Die Räuber - Next Liberty

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 Die Räuber Friedrich Schiller Wie weit kann ein Mensch gehen, um sich das zu verschaffen, was er für sein Recht hält? Was muss und darf man für die eigene Freiheit tun? Und was zählt wirklich: Bluts‐ und Räuberbande, oder etwa doch die Liebe? Es ist die Geschichte eines Bruderzwistes: Karl von Moor, der ältere, ist der ideale Sohn, er steht beim Vater hoch im Kurs, hat mit Amalia eine Braut, die ihn liebt, und alle Chancen auf das Familienvermögen. Sein Bruder Franz ist von Eifersucht und Neid getrieben und scheut keine Mittel, Karl in Misskredit zu bringen. Durch ei‐
nen gefälschten Brief erreicht er, dass sich der Graf von Moor von seinem älteren Sohn abwen‐
det. Enttäuscht und wütend kehrt Karl daraufhin der Gesellschaft den Rücken und schließt sich einer militanten Gruppe zorniger junger Männer an, die unter seiner Führung gegen die (staatliche) Bevormundung rebellieren und rau‐
bend durch die Lande ziehen. Aber bald ist Ge‐
walt um der bloßen Gewalt willen an der Tages‐
ordnung, Idealismus schlägt um in Aggression. Karls Sehnsucht nach seinen Lieben lässt ihn schließlich noch einmal ins väterliche Schloss zurückkehren, doch eine Rückkehr in die alte Ordnung ist nicht zuletzt wegen seines Treue‐
schwurs an die Räuberbande unmöglich gewor‐
den. Der Regisseur C.C. Weinberger (u. a. „Ein Som‐
mernachtstraum“) inszeniert Schillers revolutio‐
näres Jugendwerk als spannendes und mitrei‐
ßendes Bühnenerlebnis für Jugendliche und Er‐
wachsene ab 14 Jahren. Textfassung & Inszenierung: C.C. Weinberger Ausstattung: Mignon Ritter Videos: Roland Renner Lichtgestaltung: Michael Rainer Regieassistenz: Juana Ines Cano Restrepo Dramaturgie: Dagmar Stehring Theaterpädagogik: Pia Weisi MIT: Maximilian, Graf von Moor Bernd Sračnik Karl von Moor Martin Niederbrunner Franz von Moor Felix Rank Amalia von Edelreich Lisa Schrammel Moritz Spiegelberg Michael Rutz Daniel, Diener des Grafen Maximilian Achatz Hermann / Schufterle / Schwarz Helmut Pucher Schweizer Tomaš Klimann Razmann Caroline Mercedes Hochfelner Roller Valentin Iossifov Percussion: Philipp Pluhar Premiere am 09. März 2012, 19 Uhr im Next Liberty auf der Grazer Messe Weitere Termine: 10.30 Uhr März: 13, 15 Mai: 24, 25 Jun: 5 // 19.00 Uhr März: 10, 14, 17 Mai: 24, 25 Jun: 1, 2, 5 www.nextliberty.com Liebe Theaterfans! Anbei findet ihr detaillierte Infos und Materialien zu Friedrich Schillers Jugendwerk „Die Räuber“, in dem ab 9. März 2012 auf der Bühne des Next Liberty Familienkonflikte und Bruderstreitigkeiten eskalieren, Räuberbanden gegründet und moralische Werte auf die Probe gestellt werden. Sich mit einem so genannten „Klassiker“ der Literaturgeschichte zu beschäftigen muss nicht immer anstrengend oder mit Langeweile verbunden sein – damit ihr euch für den Vorstellungsbesuch entsprechend vorbereiten und einarbeiten könnt, haben wir euch deshalb anbei umfassende Hintergrundinformationen zum Autor, dem Stück und im Speziellen zur Inszenierung im Next Liberty zusammengestellt; für eine weiterführende, intensive Auseinandersetzung im Unterricht findet ihr im Anschluss daran noch zahlreiche Übungen und Unterrichtsvorschläge, die euch dabei unterstützen können bzw. sollen, die Inhalte und Themen des Stücks auch aktiv vor‐ bzw. nachzubereiten. Uns interessiert natürlich, ob euch diese Vorschläge gefallen haben bzw. was ihr daraus gemacht habt, deshalb freuen wir uns auch über eure Rückmeldungen. Ihr könnt uns z. B. eine Nachricht über unsere Next Liberty‐Seite auf Facebook zukommen lassen oder den beteiligten Schauspielern direkt eine Mail an [email protected] schicken. Viel Freude beim Lesen, Ausprobieren und Erarbeiten, Dagmar und Pia Kontakt Next Liberty Jugendtheater GmbH Kaiser‐Josef‐Platz 10 A‐8010 Graz Dagmar Stehring, Pia Weisi E [email protected]; [email protected] T 0316/8008 1129 I www.nextliberty.com www.nextliberty.com Ein Tipp: WANTED – Mehr zu den Räubern! Wie entsteht so eine Produktion? Wie verlaufen die Proben? Wie setzt man sich am besten mit einem solchen klassischen Text auseinander? Welche Möglichkeiten gibt es, sich mit den umfassenden Themen im Stück auseinanderzusetzen und welche spannenden Themen gibt es da überhaupt zu entdecken? Für alle, die sich über den Vorstellungsbesuch hinaus mit Friedrich Schillers „Räubern“ beschäftigen möchten, bieten wir über diese Begleitmaterialien hinaus auch ein umfassendes theaterpädagogisches Rahmenprogramm an – mit den folgenden Angeboten möchten wir u. a. interessierten SchülerInnen Einblicke in die unterschiedlichen Bereiche am Theater ermöglichen, ihnen die Gelegenheit geben, sich spielerisch auszuprobieren und selbst zu entdecken, welche zeitlosen Themen in einem so genannten „Klassiker“ stecken: ● Vorbereitend zum Vorstellungsbesuch können Sie 2‐ bis 4‐stündige Workshops an den Schulen buchen; Termine nach Vereinbarung. ● Die aktuelle Folge der Backstage‐Filmreihe „Next Liberty in progress“ beschäftigt sich mit dem Thema „Bruderzwist“ und gewährt auf unkonventionelle Weise Einblicke in dieses Kernthema des Stücks und hinter die Kulissen der Produktion. Zu sehen ist dieser Kurzfilm auf Youtube und unter www.nextliberty.com. Anmeldung und Informationen Dagmar Stehring, Pia Weisi E [email protected]; [email protected] T 0316/8008 1129 I www.nextliberty.com www.nextliberty.com INHALT I. ZUR INSZENIERUNG ● Das Leadingteam ‐ C.C. Weinberger (Textfassung & Inszenierung) ‐ Mignon Ritter (Ausstattung) ‐ Roland Renner (Videos) ● Im Gespräch mit Regisseur C.C. Weinberger II. ZUM WERK ● „Die Räuber“ – Szene für Szene ● Zum Autor Friedrich Schiller ● Zur Entstehung des Stücks ● Stoffliche Einflüsse ‐ Schubarts Erzählung „Zur Geschichte des menschlichen Herzens“ ‐ Der Räuber Roque aus Miguel de Cervantes’ „Don Quixote“ ‐ Weitere literarische Einflüsse ● Materialien zu den Kernthemen des Stücks ‐ Thema: Faszination Räuber ‐ Thema: Bruderzwist ‐ Thema: Der verlorene Sohn / Der Vaterkonflikt III.) ÜBUNGEN / SPIELE / UNTERRICHTSVORSCHLÄGE IV.) LITERATURHINWEISE www.nextliberty.com I. ZUR INSZENIERUNG ● Das Leadingteam ‐ C.C. Weinberger (Textfassung & Inszenierung) Theater (Auswahl): Burgtheater Wien, Staatstheater Mainz, Tübinger Zimmertheater, Klibühni Chur, Dramatisches Zentrum Wien Film (Auswahl): 2009 „Furcht und Zittern“ (R: Reinhard Schwabenitzky); 2009 „Brandstifter“ (R: Felix von Muralt); 2007 „Gestern, irgendwo im Weltall“ (R: Harald Winkler; 2006); „Klimt“ (R: Raoul Ruiz); 2006 „Plastik Nomaden“ (R: Philipp Stary); 2001 „Komm, süßer Tod“ (R: Wolfgang Murnberger) Fernsehen (Auswahl): 2010 „Das Glück dieser Erde“; 2010 „Tatort“‐ „Vergeltung“(R: Wolfgang Murnberger); 2009 „Soko Donau“‐„Blindspuren“ (R: Robert Sigl); 2008 Vitasek unplugged (ORF/Gebhardt Productions); 2008 „Schnell ermittelt“ (ORF/MR Film); 2007 „Polly Adler“ Zickenalarm (R: Peter Gersina); 2006 „Die Geschworene“ (R: Nikolaus Leytner); 2005 „Im Auftrag seiner Majestät“ (R: Michael Ambrosch); 2002 „Kommissar Rex“ (R: Engelhaupt); 2001 „MA 2412“ (R: Harald Sicheritz) ‐ Mignon Ritter (Ausstattung) Mignon Ritter wurde in Düsseldorf geboren und studierte an der Grazer Universität für Musik und darstellende Kunst bei Wolfram Skalicki und Hans Schavernoch. Für ihre Diplomarbeit „Schönberg Trilogie“ erhielt sie 1996 den Würdigungspreis des österreichischen Bundesministeriums für Kunst und 1998 wurde ihr der Publikumspreis beim Internationalen Regie‐ und Bühnenbildwettbewerb (Ring Award) verliehen. Seit 1994 entstanden Ausstattungen u. a. für: „Zyankali“ 2000 von R. Wolf (UA), „Der Schüler Gerber“ von Felix Mitterer (UA), „Die Unterschrift von R. Wolf“ (UA, steirischer herbst), „Brot und Spiele“ von P.Boltshauser (UA), „Andorra“ von Max Frisch in Graz, „Fette Männer im Rock“ von Nicky Silver und „Die Mausefalle“ im Stadttheater Gießen, „Die lustige Witwe“ beim Lehár Festival in Bad Ischl. An der Grazer Oper entwarf sie u. a. die Kostüme für „Turandot“, die Bühne für die Musicals „Hello Dolly”, „Jim Knopf und Lukas, der Lokomotivführer” und „Jim Knopf und die Wilde 13“. In Zusammenarbeit mit Michael Schilhan folgten u. a. „Der Wildschütz“, „Die lustigen Weiber von Windsor“, „My fair lady“. und zuletzt „Der Vogelhändler“ an der Volksoper Wien. Seit 1999 zeichnet sie sich überdies für die künstlerische Ausstattung der Grazer Opernredoute verantwortlich. In Salzburg unterrichtet Mignon Ritter seit 2004 in der Abteilung für Bühnenbild an der Universität Mozarteum. Zu den wichtigsten Arbeitspartnern unter den Regisseuren zählten/zählen Michael Schilhan, Tatjana Gürbaca, Ulrike Beimpold, Christine Sohn, Attila Lang. www.nextliberty.com Kostüm‐ bzw. Bühnenbildentwurf zu „Die Räuber“, © Mignon Ritter ‐ Roland Renner (Videos) Ausbildung und Werdegang: Studium der Kulturanthropologie. Während seiner Studienzeit begann Roland Renner zu photographieren und bekam ein Stipendium an der Akademie für Photographie Graz. Er arbeitet als freischaffender Photograph und Videokünstler in Graz. Einige Kurzdokumentationen, Industriefilme, Experimental‐ und Musikvideos gaben den Stil für seine erste Langfilmdokumentation „Kick Off – hell bent for 90 minutes“ vor. Zusammen mit Andreas Grininger und Martin Obmann gründete er ELEVEN, eine unabhängige Plattform für Künstler verschiedenster Genres. Ihr erstes gemeinsames Ziel war „11attitudes“, ein Multimediaprojekt, welches speziell für den Film „Kick Off“ hergestellt wurde. Mittlerweile wurde daraus das Netzwerk 11vibes.com, und Roland Renner gründete seine eigene Filmproduktionseinheit reziprok. Ausgewählte Arbeiten Film und Video: „Shalom Amsterdam“ (1999), „Zeit.punkt“ (2000), „Rausländer“ (2001), „What´s your name“ (2001), „Work In Progress“ (2003), „Almost Inside“ (2003), „Surface Tension“ (2004), „Kick Off – hell bent for 90 minutes“ (2004), „In der Au“ (2005), „The End of History itself“ (Musikvideo, 2007), „Trainleaders live at Orpheum“ (2009), „Atmen Helge“ (Musikvideo, 2009), „Orfeo et Euridice“ (2010). Videoarbeiten für Theaterstücke im Next Liberty: „Ritchy 3“ (2007), „Das Austauschkind“ (2008), „Spieltrieb“ (2009), „In 80 Tagen um die Welt“ (2009), „Paradise now“ (2010), „Ronja Räubertochter“ (2011) Weitere Infos zu Roland Renner: www.rolandrenner.com / www.reziprok.at. www.nextliberty.com Video‐Stills aus „Die Räuber“, © Roland Renner ● Im Gespräch mit Regisseur C.C. Weinberger ‐ Lieber Christian, hast du dich schon vor dieser Produktion am Next Liberty einmal mit den „Räubern“ bzw. mit dem Autor Friedrich Schiller beschäftigt? Wenn ja, in welcher Form? Nein, mit den „Räubern“ habe ich mich vor dieser Inszenierung nicht näher beschäftigt. Ich habe zuvor auch weder in einem Stück von Schiller mitgespielt, noch eines inszeniert. Meine einzige Verbindung zu diesem Autor war, dass ich seinerzeit als Anfänger einmal ein Gastspiel in Marbach am Neckar [Schillers Geburtsort] hatte. ‐ Aber du hast das Stück doch bestimmt schon vorher gekannt und gelesen. Viele seufzen ja, wenn es um die Beschäftigung mit einem so genannten Klassiker geht – wie ging es dir damit? Ja, natürlich habe ich das Stück davor schon gelesen und ich mochte es, ehrlich gesagt, zuerst nicht sonderlich. Beim ersten Lesen kommt es einem ja im wörtlichsten Sinn wie eine „Räuberpistole“ vor, erst beim mehrmaligen Lesen geht einem auf, welche geniale Kraft eines verzweifelten Internatszöglings da wirklich drinsteckt. ‐ Und was genau magst du, nach mehrmaligem Lesen, an diesem Stück? Es ist diese ungeheuerliche Empörung, dieser Aufschrei in Verbindung mit einer Sprachgewalt, die es ermöglicht, teilweise sehr absurde Situationen durch Sprache überhaupt erst fassbar zu machen. Das Spannende ist auch, dass es im Stück kein klares „Gut“ und „Böse“ gibt. Es gibt da zwar Franz von Moor, aber den hat der junge Schiller meiner Meinung nach so über hergerichtet, um jemandem seine „gottlosen“ Gedanken in den Mund legen zu können, und das ging damals eben nur in Form eines Bösewichts. Ich empfinde die Räuber auch ein Stück weit als Identifikationsfiguren, und möchte wahnsinnig gerne, dass es diesen Revoluzzern gelingt, sich durchzusetzen und ein korruptes, ungerechtes System zu stürzen – aber eben nur bis zu einem bestimmten Grad, es sind letztendlich ja üble Mörder, die weit über das Ziel hinausschießen. ‐ Siehst du in den Räubern auch das Zeitlose, das Aktuelle des Stücks? Ja, genau das macht das Stück auch so zeitlos. Aber genau das ist auch der Grund, warum diese Räuberfiguren für mich nicht wirklich konkretisierbar sind, sie interessieren mich als Prinzip. Sie stehen für mich für eine verzweifelte Gerechtigkeitssuche, die letztlich in dem Prinzip mündet „Ich bin der Geist, der stets das Gute will, und stets das Böse schafft“. Der Aufschrei von Schiller und auch der eines heutigen, einigermaßen vernünftig denkenden Menschen gegen bestehende, haarsträubende Ungerechtigkeiten und Systeme ist im Prinzip derselbe, das gibt es heute wie zu Schillers Zeiten. Wie kann ich mich nicht aufregen, wenn ich doch von „willkürlich www.nextliberty.com regierenden Fürsten“ permanent ungerecht behandelt werde? – diese Frage ist heute so aktuell wie damals, heute eben mit der rein theoretischen Chance auf Gerechtigkeit. Es gibt Zeiten bzw. Inszenierungen, da konkretisiert man diese Bande ja auch als RAF, Neonazis oder Punks, und versucht so dann aktuelle gesellschaftliche Widersprüche darzustellen. Das kann man natürlich versuchen, aber im Moment sehe ich da keine Entsprechung, mit der ich auf einen grünen Zweig gekommen wäre, auch nicht mit der Occupy‐Bewegung oder der Pariser Banlieue – das hätte hält letztlich alles einer genauen Betrachtung nicht stand. ‐ In diesen Zusammenhang setzt du verschiedene Symbole auf der Bühne ein, u. a. die Masken und die Fässer. Was hat es damit auf sich? Wir setzen die Clownmasken dazu ein, um die Veränderung dieser Menschen während ihres verzweifelten Kampfes zu zeigen. Sie beginnen ja mehr oder weniger brav als Internatsschüler – was wiederum von Schillers Biografie abgeleitet ist –, mit den verschiedensten Hintergründen und Intentionen, das können wir in dieser gekürzten Fassung gar nicht im Detail erzählen. Auf ihrem Weg werden sie dann immer radikaler, denn sie können ja nicht mehr zurück. Die Masken haben aber auch einen ganz banalen Zweck, denn wer Verbrechen begeht, will ja meistens auch nicht erkannt werden. Ein anderes „Symbol“ auf der Bühne sind die Öl‐ oder Chemiefässer, die ich mochte, weil sie viel Lärm machen und für mich u. a. für die „florierende“ Wirtschaft stehen, von der im Endeffekt die wenigsten etwas haben, an der sogar im Gegenteil nur wenige verdienen, wie hier eben der alte Moor. ‐ Wofür steht für dich die Figur des Maximilian von Moor? Schiller wollte mit der Figur des alten Moor ja die Auflösung des Patriarchats zeigen, eines Systems, das nicht mehr funktioniert, aber auch keine funktionierenden neuen Alternativen hat. Ich wollte auch hier einen alltäglicheren Zugang zu diesem (abstrakten) Prinzip von Patriarchat, Rebellion usw. finden und versuche eigentlich, die Geschichte eines alleinerziehenden Vaters zu erzählen, der bei seinen beiden Söhnen eben auch nur scheitert. ‐ Welche Rolle nimmt Maximilian von Moor in der Familie ein? Inwiefern hat er den Grundstein für diesen Konflikt gelegt? Offenbar hat es in der Vergangenheit ein Ungleichgewicht in Bezug auf die Söhne gegeben, das die Grundlage für die Eifersucht bei Franz bildet. Das wird bei uns ja zu Beginn der Inszenierung in einem Super 8‐Film gezeigt, mit dem der alte Moor den heilen Familienzeiten nachtrauert, in denen man noch gemeinsam Kindergeburtstag etc. gefeiert hat – damit versuche ich die familiäre Ausgangssituation zu beschreiben, um dann umso plötzlicher mit dem Aufschrei des Franz ins Jetzt einzusteigen. ‐ Kommen wir zu den Söhnen: Wie würdest du die Figur/den Charakter des Franz von Moor beschreiben? Franz’ emotionaler Antrieb resultiert aus einer Verschmähung. Bei Schiller wird das noch durch Äußerlichkeiten verstärkt, Franz wird bei ihm als sehr hässlich dargestellt. Das braucht man heutzutage nicht mehr, unsere Sehgewohnheiten haben sich diesbezüglich ja auch geändert, die Darstellung der emotionalen Grundlage, der empfundenen Verschmähung und Zurückstellung hinter seinen älteren, kräftigeren, männlicheren Bruder, reicht. Franz begehrt auch Amalia, die ja mit seinem Bruder verlobt ist und die ihn zurückweist, insofern kann man seine ausgeprägte Intelligenz auch als Sublimierung seiner Libido sehen, die er kaum oder gar nicht ausleben kann. Franz ist ein hochintelligenter junger Mann, der natürlich mit seiner Intelligenz an Grenzen stößt, die er überschreiten will. So stellt er sich die Sinnfrage „Was soll das alles?“ und beantwortet es für sich mit: „Der Mensch kommt aus Morast und wird wieder zu Morast.“ Ein gläubiger Mensch würde ihm da widersprechen, aber jemand, der nicht gläubig ist, wird ihm zustimmen und bestätigen, dass wir eben auch ohne Gott zurechtkommen müssen und können, aber deshalb noch lange nicht ohne Moral. Diese Einstellung und diese Grenzüberschreitung können einen Menschen auch schwächen, das macht Franz letztlich auch angreifbar für Daniels Argumente – und am Ende zerbröselt er geradezu daran. www.nextliberty.com ‐ Wie würdest du im Gegensatz dazu Karl charakterisieren? Karl ist mehr Fleisch und Blut, er verkörpert das emotionalere Prinzip. Er hat zu Beginn einen Riesenzorn auf seinen Vater, der ihn angeblich verstößt, und beschließt, die Welt kurz und klein zu schlagen, gemeinsam mit seinen Kumpels, die ihn aus den unterschiedlichsten Gründen unterstützen. Spiegelberg ist dabei ja das intellektuelle Pendant zu Franz, der Karl nur noch aufstachelt. Karl hat im Gegensatz zu seinem Bruder noch seinen Glauben zu Gott und fleht diesen auch schon ziemlich früh an, ihm zu vergeben. Er handelt immer für eine höhere Sache; es wird ja auch beschrieben, dass er sich selbst nicht bereichert, sondern nur die besonders ungerechten Potentaten umbringt, was ihn zu einer Art edlem Räuber, einem Robin Hood macht. Diese Einstellung wiederum ist für mich nachvollziehbar. ‐ Am Ende unterwirft sich Karl doch wieder den Gesetzen, die er zuvor verurteilt hat. Wie würdest du das Ende bewerten? Karl sieht ein, dass er sich dadurch, dass er die Gesetze als Gesetzloser mit den Mitteln der Gewalt bekämpft hat, schuldig gemacht hat und begibt sich wieder in die Hand des Gesetzes. Aber nicht, weil er die Gesetze auf einmal für richtig hält, sondern weil er eben sühnen und eine Art Menschenopfer darbringen will/muss. „Man hat Tausende geboten, wer den großen Räuber lebendig liefert.“ – lebendig heißt, Karl begibt sich mit seinem Entschluss, sich auszuliefern, in die grausame Todesfolter. ‐ Und was macht für dich die Figur der Amalia aus? Amalia war für Schillers Zeit eine relativ normale Frauenfigur, im heutigen Sinne ist sie das natürlich nicht. Sie ist esoterisch und romantisch veranlagt, dadurch vielleicht ein wenig weltfremd, aber so versucht sie sich in dieser Männergesellschaft einen Lebensraum zu schaffen, in dem sie von der ewigen Liebe träumen kann. Mit dieser Einstellung kann sie sich ihre Lebensfreude und ‐grundlage überhaupt bewahren. Und ihre Hoffnungen sieht sie am Ende auch beinahe eingelöst – aber am Ende kommt es dann doch anders und sogar die hartgesottenen Räuber sind schockiert. ‐ Für das Next Liberty hast du ja eine extrem gekürzte Fassung erstellt – setzt deine Version der „Räuber“ schon Wissen voraus? Nein, ich gehe davon aus, dass das grundsätzlich für jeden ein spannender und interessanter Theaterabend werden wird, das ist der Anspruch. Es ist quasi das wesentliche Gerüst des Stücks, das aber sehr nachvollziehbar ist, vielleicht sogar nachvollziehbarer, als wenn man sich all den Einzelheiten und Ausführungen aussetzen müsste. Wenn jemand dann mehr zum Stück und zu den Hintergründen weiß, kann er sich natürlich den Genuss noch verfeinern. ‐ Glaubst du, dass die Jugendlichen, die sich „Die Räuber“ anschauen, etwas finden, das ihrer Lebenswelt entspricht? Ich denke, dass es da jede Menge gibt, das für die Jugendlichen interessant ist: der Umgang mit Autoritäten bzw. mit Autoritäten verschiedener Generationen, der Umgang und die Kanalisation der jugendlichen (Hyper‐)Energie beider Geschlechter, die Liebesgeschichte, ... Der junge Schiller hat diese Explosion ja auch geschrieben, um mit einem Aufschrei aus seinem Zuchtanstaltskorsett auszubrechen, zumindest gedanklich, und dieser Aufschrei ist nach wie vor spannend und Gott sei Dank in der Schiller’schen Sprache verfasst, also in einer Sprache, die noch mit der Erotik des Gedankens spielt und nicht im Fernsehjargon. Grundsätzlich geht es ja nicht nur um ein Bedienen der jugendlichen Lebenswelt, sondern ich will diejenigen, die sich darauf einlassen wollen, auch darüber hinaus fordern. www.nextliberty.com II. ZUM WERK ● „Die Räuber“ – Szene für Szene1 Die Ausgangssituation: Maximilian, regierender Graf von Moor, hat zwei ungleiche Söhne: Karl von Moor, der ältere, ist der ideale Sohn, er steht beim Vater hoch im Kurs, lebt gerade als Student in Leipzig und hat nach seiner Rückkehr ins väterliche Schloss nicht nur eine Braut, die ihn liebt, sondern auch alle Chancen auf das Familienvermögen. Sein Bruder Franz hingegen fühlt sich von Kindheit an nicht nur vom Vater, sondern auch von der Natur benachteiligt und ist von Eifersucht und Neid getrieben. Als nun ein Brief von Karl aus Leipzig eintrifft, in dem er Maximilian gesteht, dass er als Student ein ausschweifendes und leichtsinniges Leben geführt und sich in Schulden verstrickt hat, jetzt aber geläutert ins väterliche Schloss zurückkehren möchte, wittert Franz seine große Chance: Er legt Maximilian nicht den originalen Brief vor, sondern erzählt ihm zahlreiche Lügen darüber, wie sehr sich Karl in Leipzig daneben benommen und den Namen Moor in Misskredit gebracht hat. Auf diese Weise bringt er den Vater schließlich dazu, den geliebten Sohn zu verbannen und zu enterben. Hier nun setzt die Handlung der Tragödie ein. I. AKT, 1. Szene Franz hat den alten Moor mit Heucheleien und Lügen über Karl in tiefe Verzweiflung gestürzt, Maximilian trauert den vergangenen Zeiten nach, in denen er mit Karl den idealen Sohn zu haben glaubte. Franz fühlt sich absolut im Recht und freut sich darüber, nun endlich freie Bahn zu haben und durch den Bruch zwischen Vater und Bruder zunächst Alleinerbe und schließlich Alleinherrscher über die Grafschaft zu werden. I. AKT, 2. Szene Karl von Moor disputiert hitzig mit seinem Studienkollegen Spiegelberg über die gegenwärtigen gesellschaftlichen Missverhältnisse. Karl ekelt vor dem „tintenklecksenden Säkulum“ und dem „schlappen Kastraten‐Jahrhundert“, in dem er sich danach sehnt, frei von Gesetzen und Konventionen seine Kräfte zu entfalten und ein neues Zeitalter anzuführen. Spiegelberg, ehrgeizig, gewissenlos und voller großer Pläne, hat auf eine solche Gelegenheit gewartet und drängt Karl dazu, den Worten auch Taten folgen zu lassen, doch dieser bereut seine studentischen „Narrenstreiche“. Er wartet nur mehr auf die Vergebung seines Vaters und will dann ins heimatliche Schloss, zu seinem Vater und seiner Braut Amalia, zurückkehren. Doch statt der versöhnlichen Antwort des Vaters bringen Schweizer, Roller, Schufterle und Razmann Karl einen Brief von dessen Bruder, in dem er ihm die väterliche Verbannung mitteilt. Karl ist darüber fassungslos, das macht sich Spiegelberg sofort zu Nutze: Er heizt die Stimmung unter den Freunden an und bringt sie dazu, sich der Gesellschaft zum Trotz zu einer Räuberbande zusammenzuschließen. Spiegelberg geht davon aus, die Bande als Hauptmann anzuführen, doch die anderen möchten Karl für diese Position gewinnen. Dieser erliegt der Intrige des Bruders, er tobt vor Wut und macht die gesamte Gesellschaft für die vermeintliche Verstoßung aus der familiären Ordnung durch den Vater verantwortlich. Er fühlt sich vom Vater um seine Liebe betrogen und will sein persönliches Übel an der gesamten Menschheit rächen – also erklärt er sich spontan bereit, das Haupt der Räuberbande zu werden und schwört den Genossen Treue bis in den Tod. I. AKT, 3. Szene Im Schloss versucht Franz inzwischen, seinen Plan zu verwirklichen und nicht nur beim Vater, sondern auch in Amalias Herzen Karls Platz einzunehmen. Doch seine scheinheiligen Liebesbekundungen nutzen nichts – im Gegensatz zum leichtgläubigen Vater und dem naiven Karl, die beide auf Franz’ Intrige 1
Diese Inhaltsangabe bzw. Szenenbeschreibung bezieht sich auf die im Next Liberty gezeigte, gekürzte Fassung
des Stücks. Eine detaillierte Szenenbeschreibung der Original-Fassung der „Räuber“ findet sich u. a. unter
http://de.wikipedia.org/wiki/Die_R%C3%A4uber.
www.nextliberty.com hereingefallen sind, bewahrt Amalia eiserne Treue und tiefes Vertrauen zu ihrem Geliebten. Sie verschmäht alle Bemühungen des Intriganten und jagt ihn schließlich davon. II. AKT, 1. Szene Die erhaltene Abfuhr hat Franz’ Entschlossenheit verstärkt, sich nun umso rücksichtsloser über Moral, Recht und Anstand hinwegzusetzen. Da sich seine Hoffnung, den Vater durch die Trauer um Karl so schnell wie möglich umzubringen und dadurch die Alleinherrschaft zu erlangen, noch nicht erfüllt hat, überlegt er, wie er sich möglichst unauffällig des Alten entledigen könnte. Nach langem Sinnen fasst er den Plan, den Vater durch eine neue schlechte Nachricht endgültig in die Verzweiflung zu stürzen. Um dies in die Tat umzusetzen, manipuliert Franz den Chauffeur Hermann, einen abgewiesenen Verehrer Amalias, und bringt ihn dazu, dem alten Moor die Nachricht zu überbringen, dass sich Karl aus Verzweiflung über den väterlichen Fluch in den Tod gestürzt hat. II. AKT, 2. Szene Maximilian von Moor träumt von seinem Sohn Karl und wacht verwirrt auf. Er ist unglücklich darüber, dass er vor seinem Tod, den er nahen fühlt, den Lieblingssohn nicht mehr sehen kann. Amalia, die bei ihm ist, versucht ihn mit ihrem Gesang abzulenken und ihn mit einer möglichen Wiedervereinigung im Jenseits zu trösten. Per Telefon überbringt Hermann dem alten Moor schließlich die Nachricht vom angeblichen Tod seines älteren Sohnes – Maximilian ist zutiefst erschüttert, er gibt sich die Schuld an dieser Tragödie und bricht schließlich tot zusammen. Franz triumphiert über das Ende seines Vaters und präsentiert sich als boshafter Tyrann, der seine Untergebenen in Armut und Furcht leben lassen will. II. AKT, 3. Szene Die Räuber, allen voran Spiegelberg, brüsten sich mit ihren Taten in den vergangenen Monaten: zahlreiche neue Räuber für die Bande, Überfälle, Vergewaltigungen und Brandstiftungen. Einen besonderen Ruf genießt allerdings ihr Hauptmann, Karl Moor: Er plündert nicht um der Rache oder des Geldes wegen, sondern es geht ihm um Gerechtigkeit. Razmann und Spiegelberg können mit dieser Einstellung wenig anfangen und halten deshalb die brutalen Übergriffe, über die sich sie zuvor amüsiert haben, vor ihm geheim. Während Schweizer herbeistürmt und von der Verhaftung und drohenden Todesstrafe Rollers berichtet, hat Moor diesen schon in einer spektakulären Aktion vor dem Galgen gerettet. Doch dabei wurde nicht nur die ganze Stadt in Schutt und Asche gelegt, Moor muss auch erfahren, dass seine Männer während der Befreiungsaktion vor allem Kinder, Frauen und Kranke umgebracht haben. Karl wird schmerzlich bewusst, dass sein Einsatz für eine gerechtere, soziale Ordnung entgegen seiner Intention auch unschuldige Opfer fordert und er schließt den besonders gewissenlosen Schufterle aus der Bande aus. Inzwischen wurde die Räuberbande jedoch aufgespürt und von der Polizei umstellt – Karl und seine Männer werden aufgefordert, sich angesichts der hoffnungslosen Lage zu ergeben. Doch der Hauptmann ist nicht bereit, aufzugeben – in starken Worten rechtfertigt er seine Verbrechen gegenüber den Ungerechtigkeiten, die von der Kirche und den Mächtigen begangen werden. Die gesamte Bande steht begeistert hinter Karl, sie schwören sich abermals die Treue und stürzen sich in den Kampf. III. AKT , 1. Szene Amalia, die ihrem tot geglaubten Karl die Treue hält, wehrt sich erbittert gegen die hemmungslosen Nachstellungen des neuen Schlossherren, Franz Moor. Dieser weiß, dass die junge Frau ihn niemals lieben wird, aber er will sie erniedrigen und zwingen, seine Mätresse zu werden. Doch auch dagegen kann sich Amalia zur Wehr setzen und sie schlägt den wütenden Franz in die Flucht. Als Herrmann dem Gewissensdruck nicht mehr standhält und ihr voller Reue seine Taten gesteht bzw. berichtet, dass Karl noch am Leben ist, fasst Amalia neuen Mut. www.nextliberty.com III. AKT, 2. Szene Die Räuber haben sich gegen die Übermacht behaupten können und ruhen sich außerhalb der Stadt aus. Als Karl erfährt, dass bei dem Kampf über dreihundert Feinde umgekommen sind, schwört er den Räubern erneut ewige Treue und verspricht, sie niemals zu verlassen. Beim Anblick der schönen Landschaft und eines prächtigen Sonnenuntergangs verfällt der Hauptmann jedoch in tiefe Melancholie und ihn überkommt die Angst, die Schönheiten der Natur nicht mehr lange erleben zu können. Er denkt wehmütig an seine unschuldige Jugendzeit zurück, in der alles harmonisch und idyllisch war und sieht sich plötzlich als „Ungeheuer auf dieser herrlichen Erde“, das unter „Mördern, angeschmiedet an das Laster“ leben muss. Daraufhin entschließt er sich, ein letztes Mal in die Heimat zurückzukehren, um seinen Vater und Amalia noch einmal wiederzusehen. ‐ PAUSE ‐ IV. AKT, 1. Szene Inzwischen ist Karl – getarnt als fremder Graf – in das väterliche Schloss zurückgekehrt, doch sein Bruder Franz ahnt, wer sich hinter dem Besucher, der sich als alter Freund Maximilians ausgibt, verbirgt. Damit sein Bruder ihm nicht die Pläne durchkreuzt, beschließt Franz, sein Werk konsequent zu Ende zu führen, und beauftragt Daniel, den alten Diener Maximilians, den fremden Grafen zu töten. In der Befürchtung, dass seine Machenschaften aufgedeckt werden könnten und nicht ahnend, dass Amalia bereits alles weiß, bedrängt Franz den alten Mann, schnell zu handeln. Der gottesfürchtige Daniel möchte sein Gewissen nicht mit einem Mord belasten, doch Franz lässt ihm keinen Ausweg und ringt ihm das Versprechen ab, den Fremden zu vergiften. IV. AKT, 2. Szene Auch Daniel erkennt den fremden Grafen als den verloren geglaubten Karl und bringt ihn so dazu, sein Inkognito aufzugeben. Karl erfährt von den Intrigen seines Bruders und von der Beständigkeit Amalias. Dass Franz auch für den Tod des Vaters verantwortlich ist, bleibt ihm noch verborgen und so beschließt er, sich nicht an seinem Bruder zu rächen, sondern lediglich Amalia noch einmal zu sehen und dann das Schloss so schnell wie möglich zu verlassen. IV. AKT, 3. Szene Karl trifft auf Amalia, die sich sehr zu dem fremden Grafen hingezogen fühlt, ohne in ihm ihren Karl zu erkennen. Der „Graf“ erzählt ihr, dass er auch eine Geliebte namens Amalia habe, aber dass er aufgrund der Gräueltaten, die er begangen hat, nicht zu ihr zurückkehren wird können. Amalia bekennt daraufhin überschwänglich, dass ihr Geliebter zu keiner Untat fähig sei – Karl ist ob diesen reinen Bildes, das Amalia von ihm hat, bestürzt, er gibt sich ihr zu erkennen und flieht dann aus dem Schloss. IV. AKT, 4. Szene In der Nähe des Schlosses erwarten die Räuber beunruhigt die Rückkehr ihres Hauptmanns. Spiegelberg nutzt die Gelegenheit und versucht, Razmann in einen Mordplan gegen Karl zu verwickeln, um sich selbst an die Stelle des Hauptmanns zu setzen. Doch die beiden werden von Schweizer, Karls treuestem Anhänger, belauscht, der sofort handelt und Spiegelberg ersticht. Karl ist angesichts dieses Mordes betroffen, er deutet das Vorgefallene als Zeichen des vergeltenden Schicksals, das auch ihm droht. Er befiehlt den Räubern, sich schlafen zu legen, um allein zu sein. Er ist melancholisch und gibt sich Selbstmordgedanken hin, die er aber wieder verdrängt. Karl beschließt gerade, sich aufzuraffen und seinem Schicksal entgegenzusehen, als ihm seltsame Stimmen und die traumhafte Erscheinung seines Vaters von den heimtückischen Taten seines Bruders und dessen Schuld an Maximilians Tod berichten. Voller Empörung sinnt Karl auf Rache; er weckt die Räuber und befiehlt ihnen, völlig aufgebracht und verwirrt, das Schloss zu stürmen. www.nextliberty.com V. AKT, 1. Szene Franz wird indessen von Albträumen geplagt und irrt durchs Schloss. Aufgebracht und verängstigt trifft er auf den alten Daniel, der sich gerade von der gewohnten Umgebung verabschiedet, weil er der Forderung seines Herrn ja nicht nachgekommen ist. Franz ist besessen von der Vorstellung, die Toten wachten auf und nähmen Rache an ihm, er sieht alles gegen sich verschworen und versucht verzweifelt an seiner Überzeugung festzuhalten, dass es so etwas wie einen richtenden Gott und eine unsterbliche Seele nicht gibt. Doch die Glaubensgewissheit Daniels, dessen Argumente und die Nennung von Vater‐ und Brudermord als die schlimmsten Todsünden stürzen Franz in noch tiefere Verzweiflung. Er fleht um Daniels Beistand, als von draußen schon die nahenden Räuber zu hören sind. Aus Angst vor den Rächern vergiftet sich Franz – Schweizer und die anderen finden nur mehr seine Leiche vor. V. AKT, 2. Szene Inzwischen ist auch Karl im Schloss eingetroffen und trifft auf Amalia, die von den Räubern herbeigezerrt wird. Sie erkennt ihren Karl und ist überglücklich, doch dieser will sich ihr entziehen und enthüllt ihr, dass er zum Mörder und Räuberhauptmann geworden ist. Doch Amalia schwört ihrem Geliebten trotzdem die Treue und Karl wird von seinen Gefühlen überwältigt. Doch die glückliche Wiedervereinigung ist nur von kurzer Dauer, da die Räuber sich auf Karls Treueid berufen und ihn auffordern, Amalia für die Bande zu opfern. In tiefer Verzweiflung erschießt Karl daraufhin Amalia und wendet sich von den Räubern ab. Lange schon hat er erkannt, dass es närrisch war, die Welt durch Grausamkeiten verschönern und die Gesetze durch Gesetzlosigkeit aufrechterhalten zu wollen. Am Anfang seines neuen Weges soll eine gute Tat stehen, mit der Karl die „misshandelte Ordnung wiederum heilen“ will: Daher beschließt er, sich zu stellen und die Belohnung, die auf seinen Kopf ausgesetzt ist, einem armen Taglöhner mit vielen Kindern zu überlassen. ● Zum Autor Friedrich Schiller Johann Christoph Friedrich Schiller, einer der bedeutendsten Dichter deutscher Sprache, wurde am 10. November 1759 in Marbach am Neckar geboren und starb am 9. Mai 1805 in Weimar. In knapp 25 Jahren seines Lebens, von 1781 bis zu seinem frühen Tod, schuf er ein umfangreiches und vielgestaltiges Werk, bestehend aus zahlreichen Schauspielen, Erzählungen, Gedichten, kunstästhetischen und historischen Abhandlungen und Briefen. Das Drama „Die Räuber“, 1780 begonnen und 1782 uraufgeführt, fällt in die Schlussphase des Sturm und Drang, in der die „jungen Wilden“ aus den Anfangsjahren der zweiten Jahrhunderthälfte gegen die etablierte Gesellschaft aufstanden. Ihr Aufbegehren wurde vor allem im dichterischen Wort laut. Auf den Niedergang des Feudalismus freilich hatte die Bewegung keinen direkten Einfluss, aber sie setzte in der Literatur Zeichen für die Stärkung des Bürgertums. Starke Impulse erhielten die jungen Dichter aus der Philosophie und Literatur der europäischen Nachbarländer, England und Frankreich. Besonders waren es die Ideen des Schweizers Jean‐Jacques Rousseau (1712‐78), der ihre Suche nach einer natürlichen und gerechten Gesellschaftsordnung beflügelte. Das Drama „Die Räuber“ kann aber im Grunde kaum mehr der Epoche des Sturm und Drang zugerechnet werden; es fällt vielmehr in das Schnittfeld aller geistigen Bewegungen und Strömungen der Zeit. Bereits in dieser Frühphase befasste sich Schiller mit einer neuen Theaterkonzeption, einem Ideenkonzept, das auf die Bildung und Erziehung des Menschen zielte. „Die Räuber“ bilden damit auch den Anfang seines Weges zur Klassik, des Zeitabschnitts zwischen 1786 und 1832, der die literarisch‐geistigen Strömungen der Aufklärung (1720‐85) und der Empfindsamkeit (1740‐80) weiterführte und in dem man sich in Kunst und Dichtung ausdrücklich auf die griechisch‐römische Antike und deren (menschliche) Ideale bezog.2 2
Vgl. Reiner Poppe: Friedrich Schiller. Die Räuber. Lektüreschlüssel für Schülerinnen und Schüler. Stuttgart:
Reclam 2003. (= RUB. 15328.), S. 6-8.
www.nextliberty.com Werke (Auswahl) 1781 „Die Räuber“ 1783 „Die Verschwörung des Fiesco zu Genua. Ein republikanisches Trauerspiel“ 1784 „Kabale und Liebe. Ein bürgerliches Trauerspiel“ 1787 „Don Carlos. Infant von Spanien“ 1800 „Maria Stuart“ 1801 „Die Jungfrau von Orleans“ 1804 „Wilhelm Tell“ ● Zur Entstehung des Stücks Schillers Dramenerstling „Die Räuber“ stammt aus seiner Jugendzeit, die er auf der Militärakademie zu Stuttgart zubrachte, der späteren Hohen Karlsschule. Über die Entstehungsgeschichte der „Räuber“ gibt es keine eindeutigen Unterlagen. Da von Schiller selbst keine expliziten Äußerungen dazu vorliegen, ist man in der Forschung auf die Auslegung verschiedener Anmerkungen aus dem Verwandten‐ und Freundeskreis Schillers angewiesen, die jedoch erst in Erinnerung an den unterdessen berühmten Dichter gemacht worden sind. Es ist anzunehmen, dass Schiller im Jahre 1776 mit der Niederschrift begonnen hat, die Arbeit dann für die Vorbereitung zu seinem medizinischen Examen für zwei Jahre hat ruhen lassen, so dass der Entstehungszeitraum der „Räuber“ hauptsächlich in die Jahre 1779/80 fällt, das letzte Jahr auf der Militärakademie. Somit ist das Drama zeitlich der literarischen Epoche des Sturm und Drang zuzuordnen, eine besondere geistige Bewegung in Deutschland von Mitte der sechziger bis Ende der achtziger Jahre des 18. Jahrhunderts. Das Drama trägt gleichzeitig Züge der zentralen geistigen Strömungen der Aufklärung und der Empfindsamkeit, die zur Zeit der Entstehung integrativ verlaufen und daher nicht deutlich voneinander abzugrenzen sind. [...] Im Frühjahr des Jahres 1781 erscheint Schillers Dramenerstling anonym im Selbstverlag. Eine zweite, verbesserte Auflage, für die Schiller ein kurzes Vorwort schrieb und die die berühmte Löwenvignette mit den Worten „in tirannos“ (gegen die Tyrannen) trägt, erschien Anfang 1782 bei Tobias Löffler in Mannheim mit dem fingierten Druckort Frankfurt und Leipzig. „Die Räuber“ sind am 13. Januar 1782 im Mannheimer Nationaltheater uraufgeführt worden, jedoch in einer vom Intendanten Wolfgang Heribert von Dalberg zensierten Version, die gravierende Änderungen des Textes verlangte. Schiller selbst war ohne herzogliche Genehmigung heimlich nach Mannheim gekommen, um die Aufführung mitzuerleben. Dem Bericht eines Augenzeugen zufolge war die Aufführung trotz der Änderungen ein voller Erfolg und von außerordentlicher Wirkung auf das Publikum: „Das Theater glich einem Irrenhause, rollende Augen, geballte Fäuste, stampfende Füße, heisere Aufschreie im Zuschauerraum! Fremde Menschen fielen einander schluchzend in die Arme, Frauen wankten, einer Ohnmacht nahe, zur Türe. Es war eine allgemeine Auflösung wie im Chaos, aus dessen Nebeln eine neue Schöpfung hervorbricht.“3 3
Maria-Felicitas Herforth: Erläuterungen zu Friedrich Schiller „Die Räuber“. 5. Auflage. Hollfeld: Bange 2009. (=
Königs Erläuterungen und Materialien. Band 28.), S. 19/21.
www.nextliberty.com Kulissen der Mannheimer Uraufführung 17824 ● Stoffliche Einflüsse ‐ Schubarts Erzählung „Zur Geschichte des menschlichen Herzens“ Die [wesentlichste] Anregung für die „Räuber“ empfing Schiller in jener ersten Phase seiner dramatischen Versuche. Es war das Jahr 1775, als der Freund Friedrich von Hoven ihn auf eine von [Christian Friedrich Daniel] Schubart mitgeteilte Anekdote im „Schwäbischen Magazin“ hinwies. [...] Die Anekdote soll sich tatsächlich zugetragen haben: Ein Edelmann hat zwei Söhne von ungleichem Charakter. Wilhelm ist fromm, ehrgeizig, duckmäuserisch, berechnend und zeigt wenig Neigung, in die Welt hinaus zu gehen. Carl im Gegenteil ist unbekümmert, enthusiastisch, neugierig und impulsiv. Er ist der Liebling seines Vaters. Während des Studiums ist Wein und Liebe seine bevorzugte Beschäftigung. Er spielt, macht Schulden, gerät in allerlei Handel und muss bei Nacht und Nebel die Akademie verlassen. Er sucht Zuflucht in der Armee Friedrich des Großen, wird in einer Schlacht verletzt. Im Lazarett kommt er zu Sinnen und beschließt, sein Leben zu ändern. Er schreibt einen zärtlichen Brief an den Vater, worin er Reue zeigt und Besserung verspricht. Der Bruder aber fängt den Brief ab, und so bleibt Carl ohne Antwort. Er verdingt sich inkognito als Knecht auf dem väterlichen Landgut. Eines Tages beim Holzmachen wird er Zeuge eines Überfalls auf den Vater, den er durch mutiges Einschreiten rettet. Anschließend gibt er sich zu erkennen. Wie sich bald herausstellt, war es Wilhelm, der die Mörder gedungen hatte, um vorzeitig an das Erbe heranzukommen. Wilhelm wird vom Hof vertrieben, und Carl wird, als verlorener Sohn und Retter des Vaters, wieder in Ehren aufgenommen. [...] Schiller übernimmt die Konstellation und die Charaktere der beiden Brüder, auch einige Handlungselemente, Carls Ausschweifungen an der Universität, seine Flucht, die Reue, die Rückkehr zum Vater, die Aufdeckung der Machenschaften des Bruders. An der Stelle der Anekdote aber, wo Wilhelm den Reuebrief seines Bruders unterschlägt und Carl, ohne eine Verzeihung des Vaters erhalten zu haben, brav ein Unterkommen als Knecht sucht, genau an dieser Stelle lässt Schiller die Räuberkarriere seines Karl beginnen. Karl wird anders als der Carl aus der Anekdote zum Rächer des Menschengeschlechtes. Er kann die Mordtat des Bruders nicht verhindern und steigert sich hinein in einen Kampf für die „Rechte des offenen Herzens“ gegen eine ganze Welt von „Heuchlern“. Schiller gibt den Charakteren der Anekdote einen Zug ins Monumentale. Das gilt für den Bösewicht Franz ebenso wie für Karl.5 4
Peter Simhandl: Theatergeschichte in einem Band. 3., überarbeitete und ergänzte Auflage. Mit Beiträgen von
Franz Wille und Grit van Dyk. Berlin: Henschel 2007, S. 135.
5
Rüdiger Safranski: Schiller oder Die Erfindung des Deutschen Idealismus. 4. Auflage. München; Wien: Carl
Hanser 2010, S. 106/107.
www.nextliberty.com ‐ Der Räuber Roque aus Miguel de Cervantes’ „Don Quixote“ Schiller weist in seiner „Selbstrezension“ der „Räuber“ auf „den ehrwürdigen Räuber Roque aus dem Don Quixote“ als der Gestalt hin, der Karl Moor neben den Helden Plutarchs „seine Grundzüge“ verdankt. Tatsächlich legt die Episode aus Cervantes' Roman, obwohl sie für die Handlung der „Räuber“ nichts hergibt, einen atmosphärischen Einfluss auf das Räuberleben in Schillers Stück nahe: Der adlige, sozial gesinnte, gutaussehende, souverän seine Bande beherrschende Roque, der auch von einem Rachebedürfnis an der Gesellschaft geleitet wird, hat eine Ausstrahlung, die an Karl Moor erinnert.6 ‐ Weitere literarische Einflüsse Wie in vielen Jugendwerken hat auch in Schillers „Räubern“ eine Fülle von literarischen Lektüren ihre Spuren hinterlassen: Einzelne Szenen aus Shakespeares Dramen, aus Plutarchs parallelen Viten großer Griechen und Römer, aus Klopstocks „Messias“ und aus den damals brandneuen Stücken der Stürmer und Dränger (Goethe, Klinger, Leisewitz) sind in den „Räubern“ kopiert.7 ● Materialien zu den Kernthemen des Stücks ‐ Thema: Faszination Räuber Räuberwelten und „Die Räuber“8 Räuberbanden waren damals, insbesondere in Süddeutschland und Schwaben, eine wahre Landplage. Die amtlichen Gauner‐ und Vagantenlisten wiesen in den achtziger Jahren allein für Süddeutschland eine Anzahl von etwa vierzigtausend solcher Individuen nach. Mehrere große, weitverzweigte und gefürchtete Banden trieben ihr Unwesen, wir nennen es heute: organisierte Kriminalität. Ganze Dörfer wurden in verwegenen Handstreichen überwältigt, Schutzgelderpressungen, Einbrüche, Überfälle, auch Auftragsmorde wurden begangen, Schmuggel im großen Stil betrieben. Zwischen den harten Kern der Räuber und der Welt der Normalität schob sich eine beträchtliche Zwischenwelt aus Mitwissern, sporadischen Komplizen, kleinen Gaunern, Landstreichern und anderen fahrenden Leuten, die so genannten „Jauner“. Diese Räuber‐ und „Jauner“‐Welt rekrutierte sich aus landlosen Bauern, arbeitslosen Knechten, stellungslosen Magistern, verwahrlosten Studenten, wandernden Handwerksgesellen und ehemaligen Soldaten. Es gab berühmte und berüchtigte Bandenführer, Hannikel im Schwarzwald, Stülpner im Erzgebirge, Schinderhannes in der Pfalz und den Sonnenwirt in Schwaben. Über den erfuhr Schiller genaue Einzelheiten von seinem Lehrer Abel, dessen Vater als Amtmann den Sonnenwirt verhaftet, verhört und die Akten geführt hatte bis zur Hinrichtung des Verbrechers. Über diesen berüchtigten Mann wird Schiller später die Erzählung „Der Verbrecher aus verlorener Ehre“ schreiben, und einige der Untaten, von denen in Schillers Erzählung die Rede ist, gehen auf wirkliche Vorkommnisse zurück oder wenigstens auf Gerüchte, die man sich an der Karlsschule mit wohligem Schaudern erzählte. Schiller wusste zu unterscheiden zwischen dem romantisierten Bild der Räuber und ihrer sozialen Wirklichkeit. [...] Aber Schiller war doch auch fasziniert vom Phänomen des Räubertums. In der Selbstrezension des Stückes [„Die Räuber“] reflektiert er darüber: „Ich weiß nicht, wie ich es erklären soll, dass wir um so wärmer sympathisieren, je weniger wir Gehilfen darin haben; dass wir dem, den die Welt ausstößt, unsere Tränen in die Wüste nachtragen; dass wir lieber mit Crusoe auf der menschenverlassenen Insel uns einnisten, als im drängenden Gewühle der Welt mitschwimmen. Dies wenigstens ist es, was uns in vorliegendem Stück an die so äußerst unmoralische Jaunerhorden festbindet.“ [...] Schiller weiß also, dass er die „Räuber“ gewählt hat auch aus einem Gefühl der Platzangst in der geschlossenen Gesellschaft der braven Leute. 6
Christian Grawe: Friedrich Schiller: Die Räuber. Erläuterungen und Dokumente. Stuttgart: Reclam 2006. (=
RUB. 8134.), S. 115.
7
Ebda., S. 119.
8
Rüdiger Safranski: Schiller oder Die Erfindung des Deutschen Idealismus. 4. Auflage. München; Wien: Carl
Hanser 2010, S. 105/106.
www.nextliberty.com Beruf: Räuber. Vom Bandenwesen zur Schillerzeit9 „Ein freies Leben führen wir …”, so lässt Schiller die Räuber in seinem gleichnamigen Theaterstück singen, das er 1781 im Selbstverlag und sicherheitshalber anonym herausbringt. Es sind ziemlich aufmüpfige Gesellen, deren wildes Treiben er da beschreibt, und Aufmüpfigkeit wurde im damaligen Deutschland besonders ungern gesehen. Deswegen musste er sein Stück für die Uraufführung, ein Jahr später in Mannheim, auch ziemlich umschreiben und entschärfen. Die Aufführung wurde dennoch zu einem überwältigenden Erfolg. Schiller hatte den Nerv der Zeit getroffen – die Wut vieler Bürger auf die alles erstickende Obrigkeit und den dadurch besonders virulenten Wunsch nach einem „freien Leben”. Dass Schiller dieses „freie Leben” nur seine Räuber führen lässt, ist nicht allein ein literarischer Kunstgriff – es gab zur damaligen Zeit tatsächlich viele Räuberbanden, die alles andere als ein Muster für Gesetzestreue waren. Zulauf erhielten sie vor allem von denjenigen, die zahllose Kriege oder auch Hungersnöte aus der Bahn geworfen hatten. 15 Prozent der Bevölkerung, also fast jeder Sechste, lebte auf der Straße, ließ sich von Ort zu Ort treiben. Einige, vor allem Jugendliche, wurden mehr oder weniger aus Not zu Gelegenheitsdieben und Kleinkriminellen. Andere, die Aktivsten, Skrupellosesten und oft auch Intelligentesten, schlossen sich zu eben jenen Banden zusammen und führten auf ihre Weise Krieg gegen alles, was ihnen in die Quere kam. Die deutschen Kleinstaaten und Fürstentümer waren weder in der Lage, die allgemeine Armut zu bekämpfen, noch konnten sie das Bandenunwesen wirksam eindämmen. Brutale Foltermethoden, Verstümmelungen oder gar mittelalterliche Hinrichtungen schreckten die Räuber keineswegs ab, sondern verstärkten nur ihren Hass auf den Staat und die Gesellschaft. Folter, Kerker und Schafott gehörten für sie fast zum einkalkulierten Berufsrisiko. [...] Die Regierungen standen dem Bandenwesen ziemlich hilflos gegenüber. Sie erkannten lediglich, dass die zunehmende Kriminalität irgendwie etwas mit dem Elend der vielen Umherziehenden zu tun haben musste. Also verboten sie den armen Leuten zunächst einmal das Heiraten, um so deren Vermehrung zu stoppen. Wer trotzdem zusammenlebte und Kinder bekam, wurde wegen „Konkubinats” mit einem Jahr Arbeitshaus bestraft. Doch auch schon das bloße Herumziehen und Betteln wurde verfolgt. Nicht selten wurden harmlose Fahrende von den Gendarmen aufgegriffen, für diesen oder jenen Mundraub eingesperrt oder so lange gefoltert, bis sie etwas zugaben. Das Brandmal oder der vom Auspeitschen vernarbte Rücken kennzeichneten den Betreffenden von nun an sichtbar als Kriminellen. Kein Wunder also, dass mancher einen Schritt weiter ging und tatsächlich zum Verbrecher wurde. [...] Vor allem im Rheinland hatten sich mehrere große Banden gebildet, lockere Gruppierungen, die in wechselnder Besetzung und unter verschiedenen Räuberhauptleuten arbeiteten. Der berühmteste war der legendäre Meister und Bandenchef Picard. Andere berüchtigte Banditen waren die Brüder Franz und Jan Bosbeck und nicht zuletzt auch der [berühmte Mathias Weber, genannt] Fetzer, der im Lauf seiner Karriere von verschiedenen Banden zum Anführer gewählt wurde. ‐ Thema: Bruderzwist Die feindlichen Brüder Franz und Karl10 Die von Schiller in Szene gesetzte Dialektik von Parallelität und Kontrastierung bezüglich der Charaktere Franz und Karl ist für das ganze Drama essentiell. Die krasse Gegensätzlichkeit der Brüder wird dadurch verbildlicht, dass sie einander nie begegnen, und gleichzeitig verstärkt, indem sie ähnliche Situationen und Erlebnisse vollkommen unterschiedlich bewältigen. [...] Beide wollen die bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse umstülpen, beide müssen dabei zerstörerisch wirken, beide streben unter Berufung auf ihr Ich nach Selbstverwirklichung, und doch besteht eine enorme Differenz im Hinblick auf die jeweiligen 9
Michail Krausnick: Beruf: Räuber. Vom Bandenwesen zur Schillerzeit. Bayrischer Rundfunk 2004. Online unter:
http://www.br-online.de/wissen-bildung/collegeradio/medien/geschichte/raeuber/manuskript/doclink.pdf
[Stand:
27.02.2012].
10
Stefanie Wenzel: Das Motiv der feindlichen Brüder im Drama des Sturm und Drang. Frankfurt am Main [u. a.]:
Lang 1993. (= Marburger germanistische Studien. Band 14.), S. 158f.
www.nextliberty.com Modalitäten. [...] In den Brüdern stehen einander Theoretiker und Praktiker, Reflexionsgenie und Tatgenie, Denken und Wollen ausschließend gegenüber. Während Franz, in teuflischer Weise seinen Intellekt verabsolutierend, nur auf den eigenen äußeren Vorteil aus ist, strebt Karl mit seinem affektiven Gemüt danach, seine idealen Vorstellungen von Gerechtigkeit und Menschlichkeit innerhalb der bestehenden Gesellschaft handelnd zu verwirklichen. [...] Obwohl beide die Welt zu verändern streben, geht es Franz dabei nur um sich selbst, während Karl eine für alle Menschen positive Ordnung anstrebt. [...] Der gravierende Unterschied auf moralischer Ebene besteht darin, dass der eine sich vollkommen dem Bösen verschreibt, während der andere innerhalb seines Verbrecherdaseins durchaus um das Gute bemüht ist. [...] Im Kontrast zum passiven und feigen Franz wirkt Karls nach Taten drängender Mut umso unbändiger, gegenüber dessen Schwachheit erscheint seine physische Kraft umso mächtiger. Während bei Franz der einseitige Verstand so sehr dominiert, dass er unfähig ist zu handeln, bricht Karls Tatendrang zunächst vollkommen unkontrolliert hervor. Diesen charakterlichen Merkmalen entsprechen geistesgeschichtliche Positionen. Vertritt Franz dabei Postulate von Aufklärung und Rationalismus, so ist Karl in erster Linie dem Sturm und Drang zuzuordnen, wobei er zugleich Tendenzen der Empfindsamkeit verkörpert. [...] Beide Söhne werden durch den Bruch mit der Vater‐Welt und dem damit implizit verbundenen Zweifel an Gott auf sich selbst zurückgeworfen, womit grundsätzlich die Möglichkeit zur selbständigen Entwicklung gegeben ist. Während sich Franz auf seinen Intellekt als vermeintliches Selbst beruft, erlebt sich Karl zunächst ganz wesentlich in seinen affektiven Handlungen. Der aufbrechende Subjektivismus des nach Selbstverwirklichung strebenden Individuums im 18. Jahrhundert lebt sich hier ganz offensichtlich in der Polarität von aufgeklärtem Denken und losbrechendem Willen aus. [...] Schiller verwirklicht damit innerhalb der Kunst das bürgerliche Ideal des 18. Jahrhunderts: die vollkommene und ausgeglichene Vereinigung der inneren Anlagen des Menschen, die Synthese von Kopf und Herz. [...] Karl Moor erreicht das Ideal des ganzheitlichen Menschen, indem er die Triebe durch die Vernunft beherrscht und zur erhabenen Seele wird. Aus Schillers Vorrede zum Stück, 178111 Es ist nun einmal so die Mode in der Welt, dass die Guten durch die Bösen schattiert werden und die Tugend im Kontrast mit dem Laster das lebendige Kolorit erhält. Wer sich den Zweck vorgezeichnet hat, das Laster zu stürzen und Religion, Moral und bürgerliche Gesetze an ihren Feinden zu rächen, ein solcher muss das Laster in seiner nackten Abscheulichkeit enthüllen und in seiner kolossalischen Größe vor das Auge der Menschheit stellen [...]. Das Laster wird hier mitsamt seinem ganzen innern Räderwerk entfaltet. Es löst in Franzen all die verworrenen Schauer des Gewissens in ohnmächtige Abstraktionen auf, skelettisiert die richtende Empfindung und scherzt die ernsthafte Stimme der Religion hinweg. Wer es einmal so weit gebracht hat [...], seinen Verstand auf Unkosten seines Herzens zu verfeinern, dem ist das Heiligste nicht heilig mehr – dem ist die Menschheit, die Gottheit nichts – Beide Welten sind nichts in seinen Augen. [...] Nächst diesem stehet ein anderer, der vielleicht nicht wenige meiner Leser in Verlegenheit setzen möchte. Ein Geist, den das äußerste Laster nur reizet um der Größe willen, die ihm anhänget, um der Kraft willen, die es erheischet, um der Gefahren willen, die es begleiten. Ein merkwürdiger, wichtiger Mensch, ausgestattet mit aller Kraft, [...] notwendig entweder ein Brutus oder ein Catilina zu werden. Unglückliche Konjunkturen entscheiden für das Zweite, und erst am Ende einer ungeheuren Verirrung gelangt er zu dem Ersten. Falsche Begriffe von Tätigkeit und Einfluss, Fülle von Kraft, die alle Gesetze übersprudelt, mussten sich natürlicherweise an bürgerlichen Gesetzen zerschlagen, und zu diesen enthusiastischen Träumen um Größe und Wirksamkeit durfte sich nur eine Bitterkeit gegen die unidealistische Welt gesellen, so war der seltsame Don Quixote fertig, den wir im Räuber Moor verabscheuen und lieben, bewundern und bedauern. 11
Friedrich Schiller: Die Räuber. Ein Schauspiel. Anmerkungen von Christian Grawe. Stuttgart: Reclam 2001. (=
RUB. 15.), S. 3ff.
www.nextliberty.com ‐ Thema: Der verlorene Sohn / Der Vaterkonflikt Lukas, Kapitel 15: Vom verlorenen Sohn12 Und er sprach: Ein Mensch hatte zwei Söhne. Und der jüngste unter ihnen sprach zu dem Vater: Gib mir, Vater, das Teil der Güter, das mir gehört. Und er teilte ihnen das Gut. Und nicht lange darnach sammelte der jüngste Sohn alles zusammen und zog ferne über Land; und daselbst brachte er sein Gut um mit Prassen. Da er nun all das Seine verzehrt hatte, ward eine große Teuerung durch dasselbe ganze Land, und er fing an zu darben. Und ging hin und hängte sich an einen Bürger des Landes; der schickte ihn auf seinen Acker, die Säue zu hüten. Und er begehrte seinen Bauch zu füllen mit Trebern, die die Säue aßen; und niemand gab sie ihm. Da schlug er in sich und sprach: Wie viel Tagelöhner hat mein Vater, die Brot die Fülle haben, und ich verderbe im Hunger! Ich will mich aufmachen und zu meinem Vater gehen und zu ihm sagen: Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir und bin hinfort nicht mehr wert, dass ich dein Sohn heiße; mache mich zu einem deiner Tagelöhner! Und er machte sich auf und kam zu seinem Vater. Da er aber noch ferne von dannen war, sah ihn sein Vater, und es jammerte ihn, lief und fiel ihm um seinen Hals und küsste ihn. Der Sohn aber sprach zu ihm: Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir; ich bin hinfort nicht mehr wert, dass ich dein Sohn heiße. Aber der Vater sprach zu seinen Knechten: Bringet das beste Kleid hervor und tut es ihm an, und gebet ihm einen Fingerreif an seine Hand und Schuhe an seine Füße, und bringet ein gemästet Kalb her und schlachtet’s; lasset uns essen und fröhlich sein! denn dieser mein Sohn war tot und ist wieder lebendig geworden; er war verloren und ist gefunden worden. Und sie fingen an fröhlich zu sein. Aber der älteste Sohn war auf dem Felde. Und als er nahe zum Hause kam, hörte er das Gesänge und den Reigen; und er rief zu sich der Knechte einen und fragte, was das wäre. Der aber sagte ihm: Dein Bruder ist gekommen, und dein Vater hat ein gemästet Kalb geschlachtet, dass er ihn gesund wieder hat. Da ward er zornig und wollte nicht hineingehen. Da ging sein Vater heraus und bat ihn. Er aber antwortete und sprach zum Vater: Siehe, so viel Jahre diene ich dir und habe dein Gebot noch nie übertreten; und du hast mir nie einen Bock gegeben, dass ich mit meinen Freunden fröhlich wäre. Nun aber dieser dein Sohn gekommen ist, der sein Gut mit Huren verschlungen hat, hast du ihm ein gemästet Kalb geschlachtet. Er aber sprach zu ihm: Mein Sohn, du bist allezeit bei mir, und alles, was mein ist, das ist dein. Du solltest aber fröhlich und gutes Muts sein; denn dieser dein Bruder war tot und ist wieder lebendig geworden; er war verloren und ist wieder gefunden. Vaterliebe und Bruderhass13 Maximilian von Moor ist allein erziehender Vater zweier Söhne. Was aus der Gattin und Mutter wurde, erfährt man nicht. Dennoch eine intakte Familie, auf den ersten Blick. Der alte Moor gilt als gütiger Mensch und umsichtiger Verwalter des gräflichen Besitzes. Als Vater allerdings ist er ein totaler Versager, weil er die Liebe und Wertschätzung, die er seinen Söhnen angedeihen lässt, so ungerecht verteilt, dass eine letztendlich tödliche Rivalität zwischen den Brüdern unvermeidlich ist. Karl durfte auf Vaters Schoß sitzen und ihn in die Backen zwicken, während der zweitgeborene Franz ein „trockener Alltagsmensch“ genannt wurde. Den einen Sohn vergöttert er. Dadurch demütigt er den anderen. Er tut dies unabsichtlich und grundlos. Das ist seine große Tragik. Im Verlauf der gesamten Kindheit und Jugend treibt der Vater durch seine Anerkennungsverweigerung seinen Sohn Franz in größte seelische Not. Man kann behaupten: Dieser Vater ist mit Blindheit geschlagen. In einem Moment großer Verzweiflung behauptet er, keine Söhne zu haben, obwohl Franz neben ihm steht. Eine größere Kränkung für den Missachteten ist kaum vorstellbar. Er erkennt den von Franz gefälschten Brief nicht als solchen. Er enterbt Karl, ohne die schriftlichen Vorwürfe auf ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen. Er sieht die inneren Nöte von Franz nicht, obwohl dieser bei ihm auf dem Schloss lebt. Wo hat der Mann seine Augen? Durch seine Blindheit schafft er den Freiraum für die ungeheuere Intrige von Franz. Die Beziehung zu seinen Söhnen ist in seinen Augen geregelt durch überlieferte Gesetze: Der Erstgeborene ist Alleinerbe. Der Zweitgeborene hat das Pech, sich mit einem Pflichtanteil zufrieden geben zu müssen. So war die „Thronfolge“ seit alters geregelt. Dass 12
Lukas. Kapitel 15: Vom verlorenen Sohn. Online unter: http://www.bibel-online.net/buch/luther_1912/lukas/15/
[Stand: 27.02.2012].
13
Die Räuber. Vaterliebe und Bruderhass. Online unter: http://www.schauburg.net/php/artikel.php?code=232.
[Stand: 27.02.2012].
www.nextliberty.com seine unangepassten Söhne Tradition und Familienstrukturen in Frage stellen, fällt ihm nicht auf. Die Erhöhung des Lieblingssohnes Karl ist ebenso ungerechtfertigt wie die Herabsetzung von Franz. Warum Karl während seines Studiums auf die schiefe Bahn zu geraten scheint und ob diese Informationen überhaupt der Wahrheit entsprechen, diese Fragen stellt der Vater nicht. Seine eigene Befindlichkeit, sein Vaterlos, das er für das schwerstmögliche ansieht, stehen für ihn im Zentrum seiner Wahrnehmung. Beide Söhne akzeptieren die althergebrachten Regeln nicht mehr. Sie wollen die Welt auf den Kopf stellen und neu befragen. Ihnen scheint der Vater kein respektiertes Familienoberhaupt. Wenn man Maximilian von Moor durch diese Brille betrachtet, erkennt man einen Vater, wie man ihn auch heute finden kann. www.nextliberty.com III.) ÜBUNGEN / SPIELE / UNTERRICHTSVORSCHLÄGE Übung: Figurenaufstellung im Raum; Dauer: ca. 15 min; Großgruppe Stellt die verschiedenen Konstellationen (Maximilian von Moor, Franz und Karl von Moor, Amalia, Daniel, Hermann, die Räuber, Spiegelberg usw.), die im Stück relevant sind, gemeinsam im Raum dar. Wählt dazu eine Person in der Gruppe, die die Figuren einzeln nacheinander im Raum in eine Haltung und in eine Position zu den anderen Figuren stellt. Legt ein Schild mit dem jeweiligen Namen der Figur auf den Boden. Sind alle Personen aufgestellt, ist das „Publikum“ aufgefordert, zu beschreiben, was es sieht, und Begriffe zu sammeln, die ihm zu dieser Figurenkonstellation einfallen. Die Gruppe analysiert dann gemeinsam, wie die einzelnen Figuren zueinander stehen, in welcher Distanz oder in welcher Nähe zueinander und warum? Im Anschluss zeichnet die Gruppe ihre Figurenkonstellation auf. Übung: Begriffsammlung im Raum; Dauer: ca. 5 min; Großgruppe Thema: „Bruder sein, einen Bruder haben“. Was bedeutet es für dich, einen Bruder zu haben? Schreibe deinen Gedanken dazu auf einen Zettel und platziere diesen am Boden im Raum. Danach macht die Gruppe einen Rundgang im Raum (ohne dabei zu sprechen) und liest sich die einzelnen Gedanken zum Thema durch. Im Hintergrund kann Musik eingespielt werden. Übung: Team‐Monolog aus der Sicht einer Figur; Dauer: 20 min; Kleingruppe: 2‐7 Personen Material: eventuell Diktiergerät ● Die Kleingruppe stellt sich in einem Halbkreis auf. Dann beginnt eine Person aus der Sicht einer Figur im Stück mit dem Monolog. Dazu geht der/die Sprecher/in einige Schritte in die Mitte, improvisiert einige Sätze und geht wieder zurück in den Halbkreis und eine andere Person knüpft an dieser Stelle an und improvisiert weiter. Die Improvisation soll einen klaren Anfang und ein klares Ende haben und mitgeschrieben oder aufgezeichnet werden. Für diese Übung kann ein Diktiergerät verwendet oder auch ein Satz nach dem anderen aufgeschrieben werden.14 ● Erstelle in der Kleingruppe einen Team‐Monolog aus der Sicht des Franz von Moor, des Karl von Moor und des Vaters.  Franz von Moor/Ausgangssituation: Franz bemerkt, dass Karl wieder ins Schloss zurückgekehrt ist  Karl von Moor/Ausgangssituation: Karl ist verzweifelt, da er bemerkt, dass die Räuber andere Intentionen haben als er  Maximilian von Moor/Ausgangssituation: Der Vater hat gerade erfahren, dass Karl tot ist Übung: Standbilder stellen; Dauer 15 min; Kleingruppe: 3 Personen Legt in der Kleingruppe einen Bilderhauer fest, der die Personen in eine bestimmte Haltung bringt und diese formt. Dieser hat die Aufgabe, ein Standbild zu stellen, das die Rivalität zweier Brüder ausdrückt und ein weiteres Bild, das ausdrückt, was die Brüder verbindet (z. B. gemeinsames Erfolgserlebnis). Sammelt die Gedanken, die den Personen im Standbild spontan in ihrer Haltung einfallen (dazu wird die jeweilige Figur im Bild kurz angetippt, damit diese kurz ihre Gedanken laut äußern kann) und überlegt im Anschluss daran, im Bezug worauf die Meinungen der beiden Brüder Franz und Karl so verschieden sind und warum? Ein neuer Bildhauer der Gruppe stellt danach ein Standbild zum 3er Verhältnis der Figuren Amalia, Franz und Karl – sammelt wieder die Gedanken der Figuren und schreibt diese auf ein Blatt Papier. In der Großgruppe können danach alle Gedanken auf einem gemeinsamen Blatt oder auf der Tafel gesammelt und als Material für weitere szenische Improvisationen verwendet werden. 14
Vgl. Lorenz Hippe: Und was kommt jetzt. Szenisches Schreiben in der theaterpädagogischen Praxis.
Weinheim: Deutscher Theater Verlag 2011, S. 90f.
www.nextliberty.com Übung: Textanalyse zur Beziehung Amalia & Franz; Dauer: 20 min; Kleingruppe: 2 Personen Versucht euch in Bezug auf die folgende Textstelle an einer Rollenbeschreibung der Figuren und verfasst einen inneren Monolog aus der Sicht einer Figur. Danach findet ein aussagekräftiges Standbild, das die Beziehung der beiden zueinander ausdrückt. Überlegt euch dazu auch, was zuvor geschehen ist und wie die Szene weiter verlaufen könnte, wenn ihr daran weiter schreiben würdet.  Wie reagieren die Figuren aufeinander und warum? Was geschah davor, was danach?  Was denken die Figuren, was sprechen sie aus und warum?  Was sagt die jeweilige Reaktion über die Figur aus? Friedrich Schiller „Die Räuber“ / I. AKT, Dritte Szene. Franz Du siehst weg, Amalia? Verdien' ich weniger als Der, den der Vater verflucht hat? Amalia Seinen einzigen Sohn! Franz Ich dächte, er hätt' ihrer zwei. Amalia Ja, er verdient solche Söhne zu haben, wie du bist. Auf seinem Todbett wird er umsonst die Hände ausstrecken nach seinem Karl und schaudernd zurückfahren, wenn er die eiskalte Hand seines Franzens faßt – Oh es ist süß, es ist köstlich süß, von deinem Vater verflucht zu werden! Sprich, Franz, liebe brüderliche Seele, was muß man thun, wenn man von ihm verflucht sein will? Franz Du schwärmst, meine Liebe, du bist zu bedauern. Amalia O ich bitte dich – bedauerst du deinen Bruder? – Nein, Unmensch, du hassest ihn! Du hassest mich doch auch? Franz Ich liebe dich, wie mich selbst, Amalia! Tyrannischer Vater! Den besten deiner Söhne so hinzugeben dem Elend – der ringsumgebenden Schande –ich will ihm zu Füßen fallen, auf den Knieen will ich ihn beschwören, den ausgesprochenen Fluch auf mich, auf mich zu laden – mich zu enterben – mich – mein Blut – mein Leben – Alles – Amalia (fällt ihm um den Hals) Bruder meines Karls, bester, liebster Franz! Franz Unsere Seelen stimmten so zusammen, ich meinte immer, wir müßten Zwillinge sein! Zuletzt ergriff er meine Hand und sprach leise mit Thränen: ich verlasse Amalia, ich weiß nicht – mir ahnet's, als hieß' es auf ewig – verlaß sie nicht, Bruder! – sei ihr Freund – ihr Karl – wenn Karl – nimmer – wiederkehrt – (er stürzt vor ihr nieder und küßt ihr die Hand mit Heftigkeit.) Nimmer, nimmer, nimmer wird er wiederkehren, und ich hab's ihm zugesagt mit einem heiligen Eide! Amalia (zurückspringend) Verräther, wie ich dich ertappe! In eben dieser Laune beschwur er mich, keiner andern Liebe – wenn er sterben sollte – Siehst du, wie gottlos, wie abscheulich du – Geh aus meinen Augen! Franz Du kennst mich nicht, Amalia, du kennst mich gar nicht! Amalia O ich kenne dich, von jetzt an kenn' ich dich – und du wolltest ihm gleich sein? Vor dir sollt' er um mich geweint haben? vor dir? Ehe hätt' er meinen Namen auf den Pranger geschrieben! Geh den Augenblick! www.nextliberty.com Franz Amalia Du beleidigst mich! Geh, sag' ich. Du hast mir eine kostbare Stunde gestohlen, sie werde dir an deinem Leben abgezogen. Franz Du hassest mich. Amalia Ich verachte dich! Franz (mit den Füßen stampfend) Wart! so sollst du vor mir zittern! Übung: Skulpturenbau; Dauer: 20 min; Großgruppe Die Gruppe teilt sich in 2er‐Gruppen auf. Die Paare einigen sich darauf, wer von ihnen A, wer B sein möchte. Zuerst sind die Personen in Gruppe A die Bildhauer und stellen mit „ihrem“ B eine Skulptur zum Thema „Neid/Eifersucht“, danach wechseln die Rollen und die Bildhauer der Gruppe B stellen eine Skulptur zum Thema „Zurückweisung“. Sind die Skulpturen im Raum verteilt, besichtigen jeweils alle Bildhauer die Skulpturen – wie in einem Museum. Bei dieser Übung wird während des Skulpturenbaus und der Besichtigung Musik eingespielt, die sich auf das jeweilige Thema beziehen kann. Übung: Spiegelübung zu zweit im Raum; Dauer: 10 min; Großgruppe Die Gruppe teilt sich in 2er‐Gruppen auf. Die Paare einigen sich darauf, wer von ihnen A, wer B sein möchte. A stellt sich vor, dass er/sie vor einem Spiegel steht und macht langsame, geführte Bewegungen. B ist sein/ihr Spiegelbild und führt seine/ihre Bewegungen gleichzeitig aus. Zuerst führt A und B ist der Spiegel, dann führt B und A ist der Spiegel. In einem dritten Durchgang einigen sich die Personen nicht darauf, wer führt und sie versuchen fließende Übergänge in der Führung. Danach bildet die Gruppe zwei Reihen, stellt sich gegenüber auf und wählt zwei Personen, die nun in die Rolle des Karl und in die Rolle des Franz schlüpfen. Die beiden treten vor die beiden Reihen und stellen sich gegenüber auf. Ausgangssituation für die Bewegung ist nun eine Begegnung der beiden Brüder. Franz und Karl nehmen dafür eine bestimmte Haltung ein und reagieren mit einer weiteren Haltung darauf. Die Großgruppe in den zwei Reihen spiegelt die Bewegung der beiden Figuren – eine Reihe die Bewegung des Karl, die zweite Reihe die Bewegung des Franz. Übung: Diskussionsrunde im Sitzkreis: Merkmalbeschreibung der Figuren; Dauer: 20 min; Großgruppe Es wird ein Innen‐ und Außenkreis gebildet. In der ersten Runde werden charakterliche Unterschiede der beiden Brüder gesammelt. Danach wandert der Außenkreis um einen Platz weiter. In der zweiten Runde werden mögliche Parallelen diskutiert. In den nächsten Runden besprechen die Paare die folgenden Leitfragen: ● Was müsste passieren, damit du dich von deinem Bruder distanzieren würdest? ● Hast du Freunde, die für dich wie Brüder/Familie sind? ● Welches Gefühl geben sie dir, dass du dich mit ihnen wie mit deinem Bruder verbunden fühlst? In der Großgruppe wird eine gemeinsame Liste erstellt, mit wichtigen Begriffen aus den Diskussionsrunden. Diese Liste dient der Gruppe als Thema für weitere szenische Improvisationen. Übung: Suche nach Alternativen/Lösungen für das Ende; Dauer: 20 min; Kleingruppen Schiller hat selbst verschiedene Fassungen des Stückes geschrieben – je nach Fassung endet auch die Geschichte – mehr oder weniger – anders.15 Welche Möglichkeiten gäbe es noch für das Ende? Zu welchem Zeitpunkt wäre es eurer Meinung nach denkbar, die Figuren anders handeln zu lassen und so 15
Vgl. dazu: Christian Grawe: Friedrich Schiller: Die Räuber. Erläuterungen und Dokumente. Stuttgart: Reclam
2006. (= RUB. 8134.), S. 74ff.
www.nextliberty.com vielleicht kein tragisches Ende herbeizuführen? Sammelt eure Ideen für ein alternatives Ende zuerst in den Kleingruppen und besprecht eure Lösungsvorschläge dann auch mit der gesamten Gruppe. Übung: Familienzwist; Dauer: 20 min; Kleingruppe: 5 Personen Zu Beginn der Inszenierung ist ein Super‐8‐Film zu sehen, in dem Bilder aus einer Zeit gezeigt werden, in der das Familienleben noch idyllisch gewirkt hat, in der aber schon die Grundlage für später eskalierende Konflikte geschaffen wurde. Bildet Kleingruppen zu je 5 Personen und teilt euch in den Gruppen folgende Rollen zu: Vater, älterer Sohn, jüngerer Sohn, Schwiegertochter, Freund des älteren Sohnes, Freund des jüngeren Sohnes. Macht euch in der Gruppe aus, wie die Figuren zueinander stehen, welche Verhältnisse die einzelnen Familienmitglieder zueinander haben und welche Konflikte es geben könnte. Stellt dann eine Szene mit allen dar, in der zuerst alle harmonisch miteinander umgehen, in der aber langsam die Konflikte sichtbar werden, die dann nach und nach eskalieren, und überlegt euch, wie diese Szene enden könnte (friedlich, tragisch, humorvoll, ...) Zeigt diese Szene dann in der Großgruppe und holt euch Rückmeldungen von den anderen Gruppen: Was haben sie beobachtet? Welche Konflikte gab es zu sehen? Wie hätte die Situation ein anderes Ende finden können? Übung: Textvergleich zum Thema „Verlorener Sohn“; Dauer: 20 min Friedrich Schiller hatte für seine „Räuber“ zahlreiche literarische und thematische Vorbilder, u. a. hat ihm wohl das Gleichnis „Vom verlorenen Sohn“ aus der Bibel (vgl. Text in den Begleitmaterialien) als Vorlage gedient. Lest euch den Text aus dem Lukas‐Evangelium durch und vergleicht diesen mit Schillers Stück: Was sind die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den beiden Geschichten hinsichtlich der Figurenkonstellation? Der ursprüngliche Titel der „Räuber“ war „Der verlorene Sohn“ – inwieweit fändest du diesen Titel angemessen? Übung: Tagebucheintrag nach der Uraufführung der „Räuber“ Die Uraufführung der „Räuber“ hat 1782 in Mannheim stattgefunden und einen ziemlichen Skandal verursacht. Anbei findest du eine Aussage eines Augenzeugen: „Das Theater glich einem Irrenhause, rollende Augen, geballte Fäuste, stampfende Füße, heisere Aufschreie im Zuschauerraum! Fremde Menschen fielen einander schluchzend in die Arme, Frauen wankten, einer Ohnmacht nahe, zur Türe. Es war eine allgemeine Auflösung wie im Chaos, aus dessen Nebeln eine neue Schöpfung hervorbricht.“16 ● Schreibe einen Tagebucheintrag aus der Perspektive eines Zuschauers/einer Zuschauerin, der/die die Uraufführung gesehen hat. Verwende dazu das Zitat als Grundlage und Impuls für deinen Text. ● Ist eine solche Reaktion des Publikums heute noch vorstellbar? Was müsste heute auf der Bühne passieren, damit das Publikum bei einer Inszenierung auf diese Weise reagiert? Übung: „Die Räuber“ auf der Bühne Die Inszenierung von Schillers „Räubern“ im Next Liberty ist natürlich nur eine von vielen Möglichkeiten, das Stück auf die Bühne zu bringen. In der Vergangenheit gab es schon viele spannende, innovative, seltsame, mutige Bühnenadaptionen, die sich auf ganz unterschiedliche Weise dieses Klassikers angenommen haben. ● Stelle dir die Frage, warum dieser „Klassiker“ aus dem 18. Jahrhundert heute noch so beliebt ist und warum er nach wie vor zu einem der meistgespielten Stücke gehört. Was findest du zeitlos an diesem Stück? Was empfindest du als überholt und nicht mehr nachvollziehbar? ● Begib dich auf die Suche nach interessanten Bildern, Beschreibungen, Videos und Kritiken zu „Räuber“‐
Inszenierungen. Welche gefallen dir gut, welche findest du spannend und warum? ● Vergleiche die Materialien, die du findest, mit dem, was du im Next Liberty auf der Bühne gesehen hast. Was fällt dir auf? Wo liegen, so weit du das beurteilen kannst, die Unterschiede, wo die Gemeinsamkeiten? Worauf wurde jeweils besonders wert gelegt? 16
Maria-Felicitas Herforth: Erläuterungen zu Friedrich Schiller „Die Räuber“. 5. Auflage. Hollfeld: Bange 2009. (=
Königs Erläuterungen und Materialien. Band 28.), S. 19/21.
www.nextliberty.com ● Wenn du das Stück inszenieren würdest, welche grundsätzlichen Entscheidungen würdest du betreffend ORT, ENDE, BÜHNENBILD, SCHAUPLATZ, ZIELGRUPPE treffen? Was wäre dir besonders wichtig zu erzählen? Was würdest du weglassen bzw. was würdest du hinzufügen? Übung: Szenische Improvisation einer Nachrichtensendung/Reportage; Dauer 15 min; Kleingruppe Die Gruppe improvisiert eine kurze Szene über das tragische Ende und die Folgen eines Bruderzwistes. Eine Person in der Gruppe übernimmt die Moderation und berichtet über ein tragisches Familienereignis, bei dem eine Situation zwischen zwei Brüdern eskaliert. Während der/die Moderator/in berichtet, stellt die Gruppe den Vorfall in fünf aufeinanderfolgenden Bildern dar. IV.) LITERATURHINWEISE Die Räuber nach Friedrich Schiller. Neu erzählt von Barbara Kindermann. Mit Bildern von Klaus Ensikat. Berlin: Kindermann 2010. Grawe, Christian: Friedrich Schiller: Die Räuber. Erläuterungen und Dokumente. Stuttgart: Reclam 2006. (= RUB. 8134.) Heiderich, Jens F.; Hilgart, Johannes: Friedrich Schiller. Die Räuber. Kopiervorlagen und Module für Unterrichtssequenzen. München: Oldenbourg Schulbuchverlag 2010. (= Oldenbourg Unterrichtsmaterial Literatur.) Herforth, Maria‐Felicitas: Erläuterungen zu Friedrich Schiller „Die Räuber“. 5. Auflage. Hollfeld: Bange 2009. (= Königs Erläuterungen und Materialien. Band 28.) Hippe, Lorenz: Und was kommt jetzt. Szenisches Schreiben in der theaterpädagogischen Praxis. Weinheim: Deutscher Theater Verlag 2011. Leibfried, Erwin: Schiller. Notizen zum heutigen Verständnis seiner Dramen. Aus Anlass des 225. Geburtstages gedr. Frankfurt am Main; Bern; New York: Lang 1985. (= Giessener Arbeiten zur neueren deutschen Literatur und Literaturwissenschaft. Band 7.) Mann, Michael: Sturm‐ und Drang‐Drama. Studien und Vorstudien zu Schillers „Räubern“. Bern; München: Francke 1974. Pikulik, Lothar: Der Dramatiker als Psychologe. Figur und Zuschauer und Schillers Dramen und Dramentheorie. Paderborn: mentis 2004. Pilling, Claudia; Schilling, Diana; Springer, Mirjam: Friedrich Schiller. Dargestellt von C. Pilling, D. Schilling und M. Springer. 2. Auflage. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 2004. (= rm. 50600.) Poppe, Reiner: Friedrich Schiller. Die Räuber. Lektüreschlüssel für Schülerinnen und Schüler. Stuttgart: Reclam 2003. (= RUB. 15328.) Safranski, Rüdiger: Schiller oder Die Erfindung des Deutschen Idealismus. 4. Auflage. München; Wien: Carl Hanser 2010. Scherpe, Klaus P.: Die Räuber. In: Schillers Dramen: Neue Interpretationen. Hrsg. von Walter Hinderer. Stuttgart: Reclam 1979, S. 9‐36. www.nextliberty.com Schiller, Friedrich: Die Räuber. Ein Schauspiel. Anmerkungen von Christian Grawe. Stuttgart: Reclam 2001. (= RUB. 15.) Wenzel, Stefanie: Das Motiv der feindlichen Brüder im Drama des Sturm und Drang. Frankfurt am Main [u. a.]: Lang 1993. (= Marburger germanistische Studien. Bans 14.) www.nextliberty.com 
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