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Einige Monate später stirbt Nikolaj Rubinstein, eine prägende Figur
in Tschaikowskijs Leben; ein Mentor, dem er – wie Rachmaninow
später ihm selbst – viel zu verdanken hat. Als Tschaikowskij 1866 nach
seinem in St. Petersburg absolvierten Studium nach Moskau zog,
­gewährte Rubinstein ihm bis 1871 in seiner Wohnung Unterschlupf.
Quasi als Einzugsgeschenk kleidete der berühmte Pianist den noch
völlig unbekannten Komponisten zudem neu ein – und obendrein
vermittelte er ihm eine Stelle als Dozent am Konservatorium. Ein
Jahr nach seinem Auszug dankte Tschaikowskij dem Förderer zum
ersten Mal öffentlich mit einer Komposition, der »Serenade für Nikolaj Rubinsteins Namenstag«. Das gute Verhältnis der beiden trübte
sich allerdings nachhaltig, als Tschaikowskij 1874 sein berühmtes
­erstes Klavierkonzert in b-moll fertiggestellt hatte und es seinem
Mentor vorspielte. Der ließ sich in einem wütenden Wortschwall
­darüber aus und erklärte es kurzerhand für wertlos. Später aber
­änderte Rubinstein – großer Künstler, der er war – doch noch seine
Meinung und zollte Tschaikowskij Respekt für dieses Konzert. Dankbar war der Komponist Rubinstein außerdem, weil er, der Kopf des
Moskauer Musiklebens, auch als Dirigent mehrere Werke von ihm
erstmals aufführte.
Damit reiht sich das Werk ganz in die Gattungstradition ein: In klas­
sischen Klaviertrios stand das Klavier nämlich zunächst vollkommen
im Zentrum. Bei Haydn übernimmt die Violine nur hin und wieder
die Melodie, und das Violoncello verdoppelt schlicht die Basslinie.
Mozart und Beethoven übertrugen den beiden Streichinstrumenten
schon mehr Aufgaben, und erst im Laufe der Romantik wurden die
drei Instrumente mehr und mehr zu gleichberechtigten Partnern.
Tschaikowskij reizte beim Komponieren seines Trios vor allem, die
­eigentlich unüberbrückbaren Gegensätze von Klavier und Streich­
instrumenten zu einer Einheit zu verbinden. Damit war er denn auch
zufrieden, aber was die Struktur der Komposition betrifft, hatte er
seine Zweifel: »Ich fürchte nur, dass ich, der ich mein ganzes Leben
lang nur für Orchester komponiert habe und mich erst spät dieser
neuen Art Kammermusik zugewandt habe, hinsichtlich der Anpassung der Besetzung an die musikalischen Gedanken gefehlt habe.
Mit einem Wort: ich fürchte, dass ich eine Musik symphonischen
Charakters für Trio arrangiert und nicht direkt für drei Instrumente
berechnet habe.«
VORSCHAU
Das nächste Kammerkonzert findet am Sonntag,
den 6. November 2016 im Funkhaus Wallrafplatz statt
und beginnt um 11.00 Uhr.
BRAHMS @ BUSONI
Ferruccio Busoni
Suite für Klarinette und Streichquartett g-moll BV 176
Streichquartett Nr. 2 d-moll op. 26 BV 42
Nicola Jürgensen Klarinette
Brigitte Krömmelbein Violine
Johanne Stadelmann Violine
Mischa Pfeiffer Viola
Gudula Finkentey-Chamot Violoncello
Johannes Brahms
Klavierquintett f-moll op. 34
Otto Hagedorn
Carola Nasdala Violine
Adrian Bleyer Violine
Katharina Arnold Viola
Sebastian Engelhard Violoncello
Tobias Koch Klavier
Und nun, im März 1881, stirbt Nikolaj Rubinstein also in Paris.
­Tschaikowskij weilt zu diesem Zeitpunkt in Nizza. Er macht sich
­sofort auf den Weg in die französische Hauptstadt, um dem Be­
gräbnis beizuwohnen. In den nächsten Monaten komponiert er
im Gedenken an den großen Pianisten sein großes elegisches Trio
in a-moll op. 50 – und lässt es mit der Widmung »A la mémoire
d’un grand artiste« veröffentlichen.
Nach seiner einstigen Absage überrascht Tschaikowskij seine Mäzenin Nadeshda von Meck also im Dezember 1881 mit der folgenden
Ankündigung: »Wissen Sie, was ich jetzt schreibe? Sie werden sich
sehr wundern. Wissen Sie noch, wie Sie mir einstmals den Rat gegeben haben, ein Trio für Klavier, Violine und Cello zu schreiben, und
erinnern Sie sich noch meiner Antwort, in welcher ich Ihnen offenherzig mitteilte, dass mir diese Instrumentenkombination unsympathisch sei? Plötzlich habe ich mir ungeachtet diese Antipathie vorgenommen, mich in dieser von mir noch unberührten Art der Musik zu
versuchen.« Knapp einen Monat später ist die Komposition vollendet
– und Tschaikowskij hat dem Klavier die führende Rolle übertragen.
Bildnachweis
Herausgeber
Titel: Anna Vinnitskaya
© Gela Megrelidze;
Holz © Getty Images/malerapaso
Innenteil: Anna Vinnitskaya ©
Gela Megrelidze;
Portraits © WDR/Overmann
Westdeutscher Rundfunk Köln
Marketing
Appellhofplatz 1
50667 Köln
Verantwortliche Redaktion
Patricia Just
Redaktion und Produktion des
Konzerts
Siegwald Bütow
September 2016
Änderungen vorbehalten
Meet anna
KAMMERKONZERT
SO 25. September 2016
11.00 Uhr
Funkhaus Wallrafplatz, Köln
KAMMERKONZERT
mit Anna Vinnitskaya und Mitgliedern
des WDR Sinfonieorchesters
SERGEJ
RACHMANINOW
(1873 – 1943)
KLAVIERTRIO NR. 1 G-MOLL
»TRIO ÉLÉGIAQUE«
SERGEJ RACHMANINOW
Klaviertrio Nr. 1 g-moll
»Trio élégiaque«
Pause
ANNA VINNITSKAYA
»SOLISTIN DER SAISON«
Noch bevor Anna Vinnitskaya in den großen Klavierkonzerten der
klassischen Moderne brilliert, stellt sie sich heute als »Solistin der
Saison« des WDR Sinfonieorchester mit Kammermusik ihrer russischen Heimat vor. Im Alter von 6 Jahren erhielt sie ihren ersten Klavierunterricht von ihrer Mutter und mit 8 Jahren spielte sie ihr ­erstes
öffentliches Konzert. Ralf Nattkemper wurde bei einem Klavierwettbewerb auf sie aufmerksam und lud sie an die Hochschule für Musik
und Theater (HfMT) Hamburg ein, an der sie ab 2002 bei Evgeni
Koroliov ausgebildet wurde. 7 Jahre später folgte die Berufung zur
Professorin für Klavier an der HfMT Hamburg. Im Laufe ihrer Karriere
hat Anna Vinnitskaya renommierte und internationale Klavierwettbewerbe gewonnen. Zu ihren Auszeichnungen zählen der 1. Preis
beim Königin-Elisabeth-Wett­bewerb 2007 in Brüssel und der »Leonard Bernstein Award« des Schleswig-Holstein Musik Festivals 2008.
Darüber hinaus erhielt sie 2010 die Auszeichnung des »Echo Klassik«
als »Nachwuchskünstlerin des Jahres« für ihre Einspielung mit
Orchester als Solistin des Deutschen Sinfonieorchesters Berlin
unter der Leitung von Gilbert Varga.
Soloengagements führen die Pianistin immer wieder zu zahlreichen
­bedeutenden Orchestern wie zum Beispiel dem NDR Elbphilhar­
monie Orchester, den Münchner Philharmonikern, dem RundfunkSinfonie-Orchester Berlin, dem Royal Philharmonic Orchestra, dem
City of Birmingham Symphony Orchestra und dem Israel Philharmonic Orchestra. Hierbei arbeitete sie u.a. mit den Dirigenten Andrey
­Boreyko, Charles Dutoit, Vladimir Fedoseyev, Marek Ja­nowsky,
Dmitri Jurowski, Emmanuel Krivine, Andris Nelsons, Kyrill Petrenko,
Juraj Valcuha und Gilbert Varga zusammen.
PETER TSCHAIKOWSKIJ
Klaviertrio a-moll op. 50
I. Pezzo elegiaco
II. Tema con Variazioni
III. Variazione Finale e Coda
Anna Vinnitskaya Klavier
Slava Chestiglazov Violine
Simon Deffner Violoncello
Das größte Vorbild für den Studenten Sergej Rachmaninow war Peter
Tschaikowskij. Rachmaninow schätze nicht nur dessen Musik, sondern auch den Menschen. Er hatte ihm viel zu verdanken. Das spiegelt sich auch im ersten »Trio élégiaque«, das in der Tonsprache und
im Tonfall direkt an Tschaikowskijs Klaviertrio anknüpft.
Zeit seines Lebens äußerte sich Rachmaninow dankbar über Tschaikowskij. Nicht nur, dass der ältere Kollege ihm gegenüber immer interessiert, freundlich und wohlwollend war – er förderte den um eine
Generation Jüngeren auch. Als Rachmaninow 1889 mit der Zwischenprüfung sein Grundstudium abschloss, war Tschaikowskij Ehrenvorsitzender der Kommission. Für die Lösungen der Kompositionsauf­
gaben gab er dem erst 15-Jährigen die Bestnote und versah sie als
Zeichen der absolut außerordentlichen Leistung zusätzlich mit drei
Pluszeichen. Drei Jahre später beendete Rachmaninow sein Studium
und komponierte als Examensarbeit die Oper »Aleko«. Um dem
­jungen Komponisten Tipps für die Verhandlungen mit dem Verleger
zu geben, nahm sich Tschaikowskij die Zeit für ein ausführliches Gespräch. Prompt konnte Rachmaninow ein Honorar aushandeln, das
bis dahin noch kein anderer russischer Debütant erhalten hatte. Bei
der Uraufführung von »Aleko« am Moskauer Bolschoi-Theater war
Tschaikowskij sogar bei den Proben anwesend und spornte sowohl
den Dirigenten als auch die Sänger zu interpretatorischem Feinschliff
an. Dass die Premiere zu einem großen Erfolg wurde, war also zu
­einem beträchtlichen Teil sein Verdienst.
Rachmaninow war seinem Mentor ungemein dankbar. Das zeigte er
1893 erstmals öffentlich, indem er ihm seine Suite Nr. 1 für zwei Klaviere widmete. Als Tschaikowskij wenige Monate später starb, war
Rachmaninow zutiefst erschüttert. Fast zwei Monate lang schottete
er sich von der Außenwelt ab und schrieb in dieser Zeit sein ausgedehntes »Trio élégiaque« Nr. 2 d-moll. Er versah es, wie Tschaikowskij
selbst gut zehn Jahre zuvor in seinem eigenen Klaviertrio, mit den
Widmungsworten »Dem Gedenken an einen großen Künstler«.
Ein Jahr früher, 1892, komponiert Rachmaninow bereits sein erstes
»Trio élégiaque« in g-moll. Auch dieses Werk steht ganz im Banne
Tschaikowskijs. Zwar ist es nicht annähernd so umfangreich, aber
­sowohl der elegische Tonfall als auch einige thematische Wendungen
erweisen dem Vorbild ihre Reverenz. Schon im ersten Thema greift
Rachmaninow Motive aus Tschaikowskijs Hauptthema auf. Aber so
sehr sich Rachmaninow in seinem Trio an die Musik seines Idols
­anlehnt, so klar treten hier erstmals die für seine späteren Kompo­
sitionen so charakteristischen Stil-Merkmale in Erscheinung.
PETER TSCHAIKOWSKIJ
(1840 – 1893)
KLAVIERTRIO A-MOLL OP. 50
PEZZO ELEGIACO
TEMA CON VARIAZIONI
VARIAZIONE FINALE E CODA
Peter Tschaikowskijs Klaviertrio ist ein elegisches Werk im Gedenken
an den Pianisten Nikolaj Rubinstein. Um ihm seine Ehre zu erweisen,
hat der Komponist den Klavierpart besonders exponiert und virtuos
gestaltet. Gründe dafür finden sich auch in der Gattungstradition
und in der jeweiligen Eigenart von Klavier, Violine und Violoncello.
»Warum haben Sie, Peter, Iljitsch, kein Klaviertrio geschrieben? Jeden
Tag bedaure ich das, weil wir hier so oft Trio spielen, und ich seufze,
dass es keines von Ihnen gibt.« Dies schrieb Nadeshda von Meck im
Jahr 1880 an ihren Brieffreund Peter Tschaikowskij. Im Oktober antwortete der Komponist: »Sie fragen, warum ich kein Trio komponiere.
[…] Mein akustischer Apparat ist so eingerichtet, dass ich die Kombination des Klaviers mit einer Violine oder einem Cello nicht vertragen kann. Meiner Ansicht nach stoßen sich diese Klangcharaktere
voneinander ab […]. Hier gehen die Vorzüge eines jeden [der drei
­Instrumente] verloren. Der gesangreiche und von einem herrlichen
Timbre durchglühte Ton der Violine oder des Cellos erscheint einseitig neben dem König der Instrumente, dem Klavier, während dieses
letztere vergebens zu beweisen versucht, dass es zu singen vermag
wie seine Gegner.« Damit scheint Tschaikowskij dem Wunsch seiner
Mäzenin eine unumstößliche Absage erteilt zu haben.
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