276_356_BIOsp_0309.qxd 340 22.04.2009 16:00 Uhr Seite 340 KA R R IE R E , KÖP FE & KON Z EPTE Virenjagd Erreger zwischen Tier und Mensch STEPHAN BECKER INSTITUT FÜR VIROLOGIE, UNIVERSITÄT MARBURG ó SARS, Ebola-Virus und Kuhpocken haben einiges gemeinsam: Es handelt sich um Viren, deren natürliches Reservoir Tiere sind, und sie lösen bei Übertragung auf den Menschen schwere Erkrankungen aus. Die jeweiligen Wirtstiere sind durch die Infektion nicht ernsthaft beeinträchtigt. Jeder zweite in den letzten 40 Jahren epidemisch aufgetretene neue Krankheitserreger war ein zoonotisches Virus oder Bakterium[1]. Obwohl Infektionen mit dem Ebola-Virus von den drei genannten Viren am schwersten verlaufen, ist diese Infektion für die Menschheit nicht sonderlich bedrohlich, denn Ebola-Viren breiten sich nicht leicht von Mensch zu Mensch aus. Problematischer ist der SARS-Erreger, ein Coronavirus, das in kürzester Zeit trotz drakonischer Quarantänemaßnahmen 8.000 Personen infizierte. Aber Viren, die vom Tier auf den Mensch übertragen werden können, kommen auch bei uns vor. Etwa in Haustieren, die aus tropischen Ländern importiert werden. „Schmuseratten“ übertragen Kuhpocken und Hamsterratten aus Gambia brachten Affenpocken in die USA. Außerdem können Insekten oder Zecken Viren von Tieren auf den Menschen übertragen. Beispiele dafür sind Gelbfieber-, WestNil- sowie Dengue-Virus, das jedes Jahr Hunderttausende befällt und sich scheinbar unauf- ˚ Die Riesenhamsterratte Cricetomys gambianus aus Gambia wird als Heimtier immer beliebter. Sie kann jedoch unter Umständen Krankheiten wie die Affenpocken übertragen (Bild: Simon’s Rodents, www.simonsrodents. co.uk). haltsam ausbreitet. Mit dem Klimawandel ändern sich auch in unseren Breiten die Lebensbedingungen für Viren-übertragende Insekten (K. Stark, BIOspektrum 7 (2008) 679). Was bedeuten diese Befunde von Viren und anderen Krankheitserregern, die von Tieren auf den Menschen überspringen, für die Gesellschaft und die Wissenschaft? Sich schnell ausbreitende Epidemien wie SARS zeigen, welche Dynamik zoonotische Viren entwickeln können, wenn sie effizient von Mensch zu Mensch übertragen werden. Dazu gehört eine Anpassung der animalen Viren an den Menschen. Erfolgt diese unter dem Brennglas des öffentlichen Interesses, wie bei der Vogelgrippe, scheint die größte Gefahr gebannt. Es wird aber immer Fälle geben, bei denen sich die Anpassung von animalen Viren an den Menschen im Geheimen vollzieht und dann wie aus dem Nichts eine Epidemie entsteht. Als Schmelztiegel für solche Ereignisse scheinen Gebiete prädestiniert, wo sich durch menschliche Aktivitäten oder den Klimawandel Habitate von Tieren und Menschen verschieben. Dies gilt etwa dort, wo Regenwald massiv abgeholzt wird und dadurch Tiere sich neue Lebensräume erschließen müssen. Dann werden plötzlich Menschen und Tiere mit neuen Viren der Gegenseite konfrontiert. Das hat glücklicherweise nur in seltenen Fällen fatale Folgen für den Menschen. Allerdings kommt es vor, dass die animalen Viren erfolgreich den Sprung auf den neuen Wirt schaffen. Wenn sich dann durch Mutationen Viren entwickeln, die leicht von Mensch zu Mensch übertragbar sind, kann das schwer wiegende Folgen haben. Das Paradebeispiel ist die AIDSPandemie. Gut wäre es zu wissen, was da aus dem Regenwald auf uns zukommt. Es gibt deshalb inzwischen Initiativen, die die mikrobiologische Fauna von tropischen Tieren und Pflanzen untersuchen, um deren Gefährdungspotenzial zu evaluieren (www.gvfi.org). Dazu werden Areale bestimmt, etwa in Zentralafrika, in denen die Übertragung von animalen Krankheitserregern auf den Menschen besonders wahrscheinlich erscheint – etwa, wenn Menschen bei der Jagd in engen Kontakt mit Wildtieren kommen. Hier untersucht man Insekten und Säugetiere auf das Vorkommen von Viren. Ebenso wird das Blut der einheimischen Bevölkerung auf Antikörper gegen die gefundenen animalen Viren getestet. Haben dazu noch Antikörper-positive Menschen eine unerklärliche Erkrankung durchgemacht, liegt der Verdacht nahe, dass es sich um ein potenziell gefährliches Virus handelt. Mittels solcher Stichproben lässt sich ein Überblick darüber erlangen, wie oft Übertragungen von animalen Krankheitserregern auf den Menschen vorkommen. Epidemien lassen sich damit aber nur bedingt verhindern. Auf das epidemische Auftreten von neuen Viren können wir uns gezielt vorbereiten. Dazu gehört es, Strategien und Strukturen zu entwickeln, mittels derer sich unsere Gesellschaft besser gegen Epidemien von unbekannten und hochpathogenen Krankheitserregern zur Wehr setzen kann. Ein effizientes öffentliches Gesundheitssystem ist dafür unerlässlich. Die schnelle Identifizierung und Charakterisierung von neuen Krankheitserregern ist die zweite wichtige Aufgabe, die im Falle von SARS hervorragend gelöst wurde. Die dritte Aufgabe ist die Entwicklung von Strategien, um schnell Impfstoffe und antivirale Medikamente gegen neue Viren herzustellen und zuzulassen. Auf diesem Feld muss noch viel Forschungs- und Entwicklungsarbeit geleistet werden. Zudem müssen sich Gesundheitsämter und Kliniken, Forschungsinstitute und Pharmaindustrie sowie Zulassungsbehörden enger miteinander vernetzen, damit unsere Gesellschaft in Zukunft gegen die Auswirkungen von Epidemien zoonotischer Krankheitserreger besser gewappnet ist. ó Literatur [1] Jones, K. E., Patel, N. G., Levy, M. A., Storeygard, A., Balk, D., Gittleman, J. L., Daszak, P. (2008): Global trends in emerging infectious diseases. Nature 451: 990–993. Korrespondenzadresse: Prof. Dr. Stephan Becker Philipps-Universität Marburg Institut für Virologie Hans-Meerwein-Straße 2 D-35037 Marburg Tel.: 06421-2866253 Fax: 06421-2866892 [email protected] BIOspektrum | 03.09 | 15. Jahrgang