Erinnerungen - Schulportal Bremerhaven

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Erinnerungen
Die folgenden drei Berichte stammen aus den
Federn ehemaliger Humboldtschüler, die zur Zeit
des Nationalsozialismus die Schule besuchten.
Heinz Nolte besuchte die Humboldtschule in den
Jahren 1933-1937:
Heinz Noltes Klasse, die 3G 1935 mit ihrem
Klassenlehrer Herrn Nordhoff
„Was war für mich 1931 geschehen?
Eigentlich
müßte
ich
mit
Bitterkeit
zurückdenken, aber das habe ich damals
nicht empfunden. 4 Jahre Grundschule in
der Alt-Geestemünder-Knabenschule waren
vorüber...
Einige Schüler verließen die Klasse und
kamen
zum
Realgymnasium,
trotz
entsprechender schulischer Leistungen, ich
nicht. Meine Eltern hielten sich außerstande,
die
finanziellen
Belastungen
durch
Schulgeld, Lehrbücher und andere auf sich
zu nehmen...
Es bot sich (aber) die Möglichkeit, ohne
finanzielle Belastung eine Weiterbildung in
Anspruch
zu
nehmen.
Nach
Zeugniszensuren und Prüfung durfte man
einen Englischkurs mitmachen...Aus diesen
Englischkursen kamen nach 2 Jahren und
nach entsprechender Prüfung ca. 50 Kinder
in die gehobenen Klassen mit Mittelschulziel,
im
Stadtteil
Geestemünde
in
die
Humboldtschule. Aus heutiger Sicht eine
unmögliche Vorstellung, daß bei 80-85% der
Bevölkerung eine Weiterbildung der Kinder
aus finanziellen Gründen nicht möglich war.
Die gehobenen Klassen mit Mittelschulziel
waren eine kleine, sehr harte, aber bei
weitem nicht ausreichende Einrichtung, auf
diesem Gebiet etwas zu verändern...
52 Kinder (Jungen und Mädchen) waren in
der Klasse. Alles für mich war neu und
äußerlich besser. Die Schule selbst, verhältnismäßig neu mit hellen Klassenräumen,
aber gefühlsmäßig kalt...Schon am 8. Mai
schrieben wir eine Arbeit im Fach Englisch.
Ergebnis bei mir 7 Fehler, eine 4. Alle
Lehrer, die den Klassenraum
betraten fragten nach der
Arbeit und ließen die Kinder
nach
den
abgefragten
Zensuren aufstehen. Es war
grausam, für viele der Anfang
vom Scheitern. Für mich der
Antrieb
zum
äußerst
disziplinierten
Lernen...
Freche,
schwierige
und
unangenehme Schüler oder
Schülerinnen waren schnell
in
ihre
alten
Schulen
zurückversetzt.
Ein
Sitzenbleiben
und
Wiederholen im gleichen
Jahrgang gab es nicht...
Politische Themen nahmen in
den vier Jahren erheblich zu; besonders
auffällig in der Abschlußprüfung.
Der große Leistungsdruck führte in aller
Regel nicht zu Gegensätzlichkeiten, sondern
mehr zur Gemeinschaft. Dies äußerte sich
auch in vielerlei Hilfsbereitschaften und bei
kleinen
Schummeleien,
Täuschungen,
Vorsagen und Spickzetteln, überwiegend
zugunsten
schwächerer
Schüler.
Überzogene Strafarbeiten mit 100fachen
Wiederholungen und dem Abschreiben
besonders langer Gedichte führten dazu,
daß fast jeder mehrere angefangene Hefte
dieser Art besaß und bei Bedarf den unterschiedlichen Lehrern vorlegte...
Wir waren für das praktische Leben gut
geschult und hatten ein überdurchschnittliches Allgemeinwissen, für das ich
der Schule und besonders den Lehrern
dankbar bin".
Ein Jahr nachdem Herr Nolte nach erfolgreichem
Abschluß die Schule verließ, wurde Frau Marga
Kern-Albers in den Aufbauzug eingeschult.
Auch sie hat einige Eindrücke an die Schulzeit zu
Papier gebracht:
17
„Nun, ich war Schülerin des 'Aufbauzuges'
von 1938 bis 1942 und erinnere mich gern
an jene Jahre. Ich weiß mich sogar noch an
den Bau der Schule zu erinnern, denn wir
wohnten in der Schillerstraße. Mutter
versprach: 'Wenn Du zur Schule kommst,
dann darfst Du in diese schöne neue Schule
gehen'. Leider war es dann für die ersten
Jahre doch die alte Neumarktschule. Später
war ich jedoch ganz froh, daß ich bis zur
'Mittelschule' in der Humboldtschule nur den
kurzen Schulweg hatte...
Weshalb jedoch alle Schüler nur den
hinteren Eingang benutzen durften, ist mir
bis heute ein Rätsel. Der Haupteingang an
der Schillerstraße war den Lehrkräften
vorbehalten Glücklicherweise konnte man
aber 'über'n Zaun hoppen' und damit den
Schulweg beträchtlich verkürzen. Auf dem
freien Platz vor der Schule und auf der
Treppe versammelten sich alle Schüler,
wenn anläßlich besonderer Feiertage die
seinerzeit
übliche
'Flaggenparade'
abgehalten wurde...
Natürlich erinnere ich mich noch lebhaft an
unsere Lehrer von damals. An Frl.
Beckmann z.B., bei der wir jede Woche ein
Gedicht auswendig lernen mußten, oder an
Herrn Nordhoff, dessen erste Worte beim
Betreten des Klassenzimmers waren: 'Open
the window' - auch wenn alle Fenster bereits
offen waren!"
18
Eduard Schmidt besuchte die Humboldtschule
von 1932 – 1936.
„Ich gehörte zu einer Klasse, die 1930 in der
Allmersschule zunächst die Bezeichnung 6M
und später 5M führte. Das „M“ war ein
Hinweis darauf, daß es sich um
Mittelschulklassen handelte. Im Frühjahr
1932 wurde der gesamte „M“-Zweig von der
Allmersschule in die große, moderne
Humboldtschule verlegt. Statt des „M“
führten
die
Klassen
nunmehr
die
Bezeichnung „G“, was auf die Bezeichnung
„gehobene Klassen mit Mittelschulziel“
hinweisen sollte.
1933 „eingegliedert“. Wenn in einer Schule
über 90% der Schüler in der HJ waren,
durfte die betreffende Schule die HJ-Flagge
führen.
Das Jahr 1933 brachte für den Unterricht
zunächst
keine
wesentlichen
Veränderungen. Am 30. Januar fand ein
großer Fackelzug statt, der auf dem
Geestemünder Neumarkt begann.
HJ Fahne an der Goetheschule
NS-Umzug in der Bürgermeister-Smidt-Straße
Im Schulunterricht wurden vaterländische
Lieder gesungen, und nach einer Weile
trugen unsere Lehrer Parteiabzeichen. Im
Unterricht wurde bei manchen Dichtern
darauf hingewiesen, daß der Betreffende in
seiner
Haltung
oder
Auffassung
gewissermaßen ein Vorkämpfer für das
Dritte Reich war.
Der Unterricht in den naturkundlichen
Fächern verlagerte seinen Schwerpunkt mit
der Zeit auf das Fach Biologie. Hier standen
dann die Mendelschen Gesetze im
Vordergrund mit dem Beispiel der weißen
und der roten Wunderblume. Wichtig waren
auch die Chromosomen und die Zellteilung.
Die Jugendvereine wurden im Laufe der Zeit
in die Hitlerjugend eingegliedert, z.B.
gehörten außer mir noch drei Mitschüler
einer evangelischen Jungschar an. Wenn ich
mich recht erinnere, wurde sie im September
Mit unseren Lehrern und Lehrerinnen kamen
wir eigentlich recht gut aus, wenn wir sie
auch gelegentlich mit mangelndem Fleiß
enttäuschten. Als Fräulein Beckmann z.B.
um Ostern 1932 unsere Klasse übernahm,
ließ sie, der Jahreszeit entsprechend, ein
Frühlingsgedicht lernen. In einem Anflug von
Idealismus überließ sie den Schülern die
Auswahl, jeder sollte ein Gedicht nach
seinem Geschmack lernen. Das brachte für
sie leider eine herbe Enttäuschung!
Während
die
fleißigen
Mädchen
anspruchsvolle Gedichte gelernt hatten, wie
z.B. den Osterspaziergang aus Goethes
Faust, bevorzugten die Knaben das kürzeste
Gedicht aus unserem Gedichtband, nämlich
: Frühling läßt sein blaues Band . . .,
mit insgesamt 8 Zeilen. Später erteilte den
Deutschunterricht Herr Nordhoff, der in den
fünfziger
Jahren
nach
harten
Nachkriegsjahren Rektor der inzwischen
wieder aufgebauten Allmersschule war. Herr
Nordhoff war ein Verehrer von Goethe und
Hermann
Löns,
was
im
Unterricht
gelegentlich zu heiteren Debatten führte.
Herr Nordhoff war ein gewissenhafter,
19
gründlicher Lehrer, der seine Aufgaben sehr
ernst nahm. Da er uns in Deutsch und Musik
unterrichtete, bereitete er uns in beiden
Fächern auf den Theaterbesuch vor, der uns
mit der „Schülerbühne“ ins Bremerhavener
Stadttheater führte. Vor allem aus den
Opern, z.B. Freischütz oder Meistersinger,
spielte er uns die wichtigsten Melodien auf
dem Klavier vor und sang uns auch einige
Partien. Dadurch wurde bei uns frühzeitig
das Verhältnis für das Musiktheater geweckt,
wovon wir noch heute profitieren.
Mit Musik beschäftigten wir uns auch auf
andere Weise. Aus der Kapelle der
Allmersschule war inzwischen eine HJKapelle geworden, der acht Schüler unserer
Klasse angehörten. Darin erschöpfte sich
unser Einsatz in der HJ.
des Schuljahres an Schüler der folgenden
Klassen verkaufen konnte. Ab Mitte der
dreißiger Jahre wurde ein Schulgeld
erhoben, ich meine es waren pro Quartal
20,00 Reichsmark. Wegen des geringen
Einkommens unserer Eltern hat das kaum
einer von uns bezahlen müssen.
Üppige Klassenfahrten, wie sie heute üblich
sind, gab es nicht. Unsere weiteste Fahrt
war ein Tagesausflug mit dem „SchreiberDampfer“ nach Bremen mit Frl. Beckmann,
Fahrpreis einschließlich Rückfahrt 1,00
Reichsmark ! Ein anderer Ausflug führte uns
mit Rektor Graue per Weserfähre nach
Blexen, wo wir nach Besichtigung der Blexer
Kirche
eine
schöne
Deichwanderung
machten.
Fährdampfer „Oldenburg“ vor dem Fährhaus an
der Geeste, 1936
Sammlung Alt: Fanfarenzug der HJ
In den beiden letzten Schuljahren war
unserer Klassenlehrer Herr Rektor Graue,
ein energischer, zielbewußter Pädagoge, der
uns in Mathematik unterrichtete. In meiner
Erinnerung an die Schulzeit war er der
einzige Lehrer, der es verstand, Mathematik
interessant an die Schüler heranzubringen.
Er machte uns verständlich, daß der
Pythagoras nicht irgendeine Marotte ist,
sondern die maßgebliche Grundlage für viele
Berechnungen. Er verstand es großartig,
den Unterricht durch Beispiele aus der
Praxis aufzulockern, so daß jedem der Sinn
klar wurde.
Mit Herrn Nordhoff machten wir eine
Radwanderung
in
die
Moorkolonie
Kransmoor, während wir mit Frl. Beckmann
zu Fuß nach Drangstedt wanderten.“
Da wir durchweg die Kinder von
Kleinverdienern waren, einige Väter waren
ohne Arbeit, waren wir alle von zuhaus das
Sparen gewohnt. Da Schulbücher und
Lernmittel von den Eltern angeschafft
werden mußten, ergab es sich praktisch von
selbst, daß die Schulbücher geschont
wurden.
Sie
erhielten
sofort
einen
Schutzumschlag, damit man sie am Ende
20
Die Humboldtschule genoß stadtweit einen sehr
guten Ruf - heute würde man von einem positiv
besetzten Schulprofil sprechen. Viele Firmen
wandten sich noch vor Beendigung der
Abschlußprüfungen an die Schüler des
gehobenen
Zweiges
und
boten
ihnen
Lehrverträge an.
„Hunderte von Geestemündern und Wulsdorfer Jungen haben hier mit der ‘mittleren
Reife’ eine verbesserte Startmöglichkeit für
das Berufsleben bekommen.“ (Körtge)
(z.B. die Allmersschule) und Mädchenschulen
(z.B. die Neumarktschule: sie befand sich vor
ihrer
Zerstörung
1944
gegenüber
dem
Wasserturm an der Grashoffstr. auf dem
heutigen großen Parkplatz) gegeben hatte.
Doch im Volksschulzweig fand der Unterricht an
der Humboldtschule in der Regel weiter getrennt
statt. Erst Mitte der dreißiger Jahre wich man von
dieser Norm allmählich ab.
Herr Tränkner (Jahrgang 1927) aus Delmenhorst, der die Humboldtschule von 1940-1944
besuchte, schreibt uns, „trotz der Kriegsjahre
erreichten die meisten der Jungen ... ihr
gestecktes Ziel in Zvilberufen.“ Darunter seien
Standesbeamte, Rektoren, Zollamtsräte oder
Fachhochschulabsolventen gewesen.
Da die gehobenen Klassen aus Kostengründen jede zusätzliche Klasse belastete den Schuletat einzügig eingerichtet wurden, machte die
Behörde aus der Not eine Tugend.
Man
unterrichtete koedukativ, d.h. Jungen und
Mädchen wurden gemeinsam unterrichtet. In
Wesermünde eine kleine Revolution, wenn man
bedenkt, daß es in Geestemünde reine
Knabenschulen
Volksschulklasse der Humboldtschule 1937 / 38
mit der Konrektorin Frl. Bauer (3. Reihe, zweite
von links)
Frl. Grothe mit ihrer Mädchenklasse 1937, rechts neben ihr Frau Schulz, geb. Schlaf
21
Die Mädchen saßen an der Fensterseite, der
Mittelgang trennte sie von den Jungen.
Eduard Schmidt aus Loxstedt erinnert sich: „In
den Klassen hat es wie in einem Stromkreis
geknistert, so als ob elektrische Energie vom
Plus- auf den Minuspol überspringen will. Die
Jungen haben versucht, sich vor den Mädchen
zu profilieren mit dem Resultat, daß sie in der
Rubrik „Betragen“ im Zeugnis plötzlich eine
schlechtere Beurteilung bekamen.
kompliziertere Rechenaufgaben lösen. In den
Klassen soll es sehr ruhig zugegangen sein. Die
Schüler mußten sich still verhalten, vor Beginn
des Unterrichts begrüßten die Schüler stehend
ihre Lehrer, erst dann durften sie sich setzen.
Es wurde frontal unterrichtet, individuelle Formen
des Lernens, Gruppenarbeit, handlungsbezogener Unterricht oder Projektarbeit waren weitgehend unbekannt. Häufig wurde sehr viel gelesen,
auswendig gelernt oder seitenweise von der
Tafel und aus Büchern abgeschrieben, denn
Unterrichtsmedien, so wie wir sie heute kennen
(Arbeitsblätter vom Kopierer, Computer, Folien,
Karteikarten usw.) gab es nicht. Kopfrechnen und
das Kleine bzw. Große Einmaleins wurden intensiv gedrillt.
Züchtigungsrecht der Lehrer
Eduard Schmitt (1. Reihe links) 1936 im Kreise
seiner Mitschüler
Organisation des Unterrichts
Der Matheunterricht und teilweise der Unterricht
in den Naturwissenschaften fand in den Gklassen nicht immer gemeinsam statt. Die
Jungen galten als die besseren Rechner und
mußten
Wer ein Ergebnis nicht sofort ausspucken
konnte, bekam schon mal einen Schlag mit dem
gefürchteten Rohrstock. Schulstrafen wurden in
der Regel widerspruchslos akzeptiert. Die Lehrer
besaßen das Züchtigungsrecht, dies nutzten sie
je nach ihrer Grundhaltung mehr oder weniger.
Ohrfeigen oder an den Ohren ziehen waren
dagegen harmlos im Vergleich zum Schlag mit
dem Rohrstock.
Schüler, die z.B. den Unterricht häufig störten
oder sich nicht an die Anweisungen der
Lehrkräfte hielten, erwartete im Rektorat eine
Tracht Prügel.
Übrigens, wußten Sie schon, daß in Bayern das
Züchtigungsrecht der Lehrkräfte erst im Jahre
1981 gesetzlich verboten wurde?
Nordsee Zeitung vom 8. 3. 1993
22
Die Humboldtschule während
der Zeit des Nationalsozialismus
Die Ursachen und Folgen faschistischer Herrschaft in Bremerhaven/Wesermünde zwischen
1933 und 1945 und die besondere Rolle der
Schule in diesem System können an dieser
Stelle nur kurz beleuchtet werden.
Trotz wirtschaftlichen Notstands im Gebiet der
Unterweser konnten sich die Nazis in Wesermünde kaum behaupten. Selbst als Hitler nach
der Machtübertragung am 30.01.1933 Hindenburg dafür gewann, den Reichstag aufzulösen
und entscheidende 7 Wochen lang ohne Parlament regierte, gelang es den Nationalsozialisten
trotz allen Terrors nicht, in Wesermünde bei den
Reichstagswahlen am 5.03.33 und der Bürgervorsteherwahl am 12.03.33 sich entscheidend
durchzusetzen.
Das Ergebnis der Wahlen kam für die NSDAP
einer Niederlage gleich, da die Arbeiterparteien
SPD und KPD ihre Stimmen behaupten konnten.
1963, anläßlich seiner Pensionierung, erinnerte
sich der Hausmeister der Humboldtschule, Herr
Weymann, an diese Zeit:
„Ein kaum glaubliches Ereignis brachte der
März 1933. Die Turnhalle der Humboldtschule war Wahllokal. Die NSDAP wollte
die Wahl mit großer Mehrheit gewinnen. In
unserem Wahlbezirk lag die NSDAP aber
erst an dritter Stelle. Kurz vor Herausgabe
der Wahlergebnisse betrat ein hoher PG
(Parteigenosse) unser Lokal, verglich die
ausgezählten Stimmen, nahm alle Stimmzettel an sich und verkündete dann das Ergebnis. 98% für die NSDAP! Wir mußten
die Turnhalle für den nächsten Tag
säubern und wiederherrichten, somit
wurden
wir
Augenzeugen
des
Ergebnisses.“
(Jahresschau
der
Humboldtschule 1963)
Das Leben in Deutschland veränderte sich
nach der Errichtung der faschistischen Diktatur
gründlich.
Dies wirkte sich auch auf die Schule aus.
Die nationalsozialistische Erziehungslehre als
Teil der NS-Ideologie verlangte die Formung der
Kinder zu unkritischen Untertanen, ihre
Erziehung zum Rassismus und übertriebenem
Nationalismus. Die These vom „Volk ohne Raum“
sollte die Jugend schon früh auf den nächsten
Krieg vorbereiten.
Die Lehrerschaft wurde gleichgeschaltet, die
Lehrinhalte auf die Bedürfnisse der neuen
Machthaber ausgerichtet und die Schulbücher,
besonders für Deutsch, Sport, Biologie
(Vererbungslehre und Rassekunde) u. Geschichte dahingehend überprüft, ob sie den inhumanen Erziehungswerten der Nazis Rechnung
trugen. Die Fächerbezeichnungen Mathematik,
Physik und Biologie wurden von den Nationalsozialisten eingedeutscht. Jetzt wurde Raumlehre,
Naturlehre und Rechnen unterrichtet. Der Sportunterricht bekam nun einen weitaus höheren
Stellenwert als bisher, er diente nicht nur der
Körperertüchtigung, sondern sollte vorwiegend
die Jungen auf den Dienst in der Wehrmacht
(Wehrertüchtigung) vorbereiten. Deshalb erhielten sie mehr Sportunterricht als die Mädchen.
Erich Sturk kann sich noch nach 50 Jahren an
den paramilitärischen Charakter des Sportunterrichts erinnern:
„Wurde ein Schüler beim Sprechen mit dem
Nachbarn
oder
bei
einer
anderen
Unaufmerksamkeit erwischt, mußte er mit
der Aufforderung ‘Du robbst, du Schwein, du
Saupesel...’ drei Ehrenrunden auf dem
Bauch robbend um die Turnhalle drehen.“
(NZ vom 21. 8. 97)
Innenminister Frick forderte „den Ausschluß
aller Strömungen aus dem Schulbereich, die
die nationalpolitische Erziehungsaufgabe der
Schule gefährden können“. ( zit. nach W.
Frick, Kampfziel der deutschen Schule)
Eine besondere Aufgabe für die „Schulung“ der
Lehrerschaft übernahm der Nationalsozialistische
Lehrerbund (NSLB). Er trimmte die Kollegen in
besonderen Schulungslagern auf Nazi-Kurs. Der
Nazi-Lehrerbund war der NSDAP angeschlossen
und arbeitete sehr eng mit den staatlichen Behörden zusammen.
„Beurteilungen (der Lehrer) werden im
engsten Einvernehmen mit den zuständigen
Kreisleitungen der NSDAP erstellt und in
Form von Gutachten den zuständigen
Regierungsstellen zugeleitet.“
Klassen und Lehrerschaft grüßen den „Führer“,
Süddeutscher Verlag
Die Nordwestdeutsche Zeitung (NWZ) vom
22.08.1933 berichtete unter der Überschrift
„Nationalsozialismus und Schule“ von einer
Schulungstagung des Nationalsozialistischen
Lehrerbundes. Dort heißt es u.a. „...Rasse, Wehr,
Führerprinzip u. Religion sollen der Tagung das
Gepräge geben.“
23
Der Nationalsozialismus setzte allen demokratischen Bestrebungen der Weimarer Republik ein
jähes Ende.
Aus Schulbüchern der Hitlerzeit
Mathematik
Aufgabe 44: Wieviel Kinder muß eine Familie
haben, damit der zahlenmäßige Bestand des
Volkes gesichert ist?
Aufgabe 89: Wieviel Personen gehören in die
"Ahnentafel" eines Menschen, falls sie von der
nullten bis zur n-ten Reihe fortgesetzt wird?
Aufgabe 95: Der Bau einer Irrenanstalt erfordert
6 Millionen RM. Wieviele Siedlungen zu je 15000
RM hätte man dafür bauen können?
Aufgabe 97: Nach vorsichtigen Schätzungen sind
in Deutschland 300 000 Geisteskranke (...) in
Anstaltspflege.
b) Was kosten diese jährlich insgesamt bei
einem Satz von 4 RM?
c) Wieviel Ehestandsdarlehen zu 1000 RM
könnten unter Verzicht auf spätere Rückzahlung
von diesem Geld jährlich ausgegeben werden?
(Handbuch für Lehrer; zit. nach: H. Focke / U.
Reimer, Alltag untern Hakenkreuz 1979)
Ein moderner Nachtbomber kann 1500
Brandbomben tragen. Auf wieviel Kilometer
Streckenlänge kann er diese Bomben verteilen,
wenn er bei einer Stundengeschwindigkeit von
250 Kilometern in jeder Sekunde eine Bombe
wirft? (Rechenbuch für Knaben und Mädchen Mittelschulen)
Lehrer, die sich dieser Entwicklung widersetzten,
bekamen Berufsverbot. Nach Aussagen vieler
Zeitzeugen galt das Kollegium der Humboldtschule als eher konservativ, nur wenige sollen
überzeugte Nationalsozialisten gewesen sein.
Schulleiter Graue war Mitglied der NSDAP. Er
übernahm
sogar
die
Funktion
eines
Propagandaleiters sowie Kreiskulturwarts. In
seinen Verantwortungsbereich fiel auch die
sogenannte „erbbiologische Schülerauslese“ im
Stadtteil Geestemünde, die ab 1935 zur
Diskriminierung jüdischer Kinder an den
staatlichen Schulen und schließlich zu deren
Entfernung führte.
Als an den Schulen unter dem Stichwort
„Rassentrennung
auf
den
öffentlichen
Schulen“ die jüdischen Mitschülerinnen und
Mitschüler erfasst werden sollten, um sie später
in sogenannten „Judenschulen“ zu isolieren,
zeigte sich Schulleiter Graue besonders eifrig. Er
ließ es sich nicht nehmen, bei einigen Schülern
die schriftliche Erklärung über die „arische
Abstammung“ anzuzweifeln.
„Ich habe Verdacht wegen des Namens, des
jüdischen
Aussehens,
des
gedrückten
Benehmens, der kath. Religion.“
(Uwe Weiher, Die jüdische Gemeinde an der
Unterweser, S. 24)
Berufsverbote (Gesetz zur Wiederherstellung des
Berufsbeamtentums) aus politischen Gründen
sind an der Humboldtschule nicht bekannt.
Allerdings wurde ein Lehrer auf Grund seiner
politischen Überzeugung in den Landkreis
strafversetzt.
Die gewählten Elternbeiräte wurden auf Weisung
von Rudolf Heß 1934 aufgelöst, auch alle
Formen der Schülerselbstverwaltung wurden
abgeschafft, stattdessen wurden an ihrer Stelle
sogenannte „Klassenführer“ eingesetzt.
Der nationalsozialistische Alltag kennzeichnete
den Schulbetrieb bald sichtbar. Jeder Lehrer
mußte mit dem Hitlergruß vor die Klasse treten,
diese antwortete dann mit einem lauten „Heil
Hitler“. Dies spiegelt sich auch in der
Schulchronik wider.
„Lehrkräfte werden im Augenblick zu stark
von Dingen außerhalb des Schulbetriebes
beansprucht. Lehrkräfte werden zu Parteiveranstaltungen und Schulungskursen beurlaubt. Reden führender Persönlichkeiten
werden im Gemeinschaftsempfang in der
Aula abgehört.“
Fibel für Niedersachsen, Hannover 1939
(aus: Klaus Zisenis, Gerth Schmidt, Unsere
Fahne flattert uns voran)
24
Hitlerjugend
Die Hitlerjugend war die Bezeichnung für die gesamte nationalsozialistische Jugendorganisation
mit ihren Unterorganisationen. Sie diente der totalen Erfassung und ideologischen Manipulation
der Jugend im Sinne des Systems.
Sport, Abenteuerlust und Gemeinschaftssinn das waren die Mittel, mit denen die Nazis die Jugend verführte und zum Teil für sich gewann. In
Bremerhaven waren bis zum Jahr 1935 nur etwa
65% der Jugendlichen Mitglieder der HJ. Diese
Zahl war im Vergleich zu anderen Städten, in
denen oft über 80% in der HJ organisiert waren,
erstaunlich gering. Doch attraktive Freizeitangebote – andere Jugendorganisationen waren
verboten – Zwang, gesellschaftlicher Druck,
besonders in der Schule sowie die Gesetze zur
Hitlerjugend der Jahre 1936 und 1939, die sie zur
staatlichen Erziehungseinrichtung werden ließ,
erhöhten in Bremerhaven wie in Wesermünde
allmählich die Mitgliederzahlen.
Auf den Dienst der Schüler in der Hitlerjugend
(HJ) hatte die Schule Rücksicht zu nehmen, deshalb durften für Mittwochnachmittag und für den
Samstag keine Hausaufgaben aufgegeben werden.
Sammlung Alt: Hitlerjungen beim Appell
Hans
Knull zweite
(Jahrgang
1923),
Aufbauzug
Klasse der Humboldtschule 1938 (Klassenlehrer Hagemann), Ina
Barnewald:
Reihe,
vierte der
von den
rechts.
von 1936
1940 besuchte, berichtet:
Fast alle Schülerinnen und Schüler tragen bereits die Uniformen
derbis
Hitlerjugend
25
„Wenn die HJ-Mitglieder am Samstag Dienst
hatten, mußten die Nichtmitglieder in die
Schule gehen, dort bot Lehrer Gabrich
Sportunterricht an. Er wußte diesen so
attraktiv zu gestalten, daß einige von uns
lieber zur Schule gehen wollten.“
Mädchen, die nicht an BDM-Veranstaltungen
teilnahmen, mußten im Schulgarten, der sich am
Hans Knull (erste Reihe: vierter von links) im März 1938 im Kreise seiner Mitschüler, links Lehrer Brase
heutigen Trafohäuschen befand, arbeiten.
Wenn es in die Ferien ging, fand vor dem
Eingangsportal ein Fahnenappell statt. Die
Schüler versammelten sich dort und wurden
offiziell durch eine Ansprache der Schulleitung
und schließlich mit dem Hitlergruß in die Ferien
entlassen.
Oft fiel der Unterricht auf staatliche Anordnung
sogar aus, so gab es beispielsweise schulfrei
nach der Annektion Österreichs oder an
sonstigen Feiertagen des Regimes.
Luftschutz
Bereits 1937 wurden auf Weisung des Reichsluftschutzbundes die Kellerräume an allen Schulen erfaßt und überprüft, ob sie für den Ausbau
in Luftschutzräume geeignet waren.
Die Keller der Humboldtschule sollten nach
entsprechender Herrichtung ca. 510 Schüler
aufnehmen.
26
Es wurde ein Luftschutzleiter bestimmt, der
monatliche
Übungen
an
der
Schule
durchzuführen hatte.
„An
Schulräumen
besetzte
die
Rettungsstation den unteren Stock. Die
Hilfspolizei (100 Mann) belegte die Turnhalle
und requirierte, was ihr paßte. Zur Zeit
können nur fünf Klassen untergebracht
werden,
wir
unterrichten
nach
eingeschränktem Plan“.
(Schulchronik)
Betonblöcke wurden aus Luftschutzgründen vor
die Kellerfenster der Schule plaziert.
Das Foto zeigt Frau Herta Meyer und ihren
Klassenkameraden Hans-Dieter Ihnen 1942.
Mit dem Überfall auf Polen am 1.09.39
entfesselte
das
nationalsozialistische
Deutschland den Zweiten Weltkrieg. Schon im
August, nach den Sommerferien, spürten die
Schüler die drohende Kriegsgefahr.
„Über dem gesamten Unterrichtsbetrieb liegt
ein Druck infolge der entstandenen
politischen Lage. Brüder und Väter der
Kinder wurden plötzlich eingezogen“.
(Schulchronik)
Auch der Hausmeister mußte zum 26.8. 39
einrücken. Die Lehrer wurden zum Teil wegen
ihres relativ hohen Alters erst später zum
Kriegsdienst herangezogen. Rektor Graue
meldete sich allerdings im Jahre 1940 als
Reserveoffizier freiwillig, so daß nun Fräulein
Bauer,
die
Konrektorin,
seine
Funktion
übernahm.
Unterricht fand kaum noch in gewohnter Weise
statt. Wegen häufiger Luftgefahr oder fehlenden
Heizmaterials blieb die Schule oft geschlossen
oder der Unterricht fand schichtweise am
Vormittag und am Nachmittag statt.
Immer wieder wurde der Schulraum zweckentfremdet.
Marie Meyer in der DRK-Schwesterntracht vor
der Rettungsstelle in der Humboldtschule.
1941
wurde
der
Nordflügel
mit
dem
Lehrerzimmer, der Turnhalle und der Küche mit
Soldaten belegt. Dazu kam später die
Luftschutzpolizei sowie die Besetzung der
Schulküche durch die Nationalsozialistische
Volkswohlfahrt (NSV).
Immer mehr Kinder mußten sich die wenigen
Klassenräume
teilen.
Klassen
wurden
zusammengelegt oder in benachbarte Schulen
ausgelagert. Außerdem mußte 1941 an der
Humboldtschule - wie in anderen Gebieten des
Deutschen
Reiches
auch
nach
österreichischem Vorbild die Hauptschule als
Oberstufe der Volksschule eingerichtet werden.
„Das neue Schuljahr begann mit einem Zuwachs von annähernd 270 Kindern. 2 Hauptschulklassen mit je 54 Schülern, 2 Auf-
27
nahmeklassen mit je 50 und eine 3. Klasse
für den Aufbauzug mit 52 Kindern..., so daß
unsere Volks- und Hauptschulklassen
durchschnittlich alle mit bis zu 50 Kindern
besetzt sind. Schwierigkeiten ergeben sich
jetzt um die Klassenräume, solange die
Luftschutzpolizei noch in den Klassen untergebracht ist.“
(Schulchronik)
Rohstoffsammlung
Die Unterrichtung der Kinder litt nicht nur unter
räumlichen Problemen, sondern auch durch die
Übernahme unterrichtsfremder Aufgaben. So war
das Sammeln von Rohstoffen für die Schüler
Pflicht. Gesammelt wurde fast alles, wie
Altpapier, Knochen für die Versorgung der
deutschen Knochenindustrie, Alttextilien oder
Arzneiund
Teekräuter.
Über
die
Sammelergebnisse führte die Schule Buch und
prämierte die fleißigsten Schüler. „Unsere
Knochensammlung ist u. bleibt ein Schmerzenskind, mehr als 30 kg pro Monat haben
wir noch nicht aufgebracht.“
(Schulchronik)
Es ist leicht nachvollziehbar, daß sich unter diesen Lehr-und Lernbedingungen die Schulleistungen allmählich verschlechtern mußten.
Ein Landrat urteilte darüber 1942:
„Es scheint doch so zu sein, daß unmittelbar
nach der nationalen Erhebung die Schulkinder vor lauter Schulferien, Staatsjugendtagen, freien Ganztagen und Halbtagen, beschränkten Stundenzahlen, sportlichen Veranstaltungen, Wanderungen, Beurlaubungen, Durchführung von Sammlungen usw.
gar nicht mehr dazu gekommen sind, in
erster Linie einmal richtig Schreiben und
Rechnen usw. zu lernen.“
Heilkräutersammlung
ergab:
2kg
Brombeerblumen. 3,5 kg Schafgarbe. Die
28
Zerstörung des Nordflügels
Während des Krieges befand sich in der
Turnhalle
der
Humboldtschule
ein
Bergungslager. Opfer des Bombenkrieges in
Wesermünde konnten den von ihnen geretteten
Hausrat dort bis zum Bezug einer neuen „Bleibe“
einlagern.
Das Feuer zerstörte den Dachstuhl, so daß das
vierte Stockwerk (Näh- und Musiksaal) nicht
mehr zur Verfügung stand. Auch die Turnhalle
brannte völlig aus, denn dort fand das Feuer in
dem abgestellten Hausrat reichlich Nahrung.
Humboldtschule
Gefangenenlager
als
Als im September 1943 Italien mit
den Alliierten einen Waffenstillstand
schloß,
leitete
das
nationalsozialistische Deutschland
sofort die offene Besetzung des
Landes ein. Soldaten und Offiziere
wurden entwaffnet und militärisch
interniert.
Eine in Wesermünde stationierte
italienische Baukompanie wurde
daraufhin im Sommer 1944 inhaftiert
und
im
Nordflügel
der
Humboldtschule gefangengehalten.
Ein
Drahtzaun
trennte
das
sogenannte „Italienerlager“ vom
übrigen Schulgebäude ab.
Bergung von Hausrat nach einem Luftangriff
Bei dem schweren Bombenangriff am 18.9.44 auf
Bremerhaven/Wesermünde, bei dem ca. 95% der
Bremerhavener Innenstadt zerstört wurde und
618 Menschen elendig umkamen, wurde auch der
Nordflügel der Humboldtschule getroffen.
Die zerstörte Schillerstraße, Ecke An der Mühle
Stadtarchiv
29
Die italienischen Gefangenen wurden wie
Leiharbeiter in verschiedenen Betrieben auf
Anforderung eingesetzt.
Für ihre erzwungenen Arbeitsleistungen stellte
die Stadt Wesermünde für die Zeit von August
bis Dezember 1944 den anfordernden Betrieben
131.152,24 RM in Rechnung.
Stadtarchiv
Hausmeister Weymann konnte sich 1962 noch
gut an die gefangenen Italiener erinnern:
„Nach ihrer Befreiung am 7. Mai 1945 sei
noch ein Bataillon Italiener gekommen. Jetzt
wurde vor unserer Schule die italienische
Fahne gehißt. Bald herrschten auch
südländische Zustände. Als Wäscheleinen
wurden die E-Leitungen aus den Steckdosen
gezogen und über die Flure und die Räume
gespannt.“ (Jahresschau 1963)
Dort wo heute der Sportplatz liegt, wurden viele
kleine Feuerstellen errichtet, auf denen die
Italiener ihr Essen zubereiteten.
Gegen Kriegsende war auch noch
Volkssturm im Hause untergebracht.
der
Kinderlandverschickung
Wegen dauernder Luftgefahr wurde der
Unterrichtsbetrieb am 20.06.44 schließlich
unterbrochen. Auf Weisung der Kreisleitung der
NSDAP mußte die Evakuierung fast aller
Schulkinder aufs Land in sogenannte KLV-Lager
(Kinderlandverschickung) eingeleitet werden.
Schulchronik
Evakuierungsorte
waren
beispielsweise
Lauenbrück, Scheeßel, Westerholz oder andere
Dörfer bzw. Kleinstädte.
30
Dabei begleiteten und betreuten die Lehrer ihre
Klassen. Die HJ übernahm die organisatorische
Leitung und war bei der Quartierbeschaffung behilflich. In diesen Einrichtungen sah die Reichsjugendführung eine Möglichkeit, die ihnen anvertrauten Kinder und Jugendlichen ohne Einfluß
des Elternhauses im Sinne der nationalsozialistischen Ideologie verstärkt zu manipulieren:
„Die Einrichtung der KV-Lager bietet die
Möglichkeit, Jugendliche im großen Rahmen
und für längere Zeit total zu erziehen.“ (zit.
nach: Das junge Deutschland 1943)
immer einfach, es gab Heimweh oder wir
mußten die Bauern bei der Arbeit unterstützen. Als Bremerhaven am 18.09.44 bombardiert wurde, konnten wir den Feuerschein
des brennenden Wesermünde sogar in
Witthopsbostel beobachten. Viele weinten,
denn sie wußten ja nichts vom Schicksal ihrer Angehörigen.“
Luftangriff vom 18. September 1944
Die Eltern wurden zwar nicht durch Gesetze oder
Anordnungen dazu gezwungen, ihre Kinder zu
verschicken, aber die Schulsituation ließ ihnen
praktisch keine andere Wahl.
Frau Szyfter (Jahrgang 1935), die 1941 in die
Humboldtschule eingeschult wurde, ist diese Zeit
heute noch gegenwärtig.
Noch schlimmer kam es jedoch für für Frau
Brunstermann, geb. Bödecker, die von 1941
bis 1945 Schülerin des Aufbauzuges war:
Frau Szyfter am Hauptportal unter dem Schild
‘Notrettungsstelle’
„Bereits 1943 wurde ich - wie viele meiner
Mitschülerinnen auch- vor den Bombenangriffen in die Nähe von Rotenburg/Wümme
ins Dorf Witthopsbostel evakuiert. Die HJ
verteilte uns auf verschiedene Wohnungen
oder Bauernhöfe. Auch Verwandte durften
uns aufnehmen. Fräulein Ludemann, eine
Fachlehrerin, unterrichtete und betreute uns
während dieser Zeit. Es war für uns nicht
"Bei dem Bombenangriff auf unsere Stadt
vom
September
1944
wurde
die
Schillerstraße und Umgebung zum Teil
zerstört. 3 Bombenkrater waren hinter der
Schule.
Alle
Fensterscheiben
waren
zertrümmert. Wir Kinder flogen im Keller von
einer Ecke in die andere...
Papier war knapp. Wenn ein Schulheft
vollgeschrieben war, mußten wir Kinder das
Heft im Rektorenzimmer abstempeln lassen.
Im Geschäft wurde dann eine Ecke vom Heft
abgeschnitten, und wir konnten ein neues
kaufen...Die italienischen Zwangsarbeiter
wohnten im linken Flügel der Schule. In der
Mitte der breiten Treppe war ein
Maschendrahtzaun...Wir hatten im letzten
Schuljahr (44-45) nur noch zwei Lehrer. Wir
waren die einzige Klasse im Schulhaus. Alle
anderen Kinder waren evakuiert auf's Land.
Die 4. Etage des Schulgebäudes brannte
beim Bombenangriff im September 44
aus...Während unserer Prüfung im März
1945 mußten wir noch bei Alarm in den
Bunker an der Allmersschule laufen...In
Deutsch war mein Prüfungsthema 'Ludwig
Uhland'. Sein Frühlingsgedicht trug ich nicht
fröhlich genug vor. Ich schaute dabei aus
dem Fenster auf ausgebrannte Häuser...Der
Titel unseres Prüfungsaufsatzes lautete:
‘Und wir siegen doch!’ "
31
Schüler als Luftwaffenhelfer und
Brandwächter
Ab 1942 mußte an der Schule eine Brandwache
eingerichtet werden, die aus Schülern, einem
Lehrer und dem Hausmeister bestand. Für sie
wurde im ehemaligen Elternsprechzimmer, das
bereits früher das Lehrerzimmer für die im Hause
befindliche Hilfsschule gewesen war, eine
Unterkunft hergerichtet.
„Für das Wachen hier werden von der Stadt
2 RM pro Nacht bezahlt, so daß der Posten
einer Brandwache für die Jungen sehr begehrt war.“ (Schulchronik)
Herr Tränkner erinnert sich:
„Ich persönlich fand es gar nicht schlecht,
morgens gleich in der Schule zu sein. Weniger gut fand ich, dass die anwesende Lehrkraft, die ebenfalls ein Zimmer im Untergeschoß bewohnte, allabendlich die Hausaufgaben überprüfte. Zum Leidwesen des
Hausmeisters, durften wir auch noch die
Turnhalle benutzen, solange es hell war.
Günstig für mich war weiterhin, dass ich nur
einen kurzen Weg zur Allmersschule hatte,
wo die Übungsabende des HJ Musikzuges
abgehalten wurden. Im Musikzug spielte ich
Klarinette und im Orchester Oboe.
Als Brandwache befand ich mich bei Fliegeralarm entweder im Treppenhaus, von wo
man den besten Überblick hatte, oder unmittelbar unter dem Kupferdach der Schule.
Der Dachboden war etwa 10 cm hoch mit
feinem Sand bedeckt. Eine Luke im Dach
konnte geöffnet werden. So konnten wir das
Geschehen draußen beobachten. Sobald die
Flak schoß, warteten wir, bis die ersten Granatsplitter angesungen kamen. Brandbomben fielen zu meiner Zeit nicht auf die Humboldtschule. Dem klackenden Geräusch, das
die Flaksplitter auf dem Dach erzeugten,
schenkten wir nach kurzer Zeit keine Beachtung mehr. Erst als zwei Bodenstücke
glatt durchs Dach schlugen, begannen wir,
uns mit dem Rücken an den Schornstein zu
lehnen, solange draußen die Splitter niedergingen.
Es wird wohl kaum noch bekannt sein, daß
zwischen dem Schulgebäude und dem
Gehweg an der Schillerstraße ein Feuerlöschbecken angelegt wurde. Es nahm fast
den ganzen Platz rechts vor dem Vordereingang ein. Jeder hatte dem Becken fernzubleiben. An Sommerabenden, an denen wir
nicht mehr zum Baden kamen, reizte ein
solch schönes Planschbecken natürlich. Leider mußten wir das Zimmer der Aufsicht habenden Lehrkraft passieren, wenn wir das
Gebäude verlassen wollten. Außerdem lag
das Schlafzimmerfenster des Hausmeisters
zur Schillerstraße hin. Unser Schlafraum lag
am Ende des Flurs im ersten Geschoß an
der Seite des Schulhofeingangs. Wir hangelten aus dem Fenster an den Fenstern des
Werkraums vorbei nach unten und ließen
uns nachts geräuschlos ins Wasser gleiten.
Leider wurde das Wasser gegen Ende des
Sommers trübe, und der Spaß hörte auf.“
Marinehelfer
Angesichts der sich abzeichnenden Niederlage
verkündete Reichspropagandaminister Goebbels
im Sportpalast am 18. Februar 1943 – 18 Tage
nach der Kapitulation in Stalingrad – den totalen
Krieg. Nun wurden auch Jugendliche für den
Krieg dienstverpflichtet. Tausende von ihnen
kamen dabei im Fronteinsatz oder als Flakhelfer
sinnlos ums Leben.
Im Jahre 1943 waren aus den Wesermünder
Schulen insgesamt 161 Schüler als Marinehelfer
in den umliegenden Flakbatterien eingesetzt.
Das waren die Geschütze in Spaden, Schiffdorf,
Langen, auf der Luneplate und auf Langlütjen.
Dem Einsatz lag eine Verfügung des
Reichsministers des Innern vom 19.01.43 zu
Grunde.
Daraufhin wurden auch Schüler der Jahrgänge
26/27 aus der A VI (Abschlußklasse der
Mittelschule) als Luftwaffen- und Marinehelfer
zum Flakeinsatz kommandiert.
„Heute werden unsere Jungen aus AVI
entlassen, da sie zum Kriegshilfsdienst einberufen wurden. Herr Hagemann hatte die
Abschiedsrede übernommen. Er legte seinen zu Herzen gehenden Worten die beiden
Begriffe Ehrfurcht und Treue zu Grunde. Ein
Unteroffizier der Flakbatterie nahm die Jungen hierauf in Empfang und führte sie zu ihrer Einsatzstelle nach Schiffdorf.“
(Schulchronik)
16jährige Schüler als Marinehelfer
32
Den Jungen wurde allerdings die mittlere Reife
ohne Prüfung zuerkannt. Waren sie noch Schüler, so wurden sie bei ihren Einheiten untergebracht und erhielten dort den Unterricht, der
allerdings kriegsbedingt häufig ausfiel.
Lothar Koch (Jahrgang 1926) war einer dieser
Jungen.
33
Günter Tränkner erinnert sich:
„Mit Beginn des neuen Schuljahres (1943)
wurden aus meiner Klasse, der A6, acht
Schüler des Jahrgangs 1927 eingezogen,
um die jetzt schulentlassenen Marinehelfer
in der 5. Batterie der M Fla A 244, Schiffdorf
zu ersetzen. Zwei Schüler des Jahrgangs
1927 unserer Klasse wurden zurückgestellt.
Zunächst gingen wir zur Ausbildung in die
Batterie Schiffdorf. Schulunterricht wurde in
dieser Phase nicht erteilt. Dann erfolgte die
Abkommandierung zu einer Stellung der
leichten Flak auf dem Seedeich nahe dem
Ochsenturm bei Dingen. Von hier aus fuhren
wir mit Bus und Straßenbahn einmal
wöchentlich
zum
Physikund
Chemieunterricht zur Humboldtschule. Die
schöne unterrichtslose Zeit nahm mit der
erneuten Versetzung nach Brinkamahof II, 2.
Batterie, ein Ende. Hier wurde wieder
Unterricht erteilt bis zur Schulentlassung
1944.“
Bei den Einsätzen in den Batterien um
Wesermünde verloren einige Jugendliche ihr
Leben oder wurden schwer verwundet.
34
Arbeitsdienst für Lehrer
Kriegsende
In den Ferien mußten die Lehrer Arbeitsdienst
leisten. „Der Ferieneinsatz der Lehrpersonen
Rektor
Graue,
der
nach
seiner
Dienstentpflichtung 1944 nach Wesermünde
zurückkam,
stand
nun
wieder
der
Humboldtschule zur Verfügung. Nach seiner
Ausbombung in der Klopstockstraße bekam er
Wohnraum in Kührstedt zugewiesen, wo er
zusätzlich die dortige Dorfschule betreuen
mußte. Am 30.04.45 notierte er in seinem
Tagebuch:
sieht auch unser Kollegium wieder seine
vaterländische Pflicht erfüllen. Verschiedene
gehen zur Entlastung zu den Wirtschaftsund Ernährungsämtern. Andere aufs Land
zur Land -und Erntehilfe.“
(Schulchronik)
Vandalismus
Ein
für
die
damaligen
Verhältnisse
ungewöhnlicher Vorfall sollte auch nicht
unerwähnt bleiben. Der HJ-Dienst war seit 1939
gesetzliche Pflicht. Am 17.03.42 fand die
Dienstverpflichtung der Hitlerjugend an der
Humboldtschule statt. Mehr als 2000 Kinder im
Alter zwischen 10 und 14 Jahren versammelten
sich deshalb auf dem Schulhof, drangen durch
die Fenster ins Schulgebäude und tobten ohne
Aufsicht durch die Flure und Klassenräume.
Dabei gingen Luftschutztüten, Kleiderhaken und
sogar 5 Stühle zu Bruch. Erst die Polizei konnte
diesem Spuk ein Ende machen.
1942
„Ich sehe schwarz für Kührstedt. Es werden
in diesem Raum zu viele Soldaten
zusammengezogen. Anscheinend wird der
Kanal Hauptkampflinie. Die Panzersperre
wurde aus dem Ort herausgelegt an die
Ringstedter
Brücke.
Ich
muß
Lebensmittelkarten verteilen, das werden
wohl die letzten sein, die wir nach hier
bekommen.“
Am Freitag, den 4.05.45, drei Stunden vor dem
Waffenstillstandsbeginn, ist Rektor Graue bei
Kührstedt gefallen.
In der Schulchronik heißt es abschließend:
„Nach dem Zusammenbruch wurde Anfang
August 1945 mit der Registrierung der
Schulpflichtigen
begonnen.
Für
den
gefallenen Rektor Graue wurde der bisherige
Rektor der zerstörten Alt-GeestemünderMädchenschule,
Rabens,
Leiter
der
Humboldtschule.“
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