Kernspin-Tomographie – was ist das?

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Kernspin-Tomographie – was ist das?
von Prof. Dr. Ernst Feldtkeller, Physiker, Redaktion Bechterew-Brief
Fortschritte: Mit Hilfe der digitalen Bildspeicherung und Bildverarbeitung kann
heute aus einer Röntgenaufnahme mehr
Information herausgeholt werden als früher, und die mit einer Aufnahme verbundene Strahlenbelastung konnte weiter
gesenkt werden. Die Auswahl zwischen
den verschiedenen bildgebenden Verfahren ermöglicht es dem Arzt heute, jeweils
dasjenige Verfahren einzusetzen, das für
den konkreten Fall am besten die benötigte Auskunft verspricht.
Was versteht man nun unter der Kernspin-Tomographie? Und welches sind ihre
besonderen Vorteile? Bevor wir diese
Fragen beantworten können, müssen wir
uns zunächst ein wenig
mit Physik befassen.
Das Licht, für das unsere Augen empfindliche
Empfänger sind, hat eine
Wellenlänge von rund
einem halben Mikrometer
(tausendstel Millimeter).
In diesem Wellenlängenbereich werden die elektromagnetischen Wellen
von der Netzhaut des
Auges vollständig absorbiert, aber auch von jedem anderen Gewebe
unseres Körpers, so daß
der Körper für sichtbares
Licht undurchsichtig ist.
Für wesentlich kleinere
oder größere Wellenlängen ist der Körper dagegen teilweise durchsichtig.
Röntgenstrahlen sind
sehr kurzwellige elektroBild 1: Kernspintomographischer Längsschnitt durch den
Kopf. Die sichtbaren Details im Gehirn, im Hals und im magnetische Wellen, die
Kieferraum (links) wären weder in einer Röntgenaufnahme von den Weichteilen des
Körpers fast ungehindert
noch in einer Röntgen-Computertomographie zu sehen
werden
Aufnahme durch Dr. F. Wacker, FU Berlin durchgelassen
Während der Clou der 70er Jahre in der
medizinischen Bildtechnik die RöntgenComputertomographie war (vgl. "Röntgen-Computertomographie – Was ist
das?", Bechterew-Brief Nr. 21 S. 18–22),
war die große Überraschung der 80er
Jahre in dieser Sparte die Kernspin-Tomographie (Bild 1).
Nicht, daß dadurch die RöntgenComputertomographie oder gar das herkömmliche Röntgen-Schattenbild überholt
wären – im Gegenteil: Alle diese Verfahren ergänzen sich, und jedes von ihnen
hat seine besonderen Stärken und Schwächen. Außerdem gab es auch bei der herkömmlichen Röntgentechnik weitere
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und nur von Knochen stärker absorbiert
werden. Deshalb ist die Röntgentechnik
zur Darstellung von Knochenstrukturen
besonders gut geeignet. Mit relativ "weichen" (etwas länger-welligen) Röntgenstrahlen, wie sie in der Mammographie
eingesetzt werden, lassen sich auch im
Weichteil-Gewebe noch Strukturen erkennen. Ein Haupt-Nachteil der Röntgenstrahlen ist, daß sie Materie ionisieren,
also mit einer Strahlenbelastung verbunden sind.
Radiowellen mit ihren Wellenlängen im
Meter-Bereich durchdringen die Materie
ebenfalls und ionisieren sie nicht. Mit
ihnen ist aber keine scharfe Abbildung
möglich, da sie von Strukturen, die kleiner
sind als ihre Wellenlänge, nicht abgelenkt
werden.
Die Kernspin-Tomographie nutzt trotzdem solche den Körper durchdringenden
Hochfrequenzwellen aus. Bevor wir besprechen können, mit welchen raffinierten
Tricks in diesem Fall Bilder aus dem
Körper-Inneren gewonnen werden können, müssen wir allerdings erst noch einen
kleinen Ausflug in die Atomphysik machen.
Atomare Magnete in unserem
Körper
Zu den Atom-Sorten, aus denen
Körper besteht, gehören Wasserstoff, Kohlenstoff, Sauerstoff,
Stickstoff und viele andere. Die
kleinsten und am einfachsten aufgebauten dieser Atome im Körper
sind die Wasserstoffatome: Ihr
Atomkern besteht aus einem einzigen Proton und wird von einem
einzigen Elektron umkreist. Der
Atomkern besitzt eine winzige
Masse und eine winzige elektrische
Ladung. Außerdem besitzt er einen
Drehimpuls (englisch: "Spin") und
damit verbunden ein magnetisches
Moment. Die Wasserstoff-Atomkerne verhalten sich also wie klei-
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unser
ne Magnete und zugleich wie kleine rotierende Kreisel.
In einem Magnetfeld versucht jeder
Magnet, sich in die Feldrichtung zu orientieren (so zu orientieren, daß sein magnetischer Nordpol in die Feldrichtung zeigt
und sein Südpol in die entgegengesetzte
Richtung). Bei den atomaren Magneten ist
das nicht anders.
Jeder schnell rotierende Kreisel reagiert
auf das Schwerefeld mit einer "Präzessions"-Bewegung: Der Spielzeugkreisel
fällt nicht einfach um, obwohl er auf der
Spitze steht, sondern torkelt kreisförmig
um die Schwere-Achse herum, bis er mit
der Flanke den Boden berührt. Wollten
wir das Verhalten eines einzelnen Protons
im Magnetfeld beschreiben, müßten wir
die Quantenphysik zu Hilfe nehmen. Das
möchte ich Ihnen nicht zumuten und es
würde uns in diesem Zusammenhang auch
nicht weiterhelfen. Wesentlich einfacher
läßt sich das durchschnittliche Verhalten
einer großen Menge von Protonen im
Magnetfeld beschreiben: Ähnlich wie der
Kreisel präzedieren die Spinrichtungen
um die Richtung des Magnetfelds (Bild 2),
und zwar mit einer Umlaufsfrequenz, die
um so höher liegt, je stärker das Magnetfeld ist. In einem Magnetfeld von 1 Tesla
(dem 20 000fachen des Erdmagnetfelds)
beträgt die Präzessionsfrequenz der ProSchwerefeld
der Erde
Magnetfeld
Präzession
Präzession
Spin
Bild 2: So, wie ein Spielzeugkreisel (links) eine
Präzessionsbewegung um das Schwerefeld ausführt, führt jeder Wasserstoff-Atomkern (rechts) in
einem Magnetfeld eine Präzessionsbewegung aus,
solange seine Achse nicht in das Magnetfeld ausgerichtet ist.
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tonen 42 MHz (42 Millionen Umläufe je
Sekunde, etwa halbe UKW-Frequenz).
Die Protonen senden, solange sie sich
noch nicht in die Magnetfeldrichtung
ausgerichtet haben, ein HochfrequenzSignal eben dieser Frequenz aus, und sie
lassen sich erneut zu einer Präzession um
das Magnetfeld anregen, wenn man einen
Hochfrequenz-Impuls dieser Frequenz
einstrahlt. Man spricht dann von einer
"Resonanz" zwischen
der Hochfrequenz und
den Atomkernen. Auf
dieser "magnetischen
Kernresonanz", die den
Physikern schon in den
50er Jahren bekannt
war (ich mußte damals
als Student einen Seminarvortrag darüber
halten) basiert das
Verfahren der Kernspin-Tomographie.
ment, das am rechten Ende einen höheren
Ton abgibt als am linken Ende, Bild 3).
Dem homogenen (überall gleich starken) Magnetfeld wird dazu ein "Gradienten-Feld" überlagert. Der "Gradient"
weist an jeder Stelle in die Richtung der
stärksten Feldzunahme und gibt gleichzeitig an, wie stark das Feld pro Zentimeter
zunimmt.
Wie beim Klavier ein Blinder hören
Trick 1: Inhomogenes Magnetfeld
Damit man die Kreiseleigenschaften
der
Atomkerne
nutzen
kann, liegt der Patient
bei
der
KernspinTomographie in einem
starken
Magnetfeld.
Um dabei verschiedene
Stellen im Körper unterscheiden zu können,
sorgt man dafür, daß
die Magnetfeldstärke
an einem Ende des
Körpers etwas größer
ist als am gegenüberliegenden Ende. Damit
ist auch die Präzessionsfrequenz der Atomkerne am einen
Ende etwas höher als
am anderen (wie bei
einem
Tasteninstru-
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Bild 3: Bei der Orgel und anderen Tasteninstrumenten hängt
die Tonhöhe vom Ort der Tasten ab. Bei der Kernspintomographie bewirkt ein inhomogenes Magnetfeld, daß die Resonanzfrequenz der Atomkerne ebenfalls an verschiedenen Stellen verschieden hoch ist. Die Felder zweier Gradientenspulen
(rechts und links), die vom Strom gegenläufig durchflossen
werden, verstärken das Hauptfeld am einen Ende und schwächen es am anderen Ende. Die Breite der gelben Pfeile deutet
die Stärke des Magnetfelds am jeweiligen Ort an.
Karikatur aus "Max und Moritz" (1865) von Wilhelm Busch (1832–1908)
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kann, ob der Klavierspieler gerade weiter
links oder weiter rechts auf den Tasten
spielt, ist auch bei der Kernspin-Tomographie durch das inhomogene (nicht überall
gleich starke) Magnetfeld eindeutig festgelegt, wie die Resonanzfrequenz der
Atomkerne vom Ort abhängt.
Trick 2: Anregen – Feldgradient
schwenken – empfangen
Durch die Frequenz des HochfrequenzImpulses werden nur die Atomkerne in
einer bestimmten (senkrecht zum Feldgradienten liegenden) Ebene angeregt. Dadurch wird die Schnittebene (griechisch
tomé = Schnitt) festgelegt, aus der das
Bild stammen soll. Aber damit haben wir
noch lange kein Bild von der Verteilung
der Atomkerne innerhalb dieser Ebene.
Dazu ist es nötig, nach der Anregung
der Protonen (ihr magnetisches Moment
wird dabei aus der Magnetfeldrichtung
herausgedreht) den Gradienten um 90° zu
schwenken, so daß nun an verschiedenen
Bild 4. Innerhalb der im ersten Schritt
angeregten Ebene (links) befinden sich
Bereiche verschiedener Wasserstoff-Konzentration (rot). Nach der Anregungsphase wird der Feldgradient in die Senkrechte geschwenkt. Die Elektronik empfängt
nun Signale (rechts), die anzeigen, wieviel
Wasserstoff sich auf welcher Höhe innerhalb der angeregten Ebene befindet.
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Stellen innerhalb der angeregten Ebene
unterschiedliche Feldstärken herrschen.
Nun präzedieren die angeregten Atome an
unterschiedlichen Stellen mit unterschiedlicher Frequenz, und die Empfangselektronik kann an Hand der Frequenzverteilung der Signale feststellen, wo sich innerhalb der Anregungsebene mehr oder
weniger Wasserstoffatome befinden –
ähnlich, wie ein musikbegabter Blinder
hören kann, an welchen Stellen auf dem
Klavier gerade gleichzeitig gespielt wird.
Damit haben wir zwar noch kein zweidimensionales Bild von der Verteilung
innerhalb der Anregungs-Ebene, sondern
zunächst nur ein eindimensionales Profil
(Bild 4). Wie der Computer die Daten zur
Errechnung eines zweidimensionalen
Bildes erhält, werden wir im nächsten
Kapitel sehen.
Trick 3: Viele Profile aus verschiedenen Richtungen
Was nun folgt, kennen wir bereits von
der Röntgen-Computertomographie (vgl.
Bechterew-Brief Nr. 21 Seite 18–22).
Dort gewinnt das Gerät eine große Zahl
von Profilen aus verschiedenen Richtungen, indem die Röntgenquelle und die
Detektoranordnung in vielen kleinen
Schritten um den Patienten herumgedreht
werden und so nach jedem Schritt ein
neues Profil gewonnen wird.
Bei der Kernspin-Tomographie wird der
Feldgradient nach jeder erneuten Anregung (bei der er wieder die Schnittebene
festlegt) in eine andere Richtung der
Schnittebene geklappt, und es werden auf
diese Weise viele Profile aus verschiedenen Richtungen innerhalb der Schnittebene gewonnen (Bild 5). Aus all diesen
Profilen errechnet dann der Computer wie
bei der Röntgen-Computertomographie
das Schnittbild.
Im Gegensatz zur Röntgen-Computertomographie muß die Drehung bei der
Kernspin-Tomographie nicht mechanisch
erfolgen: Die Feldinhomogenität wird
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dem Magnetfeld mit Zusatzspulen aufgeprägt (Bild 3), und die Maschine besitzt
Zusatzspulen für Feldgradienten in allen
drei Dimensionen. Durch geschickte
Kombination der Stromstärken in allen
Zusatzspulen kann die Elektronik den
Feldgradienten in jede beliebige Raumrichtung legen.
Die Errechnung eines zweidimensionalen Bilds aus vielen Profilen verschiedener Richtungen ist zwar ein kompliziertes
mathematisches Problem, aber die Computer-Spezialisten haben dieses Problem
auf elegante Weise gelöst, so daß man bei
modernen Geräten sofort das fertige Bild
auf dem Bildschirm sieht.
Viele Betriebsarten
Ich habe die Kernspintomographie bis
hierher so beschrieben, als ginge es immer
nur darum, Bilder von der WasserstoffKonzentration im Körper zu bekommen.
Das liefert zwar auch schon sehr informative Bilder, denn Wasserstoff ist überall
im Körper in verschiedener Menge enthalten. Ein Beispiel ist im Bild 1 wiedergegeben. Es handelt sich um einen Längsschnitt durch den Kopf, wie er mit der
Röntgen-Computertomographie
prinzipiell nicht aufnehmbar ist (dazu müßte
sich der Patient quer in die Röhre legen!).
Aber die Kernspintomographie kann noch
Richtungen
des Feldgradienten
wesentlich mehr.
Natürlich würde der Arzt in den Bildern
am liebsten sehen, ob an einer bestimmten
Stelle Fettgewebe oder Bindegewebe
usw., oder gar Krebsgewebe vorliegt. Und
genau dies macht die Physik möglich! Die
Abklingzeiten der Signale (nach der die
präzedierenden Kernspins außer Tritt
geraten und nun kein Signal mehr abgeben) hängen nämlich davon ab, in welcher
chemischen Bindung sich die signalgebenden Wasserstoffatome befinden. So
hat es die Geräteentwickler nicht ruhen
lassen, bis sie eine Möglichkeit fanden,
die Bildhelligkeit entsprechend den Abklingzeiten zu steuern und so die Art der
chemischen Bindung sichtbar zu machen.
Das Ergebnis sind Bilder, von denen die
Medizin noch vor 20 Jahren nicht einmal
träumen konnte.
Es gibt inzwischen viele Betriebsarten
für den Kernspintomographen, auf die ich
hier nicht im einzelnen eingehen will. Zu
ihnen gehören die reine ProtonendichteAbbildung, die mit verschiedenen Abklingzeiten gewichteten Abbildungen und
viele andere. Mit all diesen KontrastArten kann man einzelne Linien im Körper abtasten, zweidimensionale Bilder
gewinnen oder auch aus vielen Bildern ein
dreidimensionales Modell einzelner Details aus dem Körper erstellen lassen, das
Signalspule
(Antenne)
Bild 5: Prinzip der Signalverarbeitung bei der Kernspintomographie. Für viele verschiedene Feldgradienten-Richtungen nimmt die Signalspule das von den Atomkernen
ausgehende Hochfrequenzsignal auf. Ein Bild-Spezialrechner errechnet aus vielen
Signalprofilen (von der im Bild 4 dargestellten Art) ein zweidimensionales Schnittbild.
Die Bilder für verschiedene Schnittebenen werden im Hauptrechner gespeichert und bei
Bedarf zu einem dreidimensionalen Modell zusammengesetzt
Bechterew-Brief Nr. 65 (Juni 1996)
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der Arzt auf dem Bildschirm drehen und
wenden kann, um z. B. eine Operation
detailliert vorzubereiten.
Die besonderen Vorteile der
Kernspintomographie
Die Vorteile lassen sich folgendermaßen zusammenfassen:
• Hoher Weichteilkontrast (bei der
Wirbelsäule z. B. Darstellung auch des
Rückenmarks und der Bandscheiben)
ohne Kontrastmittel,
• Unterscheidung chemisch unterschiedlicher Gewebe (auch bei gleicher
Protonendichte),
• Beliebige Orientierung der Schnittebene (sogar Längsschnitte),
• und das Ganze schließlich ohne jede
Strahlenbelastung.
Der Haupt-Nachteil besteht darin, daß die
Kernspin-Tomographie teuer ist, nur in
großen Kliniken zur Verfügung steht und
deshalb nur in besonders schwierigen
Fällen zum Einsatz kommen kann.
Nachwort zur Nomenklatur
Neben der Bezeichnung "Kernspin-Tomographie" hat sich unter Medizinern
auch die Bezeichnung "Magnet-Resonanz-Tomographie" eingebürgert. Dem
Vernehmen nach will man mit der Umgehung der Silbe "Kern" nicht nur Assoziationen mit anderen Anwendungen von
Atomkernen aller Art vermeiden, sondern
auch klarstellen, daß ein solches Gerät,
wenn es denn angeschafft wird, in die
radiologische Abteilung gehört und nicht
etwa in die nuklearmedizinische Abteilung, denn radioaktive
Isotope, für deren medizinische Anwendung die
Nuklearmedizin zuständig ist, sind bei der Kernspin-Tomographie nicht
im Spiel.
Bild 6: Während in Kernspintomographen für höchste Bildqualität, dünnste Schichten und schnelle Bildgebung das
dafür notwendige starke Magnetfeld (z. B. 1 Tesla) durch
supraleitende, auf -269°C gekühlte Spulen erzeugt wird und
der Patient in eine enge Röhre gefahren werden muß, gelang
es Siemens mit dem "Magnetom open", ein 0,2-Tesla-Gerät
zu bauen, das nach drei Seiten hin offen ist und sich so auch
für die Untersuchung von Kindern und Klaustrophobikern
eignet, sowie für Bewegungsstudien an Gelenken und für
bildgeführte Eingriffe.
Photo: Siemens
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