Thieme: Orbita – Interdisziplinäres Management der

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Kapitel 14
Strahlentherapie orbitaler
Erkrankungen
14.1
Einführung
262
14.2
Technik
262
14.3
Strahlentherapie maligner
Neoplasien der Orbita
266
Strahlentherapie benigner
Erkrankungen der Orbita
276
4
14.4
14.5
Radiogene Nebenwirkungen und
Toxizitäten im Orbitabereich
281
14.6
Literatur
284
Strahlentherapie
Merke
H
●
Hochmaligne okulozerebrale Lymphome werden wie ZNS-Lymphome behandelt. Hier steht die Polychemotherapie im Vordergrund. Eine konsolidierende Bestrahlung des ZNS spielt in den aktuellen Therapiestudien nur noch bei nicht vollständiger Remission der Lymphome nach Chemotherapie eine Rolle. Hierbei muss
das Strahlendosiskonzept unbedingt das Auftreten einer radiogenen Leukenzephalopathie vermeiden, die bei 30 % der Betroffenen einen letalen Verlauf nimmt.
Bei Patienten, die aus internistischen Gründen keine Chemotherapie erhalten können, oder bei Rezidiven nach Polychemotherapie ist der Stellenwert der Ganzhirnbestrahlung unbestritten.
Therapie der niedrig malignen Lymphome
Die Rolle der Strahlentherapie bei diesen Entitäten ist deutlich
besser definiert.
Traditionell wurden indolente Lymphome aller Lokalisationen
mit Strahlendosen zwischen 24 Gy und mehr als 40 Gy lokal behandelt. Dadurch wird bei MALT-Lymphomen der Orbita verlässlich eine lokale Kontrolle mit sehr hohen Kurationsraten induziert
[33]. Eine SEER-Analyse (Surveillance, Epidemiology and End Results) über 1111 Patienten mit niedrig malignen Orbitalymphomen, die von 1998–2010 behandelt wurden, zeigte, dass von den
bestrahlten Patienten im weiteren Verlauf keiner lymphombedingt
verstarb, von den nicht bestrahlten Patienten hingegen 11,5 % [72].
In einer randomisierten Studie wurde prospektiv die Gleichwertigkeit von 24 Gy im Vergleich zu 36 Gy in diversen Lymphomlokalisationen nachgewiesen [58]. Verschiedene Serien berichteten über
gute und lang anhaltende Remissionsraten nach einer Dosisdeeskalation auf 2 × 2 Gy. Auch dieses Konzept wurde prospektiv randomisiert in diversen Lokalisationen mit 12 × 2 Gy verglichen [37]. Dabei
wurden allerdings signifikant niedrigere Raten an kompletten Remission (44 % bei 2 × 2 Gy im Vergleich zu 60 % bei 12 × 2 Gy) und
ein geringeres lokales progressionsfreies Überleben beschrieben.
Im Unterschied zu den Erfahrungen mit den indolenten Lymphomen anderer Körperlokalisationen wurde aktuell eine retrospektive Serie mit hervorragenden Ergebnissen nach Niedrigdosisbestrahlung im Bereich der Orbita publiziert. Dies kann auf die
meist geringere Tumorlast im Orbitabereich und die frühere Diagnosestellung bei sichtbarer bzw. frühzeitig klinisch symptomatischer Erkrankung im Vergleich zur Lymphomentstehung in anderen Lokalisationen zurückgeführt werden. Fasola et al. berichten über 20 Patienten mit 27 Lymphommanifestationen im Bereich der Orbita-Adnexe, die mit 2 × 2 Gy bestrahlt wurden [26].
Nach einer medianen Nachbeobachtung von über 2 Jahren zeigte
sich bei 85 % der behandelten Lymphome eine komplette Remission, bei 11 % eine partielle Remission. Nur bei einem Patienten
kam es zu einem intraorbitalen Rezidiv außerhalb der Bestrahlungsfelder. 80 % der Patienten berichteten keine akuten Nebenwirkungen, bei 20 % kam es zu milden, selbst limitierenden Toxizitäten wie periorbitalem Ödem, Augentrockenheit oder Konjunktivitis. Chronische Toxizitäten traten nicht auf. Obwohl es
sich hierbei um retrospektive Daten bei einem überschaubaren
Patientenkollektiv mit nur 2 Jahren Nachbeobachtung handelt,
sind diese Ergebnisse in mehrfacher Hinsicht normativ für die
Strahlentherapie der indolenten Lymphome der Orbita, da so
eine sehr schonende Behandlung ermöglicht wird:
14
270
1. Höhere Strahlendosen sind mit höheren Risiken für akute und
chronische Toxizitäten assoziiert, so wurden über 50 % akute
Komplikationen bei Dosen zwischen 19–48 Gy berichtet [94]
(Details s. Kap. 14.5.4). Selbst bei einem lokalen Progress nach
2 × 2 Gy Vorbelastung ist eine Rebestrahlung in dieser Größenordnung komplikationsarm möglich.
2. Weiterhin ist die Zielvolumendefinition bislang strittig: Nach
selektiver Bestrahlung der befallenen Region der Orbita ist in
bis zu 30 % der Patienten ein Rezidiv außerhalb des Bestrahlungsvolumens berichtet worden, sodass eine initiale Bestrahlung der gesamten Orbita diskutiert wurde [75]. Eine Fraktionierung von 2 × 2 Gy ermöglicht die partielle Orbitabestrahlung, da im Falle eines Rezidivs eine Rebestrahlung selbst bei
Feldüberschneidung mit der radiogenen Vorbelastung problemlos durchführbar ist. Andererseits kann eine vollständige
Orbitabestrahlung mit 2 × 2 Gy mit minimaler Toxizität auch
primär durchgeführt werden.
3. Die partielle Orbitabestrahlung mit niedriger Strahlendosis
setzt aber eine engmaschige Nachsorge voraus. Dabei ist auch
die kontralaterale Orbita zu kontrollieren, da auch in diesem
Bereich gelegentlich Rezidive beschrieben wurden [26].
Merke
H
●
Niedrig maligne MALT-Lymphomen der Orbita sind durch eine EBRT
mit niedrigen Strahlendosen (2 × 2 Gy oder 12 × 2 Gy) heilbar. Ob dabei die gesamte betroffene Orbita behandelt werden muss ist nicht
gesichert. Bei den extrem niedrigen Strahlendosen ist auch eine alleinige Behandlung der befallenen Struktur gut zu rechtfertigen.
Der Patient wird in einer individuell gefertigten thermoplastischen
Maske gelagert. Das GTV (gross tumor volume, bildgebend abgrenzbarer Tumor) wird durch die Klinik und die Bildgebung bestimmt.
Das CTV umfasst entweder das GTV einschließlich der befallenen
okulären Struktur (Glandula lacrimalis oder Konjunktiva), oder aber
die gesamte Orbita (Diskussion s. o.). Prinzipiell sollten oberflächlich
liegende Tumoren mit Elektronen unter Verwendung von Bolusmaterial behandelt werden, um einen optimalen Dosisaufbaueffekt zu
gewährleisten. Tiefer liegende Volumina (z. B. Glandula lacrimalis)
werden mit Photonen nach 3D-Planung behandelt (▶ Abb. 14.9).
Abb. 14.9 Dosisverteilung einer Bestrahlung bei niedrig malignem
Orbitalymphom links. Durch den Einsatz von 3 verschiedenen
Strahlrichtungen, bei denen eine von kranial über die Schädelkalotte
eintritt, gelingt eine sehr gute Erfassung des Zielvolumens mit einem
scharfen Dosisabfall in die umliegenden, nicht beteiligten Strukturen.
Die angestrebte Dosis ist als rötlich-bräunliche Einfärbung im Transversalschnitt (rechte Bildhälfte) zu erkennen, niedrige Strahlendosen
als grüne/blaue Einfärbung.
14.3 Maligne Neoplasien
Wann immer sinnvoll möglich, sollte die Linse mit einer Kalotte
abgeschirmt werden (Kap. 14.3.1, Abschnitt „Metastasen und Tumoren des Augenlids“).
14.3.3 Aderhautmelanome
Seit den 1980er Jahren hat sich die Therapie der Aderhautmelanome grundlegend gewandelt. Während vorher die Enukleation
den Hauptpfeiler der Behandlung darstellte, wird seitdem – wann
immer technisch möglich und vom Patienten gewünscht – der
Schwerpunkt auf augenerhaltende Verfahren gelegt.
Bestrahlung kann Aderhautmelanome onkologisch kontrollieren und zugleich den Visus als auch den Bulbus erhalten [69]. Allerdings sind die erforderlichen Strahlendosen oberhalb der Toleranzdosen von Retina, N. opticus, Linsen, Augenlidern und Glandula lacrimalis. Deshalb sind entsprechend angepasste Techniken
resp. Bestrahlungsplanungen notwendig. Erzielt werden können
die notwendigen Dosisverteilungen durch episklerale Brachytherapie, Bestrahlung mit Protonen/schweren Ionen oder durch radiochirurgische Techniken. Die Brachytherapie wird international
am häufigsten angewendet.
Stellenwert der Strahlentherapie
Der Stellenwert der Strahlentherapie wurde wegweisend durch
die langfristig angelegten, prospektiv randomisierten Studien der
COMS-Gruppe geprüft [34]. Diese Daten sind sehr wichtig, weil
das Aderhautmelanom mit in den USA geschätzten 1400 Neuerkrankungen pro Jahr zu den seltenen Erkrankungen zählt [23].
Durch die Initiative des National Eye Institute wurden 1986 3
multizentrische, prospektive Studien geöffnet, in denen ca. 2500
Patienten mit unilateralen choroidalen Melanomen rekrutiert
wurden.
Dabei wurden die Melanome in 3 Kategorien unterteilt [59]:
● kleine Melanome: 1,5–2,4 mm Tumorhöhe, Durchmesser 5–
16 mm
● mittlere Melanome: 2,5–10 mm Tumorhöhe, Durchmesser ≤ 16 mm (seit 11/1990)
● große Melanome: > 10 mm Tumorhöhe, Durchmesser > 16 mm
Kleine Melanome
Patienten mit kleinen Tumoren wurde die Aufnahme in eine prospektive Beobachtungsstudie angeboten. Bei diesen Patienten besteht die Gefahr einer Fehldiagnose bei Verwechselung mit einem
gutartigen Nävus, sodass das engmaschig überwachte Wachstumsverhalten letztlich Aufschluss über die Dignität geben sollte.
188 Tumoren wurden initial beobachtet, von denen ca. 10 %, 20 %
bzw. 30 % nach 1, 2 bzw. 5 Jahren progredient waren [99]. Obwohl die meisten Patienten nicht behandelt wurden, war innerhalb von 5 Jahren nur 1 % der Patienten am Melanom verstorben.
Merke
H
●
Kleine Aderhautmelanome mit Tumorhöhen unter 2,4 mm und
Durchmessern unter 16 mm lassen sich oft nur durch das langfristige Wachstumsverhalten von gutartigen Naevi abgrenzen. Innerhalb von 5 Jahren zeigen nur 30 % eine Progredienz.
Mittlere Melanome
Patienten mit mittleren Melanomen (keine Lokalisation peripapillär oder im Ziliarkörper, cM0) wurden zwischen einer episkleralen Brachytherapie mit einem 125Jod-Applikator oder einer primären Enukleation randomisiert. Insgesamt wurden in einem
Zeitraum von 12 Jahren 1317 Patienten behandelt [18]. Die 5Jahres-Überlebens-Rate unterschieden sich nicht signifikant mit
81 % nach Enukleation und 82 % nach Brachytherapie, ebenfalls
nicht die tumorspezifischen Überlebensraten. Auch Langzeitdaten mit 10- und 12- Jahres-Überlebens-Raten zeigten keine signifikanten Unterschiede [103]. Fast die Hälfte der Patienten in
der Studie lebte noch nach 12 Jahren krankheitsfrei. Negative
prognostische Faktoren waren ein Tumordurchmesser > 11 mm
und Alter > 60.
Dabei zeigte das organerhaltende Vorgehen eine gute onkologische Effektivität: In den ersten 5 Jahren nach Brachytherapie
wurden nur ca. 12,5 % der Patienten enukleiert, 10 % bei Tumorprogress (v. a. in den ersten 3 Jahren nach Primärbehandlung),
2,5 % aufgrund anderer Ursachen (Schmerzen, Visusverlust) [44].
Bei 2 % der Patienten wurde zwar ein Rezidiv dokumentiert, es
erfolgte aber keine Enukleation. Als Rezidiv wurde dabei eine Tumorhöhenzunahme um 15 % im Ultraschall oder Wachstum um
250 μm in Fotografien in jeweils 2 aufeinander folgenden Untersuchungen definiert.
Mit der Rezidivhäufigkeit assoziiert waren:
● Lebensalter > 50 Jahre
● Tumorhöhe > 5 mm
● Tumorwachstum bis an die Fovea
Die Mortalität von Patienten nach einer sekundären Enukleation
könnte erhöht sein (Risk Ratio 1,5). Dieser Befund verfehlte jedoch nach Adjustierung für andere Risikofaktoren das statistische
Signifikanzniveau knapp (p = 0,08) und wirkte sich nicht auf die
Überlebensraten der gesamten Gruppen aus. Deshalb kann die
Brachytherapie als sichere Therapiealternative in dieser Patientengruppe angesehen werden.
Hinsichtlich radiogener Nebenwirkungen wurden 532 Patienten ohne Katarakt vor Brachytherapie weiter untersucht [102].
Die erste Katarakt entwickelte sich im Median 2,5 Jahre nach Primärtherapie, die ersten Operation war im Median nach 3,5 Jahren notwendig (wobei keine definierten Kriterien für die Operationsindikation vorgegeben waren). Nach 5 Jahren hatten sich in
83 % der betroffenen Augen Katarakte entwickelt, allerdings
mussten nur 12 % deswegen operiert werden. Nach einer Linsendosis von ≥ 24 Gy wurden 18 % der Patienten operiert, bei < 12 Gy
nur 4 %. Der Visus nahm bei den meisten Patienten nach Kataraktoperation zu oder stabilisierte sich. Die Kataraktchirurgie
war trotz der Tumorbehandlung effektiv.
Funktionelle Einschränkung im Sinne eines substanziellen Visusverlusts nach Brachytherapie erfuhren nach 1 Jahr 17 % der
Patienten, nach 2 Jahren 33 % und nach 3 Jahren > 40 %. Dabei
war das Risiko assoziiert mit:
● Diabetes mellitus
● Tumorhöhe ≤ 5 mm vs. > 5–7,5 vs. > 7,6
● Abstand zwischen Tumor und Makula
● tumorassoziierter Netzhautablösung (insbesondere bei Involvierung der Makula)
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