deutsche bauzeitung Zeitschrift für Architekten

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deutsche
bauzeitung
Zeitschrift für Architekten
und Bauingenieure
{ 150. Jahrgang.
EURO 15,70.
Ausland EURO 16,15. 23 CHF
1569
ISSN 0721–1902.
7-8.2016
POLEN
db deutsche bauzeitung 7-8.2016
SCHWERPUNKT : POLEN
WOHLFÜHLRÄUME
FÜR NERDS
BÜROGEBÄUDE IN LODZ
Mit repetitiven Elementen und Fassaden aus flachen
Ziegelsteinen bezieht sich das schmucke Software-Haus
auf das industrielle Gefüge der Stadt, nimmt sich aber
auch alle Freiheiten, einen offenen und gleichzeitig
ikonischen Ort zu schaffen, ohne dabei Funktionalität
und Energieeffizienz außer Acht zu lassen.
So geht’s in der IT-Wirtschaft zu. Kaum ist das neue Verwaltungsgebäude des
boomenden Software-Entwicklers fertiggestellt, gibt es die Firma schon nicht
mehr, resp. ist sie in der des bisherigen Hauptauftraggebers aufgegangen
(nicht zum Schaden des Gründers übrigens). Vor dem Sitz der polnischen
ERICPOL in Łódź wehen jetzt die Fahnen von Ericsson.
Łódź, die ziemlich in der Mitte Polens gelegene drittgrößte Stadt des Landes,
hatte ihre besten Zeiten im 19. Jahrhundert, als sich das »Manchester Polens«
zu einem Zentrum der Textilindustrie mit über 500 Fabriken entwickelte.
Nach dem Krieg wurden die eindrucksvollen burgenartigen Backsteinfabriken baulich vernachlässigt. Viele standen leer und weitere wurden nach
der politischen Wende von 1989 aufgegeben. Noch immer steht man, ähnlich
wie in Chemnitz, vor der Herkulesaufgabe, die voluminösen denkmalgeschützten Gemäuer der Reihe nach zu sanieren und neuen Nutzungen zuzuführen.
Einer der profiliertesten Fabrikanten war Karl Wilhelm Scheibler, dessen
Neorenaissancevilla an der Hauptachse der Stadt, der historistischen Prachtmeile Piotrkowska, steht. An seinem rückwärtigen Garten angrenzend ein
ehemaliges Freibad, auf dessen Areal das Ericpol-Gebäude errichtet wurde.
Weitere unmittelbare Nachbarn sind historische Arbeiterwohngebäude des
Tymienieckiego Industriequartiers.
Es ist gewiss nicht die Regel, dass ein neues Bürogebäude so achtsam nach den Gegebenheiten der unmittelbaren Umgebung in seine Form gebracht wird. Wo der Baukörper seinen Platz fand, wie er sich gegen die Straße öffnet, wie er gegenüber
dem historischen Arbeiterwohnhaus respektvoll zurückweicht, wie er zum
Garten hin den Grünraum gleichsam umarmt, wie sich das große Volumen in
zwei Trakte teilt, die sich durch Biegung dann doch in einer gemeinsamen
Erschließungszone treffen, wie der Bau zwei nach innen wirksame Plazas ›
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1
{ Architekten: HORIZONE Studio
Tragwerksplanung: KDB Zbigniew Kotynia
{ Kritik: Falk Jaeger
Fotos: Piotr Piątek, Wojciech Kryński
[1] Mit
starker Körperlichkeit und
seiner vielschichtigen, wohlüberlegten
Fassadengestaltung versteht der raffinierte Neubau, eine Adresse zu bilden
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Schnitt, M 1:1 000
Grundriss 3. OG, M 1:1 000
3
3
5
5
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Grundriss EG, M 1:1 000
3
Grundriss 1. + 2. OG, M 1:1 000
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2
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Foyer
Aufzugslobby
Besprechung
Kantine
Terrasse
3
3
4
›
bildet, all dies ist sorgsam ausgeklügelt, ist eine Qualität für sich und
hat wesentlich zum Gewinn des Wettbewerbs beigetragen. Den Bauauftrag
bekamen die Architekten von HORIZONE Studio erst, als sie die Einigung
mit der Denkmalpflege nachweisen konnten, die bei Bauhöhe, Position, Rückstaffelung und Materialität erheblichen Einfluss geltend machte, aber auch bei
unkonventionellen aber qualitätvollen Ideen mitzugehen bereit war.
Die Grundrisse zeigen eine »normale« Zweibundanlage, mit einer Erschließung im Zentrum, wo sich die Flügel treffen. Diese Anordnung ermöglicht
eine Unterteilung und flexible, kleinteilige Vermietung des Gebäudes, das von
der STRABAG als Investorenprojekt für mehr als 700 Arbeitsplätze errichtet
wurde.
Im Zentrum sind auch die mit Akustikglas umfangenen Besprechungsräume
angeordnet, die den attraktiven Durchblick durch das Gebäude nicht behindern. Beliebte spontane Laptoparbeitsplätze und Pausenorte sind die Dachterrassen mit gläsernen Brüstungen für den ungehinderten Ausblick ins
Grüne, hier, keine 150 m von der Hauptgeschäftsstraße entfernt.
Bevor Dominik Darasz, Bartlomiej Kisielewski und Robert Strzeński 2009 in
Krakau ihr gemeinsames Büro HORIZONE Studio gründeten, sammelten sie
in Büros in Helsingborg, Berlin und Dublin internationale Erfahrungen. So
sind sie denn auch mit den Standards vertraut und Einflüsse von David Chipperfield, aber auch von Justus Pysall, bei dem Kisielewski gearbeitet hatte,
sind deutlich zu spüren. Ericpol ist der größte Bau, den sie bisher realisieren
konnten. Sie gewannen damit auf Anhieb den SARP Year Award für das beste
polnische Gebäude 2015 in der Kategorie öffentliche Bauten und Bürobauten,
vergleichbar dem deutschen BDA-Preis, sowie eine ehrende Erwähnung beim
polnischen Brick Award 2015.
Denn die aufs Feinste gemauerten Fassaden sind mit handgestrichenen, sehr
flachen und hellen Ziegeln des Typs »Kolumba« verkleidet, den Peter Zumthor für das Museum Kolumba in Köln entwickelt hatte.
Trotz der langen raumhohen, horizontalen Fenster, deren Pfosten als Glasschwerter ausgeführt sind, um Diagonalblicke nicht zu stören, sowie der
schmalen Loggien (zählen als Feuerüberschlagsfläche, sind aber als Austritte
und Raucherecken willkommen), erscheinen die Stirnflächen der Gebäudeflügel als massivere Wände. Dagegen sind die Längsfassaden durch eng getaktete Fenster fast aufgelöst. Deren strenge, repetitive Vertikalgliederung soll an
die alten Fabrikbauten erinnern. Tiefes Relief und gleichzeitig Schutz vor
schräg einfallendem Sonnenlicht erhalten die Fassaden durch die perforierten
Lisenen, hinter denen sich Öffnungsflügel verbergen und die mit Frontblenden in den Farben von Ericpol besetzt sind. Der Sonnenverlauf wurde
während der Planung eingehend analysiert, sowohl was die Belichtung, ›
[2] Das
Gebäude besetzt ein denkmalpflegerisch sensibles Terrain im ehemaligen Garten einer Industriellen-Villa,
umgeben von industriellen und auch
hochherrschaftlichen Siedlungsresten
[3] Einige
Zahlen gefällig? 59 130
handgeformte Backsteine an der Fassade,
3
8 100 m Beton, 1 200 t Bewehrungsstahl
[4] Die
farbigen Akzente an den Fassaden nehmen Töne aus dem Corporate
Design des Bauherrn auf
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SCHWERPUNKT : POLEN
Vertikalschnitt, M 1:25
1 Dachaufbau:
Kiesschüttung, 50 mm
Dichtungsbahn, doppellagig
Gefälledämmung, EPS, 160-290 mm
Stahlbeton, wärmeaktiviert, 300mm
2 Attikaabdeckung Betonfertigteil
3 Wandaufbau:
Mauerziegel, grau, handgemacht
Luftschicht, 40 mm
Wärmedämmung, 140 mm
Stahlbeton, 200 mm
4 Stahlkonsole, verzinkt, für Sturzbefestigung
5 Betonsturz, mit Ziegel verblendet
6 Konsole aus Stahl, für Sonnenschutz
7 vertikales Sonnenschutzpaneel, perforiertes Aluminium
8 Aluminiumblech als Blende
9 Raffstore
10 Isolierverglasung, dreifach
11 Sonnenschutz, innenliegend
12 Konvektorheizung
13 Terrassenaufbau:
Betonplatte, 600 x 200 mm
Dichtungsbahn
Wärmedämmung, EPS, 160-290 mm
Dampfsperre
Stahlbeton, wärmeaktiviert, 280 mm
14 Glasgeländer
15 Regenrinne
16 Stahlwinkel, für Geländerbefestigung
17 Stahlwinkel, für Betonsturzbefestigung
18 Aluminiumblech als Blende
19 Bodenaufbau:
Doppelboden, Teppichfliesen
Stahlbeton, 280 mm
Wärmedämmung, 140 mm
Luftschicht, 17 mm
vorgefertigte Ziegelblende
20 Konsole, für Ziegelblende
21 Regenfallrohr
22 Außenbeleuchtung
23 Sonnenschutzverglasung, dreifach
24 Türluftschleier
25 Glasschiebetür, dreifach
[5] Sensibler
Bereich: Trotz hoher
Anforderungen an Sicherheit und
Zugangskontrolle erscheint das Foyer
als offenes und einladendes Entree
[6] Um
Gebäudehöhe zu sparen, wurde
auf abgehängte Decken verzichtet. In
den Bürobereichen übernehmen thermoaktive Kühldecken die Temperierung
[7] Durchbrüche
und Schlitze, v. a. für
die Beleuchtung, wurden vor dem Einschalen minutiös geplant. Die Arbeit
der Betonbauer kann sich sehen lassen!
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als auch was den Energieeintrag betrifft. Süd-, Ost- und Westfassaden wurden mit einer Doppelverglasung aus Sonnenschutzglas ausgerüstet,
während die Nordfassade, die im Winter größeren Wärmeverlusten ausgesetzt ist, eine Dreifachverglasung erhielt. Perforierte, sonnen- und windabhängig automatisch gesteuerte Jalousien, kernaktivierte Betondecken und
das elektronische, lernfähige Energie- und Betriebsmanagement des Gebäudes entsprechen westlichen Standards.
Verglichen mit anderen polnischen Neubauten fällt aber
auch die hohe Qualität der Materialität und der tadellosen Bauausführung auf. Die augenfällige Präzision
trägt zur signifikanten Eleganz des Gebäudes bei, die
sich ansonsten aus der Baukörpergliederung mit ihren
Schwüngen und den aufgefächerten Höfen ergibt.
In den Innenräumen herrscht die Nonchalance der IT-Branche. Sichtbetondecken, weiße Gipskartonwände, Büromöbel ohne Anspruch, jede Menge Bildschirme. Man starrt auf die Screens oder entspannt sich auf dem Sofa oder
beim Zimmerbasketball, bis man wieder eine neue Idee hat. Hier und da im
Flur eine Tafelwand, die beim informellen Stand-up Meeting mit Funktionsschemata, Formeln und/oder Comics vollgekritzelt wird.
Die Herrschaften, die ansonsten die Flurwände »bevölkern«, haben alle
irgendetwas mit der IT-Historie zu tun oder sind geradewegs gängigen Computerspielen entsprungen. Kunststudenten haben Gelegenheit bekommen,
ihre Vorstellungen zum vorgegebenen Thema an die Wände zu pinseln.
Teeküchen sind in grellen Farben gehalten. In den Treppenhäusern zeigt sich
wieder die gestalterische Kraft der Architekten: Mit einfachen Materialien,
Beton, Stahl und jeweils einer kräftigen Farbe auf der Treppenwange sowie
raffinierter Lichtführung werden aus den als Rettungswegen notwendigen
Erschließungselementen fast elegant zu nennende Treppenräume, die zu
begehen eine angenehme Alternative zur Aufzugsfahrt sind.
Es ist ohnehin die Stärke des Gebäudes, den Nutzern vielfache Alternativen
zur Verfügung zu stellen und die Durchblicke und Ausblicke ins Haus zu
holen, um den hier tätigen kreativen Nerds optimale Bedingungen zu bieten,
die diese mangels Interesse von selbst nie einfordern würden, die sie aber in
ihrer Arbeit mit Wohlgefühl unmerklich unterstützen. Und dies ganz beiläufig, mit Stil und Eleganz, sodass das Gebäude auch als Sitz einer großen
Anwaltssozietät Staat machen könnte. Denn wer kann schon wissen, wie es
Ericsson in drei Jahren ergehen wird. ›
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{ Unser Kritiker Falk Jaeger prüft
sorgfältig den handgestrichenen
Ziegel und registriert anerkennend,
dass Bauherr und Architekten als die
für den Bau Verantwortlichen in
irdenen Lettern verewigt sind.
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[8] Gutes
Klima: Die comichafte Wandgestaltung trägt auf optischer Ebene
ihren Teil dazu bei. Die verglasten
Besprechungsräume werden mechanisch
belüftet und temperiert
[9] Ein
Kreativunternehmen kommt ohne
informelle Kommunikationszonen nicht
aus. Mit Blick ins Grüne sollten Ideen
und Lösungswege doch nur so sprießen
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{ Standort: ul. Sienkiewicza 175, PL-Łódź
Bauherr: STRABAG / Ericpol Software Pool, Łódź
Architekten: HORIZONE Studio, Krakau
Mitarbeiter: Dominik Darasz, Bartlomiej Kisielewski, Robert Strzeński (Entwurf); Jagoda Boguslawska, Krystian Wawer, Nuno Oliveira
Tragwerksplanung: KDB Zbigniew Kotynia Doradztwo Budowlane, Łódź
HLS-Planung: NIRAS Polska, Warschau
BGF: 12 121 m², Nutzfläche: 11 150 m²
BRI: 35 700 m³
Baukosten: 19 Mio. Euro (brutto), 1 390 Euro/m² Hauptnutzfläche (netto)
Bauzeit: Juli 2013 bis Januar 2015
Auszeichnungen: SARP-Preis 2015 für das beste Bürogebäude des Jahres,
Wienerberger Brick Award 2015: Auszeichnung
{ Beteiligte Firmen:
Generalunternehmer: STRABAG, Pruszków, www.strabag.pl
Fassadensystem: Aluprof, Bielsko-Biała, www.aluprof.eu
Glasfassade: Guardian, Tschenstochau, www.guardian-czestochowa.com
Ziegelfassaden: Petersen Tegl, Broager, www.petersen-tegl.dk;
NOVA, Warschau, www.zamocowaniaelewacji.pl
Heiz- und Kühltechnik: Uponor Infra, Warschau, www.uponor.com
Akustikdecken: Lignokustik, Benken, www.lignokustik.ch; ECOPHONE SaintGobain Construction Products Polska, Warschau, www.ecophon.com
Beleuchtungskörper: Candelux, Warschau, www.candelux.pl; ERCO Lighting,
Warszawa, www.erco.com
Leuchten: XAL, Graz, www.xal.com; Meyer, Hemer, www.meyer-lighting.com;
Delta Light, Wevelgem, www.deltalight.com
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