Institut für Klassische Archäologie Sokrates – Porträt eines Philosophen Römische Kopie nach einem Original (Bronzestatue) um 380/370 v. Chr. Neapel, Museo Nazionale Archaeologico „Erkenne dich selbst!“ – einer der Leitsätze des Philosophen Sokrates, der nicht nur durch seine eigenwilligen Lehren und Lehrformen, sondern auch aufgrund seines Todes durch den Schirlingsbecher in die Geschichte einging. Zu Lebzeiten galt er einigen Athener Bürgern als Volksverhetzer, der die Jugend verderbe. Er passte sich mit seinen Lehren in keiner Weise der allgemeinen Meinung an, von seinem nicht normgerechten Auftreten ganz zu schweigen. Andere wiederum waren von der Radikalität seines Denkens fasziniert. Er verbreitete seine Lehren – für Philosophen damals recht ungewöhnlich – gerne unentgeltlich auf den Straßen Athens. Doch wer war der Mensch Sokrates und wie kam er zu seinem Mythos? Geboren wurde er 469/470 v. Chr. als Sohn eines Steinmetzen in Athen. Nachdem er Ausbildung und Wehrdienst abgeschlossen hatte, begann er an seinen philosophischen Lehren zu arbeiten, die er jedem vermittelte, der einen Willen zum Lernen zeigte. Für ihn war die athenische Gesellschaft im Denken zu sehr den Konventionen verhaftet und nur auf Äußerlichkeiten bedacht, weshalb er und seine Schüler ein Dasein losgelöst vom Druck der Norm lebten. Die damals herrschenden Kosmetikund Kleidungsbedingungen wurden von Sokrates nicht beachtet. Er stutzte sich weder den Bart, noch sagten ihm Sport, üppiges Essen und Weingenuss zu. Wird er später in seinen Bildnissen als eher kräftig dargestellt, so kann man nicht davon ausgehen, dass dies in jungen Jahren schon der Fall war. In einigen Quellen wird Sokrates als xbeinig, dünn und ungepflegt beschrieben. Nicht einmal sein Aussehen schien in die Vorstellungen der Athener zu passen. Als Sokrates dann begann, seine Lehren von Ethik und Tugend zu verbreiten und auch noch eine Anhängerschaft zu finden schien, musste die Oberschicht Athens handeln. Wegen Volksverhetzung wurde er gefangen genommen und 399 v. Chr. zum Tode verurteilt. Da er keine Schriften hinterlassen hatte waren nun einzig seine Schüler, darunter der berühmte Platon, in der Lage seine philosophischen Ansätze zu verbreiten. Die Schüler des Sokrates trugen nach kurzem Untertauchen jedoch sein Gedankengut fort und so lebte Sokrates in gewisser Weise in ihnen fort. Schon damals bot die Erscheinungsweise des Sokrates Anlass zu prägnanten Kommentaren. So wird er in Xenophons „Gastmahl“, eine Schrift die nach Sokrates Tod entstand, mit durchaus hässlicher und den typischen Merkmalen eines Sokrates (Typus A), Kopie in Neapel Satyrn verglichen. Seine Augen sollen stark vorgestanden haben, und er habe große Nasenlöcher und ebenfalls viel zu ausladende Lippen gehabt. Besonderes Augenmerk legte man dabei auf seine Nase, die eingedrückt sei und somit – wie Sokrates selbst gesagt habe – wenigstens „...nicht die Aussicht versperrt....“ Innerhalb dieses Kontextes sind nun die Züge des Porträtkopfes vor uns zu deuten. Diese Porträtierung des Sokrates, Typus A genannt, wurde wahrscheinlich ca. 30 Jahre (380/360 v. Chr.) nach seiner Verurteilung als Privatstatue des Platon in der Akademie aufgestellt und bei der Vernichtung des Gebäudes 86 n. Chr. zerstört. Der Körper zu dem Kopf ist nicht erhalten, doch handelte es sich zweifellos um eine Porträtstatue, wohl im Bronzeguss gefertigt, wie in seinerzeit üblich. Dass dieser Kopf noch erhalten ist, verdanken wir vor allem literatur- und philosophieinteressierten Römern, welche Kopfrepliken von großen griechischen Gelehrten für ihre Privatbibliotheken anfertigen ließen. Wie bei allen Kopien griechischer Porträts ist auch hier mit Abwandlungen des Originals zu rechnen. Die Kopfform ist rundlich. Ein guter Teil des Gesichts wird von einem struppigen Bart bedeckt. Die Nase ist sattelförmig, also verkürzt und knollenartig, die Lippen sind zwar wohlgeformt aber stark wulstig, die Augen recht klein. Nichts im Gesicht des Sokrates zeigt ausgesprochene Schönheit, trotzdem scheint sein Mund leicht zu lächeln. Seine Halbglatze zeigt sein Alter an, scheint aber auch ein weiteres Gestaltungsmerkmal zu sein, das ihn mit einem Satyr verbindet. Betrachtet man sich den Kopf genauer, erinnert er tatsächlich an einen Satyr (oder „Silen“), also ein Wesen des dionysischen Gefolges, das wie der Gott selbst die Menschen verwandeln kann – eben diese Eigenheit wurde dem Sokrates nachgesagt, der die Menschen aber nicht mit Wein und Musik Dargestellt wird Sokrates hier als perfekter Bürger. Seine Gesichtsform und seine individuellen Züge sind etwas geglättet und idealisiert, eben in der Weise, wie man sich ein halbes Jahrhundert später einen Philosophen vorstellte, der der konventionellen Erscheinnung entsprach. Um die Wiedererkennung zu sichern, konnte jedoch nicht ganz auf die silenhaften Züge verzichtet werden und so tritt wenigstens noch in Ansätzen das frühere Porträt des Sokrates aus dem modifizierten Porträt hervor. Auch hier ist nicht Statuette nach Statue des Sokrates. London Vasenbild (Ausschnitt), Athen, um 460: Alter Satyr verzaubert, sondern durch die Kraft und Schönheit seiner außerordentlichen Gedanken: Deshalb der Verzicht auf das damalige Schönheitsideal. Es sollte der „Geist“ des Sokrates in seinem Porträt transportiert werden. Darum ging es den Auftraggebern, wahrscheinlich seine Schüler. Es existiert noch eine zweite Porträtschöpfung des Sokrates. Dieser sogenannte Typus B ist jünger als sein Vorgänger und entstand im ausgehenden 4. Jahrhundert im Zuge des patriotischen Erneuerungsprogramms der Demokraten unter Lykurg. Angefertigt wurde die Statue vermutlich von dem berühmten Bildhauer Lysipp. Sie wurde öffentlich innerhalb der Stadt im sogenannten Pompeion aufgestellt. ganz klar, welche Gestalt der Körper der Statue hatte. Vermutlich war es aber eine Standfigur in typisch bürgerlicher Darstellung, wie sie eine Statuette wiedergibt (s. Abb.). Ob diese Art der Wiedergabe den Wünschen Sokrates entsprochen hätte, oder ob er sich nicht wohlmöglich missverstanden gefühlt hätte, bleibt dahin gestellt. LITERATUR: I. Scheibler, Sokrates in der griechischen Bildkunst (München 1989); P. Zanker, Die Maske des Sokrates. Das Bild des Intellektuellen in der antiken Kunst (München 1995) 38-45. 62-66 ANNKATRIN KAUL