ballfänger und blickfang

Werbung
db deutsche bauzeitung
Schwerpunkt: Sportlich
03
20
09
1
2
BALLFÄNGER
UND BLICKFANG
DOPPELTURNHALLE IN BOREX-CRASSIER (CH)
{ Architekten: Mann Capua Mann
Tragwerksplaner: AIC
{ Kritik: Manuel Joss
Fotos: Thomas Jantscher
Ein Gittertragwerk, das ein 32 Meter langes Panoramafenster überspannt und gleichzeitig durch Hunderte
von Öffnungen die Halle belichtet, außen ein zurückhaltender Glaskörper, der nachts leuchtet wie eine
Laterne: Am Dorfeingang von Borex zeigen die Architekten Mann Capua Mann, wie aus einer gewöhnlichen
Bauaufgabe eine einzigartige Sporthalle entstehen
kann. Durch einen sensiblen Umgang mit der Umgebung
und der geschickten Verbindung von Tragwerk und
Architektur – auch wenn letztere nicht optimal ausgereizt wurde.
Borex und Crassier sind zwei kleine Gemeinden am Genfer See im französischsprachigen Teil der Schweiz. Die Lage inmitten von Feldern und Weinbergen und die abwechslungsreichen Licht- und Wetterstimmungen in der
Nähe der großen Wasserfläche hat sie wie auch die anderen Dörfer der Gegend zu beliebten Wohnorten für Pendler werden lassen. Genf ist seit dem
Autobahnbau in den sechziger Jahren nur eine halbe Autostunde entfernt.
Die Bevölkerung von Borex-Crassier zum Beispiel hat sich seither auf rund
tausend Einwohner vervierfacht und wächst kontinuierlich weiter, und damit auch die Schülerzahl.
Im Jahr 2004 schrieben die beiden Gemeinden einen Architekturwettbewerb aus, um die bestehende Turnhalle der Sekundarschule »Elisabeth de
Portes« am Dorfrand von Borex mit einer Doppelturnhalle zu erweitern.
Die beiden Klassentrakte der Schule aus den siebziger Jahren wurden bereits
aufgestockt und die inzwischen vierhundert Schüler, die teils noch aus anderen Gemeinden hinzukommen, mussten für den Sportunterricht bislang
auf etliche weitere Hallen in der Umgebung ausweichen. Zudem bestand
eine große Nachfrage seitens der örtlichen Sportvereine.
Das Architekturbüro Mann Capua Mann aus Lausanne gewann den Wettbewerb mit einer sorgfältigen und zugleich zweckmäßigen Anordnung, die
einen Geländesprung ausnutzt: Der Neubau schließt mit dem Sockel an die
bestehende Halle an, das Glasvolumen übernimmt die Fluchten der alten
Fassade. Beide Hallen zusammen bilden so am Dorfrand den Abschluss des
uneinheitlichen Schulgeländes, auf dem auch ein Technikhaus und eine
Mobilfunkantenne stehen. Zwischen dem Anbau und dem gegenüberliegenden Gebäude der Kinderkrippe ist ein neuer, grasbewachsener Platz ent-
standen. Von hier verlaufen Fußwege zu den Klassentrakten, die von der
Straße aus durch Wohngebäude und einen Friedhof verdeckt werden.
Der neue Haupteingang führt in ein Foyer mit Blick in die neue Doppelhalle und mit einer Verbindung zur bestehenden Küche und Zuschauertribüne. Über die Treppe gelangt man hinunter zu den Umkleiden und zu
den alten und neuen Sportflächen. In der neuen Halle dringt helles Seitenlicht durch das teilweise sichtbare Holztragwerk, zusammen mit den furnierten Holzplatten entstehen sich ständig ändernde, faszinierende Lichtstimmungen. Im Gegensatz zur Halle sind die Neben- und Erschließungsräume einfacher und kühler gehalten: Weiß gestrichene Wände und cremefarbener Kunststoffboden herrschen hier vor. Von außen betrachtet wirkt
die Glasfassade mit den stehenden Profilen zurückhaltend, je nach Lichtverhältnis schimmert die Holzstruktur etwas durch und wenn sie abends
beleuchtet ist, wird sie zum Blickfang am Dorfeingang.
ANREIZ ZUM SPORT
»Wir versuchen jeweils die Qualitäten des Ortes aufzudecken und für das
Bauwerk auszunutzen«, erklären die Architekten Graeme Mann und seine
Frau Patricia Capua Mann, die seit fast zwanzig Jahren in ›
Erst am Abend ist die Struktur des gitterartigen Holzträgers hinter der Profilglasfassade sichtbar
1
Das 32 Meter breite Panoramafenster lässt sich zwar
nicht öffnen, gewährt aber
einen Ausblick in die Natur
2
29
db deutsche bauzeitung
Schwerpunkt: Sportlich
03
20
09
3
Längsschnitt, M 1:750
Querschnitt, M 1:750
Grundriss EG, M 1:750
Lageplan, M 1:3000
Grundriss UG, M 1:750
Lausanne ein Büro führen und vor allem Schul- und Sporthallen
›
gebaut haben, die auf Wettbewerbserfolge zurückgehen. Während der Projekt- oder Wettbewerbsphase besuchten sie mehrmals den Ort und beobachten die bestehende Umgebung sehr genau. Nachhaltig beeinflusst hat sie
der Tessiner Architekt Luigi Snozzi, der an der EPFL (Eidgenössische Technische Hochschule Lausanne) unterrichtete und an der beide studiert haben. Er fordert stets eine vertiefte Auseinandersetzung mit dem Ort und seiner Geschichte und ist überzeugt, dass gerade in wild überbauten Gebieten
von einem einzelnen und sorgfältig gestalteten Gebäude eine ordnende und
identitätsstiftende Wirkung ausgehen kann.
Großen Einfluss auf die Gestalt der Halle hatten auch die Gedanken der Architekten über die künftigen Hauptnutzer, die elf- bis sechzehnjährigen
Schüler: »Wir wollten einen ganz mit Holz ausgekleideten Innenraum
schaffen, der eine freundliche und beinahe wohnliche Grundstimmung herstellt und einen starken Bezug zur Umgebung hat. Denn Sport ist eine willkommene Abwechslung im Schulbetrieb, aber gerade in der Pubertät stehen die Schüler der Entwicklung des eigenen Körpers noch unsicher und
kritisch gegenüber und lehnen die sportliche Betätigung und den Wettstreit
oft ab. Ein sinnliches Umfeld mit spannenden Ausblicken kann hier vermittelnd wirken.«
4
STIMMUNGSVOLLE TRAGSTRUKTUR
Ein Kernelement des Projektes ist deshalb das stützenfreie Panoramafenster, das die ganze Hallenlänge von 32 Metern einnimmt. Es rahmt den Blick
über die Felder und Baumreihen bis zu den fichtenbestandenen Hängen der
Jurahügel, über die der Westwind häufig Regenwolken hertreibt.
Zu Beginn hatten die Architekten eine Tragstruktur aus Massiv- und Brettschichtholz und eine Fassade aus Holzbrettern vorgesehen, nicht zuletzt
weil viele der am Schulkreis beteiligten Gemeinden große Wälder besitzen.
Die Idee für eine Fassade mit einem das Dach tragenden Gitterfachwerk»balken« kam erst bei der Überarbeitung: Im Gegensatz zu den üblichen Fachwerkträgern mit W-förmigen Diagonalstreben ergibt das Gitterfachwerk ein gleichmäßigeres Erscheinungsbild ohne ›
30
Im auf drei Seiten der Halle
angebrachten Gittertragwerk
bleibt hin und wieder ein
Ball stecken …
3
… Dank des begehbaren Fassadenzwischenraums lässt er
sich aber entfernen
4
31
db deutsche bauzeitung
Schwerpunkt: Sportlich
03
20
09
Doppelturnhalle in Borex-Crassier (CH)
5
6
8
7
›
beherrschende Symmetrien. Zwar kostete die davor angebrachte
Glasschicht im Vergleich zu einer Holzfassade wesentlich mehr, dafür aber
sind langfristig gesehen die Unterhaltskosten geringer, eine Holzfassade
hätte sicher nach 25 Jahren erneuert werden müssen. Zudem entfielen so
die ansonsten für die Belichtung notwendigen Oberlichter und das Gitterfachwerk bildet auf der Innenseite zugleich auch die Innenverkleidung.
Das Gitterfachwerk geht zurück auf den amerikanischen Holzbrückenbau
des 19. Jahrhunderts. Der amerikanische Architekt und Ingenieur Ithiel
Town erhielt 1820 ein Patent für eine Gitterfachwerkbrücke, die in der Folge oft gebaut wurde. Vorteile bestanden in der Verwendung von kurzen und
gleich dimensionierten Holzstäben, die diagonal zwischen den beiden
Randbalken befestigt wurden, für die Montage reichten lediglich angelernte Arbeiter. Heutzutage wird dieses System selten verwendet, weil beim Zusammenschrauben viel mehr Handarbeit anfällt als bei normalen Fachwerkträgern. Auch in Borex-Crasier wurde die Fabrikation vor Ort in einem
Zelt neben der Baustelle erwogen. Um eine höhere Genauigkeit zu erreichen, entschied sich das Holzbauunternehmen kurz vor Baubeginn aber für
die Vorfertigung der Träger auf dem eigenen Werkgelände, ein Schwertransporter brachte die fertigen Fassaden- und Dachelemente in einer Wagenladung auf die Baustelle.
Das Gitterfachwerk überspannt aber nur über dem Panoramafenster die
ganze Gebäudeseite, auf zwei weiteren Seiten ruht es auf Betonwänden, die
die Lasten abtragen. Auf der vierten Seite, beim Übergang zur bestehenden
32
Helle Farben – Weiß und Beige –
bestimmen die Räume außerhalb
der Zweifeld-Sporthalle: …
5
6
7
… Blick vom Erdgeschoss nach
Südwesten …
… und vom Foyer zum Eingang im
Nordosten
Der neue Baukörper nimmt die
Proportionen der älteren Sporthalle (links) auf
8
Unspektakulärer Eingang zwischen Bestand und Anbau. Schade, dass die sonst umlaufende
Glasfassade über dem Eingang in
eine wohl kostengünstigere
Blechverkleidung wechselt
9
9
Halle, wurde wiederum ein »herkömmlicher«, verkleideter Holzfachwerkträger angebracht. Auch wenn die »Leistung« und Raumwirkung des überspannenden Gitterfachwerks dadurch nicht gemindert wird – insgesamt
betrachtet wirkt das hölzerne Tragsystem so aber eher inkonsequent. Zurückzuführen ist dies einerseits auf die örtlichen Gegebenheiten – zwei Gebäudeseiten liegen im Erdreich –, andererseits ist die Tragwerks- und Belichtungslösung erst sehr spät in der Überarbeitung entstanden. Nicht zuletzt aber handelt es sich um ein Bauvorhaben einer mittelständischen,
ländlichen Gemeinde mit begrenzten Mitteln und nicht um ein Vorzeigeprojekt in einem Sportpark. Dieser Umstand ist auch an weiteren Details ersichtlich: Die Glasfassade wechselt an der schwer einsehbaren Gebäudeseite über dem Anbau in eine Blechverkleidung. Unentschieden wirkt
die Haltung gegenüber dem bestehenden Gebäude: Dessen
Betonsockel wird zuerst weitergeführt, wechselt dann
aber rund um das Panoramafenster in eine weiße Metallverkleidung, auf der optisch der neue Glaskörper ruht.
Von außen betrachtet wirkt hier der hervorgerufene Ausdruck eines neuen,
unabhängigen Gebäudeteils zu gewollt.
FRISCHLUFT FÜR DEN HALLENSPORT
Ein natürliches Lüftungssystem sorgt beinahe ganzjährig für ein angenehmes Raumklima. Im begehbaren Zwischenraum der zweischaligen Fassade
befinden sich automatisch gesteuerte Lüftungsklappen, die eine natürliche
Querlüftung ermöglichen. Im Sommer schafft ein Luftzug zwischen Glashaut und Holzkonstruktion die entstehende warme Luft ständig nach draußen. Wird im Winter dann doch einmal die CO2-Konzentration zu hoch,
kann eine mechanische Lüftung mit einem Wärmetauscher zugeschaltet
werden. Diese befindet sich im Sockelbereich, saugt durch ein Gitter Luft an
und bläst sie ins Halleninnere.
Boden, und wenn die Sonnenstrahlen am Nachmittag das Panoramafenster
erreichen, können Storen gesenkt werden, die unter der Blechabdeckung
verdeckt sind. Die Belüftung funktioniert auch an den in dieser Gegend sehr
heißen Sommertagen einwandfrei und Kritik beschränkt sich auf das Fehlen
eines härteren Prallschutzes, wie er etwa für Einzelübungen im Volleyball
benötigt wird. Ab und zu verirren sich Federbälle und andere Wurfgeschosse zwischen dem Holzgeflecht hindurch in die Zwischenschicht, diese
ist aber für Unterhaltszwecke begehbar.
Der Bau verlangte von den beteiligten Planern, Firmen und der Bauherrschaft einen großen und überzeugten Einsatz, aber das fertige Gebäude ist
für alle ein Referenzobjekt geworden und hat inzwischen mehrere Auszeichnungen erhalten. Dass die Baukosten im Vergleich mit anderen Hallen
im oberen Mittelfeld liegen, scheint zweifellos gerechtfertigt: Die unverwechselbare Halle leistet einen wertvollen Beitrag für die Identität des Ortes
und ermöglicht Sportunterricht in einer einzigartigen Atmosphäre. •
{ Bauherr: Gemeinden Borex-Crassier (CH)
Architekten: Graeme Mann und Patricia Capua Mann, Lausanne
Mitarbeiter: Rodrigo del Canto
Bauleitung: Graeme Mann
Tragwerksplanung: AIC ingénieurs conseils SA, Lausanne
Lüftungs-/Heizungsplanung: Chammartin &Spicher SA, Lausanne
Sanitärplanung: Schumacher ingénieurie SA, Genf
Nutzfläche: 1572 m²
Nettogrundfläche: 1874 m²
Bruttorauminhalt: 13 793 m³
Baukosten: 5,6 Mio. Euro
Betriebskosten: keine Angaben
Energiebedarf: keine Angaben
Wettbewerb: 2004
Bauzeit: 2005–2007
VERIRRTE FEDERBÄLLE
Nach über einem Jahr in Betrieb äußern sich die Benutzer durchaus positiv.
Die natürliche Belichtung sei das ganze Jahr hindurch hervorragend, erklärt
ein Turnlehrer. Dank der industriell geätzten Glashaut wirft das Gitterfachwerk selbst bei starkem Sonnenschein keine ablenkenden Schatten auf den
{ Beteiligte Firmen:
Holzbau (Dachstruktur): Zaugg AG, Rohrbach (CH)
Stahlbetonbau: Perrin frères SA, Nyon (CH)
Fassade: Acomet SA, Collombey (CH)
Dachkonstruktion: Zaugg AG, Rohrbach (CH)
33
Herunterladen