Phase-I-Studie mit Paclitaxel in Kombination mit Bevacizumab und

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Aus der
Medizinischen Klinik III
in der Universitätsklinik Marienhospital Herne
der Ruhr-Universität Bochum
Direktor: Prof. Dr. med. D. Strumberg
Phase-I-Studie mit Paclitaxel in Kombination mit Bevacizumab und Sorafenib bei
Patienten mit metastasierter oder lokal fortgeschrittener solider Tumorerkrankung
Inaugural-Dissertation
zur
Erlangung des Doktorgrades der Medizin
einer
Hohen Medizinischen Fakultät
der Ruhr-Universität Bochum
vorgelegt von
Renée Roy
aus Bonn
2014
Dekan: Prof. Dr. med. K. Überla
Referent: Prof. Dr. med. D. Strumberg
Korreferent: Prof. Dr. med. Martin Wegener
Tag der mündlichen Prüfung: 21.04.2015
Abstract
Roy
Renée
Phase-I-Studie mit Paclitaxel in Kombination mit Bevacizumab und Sorafenib bei Patienten mit metastasierter
oder lokal fortgeschrittener solider Tumorerkrankung.
Problem: Die Hemmung der Angiogenese ist ein vielversprechender Therapieansatz bei der Bekämpfung
maligner Tumore. Möglichkeiten hierzu sind die Inhibition des Wachstumsfaktors VEGF und seines Rezeptorsystems. Die Effektivität der Therapie lässt sich dadurch erhöhen, dass die Angiogenese an unterschiedlichen
Stellen mit potenziell synergistischer Wirkung inhibiert wird. Die vorliegende Arbeit beschreibt eine Phase-IStudie mit dem Chemotherapeutikum Paclitaxel und zwei unterschiedlichen, kombinierten AngiogeneseInhibitoren: dem Tyrosin-Kinase-Inhibitor Sorafenib und dem VEGF-Antikörper Bevacizumab.
Methode: Unter ambulanten Bedingungen wurden 400mg Sorafenib (Nexavar®) zweimal täglich zusammen
mit 90mg pro m² KOF Paclitaxel (Taxol®) in wöchentlicher Applikationsweise und dosiseskaliert Bevacizumab
(Avastin®) alle zwei Wochen verabreicht. Die Bevacizumab-Dosis lag kohortenabhängig bei 0, 1, 2, 4, 5 oder
10mg/kg KG. Ziel ist die Ermittlung der maximal tolerablen Dosis (MTD) und dosislimitierenden Toxizitäten
(DLTs) bei Patienten mit fortgeschrittenem Tumorleiden. Die Datenauswertung erfolgte hinsichtlich der Machbarkeit, Sicherheit und Wirksamkeit.
Ergebnisse: 28 Patienten mit fortgeschrittener solider Tumorerkrankung wurden zwischen 07/2009 und
03/2012 behandelt; medianes Alter: 61 Jahre; mediane Beobachtungsdauer: 225 Tage; Gesamtzahl zytostatischer Vortherapien: 76 Regime, Median: 2 Regime. In der vorliegenden Studie wurden 71 Zyklen verabreicht, im Median zwei Zyklen je Patient. Bezüglich der Toxizität waren alle Studienteilnehmer auswertbar, 8
Patienten brachen die Therapie wegen schwerer Nebenwirkungen ab. Dosislimitierende Toxizität war das
Hand-Fuß-Syndrom (HFS). Diese und andere z. T. schwere Nebenwirkungen führten bei insgesamt 27 Patienten zu einer dauerhaften Dosisreduktion von Sorafenib auf ≤ 50%, eine weitere Reduktion war bei 10
Patienten aus den Kohorten III bis VI notwendig. Häufigste Nebenwirkung war das HFS bei 14 Patienten (bei
8 Patienten Grad 3 und 4), die Fatigue betraf als zweithäufigste Toxizität 11 Patienten (bei 3 Patienten Grad 3
und 4). Unter Grad-3- und Grad-4-Nebenwirkungen allgemein litten 12 bzw. 5 Patienten. Mit einer Toxizitätsrate von 61% war die Therapieverträglichkeit insgesamt schlecht. Eine Assoziation der Nebenwirkungen mit
steigender Bevacizumab-Dosis war nicht nachweisbar. Das Ansprechen und die Überlebensrate waren bei 22
Patienten auswertbar. Clinical Benefit hatten 13 Patienten durch Stable Disease, die mediane Überlebenszeit
lag bei ca. 38 Wochen und scheint mit der Höhe der Bevacizumab-Dosis und der Differenzierung der Tumorzellen positiv zu korrelieren.
Diskussion: Die Medikation ist eine potenziell wirksame Behandlungsalternative bei vorbehandelten Tumorpatienten. Die Ergebnisse zeigen, dass einzelne Patienten von der beschriebenen Medikamentenkombination
profitierten. Das hohe Ausmaß der Nebenwirkungsrate schließt jedoch eine weitere Anwendung in dieser
Dosierung aus. Vermutlich beruht die hohe Toxizitätsrate auf der Kombination der Medikamente, da die Einzelsubstanzen im Allgemeinen wesentlich besser verträglich sind. Aufgrund der geringen Teilnehmerzahl ist
keine ausreichende Beurteilung von Wirksamkeit, Überlebensrate und progressionsfreiem Überleben möglich.
Für meine lieben Eltern
Inhaltsverzeichnis
1
Einleitung
9
1.1 Historie
9
1.2 Bedeutung der Angiogenese für die Tumorbiologie und Angiogenetischer
Switch
9
1.3 VEGF
11
1.4 Bevacizumab (Avastin®)
16
1.5 Sorafenib (Nexavar®)
18
2
Zielsetzung
21
3
Material und Methoden
23
3.1 Teilnehmerauswahl
23
3.2 Diagnostik und Staging
24
3.3 Studiendesign
25
3.4 Studienziele
30
3.5 Sicherheit
31
3.5.1 UAWs / Medikamententoxizitäten und Laborwertveränderungen
31
3.5.2 Schwere unerwünschte Ereignisse
32
3.5.3 Stärkste Nebenwirkung je Patient
32
3.6 Wirksamkeit
4
33
3.6.1 Tumoransprechrate
33
3.6.2 Überlebenszeit
34
3.6.3 Dauer des Tumoransprechens – Progressionsfreies Intervall
35
3.7 Kontrolle des Ansprechens und Fortführung der Therapie
35
3.8 Prüfdauer, Therapieabbruch und Nachsorge
36
3.9 Statistische Methoden
37
Ergebnisse
38
4.1 Patienten
38
4.1.1 Patientenmerkmale
38
4.1.2 Entität, Histologie, Grading
38
4.1.3 Tumorstadien und Metastasierung
40
4.1.4 Vorbehandlung
41
4.2 Therapie
44
1
4.2.1 Anzahl der Zyklen pro Patient
44
4.2.2 Dosisreduktion und Therapiepausen
44
4.2.2.1
Paclitaxel
45
4.2.2.2
Sorafenib
45
4.2.2.3
Bevacizumab
46
4.2.3 Therapiedauer
46
4.2.4 Ursachen für Therapieende
47
4.2.5 Sicherheit
48
4.2.5.1
4.2.5.2
Unerwünschte Arzneimittelnebenwirkungen und
Medikamententoxizitäten
48
Laborwertveränderungen
52
4.2.5.2.1 Tumormarker
54
4.2.5.3
Schwere unerwünschte Ereignisse / Stationäre Aufenthalte 56
4.2.5.4
Stärkste Nebenwirkung je Patient
57
4.2.5.4.1 Toxizität in Abhängigkeit von der Dosis des
Antikörpers Bevacizumab
58
4.2.6 Wirksamkeit
60
4.2.6.1
Tumoransprechrate
60
4.2.6.2
Überlebenszeit
60
4.2.6.2.1 Überlebenszeit in Abhängigkeit von der
Dosis des Antikörpers Bevacizumab
61
4.2.6.2.2 Überlebenszeit in Abhängigkeit vom
Tumoransprechen
4.2.6.2.3 Überlebenszeit in Abhängigkeit vom Grading
5
61
62
4.2.7 Anschlusstherapien
62
4.2.8 Todesursachen
62
Diskussion
63
5.1 Kritische Betrachtung des Studienkonzeptes
63
5.2 Kritische Betrachtung der Therapieergebnisse
64
5.2.1 Dosis
64
5.2.2 Unerwünschte Arzneimittelnebenwirkungen /
Medikamententoxizitäten
64
5.2.3 Laborwerte
64
2
5.2.4 Individuelle Therapieergebnisse
67
5.2.5 Tumoransprechrate
68
5.2.6 Überlebenszeit
70
5.2.7 Machbarkeit
70
5.3 Ausblick
71
6
Zusammenfassung
73
7
Literaturverzeichnis
75
8
Anhang
82
8.1 Zusätzliche Informationen zu den Medikamenten
8.1.1 Bevacizumab
82
82
8.1.1.1
Chemische Struktur
83
8.1.1.2
Wirkmechanismus
83
8.1.1.3
Pharmakokinetik
84
8.1.1.4
Toxizität
84
8.1.2 Sorafenib
87
8.1.2.1
Chemische Struktur
87
8.1.2.2
Wirkmechanismus
87
8.1.2.3
Pharmakokinetik
88
8.1.2.4
Toxizität
88
8.1.3 Paclitaxel
91
8.1.3.1
Chemische Struktur
91
8.1.3.2
Wirkmechanismus
92
8.1.3.3
Pharmakokinetik
93
8.1.3.4
Toxizität
94
8.1.4 Interaktion
96
Danksagung
Lebenslauf
3
Abkürzungsverzeichnis
5 FU / FS
5-Fluoruracil und Folinsäure
ALAT
Alanin-Aminotransferase
ASAT
Aspartat-Aminotransferase
AZ
Allgemeinzustand
BWK
Brustwirbelkörper
CA 15-3
Carbohydrate Antigen 15-3
CA 19-9
Carbohydrate Antigen 19-9
CA 125
Carbohydrate Antigen 125
CEA
Carcinoembryonales Antigen
CHO
chinese hamster ovary
CR
Complete Response
CRC
Colorectales Carcinom
CRP
C-reaktives Protein
CT
Computertomogramm / -graphie
CTCAE
Common Terminology Criteria for Adverse Events
ECOG
Eastern Cooperative Oncology Group
EDTA
ethylenediamine tetraacetic acid
ELISA
enzyme-linked immunosorbent assay
Gamma-GT
Gamma-Glutamyl-Transaminase
G-CSF
granulocyte-colony stimulating factor
GFR
glomeruläre Filtrationsrate
HER-2
human epidermal growth factor receptor 2
HFS
Hand-Fuß-Syndrom
4
i.v.
intravenös
IFL
Irinotecan, 5-Fluoruracil und Leucovorin
IgG
Immunglobulin Typ G
IL-2
Interleukin-2
K. A.
keine Angabe
KG
Körpergewicht
KOF
Körperoberfläche
LDH
Lactatdehydrogenase
mRNA
messenger-RNA
MRT
Magnetresonanztomogramm / -graphie
NA
not available
NaCl
Natriumchlorid
NC
No Change
NCI
National Cancer Institute
NSCLC
non-small cell lung cancer
PD
Progressive Disease
PDGFR-β
platelet-derived growth factor receptor typ beta
PIGF
placenta growth factor
PNP
Polyneuropathie
PR
Partial Response
PVC
Polyvinylchlorid
RECIST
Response Evaluation Criteria in Solid Tumors
SD
Stable Disease
SUE
Schwerwiegendes unerwünschtes Ereignis
TKI
Tyrosinkinase-Inhibitor
5
TNF-alpha
Tumornekrosefaktor-alpha
UAW
Unerwünschte Arzneimittelnebenwirkung
UE
Unerwünschtes Ereignis
UICC
Union Internationale Contre le Cancer
VEGF
vascular endothelial growth factor
VEGFR
vascular endothelial growth factor receptor
vs.
versus
Z. n.
Zustand nach
6
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Häufigkeitsverteilung der Tumore (n = 29)
39
Abbildung 2: Häufigkeitsverteilung der Organmetastasierung
41
Abbildung 3: Zusammenfassung der Vortherapien bei jedem Patient (n = 28)
42
Abbildung 4: Anzahl der Patienten mit abgeschlossenen Therapiezyklen
44
Abbildung 5: Therapiedauer pro Patient (n = 28)
47
Abbildung 6: Häufigkeitsverteilung der Toxizitäten unter Therapie (n = 28)
51
Abbildung 7: Anteil der Nebenwirkungen Grad 3 und 4 an den
Gesamttoxizitäten (n = 28)
51
Abbildung 8: Häufigkeiten von Laborwerttoxizitäten am Gesamtkollektiv und
prozentualer Anteil der Grad 3 und 4 Toxizitäten an der
Gesamthäufigkeit
54
Abbildung 9: Tumormarkerentwicklung unter Therapie bei Patient A
55
Abbildung 10: Entwicklung dreier Tumormarker unter Therapie bei Patient B
55
Abbildung 11: Entwicklung des Tumormarkers CA 19-9 unter Therapie bei
Patient B
56
Abbildung 12: Stärkste Nebenwirkung je Patient (100% = 28 Patienten)
58
Abbildung 13: Häufigkeit von Toxizitäten Grad 3 und 4 als stärkste
Nebenwirkung je Patient in Abhängigkeit von der
Bevacizumab-Dosis (n = 28)
59
Abbildung A1: Strukturformel Sorafenib
87
Abbildung A2: Strukturformel Paclitaxel
92
7
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1:
Therapeutische Angriffspunkte im Rahmen der
Tumorangiogenese
13
Tabelle 2:
Ein- und Ausschlusskriterien der Studienpopulation
24
Tabelle 3:
Studiendesign beispielhaft für die ersten beiden Therapiezyklen
27
Tabelle 4:
Wöchentliches Therapieschema in der Ambulanz ohne
morgendliche Sorafenib-Gabe
Tabelle 5:
28
Geplantes und schließlich durchgeführtes Dosiseskalationsdesign
(individuelle Dosisreduktionen vorbehalten)
29
Tabelle 6:
Endpunkte der vorliegenden Studie
30
Tabelle 7:
Remissionskriterien messbarer Tumorparameter nach
RECIST, Version 1.1
33
Tabelle 8:
Allgemeine Stadieneinteilung bei Tumoren
39
Tabelle 9:
Zusammenfassung der Patientencharakteristika
43
Tabelle 10: Dosisreduktion der Medikamente in den unterschiedlichen
Kohorten
46
Tabelle 11: Ursachen für eine Beendigung der Therapie (n = 28)
48
Tabelle 12: Häufigkeitsverteilung der Toxizitäten unter Therapie (n = 28)
50
Tabelle 13: Laborwerttoxizitäten unter Therapie nach CTCAE
53
Tabelle 14: Tumoransprechverhalten (n = 22)
60
Tabelle A1: Tumorstadien. Einteilung nach UICC
82
Tabelle A2: Auszug der Common Toxicity Criteria (CTCAE) des National
Cancer Institute, Version 3.0
Tabelle A3: Häufigkeit der Nebenwirkungen
8
82
89
1
1.1
Einleitung
Historie
In den letzten Jahren hat die Bedeutung von Tumorerkrankungen in der
Medizin erheblich zugenommen, sie sind derzeit die zweithäufigste Todesursache.
Wegen der wachsenden Zahl älter werdender Patienten wird - Schätzungen des
Robert-Koch-Instituts zufolge - die Zahl neuer Krebsfälle bis zum Jahr 2020 bei
Männern um mindestens 50%, bei Frauen um mindestens 25% steigen.
Schon seit Jahrzehnten ist bekannt, dass zwischen Angiogenese und Tumoren ein Zusammenhang besteht und die morphologischen Veränderungen von
Tumorgefäßen ein Malignitätskriterium darstellen. 1968 wurde die Hypothese aufgestellt, dass Tumore eine diffusionsfähige angiogenetische Substanz produzieren. Diese Annahme wurde 1971 durch Folkman erhärtet, der sagte, dass Tumorwachstum und Metastasierung allein von der Angiogenese abhängig sind [21].
Demnach sollte durch Blockieren des Gefäßwachstums das Tumorwachstum gebremst werden können. Diese These stieß eine intensive Forschung bezüglich der
Suche nach pro- und antiangiogenetischen Substanzen sowie die Suche nach
therapeutischen Ansätzen und neuen diagnostischen Methoden an. 1976 zeigte
Gullino, dass Zellen in präkanzerösem Gewebe auf dem Weg zur Malignität angiogenetische Kapazität erwerben [11, 25].
1.2
Bedeutung der Angiogenese für die Tumorbiologie und Angiogenetischer Switch
Maßgeblich für das einwandfreie Funktionieren physiologischer Prozesse
wie Wachstum, embryonale Entwicklung und Wundheilung ist die Angiogenese.
Sie ist aber auch an pathologischen Vorgängen (Entzündung, Diabetes mellitus,
Makuladegeneration) beteiligt. Bei akuten Entzündungen trägt die Angiogenese
zur Wiederherstellung der Gewebsintegrität bei, während sie bei chronischen Entzündungen, Makuladegeneration, Psoriasis, Lungenfibrose und Tumoren die
Krankheit unterhält [15]. Im Gegensatz zur Vaskulogenese, d.h., der Neubildung
von Blutgefäßen aus noch undifferenzierten Vorläuferzellen, betrifft die Angioge9
nese das Wachstum bereits bestehender Gefäße durch Migration und Proliferation
differenzierter Endothelzellen [11, 35]. Pro- und antiangiogenetische Substanzen
werden physiologisch von Endothelzellen, Stromazellen, Blut und extrazellulärer
Matrix ausgeschüttet, aber auch Tumorzellen sind dazu in der Lage. Zu den die
Angiogenese stimulierenden Faktoren gehören VEGF (siehe Abschnitt 1.3), Endothelin, das Angiopoetin-System, Matrix-Metalloproteinasen und Ephrine; Inhibitoren sind Angiostatin, Endostatin, Thrombospondin-1 und Integrine [15]. Unter
physiologischen Bedingungen verläuft die Angiogenese kontrolliert, d.h., es besteht ein Gleichgewicht zwischen pro- und antiangiogenen Faktoren. Die Blutgefäße befinden sich in einer Art Ruhezustand mit geringer Proliferationsrate [15].
Im Fall einer Fremdzellbildung, z.B. bei einem Tumor, verläuft die Angiogenese jedoch anders [11, 22]. Zunächst wird der Tumorzellklon allein durch Diffusion mit Nährstoffen und Sauerstoff versorgt. Ab einer Größe von ca. 2mm 3 muss
der Zellklon für das weitere Wachstum durch Sprossen oder intussuszeptives Gefäßwachstum bereits bestehender Blutgefäße eigene Gefäße ausbilden. Angeregt
durch verschiedene Signale wie metabolischen (Hypoxie) oder mechanischen
(Tumormasse) Stress, entzündliche Immunantworten, genetische Mutationen oder
Zellzerfall [11] wird das Gleichgewicht zwischen Stimulatoren und Inhibitoren der
Angiogenese zugunsten der Stimulatoren verschoben. Dieses Umschalten wird
als Angiogenetischer Switch bezeichnet.
Der Überschuss an Angiogenese-stimulierenden Faktoren führt nun zur
Auflösung der extrazellulären Matrix und der Basalmembran von bestehenden
Blutgefäßen durch Proteasen (z.B. Metalloproteinasen). Anschließend schilfern
sich Endothelzellen von der Gefäßwand ab, proliferieren mit einem bis zu 35-mal
höheren Faktor und bilden im Tumor gefäßähnliche Strukturen. Zusätzlich schütten die Endothelzellen verschiedene Wachstumsfaktoren aus, die über Stimulation
zur exponentiellen Vermehrung der Tumorzellen beitragen [15].
Allerdings hat das oben beschriebene rasche Wachstum der Gefäße Nachteile: Es führt zu unstrukturierten, dünnwandigen Gefäßen, die aufgrund der
Durchlässigkeit durch Blutverlust gekennzeichnet sind. Damit lassen sich typische
Tumorsymptome wie die Hämaturie bei Blasenkarzinomen, die erst in der Phase
der Tumorprogression auftreten, erklären. Außerdem führen durchlässige Gefäße
zu einem Flüssigkeitsverlust ins Interstitium, sodass der interstitielle Druck im Tu10
morgewebe ansteigt, die antitumoralen Medikamente erreichen ihren Zielort oft
vermindert oder gar nicht [54]. Protektive Mechanismen, wie sie normale Gefäße
während des Wachstums ausbilden, fehlen bei Tumorgefäßen, sodass Tumorzellen nicht vor einer wechselnden Sauerstoffzufuhr geschützt sind oder sich dem
metabolischen Bedarf anpassen können [15]. Die Tumorgefäße sind durch erhebliche Schwankungen im Durchmesser und blinde Gefäßabbrüche charakterisiert.
Auch die Dichte der Gefäßstruktur kann stark variieren, die höchsten Dichten sind
in der Tumorperipherie und der Invasionsfront zu finden [15].
Tumorgefäße bestehen meist nicht homogen aus Endothelzellen, sondern
entweder vollständig aus Tumorzellen oder aus Tumor- und Endothelzellen (sogenannte Mosaikgefäße, vasculogenic mimicry). Das Vorkommen von Tumorzellen
in Tumorgefäßen hat erhebliche Auswirkungen auf die Prognose über frühzeitige
Metastasierung [15].
Aus den Unterschieden zwischen physiologischen und tumorösen Gefäßen
geht aber auch hervor, dass das Gefäßsystem von malignem Gewebe ein attraktives Ziel bei der Therapie bösartiger Tumore ist [11, 44].
1.3
VEGF
Heute ist bekannt, dass verschiedene molekulare Komponenten an den
Mechanismen des Gefäßwachstums beteiligt sind. Eine maßgebliche Rolle spielen
dabei Mitglieder der VEGF- (vascular endothelial growth factor) und AngiopoetinFamilie als wichtigste Regulatoren der Angiogenese [11]. Sie stimulieren das Aussprossen und die Verzweigung neuer Blutgefäße.
Die Kenntnis der Tumorangiogenese führte zur Bestimmung der antiangiogenen Faktoren VEGF und seiner Rezeptoren VEGFR-1, -2 und -3 in verschiedenen Tumorgeweben. VEGFR-1 ist vor allem an der Vaskulogenese und der physiologischen Angiogenese beteiligt, während VEGFR-3 vorwiegend für die Lymphangiogenese Bedeutung hat und VEGFR-2 ein wesentlicher Mediator bei der Tumorgefäßbildung ist [58].
Inzwischen sind sechs VEGF-Proteine bekannt: A, B, C, D, E und PIGF
(Plazenta-Wachstumsfaktor), das wirksamste Protein ist VEGF-A [15].
11
Studien haben ergeben, dass VEGF in vielen Tumorgeweben hochreguliert
ist und häufig mit einer schlechten Prognose einhergeht [58, 62]. Außerdem wurde
festgestellt, dass eine erhöhte VEGF-Konzentration mit der Gesamtüberlebensdauer und der Zeit bis zum Tumorprogress korreliert, sodass die VEGFKonzentration als Prognosefaktor gilt [10, 30] (Beispiele für Studien [15]).
Im Unterschied zu Chemotherapeutika greift die antiangiogenetische Therapie nicht an der Tumorzelle selbst, sondern an Endothelzellen oder gefäßstabilisierenden muralen Gefäßzellen an [15]. Bei dieser Therapieform funktioniert das
lineare Dosis-Wirkungsprinzip nicht wie bei den herkömmlichen Tumortherapien.
Außerdem lassen sich die dosislimitierende Toxizität und die daraus ermittelte
maximal tolerable Dosis der Substanzen oft nicht bestimmen [15]. Um das Ansprechen der Therapie trotzdem adäquat überwachen zu können, werden prädiktive Biomarker (Isoformen von VEGF-A und -B sowie PIGF) verwendet (sogenannte
Surrogatmarker) [15]. Diese sollen die Funktionalität der Tumorgefäße überwachen und so Rückschlüsse auf die Wirkstoffaktivität an der Zielstruktur ermöglichen. Frühere Studien ergaben signifikante Veränderungen der Wachstumsfaktoren unter der Therapie, insbesondere bei Patienten, deren Erkrankung sich stabilisierte [15]. Je höher die antiangiogenen Substanzen dosiert wurden, desto höhere
Konzentrationen an VEGF und bFGF (basic fibroblast growth factor) ließen sich im
Plasma messen [16, 17]. Weiteren Studien zufolge nahm auch die Konzentration
des Serummarkers VEGFR-2 ab [9, 52]. Einige Studien zeigten einen Zusammenhang zwischen der Dosis eines VEGF-Rezeptor-Tyrosinkinase-Inhibitors (TKI) und
dem Serumspiegel des löslichen VEGF2-Rezeptors. Je höher die TKI-Dosis war,
desto niedriger waren die VEGFR-2-Spiegel [15].
Im Folgenden werden die therapeutischen Möglichkeiten zur Hemmung der
Tumorangiogenese vorgestellt [angelehnt an 15].
12
Tabelle 1: Therapeutische Angriffspunkte im Rahmen der Tumorangiogenese [angelehnt an 15]
Therapieansatz
Wirkmechanismus
Medikamentenklasse
Medikamentenbeispiele
Hemmung der an der
Hemmung von
Antikörper, lösliche Rezeptoren
Bevacizumab, IMC-II2Ib,
Tumorgefäßbildung
Wachstumsfaktoren wie
beteiligten Liganden
VEGF
Hemmung der zuge-
Inhibition der
a) Rezeptor-Antagonisten
b) PTK787/ZK222584,
hörigen Rezeptoren
Signaltransduktion
b) Signaltransduktions-Inhibitoren
SU11248, ZV6474, Cediranib
Vascular Targeting
Zerstörung des Zytoskeletts
a) Pharmakotherapie
Combrestatin A4, ZD6126,
von endothelialem Tubulin
b) Ligatur
AS1404
Hemmung endothelialer
a) TNF-α-Hemmung
Adhäsionsmoleküle und junktionale
anti-αvβ3, anti-αvβ5, anti-VE-
Adhäsionsmoleküle
b) Integrin-αvβ3-Hemmung
Inhibitoren
Cadherin
a) Piperidindion (Barbiturat)
a) Thalidomid
b) Zyklisches Pentapeptid
b) Cilengitide
Matrix-Metalloproteinase-Inhibitoren
Batimastat, Marimastat
Von Thrombozyten exprimiertes
Thrombospondin-1
Inhibition der Invasion
Natürlicher
Unklar
Angiogenesehemmer
VEGF-Trap
Protein
Selektive Hemmung der
Aktivierung der
Statine:
a) Angiostatin
Endothelzellproliferation
Matrix-Metalloproteinase
a) Plasminogenfragment
b) Endostatin
und Integrine
b) Kollagen-XVIII-Fragment
Anmerkung: Unterstrichene Substanzen sind bereits zur Hemmung der Tumorangiogenese zugelassen oder befinden sich in klinischen Phase-III-Studien.
13
Die voraussichtlich wirksamste Strategie zur Hemmung der VEGFvermittelten Tumorangiogenese scheint die Inhibition des Wachstumsfaktors
VEGF und seines Rezeptorsystems (VEGFR) zu sein [15]. Diese beiden Mechanismen werden im Folgenden näher erläutert.
Der erste Therapieansatz betrifft die Möglichkeit, die Angiogenese von Tumoren zu unterbinden, indem die an der Tumorgefäßneubildung beteiligten Liganden gehemmt werden. VEGF ist für das Überleben der Tumorgefäßzellen essenziell, er schützt sie vor der Apoptose, hält die neu gebildeten Blutgefäße stabil und
fördert das Tumorwachstum [15, 54]. Fehlt diese konstante VEGF-Versorgung,
sterben die Gefäßendothelzellen ab und die neu gebildeten Mikrogefäße des Tumors zerfallen [15].
Damit wird die Bedeutung der Anti-VEGF-Therapie verständlich: Eine
Hemmung des Wachstumsfaktors unterdrückt nicht nur die Proliferation der
Gefäßendothelzellen und die Sprossung der Gefäße [2], sondern führt auch zu
einer Rückbildung der vorhandenen Tumorgefäßversorgung [15]. Unreife Gefäße
werden abgebaut, und der Gefäßaufbau wird strukturiert. Zum einen wird dadurch
der Tumor besser durchblutet und so effektiver mit Chemotherapeutika und Sauerstoff versorgt [32], sodass die Ansprechrate auf zytostatische Therapien steigt.
Zum anderen führt die verbesserte Gefäßstruktur zu weniger durchlässigen Gefäßen, sodass sich der interstitielle Druck im Tumorgewebe verringert. Dadurch
können Zytostatika den Tumor besser durchdringen und effizient wirken [32,54].
Die Normalisierung der Gefäßstruktur und -funktion könnte auch bewirken, dass
sich die Wahrscheinlichkeit einer regionalen Lymphknotenmetastasierung verkleinert [15]. Die beschriebenen vaskulären Veränderungen unterstreichen die Bedeutung einer solchen Therapie und die Möglichkeit einer effektiveren Kombination
der Anti-VEGF-Therapie mit weiteren antitumoralen Substanzen [15, 67].
Klinische Daten bestätigen die Wirkung der Anti-VEGF-Therapie. Bereits
eine Einzelinfusion mit Anti-VEGF beim Menschen zeigte, dass sich die Dichte der
Tumormikrogefäße verringerte [67]. Dennoch erfordert die optimale Therapiekontrolle eine kontinuierliche VEGF-Inhibition [15]. Klinische Studien mit dem VEGFA-Antikörper Bevacizumab (Avastin®) ergaben, dass Patienten, die mit dieser
hochwirksamen Substanz therapiert wurden, länger überlebten [29, 47, 56] und
die Tumorerkrankung später fortschritt als bei der Vergleichsgruppe ohne Bevaci14
zumab. Diese Studien bestätigen die Vermutung, dass die VEGF-Inhibition den
Krankheitsverlauf signifikant beeinflussen kann, indem der Wirkstoff das Tumorwachstum anhaltend unterdrückt [46].
Der zweite Therapieansatz gilt nicht den Liganden selbst, sondern den zugehörigen Rezeptoren. Ihre Hemmung unterdrückt auch die Signaltransduktion.
Prinzipiell gibt es dafür zwei Möglichkeiten: die Rezeptor-Antagonisten (Antikörper,
Peptide, kleine Moleküle) und die Signaltransduktions-Inhibitoren (TyrosinkinaseInhibitoren).
Ein Beispiel für die Therapie mit einem Rezeptor-Antagonisten ist die Blockade des VEGF-Rezeptors mit einem Antikörper. Die Firma ImClone entwickelte
hierfür den neutralisierenden Anti-KDR-Antikörper IMC-II2Ib, der sich derzeit in der
Phase-III-Studie bei Tumorpatienten befindet. Er verhindert die Rezeptoraktivierung, indem er die Bindung des Liganden VEGF an seinen Rezeptor blockiert. Bislang zeigte sich bei guter Therapieverträglichkeit eine vielversprechende Wirksamkeit. Es bleibt allerdings zu klären, ob sich allein mit der Blockade eines einzelnen Angiogenese-relevanten Rezeptors ein therapeutischer Effekt erzielen
lässt [15].
Die andere Therapieoption besteht in der Hemmung der Signaltransduktion
durch Rezeptor-Tyrosinkinase-Inhibitoren [15]. Das Verständnis dieser Therapie
erfordert einige Hintergrundinformationen: Tyrosinkinasen, Enzyme aus der Untergruppe der Proteinkinasen, sind essenziell für die primäre Übermittlung von
Signalen aus dem extrazellulären in den intrazellulären Raum. Ihre Aufgabe, die
Phosphorylierung von Zielproteinen, ist ein sehr wichtiger Schritt in der Signaltransduktion, denn er steuert Differenzierung, Wachstum, Migration und Apoptosemechanismen der Zellen. Bei vielen malignen Erkrankungen ist das System der
Signaltransduktion und der Rezeptor-Tyrosinkinasen im Vergleich zum Ursprungsgewebe verändert. Die Ursachen dafür sind durch Mutationen hervorgerufene Überexpressionen, Genamplifizierungen oder funktionale Veränderungen, die
sich schließlich in fehlreguliertem Zellwachstum und Malignomen manifestieren.
Inhibitoren
der
VEGF-Rezeptor-Tyrosinkinasen
hemmen
die
VEGF-
induzierte pathologische Angiogenese, indem sie in die zelluläre Signaltransduktion (Phosphorylierung der Zielproteine durch Tyrosinkinasen wird unterbunden)
eingreifen. Insbesondere der primäre Endothelzell-mitogene VEGF-Rezeptor 2
15
(KDR) spielt dabei eine große Rolle, denn seine Aktivierung ist der erste intrazelluläre Schritt zur Angiogenese [29]. Zwar ist die orale Bioverfügbarkeit der niedermolekularen KDR-Tyrosinkinase-Inhibitoren im Gegensatz zu anderen antiangiogenen Therapiemöglichkeiten von Vorteil, aber eine gezielte Therapie mit diesen
Substanzen ist nur bedingt umzusetzen. Die Ursache dafür ist die Ähnlichkeit der
aktiven Zentren von Tyrosinkinase-Enzymen in biologischen Systemen, daher ist
die Selektivität der Inhibitoren unzureichend und ihre Aktivität nicht auf das Angriffsziel beschränkt. Dadurch könnten Wirkung und Nebenwirkungen verstärkt
werden. Selektive Inhibitoren befinden sich zurzeit noch in der Entwicklung [15].
Breitspektrum-Tyrosinkinase-Inhibitoren greifen hingegen an vielen verschiedenen
Tyrosinkinasen an. Hierdurch wird die antitumoröse Wirkung summiert, es bleibt
jedoch unklar, welche der gehemmten Kinasen für den antiangiogenen Therapieerfolg entscheidend ist [15].
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Entwicklung von antiangiogenetischen Substanzen als Monotherapie oder in Kombination mit klassischen
Chemotherapien Erfolg versprechend ist.
1.4
Bevacizumab (Avastin®)
Die erste Erfolg versprechende Substanz nach jahrelanger Forschung an
Hemmstoffen der Angiogenese war Bevacizumab (Avastin®) – ein monoklonaler
Antikörper gegen den an der Tumorangiogenese beteiligten Wachstumsfaktor
VEGF-A [15]. Die Entwicklung von Bevacizumab basiert auf dem murinen Antikörper A4.6.1, der bei Tierversuchen in Mäusen entdeckt wurde [15]. Dieser Antikörper erkennt eine spezifische Aminosäuresequenz des humanen VEGF-Moleküls
und geht mit ihr eine hochaffine Bindung ein, sodass ein Ankoppeln des Liganden
an seinen Rezeptor durch die mit der Bindung einhergehende Strukturveränderung inhibiert wird. Der Rezeptor wird nicht aktiviert, und die Signalübertragung ist unterbrochen [15]. Da eine Therapie mit murinen Wirkstoffen für Menschen schlecht verträglich ist, wurde der Antikörper humanisiert. Eine Synthese
ergab den zu 93% humanen Antikörper Bevacizumab, der trotz Anpassung ähnlich starke Bindungseigenschaften zum Wachstumsfaktor VEGF aufweist wie der
Stammantikörper A4.6.1 [15].
16
In klinischen Studien zeigte der humane Antikörper beeindruckende Wirksamkeit bei Patienten mit metastasiertem Kolorektalkarzinom und wurde im Jahr
2005 zur Therapie dieser Erkrankung zusammen mit 5-Fluoruracil zugelassen
[15]. Bevacizumab ist nicht nur der erste Wirkstoff, der zur Hemmung der Tumorangiogenese zugelassen wurde, sondern stellt zurzeit auch die erfolgreichste antiangiogene Therapieoption dar [15]. Das Prinzip der Antiangiogenese hat sich bis
heute bei fünf Tumorentitäten (Darm-, Brust-, Lungen-, Eierstock- und Nierenzelltumoren) als wirksam erwiesen. Bevacizumab ist bei diesen Tumoren seit 2005
bzw. 2007 als fester Bestandteil der Standardtherapie zunehmend etabliert [14,
15, 53]. Die Zulassung zur Behandlung von Patienten mit fortgeschrittenem Ovarialkarzinom in den FIGO-Stadien IIIB-IV erfolgte Ende 2011 [1, 8], die Therapie
mit Bevacizumab bei dieser Tumorentität ist weiterhin Bestandteil aktueller Studien [49].
Im Juni 2013 führten die Ergebnisse der randomisierten, doppelblinden Placebo-kontrollierten AVAglio-Studie in Japan zur Zulassung von Bevacizumab bei
an Glioblastom oder Gliom erkrankten Patienten [27]. Zur Zulassung für die
Erstlinientherapie des Glioblastoms in der Europäischen Union sowie der Schweiz
sind derzeit noch klinische Prüfungen ausstehend [15].
Studien bestätigten die Wirksamkeit einer First-Line-Therapie mit Bevacizumab in Kombination mit einer Chemotherapie. Das Überleben von Patienten mit
Darm- und Lungentumoren war bei der Kombinationstherapie signifikant länger,
das progressionsfreie Überleben bei Patienten mit Ovarialkarzinom konnte um ein
Drittel verlängert [1], bei Patienten mit Mamma- und Nierenzellkarzinomen sogar
verdoppelt werden [15].
Auch wenn sich noch weitere Substanzen in der klinischen Entwicklung befinden und ihre Verwendung bei anderen Tumorentitäten geprüft wird [15], hat sich
Bevacizumab als Pan-Angiogenese-Inhibitor bewährt. Die Annahme, wonach die
Substanz die tumoröse Gefäßneubildung unabhängig von der Tumorentität
hemmt, konnte bestätigt werden [15].
Zusätzliche Informationen zu Bevacizumab sind dem Abschnitt 7.1.1 im
Anhang zu entnehmen.
17
1.5
Sorafenib (Nexavar®)
Sorafenib ist ein potenter Multi-Proteinkinase-Inhibitor mit oraler Bioverfüg-
barkeit [15]. Er zeigte präklinisch einen dualen Wirkmechanismus mit antiproliferativem Effekt gegen die Tumorzelle selbst und einer antiangiogenen Komponente
[15]. Ursächlich hierfür ist die Inhibition der Rezeptor-Tyrosinkinasen, z.B. VEGFR2 und PDGFR-β, die eine wichtige Rolle für die Angiogenese und die Tumorproliferation spielen [15]. Eine erfolgreiche Antitumortherapie mit Sorafenib geht
nicht notwendigerweise mit beiden Wirkmechanismen einher, es ist durchaus
möglich, dass nur einer der Mechanismen die Tumorverkleinerung bewirkt [15].
Zunächst nahm man an, dass Sorafenib die Serin/Threonin-Kinase Raf-1 hemmt,
da festgestellt wurde, dass diese in zahlreichen Tumorentitäten übermäßig aktiviert ist [15]. Dies hat zur Folge, dass auch der Signalweg bei Tumorpatienten verstärkt aktiviert ist, weil Raf-1 eine wichtige Rolle in der Signaltransduktion spielt.
Normal regulierte Signalwege bilden die Basis für die einwandfreie Abwicklung der
Angiogenese und der Regulation von Zellüberleben und -proliferation. Im Falle
einer Überaktivität wird folglich die Tumorentstehung aufgrund der oben genannten Mechanismen begünstigt [15].
Präklinische Studien lieferten jedoch Erkenntnisse über die Hemmung weiterer Kinasen durch Sorafenib. Hierzu zählen beispielsweise Raf-Isoformen sowie
die für die Angiogenese relevanten Tyrosinkinasen VEGF-R2 und PDGFR-β [15].
Zu den Eigenschaften von Sorafenib, die u.a. in Xenograft-Modellen nachgewiesen wurden, gehören der Einfluss auf die Autophosphorylierung verschiedener
Signalübertragungswege [15], die Induktion der Apoptose über Raf-Hemmung bei
humanen Tumorzellen [66], die dosisabhängige Hemmung des Tumorwachstums
(Xenograft-Modell) [15] und die Inhibition der Tumorprogression [15].
Studien zeigten bislang folgende Ergebnisse zur Therapie von Nierenzellund Leberkarzinomen mit Sorafenib:
Eine Phase-II-Studie (Randomized Discontinued Trial = RDT-Studie) zur
Überprüfung der klinischen Wirksamkeit von Sorafenib ergab, dass das mediane
progressionsfreie Überleben unabhängig von der Tumorentität bei der Kohorte mit
Sorafenib signifikant länger war als bei der Placebo-Gruppe [50]. Die beobachtete
antitumorale Wirkung wurde durch eine Phase-III-Studie (Treatment Approaches
in Renal cancer Global Evaluation Trial = TARGETs) bestätigt [19], in der die So18
rafenib-Monotherapie gegenüber der Placebo-Therapie bei fortgeschrittenem Nierenzellkarzinom zu einer signifikanten Verlängerung des medianen progressionsfreien Überlebens führte (19,3 vs. 15,9 Monate). Mit der Sorafenib-Behandlung
gelang es, die Stabilisierung der Tumorerkrankung von 55% (Placebo) auf 85% zu
steigern, die Erkrankung schritt bei Patienten mit Sorafenib-Behandlung langsamer voran als bei Patienten mit Placebo-Therapie (167 vs. 84 Tage). Besonders
bemerkenswert ist der Therapieerfolg beim Nierenzellkarzinom, weil dieser Tumor
als außerordentlich resistent gegenüber Zytostatika gilt und die Überlebensrate
der Patienten mit fortgeschrittenem Karzinom sehr schlecht ist [4]. Weniger als
20% der Patienten überleben länger als zwei Jahre [4].
Die Erfahrungen und Ergebnisse aus diesen Studien führten 2005/2006 zur
Zulassung von Sorafenib. Es wird zur Behandlung des fortgeschrittenen Nierenzellkarzinoms nach erfolgloser Therapie mit Interferon-α oder IL-2 oder bei Nichteignung von Patienten für eine Zytokin-Therapie als sogenannte Second-LineTherapie eingesetzt [15].
Sorafenib wird zudem in der Therapie des hepatozellulären Karzinoms eingesetzt. Grundlage dieser Empfehlung sind folgende Erkenntnisse:
Eine Phase-II-Studie mit Sorafenib als Monotherapie bei Patienten mit fortgeschrittenem hepatozellulärem Karzinom ergab neben der größeren Ansprechrate und der verlängerten progressionsfreien Zeit ein besseres Gesamtüberleben in
der Sorafenib-Gruppe. Die Gruppe der anschließenden Phase-III-Studie (Sorafenib HCC Assessment Randomized Protocol = SHARP-Studie) umfasste Patienten
mit unbehandeltem fortgeschrittenem hepatozellulärem Karzinom. Die Resultate
dieser Studie wiesen auf ein signifikant höheres mittleres Gesamtüberleben in der
Sorafenib-Gruppe hin [51]. Die Wirksamkeit und Tolerabilität von Sorafenib konnten durch eine weitere Phase-III-Studie (Asien-Pazifik-Studie) bestätigt werden
[12, 15]. Aufgrund der Erkenntnisse aus der SHARP-Studie wurde Sorafenib als
Therapieoption für das hepatozelluläre Karzinom Ende 2007 zugelassen [15].
Seit November 2013 ist Sorafenib in der Therapie des lokal fortgeschrittenen oder metastasierten, differenzierten Schilddrüsenkarzinoms zugelassen,
das kein Ansprechen mehr auf eine Radiojodtherapie zeigt. Die DECISION-Studie
untersuchte Patienten mit fortgeschrittenem Schilddrüsenkarzinom, die mit Placebo vs. Sorafenib behandelt wurden. Hierbei zeigte sich, dass das progressions19
freie Überleben unter Sorafenib-Therapie im Vergleich zur Placebo-Behandlung
nahezu verdoppelt werden konnte [7].
Die Bedeutung von Sorafenib als Mono- und Kombinationstherapie bei anderen Tumorentitäten wird derzeit intensiv erforscht. Von besonderem Interesse
sind hierbei das nichtkleinzellige Bronchialkarzinom und das Mammakarzinom
sowie die adjuvante Therapie bei Nierenzell- und hepatozellulärem Karzinom [15].
Zusätzliche Informationen zu Sorafenib sind dem Abschnitt 7.1.2 im Anhang
zu entnehmen.
20
2
Zielsetzung
Mit den in den letzten 40 Jahren identifizierten molekularen Zielstrukturen
ist heute eine gezielte Therapie von Krebserkrankungen möglich, die nicht nur
besser verträglich als herkömmliche Chemotherapien, sondern auch langfristig
wirksam ist [15]. Dennoch erfordert das geringe Gesamtüberleben von Patienten
mit fortgeschrittener Tumorerkrankung die Entwicklung neuer Therapien. Eine
vielversprechende effektive Tumortherapie scheint derzeit die Behandlung mit antiangiogenetischen Substanzen zu sein.
Um diese Therapie aber möglichst effektiv zu gestalten, ist es sinnvoll, das
Tumorwachstum an mehreren Stellen zu inhibieren, weil der Tumor bei seiner
Entwicklung eine große Anzahl angiogenetischer Moleküle ausschüttet. Wird beispielsweise nur VEGF gehemmt, kann der Tumor auf andere Verbindungen umstellen [11]. Daher wird für die folgende Studie ein Therapieschema verwendet,
das die Angiogenese des Tumors an zwei Punkten stört: zum einen über VEGF
durch Bevacizumab, zum anderen über die Tyrosinkinasen durch Sorafenib. Eine
dritte Substanz, das Chemotherapeutikum Paclitaxel, kann durch die mit Bevacizumab verbesserte Gefäßstruktur die Tumorzellen besser erreichen. Außerdem
werden die Zellen zusätzlich mit Sauerstoff versorgt und sind damit vulnerabler für
eine Chemotherapie. Paclitaxel soll die Proliferation der Tumorzellen verhindern
und die Therapie der malignen Erkrankung damit noch effizienter gestalten.
Die nachstehend beschriebene nicht-randomisierte prospektive Open-labelInterventionsstudie der Phase I mit Dosiseskalation soll primär die Machbarkeit
(„feasibility“) für mehrfach vorbehandelte Patienten mit metastasierter solider Tumorerkrankung bei weiterhin erträglichem Nebenwirkungsprofil untersuchen.
Sekundäre Ziele der Studie sind Sicherheit und Wirksamkeit einer Kombinationstherapie aus einem Chemotherapeutikum (Paclitaxel), einem VEGFAntikörper (Bevacizumab) und einem Tyrosin-Kinase-Inhibitor (Sorafenib). Die
Rationale für das verwendete Therapiekonzept basiert auf dem präklinischen Synergismus zwischen Paclitaxel und Sorafenib sowie auf dem Prinzip der optimierten
Antiangiogenese. Dabei wird die Gefäßneubildung an zwei Stellen gleichzeitig mit
potenziell synergistischer Wirkung inhibiert: zum einen durch das als Antiligand
21
wirkende Bevacizumab, zum anderen durch die Hemmung des VEGF-Rezeptors
durch Sorafenib.
22
3
3.1
Material und Methoden
Teilnehmerauswahl
Zur Anwendung der Studienmedikation erfolgte die Auswahl der Probanden
anhand bestimmter Kriterien. Die meisten Teilnehmer waren schon vor Studienbeginn Patienten des Marienhospitals Herne und nahmen an unterschiedlichen,
teilweise auch experimentellen Chemotherapien teil. Bei vielen Probanden waren
die Erst-Linien-Therapie für die jeweilige Tumorentität und die anschließende Entwicklung von Resistenzen gegenüber dem Regime vorausgegangen. Dies äußerte
sich radiologisch anhand von Tumorgrößenzunahme oder Bildung neuer Metastasen, laborchemisch durch ansteigende Tumormarker oder klinisch durch Verschlechterung des Allgemeinzustands mit unterschiedlichen Symptomen.
Nach Prüfung der Voraussetzungen zur Teilnahme an der Studie wurden
die Patienten aufgeklärt und ihnen Bedenkzeit bis zur schriftlichen Einwilligung
eingeräumt. Anschließend wurde der Laborstatus der Probanden aktualisiert, sofern dieser älter als 7 Tage war. Die Patienten kamen nicht nüchtern zur Abnahme
von < 20ml Blut (1 bis 2 Serumröhrchen, 1 EDTA-Röhrchen zur Blutbildanalyse),
der Allgemeinzustand wurde dokumentiert und die neuerliche Therapie begonnen.
23
Tabelle 2: Ein- und Ausschlusskriterien der Studienpopulation
Studienpopulation:
Patienten mit lokal fortgeschrittener solider Tumorerkrankung der inneren Organe, die sich als nicht resektabel oder metastasiert herausgestellt hatte; palliativer Therapieansatz
Einschlusskriterien
Ausschlusskriterien
-
Alter > 18 Jahre
-
Histologisch gesicherte, solide
nahme: Basalzelltumor oder
Tumorerkrankung mit mindes-
Zervixkarzinom) oder kurative
tens einer messbaren Läsion
Tumortherapie bereits vor > 5
ECOG  2, sodass ambulante
Jahren
-
-
-
Betreuung möglich ist
-
-
Schwere Beeinträchtigung von
Organen (Leber, Nieren)
Z. n. Vortherapien (Chirurgie,
-
Radiatio, Zytostatika), keine wei-
Keine adäquate Knochenmark-Reserve
teren wirksamen Standard-
chemotherapien möglich, daher
Teilnahme an einer anderen
Therapiestudie
Einschluss in die experimentelle
-
Studie
-
Kontraindikationen gegen die
Studienmedikamente
Adäquate Knochenmark- und
Organfunktion
-
Zweittumorerkrankung (Aus-
Keine Einwilligung
Effekte der Vortherapie müssen
abgeklungen sein, sofern Nachwirkungen zu erwarten sind
-
3.2
Schriftliche Einwilligung
Diagnostik und Staging
Vor Studienbeginn wurde bei allen Patienten ein Staging von Tumor und Me-
tastasen mithilfe folgender Diagnostiken durchgeführt:
-
Anamnese, körperliche Untersuchung, Dokumentation des Allgemeinzustands
-
Internistisches Standardlabor (großes Blutbild, Elektrolyte, Glukose, Bilirubin
gesamt, Harnstoff, Kreatinin, glomeruläre Filtrationsrate, Harnsäure, Ge-
24
samteiweiß, alkalische Phosphatase, Gamma-GT, Transaminasen, LDH, Elektrolyte, Albumin, CRP, spezifische Tumormarker)
-
MRT
-
CT Thorax/Abdomen
-
Sonographie Abdomen
-
Konventionelles Röntgen des Thorax in zwei Ebenen
-
Ggf. Skelettszintigraphien
Hiermit konnte der Progress der Erkrankung dokumentiert und der Studienein-
tritt begründet werden. Der Zeitraum zwischen Staging und Studienbeginn konnte
je nach Allgemeinzustand des Patienten zwischen max. 24 Stunden und wenigen
Wochen liegen.
3.3
Studiendesign
Die Studienmedikation aus 400mg Sorafenib (Nexavar®) zweimal täglich,
90mg pro m² Körperoberfläche Paclitaxel (Taxol®) und dosiseskaliertem Bevacizumab (Avastin®) wurde unter ambulanten Bedingungen verabreicht.
Die Probanden nahmen kontinuierlich morgens und abends im häuslichen
Umfeld je zwei Tabletten zu 200mg (800mg pro Tag) Sorafenib in 12-stündigem
Abstand ein. Beim Auftreten von Toxizitäten konnte die Dosis auf insgesamt
400mg (200mg zweimal täglich), in schweren Fällen auch auf 200mg täglich reduziert werden.
Einmal pro Woche, also an Tag 1, 8 und 15 des Therapiezyklus, erschienen
die Patienten in der hämato-onkologischen Ambulanz des Marienhospitals Herne.
Zunächst wurden sie dem behandelnden Arzt vorgestellt, der neben Anamnese
und körperlicher Untersuchung aktuelle Laborwerte bestimmte. Der Allgemeinzustand wurde dokumentiert und Toxizitäten oder Probleme während der letzten
Therapiewoche erfragt. Bei regelrechten Resultaten erhielten die Probanden nach
geeigneter Prämedikation (Antihistaminikum, Antiemetikum, Kortison) zunächst
Paclitaxel als intravenöse Infusion. In der Regel wurde der Portzugang der Patienten genutzt, um die Dosis von ca. 90mg/m2 Körperoberfläche über 90 bis 180 Minuten zu infundieren. Nach kurzer Zwischenspülung mit physiologischer Kochsalzlösung wurde  jedoch nur an Tag 1 und 15 des Therapiezyklus  mit der Infusion
25
von Bevacizumab fortgefahren. Die Dosis des monoklonalen Antikörpers war von
der zugeteilten Kohorte abhängig. Die Probanden wurden in sechs Kohorten mit je
vier bis sechs Patienten eingeteilt. Die erste Kohorte mit 6 Teilnehmern erhielt kein
Bevacizumab und die zweite mit 5 Patienten 1mg/kg Körpergewicht alle zwei Wochen. Wenn keine Toxizitätsprobleme auftraten, wurde die 14-tägige Dosis des
Antikörpers bei den folgenden Kohorten auf 2 (4 Patienten), 4 (5 Patienten), 5 (4
Patienten) bzw. 10mg/kg Körpergewicht (4 Patienten) gesteigert. Die allererste
Dosis Bevacizumab erfolgte bei jeder Kohorte im ersten Zyklus nicht an Tag 1,
sondern erst an Tag 15, im zweiten Zyklus dann regulär an Tag 1 und 15. Dadurch
kann die Verträglichkeit von Sorafenib in Kombination mit Paclitaxel zunächst zwei
Wochen lang beobachtet werden.
Nach komplikationsfreier Gabe wurden die Patienten 30 Minuten nachbeobachtet, bevor sie in die häusliche Umgebung entlassen wurden. Supportiv erhielten die Teilnehmer fettende, harnstoffhaltige Handcreme zur Vorbeugung des
Hand-Fuß-Syndroms unter Sorafenib, nystatinhaltige Mundspüllösung zur Minimierung des Mukositisrisikos und pflegendes Nasenöl gegen trockene Schleimhäute. Die routinemäßige Gabe von Adjuvantien war nicht vorgesehen. Nur bei
symptomatischen oder vital gefährdeten Patienten wurden G-CSF sowie Blutzellen (Erythrozyten- und Thrombozytenkonzentrate) appliziert.
Sofern keine Nebenwirkungen auftraten, kamen die Patienten einmal pro
Woche in die Ambulanz zu Untersuchung, Blutabnahme und Therapie. Bei auftretenden Toxizitäten konnten sie jederzeit den behandelnden Arzt konsultieren.
Nach erfolgreichem Abschluss eines Zyklus folgte eine einwöchige Therapiepause, bevor der nächste Kurs begann. Maximal sollten die Patienten 6 Therapiezyklen erhalten, sofern es zu einem Ansprechen oder einer Stabilisierung der Erkrankung kam und die Nebenwirkungen tolerabel waren. In Ausnahmefällen und bei
besonders guter Verträglichkeit konnte diese maximale Anzahl überschritten werden.
26
Tabelle 3: Studiendesign beispielhaft für die ersten beiden Therapiezyklen
1. Zyklus
Tag
Tag
Tag
Tag
Tag
Tag
1
2-7
8
9-14
15
16-21
Tag
22-28
Paclitaxel
Bevacizumab
Sorafenib
2. Zyklus1
Tag
Tag
Tag
Tag
Tag
Tag
Tag
1
2-7
8
9-14
15
16-21
22-28
Paclitaxel
Bevacizumab
Sorafenib
1 Zyklen
3, 4, 5, 6 nach gleichem Schema
27
Tabelle 4: Wöchentliches Therapieschema in der Ambulanz ohne morgendliche
Sorafenib-Gabe
Zyklustag
Tag
1, 8, 15
Dauer
Medikament
30 Minuten
1. Antihistaminikum Dimetinden (Fenistil®) 8mg i.v.
Gabe direkt vor 2. Antiallergikum Cimetidin (Tagamet®) 400mg i.v.
Chemotherapie 3. Dexamethason (Fortecortin®) 20mg i.v.
Tag
90 – 180
Paclitaxel (Taxol®) 90mg/m2 KOF1 i.v. (Portzu-
1, 8, 15
Minuten
gang) in 250ml NaCl 0,9% mit PVC-freiem
Infusionsbesteck
Tag
wenige
12, 15
Minuten
Tag
90, 60 oder 30
12, 15
Minuten3
Zwischenspülung mit NaCl 0,9%
Bevacizumab (Avastin®) 0, 1, 2, 4, 5 oder 10mg/kg
Körpergewicht i.v. (Portzugang) in 250ml NaCl
0,9% mit Standardinfusionsbesteck
1 Berechnung
der Körperoberfläche (KOF) nach Du Bois & Du Bois [18]:
KOF (m2) = (Körpergewicht in kg)0,425 x (Körpergröße in cm)0,725 x 71,84 x 10-4
2 nicht
3
im allerersten Zyklus
Die erste Bevacizumab-Infusion läuft über 90 Minuten, bei guter Verträglichkeit kann die Dauer
bei folgender Gabe auf 60 Minuten und anschließend auf 30 Minuten reduziert werden.
28
Tabelle 5: Geplantes und schließlich durchgeführtes Dosiseskalationsdesign (individuelle Dosisreduktionen vorbehalten)
Anzahl
Geplantes Dosiseskalationsdesign
Durchgeführtes Studiendesign
eingeschlossener
Patienten (N = 28)
Kohorte
Paclitaxel
Sorafenib
I
90mg/m2
800mg
II
90mg/m2
800mg
III
90mg/m2
800mg
IV
90mg/m2
800mg
V
90mg/m2
800mg
VI
90mg/m2
800mg
1 Dosisreduktion
Bevacizumab
0 mg/kg
Körpergewicht
1 mg/kg
Körpergewicht
2 mg/kg
Körpergewicht
4 mg/kg
Körpergewicht
5 mg/kg
Körpergewicht
10 mg/kg
Körpergewicht
Paclitaxel
Sorafenib
90mg/m2
400mg1
90mg/m2
400mg1
90mg/m2
400mg1
90mg/m2
400mg1
90mg/m2
400mg1
90mg/m2
400mg1
aufgrund dosislimitierender Toxizitäten (siehe Abschnitt 4.2.2.2)
29
Bevacizumab
0 mg/kg
Körpergewicht
1 mg/kg
Körpergewicht
2 mg/kg
Körpergewicht
4 mg/kg
Körpergewicht
5 mg/kg
Körpergewicht
10 mg/kg
Körpergewicht
6
5
4
5
4
4
3.4
Studienziele
Nachfolgend sind die primären und sekundären Studienziele aufgeführt.
Tabelle 6: Endpunkte der vorliegenden Studie
Endpunkte
Primär
Machbarkeit der Studie
Sicherheit:
-
Unerwünschte Arzneimittelnebenwirkungen / Medikamententoxizitäten
Sekundär
-
Ausgewählte Laborwertveränderungen
-
Schwere unerwünschte Ereignisse
-
Stärkste Nebenwirkung je Patient
Wirksamkeit:
-
Tumoransprechrate (Response Rate)
-
Überlebenszeit
-
Progressionsfreies Intervall
Die Studie diente auch der Überarbeitung des Therapiekonzeptes und der
Medikamentendosierung [57, 63].
Zur routinemäßigen Kontrolle von Sicherheit und Wirksamkeit der Therapie
wurde regelmäßig (im Allgemeinen wöchentlich) das genannte breite internistische
Standardlabor erstellt. Zusätzlich dienten der wöchentliche Kontakt zu den Probanden und die detaillierte Dokumentation ihrer Beschwerden während des Zyklus
zur Überwachung der Nebenwirkungen. Die Dokumentation umfasste neben den
Symptomen auch die Dauer der Beschwerden, therapeutische Maßnahmen und
die Beurteilung des Zusammenhangs. Zusätzlich mussten Angaben über den Therapieverlauf einschließlich Datum, Dosierungen und eventuellen Abweichungen
vom Behandlungsplan erfolgen.
30
3.5
Sicherheit
Die Sicherheit der Medikamente stellt einen wesentlichen Aspekt der Stu-
dienziele dar. Sie kann mithilfe unerwünschter Arzneimittelnebenwirkungen
(UAWs) und Medikamententoxizitäten, Laborwertveränderungen, schwerer unerwünschter Ereignisse (SUEs) und der stärksten Nebenwirkung je Patient bewertet
werden.
3.5.1 UAWs / Medikamententoxizitäten und Laborwertveränderungen
Die Bewertung von UAWs und Medikamententoxizitäten sowie der Laborwertveränderungen erfolgte mithilfe der Common Toxicity Criteria (CTCAE) des
National Cancer Institute, Version 3.0 [48]. Anhand dieser werden akute und subakute Toxizitäten in Schweregrade von 0 bis 4 eingeteilt. Dabei stellt Grad 0 die
leichteste und Grad 4 die schwerste Form der Nebenwirkung dar (Details siehe
Anhang, Tabelle A2). Zur Auswertung der Studienergebnisse wurden alle Nebenwirkungen während der Therapie berücksichtigt, die im Zusammenhang mit der
Chemotherapie entstanden. Obwohl Medikamententoxizitäten durchaus auch erst
Wochen nach Therapiebeendigung auftreten können, wurden diese in der Auswertung nicht berücksichtigt, weil ein eindeutiger Zusammenhang mit der Studienmedikation sich nicht in jedem Fall nachweisen lässt. Einige Probanden erhielten
nach Abbrechen der Studie eine andere antitumoröse Medikation, sodass nicht
mehr eindeutig nachweisbar war, durch welche Medikamente die unerwünschten
Wirkungen verursacht wurden. Bei anderen Patienten war eine Nachbeobachtung
über beispielsweise 30 Tage gar nicht möglich, weil sie vorher verstarben. Nebenwirkungen, die eindeutig anderer Genese waren, wurden aus der Auswertung
ausgeschlossen, unklar dokumentierte Nebenwirkungen blieben ebenfalls unberücksichtigt.
Die durch die Paclitaxel-Therapie aufgetretene reversible Alopezie trat bei
allen Studienteilnehmern auf und wurde aufgrund rein kosmetischer Probleme
nicht in die Auswertung mit einbezogen. Außerdem gab es Patienten, die bereits
durch die Vortherapien eine Alopezie erlitten hatten.
Bei Schwankungen des Nebenwirkungsgrades nach CTCAE in der ärztlichen Beurteilung wurde stets der höhere Grad herangezogen. Patienten, die
31
während der Studie sowohl an Grad 3 als auch 4 Nebenwirkungen einer Laborwertkategorie (z.B. Leukozyten oder Hämoglobin) litten, wurde in der Auswertung
lediglich einmal mit dem schwersten Grad bewertet.
3.5.2 Schwere unerwünschte Ereignisse
Zu den unerwünschten Ereignissen zählen jede beobachtete, subjektive
oder objektive Befindlichkeitsstörung und jede (klinisch relevante) Laborwertveränderung während der Studienlaufzeit. Das unerwünschte Ereignis muss nicht
notwendigerweise im Zusammenhang mit der Medikamenteneinnahme stehen,
sondern kann auch eine Unfallfolge sein oder im Anschluss an die Therapie auftreten. Sollte das Medikament Mitverursacher oder Ursache des unerwünschten
Ereignisses sein, handelt es sich um eine unerwünschte Arzneimittelnebenwirkung. In der Auswertung der Sicherheit werden diese Ereignisse nicht mit einbezogen, um die Übersichtlichkeit der Nebenwirkungen, die im direkten Zusammenhang mit der Studienmedikation stehen, zu bewahren.
Ein schweres unerwünschtes Ereignis führt zu einem stationären Aufenthalt
oder zur Verlängerung einer stationären Behandlung. SUEs setzen per definitionem eine vitale Bedrohung, eine dauernde Arbeitsunfähigkeit, eine nachfolgende
Behinderung, Missbildung oder einen Zweittumor voraus. Im schlimmsten Fall führen sie zum Tod.
Die Sicherheit der Medikamentenkombination wird anhand der Anzahl der
SUEs und der Nebenwirkungen Grad 3 und 4 nach CTCAE beurteilt.
3.5.3 Stärkste Nebenwirkung je Patient
Eine weitere Möglichkeit, die Toxizität einer Chemotherapie allgemein zu
beschreiben, ist die stärkste Nebenwirkung je Patient, d.h., die Nebenwirkung mit
dem höchsten Schweregrad während einer zytostatischen Therapie. Daraus lässt
sich zusammenfassend die Toxizitätsrate berechnen, sie wird bestimmt durch die
Anzahl der Probanden, die vor allem unter Nebenwirkungen Grad 3 und 4 litten.
Diese Nebenwirkungen sind von besonderem Interesse, weil sie zu einer akuten
32
Gefährdung der Patienten führen können, ein Beispiel dafür ist die Dehydratation
bei Diarrhoen.
3.6
Wirksamkeit
Zu den wichtigsten sekundären Endpunkten der Studie zählte die Wirksam-
keit der Medikation. Diese kann mithilfe der Tumoransprechrate und der Überlebenszeit bewertet werden.
3.6.1 Tumoransprechrate
Die Tumoransprechrate wird mithilfe des unidimensionalen Messverfahrens
nach RECIST, Version 1.1 beurteilt (Response Evaluation Criteria in Solid Tumors) [60], das Auskunft über das Ausmaß der radiologischen Tumorantwort unter
onkologischer Therapie gibt.
Tabelle 7: Remissionskriterien messbarer Tumorparameter nach RECIST,
Version1.1 [60]
Vollständige Rückbildung jeder klinischen EviComplete Response (CR)
denz des Tumors, kein Tumorgewebe mehr
nachweisbar
Reduktion der Summe der größten Längsdurch-
Partial Response (PR)
messer der einzelnen beobachteten Läsionen um
≥ 30%
Stable Disease (SD) /
No Change (NC)
< 30%-ige Reduktion und <20%-ige Ausdehnung
der Summe der größten Längsdurchmesser der
einzelnen beobachteten Läsionen
≥ 20%-ige Zunahme der Summe der größten
Progressive Disease (PD)
Längsdurchmesser der einzelnen beobachteten
Läsionen oder Auftreten einer neuen Läsion
Die Bestimmung der messbaren Tumorläsion und die Bewertung des Tumoransprechens gemäß der RECIST-Klassifikation erfolgten durch die behan33
delnden Onkologen / Radiologen und wurden der Aktenlage entnommen. Die Beurteilung der Tumorantwort bezog sich jedoch stets auf das beste Ansprechen
während der Therapie.
Obwohl die RECIST-Kriterien zur Remission einer Tumorerkrankung vorrangig an dem messbaren Tumordurchmesser festgelegt werden, wurde im Rahmen der Studie eine regelmäßige Kontrolle der spezifischen Tumormarker im Serum ergänzend durchgeführt, um eine vollständige Bewertung der individuellen
Tumorantwort unter Therapie zu erhalten.
3.6.2 Überlebenszeit
Die Verlängerung der Überlebenszeit der Patienten ist das primäre Ziel einer Chemotherapie und hat neben den RECIST-Kriterien eine wesentliche Bedeutung bei der Bewertung der Effektivität einer Antitumortherapie [60]. Es bleibt zu
überprüfen, ob ein auf die Behandlung ansprechendes Tumorverhalten auch mit
einer Verlängerung der Überlebenszeit einhergeht.
Die Überlebenszeit definiert sich als Zeitspanne zwischen Therapiebeginn
bis zum Tod der Probanden oder bis zum letzten Beobachtungszeitpunkt. Bei vielen Patienten konnte mithilfe hausärztlicher Auskunft das genaue Todesdatum
bestimmt werden. Patienten, bei denen lediglich der Monat ihres Todes bekannt
war, wurden zur Berechnung der Überlebenszeit einbezogen, indem das Todesdatum auf die Mitte des Monats festgelegt wurde. Da nicht alle Patienten im Rahmen
der Studie an den Folgen ihrer Erkrankung verstarben, wurde als letzter Beobachtungszeitpunkt der 31.12.2012 definiert. Die noch lebenden Patienten wurden in
die Auswertung der Überlebenszeit mit dem Datum des letzten Kontakts zum behandelnden Arzt bis zum 31.12.2012 einbezogen.
Die mediane Überlebenszeit (overall survival) wird aus den Überlebenszeiten des Gesamtkollektivs bestimmt und gibt an, zu welchem Zeitpunkt 50% der
Patienten noch lebten. Sie kann beim Vergleich verschiedener Therapieformen als
wichtiger Parameter herangezogen werden.
Bei Zeitangaben werden für ein Jahr 365 Tage und für einen Monat 4,3
Wochen oder 30,4 Tage angenommen.
34
Um die 1-, 2- und 3-Jahresüberlebensraten zu ermitteln, wurden die Überlebenszeiten des untersuchen Patientenkollektivs in Jahresintervalle gruppiert. So
kann ein Überblick gegeben werden, wie viel Prozent des Gesamtkollektivs sich
nach entsprechender Zeit (z. B. 1 Jahr nach Therapiebeginn) noch unter Beobachtung befanden und somit zu dem Anteil noch lebender Patienten zählte.
3.6.3 Dauer des Tumoransprechens - Progressionsfreies Intervall
Um den Erfolg einer zytostatischen Therapie zu messen, dient der Begriff
des progressionsfreien Intervalls nach der Union Internationale Contre le Cancer
(UICC). Dieses ist definiert als Zeitdauer zwischen Therapiebeginn und Nachweis
der Progression oder Todesdatum des Patienten, je nachdem was eher eintrifft.
Die Todesursache ist dabei nicht von Bedeutung. Sollte es zum Zeitpunkt des letzten Beobachtungsdatums (31.12.2012) noch zu keiner Progression der Erkrankung gekommen sein, dient das letzte Beobachtungsdatum als Endpunkt. Es werden dabei alle Patienten in die Auswertung einbezogen, die auf die Therapie mit
kompletter bzw. partieller Remission oder einer Erkrankungsstabilisierung (Stable
Disease) reagierten.
3.7
Kontrolle des Ansprechens und Fortführung der Therapie
Die routinemäßige Kontrolle des Therapieerfolgs wurde in der Regel nach
dem 2. oder 3. Zyklus mithilfe bildgebender Verfahren durchgeführt. Patienten, die
weniger als 2 oder 3 Therapiezyklen absolviert hatten, erhielten ohne dringende
Indikation für eine Bildgebung kein neues Staging. Das letzte Staging erfolgte ca.
1-2 Wochen nach der letzten zytostatischen Gabe, wenn ein Tumorprogress vermutet wurde, anderenfalls erst nach drei Wochen.
Die spezifischen Tumormarker im Serum wurden in der Regel in 4- bis 10wöchigem Abstand kontrolliert. Mithilfe dieser Daten war es möglich, die Tumorausmaße erneut zu beurteilen und ein Restaging zu erstellen. Unter Therapie
wurde der Verlauf der Tumorausdehnung periodisch beobachtet und das weitere
Vorgehen abgestimmt. Kam es unter der neuerlichen Behandlung zu einem Erkrankungsprogress, wurde die Therapie abgebrochen und der Patient anderweitig
35
behandelt. Im Fall einer stabilen Erkrankung, einer partiellen Remission oder einer
kompletten Remission wurde die Therapie um zwei bis drei Kurse verlängert, bevor ein Restaging erneut über den weiteren Verlauf entschied.
3.8
Prüfdauer, Therapieabbruch und Nachsorge
28 Patienten mit metastasierter Tumorerkrankung und multiplen Vorthera-
pien wurden mithilfe des oben beschriebenen Medikamentenschemas zwischen
Juli 2009 und März 2012 behandelt. Mangelnde Compliance der Patienten, Auftreten von für Proband und Arzt intolerablen Nebenwirkungen (zzgl. Lebensqualitätseinschränkung, schwerer Allgemeinzustandsverschlechterung) und schwerwiegenden unerwünschten Ereignissen waren Kriterien, die zum Abbruch der Therapie führten.
Sofern der Patient die Einwilligung nicht zurückzog oder den Austritt aus
der Studie wünschte, traf der behandelnde Arzt die Entscheidung, wann eine Therapie abgebrochen werden musste. Anderenfalls wurde sie bis zum Fortschritt der
Erkrankung oder Tod des Patienten fortgeführt.
Nach Beendigung oder Abbruch der Therapie wurden alle Teilnehmer bis
zu ihrem Tod bzw. bis zum 31.12.2012 als letztes Beobachtungsdatum nachbeobachtet. Die Beobachtungszeit wurde aus der Zeitspanne zwischen Therapiebeginn und letztem Beobachtungszeitpunkt oder Todestag der Probanden ermittelt. Die kürzeste Beobachtungszeit einer Teilnehmerin betrug 13 Tage, am längsten wurde eine Patientin mit Mammakarzinom über 938 Tage nachbeobachtet. Die
mediane Beobachtungsdauer (follow-up) betrug 225 Tage.
Sowohl die Therapiedauer als auch die Fortsetzung der Kurse (Vorteile versus Toxizitäten) hingen maßgeblich vom Schweregrad der individuell aufgetretenen Nebenwirkungen ab. Nach Abbruch der Studienteilnahme wurden die folgende Tumorbehandlung sowie die geplante Erhaltungstherapie nach erfolgreicher
Therapiebeendigung auf die individuelle Situation abgestimmt.
36
3.9
Statistische Methoden
Das Verteilungsmuster vieler Daten der vorliegenden Studie entsprach nicht
der Normalverteilung der Grundgesamtheit (unsymmetrische oder schiefe Verteilung). Da Ausreißer den Mittelwert stark beeinflussen, wird der Median aus Messund Erhebungsreihen zur Erfassung statistischer Maße dem Mittelwert vorgezogen, da er von extremen Messwerten kaum beeinflusst wird [37].
Um Streuungsmaße darstellen zu können, wird die Spannweite als Differenz des größten und kleinsten Messwertes innerhalb der Stichprobe genutzt [38].
37
4
Ergebnisse
Im Folgenden werden die Ergebnisse der oben beschriebenen Phase-IStudie vorgestellt.
4.1
Patienten
Die nachstehende Probandenauswertung wurde anhand der Aktenlage der
Studienteilnehmer vollzogen. Die Angaben beruhen auf der Dokumentation der
behandelnden Ärzte.
4.1.1 Patientenmerkmale
Auf der Grundlage der in der Einleitung beschriebenen Zusammenhänge
wurde die oben beschriebene Phase-I-Studie mit einer Kombinationstherapie aus
einem Tyrosinkinase-Inhibitor (Sorafenib), dem VEGF-A-Antikörper (Bevacizumab) und dem Chemotherapeutikum Paclitaxel durchgeführt. Unter den 28 Studienteilnehmer/innen waren 21 Frauen und 7 Männer, ihr Durchschnittsalter bei
Therapiebeginn betrug 60 Jahre, die Spannweite lag zwischen 39 und 78 Jahren.
Der Median ließ sich bei 61 Jahren ermitteln. In den folgenden Graphiken bezieht
sich die Angabe n = x auf die Anzahl der jeweils in die Untersuchung einbezogenen Patienten.
4.1.2 Entität, Histologie, Grading
Bei allen Studienteilnehmern wurden histologisch solide, meist weit fortgeschrittene Tumore unterschiedlicher Entität festgestellt. Am häufigsten kam mit
55% das Mammakarzinom vor. 3 Patienten waren an einem Pankreaskarzinom
(10%) erkrankt, bei jeweils 2 Patienten wurde ein Urothelkarzinom der Blase, ein
Ovarial- bzw. ein Bronchialkarzinom (NSCLC) nachgewiesen (je 7%), je einmal
waren Angiosarkom, Prostata-, Cholangio- und Ösophaguskarzinom vertreten (je
3%). Eine Patientin litt sowohl unter einem Ovarial- als auch unter einem beidseiti38
gen Mammakarzinom, deswegen bezieht sich die Anzahl in der folgenden Tabelle
nicht auf 28 Patienten, sondern auf n = 29. Im weiteren Verlauf wird das Ovarialkarzinom dieser Patientin nur in die Auswertung der mittleren Erkrankungsdauer
und in die Anzahl an Vortherapien einbezogen. Für weitere Ergebnisse ist es nicht
von Wichtigkeit, da es sich um eine Nebendiagnose handelt.
Abbildung 1: Häufigkeitsverteilung der Tumore (n = 29)
Außerdem waren die Tumore vieler Patienten – unabhängig von der Tumorentität – histologisch stark entdifferenziert (Malignitätsgrad mäßig (G2) bis
schlecht (G3)). Die Differenzierung konnte bei 26 von 28 Probanden ermittelt werden und verteilte sich auf einen Patienten im G1-Stadium, 15 im G2- und 10 Patienten im G3-Stadium.
Tabelle 8: Allgemeine Stadieneinteilung bei Tumoren
G1
Niedriger Malignitätsgrad: gute Differenzierung der Tumorzellen
G2
Mittlerer Malignitätsgrad: Zwischenform von G1 und G3, in der die
Tumorzellen noch mäßig differenziert sind
G3
Hoher Malignitätsgrad: schlechte Differenzierung der Tumorzellen
G4
Sehr hoher Malignitätsgrad: völlige Entartung der Tumorzellen
39
4.1.3 Tumorstadien und Metastasierung
Retrospektiv ließ sich bei mindestens zwei Drittel der Studienteilnehmer bei
der Erstdiagnose ein Tumorstadium von III und IV nach der UICC ermitteln (siehe
Tabelle A1 im Anhang). Dies entspricht nicht nur einem fortgeschrittenen Erkrankungsstadium mit möglicher Infiltration des Tumors in die Umgebung, sondern
geht auch mit einer Lymph- und Fernmetastasierung einher. Eine weitere Differenzierung in die einzelnen Stadien war nicht möglich, da bei vielen Patienten die
eindeutige Tumorklassifikation fehlte. Bei 3 Patienten ließ sich das Tumorstadium
gänzlich nicht eruieren.
Zu Beginn der Studie befanden sich 24 von 28 Patienten (86%) im Tumorstadium IV nach UICC, da Fernmetastasen bekannt waren. Bei lediglich 3
Teilnehmern war der Tumor lymphatisch metastasiert und gehörte damit zum Stadium III. Eine Patientin war metastasenfrei.
Wie bereits erwähnt wurde, sind die Stadien III und IV der UICC durch multiple Metastasen gekennzeichnet. Durchschnittlich litt jeder Patient neben dem
Primarius unter zwei bis drei verschiedenen Metastasenlokalisationen. Die
Tumorabsiedlung in Lymphknoten war mit 71% am häufigsten vertreten (20 von
28 Patienten). Mit 61% folgte der Leberbefall und 14 Teilnehmer litten unter einer
ossären Metastasierung (50%). Bei jeweils 6 Patienten wurden Lungenmetastasen
bzw. eine Lymphangiosis carcinomatosa diagnostiziert (je 21%) und bei 4 eine
Peritonealkarzinose (14%). Muskulatur-, Perikard- und Pleurametastasen waren
mit je 7% seltener vertreten, je einmal traten Filiae in Fettgewebe, Knochenmark,
Mediastinum, Milz und Zwerchfell auf.
40
Abbildung 2: Häufigkeitsverteilung der Organmetastasierung
Anmerkung: n = 78, da 22 Studienteilnehmer mehrere Metastasierungsorte aufwiesen
4.1.4 Vorbehandlung
Voraussetzung zur Teilnahme an der Studie mit der Medikamentenkombination Paclitaxel, Sorafenib und Bevacizumab war eine vielfache chemotherapeutische Vorbehandlung der Patienten. Ausgenommen davon waren lediglich zwei
Patienten, deren Tumorerkrankung bei Studienbeginn noch nicht zytostatisch vortherapiert war. Ihr Einschluss in die Studie erfolgte als Einzelfallentscheidung bei
zu erwartendem individuellen Benefit.
Häufig hatten die Teilnehmer neben der zytostatischen Vorbehandlung
auch chirurgische und strahlentherapeutische Anwendungen erhalten.
Vor Studienbeginn waren 20 von 28 Patienten chirurgisch vorbehandelt
(71%), hiervon war bei einer Patientin eine explorative Laparotomie mit dem Ergebnis ‚inoperabel’ durchgeführt worden. Bei 8 Teilnehmern war kein operativer
Eingriff erfolgt, überwiegend handelte es sich hierbei um Rezidive einer primär
chirurgisch therapierten Erkrankung oder um eine Tumorerkrankung, die für eine
41
operative Sanierung schon zu weit fortgeschritten war. Eine Strahlentherapie war
bei ca. zwei Drittel der Studienteilnehmer im Vorfeld bekannt. 10 der 28 Probanden hatten sich keiner Radiatio unterzogen (36%). Ca. 50% der Patienten erhielten sowohl eine Strahlen- als auch eine chirurgische Therapie, 5 wurden nur operiert und drei wurden alleinig bestrahlt.
Die meisten Studienteilnehmer waren nicht nur chirurgisch und strahlentherapeutisch, sondern auch polychemotherapeutisch vorbehandelt. Die Anzahl der
zytostatischen Vorbehandlungen errechnet sich aus der Addition der einzelnen
Chemotherapieregime unabhängig von der Häufigkeit der Einnahmen. Insgesamt
gab es 76 Zytostatikatherapien bei 27 Studienpatienten (bei einer Patientin war die
Anzahl nicht eruierbar), der Median lag bei 2 Therapielinien. Die individuelle Anzahl variierte jedoch stark zwischen 0 und 13 Therapieregimen. Am häufigsten
waren die Patienten mit Gemcitabine, Cyclophosphamid, Paclitaxel, Fluoruracil,
Carboplatin oder Capecitabin vorbehandelt.
Zusätzlich erhielten 12 von 28 Patienten eine antihormonelle Begleitmedikation.
Abbildung 3: Zusammenfassung der Vortherapien bei jedem Patient (n = 28)
42
Tabelle 9: Zusammenfassung der Patientencharakteristika
Patientencharakteristika
Anzahl der Patienten
(n = x)
Teilnehmende Patienten
- auswertbar bzgl. Toxizität
- auswertbar bzgl. Ansprechen / Überleben
28
28
22
Geschlecht
Frauen
Männer
21
7
Mamma
Pankreas
Urothel
Ovarien
TumorlokalisaBronchien
tion
Prostata
Choleangiozellen
Ösophagus
Angiosarkom
16
3
2
2
2
1
1
1
1
(55%)
(10%)
(7%)
(7%)
(7%)
(3%)
(3%)
(3%)
(3%)
G1
G2
G3
unbekannt
1
15
10
2
(4%)
(54%)
(36%)
(7%)
Lymphknoten
Leber
Knochen
Lunge
Lymphangiosis carcinomatosa
Peritoneum
Muskulatur
Metastasierung
Perikard
Pleura
Fettgewebe
Knochenmark
Mediastinum
Milz
Zwerchfell
20
17
14
6
6
4
2
2
2
1
1
1
1
1
(71%)
(61%)
(50%)
(21%)
(21%)
(14%)
(7%)
(7%)
(7%)
(4%)
(4%)
(4%)
(4%)
(4%)
20
18
12
(71%)
(64%)
(43%)
Grading
Chirurgie
Radiatio
antihormonelle Begleitmedikation
Vorbehandlung
Chemotherapie:
Gesamt
Median
Spannweite
76
2
0-13
43
4.2 Therapie
4.2.1 Anzahl der Zyklen pro Patient
Nur drei Studienteilnehmer konnten die geplanten sechs Zyklen abschließen, ein Patient erhielt die Studienmedikation wegen überdurchschnittlich guter
Therapieverträglichkeit sogar über acht Zyklen. 21% der Studienteilnehmer konnten schon den ersten Zyklus nicht beenden, ca. 18% schlossen jeweils einen bzw.
zwei Zyklen ab, 11% erreichten drei Therapiezyklen, vier Patienten erhielten vier
und ein Teilnehmer fünf vollständige Therapiezyklen. Insgesamt wurden 71 vollständige Zyklen verabreicht, der Median lag bei zwei Zyklen pro Patient.
Abbildung 4: Anzahl der Patienten mit abgeschlossenen Therapiezyklen
4.2.2 Dosisreduktion und Therapiepausen
Bei den meisten Studienteilnehmern war es aus unterschiedlichen Gründen
nicht möglich, die Durchführung des Medikamentenschemas einzuhalten. Häufig
litten die Patienten unter schweren Nebenwirkungen, sodass die Gabe einer oder
mehrerer Wirkstoffe in der Regel für eine Woche ausgesetzt und die Besserung
der Symptome abgewartet werden musste. Anschließend erfolgte eine Reevaluation der Beschwerden und gegebenenfalls die Wiederaufnahme der Therapie.
44
4.2.2.1
Paclitaxel
Die bei allen Patienten angestrebte Dosierung von 90mg Paclitaxel pro m²
Körperoberfläche konnte fast ausnahmslos eingehalten werden. Bei einem Patienten musste laut Dokumentation des behandelnden Arztes die Dosis wegen einer
mäßiggradigen Polyneuropathie auf 75% reduziert werden. Die Polyneuropathie
unter Paclitaxel war auch mehrfach der Grund für eine Therapiepause. Wegen
Nageltoxizität mit Nagelverlust unter Therapie musste das Zytostatikum bei einem
anderen Patienten pausiert werden.
4.2.2.2
Sorafenib
Bei allen Patienten musste die Sorafenib-Dosierung bereits in der ersten
Kohorte wegen der hohen Nebenwirkungsrate um 50% reduziert werden. Auch in
der zweiten Kohorte war die ursprünglich geplante Dosis von 800mg Sorafenib
nicht tolerabel, sodass auch hier eine Reduktion auf 400mg pro Tag erfolgte. Für
die folgenden Kohorten wurde die Anfangsdosis schließlich auf 400mg Sorafenib
festgelegt (siehe Abschnitt 3.3, Tabelle 5). Trotzdem war bei vielen Studienteilnehmern aufgrund der schweren Toxizitäten eine weitere Reduktion der Sorafenib-Dosis auf 200mg täglich, in einigen Fällen sogar auf noch weniger (200mg im
Abstand von 2 oder 3 Tagen) notwendig. Aus der ärztlichen Dokumentation geht
hervor, dass das Hand-Fuß-Syndrom bei mindestens 39% der Patienten der mit
Abstand häufigste Grund für die Dosisreduktion des Tyrosinkinase-Inhibitors oder
für Therapiepausen war. Die Mukositis war trotz intensiver Mundschleimhautpflege
der zweithäufigste Grund, die Therapie mit Sorafenib zu pausieren oder dessen
Dosis zu reduzieren. Außerdem sind mehrfach Heiserkeit, depressive Verstimmung und Diarrhoe als Ursache für eine Dosisreduktion bzw. Therapiepause dokumentiert. Weiterhin werden Übelkeit und Erbrechen, Körpergewichtsverlust,
Soor, Asthenie und die Entstehung eines Gesäßulkus bzw. Exanthems bei je einem Teilnehmer als Gründe für Therapiepausen oder Dosisreduktion genannt. Im
Allgemeinen stellt das Hand-Fuß-Syndrom die dosislimitierende Nebenwirkung
von Sorafenib dar.
45
4.2.2.3
Bevacizumab
Die häufigste Indikation für eine Therapiepause von Bevacizumab stellten
Wundheilungsstörungen bei mehreren Studienteilnehmern dar. Weitere Indikationen waren eine tiefe Venenthrombose und der Wunsch eines Patienten nach
Pausieren des Antikörpers. Bei einem Patienten in der Kohorte, die 10mg/kg Körpergewicht Bevacizumab erhielt, war es notwendig, den Antikörper auf die Hälfte
der Dosis zu reduzieren.
Tabelle 10: Dosisreduktion der Medikamente in den unterschiedlichen Kohorten
Kohorte
I
II
III
IV
V
VI
(n = 6)
(n = 5)
(n = 4)
(n = 5)
(n = 4)
(n = 4)
Paclitaxel
0
0
0
1
0
0
1
Sorafenib1
6
5
1
3
2
4
21
Bevacizumab2
–
0
0
0
0
1
1
1 Kohorten
∑
I und II Sorafenib-Startdosis: 800mg täglich
Kohorten III, IV, V und VI Sorafenib-Startdosis: 400mg täglich
2 Kohorte
I: Kein Bevacizumab erhalten
4.2.3 Therapiedauer
Die Dauer der Therapie, die sich aus der Zeitspanne zwischen Studienstart
und Studienende ergibt, ist unabhängig von der Anzahl der abgeschlossenen Therapiezyklen. Bei einem Teilnehmer wurde die Therapie bereits nach vier Tagen
abgebrochen, die längste Therapiedauer betrug 286 Tage. Im Median dauerte die
Therapie pro Patient 81 Tage.
46
Abbildung 5: Therapiedauer pro Patient (n = 28)
4.2.4 Ursachen für ein Therapieende
Bei insgesamt 25 Patienten musste die Therapie vorzeitig beendet werden.
Eine Patientin mit sechs abgeschlossenen Therapiezyklen hatte zwar ebenfalls
das offizielle Therapieende erreicht, konnte aber wegen eines schweren HandFuß-Syndroms keine weiteren optionalen Zyklen erhalten und wurde daher in die
Kategorie „Therapieende wegen Toxizität“ eingeordnet. Die Medikamententoxizität
war insgesamt die häufigste Ursache für das vorzeitige Beenden der Therapie und
trat bei weiteren sieben Patienten (insgesamt n = 8) auf. Mehrfach therapielimitierend waren das Hand-Fuß-Syndrom, die Polyneuropathie, Mukositis und Schmerzen, außerdem führten allergische Reaktionen, Heiserkeit, Asthenie und Blutdruckanstieg, Übelkeit und Erbrechen zum Therapieabbruch. Sechs Teilnehmer
erkrankten während der Studie an Krankheiten, die eindeutige Kontraindikationen
für die weitere Therapie darstellten. Dies waren im Einzelnen: Wundheilungsstörungen von Port- oder Ablatio-Mammae-Wunden (n = 3), Osteonekrose des Kiefers (n = 2) und tiefe Venenthrombose (n = 1). Bei fünf Patienten musste die Therapie vorzeitig beendet werden, weil im Verlauf ein Tumorprogress aufgetreten
war, sodass auf weitere Kurse desselben Schemas verzichtet wurde. Eine erhebliche Reduktion des Allgemeinzustandes (AZ) und Erschöpfung führten bei drei Pa47
tienten zu vorzeitigem Therapieende, weitere drei Teilnehmer konnten aufgrund
unzureichender Compliance nicht weiterbehandelt werden. Bei ihnen lagen zu
lange Therapiepausen zwischen den Zyklen oder sie kamen nicht mehr in die onkologische Ambulanz zur Weiterführung der Therapie.
Tabelle 11: Ursachen für eine Beendigung der Therapie (n = 28)
Anzahl der Patienten
Ursache
8
(29%)
Medikamententoxizität
6
(21%)
Kontraindikation für weitere Therapie
5
(18%)
Tumorprogress
3
(11%)
AZ-Reduktion / Erschöpfung
3
(11%)
Non Compliance
3
(11%)
Therapieende erreicht
4.2.5 Sicherheit
Um die Sicherheit der Studienmedikation zu evaluieren, werden im Folgenden die unerwünschten Arzneimittelnebenwirkungen und Medikamententoxizitäten, ausgewählte Laborwertveränderungen, schwere unerwünschte Ereignisse /
stationäre Aufenthalte sowie die stärkste Nebenwirkung je Patient näher betrachtet.
4.2.5.1
Unerwünschte Arzneimittelnebenwirkungen und Medikamententoxizitäten
Zur Auswertung der unerwünschten Arzneimittelnebenwirkungen und Medikamententoxizitäten ist nicht nur die Gesamthäufigkeit im Patientenkollektiv relevant. Von besonderer Bedeutung ist die Häufigkeit der Nebenwirkungen Grad 3
und 4, weil sie zu einer akuten Gefährdung des Patienten führen können und häufig mit einer starken Einschränkung der Lebensqualität einhergehen. Nachstehend
werden die wichtigsten und typischsten Nebenwirkungen der Studienmedikation
und ihre Häufigkeit graphisch dargestellt. Die Hämatotoxizität als Nebenwirkung
48
der Studienmedikation wurde nicht in die Graphik aufgenommen, sie wird im Abschnitt „Laborwertveränderungen“ genauer betrachtet.
50% der Studienpatienten entwickelte unter Therapie ein palmoplantares
Erythrodysästhesie-Syndrom. Dieses so genannte Hand-Fuß-Syndrom (HFS),
eine typische Nebenwirkung des Tyrosinkinase-Inhibitors Sorafenib, ist durch
schmerzhafte Erytheme, Schwellungen, Schuppung und Blasenbildung der Haut
an Hand- und Fußsohlen gekennzeichnet. Exponierte Bereiche sind vor allem
druckbelastete Stellen, zum Beispiel Fersen und Fußballen oder die bevorzugt
genutzte Hand. Acht der insgesamt 14 Betroffenen zeigten ein HFS Grad 3 oder 4
nach CTCAE.
Abgeschlagenheit, Erschöpfung und Müdigkeit beklagten insgesamt elf
Teilnehmer, bei drei von ihnen war ein Grad 3 nach CTCAE dokumentiert.
Bei neun der 28 Studienteilnehmer wurde trotz intensiver Pflege der Mundschleimhaut im Laufe der Therapie eine Mukositis diagnostiziert, bei zwei von
ihnen hatte sie eine Ausprägung von Grad 3. Die Patienten klagten über Schmerzen im Mund und beim Schlucken.
Acht Patienten des Gesamtkollektivs entwickelten Missempfindungen an
den Extremitäten im Sinn einer Polyneuropathie (PNP) mit Kribbelparästhesien,
Taubheitsgefühlen, Gleichgewichtsstörungen und Gangunsicherheit. Zwei von
ihnen litten unter einer PNP Grad 3.
Sieben Patienten beklagten eine Heiserkeit, einer von ihnen litt unter Beschwerden Grad 3.
Schwere Diarrhoe im Sinne einer Toxizität von Grad 3 konnte bei zwei von
sechs an Durchfall erkrankten Patienten beobachtet werden.
Jeweils fünf Patienten erkrankten an chemotherapieassoziierter Übelkeit
und Erbrechen, ihre Beschwerden waren aber eher diskret.
An einem Hautauschlag (RASH) erkrankten ebenfalls fünf Teilnehmer, zwei
von ihnen litten unter schweren ekzematösen Veränderungen im Rahmen einer
Toxizität Grad 3. Bei zwei Patienten wurde eine ausgeprägte Candida-Infektion
des Ösophagus diagnostiziert, sodass eine systemische antimykotische Therapie
erforderlich wurde. Beide Patienten beklagten Schluckbeschwerden.
Je zweimal waren Schwindel und allergische Reaktionen auf die Studienmedikation beobachtet worden, in drei der vier Fälle war die Symptomatik mode49
rat. Bei einem Patienten mit einer allergischen Reaktion Grad 2 auf Paclitaxel
musste die Studie jedoch abgebrochen werden, um den Patienten nicht zu gefährden.
Tabelle 12: Häufigkeitsverteilung der Toxizitäten unter Therapie (n = 28)
Toxizitäten
Grad 1 Grad 2
Grad 3
Grad 4
2
HFS
1
5
6
Hautausschlag
1
2
2
1
1
Allergische
Reaktion
Soor
K. A.
Gesamt
14
5
2
2
2
7
Heiserkeit
2
4
1
Diarrhö
2
1
2
Nausea, Emesis
2
3
Mukositis
3
4
2
Fatigue
5
2
3
PNP
2
4
2
Schwindel
1
1
6
5
9
1
8
1
50
11
2
Abbildung 6: Häufigkeitsverteilung der Toxizitäten unter Therapie (n = 28)
Abbildung 7: Anteil der Nebenwirkungen Grad 3 und 4 an den Gesamttoxizitäten
(n = 28)
51
4.2.5.2
Laborwertveränderungen
Leichtgradige Erhöhungen des Kreatininwerts kamen im Patientengut nur
selten vor (7%), Erniedrigungen der glomerulären Filtrationsrate waren zwar mit
ca. 29% häufiger, gingen aber nicht über Grad 1 und 2 nach CTCAE hinaus.
Bei 82% der Patienten wurden Erhöhungen der Aspartat-Aminotransferase
(ASAT) beobachtet, bei 17% der Betroffenen handelte es sich um eine Nebenwirkung von Grad 3. Ca. 40% der Studienteilnehmer entwickelten eine Erhöhung der
Alanin-Aminotransferase (ALAT), ein Patient war schwerwiegender betroffen
(Grad 3). Senkungen des Albumins traten ebenfalls sehr häufig unter Therapie
auf, sie betrafen 79% der Patienten, 5% davon schwer (Grad 3).
Die häufigste und im Verlauf der Therapie bei allen Patienten zu beobachtende Nebenwirkung war die Anämie. Bei zwei der 28 Betroffenen sank die Hämoglobinkonzentration im Serum auf unter 8g/dl (Grad 3), bei einer Patientin sogar auf 6,4g/dl (Grad 4). Bei ihr war die Gabe von zwei Erythrozytenkonzentraten
indiziert, um die klinisch-symptomatische Anämie zu therapieren.
Weit gefährlicher und damit bedeutsamer war die Leukozytopenie. Insgesamt 68% der Patienten entwickelten unter Therapie eine Leukozytopenie, davon
sank bei einem Patienten die Leukozytenzahlen auf unter 2/nl (Grad 3), drei weitere Patienten litten unter Leukozytopenie Grad 4. Therapeutisch wurde in einigen
Fällen mit dem Wachstumsfaktor G-CSF (granulocyte-colony stimulating factor)
eingegriffen, um den weiteren und unter Umständen lebensbedrohlichen Abfall der
Leukozyten zu verhindern. Eine Patientin entwickelte aufgrund der geringen Leukozytenzahlen ein leukopenisches Fieber, das 25 Tage mit der Gabe von G-CSF
stationär behandelt werden musste.
Thrombozytopenien entwickelten neun von 28 Patienten, bei einem von
ihnen war die Thrombozytenzahl im Serum unter 50/nl gesunken, das entspricht
einer Toxizität Grad 3. Die Gabe von Thrombozytenkonzentraten war bei keinem
Teilnehmer indiziert.
52
Tabelle 13: Laborwerttoxizitäten unter Therapie nach CTCAE [48]
Laborwert
Referenz
Einheit
Kreatinin
0,5 - 1,1
GFR
Grad 2
mg/dl
1
1
2
(7%)
90 – 140
ml/min/1,73m²
7
1
8
(29%)
OT / ASAT
5 – 35
U/l
16
3
4
23
(82%)
4 (17%)
PT / ALAT
0 – 45
U/l
8
2
1
11
(39%)
1 (9%)
Albumin
3,5 – 5
g/dl
6
15
1
22
(79%)
1 (5%)
Hämoglobin
14 – 18
g/dl
18
7
2
1
28 (100%)
3 (11%)
Leukozyten
4 – 10
/nl
5
10
1
3
19
(68%)
4 (21%)
/nl
8
1
9
(32%)
1 (11%)
11
(39%)
2 (18%)
15
(54%)
4 (27%)
Thrombozyten 140 – 440
Grad 3
Neutrophile
1,8 – 7
/nl
1
8
2
Lymphozyten
1–4
/nl
3
8
3
53
Grad 4
1
Gesamt
Anteil der Grad
Grad 1
3 + 4 Betroffenen
Abbildung 8: Häufigkeiten von Laborwerttoxizitäten am Gesamtkollektiv und prozentualer Anteil der Grad 3 + 4 Toxizitäten an der Gesamthäufigkeit
4.2.5.2.1 Tumormarker
Im Rahmen der Studie wurden zur vollständigen Bewertung der individuellen Tumorantwort unter Therapie die spezifischen Tumormarker im Serum bei 25
von 28 Studienteilnehmern bestimmt. Da in dieser Studie aber auch der individuelle Therapieerfolg ausschlaggebend war, werden im Folgenden die Ergebnisse der
Tumormarkerentwicklung unter Therapie bei zwei Patienten vorgestellt. Die Diagramme zeigen, dass die Marker in diesen beiden individuellen Fällen unter Studienmedikation (Bereich rot markiert) signifikant sanken, was auf ein Ansprechen
des Tumors auf die Therapie schließen lässt.
54
Abbildung 9: Tumormarkerentwicklung unter Therapie bei Patient A
Abbildung 10: Entwicklung dreier Tumormarker unter Therapie bei Patient B
55
Abbildung 11: Entwicklung des Tumormarkers CA 19-9 unter Therapie bei
Patient B
4.2.5.3
Schwere unerwünschte Ereignisse / Stationäre Aufenthalte
Bei den meisten Patienten konnte die Therapie unter ambulanten Bedingungen
problemlos verabreicht werden. Bei ca. der Hälfte des Gesamtkollektivs (13 von
28, 46%) kam es jedoch während der Einnahme der Studienmedikation zu Ereignissen, die eine stationäre Behandlung erforderten. Folgende Ursachen führten zu
insgesamt 21 stationären Aufenthalten:
 Starke Nebenwirkungen unter Studienmedikation (n = 4)
o Mukositis
o Hand-Fuß-Syndrom
o Gangstörungen
 Allgemeinzustandsverschlechterung (n = 4) in Kombination mit
o Dyspnoe
o Schmerzen
o Appetitlosigkeit und Schwäche
o Schwindel, Übelkeit und Diarrhoe
56
 Portinfekt (n = 3)
 Stationäre Fortführung der Chemotherapie (n = 3)
 Frakturereignis (n = 2)
o vermutlich osteoporotische BWK-12-Fraktur
o pathologische Humerus-Fraktur
 Transfusionspflichtige Epistaxis (n = 1)
 Zustand nach Kollapsereignis (n = 1)
 Pneumothorax nach Pleurapunktion (n = 1)
 Port-Operation mit anschließendem Pneumothorax und Portspitzenthrombose (n = 1)
 Tiefe Beinvenenthrombose (n = 1)
4.2.5.4
Stärkste Nebenwirkung je Patient
In die Auswertung der stärksten Nebenwirkung je Patient wurden nicht nur
die oben genannten unerwünschten Arzneimittelnebenwirkungen und Medikamententoxizitäten einbezogen, sofern sie vom behandelnden Arzt in Grade entsprechend der National Cancer Institutes (CTCAE) eingeteilt worden waren, sondern auch ausgewählte Laborparameter (siehe Abschnitt 4.2.5.2). Sehr diskrete
Beschwerden (Grad 1 nach CTCAE) konnten bei drei Patienten festgestellt werden (11%), es bedurfte hierbei aber keiner weiteren Therapie. Symptome von
Grad 2 nach CTCAE, die in der Regel ebenfalls noch als geringgradig zu werten
sind, betrafen acht Studienteilnehmer (29%). Somit zeigte sich bei insgesamt elf
der 28 Patienten (39%) eine sehr gute Therapieverträglichkeit. Grad-3Nebenwirkungen und damit deutliche Beschwerden zeigten zwölf der 28 Teilnehmer (43%). Fünf Patienten (18%) litten während der Therapie unter Toxizitäten
Grad 4.
57
Abbildung 12: Stärkste Nebenwirkung je Patient (100% = 28 Patienten)
Anmerkung: Aufgrund von Rundungen beträgt die Summe der Einzelwerte 101%
Die Toxizitätsrate wurde aus der Anzahl der Patienten mit Nebenwirkungen
Grad 3 und 4 nach CTCAE in Relation zum Gesamtkollektiv ermittelt. 17 von 28
Teilnehmern litten unter dritt- und viertgradigen Nebenwirkungen, sodass sich eine
Toxizitätsrate von 61% ergab.
Todesfälle, die in einen kausalen Zusammenhang mit der Therapie gebracht werden konnten, wurden nicht beobachtet.
4.2.5.4.1 Toxizität in Abhängigkeit von der Dosis des Antikörpers Bevacizumab
Von besonderer Bedeutung ist die Frage, ob die Toxizität der zytostatischen
Therapie von der steigenden Dosis des Antikörpers Bevacizumab abhängt. In Abbildung 13 ist der Prozentsatz der Studienteilnehmer in den verschiedenen Kohorten dargestellt, die als stärkste Nebenwirkung je Patient mindestens eine Grad-3oder sogar eine Grad-4-Toxizität nach CTCAE erreichten. Dabei ergibt sich, dass
67% der Patienten der ersten Kohorte ohne Antikörpertherapie unter Nebenwir58
kungen von Grad 3 oder 4 als schwerste Toxizität pro Patient litten. In der 2. Kohorte, die 1mg/kg KG Bevacizumab erhielt, wurde bei allen Teilnehmern als
schwerste Nebenwirkung pro Patient ein Grad 3 oder 4 diagnostiziert. Die Abbildung zeigt, dass trotz steigender Bevacizumab-Dosis in der Studienmedikation die
Patienten der folgenden Kohorten weniger schwere Nebenwirkungen entwickelten.
50 bis 60% der Teilnehmer aus den Kohorten 3 bis 6 zeigten als stärkste Nebenwirkung je Patient höchstens ein Grad 2 nach CTCAE. Tendenziell konnte demnach bisher nicht nachgewiesen werden, dass die aufgetretenen Toxizitäten mit
der Antikörperdosis assoziiert sind.
Abbildung 13: Häufigkeit von Toxizitäten Grad 3 und 4 als stärkste Nebenwirkung
je Patient in Abhängigkeit von der Bevacizumab-Dosis (n = 28)
59
4.2.6 Wirksamkeit
In die Auswertung der Tumoransprechrate und der Überlebenszeit konnten
lediglich die Teilnehmer einbezogen werden, die mindestens einen Therapiezyklus
abgeschlossen hatten; dies war bei 22 der 28 Patienten der Fall.
4.2.6.1
Tumoransprechrate
Bei 13 der 22 Patienten konnte mithilfe der Studienmedikation eine Stabilisierung der Tumorerkrankung erreicht werden (SD). Bei sieben Teilnehmern kam
es zu einem Progress der Erkrankung (PD), sodass eine sofortige Änderung des
Therapieplans erforderlich war. Bei zwei Patienten war die Wirksamkeit trotz ausreichender Anzahl an abgeschlossenen Therapiezyklen nicht zu bewerten (NA),
weil während des Studienverlaufs keine ausreichende Diagnostik stattgefunden
hatte. Zu kompletten oder partiellen Remissionen kam es im Rahmen der Studie
nicht.
Tabelle 14: Tumoransprechverhalten (n = 22)
Tumoransprechen
4.2.6.2
Anzahl der Patienten
SD
13
(46%)
PD
7
(25%)
NA
2
(7%)
Überlebenszeit
Die Überlebenszeit der diesbezüglich auswertbaren Studienteilnehmer (n =
22) erstreckte sich zwischen 104 und 938 Tagen. Die mediane Überlebenszeit
betrug 266 Tage, somit lebten ca. 37 Wochen nach Studienende noch 50% des
untersuchten Kollektivs.
60
4.2.6.2.1 Überlebenszeit in Abhängigkeit von der Dosis des Antikörpers Bevacizumab
Von besonderem Interesse ist die Überlebenszeit der Patienten in Abhängigkeit von der Dosis an Bevacizumab.
 0 mg/kg Körpergewicht Bevacizumab (n = 6)
217 Tage
 1 mg/kg Körpergewicht Bevacizumab (n = 5)
208 Tage
 2 mg/kg Körpergewicht Bevacizumab (n = 2)
291 Tage
 4 mg/kg Körpergewicht Bevacizumab (n =3)
280 Tage
 5 mg/kg Körpergewicht Bevacizumab (n = 3)
395 Tage
 10 mg/kg Körpergewicht Bevacizumab (n = 3)
574 Tage
Auch wenn sich aufgrund der geringen Patientenzahl keine Signifikanz berechnen
lässt, zeigt sich die Tendenz, dass die mediane Überlebenszeit mit der Dosierung
von Bevacizumab steigt. Patienten, die die Höchstmenge des Antikörpers im
Rahmen der Studie erhielten, lebten länger als Patienten, die kein oder nur wenig
Bevacizumab erhielten.
4.2.6.2.2 Überlebenszeit in Abhängigkeit vom Tumoransprechen
Im Hinblick auf den Zusammenhang zwischen der Überlebensrate und dem
Tumoransprechen ergeben sich folgende mediane Überlebenszeiten:
-
SD (n = 13)
234 Tage
-
PD (n = 7)
363 Tage
-
NA (n = 2)
221 Tage
Auch hier ist aufgrund der geringen Patientenanzahl die Berechnung einer
Signifikanz nicht möglich, aber die Aufstellung lässt erkennen, dass die mediane
Überlebenszeit offenbar unabhängig vom Tumoransprechen ist: Patienten, die
eine Progression ihrer Erkrankung während der Therapie erfuhren, hatten trotzdem eine längere mediane Überlebenszeit als Patienten, die auf die Studienmedikation mit einer Stabilisierung reagierten.
61
4.2.6.2.3 Überlebenszeit in Abhängigkeit vom Grading
Betrachtet man die Überlebenszeit in Abhängigkeit vom Grading der Tumorerkrankung, so ergeben sich folgende mediane Überlebenszeiten:
-
hoch differenzierte G1-Tumore (n = 1)
572 Tage
-
niedrig differenzierte G2-Tumore (n = 11)
363 Tage
-
entdifferenzierte G3-Tumore (n = 8)
243 Tage
-
keine Angabe (n = 2)
162 Tage
Auch hier ist die Berechnung der Signifikanz aufgrund der geringen Teilnehmerzahl nicht möglich. Es zeigt sich aber die Tendenz, dass Patienten mit hoch
differenzierten Tumoren eine höhere mediane Überlebenszeit haben als Patienten
mit entdifferenzierten Tumoren.
4.2.7 Anschlusstherapien
Im Anschluss an die abgeschlossene oder abgebrochene Therapie mit Paclitaxel, Sorafenib und Bevacizumab erhielten die Patienten je nach individueller Situation folgende weitere Behandlungen:
 Chemotherapie (n = 14)
 Radiatio und antihormonelle Therapie (n = 2)
 Tumorresektion und Radiatio (n = 1)
 Keine Therapie (n = 8)
 Keine Angaben zur weiteren Therapie (n = 3)
4.2.8 Todesursachen
Von den in der Auswertung berücksichtigten 22 Patienten waren 16 Patienten zum Zeitpunkt des Studienendes am 31.12.2012 verstorben. Dabei war bei
nahezu allen Patienten von einer Todesursache im Rahmen des Tumorprogresses
auszugehen.
62
5
Diskussion
Die vorliegende Studie untersucht neben dem primären Ziel (Machbarkeit)
auch sekundäre Ziele (Sicherheit und Wirksamkeit) der zytostatischen Kombinationstherapie aus Paclitaxel, Sorafenib und Bevacizumab bei 28 Patienten mit metastasierter oder lokal fortgeschrittener solider Tumorerkrankung. Neben der kritischen Betrachtung des Studiendesigns und der Studienergebnisse werden in
diesem Kapitel Bezüge zur aktuellen Literatur hergestellt und die Relevanz der
vorliegenden Medikamentenkombination für zukünftige zytostatische Therapieplanungen diskutiert.
5.1
Kritische Betrachtung des Studienkonzeptes
Die heterogene Verteilung der Studienpopulation und die geringe Anzahl an
Studienteilnehmern (28 Patienten) entspricht charakteristischerweise einer PhaseI-Studie. In der Geschlechterverteilung bildeten sich zwei ungleich große Gruppen
mit 7 Männern und 21 Frauen, das Alter variierte stark zwischen 39 und 78 Jahren. Außerdem wurden Patienten mit insgesamt 9 verschiedenen Tumorentitäten
in die Studie aufgenommen, um unter anderem auch die panangiogenetische Inhibition durch Bevacizumab nachzuweisen. Auch hier waren die Gruppen sehr
unterschiedlich groß und ließen daher einen Vergleich der Ergebnisse untereinander nicht zu. Gleiches gilt für die uneinheitlichen Voraussetzungen bei Grading,
Tumorstadien nach UICC und Vorbehandlung der Patienten. Bezüglich des primären Therapieziels – der Machbarkeit der Studie – hat die Heterogenität keine
Auswirkung.
Eine regelmäßige und langfristige Therapieapplikation wurde durch die geringe Lebenserwartung und den zeitweise schlechten Allgemeinzustand der
schwerkranken komorbiden und mehrfach vortherapierten Patienten beeinträchtigt.
Außerdem kann nicht überprüft werden, inwieweit die Einnahme von Sorafenib im häuslichen Umfeld nach Schema erfolgte.
63
5.2
Kritische Betrachtung der Therapieergebnisse
5.2.1 Dosis
Vier offene Dosisfindungsstudien an Patienten mit fortgeschrittener solider
Tumorerkrankung ermittelten eine optimale Sorafenib-Dosis von 400mg Wirkstoff
zweimal täglich als Monotherapie. Häufigste wirkstoffabhängige Toxizitäten waren
Fatigue (35%), Diarrhö (35%) und Hand-Fuß-Syndrom (35%). Diesen Studien zufolge ist bei dem geringen Nebenwirkungsprofil von Sorafenib als Monotherapie
eine kontinuierliche Behandlung ohne Therapiepausen möglich. Dosislimitierende
Nebenwirkungen traten erst bei Gaben von über 600mg Sorafenib zweimal täglich
auf [65].
Während die Dosis von Sorafenib in Kombination mit Bevacizumab und
Paclitaxel in unserer Studie bei nahezu allen Patienten aufgrund von Toxizitäten
reduziert werden musste, konnten Paclitaxel und Bevacizumab in der vorgegebenen Dosierung meist problemlos verabreicht werden. Für zukünftige Untersuchungen kann die Dosierung von Paclitaxel und Bevacizumab wie in der vorliegenden
Studie beibehalten werden, Sorafenib sollte jedoch in Kombination mit diesen beiden Wirkstoffen in weiteren Studien auf 200mg täglich reduziert werden.
5.2.2 Unerwünschte Arzneimittelnebenwirkungen / Medikamententoxizitäten
Eine Kombination der drei Wirkstoffe Paclitaxel, Sorafenib und Bevacizumab, wie sie in der vorliegenden Studie untersucht wurde, ist mit zahlreichen
und häufig schwerwiegenden Nebenwirkungen verbunden. Auch wenn die therapieassoziierten Toxizitäten aufgrund der Medikamentenkombination im Nachhinein
nicht eindeutig den einzelnen Wirkstoffen zugeordnet werden können, zeigen die
Abbildungen 7 und 8 im Ergebnisteil zahlreiche Grad 3 und 4 Toxizitäten nach
CTCAE.
5.2.3 Laborwerte
Laborwertveränderungen unter Chemotherapie sind häufig und im Ausmaß
variabel. Ein bedeutender Faktor für die Wirksamkeit zytostatischer Therapie ist
ihre Auswirkung auf sich schnell teilende Zellen. Die heutigen Forschungsergeb64
nisse ermöglichen bislang nicht, die Wirkung von Zytostatika allein auf Tumorzellen zu beschränken. Sie behindern daher nicht nur das Wachstum der malignen
Zellen, sondern schädigen auch körpereigene Zellen. Davon sind am stärksten die
sich schnell teilenden Blut- und Schleimhautzellen betroffen. Dies erklärt die hohe
Anzahl an Patienten, die unter Therapie an einer Anämie litten. Weitaus gefährdeter waren jeweils vier Patienten aus der vorliegenden Studie, die unter Leukozytopenien und Lymphozytopenien Grad 3 und 4 mit entsprechend hohem Risiko für
fieberhafte Infekte litten.
In einer multizentrischen randomisierten „Discontinuation“-Phase-II-Studie
(RDT-Studie) wurde die klinische Wirksamkeit von Sorafenib als Monotherapie bei
unterschiedlichen Tumorentitäten untersucht [31]. Das Hauptaugenmerk in dieser
Studie lag auf Patienten mit Nierenzellkarzinom. Zwar war in der vorliegenden
Phase-I-Studie diese Tumorentität nicht vertreten, interessant ist aber der Vergleich der aufgetretenen Nebenwirkungen in beiden Studien. In der RDT-Studie
war eine gute Therapieverträglichkeit von Sorafenib bei einer Dosierung von
400mg zweimal täglich dokumentiert, aufgetretene Nebenwirkungen waren Fatigue (73%), Hautausschläge (66%), Hand-Fuß-Syndrom (62%), Schmerzen (58%)
und Diarrhö (58%). Die häufigste Toxizität Grad 3 oder 4 war Bluthochdruck. Vor
allem das Hand-Fuß-Syndrom (50%) und die Fatigue (39%) waren auch in der
vorliegenden Studie mit der Kombinationstherapie aus Sorafenib, Bevacizumab
und Paclitaxel überaus häufig vertreten. Hautausschläge, Diarrhö und Bluthochdruck wurden seltener beobachtet. Die häufigste Nebenwirkung vom Grad 3 oder
4 nach CTCAE war in der vorliegenden Phase-I-Studie das Hand-Fuß-Syndrom.
Eine weitere Studie mit einer wöchentlichen Bevacizumab- (2mg/kg KG)
und Paclitaxel- (80mg/m²) / Carboplatin-Gabe mit vs. ohne Sorafenib (200mg täglich) bei multipel vorbehandelten Patienten mit metastasiertem Zervixkarzinom [34]
kann zum Vergleich von beobachteten Toxizitäten unter einer Kombinationstherapie herangezogen werden. In dieser Studie wurden hämatologische Nebenwirkungen, die den Grad 1 nach CTCAE überschritten, nicht beobachtet. Bluthochdruck
und Nasenbluten, die auf die Wirkung des Bevacizumab zurückzuführen sind,
wurden regelmäßig dokumentiert. Die Hälfte der mit Sorafenib therapierten Patienten entwickelte ein Hand-Fuß-Syndrom, allerdings war eine Behandlung der Hauterscheinungen nicht erforderlich. Diese Untersuchung zeigte, dass die Medika65
mentenkombination bei Patienten mit stark vortherapiertem Zervixkarzinom wirksam und die Nebenwirkungen tolerabel waren.
Anders hingegen in der vorliegenden Phase-I-Studie: Anämien, Leuko- und
Lymphozytopenien vom Grad 3 und 4 entwickelten jeweils 3 bis 4 Studienteilnehmer. Bluthochdruck und Nasenbluten wurden auch hier beobachtet. Ein Patient
aus der ersten Kohorte (ohne Gabe von Bevacizumab) litt unter einer hämoglobinrelevanten Epistaxis, die mit zwei Erythrozytenkonzentraten therapiert werden
musste. Vergleichbar ist die hohe Rate an Hand-Fuß-Syndromen in beiden Studien, sie betrug in der vorliegenden Phase-I-Studie 50%, führte jedoch mehrfach
zu Pausen, Abbrüchen oder Reduktion der Therapie. Das Syndrom musste in vielen Fällen langwierig behandelt werden.
In einer doppelblinden randomisierten Phase-IIb-Studie (NU07B1-Studie)
wurden Patienten mit HER2-negativem Mammakarzinom mit Paclitaxel (90mg/m²
wöchentlich) mit vs. ohne Sorafenib (400mg zweimal täglich) therapiert [23]. Resultat der NU07B1-Studie war, dass die Kombination aus Paclitaxel mit Sorafenib
zu einer verbesserten Krankheitskontrolle führte. Die Inzidenz von Grad 3 und 4
Nebenwirkungen war in beiden Gruppen (Sorafenib plus Paclitaxel vs. Placebo
plus Paclitaxel) im Allgemeinen vergleichbar. Einzelne Nebenwirkungen von Grad
3 oder 4 traten jedoch bei der Kombination von Paclitaxel mit Sorafenib häufiger
auf als unter alleiniger Paclitaxel-Therapie. Das Hand-Fuß-Syndrom (HFS) war mit
55% nicht nur die häufigste Nebenwirkung unter Therapie (vs. 7% in der PlaceboGruppe), sondern auch die häufigste Toxizität Grad 3 und 4 nach CTCAE (31%
vs. 3%). Weitere schwere Nebenwirkungen waren Neutrozytopenien, Anämien
und Asthenie.
Im Verlauf dieser Studie musste die Sorafenib-Dosis bei ca. 50% der Patienten reduziert werden. Mithilfe dieser Dosisreduktion, durch Einlegen von Therapiepausen und unterstützende Maßnahmen waren die Nebenwirkungen zu kontrollieren. Bei Patienten, die die Kombinationstherapie erhielten, musste zur Beherrschung der Therapietoxizitäten häufiger die Medikamentendosis reduziert
werden als in der Placebo-kontrollierten Gruppe.
Auch in der vorliegenden Studie konnten bestätigt werden, dass die Toxizitätsrate unter Therapie mit Sorafenib steigt. Das HFS stellte mit 50% die häufigste
Nebenwirkung unter Therapie dar, ca. 29% der Studienteilnehmer entwickelten ein
66
HFS von Grad 3 oder 4. Auch wenn das HFS ein reversibles Ereignis ist und sich
nicht direkt auf das Überleben auswirkt, schränkt es doch die Lebensqualität der
Patienten stark ein. Außerdem führen häufige Dosisreduktionen zu einer verminderten Dosisdichte und somit zu eingeschränkter Wirksamkeit. Die hohe Rate an
Hand-Fuß-Syndromen in der vorliegenden Studie ist vergleichbar mit derjenigen
aus der NU07B1-Studie. Diese Toxizität gilt als klinisch signifikant, weil sie nicht
nur bei vielen Patienten zu Dosisreduktionen und Behandlungsunterbrechungen
führte, sondern sogar mehrfach Therapieabbrüche notwendig machte. Weitere
häufige schwerwiegende Toxizitäten waren in der vorliegenden Studie – ähnlich
wie in der NU07B1-Studie – neben der Anämie die Lympho-, Leuko-, Neutro- und
Thrombozytopenie. Asthenie trat im Gegensatz zur NU07B1-Studie weniger häufig
auf, dafür war die Fatigue eine häufig beobachtete Nebenwirkung.
Die in dieser Arbeit diskutierte Studie zeigt auch, dass die ursprünglich geplante Sorafenib-Dosis nicht einzuhalten ist. Auch hier musste bei nahezu allen
Patienten die Dosis im Studienverlauf aufgrund von Nebenwirkungen reduziert
werden. Dies und die Therapiepausen führten aber in den meisten Fällen ebenso
wie in der NU07B1-Studie zur Besserung der Symptomatik und tolerablen Nebenwirkungen.
22% der Teilnehmer aus der NU07B1-Studie konnten die Therapie aufgrund schwerer Toxizitäten nicht beenden. In der vorliegenden Studie mit Bevacizumab, Paclitaxel und Sorafenib konnten vergleichbare Zahlen erfasst werden.
29% der Studienteilnehmer brachen die Therapie aufgrund von Medikamententoxizitäten ab.
5.2.4 Individuelle Therapieergebnisse
Ziel jeder Studie mit zytostatischen Wirkstoffen ist neben einem signifikanten statistischen Ergebnis vor allem der individuelle Therapieerfolg. In der vorliegenden Studie konnte mithilfe der neuerlichen Therapie bei einigen Patienten zumindest vorübergehend eine deutliche Befundbesserung erzielt werden. Ein
Patient mit hepatisch metastasiertem Urothelkarzinom des Nierenbeckens klagte
zu Beginn der Studie über Leberkapselschmerz. Unter Therapie verschwand die
67
Schmerzsymptomatik gänzlich und die erhöhten Kreatininwerte normalisierten
sich. Der Patient berichtete über einen deutlich verbesserten Allgemeinzustand.
Auch ein Patient mit Prostatakarzinom berichtete über steigende Belastbarkeit, psychische und physische Befundbesserung. Bei einer Patientin mit
Mammakarzinom war eine rasch rückläufige Schmerzsymptomatik im rechten
Oberbauch bei hepatischen Filiae dokumentiert. Bei einer weiteren, ebenfalls an
Brustkrebs erkrankten Teilnehmerin berichtete der behandelnde Arzt von klinisch
deutlichen Hinweisen auf eine Tumorregression. Auch die Tumormarker der Patientin waren leicht rückläufig. Die Patientin mit Ovarial- und beidseitigen
Mammakarzinom erklärte sogar, dass sie sich zum Zeitpunkt der Therapie besser
fühlte als vor Therapiebeginn. Diese und weitere Beispiele zeigen, dass das neuerliche Therapiekonzept zwar aufgrund der geringen Patientenzahl nicht unbedingt
statistisch signifikante Ergebnisse lieferte, jedoch individuell zu Befund- und Allgemeinzustandsverbesserung führte. Auch wenn sich die Studienmedikation möglicherweise nicht auf das progressionsfreie Überleben ausgewirkt hat, ist für Patienten die Lebensqualität der verbleibenden Zeit der entscheidende Faktor. Um die
nachhaltig verbesserte Lebensqualität sicher zu stellen, mussten allerdings die
unerwünschten Arzneimittelnebenwirkungen der Wirkstoffe eng kontrolliert werden.
5.2.5 Tumoransprechrate
Trotz einer erkennbaren positiven Tendenz der Ergebnisse zur Wirksamkeit
der Therapie lassen die Struktur einer Phase-I-Studie und die geringe Teilnehmerzahl keine ausreichende Beurteilung der Wirksamkeit zu.
Die Ergebnisse der vorliegenden Studie zeigen, dass 46% der bezüglich
des Ansprechens auswertbaren Patienten zumindest zeitweise eine Stabilisierung
der Tumorerkrankung erreichten (Clinical Benefit). Unter den oben genannten Gesichtspunkten hat demnach ca. die Hälfte der Patienten auf die Therapie angesprochen und nur ein Viertel mit einer Progression unter der zytostatischen Therapie reagiert. In Anbetracht der Situation, dass die Patienten unter stark vorbehandelten und weit fortgeschrittenen Tumorerkrankungen mit geringer Lebenserwartung litten, ist dieses Ergebnis der Studie zufriedenstellend.
68
Die Tumoransprechrate scheint allerdings nicht von der verabreichten Bevacizumab-Dosis abhängig zu sein. Es zeigt sich weder die Tendenz, dass Patienten mit hoher Antikörperdosis vermehrt auf die Therapie ansprechen, noch dass
sie mit einem Tumorprogress reagieren. Die Annahme, dass Bevacizumab die
tumoröse Gefäßneubildung unabhängig von der Tumorentität hemmt, konnte auch
in dieser Studie bestätigt werden: Unter den Patienten, die auf die Studienmedikation mit einer Stabilisierung ihrer Tumorerkrankung ansprachen, waren verschiedenste Tumorentitäten vertreten: Urothelkarzinom des Nierenbeckens, Angiosarkom, Pankreas-, Prostata-, Ösophagus- und Mammakarzinom.
Eine Phase-I-Studie untersuchte Patienten mit fortgeschrittenen soliden
Tumorerkrankungen unter Therapie mit Telatinib in Kombination mit Bevacizumab
[39]. Diese Studie, die ebenfalls die Wirksamkeit von Bevacizumab in Kombination
mit einem Tyrosin-Kinase-Inhibitor prüfte, ergab ein Clinical Benefit von 46%. Hier
erreichten also 46% der Patienten unter Therapie mindestens eine Stabilisierung
ihrer Tumorerkrankung. Ein vergleichbares Ergebnis lieferte die vorliegende Phase-I-Studie, in der Bevacizumab in Kombination mit Paclitaxel und einem TyrosinKinase-Inhibitor getestet wurde. Auch hier hatten 46% der Teilnehmer ein Clinical
Benefit.
Ein vergleichbares Clinical Benefit von 53% erreichte eine Phase-I-Studie,
in der Bevacizumab (5mg/kg KG alle 14 Tage) und Sorafenib (bis zu 200mg
zweimal täglich) bei Patienten mit fortgeschrittener solider Tumorerkrankung verabreicht wurden [40].
Die doppelblinde randomisierte Phase-IIb-Studie (NU07B1), die eine Therapie bei Patienten mit HER2-negativem Mammakarzinom mit Paclitaxel (90mg/m²
wöchentlich) mit vs. ohne Sorafenib (400mg zweimal täglich) untersuchte [23],
zeigte eine höhere objektive Tumoransprechrate in der Patientengruppe, die Sorafenib und Paclitaxel erhielten. In der vorliegenden Phase-I-Studie wurden alle
Patienten mit Sorafenib und Paclitaxel therapiert, allein die Bevacizumab-Dosis
variierte. Aufgrund der Ergebnisse der NU07B1-Studie ist davon auszugehen,
dass die objektive Tumoransprechrate in der vorliegenden Phase-I-Studie durch
die Kombination des Chemotherapeutikums Paclitaxel mit dem Tyrosin-KinaseInhibitor Sorafenib ebenfalls gestiegen ist.
69
5.2.6 Überlebenszeit
Die mediane Überlebenszeit von ca. 38 Wochen (entspricht ca. 8,8 Monaten) bei Patienten, die mit Sorafenib, Bevacizumab und Paclitaxel therapiert worden sind, ist vielversprechend und mit Ergebnissen anderer Studien vergleichbar.
So hat eine aktuelle Studie aus dem Jahr 2013 ergeben, dass die Behandlung von
Patienten mit metastasiertem Mammakarzinom mit Paclitaxel (90mg/m² an Tag 1,
8 und 15) und Bevacizumab (10mg/kg KG an Tag 1 und 15) als ErstlinienTherapie zu einer medianen Überlebenszeit von 12,3 Monaten führte [42]. Auch
die Spannweite der Überlebenszeit in dieser Studie von 2013 (4,6 bis 44,8 Monate) ist vergleichbar mit den Ergebnissen der vorliegenden Phase-I-Studie, in der
die Medikation mit Sorafenib erweitert wurde (3,5 bis 31,2 Monate) [42].
Die Ergebnisse bezüglich der Überlebenszeit in Abhängigkeit vom Grading
zeigen, dass Patienten mit hochdifferenzierten Tumoren eine höhere mediane
Überlebenszeit haben als Patienten, deren Tumorzellen entdifferenziert sind. Dieses Resultat ist erwartet, denn Tumore, die dem Ursprungsgewebe ähnlich sind,
sind weniger maligne als Tumore, die mit dem Ursprungsgewebe kaum noch
Übereinstimmungen aufweisen. Allerdings muss man bei der Auswertung auch
beachten, dass die Gruppe „G1“ mit nur einem Patienten keine ausreichende Anzahl an Patienten darstellt, um einen validen Vergleich der Gruppen untereinander
zu ermöglichen. Jedoch zeigt auch die Gegenüberstellung der Gruppen „G2“ und
„G3“ mit wesentlich mehr Patienten, dass die mediane Überlebenszeit mit der Differenzierung des Tumors steigt.
Die doppelblinde randomisierte NU07B1-Studie untersuchte Paclitaxel
(90mg/m² wöchentlich) mit vs. ohne Sorafenib (400mg zweimal täglich) bei Patienten mit HER2-negativem Mammakarzinom [23]. Diese Phase-IIb-Studie zeigte
keinen signifikanten Unterschied im Gesamtüberleben bei Patienten aus der Paclitaxel-Gruppe gegenüber denen, die zusätzlich Sorafenib erhielten.
5.2.7 Machbarkeit
Primäres Ziel der oben beschriebenen Phase-I-Studie ist die Beurteilung
der klinischen Machbarkeit. Zusammenfassend kann man sagen, dass es sich bei
der Kombination aus Paclitaxel, Sorafenib und Bevacizumab um ein potenziell
70
wirksames Therapiekonzept handelt, welches aber in weiteren klinischen Studien
untersucht werden muss.
Während Paclitaxel und Bevacizumab fast ausnahmslos in der vorgegebenen Dosierung verabreicht werden konnten, musste die Sorafenib-Dosis wiederholt wegen Toxizität reduziert werden. So war zum Beispiel das Hand-FußSyndrom unter Therapie die am häufigsten zu beobachtende Nebenwirkung und
dosislimitierende Toxizität in der vorliegenden Studie.
Die Kombination der drei Wirkstoffe führte zu einer hohen Nebenwirkungsrate, die in diesem Ausmaß für weitere Untersuchungen nicht zu tolerieren ist. Die
hohe Toxizitätsrate von 61% und die Feststellung, dass 29% der Teilnehmer aufgrund von Nebenwirkungen die Studie abbrachen, erfordern bei zukünftigen Studien mit dieser Kombination eine Dosismodifikation.
Um die Wirksamkeit des Therapieschemas und das Überleben der Patienten,
die mit diesem Therapiekonzeptes behandelt werden, mit anderen ähnlichen Behandlungsschemata vergleichen zu können, müssen die Daten an einem größeren
und enger definierten Patientenkollektiv im Rahmen einer Phase-II-Studie erhoben
werden. Ursprünglich war bereits zu Beginn der oben beschriebenen Untersuchung der Übergang in eine randomisierte Phase-II-Studie geplant. Nach Feststellung der hohen Therapietoxizität konnte eine anschließende Untersuchung mit den
gleichen Wirkstoffen in gleicher Dosierung nicht durchgeführt werden.
5.3 Ausblick
Aus dem Verständnis der Tumorangiogenese und der Möglichkeit, diese zu
unterbinden, entwickelte sich die Idee einer vielversprechenden Behandlungsalternative bei malignen Tumorerkrankungen. Die Erforschung antiangiogenetischer Wirkstoffe in der Präklinik zeigte erfolgversprechende Ergebnisse [15], die
sich in klinischen Studien nur teilweise bestätigen ließen [45]. Die Hemmung von
VEGF und seinem Rezeptorsystem etablierte sich vor allem bei malignen Tumoren mit palliativem Therapiekonzept [20, 61].
Über die Dauer einer antiangiogenetischen Therapie gibt es aktuell unterschiedliche Ansichten, Studienergebnissen zufolge ist eine Behandlung bis zum
Progress der Tumorerkrankung zu empfehlen. Inwiefern jedoch eine Therapie
71
darüber hinaus – bei Tumorprogress – sinnvoll ist, ist aktuell noch unklar. Möglicherweise führt das plötzliche Absetzen der Angiogenesehemmer aber zu einer
überschießenden Gefäßneubildung des Tumorgewebes mit Krankheitsprogress
[15].
Zur Abschätzung der biologischen Aktivität können Surrogatmarker dienen,
die allerdings bisher nur in Phase-I-Studien eingesetzt worden sind [15]. Zukünftig
sollen jedoch auch Phase-III-Studien mit löslichen Markern durchgeführt werden
[15]. Die Bestimmung beispielsweise der VEGF-Konzentration im Serum ist in
Studien mit antiangiogenetischen Wirkstoffen mittlerweile etabliert. Für die ursprünglich geplante Phase II der oben beschriebenen Studie wäre von besonderem Interesse, inwiefern die VEGF-Konzentration von der verabreichten Bevacizumab-Dosis abhängig ist. Es wird angenommen, dass Patienten mit Tumorerkrankungen im Frühstadium weniger proangiogene Faktoren exprimieren und somit stärker VEGF-abhängig sind. Bevacizumab könnte bei Patienten im Frühstadium der Erkrankung sehr viel effektiver sein [15]. Patienten mit mehrfach
chemotherapeutisch vorbehandelter schwerer refraktärer Tumorerkrankung sind
möglicherweise durch die Vielzahl an exprimierten proangiogenen Faktoren weniger VEGF-abhängig. Die Konzentration von VEGF im Serum ist dadurch unter
Umständen verfälscht [15].
Eine weitere Möglichkeit, die Wirkung der antiangiogenetischen Substanzen
an den Tumorgefäßen in der ursprünglich geplanten Phase-II-Studie zu verifizieren, bietet die dynamische Kontrastmittel-Perfusionsbildgebung (DCE-MRI). Erste
klinische Daten zeigen, dass hiermit das Ansprechen der Erkrankung vor allem
individuell prognostiziert werden kann [15].
72
6
Zusammenfassung
Die vorliegende Studie untersucht die Machbarkeit, Sicherheit und Wirksamkeit einer Kombinationstherapie mit einem Chemotherapeutikum (Paclitaxel) zusammen mit einem VEGF-Antikörper (Bevacizumab) und einem Tyrosin-KinaseInhibitor (Sorafenib) bei vorbehandelten Patienten mit metastasierter solider Tumorerkrankung. Das verwendete Therapiekonzept hemmt die Angiogenese an
zwei Stellen gleichzeitig mit potenziell synergistischer Wirkung.
Insgesamt 28 Patienten (21 Frauen, 7 Männer) mit fortgeschrittener solider
Tumorerkrankung wurden im Zeitraum Juli 2009 bis März 2012 mit der oben genannten Wirkstoffkombination behandelt. Das mediane Alter zu Therapiebeginn
betrug 61 Jahre (Spanne: 39-78 Jahre), die mediane Beobachtungsdauer 225 Tage. Im Median hatte jeder Patient zwei zytostatische Vortherapien erhalten (Spanne: 0-13 Chemotherapien).
Paclitaxel und Bevacizumab konnten dabei fast ausnahmslos in der vorgegebenen Dosierung verabreicht werden. Hingegen musste die Sorafenib-Dosis bei
21 von 28 Patienten aufgrund der hohen Nebenwirkungsrate reduziert werden. Die
häufigsten Therapieabbrüche waren auf Medikamentennebenwirkungen zurückzuführen, von besonderer Bedeutung war hier das Hand-Fuß-Syndrom unter Sorafenib.
Bezüglich der Toxizität waren alle 28 Studienteilnehmer auswertbar. Es ergab
sich, dass ca. 43% der Patienten unter Grad 3 Nebenwirkungen litten und ca. 18%
schwere Nebenwirkungen vom Grad 4 aufwiesen. Die Therapieverträglichkeit war
mit einer Gesamttoxizitätsrate von 61% vergleichsweise schlecht. Eine Assoziation der Nebenwirkungen mit steigender Bevacizumab-Dosis konnte nicht nachgewiesen werden. Dosislimitierende Toxizität von Sorafenib war das Hand-FußSyndrom.
Bezüglich Ansprechen und Überlebensrate waren 22 von 28 Patienten auswertbar. Es ergab sich ein Clinical Benefit von 46% und eine mediane Überlebenszeit von ca. 38 Wochen. Tendenziell scheint die mediane Überlebenszeit von
der Bevacizumab-Dosis und der Differenzierung der Tumorzellen abhängig zu
sein.
73
Insgesamt ist von einer potenziell wirksamen Behandlungsalternative auszugehen, deren assoziierte Nebenwirkungen in dieser Dosierung nicht tolerabel sind.
Individuelle Ergebnisse zeigen aber, dass einzelne Patienten von dieser Therapie
profitierten.
Die Struktur der vorliegenden Phase-I-Studie lässt eine abschließende Bewertung des Therapiekonzeptes offen. Für die Behandlung von Patienten mit maligner Tumorerkrankung ist auch zukünftig ein Therapieansatz mit antiangiogenetischen Wirkstoffen sinnvoll. Ein vielversprechender Ansatz sind Studien mit Konzentrationsbestimmungen von VEGF im Serum unter antiangiogenetischer Therapie.
74
7
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8
Anhang
Tabelle A1: Tumorstadien. Einteilung nach UICC [68]
Dukes
Stadium 0
T
N
M
Tis
N0
M0
Stadium I
A
T1, T2
N0
M0
Stadium II
B
T3, T4
N0
M0
Stadium III
C
Jedes T
N1, N2
M0
Stadium IV
(D)
Jedes T
Jedes N
M1
Tabelle A2: Auszug der Common Toxicity Criteria (CTCAE) des National Cancer
Institute, Version 3.0 [48]
Grad I
Grad II
Grad III
Grad IV
Kreatinin [mg/dl]
> 1,1 – 1,65
> 1,65 – 3,3
> 3,3 – 6,6
GFR [ml/min/1,73m²]
< 67,5 – 45
< 45 – 22,5
< 22,5
ASAT [U/l]
> 35 – 87,5
> 87,5 – 175
>175 – 700
> 700
ALAT [U/l]
> 45 – 112,5 > 112,5 – 225 > 225 – 900
> 900
Albumin [g/dl]
< 3,5 – 3
<3–2
<2
Hämoglobin [g/dl]
< 14 – 10
< 10 – 8
< 8 – 6,5
< 6,5
Leukozyten [x 109 /L]
<4–3
<3–2
<2–1
<1
Thrombozyten [x 109 /L]
< 140 – 75
< 75 – 50
< 50 – 25
< 25
< 1,8 – 1,5
< 1,5 – 1
< 1 – 0,5
< 0,5
< 1 – 0,8
< 0,8 – 0,5
< 0,5 – 0,2
< 0,2
Neutrophile Granulozyten [x 109 /L]
Lymphozyten [x 109 /L]
8.1
> 6,6
Zusätzliche Informationen zu den Medikamenten
8.1.1 Bevacizumab
Bevacizumab ist ein antineoplastisch wirksamer monoklonaler Antikörper,
der zielgerichtet gegen bestimmte Zellen oder Strukturen wirkt, während die Che82
motherapie meist unspezifisch alle wachsenden Zellen stört [54]. Gentechnisch
lässt sich die Substanz mittels (Mikro-)Organismen herstellen (Rekombination)
und aus Ovarialzellen des chinesischen Hamsters, den so genannten CHO-Zellen,
gewinnen [54]. Da der Antikörper eine ausgeprägte antitumorale Aktivität gegen
menschliche Krebsarten aufweist, wird die antiangiogenetische Wirkung von Bevacizumab genutzt, um Tumore von Kolon, Pankreas, Mamma, Ovarien und Prostata sowie nicht kleinzellige Bronchial- und fortgeschrittene Nierenzellkarzinome
zu behandeln [54]. Bevacizumab wird unter dem Handelsnamen Avastin® von der
Firma Roche Pharma AG (Schweiz) vertrieben.
8.1.1.1
Chemische Struktur
Bevacizumab ist ein humanisierter monoklonaler Antiköper (monoclonal antibody = mab) mit einer Molmasse von 149.000 Dalton [54]. Die intravenöse Applikation erfolgt in Verdünnung mit 0,9%iger Kochsalzlösung [54].
8.1.1.2
Wirkmechanismus
Bevacizumab ist eine antiangiogen wirkende Substanz, die über Inhibition
des Wachstumsfaktors VEGF-A in die Tumorgefäßneubildung eingreift [54]. Diese
Wirkung beruht darauf, dass der Antikörper an den Gefäßwachstumsfaktor VEGFA (vascular endothelial growth factor) bindet und dieser deshalb nicht mehr an
seine zugehörigen Rezeptoren VEGFR-1 und VEGFR-2 auf der Endothelzelloberfläche binden kann. Da die biologische Aktivität von VEGF durch dieses Ereignis neutralisiert wird und VEGF der entscheidende Faktor der Vaskulogenese
und Angiogenese ist, wird das Tumorgefäßsystem normalisiert und die Vaskularisierung reduziert. Die weniger effektive Versorgung der Tumorzellen mit Sauerstoff und Nährstoffen führt zu einer Wachstumshemmung des Tumors. Die mikrovaskuläre Permeabilität und somit der Druck im Tumorgewebe sinken, sodass
Chemotherapeutika das Zielgewebe besser erreichen können. Die Tumorprogression metastasierter Erkrankungen wird gehemmt [54].
83
8.1.1.3
Pharmakokinetik
Folgende pharmakokinetische Daten für Bevacizumab entstammen mehreren klinischen Studien mit Patienten mit soliden Tumoren, denen Bevacizumab
intravenös appliziert wurde [54]. Die Studien zeigten, dass der Antikörper in einem
Dosisbereich von 1 bis 10mg/kg eine lineare Pharmakokinetik aufweist. Auffällig
war, dass das Stoffwechselprofil des Antikörpers dem eines nativen, nicht VEGFbindenden IgG-Moleküls entspricht. Im Einzelnen bedeutet das, dass weder der
Metabolismus noch die Eliminierung von Bevacizumab primär über Leber und Nieren, sondern – ähnlich wie endogene IgGs – hauptsächlich proteolytisch im gesamten Körper einschließlich der Endothelzellen erfolgt [54].
Die Pharmakokinetik war vom Alter der Probanden unabhängig, weder bei
Kindern noch bei älteren Patienten konnten Unterschiede im Verteilungsvolumen
und in der Clearance von Bevacizumab festgestellt werden. Studien zu pharmakokinetischen Auswirkungen bei Leber- und Niereninsuffizienz liegen nicht vor [54].
Eine Dosisanpassung bei älteren Patienten ist nicht notwendig. [54].
8.1.1.4
Toxizität
Bisherige klinische Untersuchungen seit der Markteinführung 2005 zeigten,
dass Bevacizumab bei einer empfohlenen Dosis (abhängig von der Tumorentität
5-10mg/kg Körpergewicht einmalig alle zwei Wochen oder 15mg/kg Körpergewicht
einmalig alle drei Wochen [54]) als intravenöse Infusion ein überschaubares Nebenwirkungsprofil hat [15]. Die Therapie wurde sowohl bei einmaliger als auch bei
wiederholter Gabe des Angiogenese-Hemmers von der Mehrzahl der Patienten
äußerst gut vertragen [15]. Dies ist ein Vorteil gegenüber der klassischen Chemotherapie und anderen monoklonalen Antikörpern sowie niedermolekularen Verbindungen. Zudem macht das gut dokumentierte Wirksamkeits- und Sicherheitsprofil,
das auch bei älteren Patienten durch zwei große Phase-IV-Beobachtungsstudien
(BRiTE, First BEAT) bestätigt wurde [5, 24, 64], Bevacizumab zu einem bevorzugten Pharmakon in der Tumortherapie [54].
Nachfolgend sind die häufigsten und schwerwiegendsten Toxizitäten unter Bevacizumab-Therapie aufgelistet [24, 54].
84
-
Wundheilungsstörungen: Die Bevacizumab-Therapie sollte vor Operationen
abgesetzt und frühestens 28 Tage nach größeren Operationen oder besser
erst nach völliger Abheilung der Wunde wieder aufgenommen werden, da anderenfalls die Inzidenz für postoperative Blutungen und Wundheilungsstörungen mit 10-20% erhöht ist.
-
Erkrankungen des Gastrointestinaltrakts: Magen-Darm-Perforationen (1-2%),
Fisteln (bis zu 2%) meist innerhalb der ersten sechs Behandlungsmonate, außerdem Ileus, Übelkeit, Erbrechen, Obstipation, Diarrhö, Stomatitis, Rektalblutung
-
Erkrankungen des Nervensystems: periphere sensorische Neuropathie, Apoplex, Synkope, Somnolenz, Kopfschmerz, Dysgeusie, reversibles posteriores
Leukoenzephalopathie-Syndrom
-
Gefäßerkrankungen:
o Blutungen der Schleimhaut (20-40%), der Vagina und des Zahnfleisches
sind typisch. Bei Blutungen Grad 3-5 (0,4-5%) und intrakraniellen Blutungen sollte Bevacizumab dauerhaft abgesetzt werden.
o Hypertonie ist vermutlich dosisabhängig und mit bis zu 34% häufig. Hypertonien Grad 3 und 4 kommen bei 3-17,9% und hypertensive Krisen
bei bis zu 1% der Patienten vor.
o Erkrankungen der Arterien: Arterielle Thromboembolie (3,8%), zerebrale
Insulte einschließlich transitorischer ischämischer Attacken (2,3%) und
Myokardinfarkte (1,4%)
o Erkrankungen der Venen: Venöse Thromboembolien (tiefe Beinvenenthrombosen, Lungenembolie und Thrombophlebitis) in 2,8-17,3% der
Fälle
-
Erkrankungen der Atemwege, des Brustraums und Mediastinums: Lungeneinblutung, Bluthusten, Dyspnoe, Hypoxie, Epistaxis, Rhinitis.
-
Herzerkrankungen: Kongestive Herzinsuffizienz bei bis zu 3,5% der Fälle, vor
allem bei metastasiertem Mammakarzinom, supraventrikuläre Tachykardie
-
Erkrankungen des Blutes und Lymphsystems und Infektionen: schwere febrile
Neutropenien teils mit Infektion (z. B. Sepsis, Abszess), Anämien, Leukopenien, Thrombozytopenien
85
Unerwünschte Arzneimittelwirkungen unter Bevacizumab-Gabe sind im Allgemeinen von geringem bis mäßigem Schweregrad und können klinisch mithilfe von
Standard- oder Akutbehandlung gut kontrolliert werden [24]. Therapeutisch wird
eine Bevacizumab-Pause und bei sehr schwerwiegenden Nebenwirkungen ein
dauerhaftes Absetzen empfohlen, von einer alleinigen Dosisreduktion des Antikörpers ist abzusehen. Wenn die Therapie für den Probanden gut verträglich ist, wird
empfohlen, diese bis zur Tumorprogression fortzuführen, auch wenn begleitende
Chemotherapien aufgrund von Nebenwirkungen vorzeitig abgesetzt werden.
Die genannten Nebenwirkungen wurden überwiegend bei Patienten beobachtet, die im Rahmen der Studien Bevacizumab in Kombination mit einer Chemotherapie erhielten. Daher überschneiden sich einige Nebenwirkungen mit denen, die
häufig unter Chemotherapie auftreten, z. B. palmoplantares ErythrodysästhesieSyndrom unter Capecitabin, periphere sensorische Neuropathie unter Paclitaxel
oder Oxaliplatin. Eine Symptomverschlimmerung durch Bevacizumab ist aber
nicht auszuschließen [54].
Zu den schwerwiegendsten in Studien beobachteten Nebenwirkungen unter
Bevacizumab-Therapie zählten die Magen-Darm-Perforation, hämorrhagische Ereignisse (tumorassoziierte Blutungen, Lungeneinblutungen und Bluthusten bei
NSCLC [24]) und arterielle Thromboembolien [24, 54].
Die häufigsten beobachteten unerwünschten Arzneimittelwirkungen bei einer
Bevacizumab-Behandlung waren Hypertonie, Fatigue oder Asthenie, Diarrhö und
Bauchschmerzen [24, 54]. Sie traten in über 10% der Fälle auf.
Laborwertveränderungen wie eine reduzierte Anzahl neutrophiler Granulozyten und Leukozyten und das Auftreten von Protein im Urin können auf die
Bevacizumab-Therapie zurückgeführt werden. Weitere Laborauffälligkeiten 3. und
4. Grades, die im Unterschied zur Kontrollgruppe (ohne Bevacizumab) bei mindestens 2% der Patienten unter Bevacizumab-Therapie auftraten, waren Hyperglykämie, erniedrigter Hämoglobinwert, Hypokaliämie, Hyponatriämie, erniedrigte Leukozytenanzahl und ein erhöhter INR-Wert [54].
86
8.1.2 Sorafenib
Sorafenib ist ein potenter Protein-Kinase-Inhibitor mit multimodalem Therapieansatz, der neben dem antiproliferativen Effekt auch eine antiangiogene Komponente besitzt [15]. Die Substanz wurde gemeinsam von der Bayer HealthCare
AG und Onyx Pharmaceuticals entwickelt [15] und im Juli 2006 zur Therapie des
fortgeschrittenen Nierenzellkarzinoms und ein Jahr später zur Behandlung des
Leberzellkarzioms zugelassen [4]. Seit November 2013 ist Sorafenib zugelassen
in der Therapie des lokal fortgeschrittenen oder metastasierten, differenzierten
Schilddrüsenkarzinoms, das kein Ansprechen mehr auf eine Radiojodtherapie
zeigt [7]. Sorafenib wird unter dem Handelsnamen Nexavar® von der Bayer
HealthCare AG vertrieben [4].
8.1.2.1
Chemische Struktur
Sorafenib ist ein synthetischer Wirkstoff aus der Gruppe der Diarylharnstoffe in der Darreichungsform einer Tablette [15]. Aus seiner Summenformel
C21H16ClF3N4O3 errechnet sich ein Molekulargewicht von 464,83g/mol.
Abbildung A1: Strukturformel Sorafenib
8.1.2.2
Wirkmechanismus
Sorafenib ist ein Multikinase-Inhibitor, der durch Hemmung mehrerer Enzyme mit Kinase-Aktivität auf molekularer Ebene die Signalwirkung von Wachstumsfaktoren ausschaltet und so in die Zellteilung antiproliferativ eingreift [4]. Außerdem ist seine antiangiogenetische Wirkung beschrieben, die therapeutisch genutzt wird, um den Tumor von seinen versorgenden Blutgefäßen abzuschneiden
[4]. Dadurch wird der Tumor in seinem Wachstum begrenzt [4].
87
8.1.2.3
Pharmakokinetik
Der Metabolismus von Sorafenib erfolgt primär in der Leber [4] durch oxidativen Abbau über CYP3A4- und UGT1A1/UGT1A9-vermittelte Glukuronidierung [4,
15]. Die anschließende Ausscheidung erfolgt zu 77% über den Stuhl, während
19% der Dosis als Glukuronide im Urin ausgeschieden werden [4, 15]. 51% der
Gesamtdosis von Sorafenib findet sich unverändert in den Fäzes wieder, nicht
aber im Urin. Diese Tatsache weist darauf hin, dass die Ausscheidung von unverändertem Sorafenib über die Galle zur Elimination beitragen kann.
Bisherige Analysen deuten darauf hin, dass die Pharmakokinetik von Sorafenib weder vom Alter der Patienten (bis 65 Jahre) noch vom Geschlecht oder
dem Körpergewicht abhängt [4]. Eine Dosisanpassung ist auch bei älteren Patienten (über 65 Jahre) nicht erforderlich [4], jedoch gibt es für diese Altersgruppe bisher nur wenige Erfahrungen. Da in einigen Fällen über Nierenversagen berichtet
wurde, ist Vorsicht geboten [4]. Nieren- oder Leberfunktionsstörungen erfordern
ebenfalls keine Dosisanpassung, Daten zu schwerer Leberfunktionsstörung liegen
nicht vor [4].
8.1.2.4
Toxizität
Verschiedene Studien der Phasen I-III testeten die klinische Wirksamkeit
von Sorafenib an Patienten mit unterschiedlichen soliden und fortgeschrittenen
Tumorentitäten [15]. In vier offenen Dosisfindungsstudien konnte eine kontinuierliche Sorafenib-Dosis von 400mg beim Erwachsenen zweimal täglich empfohlen
werden, wobei eine Tablette 200mg des Wirkstoffs enthält [4, 65]. Dosislimitierende Nebenwirkungen wurden bei Dosierungen >600mg zweimal täglich beobachtet
[65]. Bei der empfohlenen Tagesgesamtdosis von 800mg [4] oder weniger wies
Sorafenib ein vertretbares Nebenwirkungsprofil auf [4]. Die gute Verträglichkeit
und das gut beherrschbare Sicherheitsprofil der Substanz, vor allem in Hinblick
auf die Schwere der Erkrankung [4], ermöglicht eine kontinuierliche SorafenibTherapie ohne Pausen [15, 65].
Nachfolgend sind einige typische Nebenwirkungen unter SorafenibTherapie aufgelistet, zur Bedeutung der Häufigkeit von Nebenwirkungen siehe
Tabelle A3.
88
Tabelle A3: Häufigkeit der Nebenwirkungen [4]
Sehr häufig
≥ 1/10
-
Häufig
Gelegentlich
Selten
≥ 1/100
≥ 1/1000
≥ 1/10.000
< 1/10
<1/100
< 1/1000
Sehr selten
<1/10.000
Erkrankungen des Gastrointestinaltrakts: Durchfall, Übelkeit und Erbrechen
werden sehr häufig [4], Verdauungsstörungen, Obstipation, Dyspepsie,
Schluckbeschwerden, entzündeter oder trockener Mund, Stomatitis, Glossodynie, Appetitlosigkeit und Gewichtsverlust häufig beobachtet [4]. Ein weiteres
unerwünschtes Ereignis ist die gastrointestinale Perforation mit einer Häufigkeit
von weniger als 1% [4].
-
Erkrankungen der Haut: Sehr häufig werden unter Therapie Alopezie, Pruritus,
Hauterytheme, palmoplantares Erythrodysästhesie-Syndrom und Hautausschlag beobachtet. Bei den beiden letzteren handelt es sich üblicherweise um
Nebenwirkungen Grad 1 und 2 nach der CTCAE. Sie treten im Allgemeinen
während der ersten 6 Wochen der Behandlung auf und sprechen auf symptomatisch topische Therapie gut an [4]. Anderenfalls kann die Sorafenib-Dosis
reduziert oder die Gabe pausiert werden [4]. Weniger häufig sind Akne, entzündete, trockene oder abschuppende Haut und exfoliative Dermatitis [4].
-
Erkrankungen des Blutes und Lymphsystems und Infektionen: Lymphopenien
unter Sorafenib-Gabe sind sehr häufig [4]. Von grippeähnliche Erkrankungen,
Fieber und Asthenie wird häufig berichtet [4].
-
Gefäßerkrankungen:
o Blutungen einschließlich des Gehirns, Magens, Darms oder der Atemwege [4] sind sehr häufig. Wenn die Hämorrhagie behandlungspflichtig
wird, sollte die Therapie pausiert werden [4].
o Hypertonie: Leichte bis mäßige Hypertonie tritt bevorzugt in der frühen
Phase der Behandlung auf [4]. Diese sehr häufige Toxizität erfordert regelmäßige Blutdruckkontrollen, lässt sich aber mithilfe antihypertensiver
Standardtherapien gut behandeln [4, 15]. Gelegentlich auftretende hypertensive Krisen oder schwere andauernde Hypertonien, die therapeu-
89
tisch nicht beherrschbar sind, erfordern eine dauerhafte Unterbrechung
der Sorafenib-Gabe [4].
-
Erkrankungen des Nervensystems: Sehr häufig berichten Patienten über
Schmerzen in Mund, Abdomen, Kopf, Knochen oder Tumor und Müdigkeit [4].
Häufig klagen Probanden über Depressionen, erektile Dysfunktion und periphere sensorische Neuropathie [4].
-
Herzerkrankungen: Gelegentlich werden unter Therapie myokardiale Ischämien, Myokardinfarkte und Herzinsuffizienz beobachtet [4].
Weiterhin wird häufig über Heiserkeit, Nierenversagen, Tinnitus, Arthralgie und
Myalgie [4] berichtet. Bisher gibt es keinerlei Erkenntnisse, ob und wie sich Sorafenib auf die Wundheilung auswirkt. Trotzdem wird vorsorglich empfohlen, das
Pharmakon vor größeren chirurgischen Eingriffen abzusetzen. Wann mit der Behandlung fortgefahren werden kann, ist bisher nicht genau bekannt [4].
Die meisten Nebenwirkungen unter Sorafenib-Therapie sind mithilfe symptomatischer Behandlung zu kontrollieren. Wenn die Toxizitäten jedoch nicht mit entsprechender Therapie beherrschbar sind, muss die Sorafenib-Gabe, vor allem bei
schweren Nebenwirkungen mit potenzieller Lebensgefahr, pausiert oder dauerhaft
beendet werden. Alternativ kann bei schweren Nebenwirkungen die Dosis auf
zwei Tabletten à 200mg einmal täglich reduziert werden [4]. Solange die Nebenwirkungen vertretbar sind und der Patient von der Behandlung profitiert, wird die
Sorafenib-Gabe fortgesetzt [4].
Zu den häufigsten Nebenwirkungen unter Sorafenib-Therapie zählen mit mehr
als 10% gastrointestinale Ereignisse (Diarrhö (35%), Übelkeit, Erbrechen),
Hautreaktionen (Hautausschlag, Pruritus, Hauterythem, Alopezie, palmoplantares
Erythrodysästhesie-Syndrom (35%)), Fatigue (35%), Hypertonie, Hämorrhagie
und Schmerzen [4]. Auch bei sehr hohen Dosen wurde hauptsächlich über Durchfall und dermatologische Ereignisse geklagt. Häufigste Nebenwirkung in der
SHARP-Studie
waren
Diarrhö,
Gewichtsverlust,
palmoplantares
Erythro-
dysästhesie-Syndrom und Hypophosphatämie [15, 65].
Die erwähnten Laborwertveränderungen zählen zu den schwerwiegenden Toxizitäten unter Sorafenib-Therapie. Sehr häufig werden Anstiege 3. und 4. Grades
der Lipase und Amylase im Serum sowie Hypophosphatämien (35-45% unter So90
rafenib-Therapie vs. 11-12% in der Placebo-Gruppe) beobachtet [4]. Häufig
kommt es zu einem vorübergehenden Anstieg der Transaminasen, zu Lymphozytopenie (13% vs. 7%), Leukopenie, Neutropenie (5% vs. 2%), Anämie (2% vs. 4%)
und Thrombozytopenie (1% vs. 0%) [4].
8.1.3 Paclitaxel
Das antineoplastisch wirksame Chemotherapeutikum Paclitaxel gehört zur
Gruppe der Taxane, eine neuere Klasse von Pflanzenalkaloiden. Die Pflanzenextrakte wurden ursprünglich aus der Rinde der Pazifischen Eibe (Taxus brevifolia)
isoliert, entsprechend prekär war die Produktion. Die heute im Handel erhältlichen
Präparate sind jedoch semisynthetisch und werden auf der Grundlage von Pflanzenteilen (Zweige und Nadeln der europäischen Eibe Taxus baccata) erzeugt [28,
33, 36]. Paclitaxel wird von der Firma Bristol-Myers Squibb GmbH unter dem Handelsnamen Taxol® verkauft und ist für die Therapie des Ovarial- und Mammakarzinoms, des NSCLC und des AIDS-assoziierten Kaposi-Sarkoms zugelassen [6,
33].
8.1.3.1
Chemische Struktur
Paclitaxel ist ein Diterpen-Pseudoalkaloid mit komplexer Ringstruktur. Da
die Substanz wasserunlöslich ist, erfolgt die intravenöse Applikation in Ethanol
und polyoxyethyliertem Rizinusöl (Cremophor) [26] und anschließender Verdünnung mit 0,9%iger Natriumchlorid-Lösung und/oder 5%iger Glucose-Lösung [6].
Aus der Summenformel C47H51NO14 errechnet sich ein Molekulargewicht von
853,9g/mol [3].
91
Abbildung A2: Strukturformel Paclitaxel
8.1.3.2
Wirkmechanismus
Wie alle Chemotherapeutika greift auch Paclitaxel in den Vermehrungszyklus von Körperzellen ein. Die Substanz gehört mit ihren antimikrotubulären Eigenschaften zur Gruppe der Taxane [6].
Mikrotubuli im Zellinneren spielen eine wichtige Rolle während der Mitose,
sie dienen der Ausbildung der mitotischen Zellspindel und sind der spezifische
Angriffspunkt von Paclitaxel. In Anwesenheit dieses Zytostatikums wird der Aufbau
der Mikrotubuli durch Zusammenlagerung von Tubulindimeren stimuliert [3, 6].
Allerdings bindet Paclitaxel reversibel an die β-Tubulinuntereinheit bereits aufgebauter Mikrotubuli und verändert so die Tubulusstruktur [43]. Die Depolymerisation
der Mikrotubuli wird gehemmt [6], sodass das dynamische Gleichgewicht zwischen Auf- und Abbau der intrazellulären Mikrotubuli gestört ist. Die Mikrotubuli
werden stabilisiert [6, 43] und ihr Abbau behindert.
Durch die abnorme Stabilisierung und die Akkumulation atypischer [6, 43]
funktionsgestörter Mikrotubuli kann das mikrotubuläre Netzwerk während der vitalen Interphase der Mitose nicht dynamisch reorganisiert werden [6], d.h., die korrekte Ausbildung des Spindelapparats wird verhindert [33]. Die Mikrotubuli organisieren sich während des Zellzyklus zu multiplen funktionslosen Mikrotubulibündeln
und -sternen, den so genannten Astern [3, 6]. Die korrekte Anordnung der Chromosomen wird verhindert und die Zellteilung kann nicht ordnungsgemäß beendet
werden. Sie wird in der späten G2- oder M-Phase irreversibel blockiert, sodass
viele Zellen in dieser Teilungsphase verbleiben. Häufig resultiert der Eintritt in die
92
Apoptose. Bei anderen Zellen erfolgt der Wiedereintritt in die G1-Phase, wobei
jedoch funktionslose Zellen mit vielen oder zu kleinen Zellkernen entstehen [3].
Aufgrund dieses Wirkungsprinzips werden Taxane auch als Spindelgifte bezeichnet.
Paclitaxel wird neben der Eigenschaft, den programmierten Zelltod zu fördern, auch noch eine strahlensensibilisierende Wirkung zugesprochen [3, 13, 41].
Ursächlich hierfür ist die höchste Strahlensensibilität der Zellen in der G2- oder MPhase der Mitose, deren Anzahl Paclitaxel durch Hemmung der Ausbildung des
Spindelapparats erheblich erhöht.
8.1.3.3
Pharmakokinetik
Die Umverteilung von Paclitaxel aus dem zentralen in das periphere Kompartiment, also von intravasal nach extravasal, erfolgt kurz nach intravenöser Gabe. Paclitaxel gelangt in die meisten Gewebe, die genaue Verteilung im menschlichen Organismus ist bisher aber noch nicht vollständig aufgeklärt [6]. In-vitroStudien zeigten mit 89-98% eine auffallend hohe Proteinbindung von Paclitaxel an
menschliches Serumeiweiß [6]. In der Leber wird Paclitaxel vorrangig über Cytochrom-P450-Isoenzyme zu aktiven Hydroxyverbindungen verstoffwechselt [6].
Studien ergaben, dass die renale Ausscheidung der Substanz nur in geringem
Umfang zur systemischen Clearance beiträgt, da im Harn lediglich 1,3-12,6% der
verabreichten Dosis von Paclitaxel in unveränderter Form vorzufinden sind. Vermutlich sind der Metabolismus über die Leber und die anschließende Elimination
über die Galle die Hauptmechanismen der Verstoffwechselung von Paclitaxel [6].
Auswirkungen von Nieren- oder Leberinsuffizienz wurden bislang nicht genauer
untersucht [6]. Dennoch wird von einer Paclitaxel-Gabe bei schwerer Leberinsuffizienz abgeraten, weil Toxizitäten, vor allem Myelosuppressionen Grad 3 und 4,
gehäuft auftreten [6]. Obwohl bisher keine Veränderung im Metabolismus oder der
Elimination festgestellt werden konnte, wenn Paclitaxel gleichzeitig mit anderen
Arzneimitteln verabreicht wurde, die am Stoffwechselweg beteiligte Enzyme inhibieren oder induzieren, ist bei gleichzeitiger Anwendung Vorsicht geboten [6]. Weiterhin konnte eine Akkumulation von Paclitaxel bei wiederholten Therapiezyklen
93
nicht beobachtet werden [6], auch sind eindeutige Zusammenhänge zwischen
Pharmakokinetik und Wirkung nicht nachgewiesen.
8.1.3.4
Toxizität
Klinische Studien mit Paclitaxel als Monotherapie bei soliden Tumoren werden
seit der Markteinführung 1994 zur Ermittlung der Toxizitäten durchgeführt [6]. Dabei ergab sich, dass das Nebenwirkungsspektrum bei der empfohlenen Dosis von
175mg Paclitaxel pro m² Körperoberfläche als 3-stündige Infusion im Abstand von
drei Wochen [6] relativ breit ist. Trotzdem wird die Behandlung von den meisten
Patienten gut vertragen, auch von umfangreich vorbehandelten Probanden oder
solchen mit schlechtem Allgemeinzustand [55]. Bei keiner Toxizität konnte eindeutig nachgewiesen werden, dass sie vom Alter der Patienten abhängig war [6]. Die
Prozentzahlen der nachfolgend aufgeführten häufigen und schwerwiegenden Nebenwirkungen unter Paclitaxel-Therapie gelten für das NSCLC, das Ovarial- und
Mammakarzinom [6]. Auf die prozentualen Abweichungen beim AIDS-assoziierten
Kaposi-Syndrom wird nicht weiter eingegangen [6].
-
Erkrankungen des Blutes und Lymphsystems: Knochenmarksuppression mit
Anämie (64%), schwere Anämie mit Hämoglobinwerten <8,05g/dl bzw.
<5mmol/l (6%), schwere Neutropenie (<500 Zellen/mm³) ohne fiebrige Episode
(28%), schwere Neutropenie mit Dauer ≥7 Tage (1%), Thrombozytopenie
(11%), Thrombozytenzahlen unter 50.000 Zellen/mm³ (3%), Blutungen, febrile
Neutropenie, akute myeloische Leukämie und myelodysplastisches Syndrom
[6].
-
Erkrankungen des Immunsystems: schwere Überempfindlichkeitsreaktionen
bei 1% der Probanden. Diese sind assoziiert mit Dyspnoe, Hypo- oder Hypertonie, Angioödem, generalisierter Urtikaria, Schwitzen, Schüttelfrost, Schmerzen, Tachykardie und potenziell letal. Leichte allergische Reaktionen mit Flush
und Hautauschlag beobachtet man bei 34% der Patienten [6]. Mithilfe der
Prämedikation von Glukokortikoiden, H1- und H2-Rezeptorantagonisten kann
die Häufigkeit erheblich reduziert werden. Selten werden anaphylaktische Reaktionen und anaphylatischer Schock beobachtet [6].
94
-
Erkrankungen des Nervensystems: Neurotoxizität (hauptsächlich Polyneuropathie (66%)), aber auch motorische Neuropathie, autonome Neuropathie,
Grand-Mal-Anfälle, Konvulsionen, Enzephalopathie, Schwindel, Ataxie und
Kopfschmerzen [6]
-
Herzerkrankungen: Arrhythmien (Bradykardien, atrioventrikuläre Leitungsstörungen) in 2% der Fälle, aber für gewöhnlich asymptomatisch [55], Myokardinfarkt, Synkope, Kardiomyopathie, Tachykardien, Vorhofflimmern [6]
-
Erkrankungen des Gastrointestinaltrakts: Nebenwirkungen wie Diarrhö (28%),
Nausea / Emesis (43%), Übelkeit und Mukositis (18%) [6] sind zwar sehr häufig, aber üblicherweise geringen Ausmaßes (Grad 1 bis 2), seltener sind Ileus,
Darmperforation, ischämische Kolitis und Pankreatitis [6]. In Einzelfällen wurden Thrombose im Mesenterium, pseudomembranöse und neutropenische Kolitiden, Aszites, Ösophagitis und Obstipation festgestellt [6].
-
Leber und Gallenerkrankungen: Hepatische Nekrose und hepatische Enzephalopathie mit möglichem letalem Ausgang sind sehr selten [6].
-
Erkrankungen der Atemwege, des Brustraums und Mediastinums: In seltenen
Fällen Ateminsuffizienz, Lungenembolie, Lungenfibrose, interstitielle Pneumonie bei Kombination mit Bestrahlung der Lunge, Dyspnoe, Pleuraerguss und
Husten [6]
-
Erkrankungen von Skelettmuskulatur und Knochen: Arthralgien und Myalgien
gehäuft bei höheren Dosierungen (60%), davon 13% mit schwerer Ausprägung
[6]
-
Infektionen: Infektionen vor allem der Harnwege und des oberen Respirationstraktes sind sehr häufig, Fälle mit septischem Schock und letalem Ausgang
sind dokumentiert; selten entwickeln Patienten eine Sepsis, Peritonitis oder eine Pneumonie [6].
-
Gefäßerkrankungen: Hypotonie, Hypertonie, Thrombose, Thrombophlebitis
und Schock [6]
-
Erkrankungen der Haut: Die reversible Alopezie ist bei fast allen Patienten zu
beobachten [6].
Unerwünschte Arzneimittelnebenwirkungen unter Paclitaxel erfordern häufig
therapeutische Interventionen. Sofern Toxizitäten nicht mit entsprechender Be95
handlung reguliert werden können, muss die Therapie mit Paclitaxel, vor allem bei
schweren Nebenwirkungen mit potenzieller Lebensgefahr, dauerhaft beendet werden. Alternativ kann bei weniger schweren Ereignissen zunächst eine Dosisreduktion in den folgenden Behandlungskursen um 20% versucht werden [6].
Die häufigste schwerwiegende Nebenwirkung unter Paclitaxel-Therapie ist die
Myelosuppression [6]. Sie stellt meist den dosislimitierenden Faktor der Behandlung dar [6]. Nach einer Studie ist die myelosuppressive Wirkung von Paclitaxel
(135 oder 175mg/m²) bei 3-stündiger Infusion geringer als bei 24-stündiger Infusion [3, 59]. Wöchentliche Blutbildkontrollen sind zu empfehlen, um lebensbedrohliche Komplikationen zu vermeiden. Bei schwerwiegenden Granulozytopenien sollte eine Behandlung mit Wachstumsfaktoren erfolgen [6].
Obwohl periphere Neuropathien zu den häufigsten Nebenwirkungen zählen,
verursachen sie nur selten schwere Symptome. Sie können bereits während des
ersten Behandlungskurses auftreten und mit der Häufigkeit der Paclitaxel-Gaben
zu kumulativen Effekten führen [55]. Weiterhin wurde in Studien die Dosisabhängigkeit der Neurotoxizität festgestellt. Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass bei
höherer Paclitaxel-Dosis 85% der Patienten Neurotoxizitäten entwickelten (15%
davon schwer), während bei geringer Dosis nur 25% erkrankten (3% schwer) [6].
Therapieabbrüche aufgrund von Neuropathien sind eher selten, aber in schweren
Fällen wird zu einer Dosisreduktion von 20% in allen folgenden Behandlungskursen geraten [6]. Üblicherweise bessern sich die Empfindungsstörungen innerhalb
einiger Monate nach Absetzen der Substanz, bestenfalls verschwinden sie vollständig [6].
Die genannten Laborwertveränderungen betreffen vor allem das blutbildende
System, aber auch eine starke Erhöhung von ASAT und alkalischer Phosphatase,
starke Bilirubinwerterhöhung sowie Anstiege des Kreatinin-Spiegels werden beschrieben [6].
8.1.4 Interaktion
Bei der folgenden Besprechung der Wechselwirkungen sind ausschließlich
solche berücksichtigt, die für die vorliegende Studie relevant sind.
96
Zur Überprüfung klinisch relevanter pharmakokinetischer Wechselwirkungen zwischen Bevacizumab und einer gleichzeitigen Chemotherapie wurde mithilfe von Studien ermittelt, dass die Verfügbarkeit von Bevacizumab während einer
Chemotherapie nicht beeinflusst wird. Bezüglich der Clearance dieses Antikörpers
zeigten sich keine Unterschiede bei den Patienten mit zusätzlicher Zytostatikatherapie zu solchen, die mit Bevacizumab als Monotherapie behandelt wurden. Die
Wirkung aller gleichzeitig angewendeten Chemotherapien auf die BevacizumabClearance wird als klinisch nicht signifikant angesehen [54]. Reversible unerwünschte Nebenwirkungen traten in einer Kombinationsbehandlung von Bevacizumab mit dem Rezeptor-Tyrosinkinase-Inhibitor Sunitinibmaleat auf. Dazu zählen
neben Anämie und Thrombozytopenie auch mikroangiopathische hämolytische
Anämien und Hypertonie mit hypertensiven Krisen, erhöhte Kreatininwerte und
neurologische Symptome [54].
Ersten Ergebnissen aus Phase-I-Studien zufolge kommt es bei einer Kombination von Sorafenib mit Standardchemotherapeutika wie Oxaliplatin und Gemcitabin nicht zu einer gegenseitigen pharmakokinetischen Beeinflussung. Vorsicht
ist allerdings dann geboten, wenn Sorafenib mit Arzneimitteln kombiniert wird, die
vorwiegend über den UGT1A1- oder UGT1A9-Stoffwechselweg metabolisiert werden, z. B. Irinotecan, Estradiol, Docetaxel oder Paclitaxel [4, 15]. Interaktionen
zwischen diesen Medikamenten und Sorafenib sind bekannt und führen zu verstärkten Nebenwirkungen [15]. Bisher ist unklar, ob Paclitaxel die Plasmakonzentration von Sorafenib erhöht [4]. Die gleichzeitige Anwendung von Arzneimitteln
gegen Magenübersäuerung kann die Plasmakonzentration von Sorafenib verringern, außerdem können auch Medikamente, die den Metabolismus von Sorafenib
verstärken oder herabsetzen, dessen Konzentration im Plasma beeinflussen.
Hierzu gehören unter anderem Rifampicin, Hypericumperforatum, Phenytoin,
Carbamazepin, Phenobarbital und Dexamethason [4, 15].
Paclitaxel interagiert ebenfalls mit verschieden Zytostatika, z. B. Cisplatin, die aber
in der vorliegenden Studienmedikation nicht verwendet wurden. Die Recherche
bisheriger Untersuchungen ergab keine Daten zur Interaktion der drei Studienmedikamente untereinander.
97
Danksagung
Die Untersuchungen für diese Arbeit wurden in der Klinik für Onkologie und
Hämatologie des Marienhospitals in Herne (Direktor: Prof. Dr. med. D. Strumberg)
– Universitätsklinikum der Ruhr-Universität Bochum – durchgeführt. Den Mitarbeitern dieser Abteilung danke ich für die Einarbeitung und Unterstützung sowie die
Bereitstellung der Patientenakten.
Meinem Doktorvater Herrn Prof. Dr. med. D. Strumberg danke ich für die
Bereitstellung des Promotionsthemas, die damit verbundene Möglichkeit, in der
Klinik für Onkologie und Hämatologie zu promovieren, sowie die gute fachliche
Betreuung im Verlauf dieser Arbeit.
Mein besonderer Dank gilt Frau Dr. B. Schultheis für die Mühe, die Zeit und
Unterstützung beim Verfassen dieser Dissertation.
Des Weiteren möchte ich allen Patienten danken, die trotz ihrer schweren
Erkrankung den Mut hatten, an dieser Studie teilzunehmen. Ohne ihre Hilfe wäre
diese Studie nicht möglich gewesen.
Von Herzen danke ich meinen lieben Eltern für die geistige und finanzielle
Unterstützung während meines Studiums und bei dieser Arbeit und besonders
meiner Mutter für die Durchsicht des Manuskripts.
Lebenslauf
Persönliche Daten:
Name:
Renée Roy
Geburtsdatum, -ort:
09.09.1988, Bonn
Staatsangehörigkeit:
deutsch
Familienstand:
ledig
Schulausbildung:
1994 – 1998
Brüder-Grimm-Grundschule in Langenfeld
1998 – 2006
Konrad-Adenauer-Gymnasium in Langenfeld
Abschluss: Abitur
Hochschulausbildung:
10/2006 – 10/2012
Studium der Humanmedizin an der
Ruhr-Universität Bochum
2006 – 2008
Vorklinik
Herbst 2008
Erster Abschnitt der Ärztlichen Prüfung
2008– 2012
Klinik
08/2011 – 07/2012
Praktisches Jahr
1. Tertial Innere Medizin (Marienhospital Herne)
2. Tertial Chirurgie (Marienhospital Herne)
3. Tertial Geriatrie (Marienhospital Herne)
Herbst 2012
Zweiter Abschnitt der Ärztlichen Prüfung und
Approbation
Facharztausbildung:
seit 03/13
Assistenzärztin für Innere Medizin im Marienhospital Herne, Klinik für Altersmedizin und Frührehabilitation, Universitätsklinikum der RuhrUniversität Bochum
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