälle sind Demenzen vom Alzheimer-Typus, somit häufigste Demenzursache • Schleichender Beginn mit gleichförmiger Progredienz, meist nach dem 70. Lebensjahr beginnend, sehr viel seltener vor dem 65. Lebensjahr (nicht vor dem 40. Lebensjahr) • Kortikale Synapsen nehmen um 25-50% ab, fortschreitende Hirnatrophie, amyloide Plaques erkennbar (Ursache?) • Frühsymptome: nachlassende Aktivität, sozialer Rückzug, verminderte Sorgfalt (häufig fehldiagnostiziert als Depression) • Störungsverlauf: Beginnend Merkfähigkeitsstörungen, Altgedächtnis bleibt relativ lange erhalten, diskrete Persönlichkeitsveränderungen (Gereiztheit, Misstrauen), zunehmender Rückgang der Kommunikationsfähigkeit, zuletzt Pflegebedürftigkeit. • Durchschnittliche Krankheitsdauer: 4-8 Jahre