Erschienen 2.-8. Juni 2010 Nr. 22, S. 15 © Klären, was Kunden wirklich wollen CUSTOMER EXPERIENCE Traditionelle Marketing-Instrumente widerspiegeln die komplexe Kundenbeziehung längst nicht mehr. Um Marketing-Budgets intelligent einzusetzen, müssen alle Interaktionen mit Kunden systematisch eruiert werden. MÉLANIE KNÜSEL-RIETMANN E in taufrisches Beispiel: Das Auto muss in den Service. Wer auf einen fahrbaren Untersatz angewiesen ist, hat sowieso schon eine Laune auf halbmast. Am nächsten Tag: Auto abholen, Hochgefühl. Am übernächsten: Auto starten, Motor springt nicht an. Anruf in die Garage. Nixverstan. Womöglich habe man eine Lampe brennen lassen. Das Ganze von vorn, obwohl sich herausstellt, dass keine Lampe, sondern eine Nachlässigkeit des Mechanikers im Spiel war. Plastischer liesse sich eine negative «Customer Experience» nicht umschreiben. Spätestens beim Erhalt der Rechnung entschliesst sich der Kunde, die Garage zu wechseln. Unnötig zu sagen, dass sich niemand erkundigt hat, ob jetzt wieder alles paletti sei. Vorkommnisse wie Natürlich ist es mühselig, all die vielen Brand-Touchpoints zu eruieren. diese prägen das Bild einer Marke oder eines Unternehmens, das sich der Kunde täglich macht. Die Marketing-Fachleute nennen dieses Phänomen Brand-Touchpoints – Berührungspunkte, die sich zu einem Ganzen verdichten. Roland Bernhard von der Beratungsfirma Prophet befasst sich mit diesem Phänomen. Er hat herausgefunden, dass sich pro Tag zwischen 30 und 100 Eindrücke im Kopf, im Herzen oder im Bauch «ansammeln». Die Summe aller Interaktionen nennt er Customer Experience. «Darunter versteht man alle potenziellen Möglichkeiten, bei denen Marken auf Kunden, Mitarbeiter und andere Stakeholders treffen und einen Eindruck hinterlassen – sei es durch ein Inserat, eine Firmenwebsite, ein Gespräch mit dem Callcenter, eine Rechnung, einen Kontakt mit einem Vertreter oder Angestellten des Unternehmens oder eine ungeschickte Reaktion auf eine Reklamation», sagt Bernhard. Bestandesaufnahme in Phasen Natürlich ist es mühselig, all die vielen Brand-Touchpoints zu eruieren. Aber in einer Zeit, in der traditionelle MarketingInstrumente die Komplexität der Kundenbeziehungen nicht mehr widerspiegeln, raten immer mehr Brand-Spezialisten zu einem ganzheitlich geprägten Ansatz, wenn die Marketing-Budgets intelligent eingesetzt werden sollen. Bernhard unterscheidet drei Phasen der wirksamen Bestandesaufnahme: Vor dem Kauf gilt es, die Erfahrungen des Kunden positiv zu beeinflussen – etwa via Mundzu-Mund-Propaganda oder benutzerfreundliche Website, Erfahrungen im Absatzkanal und mit Personal, das dem Kunden ein Gefühl vermittelt, es sei ernsthaft an seinen Anliegen, Wünschen und seinem Missfallen über Unzulänglichkeiten interessiert. Ganzheitliches Management In der mittleren Phase, dem Kaufakt, spielen der Vertrauensaufbau und die Zu- versicht, dass der Erwerb eines Produktes einen Mehrwert bringt, eine zentrale Rolle. Und schliesslich die viel vernachlässigte Nutzung der Customer Experience nach dem Kauf. Hier kommt ein wichtiger Ansatz von Christoph Spengler, Managing Director der Accelerom AG, ins Spiel. Er befasst sich ebenfalls intensiv mit dem Thema der Effizienz im Markenund Marketing-Management: «Gewöhnlich sind für diese Touchpoints verschiedene Ressorts oder Abteilungen wie etwa Marketing, Public Relations, Vertrieb oder Service zuständig. Nicht selten sind sie wenig koordiniert und haben unterschiedliche Auffassungen.» Accelerom hat eine 360-Grad-Touchpoint-Analyse entwickelt, mit welcher Bedeutung und Wirkung der unterschiedlichen Touchpoints für ein Unternehmen abteilungsübergreifend gemessen werden. Dazu Spengler: «Eine erfolgreiche Umsetzung der Kundenorientierung hängt im Wesentlichen vom ganzheitlichen Management der Kundenkontaktpunkte ab. Ein Unternehmen kann durch geeignete Strategien und Massnahmen das Wachstum positiv beeinflussen. Bei der heutigen Komplexität kommt man mit Bauchgefühl nicht wirklich weiter. Erfahrungen bilden zwar die Vergangenheit ab, aber sie sagen kaum etwas über künftige Verhaltensweisen aus. Mit unserer Methode identifizieren wir unternehmenstypische Stellhebel und zeigen auf, wie sich bestimmte Massnahmen auswirken.» MARKEN-TOUCHPOINTS Ein Profil erstellen Methoden In einem Punkt treffen sich alle Customer-Experience-Methoden: es gilt, die Markentouchpoints zu erfassen, ein Stärken- und Schwächenprofil (Swot-Analyse) zu erstellen, wobei der Markt, die anvisierten Kundengruppen und die Mitbewerber berücksichtigt werden, und Optimierungs- ziele festzulegen, wenn es um den Einsatz der Mittel geht. Informationswerte Ebenfalls gemeinsam ist diesen neuen Ansätzen der Unterschied zu den herkömmlichen Messgrössen, die vorwiegend darauf konzentriert sind, womit die Zielgruppen «gefüttert» werden, und nicht darauf, was bei ihnen schlussendlich hän- gen bleibt. Mit entsprechend ausgeklügelten Tools können Informationswerte (Wie werden relevante Informationen transportiert?), Attraktivitätswerte (Wie kommt die emotionale Botschaft an?), Transaktionswerte (Wie stark wird das Kaufverhalten durch Berührungspunkte stimuliert?), Bindungswerte (Wie dauerhaft ist die Kundenbindung?) oder Nutzungsintensitäten ermittelt werden.