Fachbeitrag Brachytherapie Epimakuläre Brachytherapie mit Strontium 90 Vor- und Nachteile der neuen Therapieoption zur Behandlung der feuchten AMD Anti-VEGF-Injektionen stellen heute die Standardtherapie bei feuchter Altersbedingter Makuladegeneration (AMD) dar. Allerdings sprechen etwa 20 bis 30 Prozent der behandelten Patienten auf die Behandlung nicht an. Für diese Patienten bietet sich mit der epimakuläre Brachytherapie mit Strontium 90 ein völlig anderes Therapiekonzept, das sich die antiproliferative, antiangiogenetische und antifibrotische Wirkung gering dosierter radioaktiver Strahlung zunutze macht. Die Anfang 2011 neu eingeführte Therapieform besteht in einer nur einmaligen Bestrahlung, ist andererseits aber auch mit dem möglichen Risiko einer behandlungsinduzierten Strahlenretinopathie verbunden. Dr. Birgit Böhm (Augenklinik am Neumarkt, Köln) erörtert Vor- und Nachteile der epimakulären Brachytherapie und stellt zwei Fälle aus eigenem Patientengut vor. A n feuchter AMD-Erkrankte machen einen hohen Anteil aller Patienten einer jeden Augenarztpraxis oder Klinik aus. Bedingt durch die demografische Entwicklung unserer Gesellschaft ist damit zu rechnen, dass dieser Anteil immer größer werden wird. Nach Versuchen mit thermischem Laser, Bestrahlung ab externo und photodynamischer Therapie mit nicht thermischer Laserbestrahlung bei gleichzeitiger intravenöser Gabe eines photoaktivierenden Medikamentes besteht die Standardtherapie heute in der Injektion von Anti-VEGF-Medikamenten in den Glaskörperraum. Am häufigsten werden hierbei Ranibizumab und Bevacizumab gespritzt, Pegaptanib deutlich seltener. Auf die Problematik der fehlenden Zulassung für Bevacizumab soll hier nicht eingegangen werden. Bei der Therapie mit Anti-VEGF-Injektionen müssen wir jedoch hinnehmen, dass etwa 20 bis 30 Prozent der behandelten Patienten auf die Behandlung nicht anspricht. Ein fortschreitender Visusverfall, eventuell bis zum Verlust der zentralen Sehschärfe, ist dann die Folge. Aber auch bei Patienten, bei denen die AntiVEGF-Therapie initial wirkt, kann es im Therapieverlauf zu einem allmählichen und irreversiblen Visusabfall kommen. Da der Anti-VEGF-Wirkstoff nach vier bis sechs Wochen verbraucht ist, besteht in der überwiegenden Mehrzahl der erfolgreich behandelten Fälle die Notwendigkeit der wiederholten, eventuell lebenslangen Therapie. Die hieraus für den Patienten und sein soziales Umfeld entstehenden Probleme bezüglich Zeitaufwand und Kosten sind nicht unerheblich und stellen oftmals eine deutliche Beeinträchtigung der Patientencompliance dar. Eine besondere Gruppe bilden die Patienten, die an einer ausgeprägten Pigmentepithelabhebung leiden. Hier kann es durch AntiVEGF-Injektionen zu Einrissen des retinalen Pigmentepithels kommen, was oftmals mit einem plötzlichen und massiven bleibendem Sehschärfenverlust einhergeht. Eine Alternative zur AntiVEGF-Therapie gab es bisher jedoch nicht. Durch Einführung der epimakulären Brachytherapie mit Strontium 90 Anfang 2011 hat sich dies grundlegend geändert. Therapiekonzept Abb. 1: Handgerät: Der Strahlenstift wird in verkapselter Form eingebracht und ist an einem Führungsdraht befestigt. (© NeoVista) Der Augenspiegel 32 Die Brachytherapie stellt ein völlig anderes Therapiekonzept dar, indem sie sich die antiproliferative, antiangiogenetische und antifibrotische Wirkung gering dosierter radioaktiver Strahlung zunutze macht. Therapieversuche mit radioaktiver Strahlung wurden bereits vor über zehn Jahren durchgeführt. Die Bestrahlung erfolgte jedoch ab externo mit großen Bestrahlungsfeldern von bis zu 3 cm x 3 cm. Die Augen wurden teils durch eine retrobulbäre Injektion in ihrer Motilität eingeschränkt, der Kopf 06|2012 Fachbeitrag Brachytherapie Abb. 2a: Präoperatives OCT-Bild eines 63-jährigen Patienten, dessen Visus nach 29 Anti-VEGF-Injektionen, zwei Dexamethason-Injektionen und einer Ozurdex-Injektion noch 0,1 betrug. Die foveale Netzhautdicke beträgt 398 µm. Abb. 2b: Befund sieben Monate nach epimakulärer Brachytherapie. Das Makulaödem ist resorbiert, die foveale Netzhautdicke liegt nunmehr bei 204 µm. Der Visus ist auf 0,4 - 0,5p angestiegen. Anti-VEGF-Injektionen wurden seit Durchführung der Brachytherapie keine mehr gegeben. in einer bewegungshemmenden Maske fixiert, ähnlich den Masken wie sie auch bei der Bestrahlung maligner Tumoren im Kopfbereich verwandt werden. Ein Eyetracking mit Kontrolle der Augenposition erfolgte nicht. Hauptproblem bei dieser Art der Bestrahlungsdurchführung war die exakte Platzierung einer ausreichenden Strahlendosis unter weitestgehender Schonung des gesunden Gewebes. Aufgrund enttäuschender Gesamtergebnisse wurde dieses Verfahren nicht weiter verfolgt. Eine gezielte Bestrahlung der pathologischen choroidalen Ver­ änderungen unter Sichtkontrolle ist nun durch die Brachytherapie ab interno möglich. Die Besonderheit dieser Behandlung besteht darin, dass nach einer Standard Pars-plana-Vitrektomie eine nur 2 mm x 0,9 mm große Strontium-90-Strahlenquelle in das Auge eingebracht wird und über der zuvor mittels Angiographie und OCT lokalisierten subretinalen Neovaskularisationsmembran in Position gebracht wird. Der Strontiumapplikator wird dabei unmittelbar über die Netzhaut gehalten. Der Bestrahlung erfolgt über einen Zeitraum von etwa 3,5 Minuten bis im Bestrahlungsmittelpunkt eine Dosis von 24 Gray appliziert worden ist. Strontium 90 gehört zur Kategorie der Beta-Strahler mit einer Eindringtiefe in Gewebe von nur 2 mm bis 4 mm und ist daher für eine Anwendung im Auge ideal geeignet. Der Strahlenstift wird in verkapselter Form eingebracht (Abb. 1) und ist an einem Führungsdraht befestigt. Über diesen Führungsdraht wird der Strontiumapplikator aus einer abschirmenden Wolframkammer zur Bestrahlung in die Spitze des Bestrahlungshandstückes geschoben und erst dann radioaktive Strahlung freigesetzt. Die applizierte Strahlendosis wird durch den anwesenden Strahlentherapeuten und einen Medizinphysikexperten kontrolliert. Nach Ablauf der vorher berechneten Bestrahlungszeit wird der Applikator am Führungsdraht wieder in die Wolframkammer verbracht. Die Bestrahlung ist dann beendet. Es ist somit sichergestellt, dass kein radioaktives Material im Auge verbleiben kann. Da die radioaktive Bestrahlung über eine Beeinflussung der Zellkerne der Gefäßendothelien wirkt und dieser Prozess eine Zeitspanne von einem bis drei Monaten benötigt, wird eine AntiVEGF-Injektion jeweils am Ende der Operation und vier Wochen nach der Operation gegeben, um eine Therapie des Auges bis zum Wirkungseintritt der Bestrahlung zu gewährleisten. Studienergebnisse aus der nach drei Jahren abgeschlossenen NVI111-Studie und der Ende letzten Jahres nach zwei Jahren abgeschlossenen CABERNET-Studie zeigen bei Visuserhalt einen hohen Anteil von Patienten, die nach epimakulärer Brachytherapie und den zwei initialen Anti-VEGF-Injektionen keine weiteren Injektionen im Beobachtungszeitraum mehr brauchten. Einrisse des Pigmentepithels wurden bei Patienten mit Pigmentepithelabhebung bisher nicht beobachtet. Vorteile des Verfahrens liegen in der nur einmaligen Bestrahlung, der Chance, über einen mehrjährigen Zeitraum, keine weiteren Injektionen zu benötigen, das fehlende Risiko eines Pigmentepitheleinrisses und der verbesserten Sauerstoffversorgung der Netzhaut durch die dauerhafte Entfernung von Glaskörper und hinterer Glaskörpergrenzmembran, mit daraus resultierender deutlicher Erhöhung des Sauerstoffpartialdruckes im Glaskörperraum. Entscheidend bei der Einschätzung des Verfahrens ist aber außerdem die Tatsache, dass es auch bei solchen Patienten wirkt, bei denen es trotz der Gabe von Anti-VEGF-Injektionen zu einem fortschreitenden Visusverlust gekommen ist. Generell ist der Aufwand für die Patienten zu Beginn der Behandlung höher als bei den Anti-VEGF-Injektionen, im weiteren Verlauf ist die Therapie jedoch deutlich weniger belastend als die regelmäßigen Injektionen und Kontrolltermine der Standardtherapie. Nachteile des Verfahrens liegen in der Notwendigkeit, eine Parsplana-Vitrektomie, mit den damit verbundenen Operationsrisiken, Augenspiegel Der 06|2012 Diskussion 33 Fachbeitrag Brachytherapie Abb. 3a: Präoperatives OCT-Bild einer 68-jährigen Patientin, die 24 Anti-VEGF-Injektionen erhalten hatte. Der Visus lag bei recht guten 0,4, aber die Patientin fühlte sich durch die häufigen Termine und die Ungewissheit über den weiteren Verlauf der Erkrankung emotional stark beeinträchtigt. Vor jeder Injektion hatte sie schlaflose Nächte. Die präoperative foveale Netzhautdicke lag bei 468 µm. Abb. 3a: Das gleiche Areal acht Monate nach der Bestrahlung. Das Auge ist trocken und die foveale Netzhautdicke beträgt jetzt nur noch 215 µm. Der Visusanstieg auf postoperativ 0,5 ist nur moderat, aber durch einen deutlichen Rückgang der Metamorphopsien fühlt sich die Patientin im täglichen Leben deutlich sicherer. Zusätzliche Anti-VEGF-Injektionen waren nicht mehr erforderlich. bis hin zu Netzhautablösungen oder Endophthalmitiden, vorzunehmen. Auch den Strahlenapplikator für etwa 3,5 Minuten knapp über der Netzhaut schwebend, fast in Kontakt mit der Netzhaut, zu halten, stellt hohe Anforderung an das manuelle Geschick der operierenden Chirurgen, so dass der Erfolg des Eingriffes von der Tagesform des Operateurs abhängen könnte. Wie bei jeder Bestrahlung des Auges muss natürlich auch an das mögliche Risiko einer behandlungsinduzierten Strahlen­ retinopathie gedacht werden Das Auftreten einer solchen Strahlenretinopathie wird mit Sicherheit erst nach sieben bis zehn Jahren ausgeschlossen werden können. Nach den vorliegenden Zwei- und Dreijahresergebnissen ist es bei den behandelten Patienten bisher jedoch nicht zu einer mikroangiopathischen Retinopathie mit Visusverlust gekommen. Dennoch muss der Patient über dieses Risiko aufgeklärt werden. Es sei jedoch darauf hingewiesen, dass sich der Mehrzahl der für die Brachytherapie in Betracht kommenden Patienten bei Diskussion, der für sie bestehenden Therapieoptionen eher die Frage stellte, ob die oftmals zu Recht befürchtete baldige AMD-bedingte Erblindung mit Hilfe der epimakulären Brachytherapie verhindert werden könnte. Der Sieben- oder Zehnjahreshorizont stellt sich nur Wenigen. vorhandenen retinalen Ödems. Weitere Injektionen sind im Beobachtungszeitraum von zurzeit maximal zehn Monaten nicht mehr oder nur noch als einzelne Maßnahme erforderlich. Für die Patienten bedeuten auch moderate Visusverbesserungen einen erheblichen Gewinn an Lebensqualität, was sich in der Fähigkeit, müheloser zu Lesen, manchmal sogar wieder Auto zu fahren oder auch durch die Möglichkeit, alleine in der eigenen Wohnung zu verbleiben, zeigt. Die epimakuläre Brachytherapie wirkt leider nicht bei allen erkrankten Patienten und nicht bei allen Patienten gleich gut. Herauszufinden, bei welchen Patienten sie besonders erfolgversprechend ist, wird die Aufgabe der nächsten Jahre sein. Es lässt sich jedoch jetzt schon sagen, dass wir endlich eine zugelassene wirksame Alternative zur intravitrealen Injektionstherapie der feuchten Form der Altersbedingten Makuladegeneration haben, die einen Teil der betroffenen Patienten vor der sicheren Erblindung wird bewahren können beziehungsweise dieses Ereignis zumindest um Jahre nach hinten wird verlagern können. Schlussfolgerung Bei dem ersten gezeigten Patienten (Abb. 2) handelt es sich um einen besonders günstigen Verlauf, der nicht verallgemeinert werden kann. Der Fall zeigt jedoch das maximal mögliche Potential der neuen Therapie. Im eigenen Patientengut kommt es bei vielen der behandelten Patienten, so wie bei der Patientin von Abbildung 3, zu einem begrenzten Visusanstieg von rund zehn Prozent, einer Abnahme der Metamorphopsien und einer Austrocknung der feuchten AMD beziehungsweise zu einem Rückgang des Der Augenspiegel 34 Dr. Birgit Böhm Augenklinik am Neumarkt Köln E-Mail: [email protected] Stellungnahme der Retinologischen Gesellschaft, der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft und des Berufsverbands der Augenärzte Deutschlands zur epimakulären Brachytherapie bei altersbedingter Makuladegeneration (Stand: Nov. 2011): http://cms.augeninfo.de/fileadmin/stellungnahmen/ amd_brachytherapie_28.11.2011.pdf 06|2012