NPD-Verbotsantrag des Bundestags

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NPD-Verbotsantrag des Bundestags,
29. März 2001
Zulässigkeit des Antrags | Begründetheit des Antrags
Prof. Dr. Günter Frankenberg
Prof. Dr. Wolfgang Löwer
In dem verfassungsgerichtlichen Verfahren [...] auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit der
Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD), vertreten durch den Parteivorsitzenden Udo
Voigt, Seelenbinderstraße 42, Berlin, Antragsgegnerin, beantragen wir Kraft der uns erteilten
Vollmacht namens des Deutschen Bundestags zu erkennen:
1. Die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) ist verfassungswidrig.
2. Die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD), ihre Teilorganisation Junge
Nationaldemokraten (JN) und ihre Sonderorganisationen "Deutsche Stimme Verlagsgesellschaft
mbH" werden aufgelöst.
3. Es ist verboten, Ersatzorganisationen aufzubauen.
4. Das Vermögen der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD), ihrer Teilorganisation
Junge Nationaldemokraten (JN) und ihrer Sonderorganisation "Deutsche Stimme
Verlagsgesellschaft mbH" wird zugunsten des Bundes zu gemeinnützigen Zwecken eingezogen.
5. Die Innenminister des Bundes und der Länder werden angewiesen, die Entscheidung zu
vollstrecken.
Die Vollmachten sind beigefügt.
A. Zulässigkeit des Antrags
I. Antragsberechtigung des Deutschen Bundestags
1. Die Antragsberechtigung im Verfahren nach Art. 21 Abs. 2. GG ist im
Bundesverfassungsgerichtsgesetz eindeutig geregelt (§ 43 Abs. 1). Sie steht dem Deutschen
Bundestag neben Bundesregierung und Bundesrat zu. Auch als die Frage der Antragsberechtigung
im Rahmen der Entstehung des Bundesverfassungs- gerichtsgesetzes behandelt worden ist, [...]
verstand sich die Antragsberechtigung so sehr von selbst, dass darüber kaum gesprochen worden ist.
Jedenfalls stellte der Abgeordnete Kiesinger (CDU) als Berichterstatter im Rechtsausschuss damals
unwidersprochen fest, dass die Antragsberechtigung des Bundestages eine "Selbstverständlichkeit"
sei. [...]
Die Begründung zum Regierungsentwurf hatte immerhin auf einen Punkt aufmerksam gemacht,
der für die Inanspruchnahme des Antragsrechts – darauf wird zurückzukommen sein – auch heute
noch Gewicht beanspruchen darf: Im Zusammenhang mit der Grundrechtsverwirkung – auf die
Vorschriften für dieses Verfahren ist von Anfang an für das Parteiverbot verwiesen worden – und
der Regelung der Antragbefugnis dafür betont die Gesetzesbegründung, dass "diese scharfe Waffe
zur Verteidigung der Demokratie nur in die Hand der obersten Staatsorgane gelegt werden kann,
denn der Schutz des Staates obliegt: Bundestag, Bundesregierung." [...]
2. Was nach dem Normtext und der Entstehungsgeschichte selbstverständlich ist, dass der
Bundestag Antragsteller sein kann, ist unter dem Gesichtswinkel, ob er auch einen Antrag stellen
soll, in der Plenardebatte um die Antragstellung [...] problematisiert worden (ohne dass die
rechtliche Zulässigkeit der Antragstellung bezweifelt worden wäre).
Zu den öffentlich vorgetragenen Argumenten der Inopportunität der Antragstellung gehört auch
der Hinweis, die Phalanx von Antragstellern wolle möglicherweise fehlendes Gewicht von
Argumenten kompensieren oder gar das Gericht unter Druck setzen. Die Genese des
Bundestagsantrags belegt jedoch., dass der Bundestag seinen Antrag aus wohlerwogenen
Sachgründen gestellt hat, so dass also gewiss nicht von einer rechtsmissbräuchlichen Antragstellung
gesprochen werden kann. [...]
Die Argumente gegen einen eigenen Verbotsantrag des Bundestages verweisen darauf, dass der
Verbotsantrag selbst "klassische Aufgabe der Exekutive" sei [...] und dass deshalb die bisherigen
Parteiverbotsanträge auch nur von der Exekutive gestellt worden seien. [...] Daran ist richtig, dass
der Deutsche Bundestag nicht selbst jene Informationen erheben kann, die die Grundlagen dafür
bieten, einen Parteiverbotsantrag stellen zu dürfen. Das heißt aber nicht, dass der Bundestag nicht in
der faktischen und rechtlichen Lage wäre, aus dem präsentierten Material auf das rechtliche
Verbotensein einer Partei im Sinne von Art. 21 Abs. 2 GG schließen zu können. Diese
"Subsumtion" des Materials hat der Innenausschuss sorgfältig vorgenommen. Er ist zu dem
Ergebnis gelangt, dass die NPD
- verfassungsfeindliche Ziele verfolgt,
- mit dem Nationalsozialismus wesensverwandt ist,
- Grundprinzipien der freiheitlichen und demokratischen Verfassung des Parlamentarismus
bekämpft,
- eine aktiv-kämpferische aggressive Haltung gegenüber der freiheitlich demokratischen
Grundordnung einnimmt,
- in den letzten Jahren eine herausgehobene Bedeutung für das rechtsextreme und gewaltbereite
Spektrum erlangt hat. [...]
Dieser Einschätzung haben im übrigen alle Parteien bis auf die F.D.P. im Bundestag zugestimmt;
dabei hegt auch die F.D.P. keine substantiellen Zweifel an der "Verfassungsfeindlichkeit" der NPD sie will nur das Risiko eines Scheiterns mit einem Verbotsantrag nicht eingehen. [...] Aber nur
dieser Teil der Entscheidungsbildung ist von den von der Exekutive erarbeiteten Materialien ein
Stück weit abhängig. Hinzu tritt die Entscheidung, ob der feststehenden Überzeugung vom
Verbotensein auch ein auf den konstitutiven Ausspruch [...] hinzielender Beschluss über die
Verfahrenseinleitung, die im politischen Ermessen der antragsberechtigten Verfassungsorgane steht,
herbeigeführt werden soll. [...]
An dieser Stelle müssen die politischen Einschätzungen der Opportunität, einen Verbotsantrag zu
stellen, in der Meinungsbildung der antragsberechtigten Verfassungsorgane nicht notwendig parallel
verlaufen. Die Bundestag, Bundesregierung und Bundesrat gleichermaßen anvertraute Befugnis
dekonzentriert diese wichtige Weichenstellung, indem sie diese drei Verfassungsorgane zur je
selbständigen Willensentscheidung in dieser Frage ermächtigt. Das ist wiederum deshalb
konsequent, weil diesen Organen schwergewichtig der Schutz der Verfassung anvertraut ist; deshalb
muss die Einschätzungsprärogative, ob eine Verfahrenseinleitung erforderlich ist, auch jedem Organ
für sich zustehen. Wie die Debatte um den Verbotsantrag zeigt, hat der Bundestag sich über die
Sinnhaftigkeit der Rolle als Antragsteller auch vergewissert. Thematisch gehe es gerade darum, die
Teilnahme der verfassungswidrigen NPD an der parlamentarischen Willensbildung zu verhindern;
es sei aus der Sicht des Bundestages nicht vertretbar, der NPD ihre verfassungsfeindlichen
Aktivitäten mit Steuermitteln aus der Wahlkampfkostenerstattung zu finanzieren. [...]
Die Komplikation, dass eine verfassungsfeindliche Partei, solange sie nicht durch
bundesverfassungsgerichtliches Erkenntnis verboten ist, durch Steuermittel in ihrem
verfassungsfeindlichen Agieren (teil-)alimentiert wird, ist jünger als die beiden bedeutenden
Verbotsanträge im SRP und KPD-Verfahren und begründet insoweit auch ein zusätzliches
Verantwortungsmoment der antragsbefugten Verfassungsorgane, insbesondere auch des
Bundestages, der für die Art der Parteienfinanzierung wegen deren Gesetzesabhängigkeit besondere
Verantwortung trägt. [...]
Staatsrechtlich ist der Bundestag insofern zum Verbotsantrag legitimiert, weil der Bundestag das
Volk vertritt, diesen gegenüber die Gesamtverantwortung für das bonum commune trifft, das erst in
der verbindlichen Zuordnung der außenwirksamen Entscheidungskompetenzen arbeitsteilig
verwirklicht wird. Schon wegen dieser Vertretungsfunktion des Parlaments für das Volk, steht die
Staatsleitung nach dem berühmten Diktum Ernst Friesenhahns Parlament und Regierung "zur
gesamten Hand" zu. Dieses Gesamthänderische äußert sich zunächst in der
gewaltenteilungsrechtlich nicht begrenzten Beobachtungsfunktion des Parlaments, gesellschaftliche
Entwicklungen – nicht anders als die Regierung – daraufhin zu analysieren, ob Notwendigkeiten für
hoheitliche Einwirkungen bestehen, denen mit dem Formenreichtum staatlicher Intervention (die
Interventionsmittel stehen darin nur gewaltengeteilt zur Verfügung) begegnet werden soll. Die
Initiativfunktion, was die aufzugreifenden Gegenstände der Aufmerksamkeit betrifft, steht dem
Parlament unbegrenzt zu. Klaus Stern hat deshalb ganz zurecht Paul Laband für die (an sich
triviale) Erkenntnis zitiert, "dass die Zuständigkeit des Reichstages ebenso weit wie die
Zuständigkeiten des Reiches (reicht)". [...]
In diesem Sinne hat sich der Deutsche Bundestag in der jüngsten Vergangenheit beobachtend und
auch Maßnahmen initiierend mit dem Phänomen des Rechtsextremismus beschäftigt. [...] Infolge
dieser Anträge hat der Deutsche Bundestag beschlossen, zum Thema Rechtsextremismus im
Innenausschuss eine öffentliche Anhörung durchzuführen. [...] Der Bundestag hat sich in wichtigen
Plenardebatten mit dem Thema beschäftigt. [...] Das substantiell Beunruhigende des
Rechtsextremismus hat das Parlament folglich mit seiner auch ihm zukommenden Initiativ- und
Gestaltungsfunktion – neben der Regierung – als Problem aufgegriffen. [...]
Darauf ist in der "Antragsdebatte" im Plenum ausdrücklich hingewiesen worden und damit auch
das auf dem Feld des Parteiverbots nach der Rechtslage des Bundesverfassungsgerichts
(konkurrierend zu Bundesregierung und Bundesrat) mögliche letzte Wort (eigene Antragsstellung)
verbunden worden: Der Abg. Dr. Michael Bürsch (SPD) hat ausdrücklich auf die
Wesentlichkeitsrechtsprechung rekurriert nach der alle "wesentlichen Entscheidungen, die von
grundsätzlicher, verfassungsrechtlicher normativer Bedeutung sind, ins Parlament gehören. Der
Bundestag als unmittelbar demokratisch legitimierte Volksvertretung sollte und muss hier eine
eigene Entscheidung treffen". [...] In der Debatte ist auch die Linie von den sonstigen Maßnahmen –
auch des Bundestages – zur Bekämpfung des Rechtsextremismus gezogen worden hin zu einem in
der Demokratie konsequenterweise vom Bundestag als Vertretung des Volkes zu stellenden
Verbotsantrag. [...] Der Antragsteller handelt also mit seiner Antragstellung zweifelsfrei
prozessordnungsgemäß und verfassungsstaatlich legitim: Der Bundestag ist nicht weniger Hüter der
Verfassungsintegrität als die anderen Verfassungsorgane.
Auf diesem Rechtsgrund hat der Bundestag sich dazu entschlossen, von seinen politischen
Opportunitätsermessen im Sinne der Antragstellung Gebrauch zu machen, wohl wissend, dass
menschenverachtende und totalitäre politisch-ideologische Verirrung und dementsprechendes
Handeln nicht aufhört, wenn ein organisatorischer Rahmen dafür verboten wird. Natürlich
entziehen sich Gedanken und Ideen jeder Verbotsverfügung – unbeschadet ihres Inhalts. Deshalb
sind die weiteren Maßnahmen von Bundestag und Bundesregierung zur Bekämpfung des
Rechtsextremismus die zweite Säule einer offensiven Strategie des Staates, mit diesen seine
freiheitlichen Grundlagen zerstörenden Tendenzen fertig zu werden. In diesem Zusammenhang ist
das Parteienverbot als das andere Bein keineswegs ohne Effektivität, weil es eine aufgebaute und
funktionierende Organisation zur Verbreitung der inkriminierten Ideen zerschlägt. In einer
Organisation zur Verbreitung der Idee steckt aber ein Stück des spezifischen Gefahrenpotentials
einer solchen "Bewegung". Das vielbeschworene Abdrängen in den Untergrund der verbotenen
Partei erschwert zwar die Beobachtung der Entwicklungstendenzen; andererseits schneidet sie die
NPD von allen Foren ab, die ihr als nicht verbotener Partei zustehen. Von der Zuteilung von
Sendezeiten in Rundfunk und Fernsehen zu Wahlkampfzeiten, vom Zugriff auf Stadthallen, vom
Zugriff auf den öffentlichen Raum in Wahlzeiten, mit der Möglichkeit für sich zu werben, von den
staatlichen Geldzuflüssen wird sie nur durch das Verbot abgeschnitten; kurz, es endet die
Verpflichtung aller staatlichen Gewalt, die NPD als objektiv verfassungswidrige Partei mit den
verfassungsmäßigen Parteien gleichbehandeln zu müssen, weil sie nicht verboten ist. [...]
Schließlich ist aus dem Gesichtswinkel der Opportunität noch bedeutsam, dass zukünftige etwaige
Ersatzorganisationen als solche erleichtert zu verbieten sind, so dass verfestigte
Nachfolgeorganisationen nicht mehr etabliert werden können.
II. Sonstige Zulässigkeitsvoraussetzungen
Der Hauptantrag ist zulässig, weil er sich auf das Verbot der NPD als Partei richtet (1). Auch
soweit der Antrag sich auf das Verbot der "Jungen Nationaldemokraten", sowie auf das Verbot der
"Deutsche Stimme Verlagsgesellschaft mbH" bezieht, ist er zulässig (2a) b)). Das gilt auch für die
sonstigen Nebenanträge (2c)).
1. Die Nationaldemokratische Partei Deutschlands ist Partei im Sinne von Art. 21 Abs. 1 GG
i.V.m. § 2 PartG.
a) Der Hohe Senat hat zuletzt in dem Verfahren zum Verbot der Nationalen Liste – BVerfGE 91,
262 – und der Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei – BVerfGE 91, 276 – den Parteibegriff des §
2 PartG im Lichte des Art. 21 GG näher erläutert. Danach ist von folgenden Tatbestandsmerkmalen
auszugehen: Wegen ihrer Funktion, an der Willensbildung des Volkes mitzuwirken, sind Parteien
notwendig Wahlvorbereitungsorganisationen; sie nehmen an Parlamentswahlen teil. Sie sind
(kumulativ dazu) nur dann Parteien, wenn sie auch zwischen den Wahlen ihre
"Bündelungsfunktion" wahrnehmen, d.h. dass sie dem Bürger programmatische Alternativen
anbieten und dass sie auf die Bürger im organisatorischen Rahmen der Partei einwirken können, um
so an der Rückkoppelung zwischen Staatsorganen und Volk mitzuwirken; das setzt dann
außenwirksames Sich-Positionieren der Partei im Parteienwettbewerb auch zwischen Wahlen
voraus. Die Parteiqualität hängt nicht vom Willen ab, Partei zu sein; die Frage, ob ein soziales
Gebilde Partei ist, richtet sich nach objektiven Kriterien; das gilt jedenfalls, wenn es sich nicht um
eine Neugründung einer Partei handelt.
Hinter der Partei müssen folglich "gewisse Wirklichkeiten stehen, die es erlauben, sie als
Ausdruck eines Ernsthaften, in nicht zu geringem Umfang im Volk vorhandenen politischen Willens
anzusehen." [...] Dieser Test auf die Ernsthaftigkeit wird unter anderem durch die einzelnen
Tatbestandsmerkmale des § 2 Abs. 1 PartG (Umfang und Festigkeit der Organisation,
Mitgliederzahl, Hervortreten in der Öffentlichkeit) im Sinne einer Indizfunktion ausgefüllt.
Entscheidend ist aber immer eine Gesamtbeurteilung, die nicht schon aus dem Fehlen eines
einzelnen oder einzelner Merkmale notwendig auf das Fehlen einer Parteieigenschaft schließen
darf. Gemessen an diesen Tatbestandsvoraussetzungen ist an der Parteieigenschaft der
Nationaldemokratischen Partei nicht zu zweifeln.
aa) Die NPD ist zunächst Partei ihrem Selbstverständnis nach, wie sich aus § 2 ihrer Satzung
eindeutig ergibt. [...] Sie bietet den Bürgern auch ein Programm an, mit dem sie sich als politische
Alternative im Parteienspektrum präsentiert. [...] Aus einem programmatischen Strategiepapier
ergibt sich weiter, dass die NPD sowohl fortdauernd an Wahlen teilnehmen will und dass sie
permanent daran arbeiten will, ihre Programmatik auch durchzusetzen. Die dynamische
Weiterentwicklung der völkisch-nationalen Programmatik müsste zu einem integralen Bestandteil
des täglichen politischen Kampfes werden. Alle Ideen und Begriffe müssten hinsichtlich ihrer
mobilisierenden Wirkung auf die Massen immer wieder in einem dynamischen Prozess erprobt
werden. "Der Weg von der Schreibstube zur Straße – und wieder zurück zur Schreibstube – muss
kurz und frei von Hindernissen sein." (Was man immerhin als Rückkoppelung zwischen den
phänomenal so ansprechbaren Bürgern und der Partei verstehen kann.) [...] Die Partei weist auch
einen organisatorisch verfestigten Rahmen auf. Sie hat einen Bundesvorstand und derzeit 15
Landesverbände mit Untergliederungen auf der Kreisverbands und Ortsebene.
bb) Bei objektiver Gesamtbetrachtung steht hinter der Programmatik und dem Willen auch eine
"Wirklichkeit", die es erlaubt, die NPD als Partei zu erkennen.
Seit 1998 hat die NPD an 14 von 17 überregionalen Wahlen teilgenommen, darunter auch an der
Bundestagswahl 1998 und an der Europawahl 1999. Bei den Landtagswahlen in MecklenburgVorpommern (1998), in Sachsen (1999) und in Schleswig-Holstein (2000) ist es ihr jeweils
gelungen, mindestens 1 Prozent der Wählerstimmen zu erreichen und damit die rechtliche
Relevanzschwelle für die staatliche Wahlkampfkostenerstattung zu übertreffen (§ 18 Abs. 4 i.V.m. §
18 Abs. 3 Nr. 1 PartG). Damit erreicht die NPD in der endgültigen staatlichen Teilfinanzierung 1999
zum 15. Februar 2000 eine staatliche Transferleistung von ca. 1,2 Mio DM. [...]
Mit dem Überschreiten der gesetzlichen Förderungsschwelle ist fraglos geworden, dass die Probe
auf die Ernsthaftigkeit für den Aspekt der Teilnahme an der staatlichen Willensbildung durch
Wahlteilhabe zu bejahen ist. Der Grenzwert für die Teilnahme am Erstattungsverfahren will solche
Splittergruppen ausschließen, deren geringer Wahlerfolg erkennen lässt, das sie diesen gar nicht
ernsthaft anstreben. [...] Der relativ niedrige Wert von 0,5 v.H. (für Europa und Bundesebene) resp.
1 v.H. (für die Ebene der Landtagswahlen) in § 18 PartG beruht gewissermaßen auf der
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, das eine Schwelle von 2,5 v.H. unter dem
Gesichtswinkel der Chancengleichheit der Parteien für zu hochgehalten hatte. [...]
Damit formuliert die Rechtsordnung eine Beachtlichkeitsschwelle, die notwendig eine gesetzlich
gegriffene Größe sein muss, die aber gleichwohl auch hier Bedeutung erlangt:
Wahlkampfkostenerstattung sollen solche Parteien erhalten (die auch nur dann solche sind), die im
Wettbewerb der Parteien auch von anderen Parteien als Konkurrenten gesehen werden müssen. Das
gilt z.B. für die NPD im Konkurrenzspektrum zu anderen Parteien der äußersten Rechten wie DVU
und REPUBLIKANER. In diesem Segment hat z.B. die Ausschaltung einer Partei für den eigenen
Wahlerfolg durchaus einige Relevanz. Die Relevanz der NPD wird schließlich noch durch die
Teilnahme an Kommunalwahlen bekräftigt. Die NPD will gegenwärtig mehr als 60 Mandate in
kommunalen Vertretungskörperschaften innehaben. [...] Die NPD will auch fortdauernd an Wahlen
teilnehmen. So ist für das Jahr 2001 die Teilnahme an den Landtagswahlen in Baden-Württemberg
und Rheinland-Pfalz angekündigt. [...]
Aber auch das zweite ernstlich zu verfolgende Merkmal die aktive Teilnahme an der politischen
Willensbildung durch entsprechendes Hineinwirken in den gesellschaftlichen Raum außerhalb der
Wahlen – lässt sich ohne weiteres bejahen: 1996 betrug die Mitgliederzahl laut dem
Rechenschaftsbericht der Partei 3240, 1998 waren es 5980 und 1999 6079 (jeweils nach den dem
Bundestag eingereichten Rechenschaftsberichten). Die Partei ist also in der Mitgliederakquisition
erfolgreich. Am 12. August 2000 hat die Partei sogar erklärt, 7000 Mitglieder zu haben. [...]
Der "Ertrag", des Hineinwirkens in die Gesellschaft zeigt sich neben der Mitgliederwerbung auch
im Spendenaufkommen. Der Rechenschaftsbericht zum 31. Dezember 1999 weist ca. 1,6 Mio DM
Einnahmen aus Spenden aus. Die politische Arbeit nach außen – ohne die Aufwendungen für
Wahlkämpfe.Personalausgaben, Ausgaben für den laufenden Geschäftsbetrieb sowie Ausgaben für
allgemeine politische Arbeit – betrugen laut Rechenschaftsbericht 1999 rund 2 Mio DM. [...] Diese
Zahlen belegen die allgemeinkundige Tatsache, dass die NPD über einen organisatorischen Rahmen
verfügt, der es ihr ermöglicht, Bundesparteitage abzuhalten und z.B. als Veranstalter von
Demonstrationen in erheblicher Zahl aufzutreten. Allein im Zeitraum 1997 bis Herbst 2000 hat die
NPD (oder ihre Jugendorganisation) – dazu sogleich 2b) – mehr als 300 Demonstrationen
angemeldet, die sie gelegentlich selbst dann noch durchgeführt hat, wenn sie verboten worden sind.
[...] Durch ihr Parteiorgan "Deutsche Stimme", der auch ein Versandbuchhandel angeschlossen ist, –
dazu sogleich 2c) – wirkt sie auch mit dem Mittel der Druckschrift in den gesellschaftlichen Raum
hinein. Auch das Internet wird als Informationsmedium bekanntlich intensiv genutzt. Weiteres ließe
sich anfügen; darauf kann aber angesichts der Eindeutigkeit des Befundes verzichtet werden. Hinter
der NPD steht eine beachtliche "Wirklichkeit", die mit den Fällen, die im 91. Band zu Verneinung
der Parteieigenschaft bei der NL und FAP geführt haben, unvergleichlich ist.
2a) In die Verbotsentscheidung einzubeziehen ist auch die Jugendorganisation der "Jungen
Nationaldemokraten" als Teil-(oder Sonder-)Organisation der Partei (§ 42 Abs. 2 BVerfGG).
Nach § 46 Abs. 2 BVerfGG kann das Verbot auf einen rechtlich oder organisatorisch
selbstständigen Fall der Partei beschränkt werden. Der Sinngehalt der Vorschrift ist eigentlich eher
der, dass das Verbot auf einen Teil zu beschränken ist, wenn nur ein Teil verfassungswidrig ist.
Ansonsten ist alles zu verbieten, was "die Partei" ist, also unter prinzipieller Außerachtlassung der
organisatorischen Trabantierung einer Partei. [...] Insofern ist der in Bezug auf die jungen
Nationaldemokraten gestellte Verbotsantrag an sich nur deklaratorisch, verdeutlicht bei
entsprechendem Tenor aber die Verbotsreichweite. Insofern erstreckt sich das Verbot "der Partei"
prinzipiell auch auf Teil- und Sonderorganisationen. [...] Dabei mag dahinstehen, ob die Jungen
Nationaldemokraten Teil- oder Sonderorganisation sind; die Abgrenzung zwischen den Kategorien
ist ohnehin wohl nicht trennscharf, im Ergebnis auch unerheblich, weil sowohl Teil- wie
Sonderorganisationen so dicht mit der Partei verwoben sind, dass sie "die Partei" sind, so dass sich
der Verbotsausspruch ohne weiteres auch auf sie erstrecken darf. [...]
Die "Jungen Nationaldemokraten (JN)" lassen sich als organischer Teil der NPD bis in das Jahr
1968 zurückverfolgen. [...] Sie sind stets als besonders radikaler Teil der Partei hervorgetreten. [...]
Ihr Selbstverständnis als "Speerspitze der nationalen Bewegung" reicht bis in die 70er Jahre zurück.
[...] Sie ist Teilorganisation (oder Sonderorganisation), [...] weil die Parteisatzung [...] die Jungen
Nationaldemokraten als "integralen Bestandteil der NPD" (§ 19) bezeichnet; personal wird dieses
Einfügen der Jungen Nationaldemokraten dadurch gesichert, dass der Bundesvorsitzende der JN
kraft Amtes zugleich Mitglied des NPD-Parteivorstandes ist (Ziff. 2 der NPD-Satzung). Folglich
sind die "Jungen Nationaldemokraten" auch "die Partei".
2b) Auch der Antrag festzustellen, dass die "Deutsche Stimme Verlagsgesellschaft mbH" mit
Firmensitz in Riesa verboten ist, ist zulässig.
Sonderorganisationen einer Partei sind Parteiunternehmen, "d. h. von der allgemeinen
Parteiverwaltung abgesetzte, organisatorisch und zum Teil auch rechtlich verselbständigte Einheiten
von Kapitalmitteln und Arbeitskräften zur laufenden Erfüllung besonderer Parteiaufgaben (z.B.
Verlage und Druckereien zur Herstellung von Parteischriften)", so Karl Heinz Seifert [...]. Auch
Wilhelm Henke [...] betont, dass es nicht auf die Rechtsform ankommt; erfasst werden sollen solche
Unternehmen, die sich im Verhältnis zur Partei wie eine dienende Anstalt verhalten. Laut
Handelsregistereintragung ist der Gegenstand des Unternehmens die "Herstellung und der Vertrieb
von Zeitungen, Zeitschriften und Druckschriften; insbesondere die Herausgabe der Deutschen
Stimme' sowie die Produktion von und der Handel mit Drucksachen, Büchern, Tonträgern, Videos,
Textilien und weiterer Devotionalien" (sic!). [...] Der Verlag hat also ersichtlich dienende Funktion
für die NPD. Das Stammkapital beträgt 430.000,- DM. [...] Zwar ist nicht ersichtlich, wer das
Stammkapital der GmbH aufgebracht hat. Die NPD selbst ist nicht Gesellschafter der GmbH.
Gesellschaftsrechtlich wirft die Frage, ob eine politische Partei als nicht rechtsfähiger Verein
Gesellschafter einer GmbH sein könnte, auch schwierige Fragen auf. Zwar ist mittlerweile
anerkannt, dass die BGB-Gesellschaft als Gesamthandsgemeinschaft tauglicher Gründer sein kann
[...]. Da auch der nichtrechtsfähige Verein als Gesamthand begreifbar ist [...] wäre auch der Schritt
denkbar (geworden), einen nicht rechtsfähigen Verein als tauglichen Gründer einer Ein-MannGmbH anzusehen. Die Publizitätsprobleme wären bei einer Partei allerdings eher noch größer als
schon bei der BGB-Gesellschaft als gesamthänderischer Vereinsgründer.
Aber danach fragt die Zurechnung einer Organisation an die Partei auch nicht. Die
Zweckverfolgung für die Partei in Verbindung mit der Tatsache, dass die Gesellschafter des
Verlages und der Geschäftsführer jeweils Vorstandsmitglieder der NPD sind, [...] dokumentiert eine
personelle Verflechtung, die die Zurechnung als Sonderorganisation rechtfertigt. Die Einkünfte aus
dem Verlag fließen auch offensichtlich der NPD wieder zu, wie dem Rechenschaftsbericht zu
entnehmen ist. [...] Es handelt sich folglich bei der "Deutsche Stimme Verlagsgesellschaft mbH" um
eine Sonderorganisation. Als solche ist sie "die Partei" und damit verbotsfähig.
c) Die Zulässigkeit der weiteren gestellten Anträge zu 3) -5) ergibt sich aus § 46 Abs. 3
BVerfGG.
3. [Beteiligung der NPD an Europawahlen]
Der Zulässigkeit des Verbotsantrags (oder eines Verbotsausspruches) steht auch nicht entgegen,
dass sich die NPD an den letzten Wahlen zum Europaparlament beteiligt hat (a). Auch eine Vorlage
der Frage, ob eine Partei verboten werden kann, wenn sie sich als eine "europäische Partei" an den
Wahlen zum Europaparlament beteiligt hat, seitens des Bundesverfassungsgerichts an den
Europäischen Gerichtshof kommt nicht in Betracht (b).
a) Ansatzpunkte für eine Sperrnorm gegenüber den Parteiverbot könnte nur aus europäischem
Parteienrecht (aa) oder aus europäischem Wahlrecht hergeleitet werden (bb). Beide Aspekte ergeben
indes im Ergebnis keinen rechtlichen Befund in Richtung einer solchen gedachten Sperrnorm.
aa) Ein Ansatzpunkt, für eine solche Sperrnorm könnte allenfalls das primäre Gemeinschaftsrecht
liefern (Art. 191 EGV), weil sekundäres Parteienrecht nicht existiert. Dieser Fehlbefund im
sekundären Gemeinschaftsrecht führt auch schon unmittelbar zur Problematik des Art. 191 (ex138a) EGV hin, der sozusagen einen staatstheoretischen Befund – dass politische Parteien ein
wichtiger Integrationsfaktor sind – kodifiziert, aber keine Anordnung enthält. Deshalb ist in der
Literatur auch zurecht darauf hingewiesen worden, dass Art. 191 keine Strukturvorgaben für die
Statuten europäischer Parteien noch einen Verbotstatbestand noch die Ermächtigung zu einem
Gemeinschaftsrechtsakt enthält, der die Grundlage für ein europäisches Parteiengesetz bilden
könnte. [...] Aus dieser Sicht ist dem europäischen Parteienrecht eine Sperrnorm für ein nationales
Verbot nicht zu entnehmen.
Soweit angenommen wird, Art. 191 EGV sei der normativen Ausgestaltung durch die Organe der
europäischen Gemeinschaft zugänglich und Art. 191 habe für diese Ausgestaltung auch eine
normative Bedeutung, [...] ist die Bestimmbarkeit des Begriffs der europäischen politischen Partei
Mindestvoraussetzung; danach ist zu fragen, ob die NPD nach ihrer Europawahlteilnahme unter
diesen europäischen Parteibegriff subsumiert werden kann. Die Schwierigkeit bei einer Norm wie
Art. 191 EGV liegt darin, dass sie sozusagen den Finger auf eine Wunde des Europäischen
Entscheidungssystems legt; die Norm verdeutlicht, dass es das landläufig konstatierte
Demokratieprinzip gibt, wenn man die Legitimationserwartung europäischer Willensbildung durch
ein europäischen Staatsvolk hegt. Insofern bietet Art. 191 EGV eine zukunftszugewandte Therapie
an: Europäische Parteien, die Integrationsinstrument für die Unionsbürger sein sollen. Europäische
Parteien sind in dieser Sicht Teil eines Prozesses, der abschlossen sein wird, wenn es ein
"europäisches Volk" geben wird. [...]
Sie sollen also den europäischen Willen – in einer gewissen Ablösung von den jetzt die
Legitimation der Gemeinschaftsrechtsausübung neben dem Europäischen Parlament "liefernden"
Staatsvölkern der Mitgliedstaaten bilden helfen. Die derzeitige Situation ist durch die Schwierigkeit
gekennzeichnet, die Kapteyn/Verloren van Themaat auf die Formel gebracht haben: "The members
of the European Parliament represent not only their own people, but also the other peoples of the
Community". [...] Dieser schwierige Befund muss sich im Begriff der Europäischen Partei
wiederfinden, da einerseits die gegenwärtige Befindlichkeit des europäischen Entscheidungssystem
reflektiert werden und andererseits funktional die oben beschriebene Entwicklungsschiene in den
Blick genommen werden muss.
Deshalb geht das Schrifttum zum Teil insoweit von einem "empirischen Begriff der Europäischen
Partei aus", [...] um wenigstens die "Parteienkonföderationen", die hinter der Fraktionsbildung im
Europaparlament stehen, als europäische Partei erfassen zu können. Diese Parteienkonföderationen
bleiben aber in dem beschriebenen Dilemma stecken. Als Dachorganisation auch für die
Fraktionsbildung können sie nicht darüber hinwegtäuschen, dass zwar die Fraktionen der
Willensbildung des Parlaments ihren Stempel aufdrücken und eben nicht die Parteien. [...] Im
übrigen sind diese Dachorganisationen ohne persönliche Mitgliedschaft von Unionsbürgern
ausgestaltet, sie leisten zwar inzwischen auch programmatische Arbeit für den europäischen
Willensbildungsprozess. Gemeinsame Listen haben sie indes für Wahlen bisher nicht präsentieren
können.
Der Begriff der europäischen politischen Partei wird deshalb anspruchsvoller sein müssen.
Insofern besteht auch im Schrifttum ein weitgehender Konsens, dass solche Parteien, neben anderen
Merkmalen eine transnationale Organisationsstruktur aufweisen müssen. [...] Dieses Erfordernis
transnationaler Organisationsstruktur mit unmittelbarer,, Mitgliedschaft von Unionsbürgern ohne
Rücksicht auf ihre Staatsangehörigkeit gehört auch zu dem vom Europäischen Parlament
inzwischen formulierten Modellvorstellungen. Nach der Entschließung vom 10. Dezember 1996
[...] sind prägende Merkmale einer europäischen politischen Partei:
- die Stellungnahme zur Europapolitik und das Vertretensein im Europaparlament oder eine
darauf gerichtete Absicht oder die sonstige Beteiligung am europäischem Willensbildungsprozess;
- eine Organisation zur Äußerung des politischen Willens von Unionsbürgern;
- eine Zielsetzung jenseits der Wahlkampfunterstützung für eine Fraktion im Europaparlament;
- eine transnationale Vertretung in mindestens einem Drittel der Mitgliedstaaten.
Damit ist klar, dass die NPD für sich aus dem europäischen Parteienrecht nichts herleiten kann.
In § 1 der Satzung [...] heißt es: "Die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) ist der
politische Zusammenschluss nationaler Deutscher aller Stände, Konfessionen, Landsmannschaften
und Weltanschauungen." Sie kann insoweit den Status einer europäischen Partei nicht für sich
beanspruchen. [...]
bb) Auch dem europäischen Wahlrecht lässt sich eine Sperrnorm für einen Verbotsantrag nicht
entnehmen. Art. 190 (ex-Art. 138) EGV enthält in Abs. 4 immer noch die unausgeführte
Regelungskompetenz für ein einheitliches europäisches Direktwahlrecht des Europäischen
Parlaments. Solange diese Regelungskompetenz nicht genutzt ist, bleibt es bei dem europäischen
Rahmen, den der "Beschluss und Akt zur Einführung allgemeiner unmittelbarer Wahlen der
Abgeordneten der Versammlung" (Direktwahlakte-DWA) vom 20. September 1976 [...] gegeben
hat. Die Direktwahlakte überlässt den Mitgliedstaaten das Wahlrecht zum Europäischen Parlament
sehr weitgehend. Insbesondere weist Art. 7 Abs. 2 DWA den Mitgliedstaaten die Regelung des
Wahlverfahrens "nach den innerstaatlichen Vorschriften" zu. Deshalb konnte die Bundesrepublik
auch eine 5-Prozent-Klausel im Europawahlgesetz (§ 2 Abs. 6 EuWG) vorsehen. [...]
Zu der Frage, ob ein Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaft ein Parteiverbot mit der Folge
der Illegalisierung der Partei und der daraus folgenden rechtlichen Unmöglichkeit an Wahlen
teilzunehmen und dem Mandatsverlust bei erfolgreicher Wahlteilnahme und nachgängigem Verbot
anordnen darf, setzt sich die Direktwahlakte nach ihrem Wortlaut nicht auseinander. Sie verweist
auch diese Frage (mindestens einstweilen) in die nationale Zuständigkeit. Das verdeutlicht
insbesondere Art. 12 Abs. 2, DWA. Danach wird die Kompetenz bezüglich der verbindlichen
Feststellung eines Mandatsverlustes zwischen dem Mitgliedstaat und dem europäischen Parlament
geteilt. Wenn das Freiwerden des Mandats seine Ursache in einer mitgliedstaatlichen Vorschrift hat,
so unterrichtet der Mitgliedstaat das Europäische Parlament, das. gegenüber einem solchen
Mandatsverlust keine eigene Entscheidungskompetenz hat, sondern den Mandatsverlust lediglich
zur Kenntnis nehmen kann. Das bedeutet aber, dass hier mittelbar zugleich die
Mandatsverlustgründe Sache des mitgliedschaftlichen Rechts sind, soweit europäische
Wahlrechtsgrundsätze dem nicht entgegenstehen.
Folglich ist es den Mitgliedstaaten freigestellt, ein Prinzip streitbarer Demokratie zu praktizieren.
Die Bundesrepublik Deutschland ist deshalb durch Europarecht nicht gehindert, in § 22 Abs. 2 Nr. 5
EuWG den Mandatsverlust bei der Feststellung der Verfassungswidrigkeit einer Partei durch das
Bundesverfassungsgericht vorzusehen. Deshalb kann auch aus dem Wahlrecht zum Europäischen
Parlament keine Sperrnorm gegen ein Parteiverbot entwickelt werden.
b) Das Verbotsverfahren ist auch nicht etwa so lange auszusetzen, bis der Europäische
Gerichtshof über eine Vorlagefrage entschieden haben wird, ob das Verbot einer Partei, die sich an
Wahlen zum europäischen Parlament beteiligt hat, mit Gemeinschaftsrecht vereinbar ist. Eine
solche Aussetzung kommt hier nicht in Betracht, weil das Bundesverfassungsgericht zur Einleitung
eines Vorabentscheidungsverfahrens nach Art. 234 EGV nicht verpflichtet ist. Das liegt allerdings
nicht etwa daran, dass Verfassungsgerichte nicht als letztinstanzliche Gerichte im Sinne von Art.
234 Abs. 3 EGV verstanden werden müssten. [...] Eine Vorlage ist aber dann nicht geboten, wenn
ein innerstaatliches Gericht nach einer an objektiven Maßstäben ausgerichteten Prüfung zu dem
Ergebnis kommt, dass die entscheidungserheblichen gemeinschaftsrechtlichen Normen nicht
mehrere, für einen kundigen Juristen vernünftigerweise gleichermaßen mögliche Auslegungen
zulassen, wobei auch das gesamte Gemeinschaftsrecht, seine Ziele und sein Entwicklungsstand z.B.
der Anwendung der betreffenden Vorschrift heranzuziehen ist. [...]
So liegen die Dinge hier: Die Frage nach einer Sperrnorm ist hier zwar ernst genommen worden,
es ist aber zweifelhaft, ob die Frage wirklich juristisch ernst ist. Dass die NPD keine "europäische
Partei" ist, ist angesichts ihrer Satzung evident. Ebenso evident ist, dass aus der Direktwahlakte
keine Sperrnorm gegen ein Parteiverbot zu entwickeln ist. Folglich gibt es keine Gründe von
hinreichendem Gewicht, dem EuGH eine diesbezügliche Auslegungsfrage zum europäischen Recht
vorzulegen.
4. [Vereinbarkeit des Parteiverbots mit der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK)]
Schließlich sei nur am Rande noch vermerkt, dass das angestrebte Parteiverbot auch mit der
Europäischen Menschenrechtskonvention vereinbar ist (unbeschadet der Frage, wie das Verhältnis
von Verfassungsrecht und den Rechten aus den EMRK zu bestimmen ist). Diese garantiert in Art.
11 Abs. 1 die Vereinigungsfreiheit und auch das Demokratieprinzip. [...] Die Vereinigungsfreiheit
aus Art. 11 EMRK gilt gewiss auch für politische Parteien, ist also Maßstabsnorm für Parteiverbote.
[...] Genauso klar ist aber auch, dass Parteiverbote grundsätzlich mit der EMRK vereinbar sein
können. Die Konvention sieht zum einen in Art. 11 Abs. 2 die Einschränkbarkeit durch Gesetz vor
(ein Erfordernis, dass durch die Verfassung zweifellos erfüllt wird) . Der Gesetzesvorbehalt wird
dadurch begrenzt, dass Einschränkungen unter anderem in einer demokratischen Gesellschaft im
Interesse der nationalen und öffentlichen Sicherheit notwendig sein müssen. Überdies sieht Art. 17
EMRK ebenfalls ein Missbrauchsverbot bezüglich der Rechte aus der EMKR vor. Deshalb ist die
Beschwerde der KPD wegen der Verletzung der EMRK durch das ihr gegenüber ergangene Verbot
der damals entscheidungsberufenen Europäischen Kommission für Menschenrechte auch
zurückgewiesen worden. [...] Die Kommission hatte damals angenommen, dass Art. 1-7 EMRK
praktisch denselben Zweck verfolge wie Art. 21 Abs. 2 GG; es solle das Aufkommen totalitärer
Gruppen verhindert werden, die sich auf die Grundrechte beriefen, um sie um so leichter vernichten
zu können. Deshalb hätten die Beschwerdeführer ihr Recht verwirkt, sich in diesem Verfahren auf
die Grundrechte der Konvention zu berufen.
Ob der EGMR diese Position heute noch bestätigen würde, ist zweifelhaft, weil die Große
Kammer in den vorzitierten Entscheidung en nicht mehr auf Art. 17 EMRK zurückgekommen ist.
Dass Parteiverbote aber dem Grunde mach mit dem EMRK vereinbar sind, bestätigt der Gerichtshof
gleichwohl. In der Entscheidung zur Kommunistischen Partei der Türkei vom 30. Juli 1998 heißt es
dazu: "Consequentley, the exceptions set out in Article 11 are, where political parties are concerned,
to be construed strictly; only convincing and copelling reasons can justify restrictions on suchs
parties' freedom of association." 'Convincing' und 'compelling' müssen auch nach nationalem Recht
die Gründe für eine Entscheidung nach Art. 21 Abs. 2 GG sein (s. sogleich die Ausführungen unter
B I). Das Gericht behält sich in diesem Zusammenhang nur die Prüfung vor: "It (gemeint ist: der
EGMR) must look at the interference complained of in the light of the cases as a whole and
determine whether it was 'proportionate for the legitimate aim pursued' and whether the reasons
adduced by the national authorities to justify it are 'relevant and sufficient'. In so doing, the Court
has to satisfy itself that the national authorities applied standards which were in conformity with the
principles embodied in Article 11 and, moreover, that they based their decisions on an acceptable
assessment of the relevant facts." (a.a.O., § 47) Damit ist klargestellt, dass der Mechanismus eines
Parteiverbots der EMKR nicht a limine widerspricht. Die von der EGMR geforderten Maßstäbe
sind mit denen kompatibel, die auch nach nationalem Recht zu fordern sind. Der Gerichtshof behält
sich allerdings die Prüfungskompetenz vor sowohl das nationale Recht wie seine Anwendung
"including the hose given by independent courts" (a.a.0. § 46) nachzuprüfen. Das aber ist
selbstverständlich.
B . Begründetheit des Antrags
I. Grundlagen verfassungsmäßiger Anwendung des Verbotsmaßstabs
1. Vorbemerkungen
Bevor nachgewiesen wird, dass die Tatbestandsmerkmale der Verbotsnorm des Art. 21 Abs. 2 GG
vorliegen, – unten B II und III will der Antragsteller darlegen, dass auch gegenwärtig unter den
Bedingungen einer im allgemeinen Bewusstsein festverankerten Verfassungsstaatlichkeit das
staatsrechtliche Konzept einer streitbaren bzw. wehrhaften Demokratie, soweit das Parteiverbot
betroffen ist, nicht an rechtlicher Bedeutung eingebüßt hat, dass seine Anwendung nicht etwa an
zeitbedingte Voraussetzungen geknüpft ist, die nicht mehr vorliegen – will der Antragsteller
darlegen, dass auch gegenwärtig unter den Bedingungen einer im allgemeinen Bewusstsein
festverankerten Verfassungsstaatlichkeit das staatsrechtliche Konzept einer streitbaren bzw.
wehrhaften Demokratie, soweit das Parteiverbot betroffen ist, nicht an rechtlicher Bedeutung
eingebüßt hat, dass seine Anwendung nicht etwa an zeitbedingte Voraussetzungen geknüpft ist, die
gegenwärtig – etwa wegen der gewachsenen Verankerung des Verfassungsstaates im allgemeinen
Bewusstsein – nicht mehr vorliegen.
Verfassungsrechtlich undenkbar wäre es immerhin nicht, dass eine Norm - auch eine
Verfassungsrechtsnorm - [...] ausführt, dass ein Wandel der Verhältnisse und Anschauungen zur
Verfassungswidrigkeit einer ursprünglich verfassungsmäßigen Regelung führen kann, "wenn sich
maßgebende Umstände so tiefgreifend und nachhaltig geändert haben, dass die gesetzliche
Regelung die ihr zu Grunde liegende Wertung sich als offensichtlich fehlsam und den
gegenwärtigen tatsächlichen Verhältnissen nicht mehr rechtwerdend" erweisen. [...] Der Gedanke,
Art. 21 Abs. 2 GG könne an einer aktuellen Geltungsschwäche leiden, ist im Schrifttum in der Tat
schon erwogen worden. So berichtet Hans Meyer, dass Ernst Friesenhahn auf einem ihm zu Ehren
veranstalteten Symposium "Bewährung und Bewahrung der Verfassung" 1983, bezweifelt hat, dass
das Parteiverbot nach so langer Zeit noch je einmal effektuiert werden könne. [...]
Auch Ernst Benda wendet sich zwar gegen den Gedanken der Obsolenz der Vorschrift, deutet
aber auch an, dass der Einwand denkbar wäre, das Konzept der "streitbaren Demokratie sei in einer
bestimmten historischen Situation entstanden, und in diesen 40 Jahren (1991) habe sich die
Situation in vielfältiger Beziehung geändert. Die Schlussfolgerung, dass damit der Normbestand
gefährdet sei, will Benda aber nicht ziehen, weil unter veränderten Umständen oder einer
veränderten Beurteilung es möglich wäre, das Instrument wieder einzusetzen. [...] Auch Christian
Pestalozza merkt an, Art. 21 Abs. 2 GG sowie Art. 18 GG und Art. 9 Abs. 2 GG "sind Ausdruck der
angesichts unserer Vergangenheit verständlichen Skepsis des Parlamentarischen Rates, ob sich
demokratische Vernunft allein mit Hilfe der allgemeinen Rechtsordnung, insbesondere des
allgemeinen Strafrechts und der Politik würde behauptet können. Heute, 40 Jahre danach, sollten
wir auf diese Vorschriften verzichten können." [...] K. Groh nimmt ausweislich des Titels ihres
Beitrages ZRP 2000, S. 500 ff.,Der NPD-Verbotsantrag - eine Reanimation der streitbaren
Demokratie' offenbar an, dass die streitbare Demokratie schon auf dem Sterbelager gelegen hatte.
Diese Außerungen belegen, dass es tunlich ist, die Anwendungsvoraussetzungen von Art. 21 Abs.
2 GG erneut zu reflektieren. Wenn auch eine Obsolenz der Vorschrift ernstlich nicht in Betracht
kommt, [...] so bietet die Vergewisserung über den Normzweck unter den Bedingung konsolidierter
Verfassungsstaatlichkeit doch die Gelegenheit, die Anwendungsvoraussetzungen der Norm zu
präzisieren.
2. Zur Rechtsgrundlage des Parteiverbots in Art. 21 Abs.2 GG
Die ohnehin mehr gegen die Legitimität, denn gegen die verfassungsrechtliche Legalität
erhobenen prinzipiellen Einwände gegen das Parteiverbot als Ausprägung der "streitbaren
Demokratie" greifen nicht durch. Art. 21 Abs. 2 GG konstituiert auch gegenwärtig eine immanente
Beschränkung des demokratischen Prinzips.
a) Vereinbarkeit von Art. 21 Abs. 2 GG mit dem Demokratieprinzip und den politischen
Freiheitsrechten
Als verfassungsunmittelbare Schranke der Freiheit der Parteien sieht Art. 21 Abs. 2 GG die
Möglichkeit vor, "Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf
ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder
den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden," für verfassungswidrig zu erklären
(sog. "Parteiverbot"). Dieser Normbefehl steht nicht in Widerspruch zu höherem oder
gleichrangigem Recht. Insbesondere handelt es sich beim Parteiverbot nicht wegen Verstoßes gegen
das grundrechtliche Demokratieprinzip oder die Meinungsfreiheit um verfassungswidriges
Verfassungsrecht.
Dabei kann hier dahinstehen, ob die Rechtsfigur verfassungswidrigen Verfassungsrechts für
Normen der ursprünglichen Fassung des Grundgesetzes überhaupt in Betracht kommen kann oder
ob nur verfassungsändernde Gesetze wegen der für den Verfassungsänderungsgesetzgeber zur
beachtenden Normen unterschiedlicher Geltungsstärke in der Verfassung (Art. 79 Abs. 3 i.V.m. Art.
1 Abs. 1 und Art. 20 GG) verfassungswidrig sein könne. Zu dieser Differenzierung zwischen
ursprünglichem und änderndem Verfassungsrecht [...] hat das Bundes- verfassungsgericht bereits im
dritten Band (S. 231 f.) im Zusammenhang mit dem damals hoch umstrittenen Art. 117 Abs. 1, Hs.
2 GG festgestellt: "Das Grundgesetz kann nur als Einheit begriffen werden. Daraus folgt, dass auf
der Ebene der Verfassung selbst ranghöhere und rangniedrigere Normen in dem Sinne, dass sie
aneinander gemessen werden könnten, grundsätzlich nicht denkbar sind. ... Es liegt im Wesen des
pouvoir constituant, dass er von seinen eigenen Grundsatznormen Ausnahmen statuieren kann, die
nach der Regel vom Vorrang der speziellen gegenüber der allgemeinen Norm zu beachten sind."
Das Gericht will nur gegebenenfalls Verstöße gegen überpositives Recht für theoretisch denkbar
halten, fügt dem aber gleich an: "Die Wahrscheinlichkeit, dass ein freiheitlich-demokratischer
Verfassungsgeber diese Grenzen irgendwo überschritte, ist freilich so gering, dass die theoretische
Möglichkeit originärer verfassungswidriger Verfassungsnormen' einer praktischen Unmöglichkeit
nahezu gleichkommt." Die verfassungsändernde Gewalt ist hingegen eine limitierte Gewalt, so dass
sie richterlich überprüft wird. [...]
aa) Das Bundesverfassungsgericht ist stets von der Gültigkeit der Verbotsnorm ausgegangen. [...]
Auch die verfassungsrechtliche Literatur geht einhellig von der Parteiverbotsnorm als geltendem
Verfassungsrecht aus. [...] Im übrigen wird zwar die Frage eines möglichen Widerspruchs zwischen
der Gewährung von Freiheit und ihrer gleichzeitigen Begrenzung erörtert, die Gültigkeit von Art. 21
Abs. 2 GG aber nicht erwähnt, sondern vorausgesetzt. [...] Selbst die schärfsten Kritiker (dazu
sogleich bb) - etwa Helmut Ridder oder Ekkehard Stein - bezweifeln die Verfassungmäßigkeit der
Parteiverbotsnorm nicht.
bb) Auch die Einwände, die gegen die Konzeption der "streitbaren" bzw. "wehrhaften"
Demokratie gerichtet sind, in die das Institut des Parteiverbots gem. Art. 21 Abs. 2 GG eingebettet
ist, führen zu keiner anderen Beurteilung. [...] Was die Begrifflichkeit der streitbaren Demokratie
betrifft, sind zwei denkbare Sichtweisen zu unterscheiden. Zum einem kann man darunter eine
Abbreviatur, einen Sammelbegriff für die Einzelnormen verstehen, mit denen das Grundgesetz sich
wehrhaft macht gegen bestimmte Erscheinungsformen der Verfassungszerstörung. Diese Sicht ist
sozusagen verfassungsrechtsdidaktisch und deshalb unproblematisch. [...] Umstritten ist
demgegenüber, ob und inwieweit die "wehrhafte" oder "streitbare" Demokratie den darüber
hinausweisenden Gehalt eines Prinzips hat mit der Folgefrage, ob das Ganze (das Prinzip) in der
Rechtsanwendung mehr ist als seine Bausteine.In der Judikatur des BVerfG zeigt sich ein Wandel
von einem engen zu einem weiteren Verständnis [...] Auch soweit die Annahme einer Entscheidung
für die "streitbare Demokratie" für grundsätzlich verfehlt gehalten wird, weil das Grundgesetz eine
Entscheidung für die Demokratie und nicht für deren Streitbarkeit getroffen habe, [...] folgt nach
dieser Auffassung daraus lediglich, dass Art. 21 Abs. 2 GG als Durchbrechung der Demokratie eine
begründungsbedürftige Ausnahme darstellt und das Parteiverbot mit besonderer Sorgfalt
anzuwenden ist. [...]
cc) Dass die grundgesetzliche Demokratie nach Maßgabe von Art. 21 Abs. 2 GG parteimäßig
organisierten "Verfassungsstörungen" entgegentreten darf, findet heute nicht mehr nur als
notwendige Reaktion auf die relativistische und wertneutrale Weimarer Verfassung in Lehre und
Rechtsprechung verfassungsrechtliche Anerkennung. [...] Dabei kommt es nicht darauf an, ob die
historisch-empirische Sicht des Parlamentarischen Rats aus heutiger historiographischer Perspektive
eher skeptisch zu beurteilen ist, [...] da sich die durch Art. 21 Abs. 2 GG konkretisierte Streitbarkeit
unabhängig davon sehr wohl als immanente Beschränkung des grundgesetzlichen
Demokratieprinzips begründen und sich die These widerlegen lässt, jede Verteidigung der
Demokratie verwickele diese zwangsläufig in einen Selbstwiderspruch. [...]
Ausgangspunkt ist auf der einen Seite die Besonderheit der Demokratie als einziger Staatsform
bzw. Form der Organisation politischer Willens- und Entscheidungs- bildungsprozesse, die sich
dauernd zur Diskussion und zur Kritik stellt, und deren Freiheitlichkeit sich im Schutz der gleichen
Freiheit Aller, vornehmlich in der Verteidigung der schwächsten Gruppen der Gesellschaft erweist.
[...] Dieser Ausgangspunkt lässt sich bereits in den Leitentscheidungen des
Bundesverfassungsgerichts nachweisen. [...] Danach gehört die Verfügbarkeit der jeweils
institutionalisierten politischen und rechtlichen Ordnung grundsätzlich zur demokratischen Freiheit.
[...] Folglich sind Eingriffe in den Prozess demokratischer Meinungs- und Willensbildung - und ein
solcher Eingriff ist auch das Parteiverbot in der Tat prekär und in besonderem Maße
rechtfertigungsbedürftig.
Ein Widerspruch zum Demokratieprinzip und zu den fur eine Demokratie konstitutiven
Freiheiten könnte ein Parteiverbot jedoch nur unter der zusätzlichen Prämisse sein, dass die
unbegrenzte demokratische Selbstthematisierung und Deliberation auch die Freiheit einschlösse,
nicht nur Kritik an der Demokratie, an demokratischen Institutionen und an den von
demokratischen Mehrheiten oder Regierungen verfolgten Programmatiken äußern zu dürfen, wie
radikal diese Kritik auch immer sein möge, sondern darüber hinaus gestatten müsse, die
Abschaffung der Demokratie zum Programm zu erheben und dieses Programm auch zu realisieren.
Diese Prämisse lässt sich jedoch den an Art. 20 Abs. 1 und 2 GG orientierten Konzeptionen von
Demokratie nicht entnehmen. Schon in der Entstehungsphase des Grundgesetzes ist die Frage
aufgeworfen worden, ob einer demokratischen Verfassungsurkunde "eine Hemmung gegen das
Recht auf Selbstmord" eingefügt werden sollte. [...]
Die Vorschriften über die streitbare Demokratie werden denn auch als Absage an die These
verstanden, die Demokratie müsse wegen ihrer freiheitlichen Ordnung auch ihre Abschaffung durch
Gegner dieser Staatsform hinnehmen, wenn es dafür legale Mehrheiten gebe. [...] Auch hat das
Bundesverfassungsgericht in seiner Rechtsprechung immer angenommen, dass bestimmte
Staatsfundamentalnormen auch der Verfügbarkeit im politischen Meinungskampf entzogen sind,
[...] um "die Legalisierung eines totalitären Regimes" zu verhindern. Die zum Demokratieprinzip
des Grundgesetzes entwickelten Konzeptionen konzentrieren sich auf "Art und Verfahren der
Konstituierung des demokratischen Gemeinwillens". Sie stimmen überein im Entwurf eines
komplexen Systems von Freiheiten und Bindungen, von Kompetenzen und Kontrollen,
- das sich aus dem Zusammenspiel von Volkssouveränität und Menschenrechten ergibt,
- das besonders deutlich im Vorrang der Verfassung und in dem von Art. 79 Abs. 3 GG
umrissenen änderungsfesten Kern zutage tritt [...] und
- das nur den Schluss zulässt, dass das menschen- und freiheitsrechtliche, demokratische
Fundament des Ganzen unverfügbar ist, d. h. weder zur Disposition des einfachen Gesetzgebers
noch des verfassungsändernden Gesetzgebers noch des Souveräns oder gar einzelner parteimäßig
organisierter Teile desselben stehen soll. [...]
Nahezu einhellig begründen Lehre und Rechtsprechung also weder die notwendige
Verteidigungsunfähigkeit von Demokratie, noch zielen sie darauf ab, eine bestimmte Form der
Institutionalisierung einer freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder gar bestimmte Inhalte
als Ergebnis demokratischer Herrschaftsausübung zu sichern. Im Zentrum der Überlegungen steht
vielmehr die Offenheit des politischen Prozesses und dessen experimenteller Charakter, die beide
gerade "die Möglichkeit [implizieren], solche Inhalte neu zu beschließen oder an bestehenden
festzuhalten." [...] Dem gemäß gehören zu den Bedingungen demokratischer Willensbildung die
"dauernde Offenheit des politischen Prozesses" und die Möglichkeit der Selbstkorrektur. D. h. es
müssen "inhaltliche Entscheidungen, mögen sie so oder anders getroffen sein, revidierbar" sein. Die
inhaltlichen Entscheidungen "können in Frage gestellt und neu bedacht, abgeändert oder bestätigt
werden. Nicht schon, wenn inhaltlich ungerechte Entscheidungen ergehen, wohl aber, wenn dieses
Fundament in Frage gestellt oder ausgehöhlt wird, hebt Demokratie sich auf." [...]
Das grundgesetzliche Demokratieprinzip gebietet also, nicht nur einer Bürgerschaft zu jeder Zeit
ein Recht auf politische Selbstbestimmung und Selbstkorrektur einzuräumen, sondern impliziert
zugleich die Verpflichtung, die Integrität des demokratischen Prinzips zum Schutz der Rechte
überstimmter Minderheiten zu wahren. [...] Das Verfassungsprinzip der Demokratie darf nicht zur
Disposition, einer Majorität oder einer Minorität gestellt werden. Sonst würde man dem von der
Aufhebung dieses Prinzips unmittelbar Betroffenen und einer späteren Generation die Möglichkeit
zur demokratischen Selbstkorrektur vorenthalten und damit gegen das Demokratieprinzip
verstoßen. Folglich erweist sich die Verteidigung des grundgesetzlichen Demokratleprinzips nicht
als dessen äußere Schranke oder als Antinomie, sondern als immanente Beschränkung.
Selbst unter Berücksichtigung der Schwere eines solchen Eingriffs aktualisiert das Verbot einer
Partei, welche meint, zur Durchsetzung ihrer mit absolutem Geltungsanspruch ausgestatteten
Ideologie die für alle geltenden demokratischen Prinzipien, Verfahren und Institutionen missachten
und insbesondere die politischen Gegner zu Feinden erklären, mit Gewalt bedrohen und sie nach
der Machterlangung vom politischen Prozess ausschließen zu dürfen, eine Selbstbeschränkung des
demokratischen Prinzips. Den internen Zusammenhang zwischen dem demokratischen Prinzip und
seiner immanenten Beschränkung hat D. Grimm zusammenfassend formuliert: "In der Tat liegt im
Verbot einer politischen Partei ein außerordentlich schwerer staatlicher Eingriff in die Offenheit und
Unabschließbarkeit des politischen Prozesses. Er lässt sich nur im Interesse eben dieser Offenheit
und Unabschließbarkeit rechtfertigen. Gehören sie zu den Konstitutionsbedingungen der
grundgesetzlichen Demokratie, dann dürfen sie ihrerseits nicht zur demokratischen Disposition
stehen." [...] Aufgrund seiner gründlichen Untersuchung des amerikanischen Verfassungsrechts
kommt H. Steinberger ebenfalls zu diesem Schluss. Die Freiheit der geistigen und politischen
Auseinandersetzung ist dem Wandel gegenüber offen und erstreckt sich gerade auch auf das
disagreement on fundamentals", ein Verhalten jedoch, welches diese Offenheit zu beseitigen
trachtet, verliert seine Legitimation aus der Idee der Freiheit. "Selbstzerstörung ist nicht der Sinn
der Freiheit und gewiß auch kein Auslegungsprinzip freiheitlichen Verfassungsrechts." [...]
b) Art. 21 Abs. 2 GG aus demokratietheoretischer Sicht
Nicht unmittelbar verfassungsrechtliche und an der Konzeption des Grundgesetzes orientierte,
sondern philosophische oder politologische Demokratietheorien, stützen die hier dargelegte
Auffassung. Auch soweit sie den demokratischen Prozess in der politischen Autonomie der Bürger
gründen, dem Schutz überstimmter Minderheiten gegenüber der Mehrheit einen prinzipiellen
Vorrang einräumen, die Legitimität des unabschließbaren Diskurses über die Legitimität betonen
oder Demokratie als nicht-staatliche und daher von staatlichen Interventionen grundsätzlich frei zu
haltende Veranstaltung konzipieren, liefern sie die Demokratie nicht Bestrebungen aus, die auf die
Abschaffung der Demokratie hinausliefen. Solche theoretischen Ansätze teilen insofern ein
anspruchsvolles - und auch grundgesetznahes - Konzept von Demokratie, als letztere allen
Teilnehmern demokratischer Prozesse ein Element der Anerkennung abverlangt, nämlich die
wechselseitige Anerkennung ihrer individuellen Autonomie, des weltanschaulichen Pluralismus und
vor allem der gleichen Freiheit aller Bürgerinnen und Bürger. [...]
Diese Anerkennung hat Folgen für die Austragung politischer Kontroversen. Sie impliziert
nämlich ein Minimum demokratischer Selbstdisziplinierung: die Wahrung der unverzichtbaren
"fairen Bedingungen politischer Kooperation auf der Grundlage gegenseitiger Achtung" (John
Rawls, Gerechtigkeit als Fairneß: politisch und nicht metaphysisch). Diesen Achtungsanspruch, den
freie und gleiche Bürger vernünftigerweise erheben dürfen und den Demokratie als faires
Kooperationssystem zur Geltung bringt, verletzt, wer sich mit der Anwendung von Gewalt ein
Sonderrecht gegenüber seinen Mitbürgern und mit Feinderklärungen ein politisches
Ausbürgerungsrecht zu Lasten der Gegner anmaßt, wer also die Ebene gleicher Freiheit verlässt,
den Modus demokratischer Deliberation und der Ausübung kommunikativ erzeugter Macht
durchbricht. [...] Eine solche Anmaßung und Missachtung hat in der Demokratie keinen
demokratietheoretisch ausweisbaren Platz und kann nicht unter Berufung auf eben das
demokratische Prinzip legitimiert werden. Viel weniger noch muss sie im Namen der Demokratie
oder der demokratischen Freiheiten toleriert werden.
Das Verbot verfassungsfeindlicher Parteien schützt also die vom Demokratieprinzip gewollte,
Herrschaftsausübung des Volkes nach Maßgabe der Verfassung. Die dahinter stehende Grundidee ist
ersichtlich zeitlos und nicht von konkreten Bedrohungsszenarien abhängig. Deshalb betont Wilhelm
Henke ganz zu recht, dass das Parteienverbot zu jenen Sicherheitsvorkehrungen gehört, "die auch
durch langen Nichtgebrauch keineswegs überflüssig werden." [...]
3. Anwendungsbedingungen von Art. 21 Abs. 2 GG
Auch die Einwände, die sich nicht gegen die grundsätzliche Legitimation von Parteiverboten,
sondern ihre missbräuchliche Anwendung richten, greifen nicht durch. Mit der
verfassungsrechtlichen (wie auch demokratietheoretischen) Legitimierung von Parteiverboten als
dem Grunde nach zulässiger Konkretisierung einer dem demokratischen Prinzip als eines Systems
fairer Kooperation immanenten Beschränkung verlagern sich etwaige Bedenken und Einwände
gegen Art. 21 Abs. 2 GG allenfalls auf die Ebene der tatbestandlichen Voraussetzungen und
Anwendung im Einzelfall- Es geht also verfassungsrechtlich (und demokratietheoretisch) nicht
mehr um die Frage, ob eine Demokratie und ihr grundrechtliches Fundament verteidigt werden
dürfen, sondern darum zu bestimmen, jenseits welcher Grenze und auf welche Weise demokratische
Selbstverteidigung in rechtsstaatlichen Formen durchgeführt werden kann. [...]
Generell wird diese Norm, weil bereits das Ziel der Beeinträchtigung der freiheitlichen
demokratischen Grundordnung ausreichen soll, als "Bestrebungstatbestand mit ausgeprägtem
Präventivcharakter" bezeichnet. [...] Die dem zulässigen demokratischen "Selbstschutz"
immanenten Risiken in Hinsicht auf eine offene demokratische Meinungs und Willensbildung und speziell durch Parteiverbote - für ein pluralistisches, "nicht-lizenziertes" Parteiensystem lassen sich
nicht unter Hinweis auf den notwendigen Präventivcharakter überspielen. Vielmehr sind
Sicherungen geboten, welche die Risiken eines Missbrauchs minimieren und insbesondere
verhindern, dass unter Rückgriff auf Art. 21 Abs. 2 GG lediglich unliebsame politische Gegner nach
Belieben ausgeschaltet werden.
a) Der Missbrauchsgefahr wirken zunächst die vorgesehenen rechtsstaatlichen Sicherungen
entgegen - die Monopolisierung der Entscheidung über die Verfassungswidrigkeit von Parteien
beim Bundesverfassungsgericht und verlässliche verfahrensrechtliche Regelungen (§§ 43 ff.
BVerfGG). Diese gewährleisten, dass einer von einem Verbotsantrag betroffenen Partei die
Möglichkeit offen steht, ihre Verfassungsmäßigkeit darzulegen. [...]
b) Hinsichtlich der Auslegung von Art. 21 Abs. 2 GG errichtet die in diese Norm eingelassene,
doppelte Schutzwirkung eine weitere Missbrauchssperre: Geschützt wird nicht nur vor
verfassungswidrigen Parteien, sondern geschützt werden auch die Parteien vor einem
verfassungswidrigen Verbot. [...] Diese doppelte Schutzwirkung bringt sowohl die Offenheit und
Integrität des demokratischen Prozesses wie auch die Bedeutung der Parteien, die
verfassungsrechtlich verbürgte Parteienfreiheit (Art. 21 Abs. 1 GG) sowie die diese stützenden
Konnexgarantien politischer Kommunikation zur Geltung.
c) Bei der Auslegung und Anwendung von Art. 21 Abs. 2 GG ist ferner zu berücksichtigen, dass
die Abwehr politischer Gefahren bzw. von "Verfassungsstörungen" nicht nur in den Wettbewerb der
Parteien eingreift. Betroffen ist zugleich die Freiheit der politischen Kommunikation der in der
Partei organisierten Mitglieder. Zwar sind ihnen nicht Meinungsäußerungen schlechthin untersagt,
wohl aber das Werben für die für verfassungswidrig erklärte Parteiprogrammatik. Gemäß der
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts genießt insbesondere die Meinungsfreiheit als eine
für Demokratie konstitutive Freiheit den besonderen Schutz der Verfassung. Aus dieser Bedeutung
lässt sich auch im Kontext von Parteiverbotsverfahren die Regel ableiten, dass hinsichtlich bloßer
Äußerungen, die einen Bezug zur öffentlichen Meinungsbildung haben, eine "Vermutung zugunsten
der Freiheit der Rede" gilt. [...] Diese Vermutung wird seit dem Lüth-Urteil von der Rechtsprechung
des Bundesverfassungsgerichts bekräftigt. [...]
d) Den Gefahren einer missbräuchlichen Anwendung von Art. 21 Abs. 2 GG begegnet, wie im
Folgenden unter B II 3 ausgeführt wird, vor allem eine restriktive Interpretation der tatbestandlichen
Voraussetzungen. So hat das Bundesverfassungsgericht betont, es genüge nicht, wenn eine Partei
einzelne Bestimmungen oder sogar ganze Institutionen des Grundgesetzes ablehnt, vielmehr muss
sie "die obersten Werte der Verfassungsordnung, die elementaren Verfassungsgrundsätze, die die
Verfassungsordnung zu einer freiheitlichen demokratischen machen", verwerfen (BVerfGE 5, 85).
[...]
4. Tatbestandsvoraussetzungen
Die befürchtete missbräuchliche Anwendung von Art. 21 Abs. 2 GG lässt sich durch eine am
demokratischen Prinzip, an der doppelten Schutzwirkung und am Ausnahmecharakter dieser Norm
orientierten restriktiven Auslegung der Tatbestandsvoraussetzungen ausräumen.
a) Schutzgüter
Ein begründeter Antrag auf Erklärung der Verfassungswidrigkeit einer Partei setzt voraus, dass
eines der in Art. 21 Abs. 2 S. 1 GG aufgeführten Schutzgüter -die freiheitliche demokratische
Grundordnung oder der Bestand der Bundesrepublik Deutschland - nach Maßgabe der dort
geregelten Intensitätsstufen durch Beseitigung oder Beeinträchtigung bzw. Gefährdung betroffen ist.
Eine Gefährdung des Bestandes der Bundesrepublik Deutschland ist durch die Existenz,
Programmatik und Aktivitäten der NPD und ihres Umfeldes derzeit nicht zu besorgen. Daher
erübrigen sich Ausführungen zu diesem Schutzgut in diesem Verfahren. Nach ihren Zielen und nach
dem Verhalten ihrer Anhänger geht diese Partei je'doch darauf aus, wie unter II und III ausgeführt,
die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beseitigen und zu beeinträchtigen.
aa) Das Bundesverfassungsgericht hat die freiheitliche demokratische Grundordnung als eine
Ordnung bestimmt, "die unter Ausschluß jeglicher Gewalt- und Willkürherrschaft eine
rechtsstaatliche Herrschaftsordnung auf der Grundlage der Selbstbestimmung des Volkes nach dem
Willen der jeweiligen Mehrheit und der Freiheit und Gleichheit darstellt. Zu den grundlegenden
Prinzipien dieser Ordnung sind mindestens zu rechnen: die Achtung vor den im Grundgesetz
konkretisierten Menschenrechten, vor allem vor dem Recht der Persönlichkeit auf Leben und freie
Entfaltung, die Volkssouveränität, die Gewaltenteilung, die Verantwortlichkeit der Regierung, die
Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, die Unabhängigkeit der Gerichte, das Mehrparteienprinzip und
die Chancengleichheit für alle politischen Parteien mit dem Recht auf verfassungsmäßige Bildung
und Ausübung einer Opposition." (BVerfGE 2, 1). [...] Vom Bundesverfassungsgericht ist diese
Formel in späteren Entscheidungen bestätigt worden. Dabei sind - je nach Entscheidungskontext Schwerpunkte gesetzt worden; das Bundesverfassungsgericht wendet die Formel durchaus nicht
schematisch an. [...] Hervorzuheben ist, dass die Achtung der Menschenrechte an der Spitze der
Aufzählung steht.
bb) Gemeinsamer Bezugspunkt der verschiedenen Aussagen des Bundesverfassungsgerichts ist
die Sicherung der Offenheit und Freiheitlichkeit des demokratischen Willensbildungsprozesses.
Eine besondere Akzentsetzung erfährt die pluralistische Freiheit und demokratische
Chancengleichheit, womit Struktur und Form des politischen Prozesses geschützt werden, nicht
aber bestimmte Inhalte der Politik. [...] Die an der Demokratiekonzeption des Grundgesetzes und an
den oben erörterten Leitlinien ausgerichtete Konkretisierung der freiheitlich demokratischen
Grundordnung rückt damit neben den Menschenrechten den funktionellen Gesichtspunkt der
Integrität der grundlegenden demokratischen Verfahrens- und Organisationsprinzipien in den
Vordergrund und ist wohl eher enger zu fassen als Art. 79 Abs. 3 GG. [...] Die grundsätzliche
Offenheit des politischen Prozesses des Grundgesetzes auch für Fundamentalkritik gebietet die
Unterscheidung zwischen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung als solcher und der
konkreten Ordnung, die mit dem Grundgesetz errichtet wurde. [...] Bereits in der SRP-Entscheidung
hat das Bundesverfassungsgericht darauf hingewiesen, dass die freiheitliche demokratische
Grundordnung nicht "mit den Formen, in denen sie im Staat Gestalt annehmen kann," verwechselt
werden darf. (BVerfGE 2, 1) Dem gemäß werden nur die schlechthin konstitutiven Grundlagen
einer freiheitlichen Demokratie und nur die Verfassungsbestimmungen, die eben diese verbürgen,
vom Demokratieprinzip selbst vor ihrer Abschaffung geschützt. Alle anderen Institutionen,
Verfahren und Regelungen hingegen werden gegen Kritik, ja auch die Forderung nach ihrer
Abschaffung nicht in Schutz genommen. Diese restriktive Interpretation der "Makrostruktur" des
Schutzgutes "freiheitliche demokratische Grundordnung" aktualisiert damit die immanente
Beschränkung des demokratischen Prinzips. [...]
b) Intensität der Störung des Schutzgutes
Die Feststellung der Verfassungswidrigkeit einer Partei setzt eine Störung des Schutzgutes
voraus. Hinsichtlich der Intensität einer solchen Störung lässt Art. 21 Abs. 2 GG die beiden
Alternativen "beeinträchtigen" und "beseitigen" zu. Es besteht Einigkeit darüber, dass der Begriff
des "Beeinträchtigens" weiter ist als der Begriff des "Beseitigens" [...] und deshalb der Präzisierung
bedarf. Zur Verhinderung einer missbräuchlichen Ausdehnung des Geltungsbefehls von Art. 21 Abs.
2 GG und einer übermäßigen Anwendung des Instruments des Parteiverbots erscheint allerdings
eine Differenzierung zwischen "Beseitigung" und "Beeinträchtigung", zumal im Kontext einer
konsolidierten Demokratie, auch deshalb geboten, weil zu diesen Tatbestandsvoraussetzungen nicht
auf eine einmütige Auffassung zurückgegriffen werden kann. An "Beeinträchtigungen" sind erhöhte
Anforderungen zu stellen. [...]
Die Worte "zu beeinträchtigen" waren nämlich durch den Hauptausschuss des Parlamentarischen
Rates zunächst gestrichen worden. Diese Streichung ist aber dann in den weiteren Textberatungen
nicht berücksichtigt worden. [...] Ob man deshalb von einem "Redaktionsversehen" sprechen kann,
[...] ist indes nicht so sicher. Der Text der Parteiverbotsnorm ist nämlich auch nach dieser für das
weitere Verfahren unbeachtet gebliebenen Streichung noch Gegenstand reflektierter
Normveränderungen gewesen. In den weiteren Beratungen ist die mangelnde Präzision des
Rechtsbegriffs "Beeinträchtigung" (das war der Grund für die Streichung im Hauptausschuss) nicht
mehr geltend gemacht worden. Es handelt sich jedenfalls um eine markante Irregularität in der
Normentstehung. Das Erfordernis einer engen Auslegung des Ausnahmetatbestands Art. 21 Abs. 2
GG wird von einigen Autoren in die Forderung übersetzt, dass die Beeinträchtigung der
freiheitlichen demokratischen Grundordnung wesentlich sein müsse. [...] Diese Auffassung vermag
nicht zu überzeugen, da das Schutzgut freiheitliche demokratische Grundordnung ohnehin nur
wesentliche Elemente umfasst. Näher liegt, die Beeinträchtigung als auf eine teilweise Beseitigung
der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zielend zu verstehen. [...] Diese Auslegung wahrt
die aus dem Blickwinkel des Rechtsstaatsprinzips gebotene Symmetrie zwischen "Beseitigung" und
"Beeinträchtigung" und orientiert die "Wesentlichkeit" nicht tautologisch am Schutzgut, sondern
systematisch richtig an der Intensitätsstufen der Verfassungsstörung: Beeinträchtigung als erste
Stufe, Beseitigung als zweite Stufe, wobei beides prozesshaft gekoppelt ist. Zugleich bringt sie den
präventiven Schutz des demokratischen Prinzips dadurch zur Geltung, dass sie einer Partei den Weg
verlegt, sich durch das (Lippen-)Bekenntnis zu einem Teil der freiheitlichen demokratischen
Grundordnung der Gefahr eines Verbots zu entziehen. [...]
c) Modalität der Störung: "Darauf ausgehen" als planvolles Handeln
Die betroffene Partei muss nach dem Wortlaut von Art. 21 Abs. 2 GG "darauf ausgehen", das
Schutzgut der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen.
Damit ist ein weiteres ausdrücklich in der Norm enthaltenes Tatbestandsmerkmal genannt. Der
Begriff des "Darauf-ausgehens" präzisiert die Modalität der "Verfassungsstörung" durch Einführung
einer zeitlichen und teleologischen Dimension und stellt damit entscheidende Weichen für die
Erfassung der Struktur des Tatbestandes im Ganzen. [...] Nach dem Wortlaut könnte ein "Daraufausgehen" bereits in der Kundgabe einer Absicht liegen. Die Verwendung des Wortes "gehen" in
Art. 21 Abs. 2 S. 1 GG spricht jedoch dafür, dass sich die Partei bereits in die Richtung auf ein von
ihr verfolgtes Ziel hinbewegt haben muss. [...]
Das Bundesverfassungsgericht hat im KPD-Urteil diese Auslegung präzisiert "Eine Partei ist
auch nicht schon dann verfassungswidrig, wenn sie diese obersten Prinzipien einer freiheitlichen
demokratischen Grundordnung nicht anerkennt, sie ablehnt, ihnen andere entgegensetzt. Es muss
vielmehr eine aktiv kämpferische, aggressive Haltung gegenüber der bestehenden Ordnung
hinzukommen; sie muss planvoll das Funktionieren dieser Ordnung selbst beseitigen wollen. Das
bedeutet, dass der freiheitlich-demokratische Staat gegen Parteien mit einer ihm feindlichen
Zielrichtung nicht von sich aus vorgeht; er verhält sich vielmehr defensiv, er wehrt lediglich
Angriffe auf seine Grundordnung ab." (BVerfGE 5, 85) [...] Das Erfordernis einer kämpferischaggressiven Haltung, zu der als aktives Moment ein planvolles Vorgehen hinzutritt, betont den
Defensivcharakter von Art. 21 Abs. 2 GG und stellt zugleich sicher, dass die geäußerte Gesinnung
und bloße Kritik, auch Fundamentalkritik an einer freiheitlichen demokratischen Ordnung für sich
genommen ein Parteiverbot nicht auslösen. Daraus folgt, dass für das "Darauf-ausgehen" die bloße
Kundgabe verfassungswidriger Absichten nicht genügt. [...]
Teilweise wird für die Feststellung, ob ein entsprechendes Tätigwerden vorliegt, die
strafrechtliche Versuchsdogmatik herangezogen. [...] Einigkeit herrscht jedoch darüber, dass dieses
Tätigwerden unterhalb der Schwelle eines hochverräterischen Unternehmens i.S.v. § 81 StGB liegt,
[...] dass Art. 21 Abs. 2 S. 1 GG nicht erst den gewaltsamen Umsturz und seine Vorbereitung erfasst.
Ein "Darauf-ausgehen" kennzeichnet vielmehr ein zielstrebiges Handeln, welches möglicherweise
gewalttätig sein kann, es aber nicht notwendigerweise sein muss. Für diese Auslegung spricht nicht
nur der Wortlaut, sondern auch die Systematik. In der ursprünglichen Textfassung des
Grundgesetzes gab es mit dem 1951 aufgehobenen Strafrechtsänderungsgesetz vom 30. 8. 1951,
BGBl. I, S. 739, Art. 143 GG eine Vorschrift, die den gewaltsamen Umsturz unter Strafe stellte,
während in Art. 21 Abs. 2 GG gerade auf den Begriff der Gewalt verzichtet wurde. [...] Auch ein
Vergleich mit Art. 18 GG zeigt, dass Art. 21 Abs. 2 S. 1 GG keine Gewalt voraussetzt. Während die
Formulierung in Art. 18 GG - "zum Kampfe" - noch eine deutliche militante Tendenz aufweist, ist
diese beim bloßen "Darauf-ausgehen" nicht feststellbar. Die Anwendung von Gewalt ist demnach
nicht Teil der Tatbestandsvoraussetzungen von Art. 21 Abs. 2 GG. [...]
Das Bundesverfassungsgericht hat sich in der KPD-Entscheidung, die von ihren Kritikern, für die
Ansicht zitiert wird, es genüge die Kundgabe der Absicht, [...] missverständlich geäußert. Einerseits
hat es das Argument der Antragsgegnerin zurückgewiesen, das Tatbestandsmerkmal "darauf
ausgehen" erfordere mehr als nur eine Absicht, nämlich ein Tätigwerden, weil ein solches
Erfordernis praktisch bedeuten würde, die Erfüllung des Tatbestandes von § 81 StGB zu verlangen.
(BVerfGE 5, 85) Andererseits hat das Gericht in den folgenden Überlegungen festgestellt, diese
Absicht müsse "so weit in Handlungen (das sind u.U. auch programmatische Reden
verantwortlicher Persönlichkeiten) zum Ausdruck kommen, dass sie als planvoll verfolgtes
politisches Vorgehen der Partei erkennbar wird." (BVerfGE 5, 85) Zwar lehnt das Gericht den
Rekurs auf die strafrechtliche Versuchs- oder Vorbereitungsdogmatik ab, konkretisiert jedoch die
tatbestandlich relevanten Verhaltensweisen als "planvoll verfolgtes politisches Vorgehen", das in
Handlungen, wie z.B. in programmatischen Reden verantwortlicher Persönlichkeiten, zutage tritt.
[...] Die Kritik, das BVerfG habe das "Darauf-ausgehen" als bloße Absicht interpretiert, trifft nicht
zu. [...] Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass das "Darauf-ausgehen" im Sinne einer
am demokratischen Prinzip und den diesen korrespondierenden Freiheiten ausgerichteten
Auslegung von Art. 21 Abs. 2 GG gewährleistet, dass nur solche gegen die freiheitliche
demokratische Grundordnung gerichteten Ideen tatbestandsmäßig sind, die erstens den "politischen
Kurs der Partei" zum Ausdruck bringen, [...] und zweitens sich in planvollem Handeln
manifestieren, mit dem die Partei ihre politischen Ziele in politische Praxis umsetzt. Als solche
Handlungen kommen die Formen nicht zuletzt öffentlicher Auseinandersetzung, die Darstellung
eigener Positionen sowie die Schulungen von Funktionären und Mitgliedern in Betracht. [...] Neben
das subjektive Element der Zielsetzung (etwa im Parteiprogramm) tritt damit ein objektives
Moment, das der Zielverfolgung. [...]
d) Verantwortlichkeit der Partei und Kriterien der Zurechnung
Art. 21 Abs. 2 GG setzt voraus, dass die Partei "nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer
Anhänger" darauf ausgeht, das Schutzgut der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu
beeinträchtigen. Bereits der Wortlaut macht mit der zweifachen Verwendung von "nach" deutlich,
dass es hier um die Kriterien der Zurechnung des verfassungsstörenden Verhaltens zu einer Partei
geht. Die mit den beiden Tatbestandsmerkmalen "Ziele" und "Verhalten" vorgegebene
Unterscheidung betrifft zwei unterschiedliche Ebenen, die Politikinhalte und die Politikform. [...]
aa) Das Tatbestandsmerkmal "Ziele" wird teilweise für entbehrlich gehalten, weil bereits das
"Darauf-ausgehen" notwendig die Prüfung der Ziele beinhalte. [...] Dies trifft nur dann zu, wenn die
Ziele isoliert betrachtet werden. Der Wortlaut stellt jedoch eine eindeutige Verbindung her zwischen
Parteien und ihren politischen Zielen und unterscheidet diese von der Absicht der Beeinträchtigung
oder Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Damit erhält das Merkmal
"nach ihren Zielen" als Zurechnungskriterium eine eigenständige Begrenzungsfunktion. Während
das "Darauf-ausgehen" planvolles Verhalten im oben definierten Sinne fordert, wird auf der Ebene
der Zurechnung anhand des Kriteriums "Ziele" gefragt, ob diese Absicht den Zielen der Partei
entspricht. Bei der Anwendung von Art. 21 Abs. 2 GG ist folglich zu prüfen, was als Ziel der Partei
gelten kann. Diese Auslegung ermöglicht eine sinnvolle Unterscheidung zwischen beiden
Tatbestandsmerkmalen. Solche Vorgehensweise entspricht der Auslegungsregel, wonach Normen so
auszulegen sind, dass sie nichts Überflüssiges enthalten; resp. jedes normative Tatbestandsmerkmal
möglichst eigenständige Bedeutung haben soll.
Primäre Quelle für die Feststellung der Ziele einer Partei sind das Parteiprogramm und sonstige
ersichtlich programmatische Äußerungen. Es ist eine authentische, von der Partei selbst zumeist
lange vor einem Verbotsverfahren formulierte, schriftliche Grundlage. Daraus ist allerdings nicht zu
folgern, dass das Parteiprogramm die einzige oder auch nur die entscheidende Erkenntnisquelle
darstellt. Vor dem Hintergrund der Sanktionsmöglichkeit nach Art. 21 Abs. 2 GG ist der Stellenwert
des Parteiprogramms zu relativieren. [...] Anderenfalls würde eine Partei bereits durch eine
vieldeutige Formulierung ihres Programms ein Verbot aufgrund ihrer Zielsetzungen unterlaufen
können. So war das Programm der SRP sehr allgemein und unverbindlich gehalten und hatte nur
geringen Erkenntniswert für die Feststellung der Ziele der Partei [...]. Es wird zwar zu Recht darauf
hingewiesen, dass legale politische Parteien keine Geheimbünde sind und deshalb die
grundlegenden politischen Vorstellungen in den Programmen formuliert werden. [...]
Andererseits ist nicht anzunehmen, dass eine Partei angesichts von Art. 21 Abs. 2 GG ihre
verfassungswidrigen Ziele offen und ausdrücklich in ihrem Parteiprogramm formuliert. Vor diesem
Hintergrund ist die Einschätzung des Bundesverfassungsgerichts aus dem SRP-Urteil nach wie vor
zutreffend, dass die Verfolgung des Ziels, die bestehende Ordnung zu beseitigen oder zu
beeinträchtigen, jedenfalls auch, wenn nicht vorrangig mit verdeckten Mitteln innerer Zersetzung
betrieben wird. Die offene Propagierung einer verfassungswidrigen Programmatik erfolgt
realistischer Weise erst dann, wenn die politische Macht errungen oder zumindest beträchtlich
geworden ist. Vor diesem Zeitpunkt sind Loyalitätserklärungen und Lippenbekenntnisse zur
demokratischen Verfassung von geringem Beweiswert. [...] Einer Partei wird damit keine
geheimbündlerische oder verschwörerische Tätigkeit, sondern nur ein - im Sinne ihrer Absichten politisch reflektiertes oder strategisch geschicktes Verhalten unterstellt.
Das Parteiprogramm oder auch programmatische Erklärungen von Funktionären verlieren ihren
Erkenntniswert ganz offensichtlich, wennangesichts eines drohenden Verbotsverfahrens
"Bereinigungen" vorgenommen werden. Auch das Abweichen der Führungskader in der
Tagespolitik von den programmatischen Grundlinien reduziert deren Erkenntniswert beträchtlich.
[...] Bei der Feststellung der Ziele mittels anderer Quellen als dem Parteiprogramm ist sowohl aus
rechtsstaatlichen Gründen als auch im Lichte des demokratischen Prinzips insofern Zurückhaltung
geboten, als der Partei nicht zugerechnet werden darf, was sie nicht zu verantworten hat. Bei der
Würdigung von Äußerungen sind drei Aspekte entscheidend:
- Erstens muss die sich äußernde Person legitimiert sein, für die Partei zu sprechen. Die
Legitimation kann formal auf der Stellung in der Partei (Funktionäre) beruhen oder darauf, dass die
Äußerung in Parteiorganen publiziert oder dass sie vom offiziellen Redner auf
Parteiveranstaltungen herrührt. Es kommt also auf die Unterstützung oder Duldung (auch im Sinne
des Sich-Nicht-Distanzierens) solcher Äußerungen durch die zuständigen Gremien der Partei an.
- Zweitens ist zu verlangen, dass die Äußerungen aus verlässlicher Quelle belegt sind.
Demzufolge haben schriftliche Äußerungen grundsätzlich den verlässlichsten Beweiswert. Es
kommen aber selbstverständlich auch zeugenschaftliche Nachweise in Betracht. Gerade dann wenn
sich eine Partei oder ihre Führung bewusst in der Öffentlichkeit verstellt, kann eine Vielzahl
verfassungswidriger mündlicher Äußerungen eine Programmatik erkennen lassen, die erheblich von
der veröffentlichten abweicht.
- Drittens sind einzelne Äußerungen von leitenden Funktionären einer Partei stets zurechenbar.
Es sei denn, es handelt sich um Entgleisungen, die nach dem Erscheinungsbild und der
Programmatik der Partei untypisch sind, und von denen sich der Äußernde oder die zuständigen
Gremien eindeutig distanziert haben, weil sie dem politischen Kurs der Partei widersprechen.
bb) Hinsichtlich des Anhängerverhaltens bedürfen beide begrifflichen Komponenten der Klärung.
Außer Frage steht die Anhängereigenschaft von Mitgliedern einer Partei, die aber nur eine
Teilmenge des Kreises der Anhänger bilden. Sollen Schutzzweck und Präventivfunktion von Art. 21
Abs. 2 GG nicht ins Leere laufen, sind zu den Anhängern außer den Mitgliedern alle diejenigen zu
zählen, die sich - als Angestellte, Förderer, Sympathisanten etc. - für eine Partei einsetzen und diese
bei der Zielverfolgung unterstützen. [...] Der weite Anhängerbegriff ist rechtsstaatlich unbedenklich,
da das Kriterium der Zurechnung als Korrektiv wirkt. Die Zurechnung des Anhängerverhaltens lässt
sich freilich nicht abstrakt bestimmen, sondern nur unter Berücksichtigung der anderen
Tatbestandsmerkmale von Art. 21 Abs. 2 GG und der einer Partei durch die Verbotsdrohung
nahegelegten taktischen Erwägungen. [...] Eine Partei, deren "verbandsmäßige
Wirkungsmöglichkeit" [...] und Taktik gerade darin besteht, ihre Ziele durch Anhänger, die keine
formellen Mitglieder sind, oder verbündete Organisationen verfolgen zu lassen, also Verantwortung
informell zu delegieren oder aus dem Parteiapparat auszulagern, kann sich im Verbotsverfahren
nicht mit dem Hinweis auf die vermeintliche Distanz solcher Anhänger oder Organisationen zu den
Führungsgremien entlasten. Hinsichtlich der Zurechnung einzelner Handlungen von Anhängern
besteht insofern Einigkeit, als diese ein Verbot der Partei nur dann rechtfertigen können, wenn sie
nachweislich eine Grundtendenz der Partei manifestieren, also nicht "Ausreißer" darstellen.
Zwischen den Zielen einer Partei und dem Verhalten ihrer Anhänger besteht jedoch eine
Wechselwirkung: Ebenso wie sich die Ziele im Verhalten der Anhänger spiegeln können, lässt auch
dieses Verhalten Rückschlüsse auf die Zielsetzung der Partei zu. [...]
e) Konkrete Gefährlichkeit?
Umstritten ist, ob die Feststellung der Verfassungswidrigkeit als zusätzliches, ungeschriebenes
Tatbestandsmerkmal die objektive Gefährlichkeit der Partei voraussetzt. Dafür könnten zunächst
der Präventivcharakter von Art. 21 Abs. 2 GG und sein Zweck - die Abwehr von politischen
Gefahren bzw. "Verfassungsstörungen" - sprechen. Damit rückte Art. 21 Abs. 2 GG jedenfalls in
eine strukturelle Nähe zu den Eingriffsbefugnissen des Polizei und Ordnungsrechts. Mit der
Einforderung des Vorliegens einer konkreten Gefahr als eingriffsbeschränkender Voraussetzung
könnte in den Tatbestand des Art. 21 Abs. 2 GG eine zusätzliche Missbrauchssperre eingebaut und
die Betroffenheit der beiden Schutzgüter ("Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden")
symmetrisiert werden. [...] Dieser Punkt ist auch ausdrücklich Gegenstand der Debatte um die
Antragstellung gewesen. Für die F.D.P. hat der Abg. Dr. Guido Westerwelle geltend gemacht, ein
"Verbot wäre im Falle einer tatsächlichen Gefährdung der Demokratie durch eine extremistische
Partei das richtige Mittel." In einer solchen Ausnahmesituation müsse die wehrhafte Demokratie
auch vorbeugend zum Mittel der Auflösung einer Partei greifen. Die Wahlergebnisse der NPD
zeigten aber, dass diese Gefahr nicht bestehe und dass die NPD von allen rechtsextremistischen
Parteien die erfolgloseste sei. [...]
In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wird ein solches zusätzliches
Tatbestandsmerkmal nahegelegt, wenn das Gericht argumentiert, durch Art. 21 Abs. 2 GG solle
"Gefahren begegnet werden, die von der Existenz einer von einer verfassungsfeindlichen
Grundtendenz geprägten Partei und ihrer typischen verbandsmäßigen Wirkungsmöglichkeit
ausgehen". [...] Das Bundesverfassungsgericht argumentiert im Übrigen sehr vorsichtig: Es geht um
"Gefahren", die von der "Existenz" einer solchen Partei ausgehen; das ist etwas anderes als eine
"Gefahr" für die Demokratie im Sinne einer Bestandsbedrohung bestimmter Intensität durch eine
Partei, wie dies der Debattenbeitrag des Abgeordneten Dr. Westerwelle nahe legt. Eine "Gefahr",
die von der Existenz einer solchen Partei ausgeht, hat der Abgeordnete Cem Özdemir dahingehend
beschrieben, dass Menschen in Folge rechtsextremistischer Aktivitäten eingeschüchtert und
verängstigt zu Hause bleiben, dass sie Angst haben, an der Demokratie teilzunehmen. Ein solches
an bestimmten Orten erzeugtes Klima der Angst für diejenigen, die nicht Sympathisanten der NPD
sind, ist z.B. eine "Gefahr", die von der "Existenz" der NPD ausgeht, soweit diese die gleiche
Freiheit Aller und insbesondere das Recht Aller auf ein Leben in Würde missachtet. [...] Im KPDUrteil wird, wenn nicht die bloße Absicht der Verfassungsstörung - s.o. unter B I 4 - so doch die
Erkennbarkeit des "planvoll verfolgten Vorgehens der Partei" für ausreichend gehalten. Es komme
darauf an, "Gefahren rechtzeitig abzuwehren, mit deren Eintreten nach der allgemeinen Haltung der
Partei gegenüber der freiheitlichen demokratischen Grundordnung gerechnet werden muß." Von
besonderer Bedeutung ist die richtige Schlussfolgerung des Gerichts; es führt nämlich aus, dass eine
Partei auch dann verfassungswidrig sein kann, "wenn nach menschlichem Ermessen keine Aussicht
darauf besteht", daß sie ihre verfassungswidrige Absicht in absehbarer Zukunft werde verwirklichen
können. (BVerfGE 5, 85)
Folglich ist nicht vorauszusetzen, dass die Gefahr bereits besteht. Auf die Erfolgsaussichten der
Beseitigung oder Beeinträchtigung kann es mithin nicht ankommen. [...] Für diese Auslegung
spricht der spezifische Präventivcharakter von Art. 21 Abs. 2 GG, der der Maxime "wehret den
Anfängen" geschuldet ist und gerade kein Zuwarten bis zur einer unmittelbar drohenden
Beschädigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung fordert. Insofern ist die
Entscheidung über ein Parteiverbot mit der Entscheidung über eine polizeiliche Einzelmaßnahme
nicht zu vergleichen. Für diese Auslegung spricht ferner, dass ein Parteiverbot nicht nur
ausgesprochen werden soll, um die Stabilität der demokratischen Ordnung zu sichern, sondern auch
um die Achtung der Menschenrechte zu gewährleisten.
Auch die Entstehungsgeschichte und Systematik stützen diese Auslegung. Im Entwurf von
Herrenchiemsee war von "zum Ziel gesetzt haben" die Rede. Die Ersetzung dieser Formel durch
das "Darauf-ausgehen" sollte der Norm keinen anderen Inhalt geben. [...] Der deutlich präventivere,
vom Vorliegen einer konkreten Gefahr unabhängige Sinn von Art. 21 Abs. 2 GG erschließt sich
auch aus dem Vergleich mit anderen grundgesetzlichen Vorschriften der "Gefahrenabwehr":
Besonders deutlich zeigt sich die Differenz zu Art. 8a Abs. 4 und 91 Abs. 1 GG, in denen
ausdrücklich von einer "drohenden Gefahr" die Rede ist. Der Unterschied zu Art. 18 GG, der
jedenfalls die künftige Gefährlichkeit des Antragsgegners voraussetzt, tritt weniger offensichtlich
zutage, erschließt sich jedoch aus dem Erfordernis des Kampfes gegen die freiheitliche.
demokratische Grundordnung und aus der differenziellen Gefährlichkeit von individuellem
Grundrechtsmissbrauch und parteimäßig organisierter "Verfassungsstörung". [...]
Letztlich müssten sich die Befürworter eines Kriteriums der "Gefahr" damit auseinandersetzen,
dass der Gefahrenbegriff auch im Polizeirecht nach der bekannten Je-desto-Formel die
Hochrangigkeit der Rechtsgüter auf dieTatbestandsvoraussetzungen der Gefahrenprognose einwirkt,
so dass Gefahrenabwehr und Gefahrenvorsorge sich schon fast berühren. Für die Je-desto-Formel
ist weiter zu beachten, dass nicht notwendig die Gefahr der Beseitigung der Verfassungsordnung
drohen muss, sondern schon die Gefahr der Beeinträchtigung ausreicht. Die Befürworter
polizeilicher Argumentation müssten weiter darlegen können, dass gerade Gefahrenvorsorge von
Art. 21 Abs. 2 GG nicht erfasst sein soll. Schließich musste diese Auffassung auch noch gedanklich
verarbeiten, dass die letztverbindliche Entscheidungszuständigkeit für die Gefahreneinschätzung
bestimmt werden müsste. Hier spricht dann alles dafür, dass die Einschätzungsprärogative für die
Gefahrenprognose bei den antragsberechtigten Verfassungsorganen liegt. [...]
Die Idee, den Begriff der Gefahr polizeirechtlich zu nehmen, würfe mehr Fragen auf, also sie zu
lösen im Stande ist. Insbesondere ist ihr entgegenzuhalten, dass sie mit ihrer Gefahrenkonzeption
recht einseitig nur die Bedrohung der gesamten Ordnung ins Auge fasst, dabei übersieht, dass deren
Freiheitlichkeit bereits dann beeinträchtigt ist, wenn eine Partei durch Drohungen und
Einschüchterungen einzelne Personen oder Gruppen, die ihr im Wege stehen, als "Nichtbürger"
behandelt, also darauf ausgeht, deren Menschenrechte außer Kraft zu setzen.
Im Übrigen könnte die Einfügung des Kriteriums der konkreten Gefährlichkeit einer Partei nur
den Zweck haben, die missbräuchliche Anwendung des Art. 21 Abs. 2 GG zu verhindern. Zu
bedenken ist dazu, dass das Bundesverfassungsgericht im Rahmen der Zulässigkeit bereits prüft, ob
eine missbräuchliche Antragstellung vorliegt, und dass die oben erläuterte restriktive Auslegung der
Tatbestandsmerkmale einer Überziehung des Präventivcharakters hinreichend wirksam
entgegensteht. Für ein zusätzliches Tatbestandsmerkmal der konkreten Gefährlichkeit ist also weder
Raum noch Notwendigkeit.
f) Verhältnismäßigkeit
Im Schrifttum wird in jüngerer Zeit auch die Frage aufgeworfen, ob, und inwieweit der
Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bei der Entscheidung nach Art. 21 Abs. 2 GG als
Eingriffsschranke zur Anwendung kommt. [...] In den beiden Verbotsentscheidungen des
Bundesverfassungsgerichts hat der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit keine Rolle gespielt.
Allerdings liegen die beiden Entscheidungen vor der Karriere des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes
als einem verfassungsrechtlichen Schlüsselprinzip [...] und können insofern nicht dafür
herangezogen werden, dass das Prinzip offenbar keine Anwendung findet. Es lässt sich die Frage
auch nicht mit dem Hinweis abtun, der Hohe Senat habe doch (richtigerweise) dem Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit aus dem Staatsorganisationsrecht verabschiedet und dem Reich
grundrechtlicher Freiheit zugewiesen. [...] Indes sind Parteien, wie Post-Leibholz klargestellt hat,
eben nur Mitwirkende an der politischen Willensbildung, nur punktuell staatsorganschaftlich
vereinnahmt und ansonsten im Reich der Freiheit agierende Bürgerverbände.
Dann lässt sich also argumentieren, die Feststellung der Verfassungswidrigkeit einer Partei greife
in deren Betätigungsfreiheit und zugleich in Grundrechte ihrer Mitglieder ein. Danach käme es in
erster Linie auf die Vergleichbarkeit der Eingriffssituation bei Art. 21 Abs. 2 GG mit typischen
Grundrechtseingriffen an, ohne dass man andererseits die Staatsorgannähe gänzlich vernachlässigen
dürfte. [...] Das Parteiverbot wird als eine verfassungsunmittelbare Grundrechtsschranke angesehen
[...]. Auf die Beantwortung der umstrittenen Frage, ob das Parteiverbot ein grundrechts-ähnliches
Recht [...] einschränkt oder einer grundrechtlichen Eingriffssituation soweit vergleichbar ist, dass
nur "verhältnismäßige" Parteiverbote verfassungsrechtlich gerechtfertigt wären, kommt es jedoch
nicht an, da das Übermaßverbot von Art. 21 Abs. 2 GG hier nicht anwendbar ist und Elemente der
Verhältnismäßigkeitsprüfung ohnehin in die Feststellung der Verfassungswidrigkeit eingelassen
sind.
Die Befürworter der Anwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzip setzen sich mit der
Normstruktur des Art. 21 Abs. 2 GG nicht angemessen auseinander. Die Norm ist konditional
programmiert; sie gibt auf der Rechtsfolgenseite keinen Spielraum ("ist verfassungswidrig"), wenn
ein Antrag gestellt ist und die Tatbestandsvoraussetzungen der Norm erfüllt sind. Das
Bundesverfassungsgericht hat nach § 46 Abs. 3 BVerfGG keine Entscheidungsalternative. Wenn es
eine verfassungsmäßige Regelung ist, aus der Verfassungswidrigkeit nach Art. 21 Abs. 2 GG
gesetzlich zwingend das einfach-rechtliche Rechtsfolgenreglement des Verbots etc. anzuordnen,
bleibt für das Bundesverfassungsgericht jedenfalls kein Rechtsfolgeermessen, in dessen Rahmen
der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit moderierend wirken könnte. Der
"Rechtsfolgenautomatismus" ist bisher noch nicht ernstlich in Zweifel gezogen worden. [...] Das
Bundesverfassungsgericht selbst hat im KPD-Urteil dazu den richtigen Hinweis gegeben, dass die
Auflösung, "die normale, typische und adäquate Folge der Feststellung der Verfassungswidrigkeit"
ist. (BVerfGE 5, 85)
Das trifft auch zu: Die Organisation ist mit der Verfassung unvereinbar; sie kann also keinen
Bestand haben. Der Weg zu Minus-Maßnahmen, den das Vereinsrecht kennt, [...] ist folglich
verschlossen. [...] Damit ist in dieser Richtung auch kein Ansatz für den Einbau einer zusätzlichen
Verhältnismäßigkeitsprüfung in die Verbotsnorm gegeben. Eine solche "freihändige" Varianz im
Rechtsfolgenausspruch qua Verhältnismäßigkeit könnte im übrigen eigene
Verhältnismäßigkeitsprobleme aufwerfen: Das geltende "Alles-oder-Nichts-Prinzip" - entweder
gleichheitsgerechte Teilhabe an der Willensbildung oder Ausschluss davon - schützt extremistische
Parteien vor einem sonst drohenden Kuratel des Staates. Es würde ihnen z.B. die Wahlteilnahme für
eine Bundestagswahl verboten. Wie ein Gewerbetreibender, dem die Gewerbeausübung untersagt
ist, einen Antrag auf Wiedergewährung der Gewerbeausübungsberechtigung stellen kann, weil er
sich "gebessert" habe, geriete eine solche Partei unter eine partielle "Lizenzierung" die mit Art. 21
Abs. 1 GG nur schwer kompatibel wäre. Für die Parteien bedeutet es ein Stück "Zensursicherheit",
wenn es nur eine, allerdings durchgreifende, Sanktion gibt, statt eine Vielzahl weniger
schwerwiegender Maßnahmen. So müssen sich die Verfassungsorgane sehr sorgfältig überlegen, ob
sie das Verbotsmittel einsetzen oder nicht. Für Minus-Maßnahmen hinge die Schwelle deutlich
niedriger.
Zum Teil werden - darauf wird gleich zurückzukommen sein - auch ganz unsystematische
Verhältnismäßigkeitsüberlegungen angestellt. Maurer meint, eine ersichtlich erfolglose Partei dürfe
auch nicht verboten werden. Ein Verbot sei dann im Sinne der Verhältnismäßigkeitskontrolle nicht
notwendig. [...] Im Sinne Maurers wäre dann auf der Tatbestandsseite der Gefahrenbegriff in
spezifischer Weise auszulegen, also z.B. in Ansehung der Verbots-Rechtsfolge und deren Gewicht.
[...] Das mag man als verhältnismäßige Rechtsanwendung bezeichnen. Maurer gesteht [...] übrigens
zu, dass mit seinem Verhältnismäßigkeitsprinzip nicht viel gewonnen ist: Die Frage, wann
Gefährlichkeit anzunehmen sei, führe sozusagen in ein Dilemma: Wenn eine Partei eine gewisse
Größe erreicht habe, "und damit wirklich gefährlich wird", stoße ein Verbot auf politische
Schwierigkeiten, weil dann (z.B. bei 15 oder 20 Prozent Wählerstimmen) die Durchsetzung
schwierig sei. Man müsse also früher ansetzen und auf die potentielle Gefährlichkeit abstellen. Es
gelte den Anfängen zu wehren. Wo aber Anfänge lägen, lasse sich nur schwer sagen und noch
schwerer nachweisen. [...] Ansonsten könnte sich der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit noch auf
der Rechtsfolgenseite bei der Antragsberechtigung auswirken, als Moderation des
Opportunitätsermessens der Verfassungsorgane. [...] Allerdings ist hier zu bedenken, dass das
Opportunitätsermessen nicht über den Umweg der Verhältnismäßigkeitskontrolle zugunsten der
Parteien justitiabilisiert werden darf, wenn es dem politischen Ermessen nicht entfremdet werden
soll. Dieses politische Entscheidungselement ist aber gerade der Grund dafür, dass eine
Rechtspflicht zur Antragstellung verneint wird. [...]
Das Bundesverfassungsgericht hat zuerst im 5. Band (BVerfGE 5, 85) und dann nochmals im 40.
Band (BVerfGE 40, 287) den Zusammenhang verdeutlicht: Die Verfassungsorgane hätten nach
pflichtgemäßen Ermessen, für das allein sie politisch verantwortlich seien, zu prüfen und zu
entscheiden, ob sie den Antrag stellen wollten oder ob die die Lösung in der Auseinandersetzung
auf politischem Felde suchen wollten. Auch mit dem Versuch, eine verfassungswidrige Partei mit
Argumenten in die Schranken zu verweisen, genügten die Verfassungsorgane gegebenenfalls ihrem
Auftrag, die freiheitlich demokratische Grundordnung zu verteidigen.
Diese Abwägung der Verfassungsorgane darf aber nicht via einer Verhältnismäßigkeitsprüfung
letztlich auf den kontrollierenden Richter verschoben werden.
- Zusammenfassend ergibt sich also, dass der legitime Zweck von Parteiverboten in Art. 21 Abs.
2 GG als verfassungsunmittelbare Schranke der Betätigungsfreiheit von Parteien vorgegeben ist. Ob
dieser Zweck im konkreten Verfahren verfolgt wird, wird vom Bundesverfassungsgericht bei der
Missbrauchskontrolle von Anträgen im Rahmen der Zulässigkeit (§ 45 BVerfGG) überprüft.
- Hinsichtlich der Eignung von Parteiverboten zum Schutz der freiheitlichen demokratischen
Grundordnung hat der Verfassungsgeber eine grundsätzlich bejahende Vorentscheidung getroffen.
Ob sich die in einem konkreten Verfahren beantragte Feststellung der Verfassungswidrigkeit zum
Schutz der Grundlagen der Demokratie eignet, ist nach Maßgabe von Art. 21 Abs. 2 GG stets dann
zu bejahen, wenn das Bundesverfassungsgericht zu dem Ergebnis kommt, dass die Antragsgegnerin
darauf ausgeht, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu
beseitigen.
- Die Erforderlichkeitskontrolle scheitert daran, dass nach dem Wortlaut des Art. 21 Abs. 2 GG
die Verbotsfolge bei festgestellter Verfassungswidrigkeit zwingend ist, folglich ebenso wirksame,
aber weniger eingreifende Mittel nicht zur Verfügung stehen.
Ob mögliche mildere Mittel, wie das Suchen der politischen Auseinandersetzung, sozialpolitische
Initiativen, aber auch das Verbot von Umfeldorganisationen, die keine Parteien sind, das
strafrechtliche Vorgehen gegen Mitglieder und Anhänger aufgrund ihres individuellen Verhaltens
oder die Anwendung von Art. 18 GG, ebenso effektiv sind, und wem es zusteht, dies zu beurteilen,
kann dahingestellt bleiben. Denn diese Maßnahmen stehen zu einem Parteiverbot nicht in einer vom
Prinzip der Verhältnismäßigkeit gebotenen Relation strikter Alternativität. Im übrigen stellt das
Ausweichen auf andere Mittel wie etwa auf die politische Auseinandersetzung jedenfalls dann keine
gleich wirksame Alternative dar, wenn
- Parteien sich aufgrund ihrer totalitären Programmatik, ihres absoluten Wahrheits- und
Machtanspruchs hermetisch abschotten gegen eine Welt, in der sie sich von "Feinden" umstellt
sehen,
- wenn sie auf die für demokratische Auseinandersetzungen unabdingbaren Voraussetzungen Kompromissbereitschaft, Verhandlungslösungen, offener und fairer Wettbewerb um die politische
Macht - missachten.
Mithin ergibt sich aus der spezifischen Struktur von Art. 21 Abs. 2 GG, dass allenfalls der
Gedanke der Angemessenheit Anwendung finden könnte. Die Prüfung der Angemessenheit ist
jedoch bei der Auslegung der Tatbestandsmerkmale von Art. 21 Abs. 2 GG ohnehin geboten (s.o.
unter B I 1-4). Für eine Anwendung der Angemessenheit aufgrund der Besonderheiten der
Tatbestandsvoraussetzungen, insbesondere bezogen auf die freiheitliche demokratische
Grundordnung. [...] Die restriktive Auslegung, erstens, des Schutzgutes freiheitliche demokratische
Grundordnung, welches auch im Kontext des Einzelfalles zu konkretisieren ist, und zweitens der
Intensität der "Verfassungsstörung" - "Beeinträchtigung" als prozesshafter Vorgang, der auf die
"Beseitigung" zielt - trägt dem Gebot der Angemessenheit Rechnung. Zwar ist es zutreffend, dass
der Wortlaut von Art. 21 Abs. 2 GG keinen Raum dafür lässt, eine Partei für in größerem oder
geringerem Maße verfassungswidrig zu erklären, jedoch ist die in die beiden genannten
Tatbestandsmerkmale eingelassene Abwägung Voraussetzung für die Feststellung der
Verfassungswidrigkeit einer Partei nach Art. 21 Abs. 2 GG. In diesem Rahmen - und nicht in einer
zusätzlichen Prüfung der Verhältnismäßigkeit - prüft das Bundesverfassungsgericht, ob die
nachgewiesene Intensität einer teilweisen Beseitigung der freiheitlichen demokratischen
Grundordnung in einem angemessenen Verhältnis zur der in der Feststellung der
Verfassungswidrigkeit liegenden Beschränkung der freiheitlichen Demokratie steht. Wie oben
ausgeführt, aktualisiert diese Prüfung die rechtsstaatliche Einbindung des Verfahrens nach Art. 21
Abs. 2 GG und dessen doppelte Schutzrichtung. Für eine nachgeschaltete Prüfung der
Verhältnismäßigkeit fehlen daher sowohl der Raum wie auch die Notwendigkeit.
g) Wesensverwandtschaft mit dem Nationalsozialismus
Eine politische Partei, die dem Nationalsozialismus wesensverwandt ist, gilt als
verfassungswidrig nach Maßgabe von Art. 21 Abs. 2 GG.
aa) Der "Wesensverwandtschaft" einer politischen Partei mit dem Nationalsozialismus kommt im
Parteiverbotsverfahren ein besonderer normativer Status zu. Aufgrund einer auf die
Entstehungsgeschichte von Art. 21 Abs. 2 GG gestützten, vergleichenden Argumentation hat das
Bundesverfassungsgericht im SRP-Urteil dazu ausgeführt: "Daß die ehemalige NSDAP, nach ihrer
Entwicklung, wie sie heute rückschauend überblickt werden kann, als in der Gegenwart existierende
Partei nach Art. 21 Abs. 2 GG verfassungswidrig wäre, unterliegt keinem Zweifel; die Erfahrungen
gerade mit dieser Partei sind der unmittelbare Anlaß für die Schaffung des Art. 2 Abs. 2 GG
gewesen." (BVerfGE 2, 1) Diese Begründung, die fortzuentwickeln das Bundesverfassungsgericht
in späteren Entscheidungen keinen Anlass hatte, ist vom Bundesverwaltungsgericht in seinen
Entscheidungen zu Vereinsverboten nach Art. 9 Abs. 2 GG weiter geführt worden. [...] Die mit dem
Nachweis der Ziel- und Methodenverwandtschaft begründete Vermutung der Verfassungswidrigkeit
stützt sich auf die bewusste Entscheidung des Verfassungsgebers, den Rückfall in eine
nationalsozialistische Barbarei zu verhindern, d.h. im Grundgesetz eine antinationalsozialistische
Rückwärtssperre zu errichten. [...]. Die antinationalsozialistische Ausnahme bzw. Rückwärtssperre
lässt sich systematisch aus einer Zusammenschau der Grundgesetzbestimmungen ableiten, die
einerseits die Freiheitlichkeit der Verfassungsordnung verbürgen und andererseits Sorge tragen
sollen für die Diskontinuität des nationalsozialistischen Herrschaftssystems. [...]
Der zwingende, rechtfertigende Grund für diese Einschränkung des demokratischen
Experimentalismus ist die Singularität der nationalsozialistischen Verbrechen. Eine
Verfassungsordnung, die einerseits die Menschenwürde und gleiche Freiheit Aller verteidigen will,
würde sich im Übrigen in einen Widerspruch verstricken, ließe sie andererseits auch nur eine
Chance einer Neuauflage jenes Terrorregimes zu. Dieses aus der Wesensverwandtschaft abgeleitete
Verbot ist ein besonderer Anwendungsfall des Verstoßes gegen das Verbot, aggressiv-kämpferisch
die freiheitliche demokratische Grundordnung zu bekämpfen. Denn Ziel- und
Methodenverwandtschaft zur NSDAP ist die manifeste Negation dessen, was mit dem Konzept der
streitbaren Demokratie gerade geschützt werden soll. Deshalb wird die Untersuchung der
Wesensverwandtschaft hier vorangestellt. Das schließt den Nachweis, dass Programmatik und
Verhalten der NPD auch gegen die einzelnen Tatbestandsvoraussetzungen des Parteiverbots in
seinen Einzelausprägungen verstößt, nicht aus. Auch das SRP-Urteil behandelt
Wesensverwandtschaft einerseits und den Kampf gegen Menschenrechte und das "freiheitlich
demokratische Entscheidungssystem" andererseits als kumulative Verbotsgründe. BVerfGE 2, 1:
"Dieser festgestellte Sachverhalt erfüllt den Tatbestand des Art. 21 Abs. 2 GG. Das bedarf für die
Missachtung der Menschenrechte ... keiner weiteren Ausführung. Es gilt aber auch für die
Wesensverwandtschaft ...".
bb) "Wesensverwandtschaft" kann bei einem soziopolitischen Phänomen wie einer Partei wegen
des zeitlichen Abstands, der zwischen ihrem Auftreten und dem Nationalsozialismus liegt und
wegen des je unterschiedlichen historischen und politischen Kontexts nicht Identität im strengen
Sinne bedeuten. Gleichwohl sind an eine Ziel- und Methodenverwandtschaft strenge Kriterien
anzulegen, die die charakteristischen Merkmale der zu vergleichenden Phänomene angemessen
erfassen, um angesichts der gravierenden Rechtsfolge die rechtsstaatlich gebotene
Tatbestandswirkung von Art. 21 Abs. 2 S. 1 GG nicht ins Leere laufen zu lassen und dem
demokratischen Prinzip auch insoweit Rechnung zu tragen. Aus der Perspektive eines
unvoreingenommenen, informierten Beobachters muss daher nach Maßgabe dieser Kriterien
zwischen den zu vergleichenden Phänomenen eine solche Übereinstimmung bzw. Ähnlichkeit
bestehen, dass demgegenüber einzelne Abweichungen als unwesentlich, weil den historisch-zeitlich
veränderten, äußeren Rahmenbedingungen geschuldet, zurücktreten.
Bezüglich der Kriterien einer solchen Wesensverwandtschaft haben das
Bundesverfassungsgericht und, ihm folgend, das Bundesverwaltungsgericht auf "Programm,
Vorstellungswelt und Gesamtstil" einer Partei abgestellt. [...] Gestützt auf zahlreiche geistes- und
sozialwissenschaftliche und rechtswissenschaftliche Untersuchungen [...] ist davon auszugehen,
dass die charakteristischen Merkmale des Nationalsozialismus und der NSDAP in deren
Vorstellungswelt, Organisationsstruktur und Praxis in Erscheinung treten und sich erfassen lassen
durch eine vergleichende Betrachtung der politischen Programmatik (handlungsleitende Ideologie
bzw. Weltanschauung), der strategischen und taktischen Konzepte sowie der Rhetorik und
politischen Sprache, die in den Dienst der operativen Programmatik gestellt wird. Ein weiteres
Kriterium sind die expressiven und rituellen Bezüge, die eine Partei in ihrer Praxis zum
Nationalsozialismus oder zur NSDAP, zu Repräsentanten oder Verteidigern des Nationalsozialismus
im Sinne der Traditionspflege herstellt.
II. Wesensverwandtschaft der NPD mit dem Nationalsozialismus
Die NPD ist aufgrund ihrer politischen Programmatik, Strategie und Taktik, ihrer politischen
Sprache und Rhetorik, ihrer affirmativ-apologetischen Darstellung nationalsozialistischer
Verbrechen und ihrer nationalsozialistischen Traditionspflege eine dem Nationalsozialismus
wesensverwandte und daher nach Maßgabe von Art. 21 Abs. 2 GG verfassungswidrige politische
Partei.
1. Politische Programmatik
Die programmatische Wesensverwandtschaft der NPD mit dem Nationalsozialismus erschließt
sich aus einer vergleichenden Analyse des Parteiprograrnms der NPD von 1996, der
Schulungsmaterialien und anderer programmatischer Schriften, der Reden und Veröffentlichungen
von führenden Funktionären der NPD und JN sowie der Beiträge in den offiziellen Medien
("Deutsche Stimme", Internet) der Partei mit den für die nationalsozialistische Ideologie
maßgeblichen Programmen, Publikationen und Äußerungen von Funktionären der NSDAP. [...]
Nachweise für die Übereinstimmung von NSDAP und NPD im Hinblick auf die zentralen
Programmaussagen lassen sich zahlreichen geistes- und sozialwissenschaftlichen Untersuchungen
entnehmen. [...] Die Einschätzung der NPD als einer "neonazistischen Partei" [...] ist durchaus
vereinbar mit der Beschreibung des Rechtsextremismus als eines "weitgefächerten Phänomens".
[...] Von der Wesensverwandtschaft zwischen NPD und Nationalsozialismus geht auch das
Bundesverwaltungsgericht in einer Reihe von Entscheidungen aus. [...] Die programmatische
Übereinstimmung ergibt sich aus den zentralen, den politischen Kurs und die Vorstellungswelt der
NPD definierenden Elementen:
(a) Ideologie der "Volksgemeinschaft",
(b) Reichsidee und Großraum-Denken,
(c) Sozialdarwinismus, Rassismus und
(d) Antisemitismus.
a) "Volksgemeinschaft":
aa) Für den Nationalsozialismus stand der ideologisch aufgeladene Begriff der
"Volksgemeinschaft" als Gemeinschaft der "Volksgenossen" im Gegensatz zur als künstlich und
"undeutsch" empfundenen "Gesellschaft". Ihm korrespondierten zum einen die Unterordnung des
Individuums und seiner Interessen und Rechte unter den Willen und die Bedürfnisse der
Gemeinschaft gemäß dem u.a. im Parteiprogramm der NSDAP formulierten Grundsatzes
"Gemeinnutz geht vor Eigennutz", [...] und zum anderen die spezifische Differenzierung zwischen
"Verrätern" der Gemeinschaft, die zu ächten, also aus der "Volksgemeinschaft" auszuschließen
waren, und "Verbrechern", denen zwar Strafe, aber nicht der Ausschluss drohte. [...]
Ideengeschichtlich war "Volksgemeinschaft" einer der Schlüsselbegriffe der Jugendbewegung im
beginnenden 20. Jahrhundert. Unter Berufung auf Fronterlebnis und Schützengrabenkameradschaft
während des Weltkrieges avancierte die illusorische "Volksgemeinschaft" in der Weimarer Republik
zum Ausdruck eines gegen den bürgerlichen Liberalismus und Individualismus des 19. Jahrhunderts
gerichteten bürgerlich-nationalen Erneuerungsstrebens. Ein übersteigerter Nationalismus verband
sich mit einer biologistisch-organizistischen Gesellschaftslehre zur "Negierung aller Unterschiede
in Herkunft, Stand, Beruf, Vermögen, Bildung, Wissen, Kapital." (R. Höhn, Rechtsgemeinschaft
und Volksgemeinschaft, 1935) [...] Hinter dieser egalitären Maske wurde die Verheißung der
"Volksgemeinschaft" zum wirksamen Mittel der nationalsozialistischen Wahlpropaganda.
Allerdings zeichnet sich bereits im NSDAP-Parteiprogramm von 1920 der Ausschluss aller
sogenannten "Fremdvölkischen"
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