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Chronische Erkrankungen
Gerät trifft Pille
30.08.2016 Chronische Erkrankungen wie Herz-Kreislauferkrankungen, Demenz,
Diabetes, Arteriosklerose, Epilepsie, Collitis ulcerosa sind auf dem Vormarsch. Die
Betroffenen müssen oft Unmengen von Tabletten schlucken. Die Krankenkassen
kommt das teuer zu stehen. Zudem können Medikamente Nebenwirkungen
hervorrufen, die die Lebensqualität der Patienten stark beinträchtigen. Abhilfe
schaffen Geräte, die manchem Patienten Tabletten ersparen. Oder Wirkstoffen auf
die Sprünge helfen. Mitunter können sogar Patienten versorgt werden, die sonst
ganz ohne Therapie dastünden. Das Bundesministerium für Bildung und
Forschung (BMBF) fördert jetzt medizintechnische Innovationen an der
Schnittstelle zur Pharmakotherapie: „Neue Therapieoptionen durch innovative
Medizintechnik zur Behandlung chronischer Erkrankungen“ heißt die neue
Förderrichtlinie, die am 29. August 2016 im Bundesanzeiger erschienen ist. von
Philipp Grätzel
1
Medizintechnik als Ersatz oder Ergänzung zu Medikamenten
Die Kardiologen haben es vorgemacht: Medizintechnische Innovationen können
Medikamente in Einzelfällen komplett ersetzen. Häufiger freilich ergänzt Medizintechnik
bei chronischen Erkrankungen die Arzneimitteltherapie – und erhöht so oft die
Lebensqualität.
Wenn ein Arzt überlegt, welche Therapie er bei einem
Patienten einsetzt, dann ist das in der Regel keine
Neue Richtlinie
Entscheidung zwischen Medikament und
Im Rahmen des
Fachprogramms
Medizintechnik fördert
das BMBF
medizintechnischer Maßnahme. Der Arzt überlegt vielmehr,
was das Beste für seinen Patienten ist. Dabei können
medizintechnische Lösungen gegenüber Medikamenten
Vorteile aufweisen: Sie haben keine pharmakologischen
Nebenwirkungen und sind im Verlauf oft kostengünstiger.
Werden sie mit Pharmakotherapien kombiniert, können sie
dazu beitragen, dass die Behandlung effektiver wird. Oder
sie helfen, die Dosis der Medikamente zu reduzieren, was
die Verträglichkeit verbessern und Kosten einsparen kann.
medizintechnische
Innovationen an der
Schnittstelle zur
Pharmakotherapie. Die
Bekanntmachung finden
Sie hier.
Medizintechnik statt Antiarrhythmika
Dass Medizintechnik im Einzelfall
Medikamente ersetzen kann, zeigt die
Kardiologie. Laut Deutschem
Herzbericht 2015 hat sich seit den
späten 90-er Jahren die Zahl der
Patienten, denen ein implantierbarer
Kardioverter-Defibrillator (ICD)
eingesetzt wurde, mehr als
verdreifacht. Im gleichen Zeitraum,
verrät der Arzneiverordnungsreport,
ging die Verordnung der
Durch den Einsatz implantierbarer Defibrillatoren ist
antiarrhythmischen Medikamente
die Verordnung antiarrhythmischer Medikamente
Sotalol und Propafenon um über 80
stark zurückgegangen.
Prozent bzw. über 50 Prozent zurück.
Quelle: Aktion Meditech
Der dezente Anstieg bei Amiodaron
hat dies kaum kompensiert.
Auch wenn der Rückgang bei den nicht besonders gut verträglichen Antiarrhythmika mehrere
Gründe hat: Die ICD-Geräte, die Herzpatienten vor dem plötzlichen Herztod schützen, haben
ihren Anteil an dieser Entwicklung. Auch die Ablationstherapien bei Vorhofflimmern –
mittlerweile sind es in Deutschland laut Herzbericht etwa 70.000 Ablationen pro Jahr –
dürften zu dem Rückgang speziell bei Sotalol beigetragen haben. Zwar machen Ablationen
meist nicht die medikamentöse Gerinnungshemmung überflüssig, wohl aber in vielen Fällen
rhythmusstabilisierende Medikamente.
Hypersomnie: Gleichstrom unterstützt andere aktivierende
Therapien
Weniger um Ersatz als um Ergänzung existierender Therapien durch medizintechnische
Verfahren geht es Professor Dr. Christoph Nissen von der Klinik für Psychiatrie und
Psychotherapie am Universitätsklinikum Freiburg. Er versucht derzeit in klinischen Studien, das
nicht-invasive Verfahren der transkraniellen Gleichstromstimulation bei Patienten mit
chronischer Müdigkeit zu etablieren.
Chronische Müdigkeit kann nach
Schlaganfällen auftreten, aber auch bei
neuropsychiatrischen Erkrankungen
wie Depression oder Parkinson.
Therapeutisch erhalten diese
Patienten kognitive Verhaltenstherapie,
sowie von medikamentöser Seite
Modafinil und Methylphenidat. Oft
reicht das aber nicht. Hier setzen die
Freiburger an. Bei der
Gleichstromstimulation wird ein
schwacher Strom von zwei
Milliampere mit Hilfe von zwei
Elektroden an der Stirn und am
Hinterkopf durch das Gehirn geleitet.
In einer Studie mit 19 gesunden
Probanden erfolgte diese Stimulation
vor dem Schlafengehen über einen
Zeitraum von zweimal 13 Minuten. „Im
Vergleich zu den Probanden, die nur
eine Scheinstimulation erhielten, war
die Schlafdauer um 25 Minuten
verkürzt“, so Nissen.
Mittlerweile haben die Psychiater das
Über je zwei Elektroden auf der Stirn und am
Hinterkopf wird schwacher Gleichstrom durchs
Gehirn geleitet. Lediglich das An- und Abschalten
des Stroms ist als leichtes Kribbeln spürbar.
Quelle: Universitätsklinikum Freiburg
Verfahren bei einem ersten Patienten
angewandt, der nach einem anaphylaktischen Schock mit Reanimation seit zehn Jahren eine
extreme Tagesmüdigkeit zeigt. Durch die Gleichstromstimulation konnte das
Tagesschlafbedürfnis von 3,5 Stunden an vier Tagen pro Woche auf 2,5 Stunden an weniger
als zwei Tagen pro Woche verringert werden. „Das ist aber noch ein Einzelfall“, betont Nissen.
„Es ist ein experimentelles Verfahren, bei dem wir noch nicht wissen, ob es längerfristig
wirksam oder verträglich ist.“ Klinische Studien bei Patienten mit starkem Schlafbedürfnis sowie
bei Patienten mit Schlafstörungen sind in Planung oder laufen.
Basistherapie mit Tabletten, App als Add-on
Ebenfalls gut ergänzend zur Pharmakotherapie eingesetzt werden können Smartphone-Apps.
Ein eindrucksvolles Beispiel liefert die niederländische TemStem-App, die sich an
(pharmakologisch behandelte) Schizophreniepatienten mit akustischen Halluzinationen wendet
– Patienten also, die Stimmen hören. Die TemStem-App vereint mehrere Funktionen, die die
Wahrscheinlichkeit akustischer Halluzinationen verringern oder diese früh durchbrechen
helfen. So halten bestimmte Sprachspiele das Sprachzentrum im Gehirn des Patienten so auf
Trab, dass es weniger Kapazitäten hat, halluzinierte Stimmen zu erzeugen.
Klar ist, dass medizintechnische Verfahren, die Pharmakotherapien ersetzen oder ergänzen
sollen, gewissenhaft klinisch geprüft werden müssen. Nicht immer steht am Ende der Erfolg:
Die renale Denervierung etwa, eine Ablationstherapie, die die medikamentöse
Blutdrucktherapie ergänzen sollte, erlitt vor zwei Jahren in einer großen Studie Schiffbruch,
nachdem sie bereits vielfach eingesetzt worden war. Derzeit wird versucht, jene Patienten
genauer zu charakterisieren, die von dieser Behandlung vielleicht doch profitieren.
Mehr im Internet:
Lukas Frase, Christoph Nissen: Gleichstromstimulation bei chronischer Müdigkeit

2
Wie Medizintechnik die Arzneimitteltherapie optimiert
Medizintechnik kann auch unmittelbar mit Arzneimitteln verquickt werden. Intelligente
Pflaster, Pillen und Applikatoren sorgen dafür, dass Medikamente effektiver oder
komfortabler dort landen, wo sie hin sollen. Vielleicht kommen pharmazeutische
Wirkstoffe irgendwann sogar per Nano-Bot ans Ziel.
Bevölkern künftig winzige Mikro- oder Nanoroboter unseren Körper, um Medikamente dort
abzuladen, wo sie gebraucht werden? Grundlagenforscher wie Professor Peer Fischer vom
Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme in Stuttgart denken zumindest in diese Richtung.
In seiner Arbeitsgruppe zu „Mikro-, Nano- und Molekularen Systemen“ beschäftigt sich
Fischer mit winzig kleinen, steuerbaren Vehikeln, die Ärzten künftig helfen könnten,
Medikamente an Stellen im Körper abzuladen, die für Arzneimittel auf anderen Wegen nur
schwierig zu erreichen sind.
Nanoroboter als Wirkstoff-Shuttle: Herausforderung
Biokompatibilität
Teilweise orientieren Fischer und seine Kollegen sich dabei an Vorbildern aus der Natur. So
haben die Stuttgarter einen winzigen Roboter aus magnetischen Mikropropellern entwickelt,
der sich ähnlich wie das Bakterium Helicobacter pylori durch die Schleimschicht der
Magenschleimhaut arbeitet: Der Roboter hebt den ph-Wert an, wodurch der Schleim
verflüssigt und damit durchlässiger wird. Er nutzt dazu ein Enzym, mit dem auch das Bakterium
arbeitet. An ihr Ziel gesteuert werden die Mini-Roboter mit Hilfe externer Magnetfelder.
Fischer und Kollegen haben auch einen Mini-Bohrer entwickelt, der sich wie ein
Korkenziehers zwischen Hyaluronsäuremolekülen von Bindegewebe oder Knorpel hindurch
drehen kann. „Solche Konstrukte lassen sich prinzipiell mit Medikamenten beladen, die dann
gezielt an bestimmte Stellen des
Körpers transportiert werden könnten.
Das ist im Moment aber noch
Zukunftsmusik.“ Zu den
Herausforderungen gehört die
biologische Kompatibilität der
Materialien. In Stuttgart nutzen die
Forscher überwiegend Siliziumdioxid,
also Glas, dessen längerfristige
Nebenwirkungen auf der Nanoskala
noch nicht ganz klar sind. Umgehen
könnte man dieses Problem durch
vollorganische Nano-Roboter aus
Eiweißen und Nukleinsäuren. Auch
daran wird bereits geforscht.
Nano-U-Boot mit Propellerantrieb: Solch eine
winzige Schraube versehen die Stuttgarter Forscher
Sensortablette informiert
über Adhärenz
mit Magneten und versetzen sie durch ein
Magnetfeld in Drehung, sodass sie sich durch eine
Näher an der medizinischen
Flüssigkeit schraubt.
Versorgung im Jahre 2016 sind
Quelle: Conny Miksch/MPI-IS
verdaubare Sensoren, die
Informationen zur Therapietreue
geben. Bestes Beispiel ist ein
Medikament, das mit einem Sensor ausgestattet ist: das Psychopharmakon Abilify aus dem
Hause Otsuka. Die Pille ist mit einem Mini-Sender des Herstellers Proteus ausgestattet. Dieser
funkt Daten per Bluetooth aus dem Körper heraus und überwacht so die Therapietreue.
Als separates Produkt ist das Proteus-System sowohl in den USA als auch in Europa
zugelassen. Fest integriert in eine Tablette war es bisher nicht. Die FDA hat den Antrag der
Japaner im April 2016 vorläufig abgelehnt. Allerdings dürfte die erste Zulassung eines
solchen Hybrid-Produkts nur eine Frage der Zeit sein. Für die Pharmahersteller ist es
durchaus attraktiv, ihre Tabletten elektronisch „upzugraden“, weil sie dann eine Möglichkeit
haben, einen auslaufenden Patentschutz zu verlängern. Die Frage ist, in welchen Bereichen
der Versorgung diese „E-Pillen“ dann auch erstattet werden. Denn hohe Therapietreue ist
nicht bei allen Indikationen gleich wichtig. Und im Einzelfall in klinischen Studien
nachzuweisen, dass patientenrelevante Endpunkte verbessert werden, ist sehr schwer.
Arzneimittelabgabe optimieren mit Pflastern und Implantaten
Nicht um die Messung der Adhärenz, sondern um die Abgabe von Wirkstoff geht es
Unternehmen, die medizintechnische Lösungen nutzen, um Medikamente zu applizieren. Dies
kann Vorteile haben. So erlauben Pflastersysteme eine kontrollierte, für die Patienten
komfortable Freisetzung von Wirkstoffen. Andere medizintechnische Systeme erreichen Orte
im Körper, die mit Tabletten schlecht erreichbar sind, ohne dass es sich zwangsläufig gleich
um Nanoroboter handeln muss.
Elektronische Pflastersysteme wurden unter anderem für einen Einsatz beim Morbus
Parkinson entwickelt. So haben koreanische Forscher vor zwei Jahren mit einem Pflaster für
Aufmerksamkeit gesorgt, das mehr Parkinson-Medikamente freisetzt, wenn der im Pflaster
verbaute Sensor das Parkinsontypische Muskelzittern registriert.
Zugelassen ist dieses System bisher
nicht.
Es geht natürlich auch ohne Elektronik.
Als medizinisch relevant und
kommerziell spannend gelten
Applikatorsysteme, die Medikamente
bei Patienten mit Blasenerkrankungen
in der Blase freisetzen. Der Bedarf
Mit 100 Mikronadeln ist die Unterseite des
daran ist groß, denn das übliche
Impfpflasters bestückt, das eine Arbeitsgruppe vom
Vorgehen, die wiederholte Applikation
Laboratory for Drug Delivery am Georgia Institute of
von Wirkstoffen per Blasenkatheter, ist
Technology in Atlanta entwickelt hat. Die Nadeln
eine für die Patienten extrem
dringen in die oberen Hautschichten ein, geben dort
unangenehme Prozedur. Koreanische
das Medikament ab und lösen sich dabei auf.
Bioingenieure von der Universität
Anschließend kann das Pflaster wieder entfernt
Seoul haben Ende Juni im
werden.
International Neurourology Journal
Quelle: Devin McAllister/Georgia Institute of
Technology
eine online frei zugängliche Übersicht
zu dieser Thematik verfasst. Sie
favorisieren schlauchartige Implantate, die einmalig per Katheter eingeführt und dann mehrere
Wochen vor Ort bleiben können.
Mehr im Internet:

Son Donghee, Elektronisches Pflastersystem für Menschen mit Bewegungsstörungen

Ho Lee Seung, Young Bin Choy: Übersichtsartikel zu intravesikalen Applikatorsystemen
3
Wenn Medizintechnik hilft, wo sonst nichts hilft
Für einige Patienten ist Medizintechnik nicht eine Option unter mehreren, sondern das
einzige, was hilft. Bei Augenerkrankungen ist das besonders häufig, hier wird weiterhin
viel geforscht. Auch Psychiater greifen mitunter zur Medizintechnik, wenn weder
Tabletten noch Therapeuten helfen.
Ob alle Patienten mit einer Katarakt, einem grauen Star, wissen, wie froh sie sein können, in
der Gegenwart zu leben? Jahrtausende lang, bis weit in die frühe Moderne hinein, gab es bei
schwerer Katarakt nur eine Therapieoption: den Starstich. Das war eine martialische Operation,
bei der die getrübte Augenlinse mit einer Nadel im Augapfel nach unten gedrückt wurde, um
dem Licht den Weg frei zu machen und für den Patienten so eine zumindest eingeschränkte
Sehfähigkeit zu erreichen.
Funktioniert hat das längst nicht immer, Komplikationen waren eher die Regel als die
Ausnahme. Heute werden bei Patienten mit Katarakt minimalinvasiv elastische
Linsenimplantate eingesetzt, eine der größten Erfolgsgeschichten der modernen
Medizintechnik überhaupt. Allein in Deutschland gibt es über 650.000 Kataraktoperationen
pro Jahr, Tendenz steigend. Mit Medikamenten könnte diesen Patienten nicht geholfen
werden.
Mit Implantaten und Software gegen Retinitis pigmentosa
Auch bei anderen degenerativen oder
erblichen Augenerkrankungen helfen
Medikamente oft nicht weiter. So
kommen die meisten Patienten mit
Retinitis pigmentosa nicht für
Arzneimitteltherapien in Frage. Bei
dieser erblichen Erkrankung der
Netzhaut, die in Deutschland etwa
30.000 bis 40.000 Menschen betrifft,
sterben die lichtempfindlichen Zellen
nach und nach ab. Das führt erst zu
Nachtblindheit, später zu einem
Ein Netzhaut-Implantat gibt Patienten, die auf Grund
zunehmenden „Tunnelblick“ und dann
einer Retinitis pigmentosa erblindet sind, einen Teil
zur Erblindung. Besser als
ihrer Sehfähigkeit zurück. Der Mikrochip wird am
Medikamente funktionieren bei diesen
hinteren Augenpol möglichst unter den
Patienten implantierbare,
Makulabereich eingesetzt.
lichtverstärkende Mikrochips, von
Quelle: BVMed
denen einige mittlerweile auch
erstattet werden.
Außer durch Implantate kann die Medizintechnik Retinitis-Patienten aber auch funktionell
helfen. So haben Tübinger Augenärzte ein Computer-Training entwickelt, das die
Wahrnehmung der Patienten unabhängig von einer Implantattherapie verbessern kann. Das
Programm setzt beim Tunnelblick an, der viele Patienten extrem beeinträchtigt: „Die Patienten
erkennen Hindernisse zu spät, sie stürzen häufiger und das Risiko im Straßenverkehr ist
erhöht“, betont Professor Dr. Susanne Trauzettel-Klosinski von der Universität Tübingen. Im
Training lernen die Patienten, ihre Augäpfel gezielter zu bewegen, um wesentliche
Informationen sicher zu erfassen. In einer klinischen Studie absolvierten Patienten, die täglich
30 Minuten trainierten, Gehtests mit Hindernissen schneller und fehlerfreier. Daher empfiehlt
auch die Deutsche Ophthalmologische Gesellschaft jetzt das Training.
Gezielter intervenieren bei schwerster Depression
Auch in der Neuropsychiatrie gibt es Patienten, denen weder Medikamente noch
Psychotherapie effektiv helfen. Insbesondere bei sehr schwerer Depression existiere derzeit
keine pharmakologische Therapieoption, betont Dr. Ronny Redlich von der Klinik für
Psychotherapie und Psychiatrie am Universitätsklinikum Münster. Für diese Patienten gibt es
mit der Elektrokrampftherapie (EKT) ein seit Jahren bekanntes medizintechnisches Verfahren,
auf das viele Patienten ansprechen. Mit Hilfe von Elektroden werden dabei unter Kurznarkose
im Gehirn künstliche Krampfanfälle ausgelöst.
Redlich schätzt, dass etwa zehn Prozent der in Münster stationär aufgenommenen Patienten
mit chronischer Depression Kandidaten für diese Therapie sind: „Mindestens zwei
Psychopharmaka und eine Psychotherapie müssen nachgewiesenermaßen unwirksam
gewesen sein“, so der Experte. Die EKT wirkt möglicherweise dadurch, dass Nervenzellen
aktiviert und Verbindungen zwischen Nervenzellen gestärkt werden. Genau weiß man das
aber nicht. Das Problem der EKT ist, dass sie nicht bei allen wirkt. Nur etwa sieben von zehn
Patienten sprechen an. Die anderen profitieren nicht von der wenig angenehmen Therapie.
Redlich und seine Kollegen haben
deswegen eine lernende Software
entwickelt, die anhand von MRTBildern des Gehirns vorhersagt, ob ein
Patient wahrscheinlich auf die EKT
ansprechen wird oder nicht. Dazu
wurden komplette MRT-Datensätze
des Gehirns von zunächst 23 Patienten
eingelesen, von denen 13 auf die EKT
angesprochen hatten und zehn nicht.
Die Erfahrungen sind gut: „Die
Maschine kann in 80 Prozent der Fälle
Dr. Ronny Redlich (li.) und seine Kollegen sind
korrekt vorhersagen, wenn ein Patient
überzeugt, dass die Ergebnisse ihrer Studie vielen
anspricht“, so Redlich. Das erleichtert
Patienten mit Depressionen helfen.
die Therapieentscheidung vor allem
Quelle: ukm/aw
bei Patienten, bei denen Zweifel
bestehen, ob die EKT etwas bringen
wird. In Münster wird die Software jetzt als Pilotanwendung eingeführt. „Gleichzeitig streben
wir eine Multicenterstudie an, um zu sehen, inwieweit die Ergebnisse auf andere
Einrichtungen übertragbar sind“, so Redlich.
Mehr im Internet:

Iliya Ivanov, Klinische Studie zum Trainingsprogramm bei Retinitis pigmentosa

Ronny Redlich, Klinische Studie zur Prädiktion des Therapieansprechens bei
Elektrokrampftherapie
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